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Document 52021IE2341

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen des 5G-Ökosystems“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2021/02341

ABl. C 105 vom 4.3.2022, p. 34–39 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

4.3.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 105/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen des 5G-Ökosystems“

(Initiativstellungnahme)

(2022/C 105/06)

Berichterstatter:

Dumitru FORNEA

Beschluss des Plenums

25.3.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

7.10.2021

Verabschiedung im Plenum

20.10.2021

Plenartagung Nr.

564

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

210/2/19

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stellt fest, dass sich die rasche Digitalisierung und Entwicklung der elektronischen Kommunikation tiefgreifend auf unsere Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft auswirken. Die verantwortungsvolle Nutzung dieser Technologien wäre eine historische Chance für die Menschheit, eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Allerdings könnte uns die Beherrschung dieser Technologiesysteme in der Zukunft auch vor erhebliche Probleme stellen, wenn nachlässig gehandelt wird und es keine demokratische Kontrolle gibt.

1.2.

Der EWSA erkennt an, dass die elektronische Kommunikationsinfrastruktur die Lebensqualität der Menschen erheblich verbessern kann und direkten Einfluss auf die Armutsbekämpfung hat. Die 5G-Technologie bietet eine enorme Chance, die Gesundheitsdienste durch die Entwicklung der Telemedizin und die Verbreiterung des medizinischen Versorgungsangebots zu verbessern. Dass Telemedizin während der Pandemie eine große Hilfe war, ist gesellschaftlich unumstritten.

1.3.

Der EWSA stellt fest, dass sich die Debatte über den Aufbau von 5G-Netzen in eine kontroverse politische Auseinandersetzung verwandelt hat. Nichtsdestotrotz müssen soziale, gesundheitliche und ökologische Fragen unter Einbeziehung der Bürger und aller relevanten Akteure geklärt werden.

1.4.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, bei der Bewertung der Auswirkungen der neuen 5G- und 6G-Technologien auf die unterschiedlichen Bereiche wegweisend voranzugehen, da wir Instrumente und Maßnahmen zur Bewältigung von Risiken und zur Behebung der Schwachstellen benötigen. Der EWSA empfiehlt deshalb, europäische und nationale Mittel in eingehendere multidisziplinäre Forschungen und Folgenabschätzungen zu investieren, in denen es vor allem um Mensch und Umwelt geht. Ihre Ergebnisse sollen publik gemacht werden, damit die Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger informiert sind.

1.5.

Der EWSA schlägt vor, dass die Europäische Kommission die Bürger und Organisationen der Zivilgesellschaft konsultiert und unter Einbeziehung aller einschlägigen öffentlichen Einrichtungen zum Beschlussfassungsprozess mit Blick auf die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der mobilen elektronischen Kommunikation beiträgt.

1.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU ein unabhängiges europäisches Gremium mit modernen Verfahren entsprechend den aktuellen technischen Rahmenbedingungen und einem multidisziplinären Ansatz benötigt, um Leitlinien zum Schutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte vor elektromagnetischer Strahlung festzulegen.

1.7.

Der EWSA empfiehlt, alle Sendestationen und die von ihnen genutzten Frequenzen zu erfassen und diese Information zu veröffentlichen, um eine bessere Kontrolle in den Gebieten und den Schutz der Interessen der Bürger und insbesondere der Risikogruppen (Kinder, Schwangere, chronisch kranke Personen, ältere Menschen, Menschen die unter Elektrosensibilität leiden) zu gewährleisten. Außerdem müssen die Gesundheit und die Sicherheit der Arbeitnehmer berücksichtigt werden.

1.8.

Der EWSA befürwortet den Vorschlag, 5G-Netzwerkausrüstungen ab Werk so auszulegen, dass sie in Echtzeit öffentliche Informationen über die Sendeleistung und weitere für Verbraucherorganisationen und andere Interessenträger relevante technische Parameter liefern können. Diese Daten müssen von den zuständigen Behörden zentral erfasst, verwaltet und offengelegt werden.

