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Dokument 62021CJ0164

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 13. Oktober 2022.
„Bsaltijas Starptautiskā Akadēmija” SIA und „Stockholm School of Economics in Riga” SIA gegen Latvijas Zinātnes padome.
Vorabentscheidungsersuchen des Administratīvā rajona tiesa und Administratīvā apgabaltiesa.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 651/2014 – Art. 2 Nr. 83 – Unmittelbarer und unbedingter Verweis auf Unionsrecht – Zulässigkeit der Fragen – Beihilfen für Forschung und Entwicklung und Innovation – Begriff ‚Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung‘ – Hochschule, die wirtschaftliche und nicht wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt – Bestimmung der Hauptaufgabe.
Verbundene Rechtssachen C-164/21 und C-318/21.

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2022:785

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

13. Oktober 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 651/2014 – Art. 2 Nr. 83 – Unmittelbarer und unbedingter Verweis auf Unionsrecht – Zulässigkeit der Fragen – Beihilfen für Forschung und Entwicklung und Innovation – Begriff ‚Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung‘ – Hochschule, die wirtschaftliche und nicht wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt – Bestimmung der Hauptaufgabe“

In den verbundenen Rechtssachen C‑164/21 und C‑318/21

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) (C‑164/21) und der Administratīvā apgabaltiesa (Regionalverwaltungsgericht, Lettland) (C‑318/21) mit Entscheidungen vom 12. März 2021 und vom 11. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 12. März 2021 bzw. am 21. Mai 2021, in den Verfahren

„Baltijas Starptautiskā Akadēmija“ SIA (C‑164/21),

„Stockholm School of Economics in Riga“ SIA (C‑318/21)

gegen

Latvijas Zinātnes padome

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richterin L. S. Rossi, der Richter J.‑C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),

Generalanwältin: T. Ćapeta,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der „Baltijas Starptautiskā Akadēmija“ SIA, vertreten durch I. Cvetkova,

der „Stockholm School of Economics in Riga“ SIA, vertreten durch E. Balode-Buraka, D. Driče und L. Rasnačs, Advokāti,

der lettischen Regierung, vertreten durch J. Davidoviča, I. Hūna und K. Pommere als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, M. Gijzen, J. Hoogveld und J. Langer als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Arenas, C. Kovács und A. Sauka als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. April 2022

folgendes

Urteil

1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 Nr. 83 der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] (ABl. 2014, L 187, S. 1).

2

Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der „Baltijas Starptautiskā Akadēmija“ SIA (im Folgenden: BSA) bzw. der „Stockholm School of Economics in Riga“ SIA (im Folgenden: SSE), zwei privatrechtlichen Hochschulen, und dem Latvijas Zinātnes padome (Wissenschaftlicher Rat Lettlands) wegen der Ablehnung von Projektfinanzierungsanträgen, die diese Hochschulen im Rahmen von Ausschreibungen des Wissenschaftlichen Rates Lettlands im Bereich der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung gestellt haben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 651/2014

3

In den Erwägungsgründen 45, 47, 48 und 49 der Verordnung Nr. 651/2014 heißt es:

„(45)

Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen sowie Innovationsbeihilfen können zu nachhaltigem wirtschaftlichem Wachstum, größerer Wettbewerbsfähigkeit und mehr Beschäftigung beitragen. Die Erfahrungen mit der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 800/2008 [der Kommission vom 6. August 2008 zur Erklärung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel [107 und 108 AEUV] (allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung) (ABl. 2008, L 214, S. 3)] und des Gemeinschaftsrahmens für staatliche Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation zeigen, dass Marktversagen dazu führen kann, dass über den Markt nicht der optimale Nutzen erreicht wird und das Ergebnis in Bezug auf externe Effekte, öffentliche Güter/Wissensspillover, unzureichende und asymmetrische Informationen sowie mangelnde Koordinierung und Netzbildung ineffizient ist.

(47)

Bei Beihilfen für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben sollte der geförderte Teil des Forschungsvorhabens vollständig in die Kategorien Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung einzuordnen sein. …

(48)

Für bahnbrechende Forschung und Entwicklung werden Forschungsinfrastrukturen hoher Qualität immer wichtiger, denn sie ziehen Fachleute aus der ganzen Welt an und sind insbesondere für die Unterstützung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien wie auch Schlüsseltechnologien unabdingbar. …

(49)

Forschungsinfrastrukturen können sowohl wirtschaftliche als auch nichtwirtschaftliche Tätigkeiten ausüben. Damit die Finanzierung nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten aus staatlichen Zuwendungen nicht zur Gewährung staatlicher Beihilfen für wirtschaftliche Tätigkeiten führt, sollten die Kosten und die Finanzierung wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten klar voneinander getrennt werden. Wird eine Infrastruktur sowohl für wirtschaftliche als auch für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten genutzt, so stellt eine aus staatlichen Mitteln erfolgende Finanzierung der Kosten, die mit den nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten der Infrastruktur verbunden sind, keine staatliche Beihilfe dar. …“

4

Art. 1 („Geltungsbereich“) dieser Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Diese Verordnung gilt für folgende Gruppen von Beihilfen:

d)

Beihilfen für Forschung und Entwicklung und Innovation;

…“

5

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:

Begriffsbestimmungen für Beihilfen für Forschung und Entwicklung und Innovation

83. ‚Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung‘: Einrichtungen wie Hochschulen oder Forschungsinstitute, Technologietransfer-Einrichtungen, Innovationsmittler, forschungsorientierte physische oder virtuelle Kooperationseinrichtungen, unabhängig von ihrer Rechtsform (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) oder Finanzierungsweise, deren Hauptaufgabe darin besteht, unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zu betreiben oder die Ergebnisse solcher Tätigkeiten durch Lehre, Veröffentlichung oder Wissenstransfer zu verbreiten. Übt eine solche Einrichtung auch wirtschaftliche Tätigkeiten aus, muss sie über deren Finanzierung, Kosten und Erlöse getrennt Buch führen. Unternehmen, die beispielsweise als Anteilseigner oder Mitglied bestimmenden Einfluss auf eine solche Einrichtung ausüben können, darf kein bevorzugter Zugang zu den von ihr erzielten Forschungsergebnissen gewährt werden“.

