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Document 52012AE0467

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch über den Online-Vertrieb von audiovisuellen Werken in der Europäischen Union: Chancen und Herausforderungen für den digitalen Binnenmarkt“ COM(2011) 427 final

ABl. C 143 vom 22.5.2012, p. 69–73 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

22.5.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 143/69


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch über den Online-Vertrieb von audiovisuellen Werken in der Europäischen Union: Chancen und Herausforderungen für den digitalen Binnenmarkt“

COM(2011) 427 final

2012/C 143/13

Berichterstatter: Jacques LEMERCIER

Die Europäische Kommission beschloss am 13. Juli 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

"Grünbuch über den Online-Vertrieb von audiovisuellen Werken in der Europäischen Union: Chancen und Herausforderungen für den digitalen Binnenmarkt"

COM(2011) 427 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 1. Februar 2012 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 478. Plenartagung am 22./23. Februar 2012 (Sitzung vom 22. Februar) mit 226 Stimmen bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) möchte auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs aufmerksam machen, der im Bereich des Urheberrechts beim Austausch von Dateien über das Internet die Einhaltung eines Gleichgewichts zwischen mehreren Grundrechten fordert (1). Das Urheberrecht ist nicht absolut, und seine Einhaltung kann nicht über eine generelle Filterung des Internets durch die Anbieter von Internetzugangsdiensten (Internet Service Providers, ISP – siehe Rechtssache SABAM gegen Scarlet) auferlegt werden. Die Erhebung von Gebühren für elektronische Datenträger in mehreren Mitgliedstaaten darf sich nicht auf Träger beziehen, die für eine andere Nutzung als die Kopie digitaler audiovisueller Inhalte verwendet werden, wie etwa die zur Unternehmensverwaltung eingesetzten digitalen Festplatten (Rechtssache Padawan). Einige überzogene nationale Rechtsvorschriften sollten unter Berücksichtigung der sich wandelnden Rechtsprechung des EU-Gerichtshofs überarbeitet werden, damit sie der Entwicklung des Online-Vertriebs audiovisueller Werke nicht entgegenstehen.

1.2   Ein weiterer Wachstumsfaktor für den Markt dieser Werke besteht in der Einführung attraktiver Geschäftsmodelle zu erschwinglichen Preisen, wodurch diese Angebote digitaler audiovisueller Inhalte zu erheblich niedrigeren Kosten offeriert werden können als dies beim Vertrieb von CDs und DVDs der Fall ist. Diese beträchtliche Einsparung von Vertriebskosten sollte den Verbrauchern zugute kommen und gleichzeitig den Schöpfern ein ausreichendes Einkommen sichern, um ihnen die Weiterführung ihrer künstlerischen und literarischen Schaffensarbeit zu ermöglichen. Das Urheberrecht sollte zudem geändert werden, um dem Allgemeininteresse und den Erfordernissen des öffentlichen Interesses gerecht zu werden, beispielsweise durch die Pflicht zur Gewährleistung der Zugänglichkeit von Menschen mit Behinderungen ohne eine Sanktionierung durch Zugangskosten. Es müssen noch weitere Überlegungen über die Möglichkeiten einer Ausweitung der Ausnahmen und Schrankenregelungen angestellt werden, um den Zugang der am stärksten benachteiligten Gruppen zu Bibliotheken und öffentlichen Kulturzentren zu begünstigen, wie der EWSA dies in seiner Stellungnahme von 2010 vorgeschlagen hat (2).

1.3   Das Internet ist zum universellen Träger von Online-Angeboten geworden. Bestimmte technische und rechtliche Anforderungen sollten mittels rechtsverbindlicher Normen festgelegt werden, um die Achtung der Privatsphäre durch die Vertreiber von Inhalten sowie die Neutralität des Internets zu gewährleisten. Das Internet darf auf nominative Beschwerde des Inhabers der Urheberrechte oder verwandter Schutzrechte bei Vorliegen hinreichender Beweise für das illegale Kopieren ohne ausdrückliche und nominative Anordnung eines Richters nicht Gegenstand einer allgemeinen Filterung (3) sein.

