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Document 52002AE1010
Opinion of the Economic and Social Committee on the "Communication from the Commission to the Council, the European Parliament, the Economic and Social Committee and the Committee of the Regions: Life sciences and biotechnology — A Strategy for Europe"
Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Biowissenschaften und Biotechnologie — eine Strategie für Europa"
Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Biowissenschaften und Biotechnologie — eine Strategie für Europa"
ABl. C 61 vom 14.3.2003, p. 22–28
(ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)
Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Biowissenschaften und Biotechnologie — eine Strategie für Europa"
Amtsblatt Nr. C 061 vom 14/03/2003 S. 0022 - 0028
Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Biowissenschaften und Biotechnologie - eine Strategie für Europa" (2003/C 61/04) Die Kommission beschloss am 25. Januar 2002, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der vorgenannten Mitteilung zu ersuchen. Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. September 2002 an. Berichterstatter war Herr Bedossa. Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 393. Plenartagung am 18./19. September 2002 (Sitzung vom 18. September) mit 124 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme. 1. Einleitung 1.1. Im Anschluss an ihr Konsultationspapier zur strategischen Vision für Biowissenschaften und Biotechnologie, zu dem der Wirtschafts- und Sozialausschuss mit seiner Stellungnahme vom 20. Februar 2002(1) einen Beitrag geleistet hat, unterrichtet die Kommission die EU-Institutionen nunmehr über die von ihr vorgeschlagene Strategie. 1.2. Der Ausschuss begrüßt diese Initiative, da sie von einem gut strukturierten, präzisen, dynamischen und proaktiven Aktionsplan flankiert wird. 1.3. Die umfassende Konsultation, auf die sich die Kommission stützt, gehört zu den Prinzipien für gutes Regieren, die es ermöglichen sollten, die Distanz zwischen den EU-Institutionen und der organisierten Zivilgesellschaft, den NRO und allen Akteuren auf dem Gebiet der Biowissenschaften - den betreffenden öffentlichen und privaten Sektoren, Institutionen, nationalen und europäischen Organisationen - zu verringern. 1.4. Die Analyse des Ausschusses entspricht jener der Kommission: Offenkundig ist die Analyse dieser Strategie keine einfache Aufgabe, da die zahlreichen Fragen einzeln untersucht werden müssen, um entsprechende Antworten finden zu können. 1.4.1. Von der Mitteilung, die sich vornehmlich durch ihren sehr breiten Ansatz auszeichnet, soll ein derartiger Impuls ausgehen, dass sich alle Akteure auf die Ermittlung der Stärken und Schwächen konzentrieren und gemeinsam festlegen, welche Maßnahmen sofort ergriffen und welche Maßnahmen noch erörtert bzw. ausgearbeitet werden müssen. In diesem Bereich ist ein so umfassender Ansatz, wie ihn die Kommission vorschlägt, der einzig mögliche. 1.4.2. Dennoch muss es in letzter Instanz Aufgabe der politischen Verantwortlichen sein, die erforderlichen strategischen Entscheidungen zu erarbeiten und zu treffen. 