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Document 52009IP0161

    Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Frauen in der Europäischen Union Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. März 2009 zur Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Frauen in der Europäischen Union (2008/2071(INI))

    ABl. C 117E vom 6.5.2010, p. 52–59 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    6.5.2010   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    CE 117/52


    Dienstag, 24. März 2009
    Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Frauen in der Europäischen Union

    P6_TA(2009)0161

    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. März 2009 zur Bekämpfung der Genitalverstümmelung bei Frauen in der Europäischen Union (2008/2071(INI))

    2010/C 117 E/09

    Das Europäische Parlament,

    unter Hinweis auf die Artikel 2, 3 und 5 der 1948 angenommenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte,

    unter Hinweis auf die Artikel 2, 3 und 26 des im Jahr 1966 angenommenen Internationalen Pakts der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte,

    unter Hinweis auf Artikel 5 Buchstabe a des Übereinkommens von 1979 zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW),

    unter Hinweis auf die Artikel 2 Absatz 1, Artikel 19 Absatz 1, Artikel 24 Absatz 3 sowie die Artikel 34 und 39 des von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 20. November 1989 angenommenen Übereinkommens über die Rechte des Kindes,

    unter Hinweis auf das UN-Übereinkommen von 1989 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe,

    unter Hinweis auf die Afrikanische Charta über die Rechte und den Schutz des Kindes von 1990,

    unter Hinweis auf die Artikel 1, Artikel 2 Buchstabe f, Artikel 5, Artikel 10 Buchstabe c sowie die Artikel 12 und 16 der 1992 verabschiedeten Empfehlung Nr. 19 des Ausschusses der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau,

    unter Hinweis auf die Erklärung und das Aktionsprogramm der Wiener Menschenrechtskonferenz von Juni 1993,

    unter Hinweis auf die im Dezember 1993 angenommene Erklärung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, das erste internationale Menschenrechtsinstrument, das ausschließlich die Gewalt gegen Frauen betrifft,

    unter Hinweis auf die Erklärung und das Aktionsprogramm der Konferenz der Vereinten Nationen über Bevölkerung und Entwicklung, verabschiedet am 13. September 1994 in Kairo,

    unter Hinweis auf die Erklärung und das Aktionsprogramm von Peking, verabschiedet von der Weltfrauenkonferenz am 15. September 1995,

    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. Juni 1995 zur Vierten Weltfrauenkonferenz in Peking: „Gleichstellung, Entwicklung und Frieden“ (1),

    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 13. März 1997 zur Verletzung der Rechte von Frauen (2),

    unter Hinweis auf das am 12. März 1999 von der UN-Frauenrechtskommission angenommene Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau,

    unter Hinweis auf die Entschließung des Ausschusses für Chancengleichheit von Frauen und Männern des Europarats vom 12. April 1999 zu Genitalverstümmelungen bei Frauen,

    unter Hinweis auf seinen Standpunkt vom 16. April 1999 zum geänderten Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft (DAPHNE-Programm) (2000-2004) zur Verhütung von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen (3),

    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 18. Mai 2000 zu den Folgemaßnahmen im Anschluss an die Aktionsplattform von Peking (4),

    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. Juni 2000 zu den Ergebnissen der Sondertagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen „Frauen 2000: Gleichstellung der Geschlechter, Entwicklung und Frieden im XXI. Jahrhundert“ (5.-9. Juni 2000) (5),

    unter Hinweis auf das am 23. Juni 2000 unterzeichnete Partnerschaftsabkommen AKP-EU (Abkommen von Cotonou) und das Finanzprotokoll im Anhang zu diesem Abkommen,

    unter Hinweis auf die gemeinsame Verkündung der Charta der Grundrechte durch den Rat, das Europäische Parlament und die Kommission anlässlich des Europäischen Rates von Nizza vom 7. Dezember 2000,

    unter Hinweis auf seinen Beschluss vom 14. Dezember 2000, die Genitalverstümmelung bei Frauen in Artikel B5—802 des Haushaltsplans 2001 zur Finanzierung des DAPHNE-Programms einzubeziehen,

    unter Hinweis auf die Entschließung 1247 (2001) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 22. Mai 2001 zu Genitalverstümmelungen bei Frauen,

    unter Hinweis auf den am 3. Mai 2001 von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats angenommenen Bericht über Genitalverstümmelungen bei Frauen,

