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Document 52014IE5123

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses: „Die Lage nach dem Auslaufen des Milchquotensystems 2015“ (Initiativstellungnahme)

    ABl. C 242 vom 23.7.2015, p. 24–30 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    23.7.2015   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 242/24


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses: „Die Lage nach dem Auslaufen des Milchquotensystems 2015“

    (Initiativstellungnahme)

    (2015/C 242/04)

    Berichterstatter:

    Padraig WALSHE

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Juli 2014 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

    „Die Lage nach dem Auslaufen des Milchquotensystems 2015“ (Initiativstellungnahme).

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. Januar 2015 an.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 504. Plenartagung am 21./22. Januar 2015 (Sitzung vom 21. Januar 2015) mit 219 gegen 1 Stimme bei 14 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der EWSA bewertet das Auslaufen der Milchquotenregelung im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik zum 31. März 2015, wie 2008 beschlossen, als eine „historische“ Zäsur. Seit der Einführung dieser umfassenden Produktionssteuerung am 1. April 1984 war im Zeitablauf zunehmend deutlich geworden, dass die Milchpreise und Einkommen der Landwirte nicht ausreichend wirksam gestützt und stabilisiert werden konnten und die Milchproduktion in der EU schrumpfte, während gleichzeitig die weltweite Milcherzeugung stark gestiegen ist.

    1.2.

    Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die EU nach Auslaufen der Milchquotenregelung, d. h. für die Zeit nach 2015, nicht nur Wachstum und Expansion ermöglichen sollte, sondern sie sollte auch dazu verpflichtet werden, eine Aufgabe der Milchproduktion zu vermeiden und Kleinerzeuger zu unterstützen, insbesondere in benachteiligten Gebieten und Bergregionen. Die Milchpolitik muss es den Landwirten und letztlich der EU-Wirtschaft ermöglichen, von den wachsenden globalen Milchmärkten zu profitieren, wobei zugleich der ebenso wertvolle wirtschaftliche und soziale Beitrag der kleinen benachteiligten Milchbetriebe in vielen europäischen Regionen anerkannt und gefördert werden muss.

    1.3.

    Nach Überzeugung des EWSA muss dies unter vollständiger Anwendung der Bestimmungen der Säule II der GAP 2014-2020 und des Milchpakets erfolgen, um zu gewährleisten, dass milchwirtschaftliche Familienbetriebe in der gesamten EU unterstützt werden können. Gefördert werden sollte die Mitgliedschaft in Erzeugerorganisationen, die den Landwirten bei der Verbesserung ihrer Position in der Lieferkette helfen können, sowie Wissenstransfermaßnahmen zur Unterstützung der Landwirte auf dem Weg zu größerer technischer und wirtschaftlicher Effizienz.

    1.4.

    Allerdings reichen nach Einschätzung des EWSA die Mittelausstattung und die Maßnahmen von Säule II oder die Maßnahmen des Milchpakets, das nunmehr Teil der GAP 2014-2020 ist, sicher nicht aus, um unter erschwerten Bedingungen tätige Milchbauern inner- und außerhalb benachteiligter Gebiete und Bergregionen zu schützen. Es könnten zusätzliche Maßnahmen notwendig sein, um sicherzustellen, dass diese Landwirte ein existenzsicherndes Einkommen und einen gerechten Anteil an den Markterträgen erhalten. Außerdem sollten es für sie Beratungsdienste für Produktionseffizienz, Diversifizierung und Neuausrichtung geben, die ihnen helfen, optimale Entscheidungen für ihre Zukunft und die ihrer Nachfolger zu treffen, wobei zu bedenken ist, dass die benachteiligten Betriebe nur eine begrenzte Fähigkeit zur Einkommenserzeugung haben.

    1.5.

    Für ebenso wichtig hält der EWSA es, dafür zu sorgen, dass kommerziell ausgerichtete, wettbewerbsfähige Milchbauern in allen Gebieten, auch in denjenigen, die für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige exportorientierte Milcherzeugung besser geeignet sind, ihre Betriebe erweitern können, um der rasch steigenden weltweiten Nachfrage gerecht zu werden und auf diese Weise mehr Beschäftigung und Einnahmen für die Wirtschaft in den ländlichen Gebieten der EU zu schaffen. Die größte Herausforderung für diese Landwirte werden jedoch die massiven Einkommensschwankungen aufgrund der Volatilität der Preise für Grunderzeugnisse aus Milch (und somit die Erzeugermilchpreise) sowie der Kosten für Betriebsstoffe sein. Die EU muss auf jeden Fall die Entwicklung von Besteuerungslösungen und einfachen Garantieinstrumenten wie Verträge mit festen Margen, die für Landwirte leicht zugänglich sind, seitens der Mitgliedstaaten und der Industrie erleichtern.

