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Document 52012AE1046

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinformationssystems“ COM(2011) 883 final — 2011/0435 (COD)

ABl. C 191 vom 29.6.2012, p. 103–107 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

29.6.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 191/103


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinformationssystems“

COM(2011) 883 final — 2011/0435 (COD)

2012/C 191/18

Hauptberichterstatter: Arno METZLER

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 19. Januar 2012 bzw. am 27. Januar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 46 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinformationssystems

COM(2011) 883 final — 2011/0435 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft am 17. Januar 2012 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 480. Plenartagung am 25./26. April 2012 (Sitzung vom 26. April) Arno METZLER zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 164 gegen 1 Stimme bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Die Anerkennung von Berufsqualifikationen aus anderen Mitgliedstaaten ist ein wesentliches Instrument zur Förderung der Mobilität von EU-Bürgern und damit zur Verwirklichung des Binnenmarktes. Hierdurch werden die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten verbessert, ein nachhaltiges Wachstum gestützt und die Arbeitslosigkeit gesenkt. Die nationalen Wirtschaften profitieren von den unterschiedlichen beruflichen Erfahrungen, die ihre Bürger während einer beruflichen Tätigkeit in verschiedenen Mitgliedstaaten sammeln.

1.2   Das Potenzial von EU-Bürgern, die eine berufliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat aufnehmen möchten, wird noch nicht hinreichend ausgeschöpft. Grund sind verschiedene Hemmnisse bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen aus anderen Mitgliedstaaten. Die EU-Bürger halten die geltenden Verfahren für zu langwierig und zu wenig transparent.

1.3   Der EWSA begrüßt daher grundsätzlich den Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG, der die beschriebenen Probleme bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen durch Verfahrensvereinfachungen und mehr Transparenz für die EU-Bürger beseitigen soll. Die in der Agenda 2020 formulierten Ziele zur Steigerung der Mobilität von EU-Bürgern werden durch den Richtlinienvorschlag wirksam unterstützt.

1.4   Der Europäische Berufsausweis wird als deutliche Verfahrensvereinfachung durch den EWSA begrüßt. Einzelne Bestimmungen können aus Sicht des EWSA aber zu einer Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit von Verbrauchern und Patienten führen. Insbesondere die vorgeschlagenen Regelungen zum Europäischen Berufsausweis sollten daher überarbeitet werden:

Die allgemeinen und wesentlichen Kriterien und Verfahrensvorschriften für die Einführung des Europäischen Berufsausweises müssen in der Richtlinie selbst bestimmt werden.

Der Missbrauch eines Ausdrucks des Europäischen Berufsausweises ist durch eine begrenzte Gültigkeit und besondere Maßnahmen zur Fälschungssicherheit auszuschließen.

Der EWSA hat starke Bedenken gegen eine Regelung, nach der bei Nichtentscheidung des Aufnahmestaates über die Anerkennung eines Europäischen Berufsausweises dieser als anerkannt gilt. Gegen eine Fristverletzung sollten andere Rechtsschutzmöglichkeiten wie ein Bescheidungsanspruch oder Schadensersatz gewählt werden.

1.5   Der EWSA befürchtet angesichts der Vielzahl europäischer Systeme im Bereich persönlicher Qualifikation Überschneidungen, Vorschriftenkonkurrenzen oder gar Widersprüche. Die Richtlinie benötigt daher eine Klarstellung des Rangverhältnisses der Berufsanerkennungsrichtlinie zu den Instrumenten des Europäischen Qualifikationsrahmens und der Europäischen Normen. Darüber hinaus ist eine weitergehende Implementierung des Europäischen Systems zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (ECTS) notwendig.

