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Document 61998CJ0048

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    1 Zollunion - Entstehung einer Zollschuld wegen Nichterfuellung einer sich aus der vorübergehenden Verwahrung von Waren ergebenden Pflicht - Ausnahme - "Verfehlungen, die sich auf die ordnungsgemässe Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben" - Erfasste Fälle - Abschließende Regelung durch die Kommission aufgrund der Ermächtigung durch den Rat - Rechtmässigkeit

    (Verordnung Nr. 2913/92 des Rates, Artikel 204 und 249; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Artikel 859)

    2 Zollunion - Entstehung einer Zollschuld wegen Nichterfuellung einer sich aus der vorübergehenden Verwahrung von Waren ergebenden Pflicht - Ausnahme - Verfehlungen, bei denen keine "offensichtliche Fahrlässigkeit" vorliegt - Gleiche Bedeutung der den Grad der Fahrlässigkeit bestimmenden Ausdrücke in den Artikeln 204, 212a und 239 der Verordnung Nr. 2913/92 und in Artikel 859 der Verordnung Nr. 2454/93 - Vorliegen einer offensichtlichen Fahrlässigkeit - Beurteilungskriterien

    (Verordnung Nr. 2913/92 des Rates, Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe a, 212a und 239; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Artikel 859)

    3 Zollunion - Entstehung einer Zollschuld bei Überschreitung der Frist für die Zollabfertigung von Waren in vorübergehender Verwahrung - Ausnahme - Verpflichtung der nationalen Behörde zur Fristverlängerung bei rechtzeitiger Beantragung der Verlängerung - Prüfung durch das nationale Gericht bei unanfechtbar gewordenem ablehnendem Bescheid

    (Verordnung Nr. 2913/92 des Rates; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Artikel 859 Nummer 1)

    4 Zollunion - Zollrechtliche Bestimmung der gestellten Waren - Verlängerung der Frist zur Erlangung der Bestimmung - Voraussetzung - Umstände, die den Antragsteller in eine aussergewöhnliche Lage versetzen können - Beurteilungskriterien - Stellung eines einzigen Antrags für Waren, für die mehrere summarische Anmeldungen abgegeben worden sind - Zulässigkeit - Grenzen

    (Verordnung Nr. 2913/92 des Rates, Artikel 49 Absatz 1)

    5 Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Erstattung oder Erlaß von Eingangsabgaben - Voraussetzungen - Tatbestände der Artikel 900 bis 903 der Verordnung Nr. 2454/93 - Keine offensichtliche Fahrlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers - Prüfungspflicht der Zollbehörde - Umfang

    (Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Artikel 899 und 900 bis 905)

    6 Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Erstattung oder Erlaß von Eingangsabgaben - Voraussetzungen - Tatbestand des Artikels 900 Absatz 1 Buchstabe o der Verordnung Nr. 2454/93 - Keine offensichtliche Fahrlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers - Kumulative Voraussetzungen

    (Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o)

    Leitsätze

    1 Artikel 859 der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist eine wirksam zustande gekommene und abschließende Regelung der Verfehlungen im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 2913/92, die "sich auf die ordnungsgemässe Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben" und die als Ausnahme zu der Regelung, daß eine Zollschuld bei Nichterfuellung einer sich aus der vorübergehenden Verwahrung einer Ware ergebenden Pflicht entsteht, keine Zollschuld begründen.

    Denn der Rat hat sich in Artikel 204 nicht die Befugnis vorbehalten, die Fallgruppen der in diesem Artikel genannten Verfehlungen abschließend festzulegen. Vielmehr hat er die Kommission in Artikel 249 des Zollkodex beauftragt, die erforderlichen Durchführungsvorschriften zu diesem Zollkodex mit Ausnahme einiger spezieller Vorschriften, zu denen Artikel 204 jedoch nicht gehört, zu erlassen. Ferner kann der Rat, sobald er in einer Grundverordnung die wesentlichen Regelungen für eine Materie getroffen hat, die Kommission allgemein ermächtigen, die Anwendungsmodalitäten zu regeln, ohne daß er den Kern der übertragenen Befugnisse näher festlegen müsste. Zu diesem Zweck reicht eine allgemein gefasste Bestimmung aus. Die abschließende Regelung des Artikels 859 der Durchführungsverordnung ist ausserdem für die Durchführung des Zollkodex sowohl erforderlich als auch zweckmässig und verstösst nicht gegen den Zollkodex.

    2 Nach Artikel 859 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften wird eine Zollschuld nicht durch Verfehlungen in bezug auf Pflichten aus der vorübergehenden Verwahrung einer Ware begründet, die sich auf die Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben, sofern keine grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt. Nach Artikel 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex und den Artikeln 899 erster Gedankenstrich und 905 Absatz 1 der Durchführungsverordnung hängt die Erstattung oder der Erlaß von Einfuhrabgaben davon ab, daß keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt.