    1.6.

    Der EWSA fordert nachdrücklich, dass das unangemessene Niveau der „Sicherheitsnetz“-Bestimmungen in der neuen GAP überarbeitet und laufend überprüft werden muss, um sicherzustellen, dass sie einen engeren Bezug zu den tatsächlichen Produktionskosten haben.

    1.6.1.

    Außerdem muss die Förderung von Milcherzeugnissen sowohl auf dem heimischen EU-Markt als auch für die Ausfuhr aus der EU weiterhin unterstützt werden. Die EU muss die Ermittlung und Entwicklung neuer Märkte unterstützen und gewährleisten, dass internationale Handelsabkommen ausgewogen sind und den EU-Exporteuren einen gerechten Zugang gewähren.

    1.6.2.

    Auf dem heimischen Markt muss die EU die Förderung der gesundheitlichen Vorteile durch den Verzehr von Milcherzeugnissen unterstützen, die durch die jüngste wissenschaftliche Forschung bestätigt wurden.

    1.6.3.

    Außerdem muss die EU den Einzelhandelsmarkt stärker regeln, damit die Profite der Handelsketten reguliert werden und die Fähigkeit der Landwirte zu einer kostendeckenden Erzeugung verbessert wird.

    1.7.

    Schließlich muss die wichtige Aufgabe von Genossenschaften im Milchsektor anerkannt und gefördert werden. Genossenschaften spielen eine führende Rolle in der globalen Milchwirtschaft — nach der Erhebung der Rabobank (Juli 2014) (1) zählen vier Genossenschaften weltweit zu den zehn größten Molkereiunternehmen. Genossenschaften können eine wesentlich stärkere Rolle bei der Unterstützung der Milcherzeuger gegenüber den Unwägbarkeiten der Volatilität als private Käufer/Verarbeiter spielen, da ihre Milchlieferanten großenteils auch ihre Anteilseigner sind. Darüber hinaus ist bei ihnen auch das Bekenntnis zum Milcherwerb von Mitgliedsbetrieben zu tragfähigen Milchpreisen weitaus belastbarer und langfristiger.

    2.   Hintergrund — Lehren aus bisherigen Erfahrungen

    2.1.

    Der durchschnittliche Milchpreis in der EU betrug im September 2014 37,47 c/kg (Quelle: LTO Milk Review) (2) und damit 8,2 % weniger als der durchschnittliche Milchpreis im Februar 2014 (dieselbe Quelle).

    2.2.

    Bis ins späte Frühjahr dieses Jahres wurde ein gutes Preisniveau durch die starke weltweite Nachfrage gestützt. Allerdings hat eine Preisberichtigung begonnen, da das Produktionswachstum der großen Exporteure (+ 4,3 % auf Jahresbasis im Zeitraum Januar bis September 2014) rasanter als die gesunde Nachfragesteigerung (jährlich + 2-2,5 %) hauptsächlich von den aufstrebenden Märkten verläuft. In jüngster Zeit hatten der vorübergehende Marktaustritt Chinas, das in den Vormonaten Ankäufe über Bedarf getätigt hatte, sowie das russische Einfuhrverbot für Milcherzeugnisse aus der EU — nach Russland werden 33 % der EU-Exporte von Milcherzeugnissen geliefert — weitere Auswirkungen auf die Primärgüter- und somit auf die Erzeugerpreise in der zweiten Jahreshälfte 2014.

    2.2.1.

    Ende 2014 sind die EU-Milchbauern angesichts der rasch sinkenden Milchpreise verständlicherweise besorgt über die voraussichtlichen Auswirkungen auf ihren Lebensunterhalt in den nächsten Monaten, zumal die EU die Quotenregelung abschafft und die Erzeugung in anderen Regionen der Welt — zumindest auf kurze Sicht — weiter zunimmt. Außerdem bezweifeln die Milchbauern zu Recht, ob die EU gewillt und in der Lage ist, sie bei der Bewältigung der unvermeidlichen Phasen niedriger Milchpreise/Einkommen infolge künftiger Krisen zu unterstützen.

    2.3.