1.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Überwachung und Kontrolle der elektromagnetischen Verschmutzung auf der Grundlage eines stringenten interinstitutionellen und interdisziplinären wissenschaftlichen Ansatzes zu erfolgen hat. Unterstützt durch moderne Messausrüstungen, die die Parameter der elektronischen Kommunikationsnetze erfassen, müssen die kumulativen Auswirkungen über längere Zeiträume angemessen dargestellt und bewertet werden können.

1.10.

Zwar gibt es keine anerkannten wissenschaftlichen Daten, die für negative Auswirkungen von 5G auf die menschliche Gesundheit sprechen, doch hält es der EWSA für angezeigt, die sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Aspekte von 5G im Sinne des Vorsorgeprinzips kontinuierlich zu überwachen. Er respektiert die Bedenken, die hinsichtlich der gesundheitlichen Auswirkungen, einschließlich der thermischen und nichtthermischen Auswirkungen, der Intensität der Exposition und der langfristigen Auswirkungen einer solchen Strahlenbelastung vorgetragen werden. Einige Regionen und Gebiete werden vergleichsweise stark belastet sein, sodass spezifische Maßnahmen in Betracht gezogen werden sollten, darunter die Empfehlung, die Anwendung des ALARA-Grundsatzes auszuweiten, um die Auswirkungen der von 5G-Netzen emittierten elektromagnetischen Strahlung zu begrenzen.

1.11.

Der EWSA geht davon aus, dass sich eine gewisse Belastung der Bevölkerung durch verschiedene elektromagnetische Felder kaum vermeiden lässt. Bei der Überprüfung der Belastungsgrenzwerte in der Richtlinie über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) (1) sollten die Sozialpartner von Anfang an einbezogen werden. Besonderes Augenmerk sollte den nichtthermischen Effekte gelten.

1.12.

Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz müssen verstärkt und verbessert werden, indem die Strahlungswerte streng kontrolliert und die Sicherheitsnormen für Arbeitskräfte, die in der Nähe elektromagnetischer Strahlungsquellen arbeiten, genau eingehalten werden.

1.13.

Der EWSA stellt fest, dass die institutionellen Mechanismen zur Gewährleistung aller Menschenrechte im neuen Kontext der Hyperdigitalisierung, Hyperautomatisierung und Hyperkonnektivität infolge der 5G-Technik auf den Stand der Zeit gebracht werden müssen. Dahinter steht der Gedanke, dass diese universellen Werte bei jeder technologischen Entwicklung berücksichtigt werden müssen. Sie bilden ein gültiges und unverzichtbares Element der Kosten-und-Nutzen-Betrachtung.

1.14.

Der EWSA versteht, dass die Bürger bei der Aufstellung der Antennen ihre Eigentumsrechte gewahrt wissen wollen und dass sie sich im Zusammenhang mit den mittlerweile allgegenwärtigen 5G-Netzen, die sich vom eigenen Wohnraum bis hin zu Satelliten im Weltraum erstrecken, um ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit sorgen. Das Recht auf Eigentum und die Entscheidungen der Menschen müssen respektiert werden. Es muss sichergestellt werden, dass es eine genaue Definition der „Einwilligung nach erfolgter Aufklärung“ gibt, denn nur so kann von einem echten Recht auf freie, auf umfassenden Informationen beruhende und gültige Einwilligung der Bürger die Rede sein.

1.15.

Der EWSA spricht sich für die Stärkung der europäischen Kapazitäten für die Prävention, die Aufklärung über und den Schutz vor Cyberrisiken aus. Dies könnte sowohl durch die Stärkung der einschlägigen Institutionen wie der Agentur der Europäischen Union für Cybersicherheit (ENISA) als auch durch die Schaffung technologischer, institutioneller und rechtlicher Instrumente geschehen. Auf diese Weise könnten die Bürgerrechte geschützt werden. Um bestimmte Sicherheitsbedrohungen abzuwenden, sollte die EU mehr in den Aufbau eigener Technologien und in die Unterstützung der Technologiebranche und -entwickler investieren. Vor allem sollte es bei diesen Maßnahmen darum gehen, Anreize für europäische KMU zum Aufbau einer sicheren und zuverlässigen 5G-Infrastruktur zu schaffen.