1.4.3. Der Ausschuss hält es für notwendig und wichtig, im Bereich Biowissenschaften und Biotechnologie Entscheidungsstrukturen zu schaffen, die in das übergeordnete demokratische Regierungssystem der Union eingebettet sind. In jedem Fall müssen diese Strukturen in Einklang mit dem wissenschaftlichen Erbe Europas stehen und für die europäische Gesellschaft akzeptabel sein. 1.5. Die Fragen, die es zu beantworten gilt, betreffen die Qualität der biowissenschaftlichen Forschung in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten und das Maß, in dem den Erwartungen der Gesellschaft entsprochen wird; die Effizienz des Innovationsprozesses, d. h. den Übergang von einer Entdeckung zu ihrer praktischen Umsetzung und die damit verbundenen Schwierigkeiten; die Rolle der Behörden bei der Förderung der Entwicklung von Biowissenschaften und Biotechnologie; die Situation der nachgelagerten Sektoren, die eine entscheidende Bedeutung für die Entwicklung "nützlicher" Forschungsfelder haben (die Pharmaindustrie für den Gesundheitsschutz, die Ernährungswirtschaft für GVO); die Vereinbarkeit mit dem rechtlichen Rahmen, vor allem hinsichtlich der Überwachung der Versuche und der Vermarktung einerseits und hinsichtlich des gewerblichen Rechtsschutzes andererseits (letzterer gehört zu dem übergeordneten Bereich des geistigen Eigentums); die Informiertheit, Beteiligung und Zustimmung der Öffentlichkeit und die ethischen Grenzen, die in der europäischen Gesellschaft zwangsläufig bestehen. 1.6. Die EU, die auf diesem Gebiet in den 80er Jahren als weit abgeschlagen galt, bemüht sich heute, ihren Rückstand aufzuholen - und dies mit gewissem Erfolg. Jene Länder, in denen ein entsprechender Wandel ansteht oder dieser bereits vollends im Gange ist, sind in den Bereichen menschliche Gesundheit und Landwirtschaft ebenso betroffen wie die reichsten Länder, auch wenn sie (China, Australien usw.) hier gegenwärtig nur eine untergeordnete Rolle spielen. Diese Diskrepanz ist besonders herauszustellen, da sie eine neue Art der Ungleichheit angesichts des "Rechts auf Leben" darstellt. 1.7. Wie bei allen Spitzentechnologien vollziehen sich auch im Fall der Biotechnologie die wissenschaftlichen und industriellen Entwicklungen - ebenso wie die Marktentwicklungen - auf globaler Ebene. Es erscheint deshalb logisch, dass gleichzeitig mit diesen Entwicklungen - insbesondere auf europäischer Ebene - ein Korpus von Rechtsvorschriften entsteht, die auf die Überwachung der wissenschaftlichen Experimente und klinischen Versuche zur menschlichen Gesundheit sowie auf den gewerblichen Rechtsschutz (hier vor allem den heiklen Punkt der Patentierbarkeit lebender Organismen) abzielen. 1.8. Bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt wurde eine - hauptsächlich von den Wissenschaftlern selbst initiierte - Debatte über ethische Probleme geführt, die mit dem Fortschritt in der Biologie und der Biotechnologie verknüpft sind. Von Anfang an handelte es sich um eine internationale Debatte, in der jedoch erhebliche Unterschiede zwischen dem Ansatz der EU und dem Ansatz der Vereinigten Staaten zu Tage getreten sind. 1.9. Mit der Biotechnologie geht eine technologische Revolution einher, deren wirtschaftliche Folgen unserer Gesellschaft in mehrerer Hinsicht einen Gestaltungszwang auferlegen: - Die Freiheit der Forschung darf nur innerhalb eines genauen Regelungsrahmens möglich sein. - Es sind Leitlinien erforderlich, um der allgemeinen und beruflichen Bildung einen interdisziplinären Charakter zu verleihen. - Die administrativen Anforderungen für die Durchführung von Forschungsarbeiten müssen vereinfacht werden. 2. Allgemeine Bemerkungen 2.1. Der Ausschuss stellt fest, dass die Kommission die Probleme genau beschreibt, die sich aus der Notwendigkeit einer echten, nützlichen und wirkungsvollen Strategie als Reaktion auf diese technologische Revolution ergeben, auf welche eine politische Antwort gegeben werden muss. 2.1.1. Die Folgen sind derart weit und tief greifend, dass eine politische Antwort vonnöten ist. - Neue Wissenschaftssparten und neue Einsatzmöglichkeiten bilden eine gemeinsame Wissensbasis. - Künftige Anwendungen können zu grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen führen, die weit über jene des Anbaus von GVO hinausgehen. - Dank dieser Wissenschaften erscheint das in Lissabon festgelegte und vom Rat von Stockholm bestätigte Ziel, Europa zu einem führenden wissensbasierten Wirtschaftsraum umzugestalten, leichter zu erreichen. 