1.6   Die Erweiterung der Möglichkeiten einer automatischen Anerkennung durch gemeinsame Ausbildungsgrundsätze wird durch den EWSA begrüßt. Die Verfahrensvoraussetzungen, das Verfahren und die Kriterien, nach denen die Kommission gemeinsame Ausbildungsgrundsätze festlegt, sollten aber durch die Richtlinie selbst bestimmt werden. Das Mindestquorum muss auf 50 % + 1 Mitgliedstaat angehoben werden.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

2.1   Die Mobilität von qualifizierten Berufstätigen ist in der Europäischen Union zu gering. Es gibt ein großes unausgeschöpftes Potenzial für Mobilität. Die Anerkennung von Berufsqualifikationen ist für das effektive Funktionieren der Grundfreiheiten des Binnenmarktes für EU-Bürger von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig sollte Mobilität nicht auf Kosten der Verbraucher gehen, z.B. nicht auf Kosten von Patienten, die von Angehörigen der Gesundheitsberufe angemessene Sprachkenntnisse erwarten.

2.2   Mit der Modernisierung der Richtlinie würde auch dem Bedarf der Mitgliedstaaten nachgekommen, die sich einem zunehmenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften gegenübersehen. Die Mobilität der EU-Bürger auf dem Binnenmarkt ist diesbezüglich ein wichtiges Thema. Der Mangel an Arbeitskräften wird in Zukunft nicht nur fortbestehen, sondern voraussichtlich sogar ansteigen, insbesondere im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich und auch in Wachstumsbranchen wie dem Bauwesen oder im Bereich der Unternehmensdienstleistungen.

2.3   Die vorgeschlagene Modernisierung der bestehenden Vorschriften verfolgt die nachstehenden Zielsetzungen:

Verringerung der Komplexität der Verfahren durch einen Europäischen Berufsausweis, durch den der Nutzen des bereits erfolgreichen Binnenmarktinformationssystems (IMI) weiter ausgeschöpft würde;

Reform der allgemeinen Regeln für die Niederlassung oder die vorübergehende Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat;

Modernisierung des Systems der automatischen Anerkennung, insbesondere für Krankenschwestern und Krankenpfleger, Hebammen, Apotheker und Architekten;

Einbindung von teilweise qualifizierten Berufsangehörigen und Notaren in einen Rechtsrahmen;

Klärung der Schutzmaßnahmen für Patienten, deren Bedenken hinsichtlich Sprachkenntnissen und des Risikos von Kunstfehlern im Rechtsrahmen besser Rechnung getragen werden sollte;

Schaffung der gesetzlichen Verpflichtung zur Bereitstellung von benutzerfreundlichen und inhaltsorientierten Informationen hinsichtlich der Vorschriften für die Anerkennung von Qualifikationen, die durch umfangreiche E-Government-Dienste für das gesamte Anerkennungsverfahren ergänzt werden;

Einleitung eines systematischen Screenings und einer gegenseitigen Evaluierung aller reglementierten Berufe in den Mitgliedstaaten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   In der Agenda 2020 (1) wurde das Ziel formuliert, die Mobilität von Arbeitskräften innerhalb der Europäischen Union zu erleichtern und zu unterstützen. In der „Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten: Europas Beitrag zur Vollbeschäftigung“ (2) hat die Europäische Kommission einen Mangel an qualifizierten Fachkräften als Hemmnis für ein nachhaltiges Wachstum identifiziert. Einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in Gebieten mit konstant hohem Wachstum stehen Gebiete mit konstant hoher Arbeitslosigkeit gegenüber. Geografische Mobilität ist daher für die Entschärfung regionaler Arbeitslosigkeit von großer Bedeutung. Als einen von 12 Hebeln zur Förderung von Wachstum und Vertrauen hat die Europäische Kommission in der Binnenmarktakte „Zwölf Hebel zur Förderung von Wachstum und Vertrauen“ (3) ebenfalls die Mobilität der Bürger genannt. Eine höhere Mobilität qualifizierter Arbeitskräfte kann der europäischen Wirtschaft eine Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ermöglichen. Dazu müssen in Zeiten von Arbeitskräfteknappheit die Möglichkeiten verbessert werden, Arbeitgeber und qualifizierte Arbeitskräfte aus verschiedenen Mitgliedstaaten zusammenzuführen. Der EWSA erwartet deshalb von der Richtlinie einen wesentlichen Wachstumsbeitrag.

