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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62019CJ0570

    Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 2. September 2021.
    Irish Ferries Ltd gegen National Transport Authority.
    Vorabentscheidungsersuchen des High Court (Irland).
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Seeverkehr – Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr – Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 – Art. 18 und 19, Art. 20 Abs. 4, Art. 24 und 25 – Annullierung von Personenverkehrsdiensten – Verspätete Lieferung eines Schiffes an den Beförderer – Ankündigung vor dem ursprünglich vorgesehenen Abfahrtstermin – Folgen – Anspruch auf anderweitige Beförderung – Modalitäten – Übernahme der zusätzlichen Kosten – Anspruch auf Entschädigung – Berechnung – Begriff des Fahrpreises – Für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 1177/2010 zuständige nationale Stelle – Zuständigkeit – Begriff der Beschwerde – Gültigkeitsprüfung – Art. 16, 17, 20 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung.
    Rechtssache C-570/19.

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2021:664

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    2. September 2021 ( *1 )

    Inhaltsverzeichnis

     

    Rechtlicher Rahmen

     

    Unionsrecht

     

    Verordnung (EU) Nr. 1177/2010

     

    Verordnung (EG) Nr. 261/2004

     

    Irisches Recht

     

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

     

    Zu den Vorlagefragen

     

    Zur Frage 1

     

    Zur Frage 3

     

    Zu den Fragen 2, 4 und 5a

     

    Zur Frage 5b

     

    Zur Frage 6

     

    Zur Frage 7

     

    Zur Frage 8

     

    Zur Frage 9

     

    Zur Frage 10

     

    Kosten

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Seeverkehr – Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr – Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 – Art. 18 und 19, Art. 20 Abs. 4, Art. 24 und 25 – Annullierung von Personenverkehrsdiensten – Verspätete Lieferung eines Schiffes an den Beförderer – Ankündigung vor dem ursprünglich vorgesehenen Abfahrtstermin – Folgen – Anspruch auf anderweitige Beförderung – Modalitäten – Übernahme der zusätzlichen Kosten – Anspruch auf Entschädigung – Berechnung – Begriff des Fahrpreises – Für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 1177/2010 zuständige nationale Stelle – Zuständigkeit – Begriff der Beschwerde – Gültigkeitsprüfung – Art. 16, 17, 20 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung“

    In der Rechtssache C‑570/19

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 22. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juli 2019, in dem Verfahren

    Irish Ferries Ltd

    gegen

    National Transport Authority

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter N. Piçarra, D. Šváby (Berichterstatter) und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,

    Generalanwalt: M. Szpunar,

    Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2020,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Irish Ferries Ltd, vertreten durch V. Power, T. O’Donnell, B. McGrath und E. Roberts, Solicitors, sowie C. Donnelly und P. Sreenan, SC,

    der National Transport Authority, vertreten durch M. Collins und D. McGrath, SC, S. Murray, BL, sowie M. Doyle, K. Quigley und E. O’Hanrahan, Solicitors,

    Irlands, vertreten durch M. Browne, G. Hodge, J. Quaney und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von P. McGarry, SC, und M. Finan, BL,

    des Europäischen Parlaments, vertreten durch L. G. Knudsen und A. Tamás als Bevollmächtigte,

    des Rates der Europäischen Union, vertreten durch O. Segnana und R. Meyer als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Yerrell, L. Armati und S. L. Kalėda als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. März 2021

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 und 19, des Art. 20 Abs. 4 sowie der Art. 24 und 25 der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (ABl. 2010, L 334, S. 1) und die Gültigkeit dieser Verordnung.

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Irish Ferries Ltd und der National Transport Authority (nationale Transportbehörde, Irland) (im Folgenden: irische Transportbehörde) über die Voraussetzungen, unter denen den von einer Annullierung von Überfahrten zwischen Dublin (Irland) und Cherbourg (Frankreich) betroffenen Fahrgästen eine Entschädigung zu gewähren ist.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    Verordnung (EU) Nr. 1177/2010

    3

    Die Erwägungsgründe 1, 2, 3, 12 bis 15, 17 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 lauten:

    „(1)

    Die Maßnahmen der Union im Bereich des See- und Binnenschiffsverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes, dem Standard anderer Verkehrsträger vergleichbares Schutzniveau für die Fahrgäste sicherzustellen. Ferner sollte den allgemeinen Erfordernissen des Verbraucherschutzes in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

    (2)

    Da die Fahrgäste im See- und Binnenschiffsverkehr im Beförderungsvertrag die schwächere Partei sind, sollte allen Fahrgästen ein Mindestmaß an Schutz gewährt werden. Die Beförderer sollten in keiner Weise davon abgehalten werden, Vertragsbedingungen anzubieten, die für den Fahrgast günstiger sind als die in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen. Genauso wenig wird mit dieser Verordnung das Ziel verfolgt, in gewerbliche Beziehungen zwischen Unternehmen (‚business-to-business‘), die den Gütertransport betreffen, einzugreifen. Insbesondere sollten Vereinbarungen zwischen einem Kraftverkehrsunternehmer und einem Beförderer nicht als Beförderungsverträge im Sinne dieser Verordnung betrachtet werden, und sie sollten deshalb dem Kraftverkehrsunternehmer oder seinen Angestellten im Fall von Verspätungen keinen Anspruch auf Entschädigung nach dieser Verordnung einräumen.

    (3)

    Der Schutz der Fahrgäste sollte sich nicht nur auf Personenverkehrsdienste zwischen Häfen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten erstrecken, sondern – unter Berücksichtigung des Risikos der Wettbewerbsverzerrung auf dem Personenbeförderungsmarkt – auch auf Personenverkehrsdienste zwischen solchen Häfen und Häfen außerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten. Der Begriff ‚Beförderer aus der Union‘ sollte daher für die Zwecke dieser Verordnung so weit wie möglich ausgelegt werden, ohne dass dadurch jedoch andere Rechtsakte der Union berührt werden, etwa der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrags auf den Seeverkehr [(ABl. 1986, L 378, S. 4)] und der Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 7. Dezember 1992 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage) [(ABl.1992, L 364, S. 7)].

    (12)

    Die Fahrgäste sollten bei Annullierung und bei Verspätung eines Personenverkehrsdienstes oder einer Kreuzfahrt angemessen unterrichtet werden. Diese Unterrichtung sollte es den Fahrgästen erleichtern, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen und erforderlichenfalls Informationen über alternative Verbindungen zu erhalten.

    (13)

    Die Unannehmlichkeiten, die den Fahrgästen durch Annullierung oder große Verspätung von Verkehrsdiensten entstehen, sollten verringert werden. Zu diesem Zweck sollten die Fahrgäste angemessen betreut werden und die Möglichkeit haben, ihre Reise zu stornieren und sich den Fahrpreis erstatten zu lassen oder eine anderweitige Beförderung zu annehmbaren Bedingungen zu erhalten. Eine angemessene Unterbringung der Fahrgäste braucht nicht unbedingt in Hotelzimmern bestehen, sondern kann auch jede andere geeignete Unterbringung sein, die verfügbar ist, wobei insbesondere die Umstände jedes Einzelfalls, die Fahrzeuge der Fahrgäste und die Merkmale des Schiffes entscheidend sind. Insofern und in hinreichend begründeten Fällen außergewöhnlicher und dringender Umstände sollten die Beförderer in der Lage sein, entsprechende verfügbare Einrichtungen in Zusammenarbeit mit den Zivilbehörden in vollem Umfang zu nutzen.

    (14)

    Die Beförderer sollten bei Annullierung oder Verspätung eines Personenverkehrsdienstes Ausgleichszahlungen an die Fahrgäste in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Fahrpreises gewährleisten, ausgenommen eine Annullierung oder Verspätung aufgrund von Wetterbedingungen, die den sicheren Betrieb des Schiffes beeinträchtigen, oder von außergewöhnlichen Umständen, die auch dann nicht hätten vermieden werden können, wenn alle zumutbare Maßnahmen getroffen worden wären.

    (15)

    Die Beförderer sollten entsprechend den allgemein anerkannten Grundsätzen die Beweislast dafür tragen, dass die Annullierung oder Verspätung durch solche Wetterbedingungen oder außergewöhnliche Umstände verursacht wurde.

    (17)

    Zu den außergewöhnlichen Umständen sollten unter anderem Naturkatastrophen, wie Brände und Erdbeben, Terroranschläge, Kriege und bewaffnete militärische und zivile Konflikte, Aufstände, militärische oder widerrechtliche Beschlagnahme, Arbeitskämpfe, die Verbringung von Kranken, Verletzten oder Toten an Land, Such- und Rettungseinsätze auf See oder Binnenwasserstraßen, für den Schutz der Umwelt erforderliche Maßnahmen, Entscheidungen von Verkehrsleitungsorganen oder Hafenbehörden und Entscheidungen der zuständigen Behörden bezüglich der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie bei dringenden Verkehrsbedürfnissen zählen.