    Die mittel- und langfristigen Aussichten für Milch und Milcherzeugnisse sind sowohl auf dem Weltmarkt als auch im Binnenmarkt weiterhin äußerst positiv. Die weltweite Nachfrage bleibt dynamisch, insbesondere in den Schwellenländern, und basiert auf verlässlichen demografischen Trends. Die Nachfrage nach traditionellen, hochwertigen handwerklichen Erzeugnissen, die oftmals in benachteiligten Gebieten aus Milch von Kleinbetrieben hergestellt und von den Verbrauchern hochgeschätzt werden, steigt sogar in den gesättigten europäischen Heimatmärkten. Innovative Milcherzeugnisse wie Sportler-, medizinische und Säuglingsnahrung auf der Grundlage von Molke und anderer Milchbestandteile sind auf den inländischen wie auch auf den internationalen Märkten rasch wachsende Produktkategorien mit hoher Wertschöpfung.

    2.4.

    Produktionssteigerungen im Zuge der Quotenabschaffung sind insbesondere in jenen Mitgliedstaaten zu erwarten, die derzeit durch die Quoten beschränkt sind, wie Irland, Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Österreich, Polen und Frankreich.

    2.5.

    Jedoch wird weiterhin bezweifelt, ob der EU-Rechtsrahmen für den Umgang mit einer zeitweisen extremen Marktvolatilität bzw. mit einer Krisensituation geeignet ist, insbesondere was die Unterstützung von Landwirten bei der Bewältigung volatiler Gewinnspannen und Einkommen sowie die Sicherstellung einer ausgewogenen Entwicklung der Milcherzeugung in der gesamten Europäischen Union angeht.

    2.6.

    Das russische Verbot und dessen Folgeeffekte für sämtliche EU-Märkte für Milchgrunderzeugnisse war der erste Test für die neue EU-Krisenmanagementregelung, und angesichts der begrenzten Auswirkungen auf die Märkte durch die Wiedergewährung der Beihilfe für die private Käselagerung (vor deren abrupter Abschaffung), der Beihilfe für die private Butter- und Magermilchpulverlagerung (MMP) sowie der verlängerten Interventionskäufe und höheren Absatzförderungsausgaben liegt es auf der Hand, dass diese Zweifel begründet sind. Es müssen zusätzliche Maßnahmen zur Bewältigung von Marktkrisen entwickelt werden, doch muss die EU vor allem darauf vorbereitet sein, diese rasch und entschlossen umzusetzen.

    2.6.1.

    Die EU hatte bei der Reaktion auf einen schweren Nachfrage- und Preiseinbruch im Milchsektor im Zuge des Börsenkrachs von 2008/2009 die Gelegenheit, zu lernen. 2009 entsprach das zögerliche Handeln der Europäischen Kommission dem Wert von sechsmonatigen Butterinterventionsankäufen und von achtmonatigen MMP-Ankäufen, bis die Marktpreise wieder über das volle Interventionsäquivalent zu steigen begannen. Die Zufuhr von Butter in die private Lagerhaltung wurde während des Großteils des Jahres (März bis Dezember) sowie im Jahr 2010 fortgesetzt und erst im August 2010 abgeschlossen. 2009 wurden insgesamt 370 Mio. EUR für sämtliche Interventionsmaßnahmen zur Marktstützung aufgewendet, davon 181 Mio. EUR für Ausfuhrerstattungen. 2010 wurden insgesamt 529 Mio. EUR für sämtliche Interventionsmaßnahmen zur Marktstützung aufgewendet, davon 186 Mio. EUR für Ausfuhrerstattungen. 2010 hat die Europäische Kommission 31 Mio. EUR aus dem Verkauf von Magermilchpulver und Butter aus dem Interventionslager und 2011 weitere 73 Mio. EUR aus dem Verkauf von Magermilchpulver eingenommen. Erhebliche Lagermengen wurden auch im Rahmen der Bedürftigenhilfe verwendet, die andernfalls einen finanziellen Beitrag aus dem EU-Haushalt erfordert hätte (3).

    2.6.2.

    Auch 2009 und 2010 stimmte das Europäische Parlament für die direkte Zahlung von 300 Mio. EUR an die Milcherzeuger in der EU. Dieser Betrag bedeutete knapp 600 EUR pro Landwirt (auf der Grundlage der Verteilungsmethode in Irland) und wurde erst Anfang 2010 mit großer Verzögerung ausgezahlt, als sich die Preise bereits wieder erholten. Es ist unklar, wie viel die verwaltungsmäßige Umsetzung dieser Maßnahme kostete. Die Erfahrung lehrt, dass solche Direktzahlungen wenig für eine Trendwende am Markt bewirken und dass eine geringfügige Zahlung pro Landwirt letztendlich einen hohen Aufwand verursacht.

    2.6.3.