3.2   Die geltende Berufsqualifikationsrichtlinie weist noch eine Reihe von Unzulänglichkeiten auf. So stehen den EU-Bürgern verschiedene Wege der Berufsanerkennung zur Verfügung. Es ist für die EU-Bürger jedoch schwer herauszufinden, welche Verfahren sie beanspruchen können, an welche Behörde sie sich wenden können und welche Dokumente sie vorlegen müssen. Diese Defizite der geltenden Berufsqualifizierungsrichtlinie sind ein Hindernis für die Mobilität der EU-Bürger und damit für die Verwirklichung des Binnenmarktes (4). Aufgrund langer Anerkennungsverfahren haben EU-Bürger häufig nicht die Möglichkeit, schnell auf ein Arbeitsplatzangebot zu reagieren, da sie vor einer Zusage das Anerkennungsverfahren durchlaufen müssen. Notwendig sind daher eine Reform der Verwaltungsverfahren und eine Steigerung der Transparenz bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen. Schließlich haben sich die gemeinsamen Plattformen als unpraktikabel und wirkungslos herausgestellt. Seit ihrer Einführung ist keine gemeinsame Plattform verabschiedet worden.

3.3   Der EWSA begrüßt daher den Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG. Die Dienst- und Niederlassungsfreiheit sowie der Binnenmarkt werden durch vereinfachte Verfahren der gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen und einer Steigerung der Transparenz weiter gefördert. Die von der Europäischen Kommission in der Agenda 2020 und in den Folgedokumenten formulierten Ziele werden durch den Richtlinienvorschlag unterstützt.

3.4   Die im Rahmen der Reform beabsichtigten Verfahrensvereinfachungen sieht der EWSA grundsätzlich als ein geeignetes Instrument an, um die Mobilität von EU-Bürgern innerhalb der Europäischen Union zu fördern. Hierdurch kann eine neue Dynamik in Gang gesetzt werden, die nach den zurückliegenden Krisen eine Chance für mehr Wachstum und Mobilität sowie die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den Mitgliedstaaten bietet.

3.5   Insbesondere jüngere Erwerbstätige sind daran interessiert, berufliche Erfahrungen in verschiedenen Mitgliedstaaten zu sammeln. Sie bringen dabei eine Vielzahl unterschiedlicher beruflicher Erfahrungen in die betreffenden Mitgliedstaaten ein und beeinflussen die Berufsausübung sowohl in ihren Aufnahmestaaten als auch nach einer Rückkehr in ihrem Heimatstaat.

3.6   Die positiven Mobilitätseffekte überwiegen die möglichen negativen Effekte aufgrund eines „brain drain“. Wenngleich die Gefahr eines „brain drain“ nicht auszuschließen ist, haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass dieses Phänomen in weitaus geringerem Maß als erwartet eintritt und die EU-Bürger oftmals aufgrund ihrer kulturellen und familiären Bindungen nach einer Phase der beruflichen Mobilität wieder in ihre Heimatstaaten zurückkehren.

3.7   Die berufliche Mobilität zwischen den Mitgliedstaaten muss unter der Wahrung der Sozialstandards erfolgen. Insbesondere darf ein eventueller, zeitweilig bestehender Wanderungsdruck in einem Mitgliedstaat nicht zur Absenkung der Sozialstandards in einem anderen Mitgliedstaat missbraucht werden.

3.8   Der Europäische Berufsausweis führt zu einer begrüßenswerten Verfahrensvereinfachung. Der Antragsteller kann sich an die Behörden seines Herkunftsstaates wenden. Diese sind wohl grundsätzlich besser als die Behörden anderer Mitgliedstaaten befähigt, die übermittelten Unterlagen zu prüfen. Einmal geprüfte und in der IMI-Datei hinterlegte Dokumente stehen für weitere Verfahren zur Verfügung. Die Sicherheit von Verbrauchern und Patienten muss jedoch weiterhin durch die Anerkennung des Europäischen Berufsausweises durch den Aufnahmestaat gewährleistet werden.