Mitteilung der Kommission von 2014

6

Die Mitteilung der Europäischen Kommission mit dem Titel „Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation“ (ABl. 2014, C 198, S. 1) (im Folgenden: Mitteilung der Kommission von 2014) sieht in ihren Rn. 17, 19 und 20 vor:

„17.

Einrichtungen für Forschung und Wissensverbreitung (‚Forschungseinrichtungen‘) und Forschungsinfrastrukturen sind Empfänger staatlicher Beihilfen, wenn ihre öffentliche Finanzierung alle Voraussetzungen des Artikels 107 Absatz 1 AEUV erfüllt. Wie in der Bekanntmachung der Kommission über den Begriff der staatlichen Beihilfe ausgeführt und im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss es sich bei dem Beihilfeempfänger um ein Unternehmen handeln, wobei der Unternehmenscharakter jedoch nicht von der Rechtsform (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) oder dem wirtschaftlichen Charakter (gewinnorientiert oder nicht) des Beihilfeempfängers abhängt, sondern davon, ob er eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, d. h., ob er auf einem bestimmten Markt Produkte oder Dienstleistungen anbietet …

19.

Die Kommission betrachtet die folgenden Tätigkeiten im Allgemeinen als nichtwirtschaftliche Tätigkeiten:

a)

Primäre Tätigkeiten von Forschungseinrichtungen und Forschungsinfrastrukturen, insbesondere:

die Ausbildung von mehr oder besser qualifizierten Humanressourcen. Im Einklang mit der Rechtsprechung … und Beschlusspraxis der Kommission … und wie in der Bekanntmachung der Kommission über den Begriff der staatlichen Beihilfe und in der DAWI-Mitteilung … ausgeführt, gilt die innerhalb des nationalen Bildungswesens organisierte öffentliche Bildung, die überwiegend oder vollständig vom Staat finanziert und überwacht wird, als nichtwirtschaftliche Tätigkeit …;

unabhängige [Forschung und Entwicklung] zur Erweiterung des Wissens und des Verständnisses, auch im Verbund, wenn die Forschungseinrichtung bzw. die Forschungsinfrastruktur eine wirksame Zusammenarbeit eingeht …;

weite Verbreitung der Forschungsergebnisse auf nichtausschließlicher und nichtdiskriminierender Basis, zum Beispiel durch Lehre, frei zugängliche Datenbanken, allgemein zugängliche Veröffentlichungen oder offene Software.

b)

Tätigkeiten des Wissenstransfers, soweit sie entweder durch die Forschungseinrichtung oder Forschungsinfrastruktur (einschließlich ihrer Abteilungen oder Untergliederungen) oder gemeinsam mit anderen Forschungseinrichtungen oder Forschungsinfrastrukturen oder in deren Auftrag durchgeführt werden, sofern die Gewinne aus diesen Tätigkeiten in die primären (s. o.) Tätigkeiten der Forschungseinrichtung oder der Forschungsinfrastruktur reinvestiert werden. Der nichtwirtschaftliche Charakter dieser Tätigkeiten bleibt durch die im Wege einer offenen Ausschreibung erfolgende Vergabe entsprechender Dienstleistungen an Dritte unberührt.

20.

Wird eine Forschungseinrichtung oder Forschungsinfrastruktur sowohl für wirtschaftliche als auch für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten genutzt, fällt die staatliche Finanzierung nur dann unter die Beihilfevorschriften, wenn sie Kosten deckt, die mit den wirtschaftlichen Tätigkeiten verbunden sind. …“

Lettisches Recht

7

Das Dekret Nr. 725 des Ministerrats vom 12. Dezember 2017 (Latvijas Vēstnesis, 2017, Nr. 248) mit dem Titel „Fundamentālo un lietišķo pētījumu projektu izvērtēšanas un finansējuma administrēšanas kārtība“ (Verfahren zur Beurteilung von Projekten im Bereich der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung sowie Modalitäten der Verwaltung ihrer Finanzierung) bestimmt in Ziff. 2.7:

„Die das Projekt vorschlagende Einrichtung ist eine im Register der wissenschaftlichen Einrichtungen eingetragene wissenschaftliche Einrichtung, die unabhängig von ihrer Rechtsform (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) oder Finanzierungsweise gemäß den für ihre Tätigkeiten geltenden Vorschriften (Satzung, Geschäftsordnung oder Gründungsakt) Haupttätigkeiten nicht wirtschaftlicher Art ausübt und der Definition einer Forschungseinrichtung gemäß Art. 2 Nr. 83 der [Verordnung Nr. 651/2014] entspricht.“

8

Ziff. 6 des Dekrets Nr. 725 lautet:

„Die das Projekt vorschlagende Einrichtung muss ein Projekt durchführen, das nicht mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängt. Sie muss die Haupttätigkeiten, die nicht wirtschaftlicher Natur sind (und die entsprechenden Finanzströme), klar von den Tätigkeiten trennen, die als wirtschaftliche Tätigkeiten gelten. Als wirtschaftliche Tätigkeiten gelten Tätigkeiten, die für einen Auftraggeber durchgeführt werden, die Vermietung von Forschungsinfrastrukturen sowie Beratungsleistungen. Soweit die wissenschaftliche Einrichtung sonstige wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, die nicht den Haupttätigkeiten nicht wirtschaftlicher Art entsprechen, muss sie ihre Haupttätigkeiten und die entsprechenden Finanzströme von ihren übrigen Tätigkeiten und den diesen entsprechenden Finanzströmen trennen.“

9

Ziff. 12.5 des Dekrets Nr. 725 bestimmt:

„Der [Wissenschaftliche Rat Lettlands] prüft, ob der Projektvorschlag mit den folgenden verwaltungsrechtlichen Zulässigkeitskriterien vereinbar ist: Das Projekt wird in einer wissenschaftlichen Einrichtung durchgeführt, die den Anforderungen des vorliegenden Dekrets entspricht.“

Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

10

In den beiden Rechtssachen, mit denen die vorlegenden Gerichte befasst sind, stehen auf Klägerseite zwei privatrechtliche Hochschulen, die sich auf zwei verschiedene, in den Jahren 2019 und 2020 veröffentlichte Ausschreibungen des Wissenschaftlichen Rates Lettlands beworben haben, um die Finanzierung von Forschungsprojekten zu erlangen.