    Während der Milchkrise des Jahres 2009 waren die Produktionskosten erheblich niedriger als heute. Damals beliefen sich die Produktionskosten in Irland auf 19 Cent pro Liter und sind 2014 auf 25,6 c/l gestiegen. Die „Sicherheitsnetz“-Intervention in Form des derzeitigen Niveaus des Interventionspreises für MMP und Butter entspricht einem Erzeugerpreisäquivalent von etwa 20 c/l und hat daher jegliche Relation zu den Erzeugerkosten der Landwirte verloren.

    2.7.

    Es wurden Vorschläge unterbreitet, wie die EU mit den Mitteln ausgestattet werden könnte, um eine tragfähige Milcherzeugung in Krisensituationen beizubehalten und die schädlichen Folgen für die Milchproduktion in benachteiligten Regionen besser in den Griff zu bekommen. Es ist wichtig, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen zweckgerichtet sind und zu einem europäischen Milchmarkt passen, in dem die Preise für Milchprodukte — auch in nicht exportierenden Ländern — nunmehr stark von globalen Trends beeinflusst werden. Keine Form der einseitigen Steuerung der EU-Milcherzeugung — auch freiwilliger Art — wird diese Tatsache ändern.

    3.   Aussichten für die Milchmärkte nach 2015

    3.1.

    Nach den Prognosen der Vereinten Nationen für globale demografische und sozioökonomische Trends wird die Weltbevölkerung von heute 7 Milliarden auf 8,4 Mrd. Menschen im Jahr 2030 und auf 9,6 Mrd. im Jahr 2050 steigen (4). Dieses Wachstum wird den Prognosen zufolge großenteils, wenn nicht gar vollständig in den Schwellenländern stattfinden und mit der entsprechenden Zunahme der „Mittelklasse“ einhergehen. In einem 2012 veröffentlichten Papier (5) kamen globale Analysten von HSBC zu dem Schluss, dass bis 2050 2,6 Mrd. Menschen — mehr als ein Drittel der heutigen Weltbevölkerung — mindestens über ein mittleres Einkommen verfügen werden. Dieser Gruppe werden nicht nur immer mehr Menschen angehören, sondern sie werden auch wohlhabender und anspruchsvoller in ihrem Konsumverhalten sein. Sie werden immer stärker bestrebt sein, ihre Eiweißaufnahme in tierischer statt in pflanzlicher Form zu sichern.

    3.2.

    Vor diesem Hintergrund haben Milcherzeugnisse eine besonders starke Stellung, da sie in der Regel sowohl von staatlicher Seite als auch von den Bürgern selbst als Beitrag zu einer gesunden Ernährung angesehen werden und begehrt sind und oftmals von der offiziellen Politik unterstützt werden (beispielsweise durch das Schulmilchprogramm in China).

    3.3.

    Die OECD und die FAO prognostizieren in ihrer jüngsten Prognose für die Agrarmärkte (6), dass die Nachfrage nach Milchprodukten bis 2023 jährlich um rund 2 % steigen wird, insbesondere in Bezug auf MMP, Molke und Käse, wobei Butter mit einer Nachfrage von 1 % etwas schlechter abschneidet. In ihrem im Oktober 2014 veröffentlichten siebten Dairy-Index prognostizierte die Milchproduktsparte des Verpackungskonzerns Tetra Pak für den betreffenden Zeitraum sogar eine jährliche Nachfragesteigerung von 3,6 %. Diese und andere Fachorganisationen wie GIRA, IFCN und CNIEL (7) haben festgestellt, dass die Produktionssteigerung dem Nachfrageanstieg langfristig im Großen und Ganzen hinterherjagen wird, weil sich relativ wenige Regionen für eine ökologisch nachhaltige und wirtschaftlich wettbewerbsfähige Produktion eignen — darunter sind einige EU-Regionen, vor allem im Norden und im Westen.

    4.   Schwankende Gewinnspannen — die größte Herausforderung für Milchbauern

    4.1.

    Während die Aussichten insgesamt äußerst positiv sind, werden gelegentliche Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage, wie etwa das, welches wir zurzeit erleben, einen zeitweiligen Preis- und somit auch Einkommensdruck für Landwirte erzeugen. Ähnliche schwankende globale Trends bei Getreide und anderen Futtermitteln werden dies noch verschärfen. Hierbei dürfte es sich angesichts der allgemeinen demografischen Tendenzen wahrscheinlich um kurzlebige Erscheinungen handeln, doch können sie sehr störend wirken, wenn es an neuen Bewältigungsstrategien fehlt.

    4.2.