2.2. Die Haltung der EU erscheint dennoch zögerlich. 2.2.1. Es ist schwierig, die Öffentlichkeit für diese Wissenschaften zu gewinnen. Die EU muss deshalb mit Blick auf die Welt von morgen ihre Politik verantwortungsvoll gestalten. Es gilt, der EU den Platz zu sichern, der ihr gebührt: Die EU kann nur Gehör finden, wenn sie eine Führungsrolle in diesem Bereich übernimmt. 2.3. Die Europäische Kommission stellt fest, dass es einerseits eine erhebliche Zergliederung der Zuständigkeitsbereiche gibt, dass die Achtung des Subsidiaritätsprinzips die Europäer aber andererseits nicht daran hindern sollte, zusammen auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten. Der Ausschuss teilt diese Auffassung. 2.4. Die drei von der Kommission ermittelten strategischen Prioritäten sollten die Entwicklung nachhaltiger und verantwortungsvoller Politiken ermöglichen. - Die durch die Biowissenschaften eröffneten Möglichkeiten müssen menschliche, industrielle und finanzielle Ressourcen mobilisieren, um die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. - Die Unterstützung durch eine informierte und geschulte Öffentlichkeit ist unerlässlich; ethische und soziale Bedenken müssen ernst genommen werden. - Die EU ist mit einer Frage von globaler Bedeutung konfrontiert, auf die sie entsprechende, ihren Interessen am besten dienende Antworten geben muss. Die Kommission schlägt deshalb eine integrierte Strategie vor, die zur Umsetzung eines konkreten und realistischen Aktionsplans mit Empfehlungen unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips dient. Der Ausschuss begrüßt diese konstruktive Haltung der Kommission. 2.5. In folgenden Bereichen entstehen neue Lösungen für reale Probleme: - Gesundheitsfürsorge, - landwirtschaftliche Lebensmittelerzeugung, - Einsatz von Kulturpflanzen für andere Zwecke als Lebensmittel, - Verbesserung der Umwelt. 2.6. Die Nutzung des Potenzials der Biowissenschaften und der Biotechnologie wird sicherlich einen neuen Wirtschaftszweig hervorbringen, der mehr Wohlstand und qualifizierte Arbeitsplätze schafft. 2.6.1. Dazu ist Folgendes erforderlich: - Die Wissensgrundlagen müssen beherrscht werden; neue Kenntnisse müssen verbreitet und angewandt werden. - Die EU muss wieder ein Motor für effiziente und innovative Forschung werden. Die europäische Forschung sollte sich auch auf die neuen Möglichkeiten konzentrieren, die die interdisziplinäre Forschung eröffnet: Die Biotechnologie liefert innovative Konzepte in vielerlei Hinsicht. - Die Forschung muss sich einerseits an den Bedürfnissen der Bürger orientieren und sich andererseits auf einen gesellschaftlichen Konsens stützen. - Die Umsetzung wissenschaftlicher Arbeiten in die Praxis ist von entscheidender Bedeutung. Der Aufbau neuer Kapazitäten bedingt auch die Umgestaltung des gesamten Forschungs- und Innovationsprozesses. Die KMU befinden sich dabei in einer besonders schwierigen Situation. 2.6.2. In diesem Zusammenhang weist die Kommission auf zwei Schwierigkeiten hin: - Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, - Notwendigkeit der Beseitigung aller Engpässe. 2.6.3. Es werden drei Handlungsbereiche genannt: - Stärkung der (finanziellen bzw. humanen) Ressourcen für diesen wissensbasierten Industriezweig, - Vernetzung von Akteuren im Bereich Biotechnologie in Europa, - proaktive Rolle der öffentlichen Stellen. 