    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 20. September 2001 zur Genitalverstümmelung bei Frauen (6),

    unter Hinweis auf die Resolution 2003/28 der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen vom 22. April 2003, mit der der 6. Februar zum Internationalen Tag der „Null Toleranz“ gegenüber Genitalverstümmelungen bei Frauen ausgerufen wurde,

    unter Hinweis auf die Artikel 2, 5, 6 und 19 des 2003 unterzeichneten und am 25. November 2005 in Kraft getretenen Zusatzprotokolls zur Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker, auch als „Maputo-Protokoll“ bekannt,

    unter Hinweis auf die Petition Nr. 298/2007, eingereicht von Cristiana Muscardini am 27. März 2007,

    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 16. Januar 2008 im Hinblick auf eine EU-Kinderrechtsstrategie (7),

    unter Hinweis auf die Artikel 6 und 7 des EU-Vertrags zur Achtung der Menschenrechte (allgemeine Grundsätze) und die Artikel 12 und 13 des EG-Vertrags (Diskriminierungsverbot),

    gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,

    in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (A6–0054/2009),

    A.

    in der Erwägung, dass nach von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erfassten Daten 100 bis 140 Millionen Frauen und Mädchen weltweit Genitalverstümmelungen erlitten haben und dass nach Zahlen der WHO und des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen jährlich etwa zwei bis drei Millionen Frauen potenziell der Gefahr ausgesetzt sind, diese Praktiken mit ihren gravierenden gesundheitlichen Folgen erdulden zu müssen,

    B.

    in der Erwägung, dass jährlich etwa 180 000 Migrantinnen in Europa Genitalverstümmelungen erleiden oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind,

    C.

    in der Erwägung, dass Genitalverstümmelung bei Frauen nach Angaben der WHO in mindestens 28 afrikanischen Ländern und in einigen asiatischen Ländern sowie im Nahen Osten praktiziert wird,

    D.

    in der Erwägung, dass Gewalt gegen Frauen, einschließlich der Genitalverstümmelung, aus gesellschaftlichen Strukturen entsteht, die auf der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und auf unausgewogenen Machtbeziehungen, Beherrschung und Kontrolle beruhen, bei denen der gesellschaftliche und familiäre Druck Ursache für die Verletzung eines Grundrechts wie die Achtung der Unversehrtheit der Person ist,

    E.

    in der Erwägung, dass die an Mädchen zwangsweise vorgenommenen sexuellen Verstümmelungen strengstens verurteilt werden müssen und eine offenkundige Verletzung der internationalen und nationalen Rechtsvorschriften, die die Kinder und ihre Rechte schützen, darstellen,

    F.

    in der Erwägung, dass die WHO vier Typen von Genitalverstümmelung unterscheidet, die von der Klitoriektomie (teilweises oder vollständiges Entfernen der Klitoris) über die Exzision (Entfernen der Klitoris und der kleinen Schamlippen), die etwa 85 % der Genitalverstümmelungen betrifft, bis hin zur extremsten Form der Infibulation (vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen Schamlippen sowie der Innenfläche der großen Schamlippen und Vernähen der Vulva, wobei lediglich eine kleine Vaginalöffnung belassen wird) und Introzision (Einstechen, Durchbohren oder Einschneiden der Klitoris oder der Schamlippen) reichen,

    G.

    in der Erwägung, dass jegliche Form der Genitalverstümmelung bei Frauen, unabhängig von ihrem Ausmaß, einen Gewaltakt gegen die Frau darstellt, der einen schweren Angriff auf ihre Grundrechte, konkret des Rechts auf die Unverletzlichkeit der Person und die körperliche und geistige Gesundheit, sowie ihrer sexuellen und reproduktiven Gesundheit darstellt, und dass ein solcher Angriff keinesfalls mit der Achtung kultureller Traditionen unterschiedlicher Art oder mit Initiationszeremonien gerechtfertigt werden kann,