11

Der Wissenschaftliche Rat Lettlands ist eine unter der Aufsicht des Ministers für Bildung und Wissenschaft stehende Verwaltungsbehörde, deren Aufgabe es ist, die nationale Politik im Bereich der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung umzusetzen, indem sie die Expertise, die Umsetzung und die Überwachung von wissenschaftlichen Forschungsprogrammen und ‑projekten gewährleistet, die aus dem Staatshaushalt, durch die Strukturfonds der Europäischen Union und durch andere ausländische Finanzinstrumente finanziert werden.

Rechtssache C‑164/21

12

Die BSA ist eine in Lettland ansässige Handelsgesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftstätigkeit darin besteht, Dienstleistungen der Hochschulbildung akademischer und nicht akademischer Art zu erbringen. Es handelt sich um eine staatlich anerkannte Hochschule, die im Register der wissenschaftlichen Einrichtungen eingetragen ist.

13

Mit Entscheidung vom 23. Januar 2020 genehmigte der Wissenschaftliche Rat Lettlands die „Regelung der allgemeinen Ausschreibung für Grundlagenforschungsprojekte mit Geltung für das Jahr 2020“, in deren Rahmen die BSA einen Projektvorschlag einreichte.

14

Mit Entscheidung vom 14. April 2020 lehnte der Wissenschaftliche Rat Lettlands den Projektvorschlag der BSA als nicht förderfähig ab. Zur Begründung führte er aus, die BSA könne nicht als eine wissenschaftliche Einrichtung im Sinne des Dekrets Nr. 725 angesehen werden, da sie nicht der Definition des Begriffs „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ gemäß Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 entspreche.

15

Konkret wies der Wissenschaftliche Rat Lettlands darauf hin, dass die von der BSA eingereichten Unterlagen keine Informationen darüber enthielten, ob die Durchführung unabhängiger Forschung ihre Haupttätigkeit sei. Insoweit sei festzustellen, dass ihr Umsatz im Jahr 2019 zu 84 % aus den Gebühren für die akademische Tätigkeit bestanden habe, die angesichts der Art der Tätigkeit der BSA (einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Hauptzweck in der Erzielung von Gewinnen bestehe) eine wirtschaftliche Tätigkeit darstelle. Die Haupttätigkeit der BSA sei folglich als gewerblich anzusehen.

16

Der Wissenschaftliche Rat Lettlands war ferner der Ansicht, dass die von der BSA eingereichten Unterlagen nicht hinreichend erkennen ließen, dass Unternehmen, die beispielsweise als Anteilseigner oder Mitglied Einfluss auf sie ausüben könnten, keinen privilegierten Zugang zu ihren Forschungskapazitäten oder zu den Ergebnissen der von ihr betriebenen Forschung hätten. Folglich könne die BSA nicht garantieren, dass die Durchführung des Projekts und die Verwendung des Anteils an seiner Finanzierung mit Ziff. 6 des Dekrets Nr. 725 im Einklang stünden, wonach die das Projekt vorschlagende Einrichtung ein Projekt durchführen müsse, das nicht mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhänge, und die Haupttätigkeiten, die nicht wirtschaftlicher Natur seien (und die entsprechenden Finanzströme), klar von den Tätigkeiten trennen müsse, die als wirtschaftliche Tätigkeiten gälten.

17

Die BSA focht die ablehnende Entscheidung des Wissenschaftlichen Rates Lettlands vor der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) an und machte geltend, dass die unabhängige Forschung ihre Haupttätigkeit darstelle. Weder in der Verordnung Nr. 651/2014 noch in der Ausschreibungsregelung sei vorgeschrieben, dass die das Projekt vorschlagende Einrichtung keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und keinen Gewinn aus einer solchen erzielen dürfe. Es sei auch nicht geregelt, wie das Verhältnis zwischen der wirtschaftlichen und der nicht wirtschaftlichen Tätigkeit sein müsse. Die BSA trägt außerdem vor, sie trenne klar die Haupttätigkeiten, die nicht wirtschaftlicher Art seien, von den wirtschaftlichen Tätigkeiten; dies gelte auch für die entsprechenden Finanzströme.

18

Das vorlegende Gericht fragt sich daher, wie der Begriff „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne von Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014, auf den die lettischen Rechtsvorschriften verweisen, auszulegen ist und nach welchen Kriterien sich bestimmen lässt, ob es sich um eine solche Einrichtung handelt.

19

Unter diesen Umständen hat die Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Kann eine (privatrechtliche) Einrichtung, die mehrere Haupttätigkeiten, einschließlich Forschung, ausübt, deren Einnahmen aber hauptsächlich aus der Erbringung von Bildungsdienstleistungen gegen Entgelt stammen, als Einrichtung im Sinne von Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 eingestuft werden?

2.

Ist es gerechtfertigt, auf das Verhältnis der Finanzierung (Einnahmen und Ausgaben) der wirtschaftlichen und der nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten abzustellen, um zu ermitteln, ob die Einrichtung das in Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 genannte Erfordernis erfüllt, wonach die Hauptaufgabe der Einrichtung darin bestehen muss, unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zu betreiben oder die Ergebnisse solcher Tätigkeiten durch Lehre, Veröffentlichung oder Wissenstransfer zu verbreiten? Sollte diese Frage bejaht werden, welches Verhältnis der Finanzierung der wirtschaftlichen und der nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten wäre dann bei der Ermittlung des Hauptzwecks der Tätigkeiten der Einrichtung angemessen?

3.

Ist es im Einklang mit Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 gerechtfertigt, darauf abzustellen, dass die Einnahmen aus der Haupttätigkeit in die Haupttätigkeit der betreffenden Einrichtung reinvestiert werden, und müssen weitere Aspekte gewürdigt werden, um den Hauptzweck der Tätigkeiten der das Projekt vorschlagenden Einrichtung zutreffend zu ermitteln? Würde die Verwendung der erzielten Einnahmen (Reinvestition in die Haupttätigkeit oder beispielsweise, im Fall eines privaten Gründers, Auszahlung in Form von Dividenden an die Anteilseigner) etwas an dieser Beurteilung ändern, selbst wenn sich die Einnahmen überwiegend aus Gebühren für Bildungsdienstleistungen ergeben?

4.