2.7. Management im Bereich der Biowissenschaften 2.7.1. Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich die von der Kommission vorgeschlagenen Bedingungen. Die technologische Revolution erfordert einen ordnungspolitischen Rahmen auf folgenden Grundlagen: - Konsultation der Gesellschaft im Zuge eines integrativen, fundierten und strukturierten Dialogs, - Entwicklung der Biowissenschaften in Übereinstimmung mit ethischen Werten und gesellschaftlichen Zielen, unter Abwägung der Vor- und Nachteile und unter Beachtung der Grundrechtscharta, - Information von Verbrauchern und Wirtschaftsakteuren (damit diese ihre Wahl frei und in Kenntnis der Sachlage treffen können); der ab Oktober 2002 geltende überarbeitete Rechtsrahmen für GVO dürfte zur Überwindung des derzeitigen Stillstands bei der Zulassung neuer Produkte beitragen, - alle Akteure müssen die notwendigen Anstrengungen unternehmen, um Vertrauen in eine wissenschaftlich untermauerte staatliche Kontrolle zu schaffen. 2.7.2. Der Ausschuss teilt die Auffassung der Kommission, dass der Patentschutz das einzig wirksame Mittel ist, um entscheidende Anreize für Forschung und Entwicklung zu schaffen und Investitionen zu sichern. 2.7.3. Die Kommission legt vier Grundsätze fest, um die strategischen Ziele bei der Regulierung der Biowissenschaften miteinander in Einklang zu bringen: - Risikobeherrschung und Produktzulassung, - Sicherung des Binnenmarkts, - Proportionalität und Wahlmöglichkeit für die Verbraucher, - Vorhersagbarkeit, Modernisierung und Folgenabschätzung. 2.8. Die EU in der Welt 2.8.1. Die Kommission bezeichnet ihre Agenda für die internationale Zusammenarbeit als Antwort auf die internationale Vielfalt. Der Ausschuss begrüßt die Einrichtung offener, multilateraler und auf Regeln basierender Handelssysteme. Diesbezüglich verfügt die EU über langjährige und positive Erfahrungen, insbesondere im Rahmen der OECD und des Codex Alimentarius. Die Rolle und die Effizienz der EU-Beteiligung sollten verstärkt werden. 2.8.2. Der Ausschuss wertet die Feststellung der Kommission positiv, dass die EU gegenüber der Dritten Welt eine besondere Verantwortung hat. Sie muss den dringenden Bedürfnissen der Entwicklungsländer gerecht werden und ihre Kapazitäten in den Dienst dieser Länder stellen. 2.8.2.1. Dazu ist Folgendes erforderlich: - Die EU sollte weiterhin die ausgehandelten internationalen Rahmenwerke unterstützen. - Die EU sollte zu technischer Hilfe, Aufbau von Kapazitäten und Technologietransfer beitragen. - Die EU sollte ausgewogene und gerechte Nord-Süd-Partnerschaften fördern. - Der Ausschusses teilt die Ansicht der Kommission, dass die Zergliederung der Zuständigkeitsbereiche auf der Grundlage einer gemeinsamen Vision für eine kooperative Strategie überwunden werden sollte. 2.8.2.2. Merkmale dieser Strategie sollten sein: - Überwachung des Fortschritts, - Kohärenz der Gemeinschaftspolitik, - Koordinierung und Benchmarking, - und vor allem Aufmerksamkeit, d. h. politische Wachsamkeit und politische Impulse. 2.8.2.3. Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag der Kommission zur Einrichtung eines ständigen Forums (möglichst unter Einbeziehung der Interessenvertreter), zu dem er einen Beitrag leisten möchte. 2.9. Aktionsplan 2.9.1. Nach der Beschreibung der Probleme, die die angestrebte Strategie im Bereich von Biowissenschaften und Biotechnologie aufwirft, formuliert die Kommission einen 30 Punkte umfassenden Aktionsplan, in dem sie die Verpflichtungen und Taktiken erläutert, die für die Umsetzung der Strategie und die Erreichung ihrer Ziele erforderlich sind. Der Ausschuss begrüßt die gut strukturierten Darstellungen der einzelnen Aktionen. Diese Darstellungen umfassen - eine detaillierte Beschreibung, - eine Liste der betroffenen Akteure, - einen genauen und/oder offenen Zeitplan. 