2.   Einleitung

2.1.

Bei 5G handelt es sich nicht um eine neue Technologie, sondern um eine Weiterentwicklung bereits vorhandener Technologien (1G bis 4G), die weiterhin im Einsatz sind. Letztlich bewegen wir uns auf ein gemischtes Netz aus Netzen mit immer mehr unterschiedlichen Funkfrequenzbändern zu, in dem es einen Mix aus Geräten für den Datenaustausch und eine Vielzahl von Nutzerinteraktionen geben wird. Einige der neuen Geräte und Technologien könnten sich in ihren Auswirkungen von früheren Technologiegenerationen unterscheiden.

2.2.

Durch 5G sollen eine drahtlose Hyperkonnektivität (WiFi), die Abdeckung und der Anschluss einer sehr großen Zahl von Geräten und erheblich höhere Übertragungsraten (in der Größenordnung von Gbit/s) gewährleistet werden. Ermöglicht wird dies durch Spektrumsaggregation mit Beamforming, parallele Mehrfachverbindungen mithilfe von Massive-MIMO-Antennen (Base Station Phased Array) und regulären MIMO-Antennen (Client-Geräte) sowie niedrigen Latenzzeiten (betreiberseitig im Millisekunden-Bereich, nicht aber mit dem übrigen Internet).

2.3.

Eine GSMA-Studie aus dem Jahr 2019 zeigt, dass die neuen Fähigkeiten der 5G-Netze notwendig sind, damit autonomes Fahren, virtuelle Realität, erweiterte Realität und taktile Internetumgebungen verwirklicht werden können. Die übrigen Anwendungen könnten auch mit der vorhandenen Technologie (4G LTE und Glasfaseroptik) realisiert werden. Darüber hinaus wird 5G die Entwicklung der „Industrie 4.0“ beschleunigen und die Entwicklung von Anwendungen der künstlichen Intelligenz erleichtern, weshalb diese Technologie als Schlüssel und als unabdingbares Element für die Entwicklung einer modernen, zunehmend automatisierten und digitalisierten Wirtschaft angesehen wird.

2.4.

Auf der ganzen Welt haben Wissenschaftler Erkenntnisse (2) darüber vorgelegt, dass die lang andauernde und allgegenwärtige Exposition des menschlichen Körpers und anderer biologischer Organismen mit Skepsis zu betrachten ist. Wir sind einer Vielzahl von in 5G-Netzen genutzten Wellen verschiedener Frequenzbereiche, gebündelter Strahlung und Funkfrequenzen von einigen Dutzend GHz, die für 5G spezifisch sind, ausgesetzt. Sorge bereiten auch die möglicherweise nachteiligen Folgen für die menschliche Gesundheit, die biologische Vielfalt und die Umwelt. Bislang haben die zuständigen Behörden der EU und der Mitgliedstaaten jedoch mitgeteilt, dass es keine wissenschaftlichen Belege für negative Auswirkungen von 5G auf die menschliche Gesundheit gibt. Die WHO stellt fest, dass sich bis heute trotz umfangreicher Forschungsarbeiten kein kausaler Zusammenhang zwischen gesundheitsschädlichen Auswirkungen und einer Exposition durch drahtlose Technologien feststellen lässt.

2.5.