Ist die Rechtspersönlichkeit der Mitglieder der Einrichtung, die das betreffende Projekt vorschlägt, maßgeblich, um zu beurteilen, ob diese Einrichtung unter die Begriffsbestimmung in Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 fällt, d. h., kommt es darauf an, ob es sich um eine Gesellschaft handelt, die nach dem Handelsrecht zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit (entgeltliche Tätigkeit) mit Gewinnerzielungsabsicht gegründet wurde (Art. 1 des Handelsgesetzbuchs), oder ob ihre Mitglieder oder Anteilseigner natürliche oder juristische Personen sind, die Gewinn erwirtschaften wollen (einschließlich durch die Erbringung von Bildungsdienstleistungen gegen Entgelt), oder ohne Gewinnerzielungsabsicht gegründet wurden (z. B. ein Verein oder eine Stiftung)?

5.

Sind der Anteil der inländischen und der aus Mitgliedstaaten der Union stammenden Studierenden im Verhältnis zu ausländischen Studierenden (aus Drittstaaten) und der Umstand, dass der Zweck der Haupttätigkeit der das Projekt vorschlagenden Einrichtung darin besteht, den Studierenden eine Hochschulbildung und eine Qualifikation zu vermitteln, die auf dem internationalen Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig sind und den gegenwärtigen internationalen Anforderungen entsprechen (Ziff. 5 der Satzung der das Projekt vorschlagenden Einrichtung), für die Beurteilung des wirtschaftlichen Charakters der Tätigkeit dieser Einrichtung maßgeblich?

Rechtssache C‑318/21

20

Die SSE ist eine in Lettland ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die u. a. die wissenschaftliche Entwicklung zum Gesellschaftszweck hat. Eines ihrer Tätigkeitsgebiete besteht darin, Grundlagenforschung und angewandte Forschung im Bereich der Wirtschaftswissenschaften zu betreiben. Sie bietet außerdem Hochschul- und Berufsausbildungsunterricht an. Ihr einziger Gesellschafter ist die Stiftung „Rīgas Ekonomikas augstskola – Stockholm School of Economics in Riga“, die im Vereins- und Stiftungsregister eingetragen ist.

21

Mit Entscheidung vom 22. Mai 2019 genehmigte der Wissenschaftliche Rat Lettlands die „Regelung der allgemeinen Ausschreibung für Grundlagenforschungsprojekte mit Geltung für das Jahr 2019“, in deren Rahmen die SSE einen Projektvorschlag einreichte.

22

Mit Entscheidung vom 19. September 2019 lehnte der Wissenschaftliche Rat Lettlands den Projektvorschlag der SSE als nicht förderfähig ab. Zur Begründung führte er aus, die SSE könne nicht als eine wissenschaftliche Einrichtung im Sinne des Dekrets Nr. 725 angesehen werden, da sie nicht der Definition des Begriffs „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ gemäß Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 entspreche.

23

Diese Entscheidung beruhte hauptsächlich darauf, dass aus dem Projektvorschlag der SSE hervorging, dass im Jahr 2018 der Umsatz aus ihren nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten im Vergleich zum Umsatz aus ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten in einem Verhältnis von 34 % zu 66 % gestanden hatte.

24

Der Wissenschaftliche Rat Lettlands schloss daraus, dass die Haupttätigkeit der SSE gewerblichen Charakter habe und nicht angenommen werden könne, dass ihre Hauptaufgabe darin bestehe, unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zu betreiben oder die Ergebnisse solcher Tätigkeiten durch Lehre, Veröffentlichung oder Wissenstransfer zu verbreiten. Zudem sei festzustellen, dass die von der SSE eingereichten Unterlagen keine Angaben dazu enthielten, ob die Einnahmen aus ihrer Haupttätigkeit in diese Tätigkeit reinvestiert würden.

25

Die SSE focht die ablehnende Entscheidung des Wissenschaftlichen Rates Lettlands vor der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) an und machte insbesondere geltend, dass sie die Anforderungen des Dekrets Nr. 725 erfülle, da sie im Register der wissenschaftlichen Einrichtungen eingetragen sei und ihre Haupttätigkeit nicht wirtschaftlicher Art sei. Insoweit legte die SSE Unterlagen vor, um zu belegen, dass die mit ihrer Haupttätigkeit generierten Finanzströme von den wirtschaftlichen Tätigkeiten getrennt waren und die Gewinne aus ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten in die Haupttätigkeit der Forschungseinrichtung reinvestiert wurden.

26

Mit Urteil vom 8. Juni 2020 wies die Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) die Klage der SSE ab. Das Gericht stellte fest, dass die wissenschaftliche Tätigkeit zwar einer der Tätigkeitsbereiche der SSE sei, sich aber aus dem Umsatzbericht für 2018 ergebe, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten der SSE einen höheren Anteil an den Einnahmen und Ausgaben hätten als die nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten. Folglich sei die SSE keine wissenschaftliche Einrichtung, die für eine staatliche Finanzierung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung in Betracht komme.

27

Gegen dieses Urteil legte die SSE bei der Administratīvā apgabaltiesa (Regionalverwaltungsgericht, Lettland) Berufung ein.

28

Dieses Gericht führt aus, es hege Zweifel an den Auffassungen des Wissenschaftlichen Rates Lettlands und der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht). Wenn die von ihnen aufgestellten Kriterien für die Gewährung von Beihilfen an eine wissenschaftliche Einrichtung – nämlich Kriterien, nach denen die Einnahmen und Ausgaben im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Tätigkeiten der Einrichtung niedriger sein müssten als die aus nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten – zu bestätigen wären, könnten private Hochschulen keine öffentlichen Zuwendungen für Forschung erhalten, was eine Ungleichbehandlung zu ihren Lasten begründen würde.

29

In der Verordnung Nr. 651/2014 sei nicht eindeutig festgelegt, ob es für die Einstufung einer Einrichtung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ gerechtfertigt sei, auf den jeweiligen Anteil der Einnahmen und Ausgaben dieser Einrichtung aus ihren wirtschaftlichen und nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten abzustellen.

30

Der Ausgang des vorliegenden Verfahrens hänge davon ab, wie der Gerichtshof Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 auslege.