1.4   Desgleichen ist der EWSA der Meinung, dass die mit der Verwaltung audiovisueller Werke beauftragten Einrichtungen und die Bibliotheken nicht durch eine übermäßige Verstärkung der Vorschriften zum Schutz des Urheberrechts behindert werden sollten, da ihre Rolle letztlich darin besteht, die Werke zu bewahren und zu verbreiten. Das kulturelle Ziel dabei ist, die Künstler und Schöpfer auf lange Sicht bekannt zu machen und zu schützen und den Zugang der größtmöglichen Öffentlichkeit und insbesondere von Schülern und Studenten zu diesen geistigen Werken zu ermöglichen, und zwar im Sinne des Allgemeininteresses wie des Erfolgs der Strategie 2020, der Digitalen Agenda und der Kulturstrategie (4). Der Richtlinienentwurf zu verwaisten Werken, den der EWSA (5) unterstützt, sollte ebenfalls in vollem Umfang zum Gelingen der europäischen und nationalen Strategien zur Förderung der Kultur beitragen.

1.5   Der grenzübergreifende Markt für den Vertrieb von Online-Werken verursacht keine größeren Zugangsprobleme für die drei wichtigsten transnationalen Vertreiber, die drei Viertel des Marktes beherrschen und über sämtliche finanziellen und technologischen Mittel verfügen, um der europäischen und weltweiten Öffentlichkeit ihre Kataloge anzubieten.

1.5.1

Der EWSA fordert die Kommission insbesondere auf, konkrete Vorschläge speziell für die zahlreichen KMU-KMI zu machen, die den wahren kulturellen und künstlerischen Reichtum Europas in der Vielfalt seiner Sprachen und seiner Literatur- und Filmschöpfungen ausmachen, um ihre aktive Teilnahme am Binnenmarkt des Online-Vertriebs audiovisueller Inhalte zu ermöglichen.

1.6   Der EWSA macht auf einige Vorschläge der KEA-Cema-Studie von Oktober 2010 aufmerksam, wie etwa die gemeinsame Nutzung der Kataloge und die einheitlichen Ansprechpartner für die Verbreitung der Inhalte an das europäische Publikum (6). Die Analyse der Marktentwicklungen ist zudem gründlich und relevant. Es werden Vertriebsstrategien und neue Geschäftsmodelle entworfen, um den legalen Vertrieb der Werke zu fördern, damit auf diese Weise die Einkünfte für jede Vertriebssparte maximiert und die Werke bestmöglich zur Geltung gebracht werden können. Die Angebotsförderung ist neben den klassischen Werbemitteln gekennzeichnet durch den Einsatz der sozialen Medien, des Buzz-Marketings.

1.7   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Schaffung eines umfassenden einheitlichen Europäischen Urheberrechtskodexes, wie er von der Kommission vorgeschlagen wird, zur notwendigen Stärkung der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Form einer Richtlinie beitragen kann. Dieser Kodex würde die vielfältigen in der EU bestehenden Richtlinien im Bereich des Urheberrechts ersetzen und wäre Gegenstand regelmäßiger Berichte über die effektive Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Die Europa-2020-Strategie (7) sollte ebenfalls in diesen Europäischen Urheberrechtskodex integriert werden.

1.7.1

Durch einen Europäischen Urheberrechtskodex könnte die Frage des Ursprungslandes in Bezug auf die anzuwendenden Rechtsvorschriften relativiert werden, um zu einer echten Harmonisierung zu gelangen. Im Falle der öffentlichen Finanzierung eines filmischen Werkes durch einen Mitgliedstaat sollte dieser Staat mit Blick auf die Feststellung der zugrunde liegenden Rechtsvorschriften generell als Ursprungsland beibehalten werden. Die Kommission sollte im Hinblick auf die Wahl der anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Möglichkeit eines "europäischen Ursprungs" vorsehen (8).

1.7.2

Es muss die Möglichkeit ins Auge gefasst werden, missbräuchliche Klauseln in den Verträgen über die Abtretung von Rechten des bzw. der tatsächlichen Urheber(s) des Werkes zu vermeiden. Allzu häufig werden diese Rechte nämlich für alle bestehenden und künftigen Technologien vom Urheber an den Produzenten abgetreten, ohne dass eine Klausel über die Beteiligung an den künftigen, durch die Verwendung neuer Träger und Verbreitungsmittel (Blue-Ray, IPTV (9) usw.) entstehenden Einnahmen vorgesehen ist.