Die Einführung von 5G und der neuen Technologien, die auf 5G aufbauen, ist eine Quelle der Unsicherheit, was allerdings für jede neu eingeführte Technologie gilt, und manche Auswirkungen mögen tatsächlich noch nicht erkennbar sein. Um alle Fragen zu den Auswirkungen von 5G auf die öffentliche Gesundheit befriedigend beantworten zu können und um zu verhindern, dass die öffentliche Meinung der Desinformation zum Opfer fällt, empfiehlt die Zivilgesellschaft im europäischen Gesetzgebungsprozess zur Regulierung dieser neuen Generation der elektronischen Kommunikation einen angemessenen und vorausschauenden Ansatz im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Im Allgemeinen verhehlen die internationalen Institutionen, Unternehmen und nationalen Behörden ihre Begeisterung in Bezug auf die Vorteile der 5G-Technologie nicht. Allerdings ist es notwendig, zu untersuchen, ob die Expansion des 5G-Ökosystems eventuell mit negativen Folgen verbunden ist, und implizit somit auch, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit diese Infrastrukturen und Dienste, die erhebliche gesellschaftliche Implikationen haben, von der Allgemeinheit akzeptiert werden.

3.2.

Die immer schnellere Entwicklung der elektronischen Kommunikationstechnologien und der Internetinfrastrukturen veranlasst die Bürger und die organisierte Zivilgesellschaft in den Industrieländern weltweit in zunehmendem Maße, sich zu der Notwendigkeit und den Chancen einer exponentiell beschleunigten Entwicklung der IKT-Netze zu äußern. Die Behörden müssen anerkennen, dass sich im Zusammenhang mit möglichen Beeinträchtigungen der Umwelt, der lebenden Organismen oder der Bürgerrechte durch diese technischen Systeme Herausforderungen stellen.

3.3.

Auf europäischer Ebene kommen im Beschluss Nr. 243/2012/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (3), Erwägungsgrund 31, folgende Bedenken hinsichtlich der möglichen gesundheitlichen Auswirkungen der elektromagnetischen Verseuchung zum Ausdruck: „Der Schutz der Bevölkerung vor den gesundheitlichen Auswirkungen elektromagnetischer Felder ist für deren Wohlbefinden unerlässlich und sollte im Rahmen eines kohärenten Konzepts für Frequenznutzungsgenehmigungen in der Union umfassend berücksichtigt werden. Für die Frequenznutzung gilt die Empfehlung 1999/519/EG des Rates vom 12. Juli 1999 zur Begrenzung der Exposition der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen Feldern (0 Hz-300 GHz); es ist jedoch unbedingt eine fortlaufende Überwachung der durch ionisierende und nicht ionisierende Strahlung bedingten Folgen der Frequenznutzung für die Gesundheit sicherzustellen, einschließlich der konkreten kumulativen Auswirkungen der Nutzung von Frequenzen in unterschiedlichen Frequenzbereichen und mit immer zahlreicheren Gerätearten.“

4.   Besondere Bemerkungen

5G und Rechte der Bürger

4.1.

In den vergangenen Jahren haben einige zivilgesellschaftliche Organisationen in der EU und in der Welt vor den negativen Effekten bzw. den komplexen und gravierenden Krisen gewarnt, die sich aus der mangelhaften demokratischen Kontrolle, dem Transparenzdefizit und den Sicherheitsbedrohungen aufgrund der Technologieabhängigkeit von Anbietern aus Drittländern ergeben können.

4.2.

Die Unternehmen der IKT-Branche und die von ihnen angebotenen systemumwälzenden 5G-Anwendungen basieren auf der Nutzung zweier sehr wichtiger Ressourcen. Erstens nutzen sie das Spektrum der Sendefrequenzen. Diese begrenzte natürliche Ressource, die der Allgemeinheit gehört, wird von den Regierungen mittels nationaler Agenturen oder anderer öffentlicher Gremien verwaltet und den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste zur Verfügung gestellt.

4.3.