2.9.2. Der proaktive Ansatz der Kommission ist um so bemerkenswerter, als in dem Aktionsplan das Subsidiaritätsprinzip berücksichtigt wird. 3. Besondere Bemerkungen Der Ausschuss unterstützt den Strategieplan, dessen Tragweite aus den Darstellungen ersichtlich ist. Gleichwohl werden nach Auffassung des Ausschusses einige spezifische Aspekte nicht hinreichend erläutert: 3.1. Forschung auf dem Gebiet der Biowissenschaften 3.1.1. Im Bereich der Biowissenschaften spielt die öffentliche Forschung eine entscheidende Rolle, die durchgeführt wird von - großen öffentlichen Wissenschafts- und Technologiezentren, - großen Vereinen, die umfangreiche Privatspenden sammeln, - Unternehmen, vornehmlich Pharma-, Saatgut- und Agrochemieunternehmen. 3.1.2. Dennoch verpflichtet die rasche Wissensvermehrung und die Schnelligkeit, mit der potenzielle Anwendungen wissenschaftlicher Erkenntnisse eigentumsrechtlich geschützt werden, immer mehr Unternehmer zu einer Forschung in vorgelagerten Bereichen, die nicht notwendigerweise innerhalb der EU durchgeführt werden. 3.1.3. Zur Bewältigung der von der Kommission beschriebenen Herausforderung können vor allem die Beispiele aus den Vereinigten Staaten - auch wenn sie nicht eins zu eins auf die EU übertragen werden können - die Richtung für die Entwicklung der Biowissenschaften vorgeben. Die Entwicklung der Biowissenschaften muss in engerer Koordinierung zwischen den Akteuren und der EU entschieden vorangetrieben werden. Es ist erforderlich, - die Forschung auf dem Gebiet der Biowissenschaften - vor allem was die Anwendungsmöglichkeiten der Genetik anbelangt - zu fördern; - die Beziehungen zwischen Forschung und Innovation durch die Schaffung der rechtlichen, finanziellen, aber auch psychologischen Voraussetzungen für eine schnelle Umsetzung theoretischer Erkenntnisse in innovative Anwendungen zu verbessern; - die Beteiligung der Industrie in früheren Phasen des Prozesses durch den Ausbau der Forschungszusammenarbeit mit externen Laboratorien und Biotech-Unternehmen zu verstärken; - zu gewährleisten, dass die EU den Platz einnimmt, der ihr gebührt, d. h.: die Entwicklung der Biowissenschaften anzuregen, ohne alles kontrollieren zu wollen; rechtliche oder bürokratische Hindernisse, die Initiativen im Wege stehen, zu beseitigen und vor allem ihre Politik einheitlich, dynamisch und nachhaltig zu gestalten. 3.2. Fragen der Ethik und der Akzeptanz 3.2.1. Die Biotechnik wirft wichtige und schwierige ethische Fragen auf. 3.2.1.1. Diese Fragen betreffen zunächst die Essenz der Genforschung und ihrer Anwendungen, vor allem was die menschliche Gesundheit anbelangt: Es geht um das Leben selbst, um unser genetisches Erbe, dessen Evolution, Reichtum und Komplexität Schritt für Schritt entdeckt werden - mitsamt den Möglichkeiten und Prädispositionen, die in ihm stecken, so dass sich für medizinische Anwendungen wie auch für die kognitiven Wissenschaften ein fast unbegrenztes Tätigkeitsfeld öffnet. 