1.7.3

Inhalte dürfen nicht als Waren betrachtet werden. Dies gilt es bei den Überlegungen über den Online-Vertrieb – d.h. eine kulturelle Dienstleistung zur Verbreitung von Sinn (Bedeutung) – zu bedenken.

1.7.4

Der EWSA unterstreicht erneut die Notwendigkeit, den Zugang zu Breitbandverbindungen bereitzustellen, um den Internetnutzern einen qualitativ hochwertigen und schnellen Empfang audiovisueller Werke über Kabelfernsehen, IPTV und VoD (10) zu ermöglichen.

1.8   Die Möglichkeiten zur Schaffung von Datenverwaltungssystemen in Bezug auf die Rechteinhaberschaft an audiovisuellen Werken (11) sollten geprüft werden, wobei die Besonderheiten und Erfordernisse der KMU-KMI der Branche im Mittelpunkt der Überlegungen der zuständigen Kommissionsdienststellen stehen sollten. Gleiches gilt für das Problem der Schaffung von Mehrgebietslizenzen, die für einen einheitlichen Rechtstitel auf dem europäischen Markt stehen. Die europäischen Kleinproduzenten sollten ermutigt und unterstützt werden (12), ihre Kataloge in einem System zur Identifizierung von Werken zu europäisieren, das einen (freiwilligen) Teil mit Informationen über die Inhaber der in Form einer Mehrgebietslizenz vergebenen Urheberrechte und verwandter Schutzrechte umfasst.

1.9   Das System zum Erwerb der Rechte sollte die transparente und gerechte Verteilung des für die Rechteinhaber bestimmten Einkommensanteils garantieren (13). Die Verwaltung durch Verwertungsgesellschaften muss Gegenstand jährlicher unabhängiger Kontrollen sein und für die Urheber und die Öffentlichkeit zugänglich sein, damit ihre Tätigkeiten und ihre Beiträge zur kulturellen Entwicklung auf demokratische Weise kontrolliert werden können (14).

1.10   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Kommission auf der Grundlage der Reaktionen der Interessenträger auf das Grünbuch nach einer im ersten Halbjahr 2012 durchgeführten Konferenz der Interessenträger – darunter öffentliche Einrichtungen (15), der EWSA in seiner spezifischen Funktion sowie Gewerkschaften und Verbraucherverbänden auf europäischer Ebene – die Erarbeitung eines Weißbuch schon ab dem zweiten Halbjahr 2012 erwägen sollte, in dem konkrete Vorschläge zu den Folgemaßnahmen enthalten sein sollten, die ergriffen werden müssen, um trotz sprachlicher Hürden einen europäischen Binnenmarkt für audiovisuelle Werke zu schaffen. Der EWSA ist sich der rechtlichen und technischen Hindernisse bewusst, die einem Voranbringen dieses wichtigen Dossiers im Weg stehen, hält diese Hindernisse jedoch keineswegs für unüberwindbar.

2.   Wesentlicher Inhalt der Kommissionsmitteilung

2.1   Dieser Text steht in direktem Zusammenhang mit der Europa-2020-Strategie und knüpft an die Mitteilung der Kommission "Ein Binnenmarkt für Rechte des geistigen Eigentums" an, die sogenannte IPR-Strategie (Intellectual Property Rights) (16).

2.2   Der audiovisuelle Sektor ist ein wichtiger Wirtschaftszweig, der sechs Millionen Menschen in der EU beschäftigt und 500 Mrd. EUR jährlich erwirtschaftet, d.h. 3% des europäischen BIP. Dank des technischen Fortschritts hat die Verbreitung audiovisueller Werke einen tief greifenden Wandel erfahren. Digitaltechnologie, schnelle und ultraschnelle Breitbanddienste, Cloud Computing und die Möglichkeit des Empfangs audiovisueller Werke auf PCs und Mobiltelefonen verändern die herkömmlichen Vertriebsnetze nachhaltig.

2.3   Im Grünbuch werden mehrere Wege aufgezeigt; dabei wird jedoch ein einheitliches Modell der Verwaltung der Urheberrechte auf der Grundlage grenzübergreifender und europaweiter Lizenzen propagiert.

2.4   Die Kommission ist der Ansicht, dass der Erwerb von Rechten für die Online-Übertragung audiovisueller Werke (Filme usw.) über das Gebiet der Erstausstrahlung hinaus vereinfacht werden muss. Gleiches gilt für die Ausstrahlung von Abrufprogrammen, für die andere als die für die Erstausstrahlung erworbenen Rechte benötigt werden.

