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Document 52007IE0997
Opinion of the European Economic and Social Committee on the Employment of priority categories (Lisbon Strategy)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)
ABl. C 256 vom 27.10.2007, p. 93–101
(BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)
27.10.2007 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 256/93 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)“
(2007/C 256/18)
Am 14. September 2006 beschloss (bestätigt am 26. Oktober 2006) der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 31 seiner Geschäftsordnung (im Rahmen der Arbeiten des EWSA, eingeleitet auf Ersuchen des Europäischen Rates vom 23./24. März 2006) einen Informationsbericht zu erarbeiten: „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)“.
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 15. März 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, diesen Informationsbericht in eine Initiativstellungnahme umzuwandeln.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 18. Juni 2007 an. Berichterstatterin war Herr GREIF.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 437. Plenartagung am 11./12. Juli 2007 (Sitzung vom 12. Juli 2007) mit 122 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
In der vorliegenden Stellungnahme wird dargelegt, dass die ambitionierten Beschäftigungsziele von Lissabon quantitativ — wenn auch mit deutlichen und stets zu berücksichtigenden Unterschieden zwischen den Ländern — nur bedingt erreicht wurden. Auch was die Qualität der Beschäftigung betrifft, ergibt sich ein widersprüchliches Bild: Erfreulichen Beispielen guter Praxis in der Beschäftigungspolitik einzelner Mitgliedstaaten, die es nach Ansicht des EWSA in Zukunft systematischer zu sammeln und auszuwerten gilt, stehen EU-weit nach wie vor ernüchternde Fakten gegenüber:
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1.2 |
Vor diesem Hintergrund ist es dem Ausschuss wichtig, bei laufenden Debatten zum Flexicurity-Konzept festzuhalten, dass jede generelle Definition, Maßnahmen zur Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und Arbeitnehmer stets mit einem hohen Maß an sozialer Sicherung, aktiver Arbeitsmarktpolitik, Aus- und Weiterbildung sowie Zugang zu sozialen Diensten verknüpfen muss. |
1.3 |
Der EWSA ruft dazu auf, im Rahmen nationaler Sozial- und Beschäftigungspolitiken hinsichtlich der in dieser Stellungnahme besprochenen prioritären Gruppen am Arbeitsmarkt folgenden Punkten künftig erhöhte Bedeutung beizumessen:
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1.4 |
Für sozial ausgegrenzte Gruppen sind darüber hinaus besondere Maßnahmen notwendig:
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1.5 |
Der EWSA weist mit Nachdruck darauf hin, dass in zahlreichen EU-Ländern die Umsetzung der in dieser Stellungnahme skizzierten Prioritäten vermehrte beschäftigungspolitische Anstrengungen notwendig macht und deren entsprechende budgetäre Deckung sichergestellt werden muss.
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1.6 |
Der EWSA hat in diesem Zusammenhang bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass diese budgetäre Deckung eines günstigen makroökonomischen Umfelds bedarf, das auf eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik zur Überwindung der lang andauernden Konjunkturschwächen ausgerichtet sein muss (2). |
1.7 |
In zahlreichen Mitgliedstaaten sind die an die Arbeitskosten gebundenen Sozialbeiträge auf ein Niveau gestiegen, das sich negativ auf die Schaffung von Arbeitsplätzen auswirken kann. In manchen Fällen kann die Arbeitsaufnahme aufgrund geringer Differenzen zwischen Erwerbseinkommen nach Steuern und dem Niveau der Sozialtransfers unattraktiv sein. Es gilt solche so genannten Arbeitslosigkeitsfallen zu vermeiden, ohne die finanzielle Absicherung der Sozialsysteme zu gefährden. Der EWSA stimmt in diesem Zusammenhang mit den Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Union überein, die Finanzierungsbasis für die sozialen Sicherungssysteme zu verbreitern und somit die Abgabenbelastung gleichmäßiger auf alle Produktionsfaktoren zu verteilen, um den Faktor Arbeit zu entlasten (3). |
1.8 |
Was die bevorstehende Überarbeitung der Beschäftigungspolitischen Leitlinien im Jahr 2008 betrifft, so hält der EWSA in mehreren der in dieser Stellungnahme angesprochenen Feldern eine stärkere Prioritätensetzung und Konkretisierung für erforderlich.