    (19)

    Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits entschieden, dass Probleme, die zu Annullierungen oder Verspätungen führen, nur insoweit unter den Begriff der ‚außergewöhnlichen Umstände‘ fallen können, als sie auf Vorkommnisse zurückgehen, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Beförderers sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass Wetterbedingungen, die eine Gefahr für den sicheren Betrieb des Schiffes darstellen, tatsächlich nicht von dem Beförderer zu beherrschen sind.“

    4

    Art. 2 („Geltungsbereich“) der Verordnung Nr. 1177/2010 bestimmt:

    „(1)   Diese Verordnung gilt für Fahrgäste, die

    a)

    mit Personenverkehrsdiensten reisen, bei denen der Einschiffungshafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt;

    b)

    mit Personenverkehrsdiensten reisen, bei denen der Einschiffungshafen nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt und der Ausschiffungshafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt, sofern der Verkehrsdienst von einem Beförderer aus der Union gemäß der Definition des Artikels 3 Buchstabe e erbracht wird;

    c)

    an einer Kreuzfahrt teilnehmen, bei der der Einschiffungshafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt. Für diese Fahrgäste gelten jedoch nicht Artikel 16 Absatz 2, die Artikel 18 und 19 sowie Artikel 20 Absätze 1 und 4.

    (2)   Diese Verordnung gilt nicht für Fahrgäste, die

    a)

    mit Schiffen reisen, die für die Beförderung von maximal zwölf Fahrgästen zugelassen sind,

    b)

    mit Schiffen reisen, deren für den Schiffsbetrieb verantwortliche Besatzung aus höchstens drei Personen besteht oder die im Personenverkehr eine Gesamtstrecke von weniger als 500 m (einfache Fahrt) zurücklegen,

    c)

    an Ausflugs- und Besichtigungsfahrten teilnehmen, bei denen es sich nicht um Kreuzfahrten handelt, oder

    d)

    mit Schiffen ohne Maschinenantrieb oder mit vor 1965 entworfenen und hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen gebauten historischen Fahrgastschiffen im Original oder als Einzelnachbildung reisen, die für die Beförderung von maximal 36 Fahrgästen zugelassen sind.

    (3)   Die Mitgliedstaaten können während der ersten beiden Jahre ab 18. Dezember 2012 im Inlandsverkehr betriebene Seeschiffe mit einer Bruttoraumzahl von weniger als 300 t von der Anwendung dieser Verordnung ausnehmen, sofern die Fahrgastrechte gemäß dieser Verordnung nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften angemessen gewährleistet sind.

    (4)   Die Mitgliedstaaten können Personenverkehrsdienste, die im Rahmen gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen, öffentlicher Dienstleistungsverträge oder integrierter Verkehrsdienste erbracht werden, von der Anwendung dieser Verordnung ausnehmen, sofern die Fahrgastrechte nach dieser Verordnung durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften vergleichbar gewährleistet sind.

    …“

    5

    Art. 3 dieser Verordnung enthält folgende Definitionen:

    „…

    f)

    ‚Personenverkehrsdienst‘ einen gewerblichen Verkehrsdienst zur Personenbeförderung auf See oder Binnenwasserstraßen nach einem veröffentlichten Fahrplan;

    m)

    ‚Beförderungsvertrag‘ einen Vertrag zwischen einem Beförderer und einem Fahrgast über die Erbringung eines oder mehrerer Personenverkehrsdienste oder von Kreuzfahrten;

    n)

    ‚Fahrschein‘ ein gültiges Dokument oder einen anderen Nachweis für einen Beförderungsvertrag;

    r)

    ‚Buchung‘ die Reservierung einer bestimmten Abfahrt eines Personenverkehrsdienstes oder einer Kreuzfahrt;

    …“

    6

    Art. 4 („Fahrscheine und nichtdiskriminierende Beförderungsbedingungen“) Abs. 2 der Verordnung sieht vor:

    „Unbeschadet von Sozialtarifen werden die von Beförderern oder Fahrscheinverkäufern angewandten Vertragsbedingungen und Tarife der Allgemeinheit ohne jegliche unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit des Endkunden oder des Ortes der Niederlassung des Beförderers oder Fahrscheinverkäufers in der Union angeboten.“

    7

    In Kapitel II („Rechte von behinderten Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität“) der Verordnung bestimmt Art. 7 („Recht auf Beförderung“) Abs. 2:

    „Buchungen und Fahrscheine werden für behinderte Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität ohne Aufpreis zu denselben Bedingungen angeboten, wie sie für alle anderen Fahrgäste gelten.“

    8

    In Kapitel III („Pflichten der Beförderer und Terminalbetreiber bei Reiseunterbrechung“) der Verordnung Nr. 1177/2010 bestimmt Art. 18 („Anderweitige Beförderung und Fahrpreiserstattung bei annullierten oder verspäteten Abfahrten“):

    „(1)   Muss ein Beförderer vernünftigerweise davon ausgehen, dass die Abfahrt eines Personenverkehrsdienstes von einem Hafenterminal annulliert wird oder sich um mehr als 90 Minuten verzögert, so bietet er den Fahrgästen unverzüglich Folgendes zur Auswahl:

    a)

    zum frühestmöglichen Zeitpunkt und ohne Aufpreis anderweitige Beförderung zum im Beförderungsvertrag festgelegten Endziel unter vergleichbaren Bedingungen;

    b)

    Erstattung des Fahrpreises und gegebenenfalls zum frühestmöglichen Zeitpunkt kostenlose Rückfahrt zum im Beförderungsvertrag festgelegten Abfahrtsort.

    (2)   Wird die Abfahrt eines Personenverkehrsdienstes von einem Hafen annulliert oder verzögert sie sich um mehr als 90 Minuten, so haben die Fahrgäste Anspruch auf eine solche anderweitige Beförderung oder Erstattung des Fahrpreises durch den Beförderer.

    (3)   Die in Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 2 vorgesehene Erstattung des vollen Fahrpreises in der entrichteten Höhe für den Teil oder die Teile der Fahrt, die nicht durchgeführt wurden, sowie für bereits durchgeführte Teile, falls die Fahrt im Hinblick auf die ursprünglichen Reisepläne des Fahrgastes zwecklos geworden ist, erfolgt binnen sieben Tagen durch Barzahlung, elektronische Überweisung, Gutschrift oder Scheck. Mit Zustimmung des Fahrgasts kann die Erstattung des vollen Fahrpreises auch in Form von Gutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen erfolgen, deren Wert der Höhe des entrichteten Preises entspricht, sofern deren Bedingungen, insbesondere bezüglich des Gültigkeitszeitraums und des Zielorts, flexibel sind.“

    9

    Art. 19 („Entschädigung durch Fahrpreisnachlass bei verspäteter Ankunft“) dieser Verordnung sieht vor:

    „(1)   Fahrgäste haben bei einer verspäteten Ankunft am Endziel gemäß dem Beförderungsvertrag Anspruch auf Entschädigung durch den Beförderer, ohne das Recht auf Beförderung zu verlieren. Die Entschädigung beträgt mindestens 25 % des Fahrpreises bei einer Verspätung von mindestens

    a)

    einer Stunde bei einer planmäßigen Fahrtdauer von bis zu vier Stunden,

    b)

    zwei Stunden bei einer planmäßigen Fahrtdauer von mehr als vier bis zu acht Stunden,

    c)

    drei Stunden bei einer planmäßigen Fahrtdauer von mehr als acht bis zu 24 Stunden oder

    d)

    sechs Stunden bei einer planmäßigen Fahrtdauer von mehr als 24 Stunden.

    Beträgt die Verspätung mehr als das Doppelte der in den Buchstaben a bis d angegebenen Zeiten, so beträgt die Entschädigung 50 % des Fahrpreises.

    (2)   Fahrgäste, die eine Zeitfahrkarte besitzen und denen während der Gültigkeitsdauer ihrer Zeitfahrkarte wiederholt Verspätungen bei der Ankunft widerfahren, können eine angemessene Entschädigung gemäß den Entschädigungsbedingungen des Beförderers verlangen. In den Entschädigungsbedingungen werden die Kriterien zur Bestimmung der Verspätung bei der Ankunft und für die Berechnung der Entschädigung festgelegt.

    (3)   Die Entschädigung wird im Verhältnis zu dem Preis berechnet, den der Fahrgast für den verspäteten Personenverkehrsdienst tatsächlich entrichtet hat.