31

Unter diesen Umständen hat die Administratīvā apgabaltiesa (Regionalverwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 dahin auszulegen, dass eine Einrichtung (wie Hochschulen oder Forschungsinstitute, Technologietransfer-Einrichtungen, Innovationsmittler, forschungsorientierte physische oder virtuelle Kooperationseinrichtungen), zu deren operativen Zielen es gehört, unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zu betreiben oder die Ergebnisse solcher Tätigkeiten durch Lehre, Veröffentlichung oder Wissenstransfer zu verbreiten, die sich aber größtenteils aus Einnahmen aus wirtschaftlichen Tätigkeiten eigenfinanziert, als Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung angesehen werden kann?

2.

Ist es gerechtfertigt, auf das Verhältnis der Finanzierung (Einnahmen und Ausgaben) der wirtschaftlichen und der nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten abzustellen, um zu ermitteln, ob die Einrichtung das in Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 genannte Erfordernis erfüllt, wonach die Hauptaufgabe der Einrichtung darin bestehen muss, unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zu betreiben oder die Ergebnisse solcher Tätigkeiten durch Lehre, Veröffentlichung oder Wissenstransfer zu verbreiten?

3.

Falls Frage 2 bejaht wird: Welcher Prozentsatz der Finanzierung der wirtschaftlichen und der nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten ist für die Feststellung maßgeblich, ob die Hauptaufgabe der Einrichtung darin besteht, unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zu betreiben oder die Ergebnisse solcher Tätigkeiten durch Lehre, Veröffentlichung oder Wissenstransfer zu verbreiten?

4.

Ist die Regelung in Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014, wonach Unternehmen, die beispielsweise als Anteilseigner oder Mitglied bestimmenden Einfluss auf die Einrichtung, die das Vorhaben vorschlägt, ausüben können, kein bevorzugter Zugang zu den von dieser Einrichtung erzielten Forschungsergebnissen gewährt werden darf, dahin auszulegen, dass die Mitglieder oder Anteilseigner der Einrichtung sowohl natürliche oder juristische Personen, die Gewinn erwirtschaften wollen (einschließlich durch die Erbringung von Bildungsdienstleistungen gegen Entgelt), als auch ohne Gewinnerzielungsabsicht gegründete Personen (z. B. ein Verein oder eine Stiftung) sein können?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

32

Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des nationalen Gerichts, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 10. Dezember 2020, J & S Service, C‑620/19, EU:C:2020:1011, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Somit spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit von Fragen, die das Unionsrecht betreffen. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind, oder wenn das Problem hypothetischer Natur ist (Urteil vom 24. Februar 2022, Tiketa, C‑536/20, EU:C:2022:112, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

In den vorliegenden Rechtssachen wird der Gerichtshof ersucht, Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 auszulegen, der den Begriff „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ definiert. Die Vorabentscheidungsersuchen der vorlegenden Gerichte ergehen jedoch im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, die die Anwendung des Dekrets Nr. 725 und die Gewährung öffentlicher Finanzmittel für Grundlagenforschung und angewandte Forschung durch den Wissenschaftlichen Rat Lettlands betreffen. Wie diese Gerichte ausführen, verweist Ziff. 2.7 des Dekrets Nr. 725 klar und unbedingt auf Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 und schreibt vor, dass Projektträger, um für öffentliche Finanzierungen von Grundlagenforschung durch den Wissenschaftlichen Rat Lettlands in Betracht zu kommen, die Definition der Forschungseinrichtung gemäß Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 erfüllen müssen. Da, wie die vorlegenden Gerichte hinreichend dargelegt haben, die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten von der Auslegung dieser Bestimmung der Verordnung Nr. 651/2014 abhängt, erscheinen die Antworten des Gerichtshofs auf die Vorlagefragen erforderlich, um diesen Gerichten die Entscheidungsfindung zu ermöglichen.

35

Insoweit ist auch daran zu erinnern, dass der Gerichtshof die Zulässigkeit von Vorabentscheidungsersuchen, die sich auf unionsrechtliche Vorschriften bezogen, bereits in Fällen anerkannt hat, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zwar außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts lag, die fraglichen Vorschriften aber – ohne Änderung ihres Gegenstands oder ihrer Tragweite – durch das nationale Recht mittels eines darin enthaltenen unmittelbaren und unbedingten Verweises auf ihren Inhalt für anwendbar erklärt worden waren. Der Gerichtshof hat überdies in ständiger Rechtsprechung befunden, dass in derartigen Fällen ein offensichtliches Interesse der Unionsrechtsordnung daran besteht, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu vermeiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi, C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 36 und 37, vom 24. Oktober 2019, Belgische Staat, C‑469/18 und C‑470/18, EU:C:2019:895, Rn. 21 bis 23 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 10. Dezember 2020, J & S Service, C‑620/19, EU:C:2020:1011, Rn. 34, 44 und 45).

36

Aus den Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass die lettischen Behörden, als sie in Ziff. 2.7 des Dekrets Nr. 725 im Rahmen der Definition der Kriterien für die Förderfähigkeit der Grundlagenforschung unmittelbar und unbedingt auf Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 verwiesen, die Übereinstimmung zwischen dem nationalen Recht und dem einschlägigen Unionsrecht gewährleisten und die Vereinbarkeit ihres Systems der öffentlichen Finanzierung der Grundlagenforschung mit den unionsrechtlichen Vorschriften über staatliche Beihilfen wahren wollten, so dass dieser Verweis weder den Gegenstand noch die Tragweite dieser Bestimmung verändert.

37

Unter diesen Umständen hat der Gerichtshof die ersten vier Fragen in den beiden vorliegenden Rechtssachen zu beantworten, soweit sie die Auslegung von Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 betreffen.

38

Die fünfte Frage in der Rechtssache C‑164/21, mit der geklärt werden soll, ob es für die Einstufung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ darauf ankommt, wo die Studierenden der betreffenden Einrichtung herkommen und welche Art von Unterricht die Einrichtung anbietet, ist allerdings hypothetisch, da das vorlegende Gericht nicht hinreichend klar und genau darlegt, welche Gründe es zu dieser Frage veranlasst haben und inwiefern eine Antwort auf diese Frage für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits notwendig ist.

39

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑164/21 geht nämlich nicht hervor, weshalb die Kriterien, auf die sich diese Frage bezieht, im Rahmen des Ausgangsverfahrens relevant sein sollten, etwa weil sie die Entscheidung des Wissenschaftlichen Rates Lettlands gestützt haben oder weil sich die BSA im Rahmen ihrer Klage vor dem vorlegenden Gericht auf sie berufen hat. Daher ist die fünfte Frage in der Rechtssache C‑164/21 für unzulässig zu erklären.