3.2.2. Dank der in den letzten Jahrzehnten erzielten Durchbrüche findet der Übergang von einer Entdeckung zu ihrer ersten Anwendung mit einer Schnelligkeit statt, für die das Wettrennen um die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms und der Beginn der Entschlüsselung des menschlichen Proteoms beispielhaft ist. 3.2.3. Die Unterschiede hinsichtlich des ethischen Ansatzes gehen über die Grenzen der Biotechnik und oftmals sogar über die der Bioethik im eigentlichen Sinne hinaus. Sie betreffen die expliziten oder impliziten Werte verschiedener menschlicher Gesellschaften. Vielfach wird unterschieden zwischen dem Kantischen, normativen Ansatz der Gesellschaft Westeuropas, die von dem Prinzip der Universalität des Menschen ausgeht, und dem eher utilitaristischen Ansatz der anglo-amerikanischen Welt, die apriorische Prinzipien ablehnt und die die Moral einer Handlung nach ihren praktischen Auswirkungen bewertet. Dieser Unterschied in der Wertehierarchie ist eine Erklärung für die zögerliche Haltung der amerikanischen Regierung und Öffentlichkeit, wenn es um den Erlass spezifischer Rechtsvorschriften zur Biotechnologie geht. 3.2.4. Aber auch innerhalb der EU gibt es merkliche, geschichtlich bedingte Unterschiede hinsichtlich der Sensibilität: - Eine der großen Unbekannten der künftigen ethischen Debatte über die Biotechnologie ist die Haltung, die Länder wie China oder Indien einnehmen werden, sobald sie unmittelbar betroffen sind. - Die ethische Debatte ist durch den verschärften Wettbewerb in Wissenschaft und Wirtschaft notwendiger, aber auch schwieriger geworden. Dies gilt sowohl für die Ethik wissenschaftlicher Kommunikation als auch für die Ethik wissenschaftlicher Experimente. Seit der Geburt Dollys machen die zahlreichen Meldungen über "Fortschritte" beim Klonen die Dringlichkeit einer intensiveren ethischen Auseinandersetzung deutlich. 3.3. Transgenese: Umwelt und öffentliche Wahrnehmung 3.3.1. Man kann zu Recht fragen, warum die Transgenese ein solch großes Echo hervorruft, wo doch die konventionelle Zuchtwahl niemals auf Ablehnung gestoßen ist. Dieser Umstand mag in den besonderen Merkmalen der Transgenese begründet sein. Aufgrund ihrer Schnelligkeit und ihrer Fähigkeit zur Überwindung der Artengrenze verursacht sie angeblich mit größerer Wahrscheinlichkeit Störungen im Ökosystem. Manche halten Umweltprobleme jedoch nur für einen Vorwand, um GVO zu ächten, ohne die wahren - ethischen, religiösen oder ideologischen - Motive zu nennen. 3.3.2. Immer mehr Verbraucher sorgen sich um den Umweltschutz. Sie interessieren sich nicht mehr nur für die Qualität und den Preis von Lebensmitteln, sondern auch für die Herstellungsverfahren und deren Umweltfolgen. Der BSE-Skandal hat ihnen plötzlich bewusst gemacht, dass man in der Landwirtschaft imstande ist, sich über naturgegebene Zwänge hinwegzusetzen, um den Erwartungen der nachgelagerten Industrie zu entsprechen. Die Verbraucher haben zum Teil das Vertrauen in die Wissenschaft verloren und halten den Risikofaktor für wichtiger. Deshalb verlangen sie Garantien. 3.3.3. Das Problem besteht in der Grenzziehung zwischen den Garantien, auf die die Bürger ein Anrecht haben, und den Garantien, die die Forscher den Bürgern nicht geben können. Wissenschaftlicher Fortschritt birgt Risiken, die schwer einzuschätzen sind. Die Gesellschaft akzeptiert diese Risiken, wenn sie erkennt, dass die betreffenden Techniken von besonderem Nutzen sind (in solchen Fällen spricht man von "akzeptablen Risiken"). 3.3.4. Im Fall pflanzlicher oder tierischer Transgenese ist das Gefahren-Nutzen-Verhältnis nicht eindeutig geklärt. Dies begründet die Schwierigkeit der Debatte. 3.3.5. Für jeden GVO erscheint eine gesonderte soziale Bewertung des Gefahren-Nutzen-Verhältnisses unerlässlich, damit GVO seitens der Bevölkerung legimitiert und akzeptiert werden. 3.4. Bildung 3.4.1. In der Strategie der Kommission wird jedoch nicht hinreichend die Tatsache berücksichtigt, dass es dringend notwendig ist, der gesamten Bevölkerung Europas, vor allem den Jugendlichen, das neue Wissen zu vermitteln. Das gesamte Bildungssystem muss dieser Notwendigkeit Rechnung tragen. 