    (4)   Handelt es sich bei der Beförderung um eine Hin- und Rückfahrt, so wird die Entschädigung für eine entweder auf der Hin- oder auf der Rückfahrt aufgetretene Verspätung bei der Ankunft auf der Grundlage des halben Fahrpreises für diesen Personenverkehrsdienst berechnet.

    (5)   Die Zahlung der Entschädigung muss innerhalb eines Monats nach Einreichung des Antrags auf Entschädigung erfolgen. Die Entschädigung kann in Form von Gutscheinen und/oder anderen Leistungen erfolgen, sofern deren Bedingungen, insbesondere bezüglich des Gültigkeitszeitraums und des Zielorts, flexibel sind. Auf Verlangen des Fahrgastes erfolgt die Entschädigung in Form eines Geldbetrags.

    (6)   Der Entschädigungsbetrag darf nicht um Kosten der Finanztransaktion wie Gebühren, Telefonkosten oder Porti gekürzt werden. Die Beförderer dürfen Mindestbeträge festlegen, unterhalb deren keine Entschädigungszahlungen vorgenommen werden. Dieser Mindestbetrag darf höchstens 6 EUR betragen.“

    10

    Art. 20 („Ausnahmen“) der Verordnung lautet:

    „(1)   Die Artikel 17, 18 und 19 gelten nicht für Fahrgäste mit Fahrscheinen mit offenen Reisedaten, solange keine Abfahrtszeit festgelegt ist, mit Ausnahme von Fahrgästen, die eine Zeitfahrkarte besitzen.

    (2)   Die Artikel 17 und 19 kommen nicht zur Anwendung, wenn der Fahrgast vor dem Kauf des Fahrscheins über die Annullierung oder Verspätung informiert wird oder wenn die Annullierung oder Verspätung auf das Verschulden des Fahrgasts zurückgeht.

    (3)   Artikel 17 Absatz 2 kommt nicht zur Anwendung, wenn der Beförderer nachweist, dass die Annullierung oder Verspätung durch Wetterbedingungen, die den sicheren Betrieb des Schiffes beeinträchtigen, verursacht wurde.

    (4)   Artikel 19 kommt nicht zur Anwendung, wenn der Beförderer nachweist, dass die Annullierung oder Verspätung durch Wetterbedingungen, die den sicheren Betrieb des Schiffes beeinträchtigen, oder durch außergewöhnliche Umstände verursacht wurde, die die Erbringung des Personenverkehrsdienstes behindern und die auch dann nicht hätten vermieden werden können, wenn alle zumutbaren Maßnahmen getroffen worden wären.“

    11

    In Kapitel IV („Allgemeine Regeln für Informationen und Beschwerden“) der Verordnung bestimmt Art. 24 („Beschwerden“):

    „(1)   Die Beförderer und Terminalbetreiber errichten oder unterhalten ein zugängliches System zur Bearbeitung von Beschwerden im Zusammenhang mit den unter diese Verordnung fallenden Rechten und Pflichten.

    (2)   Will ein Fahrgast im Rahmen dieser Verordnung eine Beschwerde an den Beförderer oder den Terminalbetreiber richten, so muss er diese innerhalb von zwei Monaten nach der tatsächlichen oder geplanten Durchführung des Verkehrsdienstes einreichen. Der Beförderer oder Terminalbetreiber muss dem Fahrgast innerhalb eines Monats nach Eingang der Beschwerde mitteilen, ob seiner Beschwerde stattgegeben wurde, ob sie abgelehnt wurde oder ob sie noch bearbeitet wird. Die Frist für die endgültige Beantwortung darf zwei Monate ab Eingang der Beschwerde nicht überschreiten.“

    12

    In Kapitel V („Durchsetzung und nationale Durchsetzungsstellen“) der Verordnung Nr. 1177/2010 sieht Art. 25 („Nationale Durchsetzungsstellen“) vor:

    „(1)   Jeder Mitgliedstaat benennt eine oder mehrere neue oder bestehende Stellen, die für die Durchsetzung dieser Verordnung in Bezug auf Personenverkehrsdienste und Kreuzfahrten von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Häfen und in Bezug auf Personenverkehrsdienste von einem Drittland zu diesen Häfen zuständig sind. Jede dieser Stellen trifft die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass diese Verordnung eingehalten wird.

    Jede Stelle ist in Aufbau, Finanzierungsentscheidungen, Rechtsstruktur und Entscheidungsfindung von gewerblichen Interessen unabhängig.

    (2)   Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission über die gemäß diesem Artikel benannte Stelle oder Stellen.

    (3)   Jeder Fahrgast kann bei der nach Absatz 1 benannten zuständigen Stelle oder jeder anderen von einem Mitgliedstaat benannten zuständigen Stelle gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine Beschwerde über einen mutmaßlichen Verstoß gegen diese Verordnung einreichen. Die zuständige Stelle erteilt den Fahrgästen eine begründete Antwort auf ihre Beschwerde innerhalb einer angemessenen Frist.

    Ein Mitgliedstaat kann beschließen,

    a)

    dass der Fahrgast seine Beschwerde gemäß dieser Verordnung in einem ersten Schritt an den Beförderer oder Terminalbetreiber zu richten hat und/oder

    b)

    dass die nationale Durchsetzungsstelle oder eine andere von dem Mitgliedstaat benannte zuständige Stelle als Beschwerdeinstanz für Beschwerden dient, für die keine Lösung gemäß Artikel 24 gefunden wurde.

    (4)   Mitgliedstaaten, die gemäß Artikel 2 Absatz 4 Ausnahmen für bestimmte Verkehrsdienste vorgesehen haben, gewährleisten das Bestehen eines vergleichbaren Mechanismus zur Durchsetzung der Fahrgastrechte.“

    Verordnung (EG) Nr. 261/2004

    13

    Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1) enthält einen Art. 5 („Annullierung“), der in Abs. 1 bestimmt:

    „Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

    c)

    vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

    i)

    sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder

    ii)

    sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder

    iii)

    sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.“

    Irisches Recht

    14

    In Regulation 3 der am 10. Oktober 2012 erlassenen European Union (Rights of Passengers when Travelling by Sea and Inland Waterway) Regulations 2012 (Verordnung von 2012 über die Europäische Union [Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr]) (im Folgenden: Verordnung von 2012) wird die irische Transportbehörde als Durchsetzungsstelle gemäß Art. 25 der Verordnung Nr. 1177/2010 benannt.

    15

    Nach Regulation 4(1) der Verordnung von 2012 kann die irische Transportbehörde, wenn sie von Amts wegen oder aufgrund einer Beschwerde eines Fahrgasts feststellt, dass ein Betreiber die Vorschriften der Verordnung Nr. 1177/2010 nicht einhält, an diesen „eine Verfügung [richten], in der das betreffende Versäumnis oder die betreffende Verletzung bezeichnet und der Betreiber aufgefordert wird, die in der Verfügung genannten Maßnahmen innerhalb der gesetzten Frist zu ergreifen, um der Verfügung Folge zu leisten“.

    16

    Gemäß Regulation 4(2) der Verordnung von 2012 kann ein Betreiber, wenn er eine Verfügung gemäß Regulation 4(1) dieser Verordnung erhält, binnen 21 Tagen bei der irischen Transportbehörde dazu Stellung nehmen. Die Behörde prüft seine Stellungnahme und bestätigt die Verfügung, ändert sie oder nimmt sie zurück.

    17

    Schließlich wird nach Regulation 4(3) der Verordnung von 2012 ein Betreiber, der eine gemäß dieser Verordnung an ihn gerichtete Verfügung nicht einhält, mit einer Geldbuße in Höhe von 5000 Euro bzw. bei Verurteilung nach Anklage mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 250000 Euro belegt.

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

    18

    Im Jahr 2016 schloss die Muttergesellschaft von Irish Ferries, die Irish Continental Group plc, mit der Gesellschaft deutschen Rechts Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (im Folgenden: Werft) einen Vertrag über den Bau eines Schiffes, das bis spätestens 26. Mai 2018 voll zertifiziert ausgeliefert werden sollte.

    19

    Das Schiff sollte für die Sommersaison 2018 in Dienst gestellt werden, um verschiedene Verbindungen zu gewährleisten, darunter eine neue ständige Verbindung durch Hin- und Rückfahrten zwischen Dublin und Cherbourg (im Folgenden: Verbindung Dublin-Cherbourg).

    20

    Wegen der Dauer der Überfahrt (etwa 18 Stunden) plante Irish Ferries, das Schiff abwechselnd mit einem anderen Fährschiff, das in der Saison 2018 die Strecken Rosslare (Irland)‑Cherbourg und Rosslare‑Roscoff (Frankreich) bedienen sollte, jeden zweiten Tag einzusetzen und so einen täglichen Dienst zwischen Irland und Frankreich, wenn auch von bzw. zu unterschiedlichen irischen Häfen, anzubieten.