Der EWSA wird die hier skizzierten notwendigen Adaptionen der Beschäftigungspolitischen Leitlinien ab 2009 in einer gesonderten Stellungnahme aus seiner Sicht darlegen. |
2. Hintergrund
2.1 |
In seinen Schlussfolgerungen vom 23./24. März 2006 hat der Europäische Rat den EWSA ersucht, im Vorfeld zum Frühjahrsgipfel 2008 einen „zusammenfassenden Bericht zur Unterstützung der Partnerschaft für Beschäftigung und Wachstum“ vorzulegen und dabei u.a. die Priorität „Mehr Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen“ ins Auge zu fassen. Der EWSA legt dazu die folgende Initiativstellungnahme vor, die unter Einbindung der Expertise nationaler Wirtschaft- und Sozialräte erstellt wurde. |
2.2 |
Der EWSA hat stets betont, dass die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Rahmen der Lissabon-Strategie kein Selbstzweck sind, sondern auch dazu führen sollen, die hohe Arbeitslosigkeit in der EU abzubauen, Vollbeschäftigung anzustreben, die Systeme der sozialen Sicherung auf eine stabilere Grundlage zu stellen und den Schutz vor sozialer Ausgrenzung zu gewährleisten (4). |
2.3 |
Im Bereich der Beschäftigungspolitik sollten in diesem Sinn von der Lissabon-Strategie neue Impulse für die Europäische Beschäftigungsstrategie ausgehen und somit die Erwerbsbeteiligung erhöht und die Qualität der Arbeit verbessert werden. Lissabon strebt nicht alleine mehr Beschäftigung an. Es ging auch um eine Verbesserung der Qualität der Arbeitsplätze. Investitionen in Humankapital, Forschung, Technologie und Innovation wird folgerichtig ebensolche Priorität eingeräumt wie arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Maßnahmen (5). |
2.4 |
Der EWSA wird in der vorliegenden Stellungnahme seine Analyse zur Entwicklung am europäischen Arbeitsmarkt sowie seine politischen Empfehlungen auf jene Zielgruppen konzentrieren, für die der Rat die Mitgliedstaaten zuletzt mehrfach mit Dringlichkeit aufgefordert hat, besondere Maßnahmen vorzusehen, um
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2.5 |
Der EWSA wird entlang dieser Zielgruppen jeweils ein Maßnahmenbündel präventiver und aktiver (Wieder-)Eingliederungsmaßnahmen vorschlagen, die im Rahmen der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten eine erhöhte Berücksichtigung finden sollten. Auch sozial ausgegrenzte Gruppen, die in vielen Fällen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, werden thematisiert. Darauf aufbauend werden politische Empfehlungen formuliert, u.a. hinsichtlich der bis zum Frühjahrsgipfel 2008 zur Überarbeitung anstehenden Beschäftigungspolitischen Leitlinien. |
3. Erwerbsquoten, Arbeitslosigkeit und Beschäftigung — Bestandsaufnahme (6)
3.1 |
Erstmals seit 2001 gibt es 2005 und 2006 in der EU ein Beschäftigungswachstum und einen merklichen Rückgang der Arbeitslosenrate (von 9,0 % in 2004 auf 7,9 % in 2006). Mit einem Wachstum von 0,6 % hebt sich die Dynamik der Beschäftigungsquote bei Frauen in höherem Maß als bei Männern von der Stagnation vergangener Jahre ab. Dieser erfreuliche Trend setzte sich 2007 fort (7). |
3.2 |
Trotzdem bleibt ernüchternd festzuhalten:
Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklungen am Arbeitsmarkt bleibt trotz partieller Fortschritte weiterhin ein langer Weg zu den ambitionierten Beschäftigungszielen von Lissabon. |
3.3 |
Umso mehr, als die Beschäftigungsentwicklung darüber hinaus folgende — in ihrem Ausmaß zwischen den Ländern und Sektoren zum Teil stark variierende — Charakteristika und Tendenzen aufweist:
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3.4 |
