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Document 62014CJ0340
Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 1. Oktober 2015.
R. L. Trijber gegen College van burgemeester en wethouders van Amsterdam und J. Harmsen gegen Burgemeester van Amsterdam.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2006/123/EG – Dienstleistungen im Binnenmarkt – Vergnügungsschifffahrt – Fensterbordelle – Art. 2 Abs. 2 Buchst. d – Anwendungsbereich – Ausschluss – Verkehrsdienstleistungen – Niederlassungsfreiheit – Genehmigungsregelung – Art. 10 Abs. 2 Buchst. c – Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung – Verhältnismäßigkeit – Anforderung an die Sprachkenntnisse – Art. 11 Abs. 1 Buchst. b – Geltungsdauer der Genehmigung – Begrenzung der Zahl der verfügbaren Genehmigungen – Zwingender Grund des Allgemeininteresses.
Verbundene Rechtssachen C-340/14 und C-341/14.
Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 1. Oktober 2015.
R. L. Trijber gegen College van burgemeester en wethouders van Amsterdam und J. Harmsen gegen Burgemeester van Amsterdam.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2006/123/EG – Dienstleistungen im Binnenmarkt – Vergnügungsschifffahrt – Fensterbordelle – Art. 2 Abs. 2 Buchst. d – Anwendungsbereich – Ausschluss – Verkehrsdienstleistungen – Niederlassungsfreiheit – Genehmigungsregelung – Art. 10 Abs. 2 Buchst. c – Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung – Verhältnismäßigkeit – Anforderung an die Sprachkenntnisse – Art. 11 Abs. 1 Buchst. b – Geltungsdauer der Genehmigung – Begrenzung der Zahl der verfügbaren Genehmigungen – Zwingender Grund des Allgemeininteresses.
Verbundene Rechtssachen C-340/14 und C-341/14.
Court reports – general
Verbundene Rechtssachen C‑340/14 und C‑341/14
R. L. Trijber
gegen
College van burgemeester en wethouders van Amsterdam
und
J. Harmsen
gegen
Burgemeester van Amsterdam
(Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State [Niederlande])
„Vorlage zur Vorabentscheidung — Richtlinie 2006/123/EG — Dienstleistungen im Binnenmarkt — Vergnügungsschifffahrt — Fensterbordelle — Art. 2 Abs. 2 Buchst. d — Anwendungsbereich — Ausschluss — Verkehrsdienstleistungen — Niederlassungsfreiheit — Genehmigungsregelung — Art. 10 Abs. 2 Buchst. c — Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung — Verhältnismäßigkeit — Anforderung an die Sprachkenntnisse — Art. 11 Abs. 1 Buchst. b — Geltungsdauer der Genehmigung — Begrenzung der Zahl der verfügbaren Genehmigungen — Zwingender Grund des Allgemeininteresses“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 1. Oktober 2015
Niederlassungsfreiheit — Freier Dienstleistungsverkehr — Dienstleistungen im Binnenmarkt — Richtlinie 2006/123 — Geltungsbereich — Verkehrsdienstleistungen — Ausschluss — Tätigkeit, die darin besteht, für Fahrgäste im Rahmen einer Veranstaltung oder Feier entgeltliche, geführte Bootsrundfahrten durch eine Stadt durchzuführen — Einbeziehung — Voraussetzungen — Überprüfung durch das nationale Gericht
(Art. 58 Abs. 1 AEUV sowie Art. 100 Abs. 1 und 2 AEUV; Richtlinie 2006/123 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 2 Buchst. d)
Zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen — Zuständigkeit des Gerichtshofs — Grenzen — Zuständigkeit des nationalen Gerichts — Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Rechtsstreits — Befugnis des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht auf der Grundlage der Akten des Verfahrens Hinweise zu geben
(Art. 267 AEUV)
Niederlassungsfreiheit — Freier Dienstleistungsverkehr — Dienstleistungen im Binnenmarkt — Richtlinie 2006/123 — Bewilligungsregelung — Geltungsdauer der Genehmigung — Tätigkeit, die darin besteht, für Fahrgäste im Rahmen einer Veranstaltung oder Feier entgeltliche, geführte Bootsrundfahrten durch eine Stadt durchzuführen — Begrenzung der Zahl der hierfür erteilten Genehmigungen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses — Von den zuständigen nationalen Behörden unbefristet erteilte Genehmigungen für die Ausübung der genannten Tätigkeit — Unzulässigkeit