3.9   Der EWSA begrüßt die Fokussierung in der Richtlinie auf das IMI. Gleichwohl gibt es in den Mitgliedstaaten bereits Strukturen nationaler Berufsausweise. Um einen unnötigen Verwaltungs- und Kostenaufwand und Bürokratie zu vermeiden, sollten diese Strukturen in das Verfahren zur Erteilung des Europäischen Berufsausweises einbezogen werden. Insbesondere sollte die Möglichkeit eröffnet werden, den Ausdruck eines anerkannten Europäischen Berufsausweises in einen der bestehenden nationalen Berufsausweise zu integrieren. Insbesondere die Kriterien im Rahmen von Artikel 58 (Artikel 4a VI) und die Verfahrensschritte, nach denen die Kommission die Berufe festlegt, die den Europäischen Berufsausweis nutzen dürfen, müssen durch die Richtlinie festgelegt werden. Gleiches gilt für die Verantwortlichkeit für die Übersetzungen der notwendigen Verfahren und Dokumente.

3.10   Der Bologna-Prozess und der Europäische Qualifikationsrahmen fördern die Transparenz und die Vergleichbarkeit von nationalen Bildungsabschlüssen, insbesondere von Hochschulabschlüssen. Diese dürfen aber nicht zu Überschneidungen mit den Bestimmungen der Berufsqualifikationsrichtlinie führen. In der Berufsqualifikationsrichtlinie muss daher klargestellt werden, dass eine Berufsanerkennung ausschließlich nach den Bestimmungen dieser Richtlinie oder nach den Bestimmungen von Spezialrichtlinien erfolgt. Eine Berufsanerkennung darf durch Bestimmungen des Europäischen Qualifikationsrahmens weder erleichtert noch erschwert werden. Gleiches gilt zum Verhältnis der Berufsqualifikationsrichtlinie zu Europäischen Normen.

3.11   Die Berufsqualifizierungsrichtlinie bezieht sich ausschließlich auf Berufsqualifikationen, die in einem Mitgliedstaat erworben wurden. Die Europäische Kommission hat in der „Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten: Europas Beitrag zur Vollbeschäftigung“ (5) die bessere Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt als Ziel formuliert. Dieses Ziel soll u.a. durch einen Abbau von Beschäftigungshindernissen aufgrund der Nichtanerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen erreicht werden. Die Europäische Kommission wird aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, durch die eine Anerkennung von in Drittstaaten erworbenen Berufsqualifikationen vereinfacht wird.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Europäischer Berufsausweis

4.1.1   Der EWSA begrüßt die Schaffung des Europäischen Berufsausweises, wie er in Artikel 4a bis 4e vorgeschlagen wird. Durch die Schaffung des Europäischen Berufsausweises in Verbindung mit dem Binnenmarktinformationssystem wird in einer Vielzahl von Fällen das Anerkennungsverfahren erheblich vereinfacht und beschleunigt.

4.1.2   Artikel 4a Absatz 7 ermöglicht die Erhebung von Gebühren für die Ausstellung des Europäischen Berufsausweises. Die Kommission wird ermächtigt, Kriterien für die Berechnung und Verteilung der Gebühren in einem Verfahren nach Artikel 58a festzulegen. Die Kosten dürfen aber nicht eine Höhe erreichen, die Antragsteller von der Nutzung des Verfahrens abhält.

4.1.3   Der EWSA hat starke Vorbehalte gegen die in Artikel 4d Absatz 5 vorgeschlagene Regelung, nach der ein Europäischer Berufsausweis als anerkannt gilt, wenn die zuständige Behörde innerhalb der Entscheidungsfrist nach Artikel 4d Absatz 2, 3 keine Entscheidung getroffen hat. Die äußerst knapp bemessene Frist beträgt regelmäßig einen Monat, bei der Auferlegung von Ausgleichsmaßnahmen zwei Monate. Dies könnte die zuständigen Behörden dazu veranlassen, eine Anerkennung auch dann abzulehnen, wenn sie sich wegen eines Antragsstaus oder noch fehlender zusätzlicher Informationen nicht in der Lage sehen, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Dies führt tatsächlich nicht zu einer Verfahrensbeschleunigung, sondern wegen gegebener Rechtsmittel gegen eine solche Entscheidung zu einer Verfahrensverlängerung.