    H.

    in der Erwägung, dass in Europa ca. 500 000 Frauen von Genitalverstümmelung betroffen sind und vor allem in Immigranten- und Flüchtlingsfamilien diese Beschneidung üblich ist und Mädchen dafür sogar in die Heimat zurückgeschickt werden,

    I.

    in der Erwägung, dass die Genitalverstümmelungen kurz- und langfristig sehr gravierende und irreparable Verletzungen der körperlichen und seelischen Gesundheit der betroffenen Frauen und Mädchen verursachen und einen schwerwiegenden Angriff auf ihre Person und ihre Unversehrtheit darstellen und in einigen Fällen sogar zum Tode führen können; in der Erwägung, dass die Verwendung primitiver Instrumente und das Fehlen antiseptischer Vorsorgemaßnahmen schädliche Nebenwirkungen haben, sodass Geschlechtsverkehr und Geburten schmerzhaft sein können, die Organe unwiderruflich geschädigt werden und Komplikationen (beispielsweise Blutverlust, Schockzustand, Infektionen, Übertragung des Aids-Virus, Wundstarrkrampf, gutartige Tumore) sowie ernsthafte Komplikationen während der Schwangerschaft und der Geburt festgestellt werden können,

    J.

    in der Erwägung, dass die Genitalverstümmelungen bei Frauen, die eine Verletzung der in mehreren internationalen Übereinkommen festgeschriebenen Rechte von Frauen und Mädchen darstellen, im Strafrecht der Mitgliedstaaten verboten sind und gegen die Prinzipien der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen,

    K.

    in der Erwägung, dass auch in seiner Entschließung vom 16. Januar 2008 die Mitgliedstaaten eindringlich aufgefordert werden, bezüglich der Genitalverstümmelungen spezifische Vorschriften zu erlassen, so dass jede Person, die diese Praktiken an Kindern vornimmt, strafrechtlich verfolgt werden kann,

    L.

    in der Erwägung, dass das Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau von den Vertragsstaaten verlangt, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die bestehenden Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken, die eine Diskriminierung der Frau darstellen, zu ändern oder aufzuheben, und alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um einen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau zu bewirken, um so zur Beseitigung von Vorurteilen sowie von herkömmlichen und allen sonstigen auf der Vorstellung von der Unterlegenheit oder Überlegenheit des einen oder anderen Geschlechts oder der stereotypen Rollenverteilung von Mann und Frau beruhenden Praktiken zu gelangen,

    M.

    in der Erwägung, dass das 1989 angenommene Übereinkommen über die Rechte des Kindes festlegt, dass die Vertragsstaaten die in dem Übereinkommen festgelegten Rechte achten und sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehendem Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von dem Geschlecht gewährleisten und alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen treffen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen,

    N.

    in der Erwägung, dass die Afrikanische Charta über die Rechte und den Schutz des Kindes den Unterzeichnerstaaten empfiehlt, soziale und kulturelle Praktiken zu beseitigen, die sich schädlich auf das Wohlergehen, die Würde, das normale Wachstum und die normale Entwicklung des Kindes auswirken,

    O.

    in der Erwägung, dass es in Paragraph 18 der Erklärung und des Aktionsprogramms von Wien (Juni 1993) heißt, dass die Menschenrechte von Frauen und Mädchen unveräußerlicher, integrierender und unteilbarer Bestandteil der universellen Menschenrechte sind,

    P.

    in der Erwägung, dass Artikel 2 der UN-Erklärung von 1993 zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen ausdrücklich auf Genitalverstümmelungen bei Frauen und andere traditionelle Praktiken zum Nachteil der Frau Bezug nimmt,

    Q.

    in der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 der genannten Erklärung verpflichtet sind, Gewalt gegen Frauen zu verurteilen, und sich nicht auf Brauchtum, Tradition oder Religion berufen dürfen, um sich der Verpflichtung zur Beseitigung dieser Gewalt zu entziehen,

    R.