Zu den Fragen 1 und 2 in der Rechtssache C‑164/21 sowie zu den Fragen 1 bis 3 in der Rechtssache C‑318/21

40

Mit den Fragen 1 und 2 in der Rechtssache C‑164/21 sowie den Fragen 1 bis 3 in der Rechtssache C‑318/21, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 dahin auszulegen ist, dass eine privatrechtliche Einrichtung, die mehrere Tätigkeiten, einschließlich Forschung, ausübt, deren Einnahmen aber hauptsächlich aus wirtschaftlichen Tätigkeiten wie der Erbringung von Bildungsdienstleistungen gegen Entgelt stammen, als eine „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann.

41

Damit fragen die vorlegenden Gerichte den Gerichtshof nach der Auslegung des Begriffs „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“, wie er in Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 definiert ist, und nach den Kriterien, anhand deren bestimmt werden kann, ob es sich um eine solche Einrichtung handelt.

42

Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur deren Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 26. Februar 2019, Rimšēvičs und EZB/Lettland, C‑202/18 und C‑238/18, EU:C:2019:139, Rn. 45 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

43

In Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 wird die Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung wie folgt definiert: „Einrichtungen wie Hochschulen oder Forschungsinstitute, Technologietransfer-Einrichtungen, Innovationsmittler, forschungsorientierte physische oder virtuelle Kooperationseinrichtungen, unabhängig von ihrer Rechtsform (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) oder Finanzierungsweise, deren Hauptaufgabe darin besteht, unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zu betreiben oder die Ergebnisse solcher Tätigkeiten durch Lehre, Veröffentlichung oder Wissenstransfer zu verbreiten“.

44

Darüber hinaus wird in dieser Bestimmung klargestellt, dass eine solche Einrichtung, wenn sie auch wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, über deren Finanzierung, Kosten und Erlöse getrennt Buch führen muss. Außerdem ist vorgeschrieben, dass Unternehmen, die beispielsweise als Anteilseigner oder Mitglied bestimmenden Einfluss auf eine solche Einrichtung ausüben können, kein bevorzugter Zugang zu den von ihr erzielten Forschungsergebnissen gewährt werden darf.

45

Aus einer wörtlichen Auslegung von Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 ergibt sich, dass das zentrale Kriterium für die Einstufung einer Einrichtung als Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung die von ihr wahrgenommene Hauptaufgabe ist, die darin bestehen muss, entweder unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zu betreiben oder die Ergebnisse solcher Tätigkeiten durch Lehre, Veröffentlichung oder Wissenstransfer zu verbreiten.

46

Was erstens den Begriff „Hauptaufgabe“ anbelangt, ist festzustellen, dass er in der Verordnung Nr. 651/2014 nicht definiert wird. Es ist daher Sache des Gerichtshofs, Bedeutung und Tragweite dieses Begriffs entsprechend seinem üblichen Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Februar 2020, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid [Anmustern von Seeleuten im Hafen von Rotterdam], C‑341/18, EU:C:2020:76, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch ist mit der„Aufgabe“ einer Einrichtung das Ziel gemeint, dem sich die Einrichtung widmet, und die Vorsilbe „Haupt-“ betont die übergeordnete Bedeutung der betreffenden Aufgabe und damit deren Vorrang gegenüber etwaigen anderen von der Einrichtung wahrgenommenen Aufgaben.

47

Unter diesem Blickwinkel deutet die Verwendung des Begriffs „Hauptaufgabe“ in Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 darauf hin, dass eine Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung im Sinne dieser Bestimmung mehrere Aufgaben wahrnehmen und verschiedene Arten von Tätigkeiten ausüben kann, vorausgesetzt, dass unter diesen verschiedenen Aufgaben die unabhängige Forschung bzw. die Verbreitung der Ergebnisse solcher Forschung das vorrangige Ziel darstellt, das gegenüber den etwaigen anderen von dieser Einrichtung verfolgten Zielen überwiegt.

48

Diese Auslegung, der zufolge Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 und der für diese Bestimmung grundlegende Begriff „Hauptaufgabe“ zulassen, dass eine Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung auch andere, möglicherweise wirtschaftliche Tätigkeiten wie entgeltlichen Unterricht ausübt, sofern diese Tätigkeiten im Verhältnis zu den im Allgemeinen nicht wirtschaftlichen Haupttätigkeiten der unabhängigen Forschung oder der Verbreitung der Ergebnisse dieser Forschung zweitrangig bleiben und nicht überwiegen, wird durch den 49. Erwägungsgrund dieser Verordnung und durch Rn. 20 der Mitteilung der Kommission von 2014 gestützt, woraus jeweils hervorgeht, dass eine Forschungseinrichtung bzw. Forschungsinfrastruktur sowohl wirtschaftliche als auch nicht wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben kann.

49

Was zweitens die Tätigkeiten betrifft, die in Wahrnehmung der Hauptaufgabe der Einrichtung ausgeübt werden, so deuten der Wortlaut von Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 und die Verwendung der nebenordnenden Konjunktion „oder“ zwar darauf hin, dass Einrichtungen für Forschung und Wissensverbreitung nicht unbedingt sowohl Forschung betreiben als auch Forschungsergebnisse verbreiten müssen; allerdings setzt die Wendung „die Ergebnisse solcher Tätigkeiten“ zwangsläufig voraus, dass sich die Verbreitung des Wissens der Einrichtung nicht pauschal auf die Ergebnisse jeder Art von Forschung – womöglich sogar ohne jeglichen Bezug zur fraglichen Einrichtung – beziehen kann, sondern zumindest teilweise die Ergebnisse der von der Einrichtung selbst betriebenen Forschung betreffen muss.

50

Daraus folgt, dass eine Einrichtung, um als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne von Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 eingestuft werden zu können, selbständige Forschungstätigkeiten ausüben muss, zu denen gegebenenfalls die Verbreitung der Ergebnisse dieser Forschungstätigkeiten hinzukommt.