4.1.4   Sollte es tatsächlich zu einer Vielzahl von Fällen kommen, in denen ein Europäischer Berufsausweis aufgrund von Artikel 4d Absatz 5 als gültig anerkannt wird, besteht eine Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit von Verbrauchern und Patienten. Denn es ist nicht auszuschließen, dass Antragsteller auf diesem Weg zu Unrecht in den Besitz eines Europäischen Berufsausweises gelangen können. Zudem wäre es schwierig, zu Unrecht als anerkannt geltende Europäische Berufsausweise nachträglich wieder die Wirksamkeit zu entziehen.

4.1.5   Um den Interessen des Antragstellers sowie der Verbraucher gleichermaßen zu genügen, wird ein Rechtsbehelfsverfahren nach innerstaatlichem Recht vorgeschlagen. Die Mitgliedstaaten sollten zum Erlass eines solchen Rechtsbehelfsverfahrens durch die Richtlinie verpflichtet werden. Mögliche Instrumente wären ein Bescheidungsanspruch sowie Ansprüche auf Schadenersatz. Die Ansprüche sollten nur bestehen, wenn die zuständige Behörde in der vorgeschriebenen Frist schuldhaft eine positive Entscheidung nicht getroffen oder eine Ausgleichsmaßnahme nicht angeordnet hat.

4.1.6   Darüber hinaus sollten die Entscheidungsfristen so gewählt werden, dass das gesamte Verfahren (Prüfung des Antrags im Herkunftsstaat und Anerkennung im Aufnahmestaat) vier Monate nicht übersteigt. Richtet die zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedstaates ein Informationsersuchen an die zuständige Behörde des Herkunftsstaates, sollte die Frist entgegen Artikel 4d Absatz 3 Satz 3 ausgesetzt werden.

4.1.7   Artikel 4e Absatz 5 sieht unter anderem vor, dass der Inhaber eines Europäischen Berufsausweises alle zwei Jahre nach dessen Ausstellung an seine Rechte nach Artikel 4e Absatz 5 erinnert wird. Diese Erinnerung führt zu zusätzlichem Verwaltungsaufwand, ohne dass der Inhaber einen zusätzlichen Nutzen zieht. Eine einmalige Belehrung ist üblich und ausreichend.

4.1.8   Voraussetzung für die Einhaltung der genannten Verfahren und Fristen ist ein reibungsloses Funktionieren des IMI-Systems. Dessen Leistungsfähigkeit muss bei Inkrafttreten der Richtlinie auf Grundlage der angenommenen hohen Fallzahlen sichergestellt werden. Ein Ausfall des IMI-Systems kann in dem hier vorgeschlagenen Rechtsschutzsystem weitaus besser berücksichtigt werden als im Fall einer Genehmigungsfiktion, die als systemwidrig abzulehnen ist.

4.1.9   Der Europäische Berufsausweis soll nicht ausschließlich als Datei im IMI-System vorgehalten werden. Der Antragsteller soll nach der Anerkennung des Berufsausweises einen Ausdruck erhalten. Dieser Ausdruck wird faktisch im Rechtsverkehr als Legitimationsausweis verwendet werden können. Aus diesem Grund sind Mindestanforderungen zur Fälschungssicherheit eines solchen Ausdrucks festzulegen.

4.1.10   Darüber hinaus darf der Ausdruck des Europäischen Berufsausweises keine unbegrenzte Gültigkeit haben. Andernfalls könnte der Ausdruck als Legitimationsausweis missbraucht werden, obwohl Tatsachen, welche nach Artikel 56 Absatz 2 Unterabsatz 1 oder aufgrund des Vorwarnmechanismus nach Artikel 56a den Mitgliedstaaten übermittelt wurden, eine Berufsausübung ausschließen. Nach zehn Jahren, bei Gesundheitsberufen nach fünf Jahren, sollte der Ausdruck daher seine Gültigkeit verlieren und neu beantragt werden müssen. Die unbegrenzte Gültigkeit des Europäischen Berufsausweises im IMI-System sollte aber von der beschränkten Gültigkeit des Ausdrucks unberührt bleiben. Bei einem Berufsverbot sollte auch der Ausdruck wieder eingezogen werden müssen.