    Da der Vergleich aller Sprachfassungen dieser Vorschriften zeigt, daß die Verwendung der Ausdrücke, die den Grad der Fahrlässigkeit näher bestimmen, keinem schlüssigen Schema folgt, ist daraus zu schließen, daß der Gesetzgeber mit der Verwendung unterschiedlicher Ausdrücke in der deutschen Fassung kein besonderes Ziel verfolgt hat. Somit haben alle Ausdrücke, die den Grad der Fahrlässigkeit in der einschlägigen Regelung bestimmen, einschließlich des in Artikel 212a des Zollkodex in seiner durch die Verordnung Nr. 82/97 geänderten Fassung verwendeten Ausdrucks "offenkundige Fahrlässigkeit", ein und dieselbe Bedeutung; sie meinen die offensichtliche Fahrlässigkeit.

    Daher kann eine offensichtliche Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex nicht verneint werden, wenn die Zollschuld nach Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe a des Zollkodex wegen eines Verhaltens entstanden ist, das eine grobe (d. h. offensichtliche) Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 859 zweiter Gedankenstrich der Durchführungsverordnung begründet.

    Bei der Beantwortung der Frage, ob "offensichtliche Fahrlässigkeit" im Sinne des Artikels 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Zollkodex vorliegt, müssen insbesondere die Komplexität der Vorschriften, deren Nichterfuellung die Zollschuld begründet, sowie die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers berücksichtigt werden. Es ist Sache des nationalen Gerichts, auf der Grundlage dieser Kriterien zu beurteilen, ob offensichtliche Fahrlässigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers vorliegt.

    3 Das Gemeinschaftsrecht hindert ein nationales Gericht nicht daran, selbständig zu prüfen, ob die in Artikel 859 Nummer 1 der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften aufgestellte Voraussetzung, daß eine Verlängerung der Frist, vor deren Ablauf Waren eine der im Rahmen der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens vorgesehenen zollrechtlichen Bestimmungen hätten erhalten müssen, bei rechtzeitiger Beantragung hätte gewährt werden müssen, erfuellt ist, wenn ein rechtzeitiger Antrag auf Fristverlängerung von den Zollbehörden durch unanfechtbar gewordenen Bescheid abgelehnt worden ist.

    4 Nur solche Umstände, die den Antragsteller in eine Lage versetzen können, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, aussergewöhnlich ist, können eine Verlängerung der in Artikel 49 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vorgesehenen Frist zur zollrechtlichen Bestimmung der gestellten Waren rechtfertigen. Aussergewöhnliche Umstände können solche sein, die - auch wenn sie dem Wirtschaftsteilnehmer nicht fremd sind - nicht zu den Ereignissen gehören, denen jeder Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausübung seines Gewerbes regelmässig ausgesetzt ist. Es ist Sache der Zollbehörden und der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu beurteilen, ob solche Umstände vorliegen.

    Darüber hinaus hindert das Gemeinschaftsrecht einen Wirtschaftsteilnehmer nicht daran, einen einzigen Antrag auf Verlängerung der Frist zu stellen, um Waren, für die mehrere summarische Anmeldungen abgegeben worden sind, einer zollrechtlichen Bestimmung zuzuführen. Auch im Fall eines einzigen Antrags kann eine Fristverlängerung jedoch nur für solche Waren gewährt werden, für die die Frist zur Erlangung der zollrechtlichen Bestimmung noch nicht abgelaufen ist.

    5 Die Zollbehörde oder das nationale Gericht ist verpflichtet, einen auf Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe o der Verordnung Nr. 2454/93 in ihrer durch Artikel 1 Nummer 29 der Verordnung Nr. 3254/94 geänderten Fassung - der auf Fälle Anwendung findet, in denen ein Anspruch auf Gemeinschaftsbehandlung oder auf eine Zollbehandlung mit Abgabenbegünstigung bestanden hätte, nicht aber auf Fälle, in denen ein Anspruch auf andere Vergünstigungen bestanden hätte - gestützten Antrag auf Erstattung von Abgaben, der nach dieser Vorschrift nicht begründet ist, von Amts wegen im Hinblick auf die anderen Vorschriften des Artikels 900 und die Artikel 901 bis 904 der Verordnung Nr. 2454/93 zu prüfen, die Tatbestände enthalten, die zu einer Erstattung führen können.

    Sofern die befasste Behörde angesichts der vorgebrachten Gründe nicht in der Lage ist, über die Erstattung oder den Erlaß zu entscheiden, hat sie von Amts wegen zu prüfen, ob die Begründung im Sinne von Artikel 905 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2454/93 auf einen besonderen Fall schließen lässt, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, und der eine Prüfung der Sache durch die Kommission erforderlich macht.

    6 Die Zollbehörde oder das nationale Gericht, bei der/dem ein Antrag auf Erstattung oder Erlaß von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben gestellt worden ist, kann nicht allein deshalb davon ausgehen, daß der Beteiligte weder in betrügerischer Absicht noch offensichtlich fahrlässig gehandelt hat, weil der Tatbestand des Artikels 900 Absatz 1 Buchstabe o der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in ihrer durch Artikel 1 Nummer 29 der Verordnung Nr. 3254/94 geänderten Fassung erfuellt ist.

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