3.4.2. Wie in der Stellungnahme zur "Mitteilung der Kommission: Eine strategische Vision für Biowissenschaften und Biotechnologie - Konsultationspapier"(2) schlägt der Ausschuss der Kommission Folgendes vor: - Entwicklung von Pilot-Bildungsprogrammen, um die Bürger mit den Fortschritten im Bereich Biowissenschaften und Biotechnologie vertraut zu machen; - Aufstellung eines Plans, der mehrere integrierte Gemeinschaftspolitiken umfasst, insbesondere: - Maßnahmen zur stärkeren Berücksichtigung von Biowissenschaften und Biotechnologie im Schulunterricht; - Anstrengungen zur Beseitigung von Hindernissen, die die Bürger Europas beim Zugang zu diesem Wissen überwinden müssen. 4. Vorschläge des Ausschusses 4.1. Zwar erscheint die Mitteilung der Kommission ausgewogen und gut strukturiert - und ihr Aktionsplan klar gegliedert, proaktiv und praktisch -, doch sind einige Grundsätze und Ziele augenscheinlich nicht nuanciert bzw. prononciert genug angesichts des übergeordneten Ziels, das für die Zukunft der EU von großer Bedeutung ist und in der öffentlichen Meinung als besonders brisant gilt (vor allem wegen der Fragen und der Gefühle, die es in allen EU-Mitgliedstaaten und allen Bevölkerungskreisen auslöst). 4.2. Der Ausschuss fordert, dass die Anwendung zweier allgemeiner Prinzipien im Vorfeld genau geregelt und eine Kodifizierung eingeleitet wird. 4.2.1. Prinzip der Vorbeugung und Vorsorge(3) 4.2.1.1. Das Vorsorgeprinzip muss konsequent angewandt werden, auch im Bereich der Biokontrolle. Es muss in jeder Phase zur Anwendung gelangen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass das Prinzip von der gesamten internationalen Gemeinschaft in derselben Weise anerkannt und auf internationaler Ebene einheitlich angewandt werden muss. Dies trifft offenkundig nicht auf die derzeitige Situation zu. Die EU sollte eine internationale Konferenz vorschlagen, um zu einer kodifizierten Anwendung zu gelangen. 4.2.2. Prinzip der Verantwortlichkeit 4.2.2.1. Dieses Prinzip (Schäden/Belastungen) sollte im Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umwelthaftung betreffend die Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt deutlich herausgestellt werden(4). 4.2.3. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der vorgeschlagene Aktionsplan um folgende als besonders wichtig erachtete Punkte erweitert werden sollte: 4.2.3.1. Alle europäischen Jugendlichen sollten in puncto Biowissenschaften ausgebildet und sensibilisiert werden (dazu ist es notwendig, ein Rahmenprogramm aufzulegen und entsprechende Finanzmittel vorzusehen). 4.2.3.2. Die Zuständigkeiten aller Akteure müssen genauer festgelegt werden, insbesondere jene: - der europäischen Institutionen; - der Mitgliedstaaten, in Übereinstimmung mit dem Subsidiaritätsprinzip. Die Behörden müssen ihre Zuständigkeiten genau festlegen, bevor sie Entscheidungen treffen, und die Verantwortung für die einmal getroffenen Entscheidungen übernehmen; - der Fachleute und Sachverständigenausschüsse, auf die sich die Entscheidungsprozesse stützen. 4.2.3.3. Informationen als Voraussetzung für alle Entscheidungen: - Gewährleistung größtmöglicher Transparenz in allen Phasen der Forschung; - Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit und der eindeutigen, leserlichen Kennzeichnung aller Produkte; - Umsetzung der gesetzlich vorgesehenen Kennzeichnung; - Ergänzung der europäischen Gesetzgebung durch die Verabschiedung von Gemeinschaftsvorschriften über Saatgut und Futtermittel, die GVO enthalten; - Kennzeichnung von Zwischenerzeugnissen; - Berücksichtigung der Verbraucherinteressen auf internationaler Ebene, z. B. durch die Annahme von Gefahren-Nutzen-Kriterien in allen Verhandlungsinstanzen. 