51

Folglich können Einrichtungen, die sich ausschließlich der Lehre und der Fortbildung widmen und ganz allgemein den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft verbreiten, nicht als Einrichtungen für Forschung und Wissensverbreitung eingestuft werden. Diese Auslegung wird durch den Zweck und die allgemeine Systematik der Verordnung Nr. 651/2014 und der mit ihr eingeführten Regelung in Bezug auf Beihilfen für Forschung und Entwicklung und Innovation gestützt; es ist nämlich, wie sich insbesondere aus den Erwägungsgründen 45, 47 und 48 dieser Verordnung ergibt, nicht Sinn und Zweck der genannten Regelung, Beihilfen freizustellen, die zugunsten ausschließlich der Lehre und der Verbreitung allgemeinen Wissens gewidmeter Einrichtungen gewährt werden und in keinem Zusammenhang mit Forschungstätigkeiten stehen, die diese Einrichtungen im Übrigen auch nicht ausüben.

52

Was drittens die Kriterien anbelangt, nach denen im Hinblick auf die Einstufung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne von Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 der zentrale Aspekt der Hauptaufgabe einer Einrichtung zu prüfen ist, so ist zunächst festzustellen, dass sie in dieser Vorschrift nicht konkret festgelegt werden. Daraus ist zu schließen, dass diese Vorschrift gestattet, bei der Prüfung der Hauptaufgabe einer Einrichtung alle maßgeblichen Kriterien zu berücksichtigen, wie etwa den geltenden regulatorischen Rahmen oder die Satzung der betreffenden Einrichtung.

53

Insoweit wird der Gerichtshof gefragt, ob die Struktur des Umsatzes einer Einrichtung und der Umsatzanteil, den die Einkünfte aus ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten ausmachen, für die Bestimmung ihrer Hauptaufgabe entscheidend sind. Insbesondere fragen sich die vorlegenden Gerichte, ob der Umstand, dass eine Einrichtung mehr als die Hälfte ihrer Einkünfte aus solchen wirtschaftlichen Tätigkeiten erzielt, zwangsläufig bedeutet, dass sie nicht als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne von Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 eingestuft werden kann.

54

In dieser Hinsicht ist festzustellen, dass Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 in Bezug auf die Struktur und die Herkunft der Finanzierung der Tätigkeiten der Einrichtung keinerlei Anforderung aufstellt, die für die Bestimmung der Hauptaufgabe der Einrichtung und ihre Einstufung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ relevant wäre. Vielmehr stellt die Vorschrift sogar klar, dass eine solche Einstufung ohne Berücksichtigung der Finanzierungsweise der Einrichtung oder ihrer Rechtsform (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) vorzunehmen ist.

55

Das in Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 aufgestellte Erfordernis einer getrennten Buchführung bestätigt, dass eine Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung auch Tätigkeiten wirtschaftlicher Art ausüben kann, mit denen sie Einkünfte erwirtschaftet.

56

Wie die lettische und die niederländische Regierung sowie die Kommission hervorheben, könnte das Kriterium, wonach es auf die Umsatzstruktur einer Einrichtung sowie auf den jeweiligen Umsatzanteil der Einkünfte aus ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten und der Einkünfte aus den im Allgemeinen nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten der Forschung und der Verbreitung von Forschungsergebnissen ankommt, bei isolierter Anwendung ein verzerrtes Bild der tatsächlichen Tätigkeiten einer Einrichtung und ihrer Hauptaufgabe entstehen lassen, weil z. B. der wahre Stellenwert einer Tätigkeit unterschätzt wird, die nur wenig Einnahmen generiert.

57

Daher ist davon auszugehen, dass das Kriterium der Umsatzstruktur einer Einrichtung und des Umsatzanteils der Einkünfte aus ihren wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht als einzig entscheidendes Kriterium herangezogen werden kann, um im Hinblick auf die mögliche Einstufung dieser Einrichtung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ deren Hauptaufgabe zu bestimmen.

58

Jedoch hindert Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 nicht daran, dieses Kriterium im weiter gefassten Kontext einer Analyse aller relevanten Umstände als eines von mehreren Indizien für die Hauptaufgabe einer Einrichtung zu berücksichtigen.

59

Nach alledem ist auf die Fragen 1 und 2 in der Rechtssache C‑164/21 und die Fragen 1 bis 3 in der Rechtssache C‑318/21 zu antworten, dass Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 dahin auszulegen ist, dass eine privatrechtliche Einrichtung, die mehrere Tätigkeiten, einschließlich Forschung, ausübt, deren Einnahmen aber hauptsächlich aus wirtschaftlichen Tätigkeiten wie der Erbringung von Bildungsdienstleistungen gegen Entgelt stammen, als eine „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, sofern sich anhand aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls feststellen lässt, dass ihre Hauptaufgabe darin besteht, unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zu betreiben, wozu gegebenenfalls hinzukommt, dass die Ergebnisse dieser Forschungstätigkeiten durch Lehre, Veröffentlichung oder Wissenstransfer verbreitet werden. In diesem Zusammenhang kann von einer solchen Einrichtung nicht verlangt werden, dass sie einen bestimmten Anteil ihrer Einkünfte aus nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten der Forschung und Wissensverbreitung erzielt.

Zur dritten Frage in der Rechtssache C‑164/21

60

Mit der dritten Frage in der Rechtssache C‑164/21 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 dahin auszulegen ist, dass es für die Einstufung einer Einrichtung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne dieser Bestimmung erforderlich ist, dass diese Einrichtung die Einnahmen aus ihrer Haupttätigkeit in genau diese Tätigkeit reinvestiert.

61

Zunächst ist festzustellen, dass Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 über die Verpflichtung einer Einrichtung hinaus, im Fall der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten über deren Finanzierung, Kosten und Erlöse getrennt zu Buch zu führen, für die Zwecke der Einstufung als Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung keinerlei Anforderungen daran stellt, wie die betreffende Einrichtung ihre Einnahmen verwendet und gegebenenfalls reinvestiert.

62

In diesem Zusammenhang ist ferner – im Einklang mit den Ausführungen der niederländischen Regierung und der Kommission – festzustellen, dass ein solches Erfordernis der Reinvestition der Einkünfte nach der Vorgängerregelung bestand, nämlich nach der Verordnung Nr. 800/2008, deren Art. 30 Nr. 1 u. a. bestimmte, dass „[s]ämtliche Gewinne … in diese [Forschungstätigkeiten], die Verbreitung ihrer Ergebnisse oder die Lehre reinvestiert werden [müssen]“, wobei dieses Erfordernis aber nicht in die Verordnung Nr. 651/2014 übernommen wurde.