2.5   Im Grünbuch wird präzisiert, dass die zeitgleiche Übertragung einer Sendung den Erwerb einer Sondergenehmigung seitens der Rechteinhaber voraussetzt.

2.6   In der "Satelliten- und Kabelrichtlinie" (17) ist für die zeitgleiche Weiterverbreitung von Programmen aus anderen Mitgliedstaaten vorgeschrieben, dass die Rechte von einer Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden müssen. Diese Rechte kommen zu denen hinzu, die direkt von den Sendeunternehmen erteilt werden.

2.7   Bezüglich der Kabelweiterverbreitung weist die Kommission darauf hin, dass die Vertreterorganisationen der Rechteinhaber juristisch nicht immer befugt sind, Lizenzen für diese Rechte zu erteilen.

2.8   Seit einigen Jahren schließlich bieten auch die Betreiber von DSL (Digital Subscriber Line – digitaler Teilnehmeranschluss), IPTV (Internet Protocol Television – Internetfernsehen) und DTT (Digital Terrestrial Television – digitales Antennenfernsehen) sowie neue digitale Plattformen Weiterverbreitungsdienste für Sendungen an, was die Einhaltung der derzeitigen Rechtsvorschriften noch schwieriger macht.

2.9   Wirtschaftlich gesehen betrug die EU-Produktion 2009 nahezu 1 200 Spielfilme, wobei europäische Filme in der EU einen Kinobesucheranteil von nicht einmal 25% haben, gegenüber 68% für die US-Filme. Dahingegen machen europäische Produktionen nur 7% des US-Marktes aus. Bei der Vermarktung eines Films setzen die Produzenten und Vertreiber in der EU auf eine zeitliche Staffelung: Im Allgemeinen läuft der Film zuerst in den Kinos an, wird dann zunächst auf Video und anschließend als Abrufvideo bereitgestellt und schließlich über Bezahlfernsehen und zuletzt über frei empfangbare Sender ausgestrahlt. Aufgrund der Entwicklung von außerhalb des Produktionslandes angebotenen Videoabrufdiensten vervielfacht sich die Zahl der Partner und somit der Verträge.

Um die Zahl dieser Verfahren zu verringern, schlägt die Kommission eine kollektive Verwaltung der Werke und die Einführung eines einheitlichen Ansprechpartners für die kollektive Lizenzierung vor.

2.10   Ein weiterer Teil des Grünbuchs befasst sich mit der Vergütung von Autoren:

Die Vergütung von Autoren wird in den meisten EU-Mitgliedstaaten von den Produzenten mittels Pauschalzahlungen als "Ablösung" für ihren Beitrag zum audiovisuellen Werk vorgenommen. In diesen Ländern erhalten die Autoren bei der Online-Verbreitung des Werkes somit nicht systematisch eine zusätzliche Vergütung. In einigen Ländern ziehen die Verwertungsgesellschaften, die die Autoren vertreten, eine Vergütung pro Nutzung ein. In anderen Ländern ist der Endvertreiber für die Zahlung dieser Leistungen verantwortlich.

2.11   Bezüglich der Vergütung von ausführenden Künstlern:

Die Vergütung der ausführenden Künstler ist heute ebenso wie die Vergütung von Autoren im Wesentlichen vertraglich und pauschal festgesetzt. Die Kommission schlägt die Einführung eines gerechteren Vergütungssystems vor, wobei dieses Recht von Verwertungsgesellschaften wahrzunehmen ist. Im Grünbuch wird jedoch darauf hingewiesen, dass durch diese neuen Rechte eine wirtschaftliche und somit rechtliche Unsicherheit für die Produzenten entstünde, die die Online-Verbreitung dieser Werke behindern würde.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Mit dem Grünbuch setzt die Kommission den Aufbau des europäischen Binnenmarkts über die Konvergenz nationaler Vorschriften fort.

Die Branche, um die es hier geht, betrifft die Kultur und ihre digitalen Verbreitungskanäle. Dieser Bereich ist sehr speziell und sensibel, da er der Geschichte eines Landes, seiner Sprache, seinen Traditionen und seinen Sehnsüchten Ausdruck verleiht. Er kann weder als klassischer Wirtschaftszweig noch als herkömmlicher Sektor von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse aufgefasst werden. Der Ansatz der Kommission in ihrem Grünbuch kann als übermäßig verbraucherorientiert erscheinen. Ihre Analyse der einzelnen Mechanismen ist jedoch gründlich und nahezu erschöpfend.