    21

    Im Januar 2017 teilte die Werft Irish Ferries mündlich mit, dass die Lieferung des fraglichen Schiffes spätestens am 22. Juni 2018 erfolgen werde.

    22

    Am 27. Oktober 2017 begann Irish Ferries, Buchungen für das Schiff für die Saison 2018 anzunehmen, da die meisten Fahrgäste Überfahrten im Voraus buchen. Die Werft bestätigte am 1. November 2017, dass das fragliche Schiff am 22. Juni 2018 geliefert werde, so dass es für die am 12. Juli 2018 vorgesehene erste Überfahrt bereit sein werde.

    23

    Am 18. April 2018 teilte die Werft Irish Ferries allerdings mit, dass das Schiff nicht vor dem 13. Juli 2018 geliefert werde, da es Verzögerungen bei den Innenausstattungsarbeiten durch die beauftragten Subunternehmer gebe. Daher könnten die Überfahrten nicht wie vorgesehen am 12. Juli 2018 beginnen, und auch andere Überfahrten seien betroffen.

    24

    Daher annullierte Irish Ferries, nachdem sie am 20. April 2018 festgestellt hatte, dass sie dieses Schiff weder durch ein anderes Schiff ihrer Flotte noch durch Chartern eines anderen Schiffes über einen Schiffsmakler ersetzen konnte, die mit dem Schiff vorgesehenen Überfahrten bis zu dem neuen Liefertermin zuzüglich einer Sicherheitszeitspanne. Demgemäß annullierte Irish Ferries die Überfahrten vom 12. bis zum 29. Juli 2018.

    25

    Im Zusammenhang mit dieser Annullierung ergriff Irish Ferries mehrere Maßnahmen. Erstens kündigte sie allen betroffenen Fahrgästen zwölf Wochen vor ihrer Überfahrt deren Annullierung an. Zweitens bot sie diesen Fahrgästen eine sofortige und vollständige Erstattung des Fahrpreises oder die Möglichkeit der Umbuchung auf Überfahrten ihrer Wahl (im Folgenden: Ersatzfahrten) an. Da es auf der Verbindung Dublin-Cherbourg keinen anderen identischen Verkehrsdienst gab, bot Irish Ferries den betroffenen Fahrgästen eine Reihe von Ersatzfahrten auf direktem Weg zwischen Irland und Frankreich mit verschiedenen Abfahrts- und Bestimmungshäfen oder auf indirektem Weg, d. h. über Großbritannien (Vereinigtes Königreich), an. Die irische Transportbehörde bestreitet vor dem vorlegenden Gericht allerdings, dass Irish Ferries allen Fahrgästen eine Beförderung über die Landbrücke angeboten habe.

    26

    Den Fahrgästen, die anderweitig nach und von Rosslare (statt Dublin) und/oder nach und von Roscoff (statt Cherbourg) befördert wurden, bot Irish Ferries nicht die Erstattung ihrer etwaigen zusätzlichen Kosten an. Sie war nämlich der Ansicht, dass diese Kosten nicht allen Fahrgästen entstanden seien, da sich manche näher an Roscoff als an Cherbourg befänden.

    27

    Am 9. Mai 2018 teilte die irische Transportbehörde Irish Ferries mit, dass sie die Umstände der Annullierung der Überfahrten vom 12. bis zum 29. Juli 2018 prüfe, „um festzustellen, wie die [Verordnung Nr. 1177/2010] im vorliegenden Fall anzuwenden ist“, und forderte sie auf, zu erläutern, warum diese Annullierung auf außergewöhnliche, vom Betreiber nicht zu beherrschende Umstände zurückgehen solle.

    28

    Am 1. Juni 2018 forderte die irische Transportbehörde von Irish Ferries zusätzliche Informationen über die Einhaltung von Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 an.

    29

    Am 11. Juni 2018 teilte die Werft Irish Ferries mit, dass sich die Lieferung des fraglichen Schiffes bis zu einem unbestimmten Zeitpunkt im September 2018 weiter verzögern werde, weil es bei den Arbeiten eines Subunternehmers zur Verkabelung und Installierung des elektrischen Systems des Schiffsrumpfs und des Deckshauses sowie bei der Lieferung von Innenausbauteilen für die öffentlichen Bereiche Verzögerungen gebe. Das Schiff wurde schließlich am 12. Dezember 2018, d. h. mit einer Verspätung von etwa 200 Tagen, geliefert.

    30

    Da Irish Ferries das Schiff nicht betreiben und kein Ersatzschiff chartern konnte, beschloss sie, alle für die Zeit nach dem 30. Juli 2018 vorgesehenen Überfahrten zu annullieren.

    31

    Im Zusammenhang mit dieser Annullierung ergriff Irish Ferries mehrere Maßnahmen. Erstens benachrichtigte sie, sobald bestätigt war, dass es nicht möglich sein würde, ein Ersatzschiff zu chartern, alle betroffenen Fahrgäste sieben bis zwölf Wochen im Voraus von der Annullierung. Zweitens bot sie diesen Fahrgästen eine Stornierung und eine sofortige, vollständige Erstattung des Fahrpreises an. Drittens bot sie ihnen Ersatzfahrten nach Frankreich ohne Erstattung etwaiger Zusatzkosten an. Sie bot ihnen auch eine anderweitige Beförderung über eine der von ihr bedienten Landbrücken nach Wahl ab einem irischen Fährhafen zu französischen Bestimmungshäfen wie Cherbourg, Roscoff, Calais und Caen unter Erstattung der Kraftstoffkosten für die Fahrt durch Großbritannien an.

    32

    Im Ergebnis entschieden sich von den 20000 der von diesen Annullierungen betroffenen Fahrgäste 82 % für die Ersatzfahrten mit Irish Ferries oder anderen Beförderern, 3 % für die Landbrücke und die übrigen 15 % für die vollständige Erstattung des Fahrpreises.

    33

    Fahrgästen, die sich für die Ersatzfahrten entschieden hatten, stellte Irish Ferries etwaige zusätzliche Kosten nicht in Rechnung, sondern übernahm sie selbst. Außerdem erstattete sie etwaige Differenzen bei den Ausgaben an Bord.

    34

    Fahrgästen, die die Landbrücke gewählt hatten, erstattete Irish Ferries die für die Fahrt durch Großbritannien angefallenen Kraftstoffkosten.

    35

    Sie zahlte jedoch keine Entschädigung für die verspätete Ankunft am Endziel an Fahrgäste, die einen entsprechenden Antrag gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 gestellt hatten. Sie habe nämlich eine anderweitige Beförderung und eine Erstattung des Fahrpreises nach Art. 18 der Verordnung angeboten, und die Art. 18 und 19 der Verordnung seien nicht nebeneinander anwendbar.

    36

    Am 1. August 2018 richtete die irische Transportbehörde an Irish Ferries eine „Vorabverfügung“ betreffend die Anwendung der Verordnung Nr. 1177/2010 auf die annullierten Überfahrten, zu der Irish Ferries am 15. August 2018 Stellung nahm.

    37

    Am 19. Oktober 2018 erließ die irische Transportbehörde eine Entscheidung, in der sie feststellte, dass erstens die Verordnung Nr. 1177/2010 auf die im Sommer 2018 annullierten Überfahrten zwischen Dublin und Cherbourg Anwendung finde, zweitens Irish Ferries den Anforderungen des Art. 18 der Verordnung zuwidergehandelt habe und drittens dieser Beförderer Art. 19 der Verordnung nicht beachtet habe. Gemäß Regulation 4(1) der Verordnung von 2012 wurde diese Entscheidung durch den Erlass zweier Verfügungen konkretisiert, die auf der Grundlage der Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 ergingen.

    38

    Irish Ferries nahm im November 2018 gemäß Regulation 4(2) der Verordnung von 2012 zu dieser Entscheidung Stellung.

    39

    Mit Entscheidung vom 25. Januar 2019, die am Ende eines kontradiktorischen Verfahrens erging, bestätigte die irische Transportbehörde die auf der Grundlage der Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 ergangenen Verfügungen. Zum einen vertrat sie die Ansicht, dass Irish Ferries gegen die in Art. 18 der Verordnung vorgesehene Pflicht zu anderweitiger Beförderung verstoßen habe, und forderte Irish Ferries auf, den von den annullierten Überfahrten betroffenen Fahrgästen, die sich für die anderweitige Beförderung nach und von Rosslare (statt Dublin) und/oder nach und von Roscoff (statt Cherbourg) entschieden hätten, etwaige zusätzliche Kosten zu erstatten.

