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Document 62024CJ0206

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 1. August 2025.
YX und Logistica i Gestió Caves Andorranes i Vidal SA gegen Ministre de l’Économie, des Finances et de la Relance und Directeur général des douanes et droits indirects.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 – Unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Zölle – Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 – Voraussetzungen für die Erstattung von Amts wegen – Feststellung, dass die Zölle rechtsgrundlos erhoben wurden, vor Ablauf einer Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt ihrer buchmäßigen Erfassung – Feststellung, die die Kenntnis der nationalen Zollbehörden von der Identität der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer und dem an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Betrag impliziert – Verpflichtung der nationalen Zollbehörden, die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um an die für eine solche Erstattung erforderlichen Informationen zu gelangen.
Rechtssache C-206/24.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2025:611

Rechtssache C‑206/24

YX und Logistica i Gestió Caves Andorranes i Vidal SA

gegen

Directeur général des douanes et droits indirects und Ministre de l’Économie, des Finances et de la Relance

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Kassationsgerichtshof, Frankreich])

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 1. August 2025

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 – Unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Zölle – Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 – Voraussetzungen für die Erstattung von Amts wegen – Feststellung, dass die Zölle rechtsgrundlos erhoben wurden, vor Ablauf einer Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt ihrer buchmäßigen Erfassung – Feststellung, die die Kenntnis der nationalen Zollbehörden von der Identität der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer und dem an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Betrag impliziert – Verpflichtung der nationalen Zollbehörden, die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um an die für eine solche Erstattung erforderlichen Informationen zu gelangen“

Eigenmittel der Europäischen Union – Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Zölle – Erstattung von Amts wegen – Voraussetzungen – Feststellung durch die nationale Zollbehörde, dass die Zölle rechtsgrundlos erhoben wurden, vor Ablauf einer Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt ihrer buchmäßigen Erfassung – Feststellung, die die Kenntnis der nationalen Zollbehörde von der Identität der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer und dem zu erstattenden Betrag impliziert – Verpflichtung der nationalen Zollbehörde, die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um an die für eine solche Erstattung erforderlichen Informationen zu gelangen

(Verordnung Nr. 1430/79 des Rates, Art. 1 Abs. 2 Buchst. e, Art. 2 und Art. 15)

(vgl. Rn. 25-38, 42, 43 und Tenor)

Zusammenfassung

Auf Ersuchen der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) um Vorabentscheidung erläutert der Gerichtshof den Umfang der Verpflichtung einer nationalen Zollbehörde, rechtsgrundlos erhobene Zölle von Amts wegen zu erstatten, sowie die Voraussetzungen dafür im Licht von Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79 ( 1 ).

In den Jahren 1988 bis 1991 führten Gesellschaften andorranischen Rechts durch Vermittlung der Gesellschaft Ysal, einer in Frankreich ansässigen Zollagentin, vorwiegend aus Drittstaaten stammende Waren nach Andorra ein. Für diese Einfuhren waren Zölle in Frankreich zu entrichten. Zu dieser Zeit verlangten die französischen Zollbehörden nämlich, dass Waren aus Drittländern mit dem Bestimmungsland Andorra in den zollrechtlich freien Verkehr überführt werden mussten, wenn sie das französische Hoheitsgebiet durchquerten.

Im Januar 1991 stellte die Europäische Kommission in einer mit Gründen versehenen Stellungnahme ( 2 ) fest, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus bestimmten unionsrechtlichen Vorschriften verstoßen habe, dass sie das genannte Erfordernis einer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr vorgesehen habe. Sie forderte sie daher auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Lage mit den Vorschriften in Einklang zu bringen.

Mit ministerieller Bekanntmachung ( 3 ) beendeten die französischen Behörden daraufhin diese Praxis in Bezug auf alle für Andorra bestimmten Waren aus Drittländern.

Im Jahr 2015 erhoben die andorranischen Importeure, deren Rechtsnachfolger Caves Andorranes und YX sind, gegen die französische Zollverwaltung Klage auf Zahlung eines Betrags in Höhe der Zölle, die diese in den Jahren 1988 bis 1991 rechtsgrundlos auf Einfuhren von Waren aus Drittländern nach Andorra erhoben habe. Nachdem diese Klage in erster Instanz abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen worden war, legten Caves Andorranes und YX ein Rechtsmittel bei der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof), dem vorlegenden Gericht, ein.

Das vorlegende Gericht hat dem Gerichtshof zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, mit denen es im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79 dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung einer nationalen Zollbehörde, Zölle von Amts wegen zu erstatten, zum einen davon abhängt, dass diese Behörde vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung dieser Zölle selbst festgestellt hat, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben worden waren, und zum anderen davon, dass die Zollbehörde Kenntnis von der Identität der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer und von dem an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Betrag hat. In diesem Rahmen fragt es, welche Maßnahmen die Behörde gegebenenfalls zu ergreifen hat, um an diese Informationen zu gelangen.