Eine weitere wesentliche Ressource ist der Zugriff auf die Daten und Metadaten der Verbraucher bzw. Bürger. In dem sich entwickelnden Markt für digitale Dienste sind diese Daten eine wahre Goldgrube und bringen den Unternehmen, die auf sie zugreifen können, enorme Vorteile. Einige der diesbezüglichen Herausforderungen wurden in der Stellungnahme des EWSA zur Datenstrategie (4) genannt.

4.4.

Bei all dem darf nicht vergessen werden, dass 5G und die gemeinsame Nutzung und Sammlung von Daten wie viele andere Technologien ein wirkungsvolles Mittel sein können, um die Zivilgesellschaft zu stärken, öffentliche Dienste effizienter und zuverlässiger zu machen und Ungleichheit durch Ankurbelung des Wirtschaftswachstums abzubauen. Deshalb sollten die EU und die Mitgliedstaaten die 5G-Technologie nutzen, um den Zugang zu hochwertigen Daten zu verbessern und eine bessere digitale Verwaltungsinfrastruktur (elektronische Verwaltung) zu entwickeln. Sie würde damit für mehr Bürgernähe der öffentlichen und demokratischen Institutionen sorgen.

4.5.

Die verantwortungsvolle und nachhaltige Entwicklung der elektronischen Kommunikationsinfrastruktur sollte also die Lebensqualität der Bürger, insbesondere in den Regionen und den weniger entwickelten Ländern, verbessern. Die Entwicklung dieser Technologien hat somit einen direkten Einfluss auf die Bekämpfung der Armut.

4.6.

Mit der Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates (5) (Artikel 42, 43 und 44) hat die EU einen Rechtsrahmen für den schnellen Ausbau der 5G-Netze geschaffen. Dieser ermöglicht den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste erleichterten Zugang zum Grundbesitz, auf dem die für den Aufbau dieser Netze zwingend erforderlichen Ausrüstungen und Infrastrukturkomponenten errichtet werden. Die Zivilgesellschaft wacht über die Auslegung dieser Bestimmung, damit es nicht zu verfassungswidrigen Verletzungen der Eigentumsrechte bei der Umsetzung der Richtlinie kommt.

Umweltauswirkungen des 5G-Ökosystems

4.7.

Einige Organisationen der Zivilgesellschaft haben auf die potenziellen Umweltauswirkungen der neuen 5G-Netze hingewiesen. Sie bemängeln unter anderem unzureichende Bestimmungen im Hinblick auf die Durchführung von Umweltverträglichkeitsstudien und ungeeignete Mechanismen und Maßnahmen zur Verringerung des Energieverbrauchs der 5G-Netzinfrastruktur, und sie fordern mehr Recycling von Elektronikabfällen (6).

4.8.

Um die Auswirkungen von 5G auf Umwelt und Klima angemessen bewerten zu können, müssen die einschlägigen Stellen etwa die Treibhausgasemissionen (7), die Vorräte und den Verbrauch kritischer Rohstoffe sowie die Menge (und Quellen) der Energie kennen, die durch alle im Internet der Dinge (IoT) angeschlossenen und genutzten Objekte und durch die drahtlose Übertragung von Daten und den Betrieb von Datensammlungs- und -übertragungspunkten verbraucht werden.

4.9.

Die Einführung der 5G-Technologie und des Internets der Dinge wird dazu führen, dass Milliarden neuer Geräte des 5G-Netzes zusammen mit Haushaltsgeräten (Haushaltselektronik, Elektrogeräte, Installationen usw.) später das Aufkommen an Elektronikschrott („E-Abfall“) (8) vergrößern werden — ein Umstand, den man mit Blick auf die angestrebte Kreislaufwirtschaft und Abfallvermeidung nicht mehr ausklammern kann.

Vorbehalte hinsichtlich der Auswirkungen von 5G-Netzen auf die menschliche Gesundheit und lebende Organismen

4.10.