Der Zuwachs des informellen Sektors mit unsicheren Beschäftigungsbedingungen und oftmals niedrigen Einkommen birgt die Gefahr, dass Gruppen, die den Übergang in den Regelarbeitsmarkt nicht schaffen, langfristig dequalifiziert werden. Diese (datenmäßig schwer zu erfassende) Entwicklung ist nicht nur für die Betroffenen mit hohen Unsicherheiten verbunden, sondern führt auch zu hohen Steuerausfällen und setzt letztlich auch die Nachhaltigkeit des Produktionspotenzials in der EU aufs Spiel. |
4. Rahmen schaffen für Wachstum und mehr und bessere Beschäftigung
4.1 |
Seit Jahren dominieren europäische Politikempfehlungen, wonach strukturelle Probleme der Institution des Arbeitsmarktes für die Probleme am Arbeitsmarkt verantwortlich zeichnen. In zahlreichen EU-Ländern wurde der beschäftigungspolitische Schwerpunkt einseitig auf den Abbau allgemeiner arbeitsrechtlicher Standards, die Verschärfungen von Anspruchsvoraussetzungen und Leistungskürzungen im Sozialbereich sowie auf Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen gelegt. |
4.2 |
Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik wie beispielsweise Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, Beseitigung von Qualifikationsdefiziten und Schwerpunktprogramme zur Integration benachteiligter Gruppen in den Arbeitsmarkt sind dagegen in vielen Ländern nicht in ausreichendem Maß durchgeführt worden, wenn auch einige Länder mit niedrigen Ausgaben diese seit 1995 erhöht haben. In der Mehrzahl der Länder (für die Daten vorliegen) sank der Anteil „aktiver“ Ausgaben an den Gesamtausgaben für Arbeitsmarktpolitik („passive“ und „aktive“ Unterstützungsleistungen) in den letzten Jahren sogar. Es ist von hoher Bedeutung, dass die Mittel für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik entsprechend den Herausforderungen sichergestellt und zugleich die Effizienz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen gesteigert sowie deren Fokussierung auf die jeweiligen Zielgruppen sichergestellt werden. |
4.3 |
Der EWSA hat in diesem Zusammenhang bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Strukturreformen letztlich nur in einem günstigen makroökonomischen Umfeld erfolgreich sein können, das auf Überwindung der lang andauernden Konjunkturschwäche und eine Verstetigung des Wachstums ausgerichtet ist (9). Dafür braucht es auf nationaler und EU-Ebene ein Bekenntnis zu einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik mit entsprechenden geld-, fiskal- und wirtschaftspolitischen Voraussetzungen:
Die Lissabonziele geben die Richtung an, in die Investitionen fließen müssen: Ausbau der Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur, Klimaschutz, Forschungs- und Entwicklungsoffensive, flächendeckende Kinderbetreuung, Förderung der Aus- und Weiterbildung, aktive Arbeitsmarktpolitik und Qualität der Arbeitsplätze. Dabei sollten die Nationalen Reformprogramme so konzipiert sein, dass sie ein europaweit koordiniertes Programm zur Stärkung der wirtschaftlichen Dynamik ergeben, zu dem alle Akteure auf nationaler und EU-Ebene ihren Beitrag leisten. |
5. Effektive Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
5.1 |
Die Jugendarbeitslosigkeit gehört weiterhin zu den beschäftigungspolitischen „hot spots“ in der EU. Sie liegt in allen EU-Ländern oberhalb der Gesamtarbeitslosenquote und ist in den meisten EU-Ländern mindestens doppelt so hoch wie in der Gesamtwirtschaft. In einigen EU-15 Ländern ebenso wie in mehreren neuen EU-Ländern ist die Lage noch problematischer. Jobunsicherheiten sind in mehreren Mitgliedstaaten auch im höheren Qualifikationssegment gestiegen. |