63

Schließlich kann entgegen dem Vorbringen der lettischen Regierung ein solches Reinvestitionserfordernis nicht aus Rn. 19 Buchst. b der Mitteilung der Kommission von 2014 abgeleitet werden, die im Gegensatz zu deren Rn. 19 Buchst. a nicht die Einstufung der Haupttätigkeiten von Forschungseinrichtungen zum Gegenstand hat, sondern nur die Einstufung der Tätigkeiten des Wissenstransfers betrifft. Allein zur Erläuterung, unter welchen Voraussetzungen letztere Tätigkeiten als „nicht wirtschaftlich“ eingestuft werden können, ist in Rn. 19 Buchst. b von dem Erfordernis die Rede, Einnahmen in die Haupttätigkeiten der Forschungseinrichtung zu reinvestieren.

64

Nach alledem ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑164/21 zu antworten, dass Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 dahin auszulegen ist, dass es für die Einstufung einer Einrichtung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne dieser Bestimmung nicht erforderlich ist, dass diese Einrichtung die Einnahmen aus ihrer Haupttätigkeit in genau diese Tätigkeit reinvestiert.

Zur jeweils vierten Frage in den Rechtssachen C‑164/21 und C‑318/21

65

Mit ihrer jeweils vierten Frage in den Rechtssachen C‑164/21 und C‑318/21 möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 dahin auszulegen ist, dass es für die Einstufung einer Einrichtung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne dieser Bestimmung darauf ankommt, welche Rechtsform die Mitglieder und Anteilseigner dieser Einrichtung haben und ob die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten und die von ihnen verfolgten Ziele gewinnorientiert sind.

66

Erstens sieht Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 ausdrücklich vor, dass die Rechtsform der Einrichtung (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) und ihre Finanzierungsweise für die Prüfung, ob sie als Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung eingestuft werden kann, unerheblich sind. Dies zeugt von dem Willen der Kommission – der Urheberin der Verordnung Nr. 651/2014 –, für die Einstufung einer Einrichtung als Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung nicht auf formale Kriterien abzustellen, die mit der Rechtsform und der internen Organisation der Einrichtung zusammenhängen.

67

Zweitens enthält Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 die Regel, dass Unternehmen, die beispielsweise als Anteilseigner oder Mitglied bestimmenden Einfluss auf eine Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung ausüben können, kein bevorzugter Zugang zu den von ihr erzielten Forschungsergebnissen gewährt werden darf. Hieraus wird deutlich, dass die Rechtsform der Mitglieder oder Anteilseigner einer Einrichtung und die Frage, ob ihre Tätigkeiten oder Ziele gewinnorientiert sind, für die Einstufung dieser Einrichtung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ in Sinne dieser Vorschrift nicht entscheidend sein können.

68

Überdies betrifft diese Regel nur Einrichtungen, die als Unternehmen angesehen werden können. Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Februar 2002, Wouters u. a., C‑309/99, EU:C:2002:98, Rn. 46 und 47, sowie vom 11. Juni 2020, Kommission und Slowakische Republik/Dôvera zdravotná poist’ovňa, C‑262/18 P und C‑271/18 P, EU:C:2020:450, Rn. 28 und 29), und wie durch Anhang I Art. 1 der Verordnung Nr. 651/2014 sowie durch Rn. 17 der Mitteilung der Kommission von 2014 bestätigt wird, gilt als „Unternehmen“ im Sinne des Unionsrechts jede Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit – die darin besteht, Produkte oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten – ausübt, unabhängig von ihrer Rechtsform und unabhängig davon, ob sie gewinnorientiert handelt. Folglich enthält die in Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 aufgestellte Regel, wie insbesondere die lettische und die niederländische Regierung sowie die Kommission vortragen, weder in Bezug auf die Rechtsform etwaiger Mitglieder oder Anteilseigner einer Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung noch hinsichtlich der Frage, ob die von diesen Mitgliedern oder Anteilseignern ausgeübten Tätigkeiten und die von ihnen verfolgten Ziele gewinnorientiert sind oder nicht, irgendeine Beschränkung.

69

Nach alledem ist auf die jeweils vierte Frage in den Rechtssachen C‑164/21 und C‑318/21 zu antworten, dass Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014 dahin auszulegen ist, dass es für die Einstufung einer Einrichtung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne dieser Bestimmung nicht darauf ankommt, welche Rechtsform die Mitglieder und Anteilseigner dieser Einrichtung haben und ob die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten und die von ihnen verfolgten Ziele gewinnorientiert sind.

Kosten

70

Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 2 Nr. 83 der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV]

ist dahin auszulegen, dass

eine privatrechtliche Einrichtung, die mehrere Tätigkeiten, einschließlich Forschung, ausübt, deren Einnahmen aber hauptsächlich aus wirtschaftlichen Tätigkeiten wie der Erbringung von Bildungsdienstleistungen gegen Entgelt stammen, als eine „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, sofern sich anhand aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls feststellen lässt, dass ihre Hauptaufgabe darin besteht, unabhängige Grundlagenforschung, industrielle Forschung oder experimentelle Entwicklung zu betreiben, wozu gegebenenfalls hinzukommt, dass die Ergebnisse dieser Forschungstätigkeiten durch Lehre, Veröffentlichung oder Wissenstransfer verbreitet werden. In diesem Zusammenhang kann von einer solchen Einrichtung nicht verlangt werden, dass sie einen bestimmten Anteil ihrer Einkünfte aus nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten der Forschung und Wissensverbreitung erzielt.

 

2.

Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014

ist dahin auszulegen, dass

es für die Einstufung einer Einrichtung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne dieser Bestimmung nicht erforderlich ist, dass diese Einrichtung die Einnahmen aus ihrer Haupttätigkeit in genau diese Tätigkeit reinvestiert.

 

3.

Art. 2 Nr. 83 der Verordnung Nr. 651/2014

ist dahin auszulegen, dass

es für die Einstufung einer Einrichtung als „Einrichtung für Forschung und Wissensverbreitung“ im Sinne dieser Bestimmung nicht darauf ankommt, welche Rechtsform die Mitglieder und Anteilseigner dieser Einrichtung haben und ob die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten und die von ihnen verfolgten Ziele gewinnorientiert sind.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Lettisch.

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