    in der Erwägung, dass die Aktionsplattform der 1994 in Kairo stattgefundenen Internationalen Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung vorsieht, dass die Regierungen Genitalverstümmelungen bei Frauen, dort wo sie bestehen, abschaffen und die Nichtregierungsorganisationen und religiösen Einrichtungen, die sich für die Beseitigung dieser Praktiken einsetzen, unterstützen,

    S.

    in der Erwägung, dass die Regierungen in der von der Vierten Konferenz der Vereinten Nationen in Peking angenommenen Aktionsplattform aufgefordert werden, die Gesetze zu verschärfen, die Institutionen zu reformieren und Vorschriften und Praktiken auf den Weg zu bringen, die darauf ausgerichtet sind, die Diskriminierung von Frauen, die unter anderem in Genitalverstümmelungen zum Ausdruck kommt, zu beseitigen,

    T.

    in der Erwägung, dass das AKP-EU-Partnerschaftsabkommen (Abkommen von Cotonou) auf ähnlichen universalen Grundsätzen beruht und Bestimmungen für ein Verbot von Genitalverstümmelungen bei Frauen enthält (Artikel 9 über wesentliche Elemente des Abkommens, und Artikel 25 und 31 jeweils zur sozialen Entwicklung und geschlechterspezifischen Fragen),

    U.

    in der Erwägung, dass der am 3. Mai 2001 von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats angenommene Bericht das Verbot von Genitalverstümmelungen bei Frauen fordert und diese mit unmenschlicher und entwürdigender Behandlung im Sinne von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention gleichsetzt; unter Hinweis darauf, dass der Schutz der Kulturen und Traditionen dort endet, wo die Wahrung der Grundrechte und das Verbot folterähnlicher Praktiken beginnen,

    V.

    in der Erwägung, dass Rat und Kommission im Rahmen einer gemeinsamen europäischen Einwanderungs- und Asylpolitik anerkennen, dass Genitalverstümmelungen bei Frauen eine Verletzung der Menschenrechte darstellen; in der Erwägung, dass immer mehr Asylanträge von den Eltern mit der Bedrohung gerechtfertigt werden, der sie in ihrem Heimatland ausgesetzt sein könnten, weil sie ihre Zustimmung zur Genitalverstümmelung ihrer Tochter verweigert haben,

    W.

    in der Erwägung, dass die Zuerkennung des Status von Asylbewerbern leider nicht gewährleistet, dass das Kind der Gefahr der Genitalverstümmelung entgeht, die in einigen Fällen durchgeführt wird, nachdem sich die Familie in dem EU-Aufnahmeland niedergelassen hat,

    X.

    unter Hinweis auf die Erklärung der Mitglieder der Kommission Ferrero-Waldner und Michel vom 5. Februar 2008, in der klar und deutlich die Unannehmbarkeit dieser Praktiken sowohl in der Europäischen Union als auch in den Entwicklungsländern betont und hervorgehoben wird, dass die Verletzung der Rechte der Frau keinesfalls unter Berufung auf den kulturellen Relativismus und auf Traditionen gerechtfertigt werden darf,

    Y.

    in der Erwägung, dass nationale Zentren und Einrichtungen für Jugendliche und Familien rechtzeitig Hilfe anbieten können, um präventiv gegen die Durchführung von Genitalverstümmelung bei Frauen vorgehen zu können,

    1.

    verurteilt Genitalverstümmelung bei Frauen nachdrücklich als einen Verstoß gegen die fundamentalen Menschenrechte wie auch als eine brutale Verletzung der Unversehrtheit und Persönlichkeit von Frauen und Mädchen und betrachtet sie daher als ein ernstes gesellschaftliches Verbrechen;

    2.

    fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, eine umfassende Strategie sowie Aktionspläne auszuarbeiten mit dem Ziel, Genitalverstümmelung bei Frauen aus der Europäischen Union zu verbannen und durch die notwendigen Mittel – Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Präventivsysteme, pädagogische und soziale Maßnahmen und vor allem weite Verbreitung von Informationen hinsichtlich bestehender Schutzmechanismen für gefährdete Bevölkerungsgruppen – den tatsächlichen und potenziellen Opfern zu ermöglichen, einen wirksamen Schutz in Anspruch zu nehmen;