4.2.3.4. Eine fortlaufende Debatte - mit folgenden Zielen: - Bewertung und Anerkennung wissenschaftlicher Fortschritte; - Festlegung einer Kommunikationsstrategie zur Stärkung des Zusammenhalts und der Transparenz der EU-Politik auf diesem Gebiet (diese Strategie muss laufend erneuert und erweitert werden und vor allem die Ausbildung und Sensibilisierung der Jugendlichen einbeziehen); - Verbreitung objektiver Informationen und Gewährleistung der Pluralität der Debatte durch die Behörden. 4.2.3.5. In jeder Phase muss auf die "Pflicht zum Teilen" hingewiesen werden. - Leider sind die Entwicklungsländer eher Zuschauer als Akteure. Diese Tatsache erscheint noch besorgniserregender angesichts der dort vorherrschenden Ernährungs-, Gesundheits- und Umweltprobleme. - Die EU muss die Solidarität als zentralen Parameter festlegen - und zwar die Solidarität zwischen reichen und armen Ländern und die Solidarität hinsichtlich der gemeinsamen Verantwortung für den Umweltschutz (in diesem Zusammenhang sind umfangreichere öffentliche Mittel zur Bekämpfung der Armut und zur Gewährleistung der Nahrungsmittelselbstversorgung erforderlich). 4.3. Gemeinschaftspatent 4.3.1. Der rasche Fortschritt von Wissenschaft und Technik sowie die schnelle Zunahme von Forschungsarbeiten wirken sich auf die Entwicklung des Rechts an geistigem Eigentum aus, da hier zu den traditionellen Fragen solche hinzukommen, die die Art der Innovation selbst oder die ethische Verantwortbarkeit ihrer Patentierbarkeit betreffen. 4.3.1.1. Um den wirkungsvollsten Schutz einer Erfindung zu gewährleisten, muss das Eigentumsrecht auf internationaler Ebene angewandt werden. In den Abkommen über die Rechte an geistigem Eigentum im Bereich des Handels gibt es eine Reihe von Vorschriften, von denen sich einige ausdrücklich auf die Biotechnologie beziehen. 4.3.2. Neben der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) existiert das Europäische Patentamt (EPA), das ein gemeinsames Verfahren zur Anmeldung von Patenten anbietet (die Verfahren zur Anwendung sind hingegen auf nationaler Ebene geregelt). 4.3.2.1. Deshalb ist die Einführung eines Gemeinschaftspatents dringend angezeigt. 4.3.3. Es besteht ein wesentlicher Unterschied zum amerikanischen Patentrecht: In den Vereinigten Staaten hat der "Erfinder" das Patentrecht, nicht aber derjenige, der zuerst das Patent anmeldet. 5. Schlussbemerkung 5.1. Es gilt der EU den Platz zu sichern, der ihr gebührt: Die EU wird nur dann Gehör finden, wenn sie eine Führungsrolle auf dem Gebiet der Biowissenschaften spielt. Es ist unerlässlich, dass man sich in der EU des Potenzials für Wettbewerb, Wachstum und Beschäftigung stärker bewusst wird. Deshalb müssen die einzelnen Akteure dauerhaft zur organisierten Zusammenarbeit bereit sein. Weiterhin sind eine Strategie und gemeinsame Instrumente - vor allem ein Gemeinschaftspatent - vonnöten. Die Innovation macht zweifellos neue dynamische, konstruktive und transparente Verwaltungsmethoden erforderlich, um der rasch steigenden Zahl und Größe neuer Forschungsgebiete Rechnung zu tragen. Es ist kreatives Konzept notwendig, das stärker als bisher auf Impulse, Anreize und Erleichterungen setzt. Dass die EU auf dem Gebiet der Biowissenschaften die ihr gebührende Rolle spielen kann, setzt entschlossenes und ausdauerndes Handeln voraus. Brüssel, den 18. September 2002. Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses Göke Frerichs (1) ABl. C 94 vom 18.4.2002. (2) ABl. C 94 vom 18.4.2002. (3) ABl. C 268 vom 19.9.2000. (4) KOM(2002) 17 endg.