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Document 62021TJ0617
Urteil des Gerichts (Dritte erweiterte Kammer) vom 22. März 2023.
B&Bartoni spol. s r.o. gegen Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum.
Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das eine Elektrode zum Einsetzen in einen Brenner darstellt – Nichtigkeitsgrund – Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Bauelement eines komplexen Erzeugnisses.
Rechtssache T-617/21.
Urteil des Gerichts (Dritte erweiterte Kammer) vom 22. März 2023.
B&Bartoni spol. s r.o. gegen Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum.
Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das eine Elektrode zum Einsetzen in einen Brenner darstellt – Nichtigkeitsgrund – Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Bauelement eines komplexen Erzeugnisses.
Rechtssache T-617/21.
Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section
ECLI identifier: ECLI:EU:T:2023:152
Rechtssache T‑617/21
B&Bartoni spol. s r.o.
gegen
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO)
Urteil des Gerichts (Dritte erweiterte Kammer) vom 22. März 2023
„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das eine Elektrode zum Einsetzen in einen Brenner darstellt – Nichtigkeitsgrund – Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“
Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Schutzvoraussetzungen – Geschmacksmuster, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist – Begriff – Beurteilungskriterien – Verschleiß des Bauelements – Komplexes Erzeugnis beim Ersetzen des Bauelements auseinander- und wieder zusammenbauen – Vollständigkeit des komplexen Erzeugnisses – Austauschbarkeit des Bauelements
(Verordnung Nr. 6/2002 des Rates, Art. 4 Abs. 2)
(vgl. Rn. 26, 35, 36, 45-47, 55, 56, 69)
Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Entscheidungen des Amtes – Rechtmäßigkeit – Prüfung durch den Unionsrichter – Kriterien
(Verordnung Nr. 6/2002 des Rates)
(vgl. Rn. 38)
Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsgründe – Geschmacksmuster, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist – Darstellung einer Elektrode zum Einsetzen in einen Brenner
(Verordnung Nr. 6/2002 des Rates, Art. 4 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 1)
(vgl. Rn. 39, 49, 62, 70, 78)
Zusammenfassung
Die Hypertherm, Inc. ist Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters, das eine Elektrode zum Einsetzen in einen Brenner darstellt, der Teil eines Plasmaschneidsystems ist. Die Gesellschaft B&Bartoni spol. s r.o. stellte beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) einen Antrag auf Nichtigerklärung dieses Geschmacksmusters mit der Begründung, dass es die Schutzvoraussetzungen für Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht erfülle, da die Elektrode bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Brenners nicht sichtbar sei ( 1 ). Diesem Antrag wurde zunächst von der Nichtigkeitsabteilung stattgegeben, dann aber von der Beschwerdekammer zurückgewiesen, da diese der Ansicht war, dass das in dem angegriffenen Geschmacksmuster dargestellte Erzeugnis, d. h. die fragliche Elektrode, nicht als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses angesehen werden könne.
Das Gericht, das als erweiterte Kammer tagt, legt den Ausdruck „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 aus. Es entscheidet zum ersten Mal darüber, ob ein Verschleißteil, wie die Elektrode im vorliegenden Fall, ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses darstellen kann.
Würdigung durch das Gericht
Zunächst weist das Gericht darauf hin, dass die Frage, ob ein Erzeugnis unter den Ausdruck „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ fällt, im Einzelfall anhand eines Bündels relevanter Indizien zu beurteilen ist. Für die Beurteilung der Frage, ob die fragliche Elektrode ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses darstellt, prüft es daher die Relevanz der vier Indizien, die die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigt hat.
Als Erstes ist das Gericht der Ansicht, dass der Verschleiß der Elektrode ein relevantes Indiz für die Beurteilung der Frage ist, ob sie ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses darstellt. Genauer gesagt stellen in Ermangelung einer Definition des Ausdrucks „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ in der Verordnung Nr. 6/2002 typische Merkmale eines Verschleißteils, wie das Fehlen einer festen und dauerhaften Verbindung mit dem komplexen Erzeugnis sowie der regelmäßige Kauf und das regelmäßige Ersetzen der Elektrode aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer, relevante Indizien für die Bestimmung, was ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, dar. Die Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses sind Einzelteile, die zu einem komplexen industriellen oder handwerklichen Gegenstand zusammengebaut werden sollen und sich ersetzen lassen, so dass ein solcher Gegenstand auseinander- und wieder zusammengebaut werden kann. Die fragliche Elektrode soll indes als Verschleißteil eines Brenners vom Endbenutzer leicht zu dem Brenner hinzugefügt werden, schnell verschlissen oder verwendet werden, und sich leicht ersetzen lassen, ohne dass dafür ein solcher Gegenstand auseinander- und wieder zusammengebaut werden muss. Außerdem ist der Endbenutzer, der die Elektrode regelmäßig kauft und ersetzt, in der Lage, ihre Merkmale wahrzunehmen und zu beurteilen, unabhängig von ihrer Sichtbarkeit nach dem Einbau in den Brenner.