    40

    Zum anderen vertrat sie die Ansicht, dass Irish Ferries gegen Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 verstoßen habe, und forderte sie auf, eine Entschädigung an die Fahrgäste zu zahlen, die von einer Verspätung am im Beförderungsvertrag festgelegten Endziel betroffen gewesen seien.

    41

    Irish Ferries ficht sowohl die Entscheidung vom 25. Januar 2019 als auch die auf der Grundlage der Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 ergangenen Verfügungen vor dem High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) an. Sie macht erstens geltend, diese Verordnung sei nicht anwendbar, wenn die Annullierung des Personenverkehrsdienstes mehrere Wochen vor dem Zeitpunkt der geplanten Überfahrten erfolge. Zweitens tritt sie der von der irischen Transportbehörde vorgenommenen Auslegung und Anwendung der Art. 18 bis 20 der Verordnung entgegen. Die verspätete Lieferung des fraglichen Schiffes stelle einen außergewöhnlichen Umstand dar, der sie von der Entschädigungspflicht nach Art. 19 der Verordnung befreie. Drittens wirft Irish Ferries der irischen Transportbehörde vor, ihre Befugnisse überschritten und damit gegen Art. 25 der Verordnung verstoßen zu haben, da sie ihre Zuständigkeit auf die Verkehrsdienste von Frankreich nach Irland erstreckt habe, für die jedoch ausschließlich die französische Stelle zuständig sei. Viertens trägt Irish Ferries vor, die irische Transportbehörde habe gegen Art. 24 der Verordnung verstoßen, weil sie die Wirkung ihrer Entscheidung nicht auf die Fahrgäste begrenzt habe, die eine form- und fristgerechte Beschwerde nach Art. 24 der Verordnung eingereicht hätten. Fünftens macht Irish Ferries geltend, dass diese Verordnung wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung sowie gegen die Art. 16, 17 und 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) ungültig sei.

    42

    Unter diesen Umständen hat der High Court (Hoher Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Findet die Verordnung Nr. 1177/2010 (insbesondere Art. 18 und/oder Art. 19) in Fällen Anwendung, in denen Fahrgäste im Voraus Buchungen vorgenommen und Beförderungsverträge abgeschlossen haben und in denen die Personenbeförderungsdienste mindestens sieben Wochen vor der planmäßigen Abfahrt aufgrund der verzögerten Lieferung eines neuen Schiffes an den Fährdienstbetreiber annulliert wurden? Sind in diesem Zusammenhang einige (oder alle) der folgenden Umstände für die Anwendbarkeit der Verordnung relevant:

    a)

    Die Lieferung erfolgte schließlich mit einer Verspätung von 200 Tagen;

    b)

    der Fährdienstbetreiber musste Fahrten für eine ganze Saison annullieren;

    c)

    es konnte kein geeignetes Ersatzschiff beschafft werden;

    d)

    mehr als 20000 Fahrgäste wurden vom Fährdienstbetreiber auf verschiedene andere Fahrten umgebucht oder ließen sich den Fahrpreis erstatten;

    e)

    die Fahrten sollten auf einer vom Fährdienstbetreiber neu eröffneten Strecke erfolgen, für die es keinen vergleichbaren Verkehrsdienst gab?

    2.

    Wird in dem Fall, dass ein Fahrgast gemäß Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 anderweitig befördert wird, ein neuer Beförderungsvertrag geschlossen, so dass der Anspruch auf Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung nach dem neuen Beförderungsvertrag und nicht nach dem ursprünglichen Beförderungsvertrag zu bestimmen ist?

    3.

    a)

    Stellt es – bei Anwendbarkeit von Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 – in dem Fall, dass eine Fahrt annulliert wurde und es auf dieser Strecke keinen alternativen Verkehrsdienst (d. h. keine direkte Verbindung zwischen diesen beiden Häfen) gibt, eine „anderweitige Beförderung zum … Endziel“ im Sinne von Art. 18 der Verordnung dar, wenn eine Ersatzfahrt auf irgendeiner anderen verfügbaren und vom Fahrgast gewählten Strecke (bzw. Strecken) angeboten wird, einschließlich derjenigen über die „Landbrücke“ (d. h. eine Reise von Irland in das Vereinigte Königreich mit der Fähre und eine anschließende Fahrt über Land, wobei der Fährdienstbetreiber dem Fahrgast die Kraftstoffkosten erstattet, zu einem Hafen des Vereinigten Königreichs, von dem es eine Fährverbindung nach Frankreich gibt, und anschließende Weiterreise nach Frankreich, wobei der Fahrgast jede der Schiffsfahrten selbst auswählt)? Wenn nein, welche Kriterien sind heranzuziehen, um zu bestimmen, ob eine anderweitige Beförderung unter vergleichbaren Bedingungen erfolgt?

    b)

    Ist in dem Fall, dass es keine alternative Fahrt auf der annullierten Strecke gibt, so dass dem betroffenen Fahrgast keine direkte Fahrt vom ursprünglichen Einschiffungshafen zum im Beförderungsvertrag festgelegten Endziel angeboten werden kann, der Beförderer verpflichtet, die zusätzlichen Kosten zu tragen, die einem anderweitig beförderten Fahrgast dadurch entstanden sind, dass er zum und vom neuen Einschiffungshafen und/oder zum und vom neuen Bestimmungshafen reisen musste?

    4.

    a)

    Kann Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 Anwendung finden, wenn die Reise bereits mindestens sieben Wochen vor der geplanten Abfahrt annulliert wurde? Falls ja, ist Art. 19 der Verordnung auch dann anwendbar, wenn Art. 18 der Verordnung angewandt wurde und der Fahrgast ohne Aufpreis anderweitig befördert wurde und/oder eine Erstattung erhalten und/oder eine spätere Fahrt gewählt hat?

    b)

    Was ist, falls Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 anwendbar ist, unter „Endziel“ im Sinne von Art. 19 der Verordnung zu verstehen?

    5.

    Falls Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 Anwendung finden kann:

    a)

    Wie ist der Zeitraum der Verspätung unter diesen Umständen zu bemessen?

    b)

    Wie ist bei der Festsetzung der Höhe der zu zahlenden Entschädigung der Fahrpreis im Sinne von Art. 19 der Verordnung zu berechnen und sind insbesondere auch Aufwendungen für Extras (z. B. Kabinen, Hundezwinger und Premium-Lounges) zu berücksichtigen?

    6.

    Falls die Verordnung Nr. 1177/2010 Anwendung findet, handelt es sich dann bei den in Frage 1 beschriebenen Umständen und Erwägungen um „außergewöhnliche Umstände, die auch dann nicht hätten vermieden werden können, wenn alle zumutbaren Maßnahmen getroffen worden wären“, im Sinne von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung?

    7.

    Wird durch Art. 24 der Verordnung Nr. 1177/2010 jedem Fahrgast, der eine Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung beanspruchen will, die Pflicht auferlegt, innerhalb von zwei Monaten nach der tatsächlichen oder geplanten Durchführung des Verkehrsdienstes eine Beschwerde einzureichen?

    8.

    Beschränkt sich die Zuständigkeit der für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 1177/2010 zuständigen nationalen Stelle auf Fahrten, die die in Art. 25 der Verordnung genannten Häfen betreffen, oder kann sie sich auch auf eine Rückfahrt vom Hafen eines anderen Mitgliedstaats zum Mitgliedstaat der zuständigen nationalen Stelle erstrecken?

    9.

    a)

    Welche unionsrechtlichen Grundsätze und Vorschriften soll das vorlegende Gericht anwenden, um die Gültigkeit der Entscheidung und/oder der Verfügungen der für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 1177/2010 zuständigen nationalen Stelle im Hinblick auf die Art. 16, 17, 20 und/oder 47 der Charta und/oder auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung zu beurteilen?

    b)

    Ist bei der Unangemessenheitsprüfung, die das nationale Gericht durchzuführen hat, auf offensichtliche Fehler abzustellen?

    10.

    Ist die Verordnung Nr. 1177/2010 nach dem Unionsrecht gültig, und zwar in Anbetracht insbesondere

    a)

    der Art. 16, 17 und 20 der Charta;

    b)

    der Tatsache, dass Fluggesellschaften nicht verpflichtet sind, Entschädigungen zu leisten, wenn sie die Fluggäste mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung unterrichten (vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Verordnung Nr. 261/2004);

    c)

    der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung?

    Zu den Vorlagefragen

    Zur Frage 1

    43

    Mit der Frage 1 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass sie anwendbar ist, wenn ein Beförderer einen Personenverkehrsdienst mehrere Wochen vor dem ursprünglich vorgesehenen Abfahrtstermin annulliert, weil das für diesen Dienst eingeplante Schiff verspätet geliefert wird und nicht ersetzt werden kann.