3.2   In dem sehr dichten Text werden zahlreiche höchst unterschiedliche Themen angegangen, doch das Hauptziel der Kommission bleibt der Aufbau eines Binnenmarktes in dieser Branche.

3.3   Bezüglich der Situation der Verbreitung audiovisueller Werke und der damit einhergehenden Rechte stützt sich die Kommission auf mehrere Feststellungen:

Erstens, dass das derzeitige System nicht funktioniert und für den Endverbraucher komplex und teuer ist. Zweitens, dass durch die Aggregation der nationalen Produktionen die Rentabilität des gesamten Marktes gesteigert werden könnte. Die von den großen Anbietern von Internetzugangsdiensten oder von iTunes unabhängigen VoD-Dienste haben Schwierigkeiten mit der Erlangung territorialer oder europäischer Exklusivrechte an den Werken, deren Rechte häufig bei den Produzenten liegen, die eine Maximierung ihrer Einkünfte auf anderen Wegen (insbesondere durch den Verkauf von DVDs) anstreben.

3.4   Hin zu einer zentralisierten Verwaltung der Lizenzen (Aggregation der Mittel und Informationsquellen, um die Branche weiterzuentwickeln):

Im Grünbuch wird die Online-Vermarktung der Urheberrechte für gebietsübergreifende Dienstleistungen vorgeschlagen und dafür plädiert, ein einheitliches Lizenzmodell einzuführen, das die Erteilung von Mehrgebietslizenzen ermöglicht.

Nach Ansicht des EWSA kann dies für bestimme Sprachgebiete eine Lösung sein.

3.5   Aufgrund der vielfältigen Vertriebskanäle und interaktiven Empfänger und der Mobilität der Kunden entsteht ein starker Druck auf die wirtschaftlichen Modelle der Vertriebsnetze.

3.6   Die Erteilung von Genehmigungen und Lizenzen wird heute im Wesentlichen national gehandhabt und beruht auf der Aushandlung von Verträgen zwischen dem Produzenten des Werkes und dessen Online-Verbreiter. Der EWSA erkennt an, dass das von der Kommission vorgeschlagene System unbestreitbare Vorteile bietet, insbesondere für die Geschwindigkeit und die Einfachheit des Zugangs zu den von den Produzenten gelieferten Daten. Es kann ein zusätzlicher Hebel für die Verbreitung nationaler Werke sein, die ansonsten lokal blieben.

3.7   Es ist jedoch festzustellen, dass durch die Umsetzung der Richtlinie über Satellitenrundfunk vor fünfzehn Jahren keine gesamteuropäischen Satellitenrundfunkdienste geschaffen wurden.

3.8   Zu der Einrichtung eines europäischen Registers von Werken, das schwer einschätzbare Risiken mit sich bringen kann:

Der EWSA ist der Ansicht, dass diese Datenbank nur Auskunftszwecken dienen sollte.

Insbesondere darf der Zugang zum Schutz der Urheberrechte nicht dadurch bedingt sein, ob ein Werk registriert ist oder nicht.

3.9   Eine solche europäische Stelle hätte den Vorteil, dass sie die europäischen Produktions- und Vertriebskräfte bündeln würde, um so den großen Hollywood-Studios, die sich in Europa organisieren, die Stirn zu bieten.

Interessanterweise arbeiten die großen US-Filmstudios (Warner Bros., Disney usw.) gerade an einem internationalen System von Identifizierungsnummern für audiovisuelle Werke (Entertainment Identifier Registry).

3.10   Ebenso sind französische Produzenten seit 2004 mit der Entwicklung der ISAN (International Standard Audiovisual Number) beschäftigt. Die oben genannten Zahlen zur Produktion europäischer und US-Filme sind besorgniserregend. Zur Erinnerung: US-Produktionen machen im Rahmen dieses Systems 75% aller Kinostarts in Europa aus. Es ist daher von fundamen–taler Bedeutung, wie eine solche Stelle geführt und geleitet wird.