    3.

    besteht auf der Notwendigkeit, dass jeder Asylantrag, der von Eltern mit der Begründung gestellt wird, dass sie in ihrem Heimatland bedroht werden, weil sie ihre Zustimmung zur Genitalverstümmelung ihrer Tochter verweigert haben, einzeln geprüft und dass gewährleistet werden muss, dass solche Anträge von ausführlichen Nachweisen gestützt werden, die die Qualität des Antrags, die Persönlichkeit und die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden berücksichtigen und belegen, ob die dem Antrag zugrundeliegenden Motive echt sind;

    4.

    besteht darauf, dass Frauen und Mädchen, die wegen der Gefahr, genital verstümmelt zu werden, in der EU Asyl erhalten, als vorbeugende Maßnahme von den Gesundheitsbehörden und/oder Ärzten regelmäßig untersucht werden sollten, um sie vor der Bedrohung, dass später eine Genitalverstümmelung in der Europäischen Union an ihnen vorgenommen wird, zu schützen; ist der Auffassung, dass diese Maßnahme diese Frauen und Mädchen keineswegs diskriminieren würde, sondern ein Weg wäre, der die Gewähr bietet, dass Genitalverstümmelung bei Frauen in der Europäischen Union verboten ist;

    5.

    fordert, dass diese umfassende Strategie von Bildungsprogrammen sowie durch die Organisation nationaler und internationaler Werbekampagnen flankiert wird;

    6.

    unterstützt die Initiative von Europol zur Koordinierung einer Begegnung der europäischen Polizeikräfte mit dem Ziel, den Kampf gegen Genitalverstümmelungen zu verstärken, die Fragen im Zusammenhang mit der niedrigen Anzeigenquote und der schwierigen Beschaffung von Beweisen und Zeugenaussagen zu behandeln und die Täter wirksam zu bestrafen; fordert zu diesem Zweck die Mitgliedstaaten auf, mögliche zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Opfer zu prüfen, sobald diese in Erscheinung getreten sind;

    7.

    weist darauf hin, dass die im oben genannten Maputo-Protokoll erwähnten Maßnahmen zur Überwindung schädlicher Praktiken wie Genitalverstümmelung Folgendes umfassen: öffentliche Bewusstseinsbildung durch Information, formale und informale Bildung und Kampagnen, Verbot jeglicher Form der Genitalverstümmelung bei Frauen, einschließlich der Durchführung des Eingriffs durch medizinisches Personal, durch Gesetze und Sanktionen, Unterstützung der Betroffenen durch Gesundheitsdienstleistungen, Rechtsbeistand, psychologische Betreuung und Ausbildung und Schutz von Frauen, die potentielle Opfer von schädlichen Praktiken oder anderen Formen von Gewalt, Missbrauch oder Intoleranz sind;

    8.

    ersucht die Mitgliedstaaten, für jedes einzelne Land die Zahl der Frauen, an denen eine Genitalverstümmelung vorgenommen wurde, und die Zahl der Frauen, für die ein solches Risiko besteht, zu beziffern, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass für viele Länder noch keine Daten vorliegen und auch keine einheitliche Datenerfassung erfolgt;

    9.

    ruft dazu auf, als Instrument der Beobachtung ein „europäisches Gesundheitsprotokoll“ sowie eine einschlägige Datenbank einzuführen, die zu statistischen Zwecken und für gezielte Maßnahmen zur Information der betroffenen Migrantengruppen verwendet werden;

    10.

    ersucht die Mitgliedstaaten, wissenschaftliche Daten zu sammeln, die dazu dienen könnten, die WHO bei ihren Hilfsmaßnahmen zur Abschaffung von Genitalverstümmelungen bei Frauen in Europa und auf allen anderen Kontinenten zu unterstützen;

    11.