Würdigung durch den Gerichtshof

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79, da er kategorisch vorsieht, dass die nationalen Zollbehörden „die Erstattung … von Amts wegen [vornehmen]“, eine Erstattungspflicht für diese Behörden begründet, ohne dass der betreffende Importeur einen entsprechenden Antrag stellen müsste. Diese Verpflichtung, Zölle von Amts wegen zu erstatten, hängt davon ab, dass die betreffende nationale Zollbehörde vor Ablauf der Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung der betreffenden Zölle ( 4 ) selbst festgestellt hat, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben worden sind. Dagegen muss die Erstattung als solche nicht notwendigerweise innerhalb dieser Frist erfolgen, so dass sie über deren Ablauf hinaus erfolgen kann.

Da die Zölle auf bestimmte Beträge erhoben werden, die von der nationalen Zollbehörde auf der Grundlage von Zollanmeldungen festgesetzt werden, die im Namen einer bestimmten Person abgegeben wurden, impliziert im Übrigen die Feststellung der nationalen Zollbehörde, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben wurden, zwangsläufig die Feststellung, dass eine der nationalen Zollbehörde bekannte Person einen bestimmten, ihr ebenfalls bekannten Betrag rechtsgrundlos entrichtet hat. Stellt die nationale Zollbehörde fest, dass Zölle rechtsgrundlos erhoben wurden und zu erstatten sind, ist ihr daher grundsätzlich sowohl die Identität der Person, an die sie die Erstattung zu leisten hat, als auch der genaue zu erstattende Betrag bekannt.

Die nationale Zollbehörde kann sich nämlich nicht darauf berufen, dass sie nicht mehr über die von den Beteiligten eingereichten Zollanmeldungen oder die sie betreffenden Einzelfallentscheidungen verfügt, um zu rechtfertigen, dass sie den Betroffenen die Zölle gegebenenfalls nicht erstattet hat, bezüglich deren sie innerhalb der Dreijahresfrist von Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79 festgestellt hat, dass sie rechtsgrundlos erhoben wurden, denn solange diese Frist noch nicht abgelaufen ist, ist die nationale Zollbehörde verpflichtet, die Unterlagen und Informationen aufzubewahren, die für eine etwaige Erstattung von Bedeutung sein können.

Verfügt die nationale Zollbehörde jedoch ohne eigenes Verschulden nicht über die für die Erstattung rechtsgrundlos erhobener Zölle erforderlichen Informationen, hat sie zur Einhaltung ihrer Erstattungspflicht aus der genannten Vorschrift die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um an diese Informationen zu gelangen. Zwar umfassen solche Maßnahmen keine Nachforschungen in unverhältnismäßigem Ausmaß, d. h. Nachforschungen, die den Einsatz personeller und materieller Ressourcen erfordern würden, die in keinem Verhältnis zu dem stehen, was von einer sorgfältigen Verwaltung vernünftigerweise erwartet werden kann. Eine passive Haltung der Zollbehörde unter dem Vorwand, dass sie nicht über diese Informationen verfüge, ist jedoch weder mit ihrer oben genannten Erstattungspflicht noch mit den Anforderungen vereinbar, die sich aus dem Recht auf eine gute Verwaltung ergeben, das einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, der für die Mitgliedstaaten gelten soll, wenn sie dieses Recht umsetzen.

Der Gerichtshof kommt zu dem Schluss, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79 dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung einer nationalen Zollbehörde, Zölle von Amts wegen zu erstatten, davon abhängt, dass diese Behörde vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung dieser Zölle selbst festgestellt hat, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben worden waren. Diese Feststellung impliziert, dass die Zollbehörde Kenntnis von der Identität der Personen, die die Zölle entrichtet haben, und von dem an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Betrag hat. Verfügt die nationale Zollbehörde nicht über alle Informationen, die erforderlich sind, um eine solche Erstattung an die Person, die die rechtsgrundlos erhobenen Zölle entrichtet hat, oder an die Personen, die in deren Rechte und Pflichten eingetreten sind, vorzunehmen, und konnte sie nicht über diese Informationen verfügen, so hat sie, um ihrer Erstattungspflicht nachzukommen, die Maßnahmen zu ergreifen, die, ohne unverhältnismäßig zu sein, erforderlich und geeignet sind, um an diese Informationen zu gelangen und die Erstattung vorzunehmen.


( 1 ) Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. 1979, L 175, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986 (ABl. 1986, L 286, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1430/79).

( 2 ) Mit Gründen versehene Stellungnahme COM(90) 2042 endg.

( 3 ) Bekanntmachung des Ministère de l’Économie, des Finances et du Budget (Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Haushalt, Frankreich) an die Importeure und Exporteure, veröffentlicht am 6. Juni 1991 im Journal officiel de la République française (Amtsblatt der Französischen Republik).

( 4 ) Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 1430/79 ist dies der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts, mit dem die Zölle ursprünglich von den zuständigen Behörden festgesetzt wurden.

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