    44

    Vorab ist festzustellen, dass sowohl aus der Frage selbst als auch aus der Begründung der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass sich das vorlegende Gericht auf eine Reihe von Umständen bezieht, die seiner Ansicht nach für die Beantwortung der Frage erheblich sein können, wie z. B., dass der Beförderer kein Ersatzschiff beschaffen konnte, dass es auf der betreffenden Verbindung keinen entsprechenden alternativen Verkehrsdienst gab, da es sich um eine neu eröffnete Verbindung handelte, oder dass die durch die verspätete Lieferung des fraglichen Schiffes verursachte Annullierung der Überfahrten zahlreiche Fahrgäste betraf, die entweder eine Erstattung erhielten oder mit anderen Schiffen auf anderen Überfahrten oder mit anderen Verkehrsträgern anderweitig befördert wurden. Gleichwohl geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das vorlegende Gericht in Anbetracht des von Irish Ferries vor ihm geltend gemachten Vorbringens in Wirklichkeit wissen möchte, ob die Verordnung Nr. 1177/2010 anwendbar ist, wenn der Beförderer die Fahrgäste mehrere Wochen im Voraus von der Annullierung des Verkehrsdienstes in Kenntnis gesetzt hat. Denn nach Ansicht von Irish Ferries ist die Verordnung nur auf zwei Kategorien von Fahrgästen anwendbar, nämlich zum einen auf Fahrgäste, deren unmittelbar bevorstehende Überfahrt annulliert wird oder sich verspätet und die sich physisch am Hafen befinden, und zum anderen auf Fahrgäste, die sich während der Fahrt an Bord befinden.

    45

    Nach dieser Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass der Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1177/2010 in ihrem Art. 2 abgegrenzt wird. In Art. 2 Abs. 1 wird der Grundsatz aufgestellt, dass die Verordnung für drei Kategorien von Fahrgästen gilt, nämlich erstens für Fahrgäste, die mit Personenverkehrsdiensten reisen, bei denen der Einschiffungshafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt, zweitens für Fahrgäste, die mit Personenverkehrsdiensten reisen, bei denen der Einschiffungshafen nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt und der Ausschiffungshafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt, sofern der Verkehrsdienst von einem Beförderer aus der Union erbracht wird, und drittens für Fahrgäste, die an einer Kreuzfahrt teilnehmen, bei der der Einschiffungshafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats liegt. In Art. 2 Abs. 2 bis 4 werden die Fälle aufgezählt, in denen die Verordnung nicht gilt.

    46

    Aus einer Gesamtbetrachtung von Art. 2 der Verordnung Nr. 1177/2010 ergibt sich, dass der Unionsgesetzgeber den Geltungsbereich der Verordnung anhand von zwei Kriterien abgrenzen wollte, die kumulativ zu berücksichtigen sind, nämlich zum einen den Einschiffungs- oder Ausschiffungshafen des betreffenden Verkehrsdienstes und zum anderen den Umstand, dass der Fahrgast mit dem Verkehrsdienst „reist“ oder an einer Kreuzfahrt „teilnimmt“.

    47

    Vorliegend ist zur Beantwortung der ersten Frage der Begriff des Reisens mit einem Seeverkehrsdienst auszulegen. Dieser Begriff wird allerdings weder in Art. 2 noch in einer anderen Bestimmung der Verordnung Nr. 1177/2010 definiert. Er lässt sich jedoch entsprechend seiner Bedeutung im gewöhnlichen Sprachgebrauch sowohl in einem engeren Sinne, wonach nur diejenigen Fahrgäste mit einem solchen Dienst reisen, die während der Beförderung an Bord eines Schiffes sind, als auch in einem weiteren Sinne verstehen, wonach auch solche Fahrgäste erfasst werden, die beabsichtigen, mit einem Seeverkehrsdienst zu reisen, und bereits die hierfür nötigen Schritte wie eine Buchung oder den Kauf eines Fahrscheins unternommen haben.

    48

    Daher ist der Begriff des Reisens nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs unter Berücksichtigung nicht nur seines Wortlauts, sondern auch seines Zusammenhangs und der Ziele auszulegen, die mit der Regelung, zu der er gehört, verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 2017, Kamin und Grill Shop, C‑289/16, EU:C:2017:758, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    49

    Insoweit spricht die allgemeine Systematik der Verordnung Nr. 1177/2010 für eine weite Auslegung des Begriffs des Reisens mit einem Seeverkehrsdienst. Diese Verordnung enthält nämlich – wie der Generalanwalt in Nr. 61 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – Bestimmungen, die auf die der Erbringung eines Personenverkehrsdienstes vorausgehenden Phase anwendbar sind. So verbietet Art. 4 Abs. 2 der Verordnung dem Personenbeförderer im Wesentlichen, der Allgemeinheit Vertragsbedingungen und Tarife anzubieten, die eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit begründen würden. Desgleichen sieht Art. 7 Abs. 2 der Verordnung vor, dass Buchungen und Fahrscheine für behinderte Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität ohne Aufpreis zu denselben Bedingungen angeboten werden, wie sie für alle anderen Fahrgäste gelten.

    50

    Außerdem würden die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 weitgehend ihres Sinnes beraubt, wenn der Begriff eines Fahrgastes, der gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung „mit [Verkehrsdiensten] reist“ nur Fahrgäste umfassen würde, die sich bereits an Bord eines Schiffes befinden.

    51

    Die Auslegung dieses Begriffs dahin, dass er auch Fahrgäste umfasst, die eine Buchung für einen Seeverkehrsdienst vorgenommen oder einen entsprechenden Fahrschein gekauft haben, wird auch durch die Ziele der Verordnung Nr. 1177/2010 bestätigt. Nach den Erwägungsgründen 1, 2 und 13 der Verordnung zielt diese darauf ab, für Fahrgäste ein hohes Schutzniveau sicherzustellen, wobei den allgemeinen Erfordernissen des Verbraucherschutzes Rechnung getragen wird, indem ihnen ein Mindestmaß an Schutz gewährt wird, weil sie im Beförderungsvertrag die schwächere Partei sind. Somit wollte der Unionsgesetzgeber in einer Reihe von Situationen, die zu großen Unannehmlichkeiten führen, die Rechte der Fahrgäste stärken und diese Unannehmlichkeiten einheitlich und unverzüglich beseitigen.

    52

    Diese Ziele haben jedoch für Personen, die eine Buchung für einen Seeverkehrsdienst vorgenommen oder einen entsprechenden Fahrschein gekauft haben, mindestens dieselbe Bedeutung wie für Fahrgäste, die sich bereits an Bord eines Schiffes befinden, mit dem eine solche Beförderung durchgeführt wird.

    53

    In diesem Zusammenhang kann nicht angenommen werden, dass der Unionsgesetzgeber den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1177/2010, ohne dies in Art. 2 der Verordnung speziell zu regeln, an zusätzliche Voraussetzungen wie die in der Frage 1 genannten knüpfen wollte, wie z. B. daran, dass der Fahrgast einen bestimmten Zeitraum im Voraus über die Annullierung eines Verkehrsdienstes zu unterrichten ist, dass der Fahrgast am Hafen oder an Bord des befördernden Schiffes physisch anwesend sein muss oder dass dieses Schiff verfügbar sein muss.

    54

    Zudem enthalten die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 1177/2010 keine Anhaltspunkte für das Vorbringen von Irish Ferries, dass der Unionsgesetzgeber den Geltungsbereich der Verordnung durch die in der vorstehenden Randnummer genannten zusätzlichen Voraussetzungen habe einschränken wollen.

    55

    Was speziell die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 anbelangt, ergibt sich aus ihrem jeweiligen Wortlaut nicht, dass ihre Geltung durch die in Rn. 53 des vorliegenden Urteils genannten zusätzlichen Voraussetzungen eingeschränkt wäre.

    56

    Dass sich die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 in deren Kapitel III („Pflichten der Beförderer und Terminalbetreiber bei Reiseunterbrechung“) finden, kann eine restriktive Auslegung dahin, dass sie nur dann gelten, wenn ein Teil der Reise bereits stattgefunden hat, bevor sie unterbrochen wird, und sich die Fahrgäste daher physisch am Hafen oder an Bord des Schiffes befinden, nicht stützen. Denn abgesehen davon, dass die Erwägungsgründe 13 und 14 der Verordnung keine solche Einschränkung enthalten, genügt die Feststellung, dass der Begriff der Reise – wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – in der Verordnung Nr. 1177/2010 nicht definiert wird und daher nicht als Grundlage für eine Abgrenzung des Geltungsbereichs der Verordnung dienen kann.