    fordert die Kommission auf, eine Klausel zur Abschaffung der Genitalverstümmelung bei Frauen in ihre Kooperationsverhandlungen und in die Abkommen mit den betroffenen Ländern aufzunehmen;

    12.

    ruft dazu auf, eine Erfassung bewährter Verfahren auf unterschiedlichen Ebenen und eine Analyse ihrer Auswirkungen (ggf. über die im Rahmen von Daphne III finanzierten Vorhaben und die dabei erzielten Ergebnisse) einzuführen und für eine umfassende Verbreitung dieser Daten zu sorgen sowie dabei auf praktische und theoretische Erfahrungswerte von Experten zurückzugreifen;

    13.

    weist darauf hin, dass nationale Zentren und Einrichtungen eine zentrale Rolle bei der Ermittlung von Opfern und dem Ergreifen von Vorsorgemaßnahmen gegen die Praxis der Genitalverstümmelung bei Frauen spielen;

    14.

    fordert, die bestehenden europäischen Netzwerke zur Verhütung schädlicher traditioneller Praktiken zu verstärken, indem zum Beispiel Bildungsmaßnahmen für Nichtregierungsorganisationen, regionale gemeinnützige Organisationen und die Akteure vor Ort vorgesehen werden, sowie eine solche Netzwerkbildung zu fördern;

    15.

    begrüßt die wichtigen Beiträge vieler internationaler und nationaler Nichtregierungsorganisationen, von Forschungsstellen, des Europäischen Netzes für die Verhinderung von Genitalverstümmelungen bei Frauen in Europa und von engagierten Menschen, die dank der Finanzierung u.a. durch Organisationen der Vereinten Nationen und über das Programm Daphne verschiedene Projekte entwickeln, die der Bewusstseinsbildung, der Prävention und der Abschaffung der Genitalverstümmelung bei Frauen dienen; ist der Auffassung, dass der Aufbau von Netzen zwischen den Nichtregierungsorganisationen und den Organisationen, die ihre Basis in den einzelnen Gemeinschaften haben, auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene zweifellos von grundlegender Bedeutung für den Erfolg bei der Ausmerzung von Genitalverstümmelungen bei Frauen und beim Austausch von Informationen und Erfahrungen ist;

    16.

    weist darauf hin, dass Artikel 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates (8) über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, spezifiziert, dass Genderaspekte berücksichtigt werden können, dass diese allein jedoch nicht zur Anwendung von Artikel 10 führen;

    17.

    ruft sowohl die Europäische Grundrechteagentur als auch das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen dazu auf, über ihre jeweiligen mehrjährlichen und/oder jährlichen Arbeitsprogramme bei der Bekämpfung von Genitalverstümmelungen bei Frauen eine führende Rolle einzunehmen; glaubt, dass diese Agenturen vorrangige Maßnahmen auf dem Gebiet der Forschung und/oder der Sensibilisierung durchführen können, die zu einer besseren Kenntnis des Phänomens der Genitalverstümmelungen auf europäischer Ebene führen könnten;

    18.

    hält es für notwendig, in den betroffenen Ländern Dialogforen zu organisieren, traditionelle Rechtsnormen zu reformieren, Genitalverstümmelung bei Frauen im Schulunterricht zu thematisieren und die Zusammenarbeit mit Nichtbeschnittenen zu fördern;

    19.

    fordert, dass die Europäische Union und die Mitgliedstaaten im Interesse der Menschenrechte, der Unversehrtheit der Person, der Gewissensfreiheit und des Rechts auf Gesundheit bei der Angleichung der bestehenden Rechtsvorschriften und, falls sich die bestehenden Rechtsvorschriften als ungeeignet erweisen sollten, beim Entwurf neuer einschlägiger Gesetze zusammenarbeiten;

    20.

    ersucht die Mitgliedstaaten, die geltenden Rechtsvorschriften zu Genitalverstümmelungen anzuwenden oder sie in die Rechtsvorschriften, die schwere Körperverletzung unter Strafe stellen, einzubeziehen, wenn diese Praktiken innerhalb der Europäischen Union durchgeführt wurden, wobei Prävention und Bekämpfung des Phänomens durch eine angemessene Sachkenntnis bei den einschlägigen Berufsgruppen (Sozialarbeiter, Lehrer, Polizeikräfte, Angehörige des Gesundheitssektors) gefördert werden sollten, um konkrete Fälle zu erkennen, und sich für einen möglichst hohen Grad der Harmonisierung der in allen 27 Mitgliedstaaten geltenden Gesetze einzusetzen;