    Die Volatilität der Milchpreise und damit auch der Einkommen ist eine relativ neue Erfahrung für alle europäischen Milchviehhalter und folgte auf den erheblichen Abbau von Marktstützungen und die Senkung der Einfuhrzölle zwischen 2005 und 2007 zu Beginn der vorigen GAP-Reform.

    4.3.

    Während die Ersetzung der Marktstützung durch Direktzahlungen an Landwirte diesen ein Stück weit bei der Bewältigung der Einkommensvolatilität helfen wird, werden das Ausmaß der Zahlungsumschichtung und die extremen Schwankungen der marktbasierten Einkommen zusätzliche Strategien erfordern.

    5.   Produktionssteuerung — eine ineffiziente Strategie

    5.1.

    In der Uruguay-Runde des GATT (jetzt WTO), die von 1986 bis 1994 tätig war, fand die Landwirtschaft erstmals Eingang in internationale Handelsabkommen. Sie führte zu grundlegenden Änderungen in der Ausrichtung der EU-Politik. Einfuhrmöglichkeiten wurden durch die allgemeine Senkung der Zölle und durch zollfreie Einfuhrkontingente ausgeweitet. Das neue GATT-Abkommen markierte ferner den Beginn einer Verlagerung der Stützung weg vom Markt hin zu Direktzahlungen an Landwirte, die später zunehmend von der Produktion entkoppelt wurden. Die erst zwei Jahre zuvor eingeführte europäische Milchquotenregelung blieb davon unberührt und wurde mehrfach fortgesetzt.

    5.2.

    2003 sind die EU-Mitgliedstaaten im Zuge der Halbzeitbewertung der GAP übereingekommen, die Quotenregelung mit Wirkung zum 31. März 2015 abzuschaffen. Nach diesem Beschluss wurden 2008 weitere Maßnahmen zur „sanften Landung“ ergriffen, um das Auslaufen der Quoten abzufedern. Diese Änderung der politischen Ausrichtung — eine eindeutige Abkehr von Produktionsbeschränkungen oder Produktionssteuerung — kommt zu einer Zeit rasch wachsender globaler Märkte. Es ist daher sinnvoll, den europäischen Milchviehhaltern und der europäischen Milchindustrie — und letztlich der Wirtschaft der EU — die Belieferung dieser Märkte zu ermöglichen, damit sie sich von den massiven Verlusten an Marktanteilen durch 30 Jahre stagnierender Quoten wieder einigermaßen erholen können.

    5.3.

    Da aber die neue Preisvolatilität, die auf die Umsetzung der bisherigen GAP folgte, 2009 eine ernste Krise der Einkommen im Milchsektor auslöste, drehte sich die Debatte abermals um die Vorteile von Produktionsbeschränkungen, als verschiedene Vorschläge einer Produktionssteuerung in den letzten Jahren in verschiedenen Kreisen in Brüssel erneut diskutiert wurden.

    5.4.

    Ein Beispiel hierfür ist der vom EP während der GAP 2014-2020-Verhandlungen im Sommer 2013 angenommene „Dantin-Vorschlag“. Darin wird vorgeschlagen, dass Landwirte im Fall von Marktstörungen zur freiwilligen Produktionsdrosselung angeregt werden könnten („Buy-Out“), während diejenigen, die ihre Produktion ausweiten, schlechtergestellt werden könnten. Dieser Vorschlag wurde in einer Analyse von Dr. Michael Keane und Dr. Declan O’Connor im Auftrag des Europäischen Milchindustrieverbands (EDA) untersucht (8).

    5.5.

    Ebenfalls für die EU-Kommission wurden künftige milchpolitische Optionen unter dem Titel „Marktgleichgewicht und Wettbewerbsfähigkeit“ und „Nachhaltige Milchproduktion auch in regionaler Hinsicht“ von einer Sachverständigengruppe von Ernst & Young geprüft (9).

    5.6.

    In beiden Studien wurde darauf hingewiesen, dass Produktionssteuerung/Quoten die Milchpreise und die Einkommen nicht mehr wirksam stützen und stabilisieren konnten, wie Schaubild 1 deutlich zeigt. In beiden Studien wurde betont, dass das vorgeschlagene „Buy-Out“ oder andere vergleichbare Produktionssteuerungsmaßnahmen kaum EU-weit umzusetzen wären, da das Preisniveau, das eine Einkommenskrise verursachen kann, von Land zu Land sehr unterschiedlich ist; es würde auch nur sehr langsam Wirkung zeigen und wäre daher fruchtlos; außerdem wäre es kostspielig wegen der Höhe der Ausgleichszahlungen, die man den Erzeugern gewähren müsste, um sie zu einer freiwilligen Produktionsdrosselung zu bewegen. Dr. Keane und Dr. O’Connor betonen außerdem, dass das „Buy-Out“ im Falle seiner Umsetzung eine Fülle negativer vorhersehbarer und unbeabsichtigter Auswirkungen auf das normale Funktionieren der Milchmärkte hätte, und es würde Investitionen und Planungen auf agrarbetrieblicher Ebene und in der Verarbeitungskette nahezu unmöglich machen.