Die 5G-Technologie bietet gesundheitspolitisch enorme Chancen. Die Entwicklung der IKT-Infrastruktur und die Integration von 5G werden den Aufbau der Telemedizin beschleunigen, auch durch das Konzept des Internets der Dinge. Dank 5G werden komplexe Operationen aus der Ferne möglich. Damit ist ein wesentlich besserer Zugang zu hochwertiger medizinischer Versorgung möglich, insbesondere für diejenigen, die es sich nicht leisten können, wegen einer medizinischen Behandlung ins Ausland zu reisen.

4.11.

Die Weiterentwicklung der Telemedizin hat sich in der Pandemie als besonders wichtig herausgestellt, weil die medizinische Versorgung am Ort stark eingeschränkt war. Im Übrigen hat die 4G-Technologie die Entwicklung der Teleradiologie erst ermöglicht. Dank der IKT-Infrastruktur konnte den Patienten standortunabhängig eine Ferndiagnose (mittels MRT und CT) gegeben und fachärztliche Dienste angeboten werden. Die 5G-Technologie wird diesen Prozess vorantreiben und dem Patienten eine bessere Diagnostik und direkte, fernerbrachte medizinische Dienstleistungen ermöglichen.

4.12.

Andererseits hat die rasche technische Entwicklung der letzten 20 Jahre aber auch zu einer Verdichtung von elektromagnetischen Feldern und damit zu einer zunehmenden Umweltverschmutzung durch Elektrosmog geführt. Die Auswirkungen des Elektrosmogs müssen evidenzbasiert analysiert werden, um zu einer Einschätzung des tatsächlichen Risikos zu gelangen.

4.13.

Das Europäische Parlament (9), der EWSA (10) und der Europarat (11) haben anerkannt, dass Elektrosensibilität bzw. Elektrosensitivität eine Krankheit ist. Hiervon sind eine Reihe von Menschen betroffen, und mit der Einführung von 5G, für das eine viel höhere Dichte elektronischer Anlagen benötigt wird, könnte dieses Krankheitsbild häufiger auftreten.

4.14.

In weltweit durchgeführt Studien gelangte man zu dem Schluss, dass die biologischen Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung nicht mit Gesundheitsrisiken verbunden sind, sofern die nationalen Standards oder die ICNIRP-Standards eingehalten werden. Gleichzeitig wird seit den 1970er-Jahren (12) in Studien vor den Gefahren für die menschliche Gesundheit gewarnt (13).

4.15.

Die Europäische Kommission und die amerikanische Federal Communications Commission (FCC) (14) weisen in ihren Berichten aus den Jahren 2019 bzw. 2020 zur Langzeitexposition von Menschen gegenüber elektromagnetischen Feldern von 5G darauf hin, dass es keine schlüssigen oder glaubwürdigen wissenschaftlichen Belege für Gesundheitsprobleme aufgrund der von Mobiltelefonen emittierten Funkfrequenzenergie gibt.

4.16.

Die Weltgesundheitsorganisation hat die durch hochfrequente Strahlung erzeugten elektromagnetischen Felder bereits vor Jahren als potenziell karzinogen eingestuft und unterstützt eine ähnliche Position wie die Behörden der EU und der USA. Im Zusammenhang mit der Einführung von 5G-Netzen im Jahr 2022 hat sie allerdings eine neue Bewertung der Risiken elektromagnetischer Felder für das Frequenzspektrum (zwischen 3 kHz und 3 000 GHz) (15) angekündigt.

4.17.

In der endgültigen Fassung der Resolution 1815 des Europarats vom 27. Mai 2011 zu den potenziellen Gefahren elektromagnetischer Felder und ihren Auswirkungen auf die Umwelt wird vor den Folgen der elektromagnetischen Verschmutzung für die menschliche Gesundheit gewarnt. Es wird eine Reihe allgemeiner und spezifischer Empfehlungen ausgesprochen, um den Herausforderungen infolge der Verbreitung mobiler Kommunikationsdienste mit einem kohärenten mittel- und langfristigen Konzept zu begegnen. In diesem Dokument wird betont, dass alle angemessenen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Belastung durch elektromagnetische Felder im Einklang mit dem ALARA-Grundsatz (16) zu verringern, der bei ionisierender Strahlung zwingend anzuwenden ist.