4.2   Partieller Zugang

4.2.1   Die Kodifikation des partiellen Zugangs in Artikel 4f übernimmt die durch den Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache C-330/03 aufgestellten Voraussetzungen. Eine Einschränkung verstieße gegen Artikel 45 und 49 AEUV.

4.2.2   Der praktische Anwendungsbereich des partiellen Zugangs ist gering. Die Kodifikation darf nicht zu einem Sozialdumping führen.

4.3   Auch in den Fällen der Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b) muss ein Missbrauch wirksam ausgeschlossen werden. Dazu schlägt der EWSA die Schaffung eines strengeren Kontrollmechanismus vor.

4.4   Artikel 7 Absatz 4 Unterabsatz 5 übernimmt die Bestimmung der Vorgängerregelung, nach der die Dienstleistung erbracht werden darf, wenn eine Reaktion der zuständigen Behörde ausbleibt. Ebenso wie in Artikel 4d Absatz 5 sind andere Rechtsbehelfe vorzuziehen, mit denen eine Entscheidung der Behörde herbeigeführt werden kann (vgl. oben Ziffer 4.1.3 f.).

4.5   Artikel 11 definiert für den Anwendungsbereich der Berufsqualifikationsrichtlinie fünf Qualifikationsniveaus. Diese Qualifikationsniveaus haben keinen Bezug zum Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) und dem Europäischen Leistungspunktesystem für die Berufliche Bildung (ECVET). Bei der Definition der Mindestanforderungen in Titel III Kapitel III wird auf die ECTS-Punkte verwiesen. Um eine bessere Transparenz für die Antragsteller und die zuständigen Behörden zu gewährleisten, sollte die Kommission ein Verfahren entwickeln, welches die Einordnung der fünf Qualifikationsniveaus in die Systeme des EQR, des ECVET und des Europäischen Bezugsrahmens für die Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung (EQAVET, bisher EQARF) sowie in den Bologna-Prozess und den Kopenhagen-Prozess ermöglicht und Divergenzen sowie Überlappungen ausschließt.

4.6   Im Falle einer Eignungsprüfung nach Artikel 14 Absatz 1 sollen die Mitgliedstaaten nach Artikel 14 Absatz 7 mindestens zweimal jährlich die Eignungsprüfung durchführen. Diese Verpflichtung kann zu einer Belastung gerade für kleine Mitgliedstaaten sowie allgemein bei Berufsgruppen führen, in der es sehr wenige Antragsteller gibt. Vorzuziehen wäre eine Bestimmung, nach der die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass kein Antragsteller auf die Eignungsprüfung länger als sechs Monate nach deren Anordnung warten muss.

4.7   Durch die Änderung von Artikel 31 Absatz 1 wird für die Ausbildung zur Krankenschwester und zum Krankenpfleger, die für die allgemeine Pflege verantwortlich sind, eine zwölfjährige allgemeine Schulbildung obligatorisch. Gleiches gilt nach Artikel 40 Absatz 2 für die Hebammenausbildung. Der EWSA weist darauf hin, dass dies nicht zum Ausschluss weniger qualifizierter junger Menschen vom Ausbildungsangebot führen darf. Er fordert die Europäische Kommission auf, darauf zu achten, dass die gestellten hohen Qualitätsanforderungen zu den beruflichen Anforderungen in einem notwendigen Verhältnis stehen.

4.8   Artikel 24 Absatz 2 senkt die Mindestausbildungszeit für die ärztliche Grundausbildung um ein Jahr von sechs auf fünf Jahre ab, belässt es aber bei der Mindestzahl von 5 500 Unterrichtsstunden. Die Verkürzung der Mindestausbildungszeit auf fünf Jahre führt auch bei gleichbleibender Zahl von Unterrichtsstunden aufgrund der notwendigen Straffung zu einer Verkürzung des vermittelten theoretischen und praktischen Wissens. Die Mindestausbildungszeit sollte zum Schutz der Patienten daher bei sechs Jahren belassen werden. Zahnärzte halten fünf Jahre und 5 000 Stunden für angemessen.