(Richtlinie 2006/123 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 11 Abs. 1 Buchst. b)
Niederlassungsfreiheit — Freier Dienstleistungsverkehr — Dienstleistungen im Binnenmarkt — Richtlinie 2006/123 — Bewilligungsregelung — Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung — Tätigkeit, die darin besteht, Tagesbordelle zu führen — Nationale Maßnahme, die die Erteilung der Genehmigung für die Ausübung der genannten Tätigkeit davon abhängig macht, dass der Betreiber sich einer Sprache bedient, die die Prostituierten verstehen — Zulässigkeit — Voraussetzungen — Verhältnismäßigkeit — Überprüfung durch das nationale Gericht
(Richtlinie 2006/123 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 10 Abs. 2 Buchst. c)
Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass – vorbehaltlich der vom nationalen Gericht vorzunehmenden Prüfung – eine Tätigkeit, die darin besteht, für Fahrgäste im Rahmen einer Veranstaltung oder Feier entgeltliche, geführte Bootsrundfahrten durch eine Stadt durchzuführen, keine vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommene „Verkehrsdienstleistung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
Um die Tragweite des Ausschlusses nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 zu verstehen, ist in diesem Zusammenhang der Begriff „Verkehrsdienstleistungen“ nicht nur anhand des Wortlauts dieser Bestimmung, sondern auch anhand ihres Zwecks und ihres allgemeinen Kontextes des durch diese Richtlinie eingeführten Systems auszulegen.
Was den Wortlaut dieses Art. 2 Abs. 2 Buchst. d betrifft, so entspricht der vom Unionsgesetzgeber im Rahmen der Richtlinie 2006/123 gewählte Begriff „Verkehrsdienstleistungen“ den Dienstleistungen nach dem Titel VI des Dritten Teils des AEU‑Vertrags – der dessen Art. 90 bis 100 über die gemeinsame Verkehrspolitik enthält –, die nach Art. 58 Abs. 1 AEUV von den Bestimmungen des AEU‑Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr ausgenommen sind. Titel VI enthält zwar keine Definition des Begriffs „Verkehr“, jedoch geht aus Art. 100 Abs. 1 AEUV hervor, dass Beförderungen „im Binnenschiffsverkehr“ unter diesen Titel fallen. Dementsprechend hat der Unionsgesetzgeber nach Art. 100 Abs. 2 AEUV für mehrere Seeverkehrsdienstleistungen besondere gemeinsame Vorschriften geschaffen. Was den Zweck und die Systematik von Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 betrifft, sollte der Ausschluss der Verkehrsdienstleistungen u. a. die Personennahverkehrsdienstleistungen umfassen. Aus dieser Ausnahme ergibt sich jedoch nicht, dass jede Dienstleistung, durch die ein Ortswechsel per Binnenschiff erbracht werden soll, automatisch als „Verkehr“ oder „Personennahverkehr“ im Sinne dieser Richtlinie zu qualifizieren ist.
Die fragliche Tätigkeit ist, auch wenn sie auf den ersten Blick einen Fall des „Binnenschiffsverkehrs“ im Sinne von Art. 100 Abs. 1 AEUV darstellt, eher darauf gerichtet, für die Empfänger dieser Dienstleistung das angenehme Umfeld eines festlichen Anlasses zu schaffen, als sie in einer Stadt von einem Punkt zum anderen zu befördern. In diesem Zusammenhang fällt die genannte Dienstleistung unter keine der vom Unionsgesetzgeber nach Art. 100 Abs. 2 AEUV geschaffenen besonderen gemeinsamen Vorschriften. Folglich besteht – was jedoch das nationale Gericht zu prüfen hat – der Hauptgegenstand einer solchen Tätigkeit offenbar nicht darin, eine Verkehrsdienstleistung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2006/123 anzubieten. Somit fällt diese Tätigkeit, da keine anderen in Art. 2 Abs. 2 vorgesehenen Ausnahmen anwendbar sind, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie.