Als Zweites ist das Gericht der Auffassung, dass die Frage, ob das Ersetzen eines Erzeugnisses erfordert, dass ein komplexes Erzeugnis auseinander- und wieder zusammengebaut wird, ebenfalls ein relevanter Faktor ist, der bei der Feststellung, ob ein solches Erzeugnis ein Bauelement des komplexen Erzeugnisses darstellt, zu berücksichtigen ist. Die Berücksichtigung des Umstands, ob „auseinander- und wieder zusammengebaut“ wird, beruht nämlich auf der Verordnung Nr. 6/2002 ( 2 ) und der Rechtsprechung des Gerichtshofs ( 3 ). So wird ein Erzeugnis, bei dessen Ersetzen das Erzeugnis, in das es integriert ist, nicht auseinander- und wieder zusammengebaut werden muss und das spezifisch dafür konzipiert ist, regelmäßig und einfach durch die Endbenutzer ersetzt zu werden, weniger wahrscheinlich ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses darstellen als ein Erzeugnis, das normalerweise von Fachleuten ersetzt wird, die über besondere Kenntnisse hierfür verfügen. Im vorliegenden Fall bleibt das Ersetzen der Elektrode für den Endbenutzer ein einfacher Vorgang, der nicht als ein solcher angesehen werden kann, bei dem der Brenner im Sinne der Verordnung Nr. 6/2002 „auseinander- und wieder zusammengebaut“ wird.
Als Drittes stellt das Gericht zum einen fest, dass die Vollständigkeit des komplexen Erzeugnisses ohne die fragliche Elektrode ein relevantes Indiz für die Beurteilung des Ausdrucks „Bauelement eines komplexen Erzeugnisses“ ist. Beim Kauf eines Brenners ohne Elektrode oder wenn diese aus dem Brenner herausgenommen wird, wird der Endbenutzer den Brenner insoweit nicht als beschädigt oder unvollständig wahrnehmen. Dagegen wird ein komplexes Erzeugnis ohne seine Bauelemente vom Endbenutzer grundsätzlich nicht als ein vollständiges Erzeugnis wahrgenommen, das bestimmungsgemäß verwendet werden kann oder als Erzeugnis, das sich in gutem Zustand befindet. Im Übrigen können der Brenner und das Plasmaschneidsystem zwar ihre Funktion, das Metall zu schneiden oder zu fugenhobeln, nicht erfüllen, ohne dass dort eine Elektrode eingesetzt wird, dies bedeutet aber nicht, dass die Elektrode als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses anzusehen ist. Die Annahme, dass bei einem Erzeugnis, das die Funktion, zu der es bestimmt ist, nicht ohne ein anderes Erzeugnis erfüllen kann, dieses als Bauelement des ersten Erzeugnisses anzusehen ist, liefe nämlich darauf hinaus, dass eine große Zahl gesonderter Erzeugnisse, u. a. sich verschleißende Erzeugnisse, ohne die komplexe Erzeugnisse die Funktion, für die sie bestimmt sind, nicht erfüllen können, zu Unrecht als Bauelemente dieser komplexen Erzeugnisse angesehen würden.
Zum anderen stellt auch der Umstand, dass der Brenner auf dem Markt ohne die Elektrode angeboten werden kann und dass diese üblicherweise getrennt beworben und verkauft wird, ein relevantes Indiz für die Feststellung dar, ob es sich bei der fraglichen Elektrode um ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses handelt. Zwar steht es jedem Hersteller frei, das komplexe Erzeugnis mit seinen Bauelementen zu vertreiben oder sie gesondert zu verkaufen, und eine solche geschäftliche Entscheidung ist kein ausschlaggebender Gesichtspunkt für die Beurteilung der Frage, ob ein Erzeugnis ein Bauelement eines Erzeugnisses darstellt. Es ist jedoch ungewöhnlich, dass der Kauf eines komplexen Erzeugnisses nicht dessen tatsächliche Bauelemente einschließt. Im vorliegenden Fall wird das fragliche komplexe Erzeugnis, d. h. der Brenner, sowohl mit als auch ohne die betreffenden Elektroden verkauft.
Als Viertes und Letztes ist das Gericht der Ansicht, dass die Austauschbarkeit der Elektrode ein Indiz ist, das bei dieser Analyse zu berücksichtigen ist. Ein Erzeugnis, das nicht durch ein anderes, nicht identisches Erzeugnis ersetzt werden oder in verschiedenen komplexen Erzeugnissen verwendet werden kann, ist nämlich grundsätzlich eher geeignet, auf dauerhafte und zweckmäßige Weise mit dem komplexen Erzeugnis verbunden zu werden und somit ein Bauelement dieses komplexen Erzeugnisses darzustellen. Folglich ist der Umstand, dass die fragliche Elektrode durch eine andere Elektrode ersetzt werden kann und dass verschiedenartige Brenner die fragliche Elektrode verwenden können, ein Faktor, der bei der Feststellung, ob diese Elektrode ein Bauelement eines komplexen Erzeugnisses darstellt, zu berücksichtigen ist.
In Anbetracht dieser Erwägungen ist das Gericht der Auffassung, dass die Indizien, auf die sich die Beschwerdekammer gestützt hat, relevant sind, und kommt zu dem Ergebnis, dass dieser kein Fehler unterlaufen ist, als sie die fragliche Elektrode als gesondertes Erzeugnis und nicht als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses angesehen hat.
( 1 ) Nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) gilt ein Geschmacksmuster, das in einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, nur dann als neu und hat nur dann Eigenart, wenn das Bauelement, das in das komplexe Erzeugnis eingefügt ist, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt.
( 2 ) Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 6/2002.
( 3 ) Urteil vom 20. Dezember 2017, Acacia und D’Amato (C‑397/16 und C‑435/16, EU:C:2017:992, Rn. 65).