    21.

    fordert die Mitgliedstaaten auf, Allgemeinmedizinern, Ärzten und Gesundheitsteams in Krankenhäusern zwingend vorzuschreiben, über Genitalverstümmelungen bei Frauen den Gesundheitsbehörden und/oder der Polizei Bericht zu erstatten;

    22.

    fordert die Mitgliedstaaten auf, entweder spezifische Rechtsvorschriften über Genitalverstümmelungen bei Frauen zu verabschieden oder im Rahmen ihrer bestehenden Gesetze jede Person, die Genitalverstümmelungen vornimmt, strafrechtlich zu verfolgen;

    23.

    fordert die Europäische Union und die Mitgliedstaaten auf, diese Praktiken zu verfolgen, zu verurteilen und zu bestrafen, indem sie eine umfassende Strategie befolgen, die die rechtliche, gesundheitliche und soziale Dimension sowie die Integration der Zuwandererbevölkerung berücksichtigt; fordert insbesondere, dass in die einschlägigen Einwanderungsrichtlinien Straftatbestände für diejenigen, die Genitalverstümmelungen vornehmen, und geeignete Sanktionen für diejenigen, die sich dieses Straftatbestandes schuldig machen, eingeführt werden, sofern diese Praktiken innerhalb der Europäischen Union durchgeführt wurden;

    24.

    fordert die Einrichtung von ständigen technischen Stellen für Harmonisierung und Kontakt zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und den afrikanischen Institutionen; ist der Auffassung, dass diesen Stellen Spezialisten für die Thematik und Vertreterinnen der wichtigen europäischen und afrikanischen Frauenorganisationen angehören sollten;

    25.

    ruft dazu auf, die Anwendung des „alternativen Einstichs“ und anderer alternativer Methoden sowie jeder Form der Medikalisierung, die als Kompromisslösung zwischen der Klitorisbeschneidung und der Wahrung von Traditionen als Teil der Identität vorgeschlagen werden, mit Entschiedenheit abzulehnen, da dies nur bedeuten würde, die Praxis der Genitalverstümmelungen auf dem Gebiet der Union zu rechtfertigen und zu akzeptieren; wiederholt die absolute und nachdrückliche Verurteilung der Genitalverstümmelung bei Frauen, da es keinen Grund gibt – sei er sozialer, wirtschaftlicher, ethnischer, gesundheitlicher oder anderer Art –, der sie rechtfertigen könnte;

    26.

    ruft dazu auf, Genitalverstümmelungen bei Frauen durch Strategien zur Förderung und Integration der Frauen und der Familien als Träger von Traditionen, die die Genitalverstümmelung von Frauen beinhalten, zu beseitigen, damit unter strikter Beachtung der Gesetze, der Wahrung der fundamentalen Menschenrechte und des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung Frauen vor allen Formen von Missbrauch und Gewalt geschützt werden;

    27.

    bekräftigt, dass die von vielen Gemeinschaften angegebenen Gründe für die Beibehaltung traditioneller Praktiken, die der Gesundheit von Frauen und Mädchen schaden, jeglicher Rechtfertigung entbehren;

    28.

    fordert die Mitgliedstaaten auf,

    jegliche Genitalverstümmelung bei Frauen als Straftatbestand zu betrachten, unabhängig davon, ob irgendein Einverständnis von Seiten der betroffenen Frau vorlag oder nicht, sowie jede Person zu bestrafen, die einer anderen hilft, sie dazu anhält, dabei berät oder unterstützt, eine solche Handlung am Körper einer Frau oder eines Mädchens vorzunehmen,

    jede gebietsansässige Person, der die Straftat der Genitalverstümmelung bei einer Frau begangen hat, strafrechtlich zu verfolgen, vor Gericht zu stellen und zu bestrafen, auch wenn die Straftat außerhalb ihrer Grenzen verübt wurde (Extraterritorialität der Straftat),

    gesetzliche Maßnahmen zu verabschieden, die Richtern oder Staatsanwälten die Möglichkeit einräumen, Schutz- und Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen, wenn sie Kenntnis von Fällen erhalten, dass Frauen oder Mädchen gefährdet sind, verstümmelt zu werden;