3.11   Bekannterweise sind es die Produzenten, die im Zuge ihrer kommerziellen Verhandlungen mit den Vertreibern den Betrag der Urheberrechte, der den Autoren und Rechteinhabern zu zahlen ist, vertraglich und pauschal festsetzen und dessen Auszahlung garantieren. Das Problem der Vergütung der Rechteinhaber kann durch eine zentralisierte Verwaltung teilweise gelöst werden. Die verlockende Idee, ein Verfahren der Vergütung in Abhängigkeit von den über mehrere Jahre hinweg gemessenen Einschaltquoten in Gang zu setzen, erscheint jedoch schwerlich realisierbar.

3.12   Es besteht ein echter Interessenkonflikt zwischen Filmproduzenten und -vertreibern und Mitwirkenden. Auf der einen Seite wollen die Produzenten, dass der Film in den Kinos startet, um die bestmögliche Werbung für ihre Werke zu sichern; auf der anderen Seite fordern die Vertreiber eine raschere Bereitstellung der Werke, um sie als Video und über Bezahl- und Abrufsender verfügbar machen zu können.

3.13   Der EWSA vertritt die Meinung, dass angesichts des zunehmenden Einflusses von IPTV, ASDL und digitaler Plattformen über eine Modulierung dieser Zeitspannen verhandelt werden sollte. Für ältere Werke, die keinen ausschließlichen Rechten mehr unterliegen, erscheint die Einführung eines Systems zur Identifizierung und Erfassung der Werke in Verbindung mit einer Datenbank der Rechteinhaber sehr zweckmäßig.

3.14   Die Kommission setzt folglich auf die gemeinsame Verwaltung von Werken (Datenbanken), um die Branche zu beleben. Es stellt sich die Frage, ob die EU in der Lage sein wird, der Machtstellung der US-Konzerne entgegenzutreten. Denn eine abrupte Abkehr von den derzeitigen nationalen Systemen birgt reale Gefahren.

3.15   Nach Auffassung des EWSA müssen vor einer etwaigen Abkehr von den derzeitigen nationalen Systemen bzw. deren Schwächung ernsthafte Abwägungen vorgenommen werden. Wie vorstehend erwähnt, leisten die Lobbys, die für die Verteidigung der Interessen der US-Unternehmen eintreten, effiziente Arbeit und drängen natürlich auf eine Liberalisierung dieser äußerst lukrativen Branche.

3.16   Die Kommission möchte mit diesem Vorhaben die Verbreitung europäischer Werke fördern und regulieren. Die technischen und regulatorischen Signale seitens der Kommission sind deshalb insofern wichtig, als sie einen schon von anderer Seite eingeleiteten Liberalisierungsprozess beschleunigen können.

3.17   Der EWSA unterstützt vorbehaltlos sämtliche Maßnahmen der Kommission, die auf die Erleichterung des Zugangs der Bürger zu Online-Werken abzielen. Dieser Zugang sollte im ganzen EU-Gebiet und zu erschwinglichen Preisen möglich sein. Er würde eine bessere Verbreitung der Kultur der Mitgliedstaaten ermöglichen und die Bildung junger Europäerinnen und Europäer erleichtern. Im Übrigen ist der EWSA der Ansicht, dass bestimmte Formen der "Versionierung" wie das Einfügen von Werbeblöcken in ursprünglich werbungsfrei konzipierte Werke den kulturellen Zielen des Online-Vertriebs zuwiderlaufen, selbst wenn mithilfe dieser qualitativ geringerwertigen Versionen ein kostenloser oder sehr billiger Vertrieb solcher verschnittener Werke möglich wäre. Diese Überlegung könnte in einen freiwilligen Qualitätskodex von Online-Vertreibern für internetgestützte, kabelgebundene oder terrestrische Übertragung aufgenommen werden, die sich zur größtmöglichen Achtung der Originalwerke verpflichten.

3.18   In der Stellungnahme des EWSA zur Mitteilung der Kommission "Ein Binnenmarkt für die Rechte des geistigen Eigentums" (18) werden die vielen unterschiedlichen nationalen Modelle und die widersprüchlichen Konzepte für die Verwaltung der Urheberrechte im Kulturbereich hervorgehoben. Da die Überlegungen noch nicht ganz abgeschlossen sind, ist der EWSA der Meinung, dass als Erstes die Grundsätze eines europäischen Kodexes bestimmt werden sollten. Zunächst sollte dieser – auf der Wahrung der kulturellen Eigenheiten jedes Landes beruhende – Kodex darauf beschränkt sein, einfache, unumstößliche Grundsätze festzulegen, die jedes Land bei der Erteilung der Lizenzen zu beachten hätte.