4.9   Kapitel IIIA – Automatische Anerkennung auf der Grundlage gemeinsamer Ausbildungsgrundsätze

4.9.1   Eine Anerkennung aufgrund eines gemeinsamen Ausbildungsrahmens oder einer gemeinsamen Abschlussprüfung ist zu begrüßen, da diese die Mobilität der Dienstleistungserbringer fördern und zugleich die Qualität der Dienstleistungen durch ein einheitliches Ausbildungsniveau gesichert wird.

4.9.2   Die Kommission legt in einem Verfahren nach Artikel 58a das gemeinsame Spektrum der Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen und die Qualifikationen, die im Rahmen des gemeinsamen Ausbildungsrahmens erlangt werden können (Artikel 49a Absatz 3; 49b Absatz 3), fest. Dabei darf es nicht zu einer Angleichung an das niedrigste Qualifikationsniveau in der Union kommen. Die Verfahrensvoraussetzungen, das Verfahren und die Kriterien, nach denen die Kommission über das gemeinsame Spektrum entscheidet, müssen in der Richtlinie festgelegt werden.

4.9.3   Das Mindestquorum von einem Drittel der Mitgliedstaaten, in denen sich das Spektrum von Kenntnissen, Fähigkeiten und Kompetenzen entsprechen muss (Artikel 49a Absatz 2 Buchstabe c)), ist zu niedrig. Es birgt die Gefahr in sich, dass sich die Mindeststandards hinsichtlich Dauer und Qualität der Ausbildung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einpendeln. Das Mindestquorum sollte auf mindestens 50 % + 1 der Mitgliedstaaten angehoben werden. Dadurch wird die Gefahr der Majorisierung durch eine Minderheit der Mitgliedstaaten ausgeschlossen und die Akzeptanz der gemeinsamen Ausbildungsgrundsätze gesichert.

4.9.4   Im Gegensatz zu dem früheren System der gemeinsamen Plattformen steht der Kommission im Verfahren nach Artikel 58a ein ausschließliches Initiativrecht zu. Das Initiativrecht für die gemeinsamen Ausbildungsgrundsätze sollte wie bisher bei den Mitgliedstaaten oder den nationalen oder auf europäischer Ebene repräsentativen Berufsverbänden oder Berufsorganisationen liegen.

4.9.5   Artikel 55a erleichtert die Anerkennung von im Ausland absolvierten bezahlten Praktika im Herkunftsstaat. Der EWSA begrüßt diese Regelung, welche die Mobilität von Absolventen zwischen den Mitgliedstaaten fördert.

4.10   Nach Artikel 57a Absatz 4 sollen alle Fristen bereits mit Eingang eines elektronischen Antrags bei dem einheitlichen Ansprechpartner beginnen. Aufgrund der in der Richtlinie bestimmten sehr kurzen Fristen (dazu schon oben Ziffer 4.1.3) erscheint eine sachgerechte Bearbeitung durch die zuständigen Behörden äußerst schwierig. Das Anliegen der Übereinstimmung mit der Dienstleistungsrichtlinie wird aber vom EWSA gesehen.

Brüssel, den 26. April 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Vgl. Mitteilung der Kommission „Europa 2020, Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ vom 3. März 2010, COM(2010) 2020 final.

(2)  Mitteilung der Kommission vom 23. November 2010, COM(2010) 682 final, Ziffer 2.

(3)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 13. April 2011„Binnenmarktakte – Zwölf Hebel zur Förderung von Wachstum und Entwicklung –Gemeinsam für ein neues Wachstum“, COM(2011) 206 final.

(4)  So die Europäische Kommission im Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010 „Weniger Hindernisse für die Ausübung von Unionsbürgerrechten“ vom 27. Oktober 2010, COM(2010) 603 final.

(5)  Mitteilung der Kommission vom 23.11.2010, COM(2010) 682 final, Ziffer 2.5.


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