(vgl. Rn. 46-50, 56-59, Tenor 1)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Rn. 55, 71)
Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass es ihm zuwiderläuft, dass die zuständigen nationalen Behörden Genehmigungen für die Ausübung einer Tätigkeit, die darin besteht, für Fahrgäste im Rahmen einer Veranstaltung oder Feier entgeltliche, geführte Bootsrundfahrten durch eine Stadt durchzuführen, unbefristet erteilen, obwohl die Zahl der von diesen Behörden hierfür erteilten Genehmigungen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses begrenzt ist.
Nach dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 darf nämlich die dem Dienstleistungserbringer erteilte Genehmigung nicht befristet werden, es sei denn, es liegt einer der in dieser Bestimmung abschließend aufgezählten Fälle vor. Ein solcher Fall liegt etwa dann vor, wenn die Zahl der verfügbaren Genehmigungen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses begrenzt ist. Daraus folgt, dass solche Genehmigungen hingegen dann befristet sein müssen, wenn sie wegen zwingender Gründe des Allgemeininteresses nur in begrenzter Zahl verfügbar sind. Den zuständigen nationalen Behörden kann insoweit kein Ermessen zuerkannt werden, da sonst das mit Art. 11 der Richtlinie 2006/123 verfolgte Ziel, den Zugang von Dienstleistungserbringern zum jeweiligen Markt zu garantieren, gefährdet würde.
(vgl. Rn. 61-63, 66, Tenor 2)
Art. 10 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/123 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass er einer Maßnahme, nach der die Genehmigung für die Ausübung einer Tätigkeit, nämlich den Betrieb eines Fensterbordells durch die stundenweise Vermietung von Zimmern an Prostituierte, nur dann erteilt wird, wenn der Erbringer dieser Dienstleistungen in der Lage ist, mit den Dienstleistungsempfängern – im vorliegenden Fall den Prostituierten – zu kommunizieren, nicht entgegensteht, sofern diese Bedingung zur Erreichung des verfolgten Ziels des Allgemeininteresses, nämlich der Vorbeugung von Straftaten im Zusammenhang mit der Prostitution, geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Letzteres ist durch das nationale Gericht zu prüfen.
Eine solche Maßnahme ist nämlich offensichtlich zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet. Dadurch, dass es diese Maßnahme Prostituierten ermöglicht, den Betreiber der Bordelle unmittelbar und persönlich über jeden Hinweis auf das Vorliegen einer Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit der Prostitution zu informieren, ist sie geeignet, die zuständigen nationalen Behörden bei der Durchführung der Kontrollen zu unterstützen, die erforderlich sind, um die Einhaltung der nationalen strafrechtlichen Vorschriften zu gewährleisten. Außerdem beschränkt sich diese Maßnahme darauf, die Verwendung einer beliebigen von den Beteiligten verstandenen Sprache anzuordnen. Dies beeinträchtigt den freien Dienstleistungsverkehr weniger als eine Maßnahme, durch die die ausschließliche Verwendung einer Amtssprache des betreffenden Mitgliedstaats oder einer bestimmten anderen Sprache vorgeschrieben würde. Es ist nicht ersichtlich, dass die fragliche Maßnahme fundierte Sprachkenntnisse vorschriebe, da sie lediglich verlangt, dass die Beteiligten einander verstehen können. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass weniger einschränkende Maßnahmen existieren, mit denen das verfolgte Ziel des Allgemeininteresses erreicht werden kann, da die Kameraüberwachung es nicht notwendigerweise ermöglicht, Straftaten im Vorfeld zu erkennen.
(vgl. Rn. 73-77, Tenor 3)