5.2 |
Der Erwerbseinstieg erfolgt zunehmend über alternative Beschäftigungsformen mit teilweise weit unsichereren arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen. Die Grenzen zwischen Arbeit im formellen und informellen Sektor verschwimmen zunehmend. Für gewisse Gruppen von Jugendlichen, etwa solchen mit niedrigen Qualifikationen, Migrationshintergrund oder solchen, die aus benachteiligten Bevölkerungsschichten kommen, gestaltet sich der Übergang in eine Regelbeschäftigung zunehmend schwierig. Das Risiko des Verharrens am Rande der Erwerbsgesellschaft steigt insbesondere bei Überschneidung mehrerer dieser Charakteristika. |
5.3 |
Hier geht es darum, möglichst allen jungen Menschen Zukunftsperspektiven abseits prekärer Beschäftigung zu geben. Diese Frage hat auch demografische Aspekte: Die ökonomische Lage Jugendlicher hat wesentlichen Einfluss auf die Bereitschaft zur Familiengründung. In diesem Sinn ist zu begrüßen, dass die EU-Kommission in ihrem Frühjahrsbericht neben der weiteren Verbesserung der Qualifikation eine Verstärkung aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen fordert und insbesondere auf eine deutlich rascher einsetzende Unterstützung für Arbeit suchende Jugendliche sowie die Beseitigung struktureller Probleme beim Übergang von der Ausbildung zur Beschäftigung drängt |
5.4 |
Als positive Beispiele können hier bewährte Modelle der Kombination berufsnaher, am Bedarf der Betriebe ausgerichteter Ausbildungssysteme mit schulischer Lehrausbildung in einzelnen Mitgliedstaaten (Deutschland, Österreich, tlw. die Niederlande) gelten. Zahlreiche Untersuchungen heben die Qualität dieser so genannten „Dualen Berufsausbildung“ hervor und schreiben ihr wesentliche Bedeutung für einen leichteren Übergang von der Schule in den Beruf und damit für geringere Differenzen zwischen der Jugendarbeitslosigkeit und der allgemeinen Arbeitslosenquote zu. |
5.5 |
Aktive und präventive Maßnahmen im Bereich Aus- und Weiterbildung zur Verbesserung der Beschäftigungschancen Jugendlicher (10):
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6. Verbesserte Integrationsperspektiven für Zuwanderer
6.1 |
In den meisten EU-Ländern hat sich an der Diskriminierung von Zuwanderern und ihren Familienangehörigen auf dem Arbeitsmarkt wenig geändert. Sie sind weiterhin in Branchen mit schlechten Einkommens- und Arbeitsbedingungen überrepräsentiert, haben ein weit höheres Risiko, arbeitslos zu werden und verharren in hohem Maß in Arbeitsverhältnissen, die durch geringe Absicherung, erhebliche Gesundheitsrisiken, mangelnde Sicherheit und (in einzelnen Ländern) eingeschränkten Tarifschutz gekennzeichnet sind. |
6.2 |
Besonders bedenklich ist die „Vererbung“ dieser prekären Arbeitsmarktposition von der ersten Zuwanderergeneration auf folgende auch durch massive schulische Benachteiligungen. Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund zählen in den meisten Mitgliedstaaten zu den Gruppen mit den größten Jobunsicherheiten und den höchsten Risken, an den Rand des Regelarbeitsmarktes gedrängt zu werden. |
6.3 |
Der EWSA hat bereits mehrfach dargelegt, dass er Arbeitsmigration gerade auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in der EU für notwendig erachtet und dafür positive Beispiele in mehreren Mitgliedstaaten etwa in Spanien und Irland aufgezeigt. Dies muss allerdings stets mit Perspektiven einer entsprechenden Integrationspolitik in den Mitgliedstaaten, v.a. auch was die Beschäftigung betrifft, in Einklang gebracht werden (11). Die Situation hinsichtlich der Zuwanderung variiert in den Mitgliedstaaten erheblich, ebenso wie die ergriffenen integrationspolitischen Maßnahmen u.a. in der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Besondere Aufmerksamkeit sollten die Mitgliedstaaten auf die Situation von Asylsuchenden richten, die häufig besonderen Benachteiligungen ausgesetzt sind. |