4.18.

In einigen Studien wird die Strahlung der Mobiltelefonie und der drahtlosen elektronischen Kommunikationsinfrastrukturen mit neuronalen, reproduktiven, onkologischen sowie mutagenen Risiken assoziiert (obwohl es sich um nichtthermische Emissionen handelt) (17). Die zuständigen Stellen sind jedoch auf der Grundlage ihrer eigenen Bewertungen und Verfahren zu der Einschätzung gelangt, dass die Strahlung der Mobiltelefonie und der elektronischen Kommunikationsinfrastruktur für den Menschen unbedenklich ist.

4.19.

Wie bereits erwähnt, wurden die Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung auf die Gesundheit von Mensch und Tier in Studien untersucht. Was allerdings die komplexen Auswirkungen der nichtionisierenden elektromagnetischen Strahlung auf Flora und Fauna angeht, so ist sehr wenig über die nichtthermischen Auswirkungen bekannt, und noch viel weniger wird über dieses Thema überhaupt gesprochen. Die bekanntesten Studien beziehen sich auf die erheblichen und unmittelbaren Auswirkungen auf Bestäuberinsekten und Vögel, doch gibt es in der Wissenschaft zahlreiche Bedenken, was die Langzeitauswirkungen elektromagnetischer Emissionen auf Biosysteme angeht.

Zweifel an den ICNIRP-Standards (18)

4.20.

Die Europäische Kommission und die überwiegende Mehrheit der nationalen Regierungen auf der Welt erkennen die ICNIRP-Leitlinien für die Festlegung von Grenzwerten für die Exposition der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen Feldern an. Die 2020 aktualisierten und veröffentlichten ICNIRP-Standards berücksichtigten auch die Parameter Strahlformung (beamforming) und Frequenzen, die für 5G-Kommunikationsinfrastrukturen und -geräte spezifisch sind, nicht jedoch die Aggregation der Frequenzen und die erhöhte Verbindungsdichte.

4.21.

Die ICNIRP bemüht sich sehr, ihre wissenschaftlichen Methoden für die Festlegung der Schutzleitlinien transparent zu machen; allerdings erkennt sie nur die thermischen Auswirkungen der elektromagnetischen Strahlung als potenziell schädlich an.

4.22.

In der vom Europäischen Parlament (19) gemäß den Empfehlungen der Resolution 1815 des Europarates von 2011 durchgeführten STOA-Studie werden die Einhaltung des Vorsorgeprinzips, die erneute Prüfung der von der ICNIRP vorgeschlagenen Grenzwerte sowie technische und administrative Maßnahmen zur Minderung der Folgen von elektromagnetischer Verschmutzung aufgrund der Telekommunikation unterstützt.

4.23.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen dienen unter anderem einer verantwortungsvolleren Gestaltung der Kommunikationsinfrastruktur (Platzierung der Antennen und anderer spezifischer Geräte), der Aufklärung der breiten Öffentlichkeit über die potenziellen Folgen der elektromagnetischen Verschmutzung und über die Möglichkeiten zum Schutz vor elektromagnetischer Strahlung sowie dem Aufbau von Kapazitäten zur Überwachung elektromagnetischer Felder. Europäische und nationale Mittel sollten in eingehendere multidisziplinäre Forschungen und Folgenabschätzungen investiert werden, in denen sowohl der Mensch als auch die Umwelt im Mittelpunkt stehen. Ihre Ergebnisse sollen publik gemacht werden, damit die Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger informiert sind.

5G-Cybersicherheit — Wirksamkeit der Instrumente und Maßnahmen

4.24.