    57

    Schließlich ist festzustellen, dass zwar Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 1177/2010 vorsieht, dass ihre Art. 18 und 19 nicht gelten, wenn ein Fahrgast an einer Kreuzfahrt teilnimmt, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung jedoch keine entsprechende Ausnahme für Personenverkehrsdienste vorsieht. Fälle, in denen die Art. 18 und 19 der Verordnung nicht für einen solchen Dienst gelten, sind somit nur in deren Art. 20 („Ausnahmen“) genannt. Wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gehören Reiseunterbrechungen jedoch nicht zu den Fällen, in denen diese Artikel nicht gelten.

    58

    Nach alledem ist auf die Frage 1 zu antworten, dass die Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass sie anwendbar ist, wenn ein Beförderer einen Personenverkehrsdienst mehrere Wochen vor dem ursprünglich vorgesehenen Abfahrtstermin annulliert, weil das für diesen Dienst eingeplante Schiff verspätet geliefert wird und nicht ersetzt werden kann.

    Zur Frage 3

    59

    Mit der Frage 3 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass der Beförderer, wenn ein Personenverkehrsdienst annulliert wird und es auf derselben Verbindung keinen alternativen Verkehrsdienst gibt, verpflichtet ist, dem Fahrgast aufgrund seines in dieser Bestimmung vorgesehenen Anspruchs auf anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Bedingungen einen alternativen Verkehrsdienst auf einer anderen Strecke als der des annullierten Dienstes oder einen Seeverkehrsdienst in Kombination mit anderen Verkehrsträgern wie dem Straßen- oder Schienenverkehr anzubieten, und bejahendenfalls, ob der Beförderer etwaige zusätzliche Kosten zu übernehmen hat, die dem Fahrgast im Rahmen dieser anderweitigen Beförderung zum Endziel entstanden sind.

    60

    Erstens ist festzustellen, dass der Begriff des Endziels weder in Art. 18 noch in einer anderen Bestimmung der Verordnung Nr. 1177/2010 definiert wird. Allerdings ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung, dass das Endziel im Beförderungsvertrag festgelegt wird und – wie der Generalanwalt in den Nrn. 79 und 81 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – dem zwischen dem Beförderer und dem Fahrgast beim Abschluss des Beförderungsvertrags vereinbarten Ort, an den der Fahrgast mit dem Verkehrsdienst zu befördern ist, entspricht, d. h. dem in diesem Vertrag angegebenen Ausschiffungshafen.

    61

    Insoweit ist festzustellen, dass ein Personenverkehrsdienst nach Art. 3 Buchst. f der Verordnung Nr. 1177/2010 ein gewerblicher Verkehrsdienst zur Personenbeförderung auf See oder Binnenwasserstraßen nach einem veröffentlichten Fahrplan ist. Der Beförderungsvertrag ist in Art. 3 Buchst. m der Verordnung als ein Vertrag zwischen einem Beförderer und einem Fahrgast über die Erbringung eines oder mehrerer Personenverkehrsdienste oder von Kreuzfahrten definiert. Nach Art. 3 Buchst. r der Verordnung konkretisiert sich der Abschluss des Beförderungsvertrags für den Fahrgast durch die Reservierung einer bestimmten Abfahrt eines von einem Beförderer angebotenen Personenverkehrsdienstes; der Beförderer stellt dann einen Fahrschein aus, der nach Art. 3 Buchst. n der Verordnung einen Nachweis für den Beförderungsvertrag darstellt.

    62

    Aus der vorstehenden Randnummer ergibt sich, dass der Abschluss eines Beförderungsvertrags, der ein gegenseitiger Vertrag ist, dem Fahrgast als Gegenleistung für den von ihm gezahlten Preis einen Anspruch auf Beförderung durch den Beförderer verleiht, dessen wesentliche Bestandteile, nämlich insbesondere Ort der Abfahrt und der Ankunft am Endziel, Tag und Uhrzeit sowie Dauer dieses Verkehrsdienstes, festgelegt sind.

    63

    Zweitens ist in Anbetracht dessen, dass der Begriff der anderweitigen Beförderung weder in Art. 18 noch in einer anderen Bestimmung der Verordnung Nr. 1177/2010 definiert ist, festzustellen, dass dieser Begriff entsprechend seiner Bedeutung im gewöhnlichen Sprachgebrauch darauf verweist, dass der Fahrgast unter anderen Umständen als den ursprünglich vorgesehenen zum Endziel befördert wird, ohne jedoch zu verlangen, dass Strecke und Verkehrsträger dieselben sind wie ursprünglich vorgesehen.

    64

    Folglich bedeutet der Begriff der anderweitigen Beförderung zum Endziel im Sinne von Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010, dass der Fahrgast zum vertraglich festgelegten Ort befördert wird, ohne dass Strecke und Verkehrsträger zwangsläufig dieselben sind wie ursprünglich vorgesehen. Daraus ergibt sich, dass der Beförderer grundsätzlich über einen gewissen Spielraum verfügt, um dem Fahrgast, dessen Verkehrsdienst annulliert worden ist, eine anderweitige Beförderung zum Endziel anzubieten. Er darf daher eine anderweitige Beförderung entweder mit einem alternativen Personenverkehrsdienst von einem Einschiffungshafen und/oder zu einem Ausschiffungshafen auf einer anderen Strecke als der im Beförderungsvertrag ursprünglich vorgesehenen oder mit einem solchen Verkehrsdienst mit Anschlüssen oder aber mit einem Seeverkehrsdienst in Kombination mit anderen Verkehrsträgern wie dem Straßen- oder Schienenverkehr anbieten.

    65

    Drittens ist festzustellen, dass diese Befugnis des Beförderers allerdings durch die in Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 genannten Bedingungen begrenzt ist, nämlich dass diese anderweitige Beförderung ohne Aufpreis, unter vergleichbaren Bedingungen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt durchzuführen ist.

    66

    Zunächst ist in Bezug auf die Anforderung, dass die anderweitige Beförderung „ohne Aufpreis“ im Sinne von Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 durchzuführen ist, darauf hinzuweisen, dass die anderweitige Beförderung nach dem Willen des Unionsgesetzgebers dem Fahrgast keine zusätzlichen Kosten im Vergleich zu den Kosten verursachen darf, die ihm im Zusammenhang mit dem annullierten Verkehrsdienst zwangsläufig entstanden wären, und zwar insbesondere, um sich zum ursprünglich vereinbarten Einschiffungshafen zu begeben. Somit hat der Beförderer etwaige zusätzliche Kosten wie die für Kraftstoff oder Maut zu tragen, die der Fahrgast gezahlt hat, um sich zum alternativen Einschiffungshafen zu begeben oder um sich vom alternativen Ausschiffungshafen zum ursprünglich vorgesehenen Ausschiffungshafen zu begeben, oder auch die Kosten, die dem Fahrgast im Straßen- oder Schienenverkehr bei einer Landbrücke entstehen. Allerdings darf die anderweitige Beförderung, die zwar nicht zum Nachteil des Fahrgastes erfolgen darf, ihn ebenso wenig in eine günstigere Lage als die im Vertrag vorgesehene versetzen, so dass es dem Fahrgast obliegt, die ihm durch die anderweitige Beförderung verursachten Kosten nachzuweisen.

    67

    Daraus ergibt sich, dass die Anforderung einer anderweitigen Beförderung „ohne Aufpreis“ dahin auszulegen ist, dass der Beförderer die Kosten übernehmen muss, die dem Fahrgast im Rahmen der anderweitigen Beförderung zum Endziel gegebenenfalls entstehen.

    68

    Sodann sieht Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1177/2010 vor, dass der Beförderer eine anderweitige Beförderung unter vergleichbaren Bedingungen anzubieten hat. Insoweit heißt es im 13. Erwägungsgrund der Verordnung, dass der Beförderer eine anderweitige Beförderung zu annehmbaren Bedingungen anzubieten hat.