6.4 |
Schwerpunkte zur Verbesserung der Integration von Zuwanderern:
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7. Chancen zur Beschäftigung Älterer nutzen
7.1 |
Die zentrale Antwort auf die demografische Herausforderung kann nur lauten: gezielte Wachstumspolitik und Erhöhung der Beschäftigung. Das erforderliche Arbeitskräftepotenzial ist in ausreichendem Maß vorhanden. Doch das Beschäftigungspotenzial älterer Arbeitnehmer (+ 55) ist EU-weit nach wie vor unzureichend genutzt. |
7.2 |
Das Risiko der Langzeitarbeitslosigkeit steigt rapide mit dem Alter. Im EU-25 Durchschnitt liegt die Langzeitarbeitslosigkeit bei Älteren (50-64) bei über 60 %. Vor diesem Hintergrund muss dafür gesorgt werden, dass ältere Arbeitnehmer auch faktisch die Chance haben, eine Beschäftigung zu finden und diese längerfristig auszuüben. |
7.3 |
Wesentliche Ursachen des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben sind gesundheitlicher Verschleiß durch belastende Arbeitsbedingungen, hohe Arbeitsintensität, frühzeitige Entlassungen älterer Arbeitnehmer, mangelnde Fortbildung sowie fehlende (Wieder) Beschäftigungsmöglichkeiten. Anstrengungen, die Erhöhung der Erwerbsquoten älterer Menschen in erster Linie durch Eingriffe in die Altersversorgungssysteme zu lösen, die auf Verschlechterung der Zugangsbedingungen und Anspruchsberechtigungen hinauslaufen, gehen an der Sache vorbei. |
7.4 |
Nur eine bewusste Politik des „aktiven Alterns“ inklusive umfassender Partizipationsmöglichkeiten an Weiterbildungsmaßnahmen und lebensbegleitendem Lernen kann zur nachhaltigen Steigerung der Beschäftigungsquote Älterer führen. Den sozialverträglichen Weg, wie unter Einbindung der Sozialpartner ein funktionierender Arbeitsmarkt für Ältere mit hoher Stabilität der Beschäftigung ebenso wie ein hohes Maß an Erwerbsfähigkeit und Erwerbstätigkeit Älterer geschaffen werden kann, zeigen erfolgreiche Modelle in nordischen Mitgliedstaaten (in erster Linie das integrierte Maßnahmenpaket im Rahmen des nationalen Aktionsprogramms für Ältere in Finnland) auf. |
7.5 |
Kernelemente eines konsequenten Umbaus in Richtung alternsgerechte Arbeitswelt (14):
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8. Verbesserungen bei der Beschäftigung von Frauen
8.1 |
Obwohl Frauen in den letzten 30 Jahren beim formalen Qualifikationsniveau deutlich aufgeholt haben, besteht nach wie vor weit verbreitet keine Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Frauen verbleiben in hohem Maß in traditionellen Dienstleistungssektoren sowie Industriesektoren mit traditionell hohem Anteil an Frauenbeschäftigung. Frauen können ihre Bildungsabschlüsse im Hinblick auf die berufliche Stellung deutlich schlechter verwerten. Die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie ist nach wie vor unvergleichlich schwerer herzustellen als für Männer. |
8.2 |
Der Anteil an Teilzeitbeschäftigung ist in allen Altersgruppen weit höher als bei Männern. Die Zunahme von Teilzeitbeschäftigung, die bei freier Entscheidung und unter Bedingungen, die zu keiner Sackgasse hinsichtlich der Einkommens- und Arbeitsmarktchancen führen, an sich zu begrüßen ist, stellt in den meisten Mitgliedstaaten weiterhin einen Hauptfaktor geschlechtsspezifischer Arbeitsmarktsegmentierung dar. |