Der EWSA hat bereits in seiner Stellungnahme „Sichere 5G-Einführung — EU-Instrumente“ (20) auf etliche Probleme in der Cybersicherheit hingewiesen. Nicht behobene Sicherheitslücken in 4G-Netzen dürften in 5G-Netzen noch problematischer werden. Diese Schwachpunkte liegen in der technischen Architektur, der Topologie und dem Protokoll begründet, worauf die ENISA (21) hingewiesen hat. Dem NIS-Bericht (22) zufolge kann man diesen kritischen Aspekten noch nicht mit wirksamen Abhilfemaßnahmen begegnen.

4.25.

Um bestimmte Sicherheitsbedrohungen abzuwenden, sollte die EU mehr in den Aufbau eigener Technologien und in die Unterstützung der Technologiebranche und -entwickler investieren. Vor allem sollte es bei diesen Maßnahmen darum gehen, Anreize für europäische KMU zum Aufbau einer sicheren und zuverlässigen 5G-Infrastruktur zu schaffen.

Brüssel, den 20. Oktober 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Richtlinie 2013/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) (20. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/40/EG (ABl. L 179 vom 29.6.2013, S. 1).

(2)  https://ehtrust.org/environmental-health-trust-et-al-v-fcc-key-documents/

(3)  Beschluss Nr. 243/2012/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über ein Mehrjahresprogramm für die Funkfrequenzpolitik (ABl. L 81 vom 21.3.2012, S. 7).

(4)  TEN/708 (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 290).

(5)  Richtlinie (EU) 2018/1972 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (ABl. L 321 vom 17.12.2018, S. 36).

(6)  https://www.greenpeace.org/static/planet4-eastasia-stateless/2021/05/a5886d59-china-5g-and-data-center-carbon-emissions-outlook-2035-english.pdf

(7)  https://www.hautconseilclimat.fr/wp-content/uploads/2020/12/rapport-5g_haut-conseil-pour-le-climat.pdf

(8)  https://www.itu.int/en/ITU-D/Climate-Change/Pages/Global-E-waste-Monitor-2017.aspx

(9)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. April 2009 zu der Gesundheitsproblematik in Zusammenhang mit elektromagnetischen Feldern (2008/2211(INI)). https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-6-2009-0216_DE.html?redirect.

(10)  Stellungnahme des EWSA „Sichere 5G-Einführung in der EU — Umsetzung des EU-Instrumentariums“, TEN/704 (ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 281).

(11)  Entschließung 1815 (2011), endgültige Fassung, Ziffer 8.1.4, http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=17994 [liegt nicht auf DE vor].

(12)  https://bioinitiative.org/updated-research-summaries/

(13)  Defence Intelligence Agency — Biological Effects of Electromagnetic Radiation (Radiowaves and Microwaves) — März 1976.

(14)  Der Standpunkt der FCC wurde von US-amerikanischen Organisationen der Zivilgesellschaft vor Gericht angefochten: https://ehtrust.org/eht-takes-the-fcc-to-court/.

(15)  Gemäß der Vollzugsordnung für den Funkdienst der Internationalen Fernmeldeunion (ITU).

(16)  ALARA steht für As Low As Reasonably Achievable (so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar). Der ALARA-Grundsatz bildet die Grundlage für die Aufstellung von Programmen zum Schutz vor ionisierender Wirkung.

(17)  So wurde beispielsweise die europäische REFLEX-Studie (2004) im Auftrag der EU mit einem Gesamtbudget von über 3 Mio. EUR und einem Zuschuss der Europäischen Kommission in Höhe von 2,059 Mio. EUR von 12 Hochschuleinrichtungen durchgeführt.

(18)  Internationale Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung.

(19)  https://www.home-biology.com/images/emfsafetylimits/EuropeanParliamentSTOA.pdf

(20)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 281.

(21)  https://www.enisa.europa.eu/publications/enisa-threat-landscape-report-for-5g-networks/at_download/fullReport.

(22)  http://ec.europa.eu/newsroom/dae/document.cfm?doc_id=64468.


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