    5.7.

    Vor allem jedoch wurde in der Studie von Dr. Keane und Dr. O’Connor nachdrücklich betont, dass die vorgeschlagene Maßnahme in jedem Fall nur dann wirksam sein könne, wenn sie in einer geschlossenen Volkswirtschaft durchgeführt wird oder wenn sie in einer offenen Wirtschaft von allen großen internationalen Lieferanten zusammen eingeführt wird. Im Falle einer einseitigen Einführung wären die größten Gewinner die internationalen Wettbewerber der EU, während die EU-Milcherzeuger an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen würden, doch weiterhin die Folgen von Produktionsbeschlüssen der Konkurrenz in den USA und in Neuseeland auf ihren Milchpreis zu spüren bekämen.

    5.8.

    Während die EU durch Quoten gebunden war, ist die weltweite Milcherzeugung stark gestiegen — allein in den letzten zehn Jahren um 22 %. Im selben Zeitraum haben unsere Wettbewerber insbesondere in Neuseeland und den USA, die beide stark exportorientiert sind, ihre Produktion ganz erheblich erhöht, während sie in der EU schrumpfte, und die Quoten haben die Milchbauern der EU nicht vor den großen Preisschocks von 2007-2009 geschützt.

    5.9.

    Es ist auch davon auszugehen, dass diese Länder ihre Strategie des Exportwachstums, gestützt auf sehr gut publikgemachte Investitionspläne insbesondere in Neuseeland und in den USA, nach 2015 fortsetzen werden. Wenn die EU hier nicht mitspielt, wird sie am Ende von großen weltweiten Exportmärkten verdrängt werden — mit beträchtlichen Kosten für die Milchbauern der EU, aber allgemeiner auch in puncto Arbeitsplätze und Einkommen für die ländliche Wirtschaft der EU.

    6.   Instrumente für Risikomanagement und ein besseres „Sicherheitsnetz“

    6.1.

    In der Studie von Ernst & Young wurde außerdem dringend empfohlen, das Sicherheitsnetz im Falle von Marktkrisen zu stärken. Betont wird darin außerdem, wie wichtig es ist, den Milchbauern bei der Bewältigung der neuen Einkommensvolatilität zu helfen, die von höchst variablen Milchpreisen und Betriebsmittelkosten verursacht wird, und es werden Instrumente für Risikomanagement angeführt, zum Beispiel Sicherungsgeschäfte, Nutzung der Märkte für Termingeschäfte usw.

    6.2.

    Die EU muss es den Mitgliedstaaten gestatten, mit steuerlichen Lösungen den Landwirten dabei zu helfen, in guten Jahren Mittel zu sparen, die in schlechten Jahren wieder in den Betrieb zurückgeführt und erst dann besteuert werden und auf die in expansionswilligen Betrieben in der Zwischenzeit auch Investitionen gestützt werden können.

    6.3.

    Darüber hinaus muss die EU Preis- und Margengarantieoptionen in der Milchindustrie anregen, fördern und ggf. auch regeln, die es den Landwirten ermöglichen, auf möglichst einfache Weise von Optionen für fixe Milchpreise/-margen für einen bestimmten Prozentsatz ihrer Milch und für einen bestimmten Zeitraum Gebrauch zu machen, ohne sich den komplexen Regeln für Termingeschäfte unterwerfen zu müssen. Die Landwirte in den USA haben über Milchgenossenschaften bereits Zugang zu Instrumenten dieser Art, und einige Milchabnehmer (Glanbia in Irland und Fonterra in Neuseeland) bieten fixe Preis-/Margenregelungen, die den Landwirten entgegenkommen. Eine größere Verfügbarkeit solcher Optionen in ganz Europa wird von entscheidender Bedeutung sein.

    6.3.1.