8.3 |
Die Einkommensdifferenzen von Frauen und Männern sind nach wie vor in fast allen Berufsgruppen und unabhängig vom Status am Arbeitsmarkt groß. Besonders negativ wirken sich längerfristige Berufsunterbrechungen aufgrund von Betreuungspflichten und Pflegetätigkeiten auf Aufstiegschancen, Einkommen und soziale Ansprüche aus. Während Männer weiterhin mit progressiven Steigerungen mit zunehmendem Alter rechnen können, stagnieren Fraueneinkommen genau in jenen Altersgruppen, in denen sie aufgrund von Kindern ihren Beruf unterbrechen oder auf Teilzeitbeschäftigung umsteigen. |
8.4 |
Dass dies auch anders geht und „Gender Mainstreaming“ in der Arbeitsmarktpolitik mehr als ein Schlagwort sein kann, ist insbesondere an Dänemark oder Schweden zu studieren. Hier sind die Einkommensunterschiede weit geringer, die Erwerbsquoten von Frauen und der Deckungsgrad bei Kinderbetreuungsplätzen — insbesondere für Kinder unter 2 Jahren — weit höher als in anderen Mitgliedstaaten der EU. Ein anderes positives Beispiel stellen die Niederlande dar. Hier existieren hohe Frauenerwerbsquoten bei sehr hoher Teilzeitbeschäftigung, die größtenteils freiwillig ausgeübt wird. |
8.5 |
Eckpunkte zur Lösung von Strukturproblemen der Frauenbeschäftigung (15):
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9. Förderung der Chancen Behinderter am Arbeitsmarkt
9.1 |
Behinderte gehören weiterhin in hohem Maß zur Gruppe der vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossenen. Arbeitnehmer mit Behinderungen müssen mit größerer Wahrscheinlichkeit mit Niedriglohnarbeitsplätzen vorlieb nehmen und werden oft hinsichtlich des Zugangs zu Schulungsmöglichkeiten und des beruflichen Aufstiegs diskriminiert. Angesichts der Tatsache, dass 15 % der EU-Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter eine Behinderung irgendeiner Art haben, sowie der niedrigen Beschäftigungsquote dieser Gruppe würde eine Erhöhung der Beschäftigungsquote behinderter Menschen maßgeblich dazu beitragen, die Ziele der Lissabon-Strategie zu erreichen. |
9.2 |
In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA das Kommissionsdokument „Einbeziehung der Behindertenthematik in die Europäische Beschäftigungsstrategie“ (16), das einen positiven Ausgangspunkt darstellt, um die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt voranzubringen, und darauf aufmerksam macht, dass die Integration in den Arbeitsmarkt das beste Mittel zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung ist. Der Ausschuss verweist darauf, dass die meisten dieser Menschen die Behinderung während ihres Berufslebens erleiden, jedoch nur wenigen die Möglichkeit geboten wird, zu einer entsprechend ihrer Behinderung angepassten Beschäftigung zurückzukehren. Positiv herauszustellen sind in diesem Bereich beispielsweise die in Großbritannien existierende strenge Anti-Diskriminierungsgesetzgebung, die mit Beschwerdemechanismen gekoppelt ist und das dänische Beispiel, das Arbeitsmarktflexibilität mit gleichzeitig ausreichender sozialer Sicherung sowie einem hohen Grad an Aus- und Weiterbildung verknüpft. |
9.3 |
Vorrangige Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung für Menschen mit Behinderung (17):
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Brüssel, den 12. Juli 2007
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Siehe dazu die EWSA-Stellungnahme vom 17.5.2006 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“, Berichterstatter: Herr GREIF (ABl. C 195 vom 18.08.2006).