    29.

    fordert die Mitgliedstaaten auf, eine präventive Strategie für soziale Maßnahmen zum Schutz von minderjährigen Frauen mit Hilfe von staatlichen Programmen und sozialen Dienstleistungen auf den Weg zu bringen, die die Einwanderergemeinden nicht stigmatisiert, die sowohl diese Praktiken durch Ausbildung, Bildung und Bewusstseinsbildung der gefährdeten Bevölkerungsgruppen verhüten wie auch den Opfern, die sie erlitten haben, mit psychologischer und medizinischer Unterstützung, nach Möglichkeit einschließlich einer kostenlosen wiederherstellenden medizinischen Behandlung, Hilfe leisten sollen; ersucht die Mitgliedstaaten ferner zu bedenken, dass die Drohung oder die Gefahr für eine Minderjährige, genital verstümmelt zu werden, einen Grund darstellen kann, der das Eingreifen staatlicher Stellen rechtfertigt, wie dies die Vorschriften zum Schutz des Kindes vorsehen;

    30.

    fordert die Mitgliedstaaten auf, für Angehörige der Gesundheitsberufe, Erzieher und Sozialarbeiter Leitfäden und Richtlinien mit dem Ziel auszuarbeiten, die Väter und Mütter in respektvoller Weise und erforderlichenfalls mit Hilfe von Dolmetschern über die enormen Gefahren der Genitalverstümmelungen bei Frauen und über die Tatsache zu informieren und aufzuklären, dass solche Praktiken in den Mitgliedstaaten einen Straftatbestand darstellen; fordert ferner, dass sie zusammenarbeiten und die Arbeit von Netzwerken und Nichtregierungsorganisationen, die Bildungs-, Bewusstseinsbildungs- und Vermittlungsarbeit zu Genitalverstümmelungen bei Frauen in engem Kontakt mit den Familien und den Gemeinschaften leisten, finanzieren;

    31.

    fordert die Mitgliedstaaten auf, genaue und für eine nicht alphabetisierte Bevölkerung verständliche Informationen, insbesondere über die Konsulate der Mitgliedstaaten bei der Ausstellung von Visa, zu verbreiten; ist der Ansicht, dass die Einwanderungsbehörden auch bei der Ankunft im Aufnahmeland über die Gründe des gesetzlichen Verbots informieren müssen, damit die Familien verstehen, dass das Verbot der traditionellen Handlung keinesfalls als ein Angriff auf die Kultur gedacht ist, sondern dass es einen Rechtsschutz für Frauen und Mädchen darstellt; ist der Auffassung, dass die Familien über die strafrechtlichen Folgen, die eine Gefängnisstrafe beinhalten können, falls sich die Verstümmelung beweisen lässt, unterrichtet werden müssen;

    32.

    fordert eine Verbesserung der Rechtsstellung von Frauen und Mädchen in den Ländern, wo Genitalverstümmelung praktiziert wird, um Selbstvertrauen, Eigeninitiative und Eigenverantwortung der Frauen zu stärken;

    33.

    beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.


    (1)  ABl. C 166 vom 3.7.1995, S. 92.

    (2)  ABl. C 115 vom 14.4.1997, S. 172.

    (3)  ABl. C 219 vom 30.7.1999, S. 497.

    (4)  ABl. C 59 vom 23.2.2001, S. 258.

    (5)  ABl. C 67 vom 1.3.2001, S. 289.

    (6)  ABl. C 77 E vom 28.3.2002, S. 126.

    (7)  ABl. C 41 E vom 19.2.2009, S. 24.

    (8)  ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12.


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