    Nach dem System von Glanbia für einen indexierten Milch-Festpreis können Landwirte freiwillig einen Prozentsatz ihrer Milch zu einem festen Preis für drei Jahre abgeben. Der Preis wird jährlich um eine bestimmte Betriebskosteninflation korrigiert, sodass die Landwirte auch einen Großteil ihrer Marge sichern können. Seit 2010 hat es vier solcher Dreijahresregelungen gegeben, die allesamt überzeichnet wurden, da sie den Landwirten ein hohes Maß an Sicherheit hinsichtlich der Erträge bieten, die sie für einen Teil ihrer Milch erhalten werden. Schätzungen zufolge werden 22 % aller von Glanbia gekauften Milchmengen im Rahmen dieser Regelung erworben, und die meisten Landwirte, die sich an der ersten Runde beteiligten, waren auch später wieder dabei.

    6.4.

    Aus wirtschaftlicher Sicht ist es auch von entscheidender Bedeutung, dass die EU die Grundlage ihrer Bestimmungen zum „Sicherheitsnetz“ überprüft. Die seit Mitte 2008 unveränderten Milchinterventionspreise bieten eine „Unterstützung“, die netto rund 19 Cent/Liter der Herstellungskosten entspricht und in keinem Verhältnis mehr zu den weitaus höheren Bandbreiten der globalen und europäischen Milchpreise sowie zu den erheblich gestiegenen primären Produktionskosten stehen. Die EU muss ihre Sicherheitsnetzstandards erhöhen, indem sie die Interventionspreise für MMP und Butter zumindest im Takt mit den Steigerungen der Produktionskosten anhebt, und sie muss die Relevanz ihres Sicherheitsnetzes in Anbetracht der Produktionskosten laufend überprüfen.

    6.5.

    Der Sektor muss prüfen, inwieweit ein zusätzliches Kriseninstrument entwickelt werden kann, insbesondere bei stark auftretenden Preisvolatilitäten, welche die Landwirte kurzfristig in Existenznot bringt.

    6.6.

    Genossenschaften sind aus Sicht der Landwirte die erfolgreichste Rechtsstruktur für einen Milchbetrieb. Der Leitgedanke einer Genossenschaft ist der Ertrag für ihre Anteilseigner (Landwirte), sei es in Form eines Gewinnanteils oder von Milchpreisen. Das Wohl und der beste geschäftliche Nutzen ihrer Mitglieder sind die Triebfeder ihrer Tätigkeit.

    6.7.

    Genossenschaften sind einzigartig insofern, als sie Volatilitätsmanagementoptionen — wie Festpreisverträge oder Möglichkeiten zur Festlegung eines Milchpreises und/oder einer Marge für einen bestimmten Zeitraum — an die Landwirte weitergeben.

    6.8.

    Jede künftige Milchpolitik muss die entscheidende Bedeutung der Genossenschaften gebührend berücksichtigen und darf dieser aus Sicht der Landwirte idealen Struktur nicht das Leben schwermachen.

    6.9.

    Das Unvermögen der Landwirte, ihre Kosten aus der Lieferkette im Einzelhandel hereinzuholen, muss ebenfalls angegangen werden. Die Verbraucher profitieren wenig von dramatischen Preissenkungen für Milcherzeugnisse, doch streben die Handelsketten stets einen größtmöglichen Gewinn an, indem sie bei weltweit sinkenden Milchpreisen — wie derzeit — den Druck auf die Lieferanten erhöhen. Durch Druck seitens des Einzelhandels erzielte niedrigere Großhandelspreise — einige davon wenn nicht rechtlich, so doch zumindest moralisch fragwürdig — bedeuten größere Einzelhandelsmargen und -gewinne auf Kosten der restlichen Kette und der Verbraucher. Die Landwirte befinden sich am unteren Ende der Kette und haben daher keine Möglichkeit, ihre Margen zum Erhalt des Familieneinkommens zu schützen. Durch raschere Marktinterventionen der EU-Kommission könnten Marktkrisen schneller überwunden werden und würde der in dieser Ziffer erwähnte Druck der Einzelhändler so gering wie möglich gehalten.

    7.   Nachhaltige Milchproduktion in benachteiligten Gebieten

    7.1.

    Die Milchviehhaltung leistet einen wesentlichen sozioökonomischen und ökologischen Beitrag in allen Regionen der EU. Die Anerkennung und Unterstützung dieses Beitrags, der sich in vielen Regionen auf kleine, schwach dastehende landwirtschaftliche Betriebe stützt, gehörte lange Zeit zum Kern der GAP. Die zweite Säule der GAP umfasst viele in diesem Zusammenhang bedeutende Maßnahmen, ebenso wie die neuen, nunmehr in der GAP/GMO enthaltenen Bestimmungen, die zuerst als „Milchpaket“ eingeführt worden waren.

    7.1.1.