(2) Siehe hierzu den Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union von Mai 2004.
(3) Idem.
(4) Siehe dazu u.a. die EWSA-Sondierungsstellungnahme vom 13.9.2006 zu dem Thema „Qualität des Arbeitslebens, Produktivität und Beschäftigung im Kontext von Globalisierung und demographischem Wandel“, Berichterstatterin: Frau ENGELEN-KEFER, (ABl. C 23.12.2006).
(5) Siehe dazu u.a. die EWSA-Initiativstellungnahme vom 9.2.2005 zu dem Thema „Beschäftigungspolitik: Rolle des EWSA nach der Erweiterung und in der Perspektive des Lissabonner Prozesses“, Berichterstatter: Herr GREIF (ABl. C 221 vom 8.9.2005).
(6) Siehe dazu diverse Grafiken im Anhang.
(7) Employment in Europe 2006.
(8) Siehe Grünbuch „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, KOM(2006) 708 endg.
(9) Siehe u.a. die EWSA-Stellungnahme vom 11.12.2003 zum Thema „Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2003-2005“, Berichterstatter: Herr DELAPINA, (ABl. C 80 vom 30.3.2004) sowie die EWSA-Stellungnahme vom 17.5.2006 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“, Berichterstatter: Herr GREIF (ABl. C 195 vom 18.8.2006).
(10) Siehe dazu die EWSA-Stellungnahmen: „Mitteilung der Kommission an den Rat über europäische Politiken im Jugendbereich — Die Anliegen Jugendlicher in Europa aufgreifen — Umsetzung des Europäischen Pakts für die Jugend und Förderung der aktiven Bürgerschaft“, (vom 26.10.2005) Berichterstatterin: Frau VAN TURNHOUT (ABl. C 28 vom 3.2.2006); „Mitteilung der Kommission — Sozialpolitische Agenda“ (vom 13.7.2005), Berichterstatterin: Frau ENGELEN-KEFER (ABl. C 294 vom 25.11.2005); „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (gemäß Artikel 128 EG-Vertrag)“ (vom 31.5.2005), Berichterstatter: Herr MALOSSE (ABl. C. 286 vom 17.11.2005).
(11) Siehe dazu die EWSA-Stellungnahme vom 10.12.2003 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Einwanderung, Integration und Beschäftigung“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 80 vom 30.3.2004).
(12) Siehe dazu die EWSA-Stellungnahme vom 28.11.2001 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten“, Berichterstatter: Herr MENGOZZI (ABl. C 48 vom 21.2.2002).
(13) Eurostat arbeitet gegenwärtig an einem Ad-hoc-Modul über die Beschäftigungssituation von Einwanderern und ihrer Nachkommen, das in die Datenerhebung 2008 eingehen soll. Ziel ist es, bei der Europäischen Arbeitskräfteerhebung Personen ausländischer Abstammung besser zu berücksichtigen.
(14) Siehe dazu die EWSA-Stellungnahme vom 15.12.2004 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen:“ Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters, Berichterstatter: Herr DANTIN (ABl. C 157 vom 28.6.2005).
(15) Siehe dazu die EWSA-Stellungnahme vom 13.9.2006 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2006-2010“, Berichterstatterin: Frau ATTARD (ABl. C 318 vom 23.12.2006) sowie die EWSA-Stellungnahme vom 29.9.2005 zur „Armut unter Frauen in Europa“, Berichterstatterin: Frau KING (ABl. C 24 vom 31.1.2006).
(16) EMCO/II/290605.
(17) Siehe dazu die EWSA-Stellungnahme vom 20.4.2006 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Situation behinderter Menschen in der erweiterten Europäischen Union: Europäischer Aktionsplan 2006-2007“, Berichterstatterin: Frau GREIF (ABl. C 185 vom 8.8.2006) sowie die EWSA-Sondierungsstellungnahme vom 17.1.2007 zur „Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen“, Berichterstatter: Herr JOOST, ABl. C 93 vom 27.4.2007.