3.19   Der EWSA hält es nicht für sinnvoll, das Recht des Ursprungslands auszuweiten, da durch die Wahl des Niederlassungslandes des Dienstleisters dieser ansonsten richtige Grundsatz umgangen werden kann. Die Kommission hat zugleich Maßnahmen und Konsultationen eingeleitet, damit die Betreiber von Datenübermittlungsdiensten in neue Netze investieren, die einen hochwertigen Datenfluss zu erschwinglichen Preisen garantieren können.

3.20   Im Grünbuch wird nahegelegt, dass die gemeinsame Verwaltung der Rechte das Wachstum der digitalen Netze anregt. Dafür muss allerdings sichergestellt werden, dass die Netzbetreiber über die Finanzkraft zur Modernisierung und Erweiterung ihrer Übertragungskapazität verfügen. Deshalb bietet die Stellungnahme des EWSA zum Thema "Offenes Internet und Netzneutralität" (19) hilfreiche Anhaltspunkte für einige Aussagen des Grünbuchs.

3.21   In der "Satelliten- und Kabelrichtlinie" ist für die zeitgleiche Weiterverbreitung von Programmen aus anderen Mitgliedstaaten vorgeschrieben, dass die Rechte von einer Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden müssen. Diese Rechte kommen zu denen hinzu, die direkt von den Sendeunternehmen erteilt werden. Dieses doppelte, schwerfällig erscheinende Verfahren ist erforderlich, um Blackouts während der Sendung zu vermeiden (Verwendung von Datenträgern, die schon für andere Übertragungen genutzt werden).

3.22   Die Kommission ist der Ansicht, dass nationale Finanzierungssysteme für die Entwicklung des audiovisuellen Sektors von grundlegender Bedeutung sind, und unterstützt das MEDIA-Programm, mit dem die gebietsübergreifende Verbreitung von Werken gefördert werden soll. Der EWSA pflichtet dem bei, stellt jedoch fest, dass diese Beihilfen weniger werden und eine massive Bündelung von Geldgebern zur Finanzierung eines Films zu beobachten ist.

Brüssel, den 22. Februar 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Jüngste Rechtssachen: Padawan und SABAM.

(2)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 52.

(3)  Rechtssache SABAM gegen Scarlet.

(4)  COM(2007) 242 final.

(5)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 66.

(6)  "Multi-Territoriy Licensing of Audiovisual Works in the European Union", unabhängige Studie im Auftrag der Europäischen Kommission, GD Gesellschaft und Medien, Oktober 2010. Siehe auch die Mitteilung über kreative Online-Inhalte im Binnenmarkt, COM(2007) 836 final.

(7)  ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 28.

(8)  28. Regelung, vom EWSA im Bereich des europäischen Vertragsrechts bereits vorgeschlagen, ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 26.

(9)  IPTV (Internet Protocol Television) – Internetfernsehen.

(10)  VoD (Video on Demand ) – Abrufvideo.

(11)  Arbeiten von Produzenten an einem internationalen System von Identifizierungsnummern für audiovisuelle Werke (ISAN, International Standard Audiovisual Number), das jedoch keine Informationen über die Rechteinhaberschaft enthält und freiwillig ist. Einige der großen amerikanischen Studios arbeiten an einem ähnlichen System (EIDR, Entertainment Identifier Registry): http://eidr.org/how-eidr-works/. Dieses Identifizierungssystem umfasst eine Kodiernummer und liefert den Entwicklern Programmierschnittstellen, enthält jedoch keine Erwähnung der Rechteinhaberschaft an den Werken.

(12)  Beispielsweise mithilfe des MEDIA-Programms mit einer Laufzeit bis voraussichtlich 2013, das anschließend durch ein neues Förderprogramm ersetzt werden könnte.

(13)  ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 28.

(14)  Ebd.

(15)  Nationale Einrichtungen zur Finanzierung von Filmen, Bibliotheken und Kulturzentren.

(16)  COM(2011) 287 final.

(17)  Richtlinie 93/83/EWG (ABl. L 248 vom 6.10.1993, S. 15).

(18)  ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 28.

(19)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 139.


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