    Jedoch wäre es denkbar, dass das Auslaufen der Quotenregelung den Übergang in der Milcherzeugung in der EU hin zu den nördlichen und westlichen Gebieten beschleunigt, in denen die Erzeugung am effizientesten durchgeführt werden kann. Dadurch könnte womöglich die Produktion in den Gebieten Europas, die höhere Kosten aufweisen (und auch ärmer sind), verringert oder ganz aufgegeben werden, was die wirtschaftliche Kluft zwischen diesen Regionen vertiefen würde.

    7.1.2.

    Die große Mehrheit der landwirtschaftlichen Betriebe in den EU-Mitgliedstaaten verfügt über sehr wenige Milchkühe (75 % der Betriebe besitzen weniger als neun Milchkühe (10)). Während viele zweifellos Milch für den Eigenbedarf erzeugen, so ist die wirtschaftliche Anfälligkeit dieser Betriebe offensichtlich, zumal viele sich in Bergregionen oder anderweitig benachteiligten Gebieten befinden.

    7.1.3.

    Die EU-Kommission muss ein kohärentes Projekt für die Entwicklung des ländlichen Raums und der Milchwirtschaft für Bergregionen, benachteiligte Milcherzeugungsregionen und für Mitgliedstaaten auf den Weg bringen, in denen die Milcherzeugung in sehr kleinen Herden erfolgt.

    7.1.4.

    Zusätzlich zu dem Wissenstransferpaket oder eventuell als Teil davon wäre es von entscheidender Bedeutung, dass diese Betriebe Zugang zu Beratungs- und Bildungsdiensten erhalten, um ihnen dabei zu helfen, fundierte wirtschaftliche Entscheidungen für ihre eigene Zukunft und die ihrer Nachfolger zu treffen. Sie könnten sich in puncto Diversifizierung, Steigerung ihrer Effizienz, Ausbau ihrer Betriebsgröße, sofern dies wirtschaftlich machbar ist, sowie — falls relevant — zu der Frage beraten lassen, welche alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten für den derzeitigen Landwirt oder seinen Nachfolger erwogen werden sollten (berufliche Umorientierung).

    7.2.

    In Regionen, in denen das Risiko der Flächenstilllegung, Unterweidung oder anderer negativer Umweltauswirkungen besteht, könnten die Umweltzahlungen entsprechend der zweiten Säule zu bestimmten Bedingungen für Milchbauern eingesetzt werden.

    7.3.

    Schutzbedürftige Milcherzeuger in sämtlichen Regionen müssen zur Mitwirkung in Erzeugerorganisationen und Branchenverbänden ermuntert werden, um die Hochwertigkeit der Erzeugnisse zu fördern und ihr Gewicht und ihren Einfluss innerhalb der Lieferkette zu steigern.

    7.4.

    Zahlungen an Junglandwirte könnten auch zur Förderung des Generationswechsels in Gebieten verwendet werden, in denen die Landflucht aufgrund ihrer begrenzten Fähigkeit zur Einkommenserzeugung besorgniserregend ist. Für solche Landwirte könnten Investitionen durch günstige Darlehen oder andere derartige Maßnahmen gefördert werden.

    Brüssel, den 21. Januar 2015

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Henri MALOSSE


    (1)  https://www.rabobank.com/en/press/search/2014/dairy_top20.html

    (2)  http://www.milkprices.nl/

    (3)  Berichte der EU-Kommission über Interventionsmaßnahmen im Milchsektor 2008, 2009, 2010, 2011 (EU MMO).

    (4)  World Population Prospects: the 2012 Revision, UN, Juni 2013.

    (5)  Consumer in 2050 — The Rise of the Emerging Market Middle Class — HSBC Global, Oktober 2012.

    (6)  http://www.oecd.org/fr/sites/perspectivesagricolesdelocdeetdelafao/produits-laitiers.htm

    (7)  GIRA Food Consultancy, the International Farm Comparison Network und das französische Centre National Interprofessionnel de l’Industrie Laitiere.

    (8)  Analysis of the Crisis Dairy Supply Management Proposal in the Report of the Committee on Agriculture and Rural Development (COMAGRI) on CAP Reform 2012/2013 (endgültige Fassung) — September 2013 von Michael Keane PhD, Cork (Irland) und Declan O’Connor, PhD, Cork Institute of Technology, Irland.

    (9)  AGRI-2012-C4-04 — Analysis on future developments in the milk sector. Prepared for the European Commission — DG Agriculture and Rural Development. Abschlussbericht vom 19. September 2013, Ernst & Young.

    (10)  Quelle: Eurostat, 1. Januar 2011.


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