    69

    Aus einer Gesamtschau dieser Bestimmungen ergibt sich, dass der Unionsgesetzgeber dem Beförderer aufgegeben hat, dem Fahrgast eine anderweitige Beförderung nicht zu identischen Bedingungen, sondern zu vergleichbaren und annehmbaren Bedingungen anzubieten, was bedeutet, dass die Bedingungen des Angebots einer anderweitigen Beförderung – wie der Generalanwalt in Nr. 88 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – mit den im Beförderungsvertrag ursprünglich vorgesehenen Bedingungen zu vergleichen sind. Insoweit ist bei der Prüfung der Vergleichbarkeit der Beförderungsbedingungen auf die wesentlichen Bestandteile des Beförderungsvertrags abzustellen, wie Ort der Abfahrt und der Ankunft am Endziel, Tag und Uhrzeit sowie Dauer des Verkehrsdienstes, Anzahl etwaiger Anschlüsse, Fahrscheinklasse und vom Fahrgast gebuchte Kabinenart, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Darüber hinaus ist diese Prüfung vom Standpunkt des Fahrgastes vorzunehmen, denn nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 in Verbindung mit deren Erwägungsgründen 12 und 13 sind es die dem Fahrgast vom Beförderer übermittelten Informationen, anhand deren er darüber entscheiden kann, ob er sich anderweitig befördern oder den Fahrpreis erstatten lässt.

    70

    Schließlich verlangt Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1177/2010 durch die Bezugnahme auf eine anderweitige Beförderung „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ vom Beförderer, dass er dem Fahrgast eine anderweitige Beförderung anbietet, die es ihm ermöglicht, sein Endziel zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erreichen. Damit soll verhindert werden, dass der Beförderer lediglich eine anderweitige Beförderung mit einem späteren Seeverkehrsdienst auf derselben Strecke anbietet, obgleich es andere Möglichkeiten einer anderweitigen Beförderung gäbe, bei denen der Fahrgast sein Endziel früher erreichen könnte.

    71

    Die in Rn. 64 des vorliegenden Urteils vertretene Auslegung des Begriffs der anderweitigen Beförderung zum Endziel im Sinne von Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 wird durch die Ziele der Verordnung bestätigt.

    72

    Wie in Rn. 51 des vorliegenden Urteils ausgeführt, soll die Verordnung Nr. 1177/2010 gemäß ihren Erwägungsgründen 1, 2 und 13 ein hohes Schutzniveau für die Fahrgäste dadurch sicherstellen, dass ihre Rechte in einer Reihe von Situationen, die zu großen Unannehmlichkeiten führen, gestärkt und diese Unannehmlichkeiten einheitlich und unverzüglich beseitigt werden.

    73

    Würde der Begriff der anderweitigen Beförderung zum Endziel aber so eng ausgelegt, dass er sich auf das Angebot einer anderweitigen Beförderung auf derselben Strecke wie der des annullierten Verkehrsdienstes beschränkt, würde dieses Ziel beeinträchtigt, da dem in Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 vorgesehenen Anspruch des Fahrgastes auf anderweitige Beförderung damit die praktische Wirksamkeit genommen würde, wenn es auf der betroffenen Verbindung keinen alternativen Verkehrsdienst gibt.

    74

    Nach alledem ist auf die Frage 3 zu antworten, dass Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass der Beförderer, wenn ein Personenverkehrsdienst annulliert wird und es auf derselben Verbindung keinen alternativen Verkehrsdienst gibt, verpflichtet ist, dem Fahrgast aufgrund seines in dieser Bestimmung vorgesehenen Anspruchs auf anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Bedingungen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen alternativen Verkehrsdienst auf einer anderen Strecke als der des annullierten Dienstes oder einen Seeverkehrsdienst in Kombination mit anderen Verkehrsträgern wie dem Straßen- oder Schienenverkehr anzubieten, und etwaige zusätzliche Kosten zu übernehmen hat, die dem Fahrgast im Rahmen dieser anderweitigen Beförderung zum Endziel entstanden sind.

    Zu den Fragen 2, 4 und 5a

    75

    Mit seinen Fragen 2, 4 und 5a, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen sind, dass in dem Fall, dass der Beförderer einen Personenverkehrsdienst mehrere Wochen vor dem ursprünglich vorgesehenen Abfahrtstermin annulliert, der Fahrgast, der sich gemäß Art. 18 der Verordnung für eine Erstattung des Fahrpreises oder für eine zum frühestmöglichen oder zu einem späteren Zeitpunkt erfolgende anderweitige Beförderung zu dem im Beförderungsvertrag festgelegten Endziel entscheidet, auch einen Anspruch auf Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung hat.

    76

    Erstens ist zur Anwendbarkeit von Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 auf den Fall eines Fahrgastes, dessen Verkehrsdienst annulliert wurde, festzustellen, dass dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht zu entnehmen ist, dass sie auf einen solchen Fall nicht anwendbar wäre. Ferner geht aus dem 14. Erwägungsgrund der Verordnung hervor, dass der Unionsgesetzgeber den Beförderern aufgeben wollte, Fahrgästen nicht nur bei einer Verspätung eines Personenverkehrsdienstes, sondern auch bei einer Annullierung eines solchen Dienstes eine Entschädigung zu zahlen.

    77

    Folglich kann ein Fahrgast, dessen Verkehrsdienst annulliert worden ist, eine Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 beanspruchen.

    78

    Diese Auslegung wird durch den Zusammenhang bestätigt, in den sich Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 einfügt. Denn Art. 20 der Verordnung, der die Fälle nennt, in denen Art. 19 der Verordnung nicht gilt, sieht zum einen in Abs. 2 vor, dass Art. 19 nicht zur Anwendung kommt, wenn der Fahrgast vor dem Kauf des Fahrscheins über die Annullierung informiert wurde oder wenn diese auf sein Verschulden zurückgeht, und zum anderen in Abs. 4, dass der Beförderer die in Art. 19 vorgesehene Entschädigung nicht zahlen muss, wenn er nachweist, dass die Annullierung des Verkehrsdienstes durch Wetterbedingungen, die den sicheren Betrieb des Schiffes beeinträchtigen, oder durch außergewöhnliche Umstände verursacht wurde.

    79

    Die Auslegung steht auch im Einklang mit dem in Rn. 51 des vorliegenden Urteils genannten Ziel der Verordnung Nr. 1177/2010, ein hohes Schutzniveau für die Fahrgäste sicherzustellen.

    80

    Zweitens sind die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen ein Fahrgast infolge der Annullierung eines Verkehrsdienstes die Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 beanspruchen kann.

    81

    Insoweit ergibt sich zum einen aus Art. 18 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1177/2010, dass die Fahrgäste einen Anspruch auf anderweitige Beförderung oder auf Erstattung des Fahrpreises durch den Beförderer haben, wenn ein Verkehrsdienst annulliert wird oder der Beförderer vernünftigerweise von einer solchen Annullierung ausgehen muss.

    82

    Nach dem 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1177/2010 müssen die Fahrgäste, um die ihnen durch Annullierung von Verkehrsdiensten entstehenden Unannehmlichkeiten zu verringern, die Möglichkeit haben, ihre Reise zu stornieren und sich den Fahrpreis erstatten zu lassen oder eine anderweitige Beförderung zu annehmbaren Bedingungen zu erhalten.

    83

    Aus einer Gesamtschau von Art. 18 und dem 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1177/2010 ergibt sich, dass die Annullierung eines Personenverkehrsdienstes durch den Beförderer nach Ansicht des Unionsgesetzgebers nicht dazu führt, dass der Beförderungsvertrag einseitig aufgelöst wird, sondern dazu, dass der Fahrgast wählen kann, ob er die Vertragsbeziehung in Gestalt einer anderweitigen Beförderung fortsetzt oder dadurch beendet, dass er die Erstattung des Fahrpreises beantragt.

    84

    Folglich kann die Entscheidung des über die Annullierung des Verkehrsdienstes unterrichteten Fahrgastes für eine anderweitige Beförderung entgegen dem Vorbringen von Irish Ferries in ihren schriftlichen Erklärungen nicht mit dem Abschluss eines neuen Beförderungsvertrags gleichgestellt werden, da diese Entscheidung nur die Wahrnehmung eines Rechts darstellt, das dem Fahrgast durch Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 verliehen wird.

    85

    Zum anderen geht aus Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1177/2010 im Wesentlichen hervor, dass der Fahrgast bei einer verspäteten Ankunft am Endziel einen Anspruch auf Entschädigung durch den Beförderer hat, ohne das Recht auf Beförderung zu verlieren.

    86

    Mit der Angabe in Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1177/2010, dass ein solcher Fahrgast einen Anspruch auf Entschädigung durch den Beförderer hat, ohne das Recht auf Beförderung zu verlieren, wollte der Unionsgesetzgeber die Zahlung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Entschädigung davon abhängig machen, dass der Fahrgast ein Recht auf Beförderung hat. Wenn also der Fahrgast kein Recht auf Beförderung (mehr) hat, kann er keine Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 beanspruchen.

    87

    Folglich ist zwischen dem Fall, dass ein Fahrgast die Erstattung des Fahrpreises beantragt hat, und dem Fall zu unterscheiden, dass ein Fahrgast beantragt hat, zum frühestmöglichen oder zu einem späteren Zeitpunkt anderweitig zu dem im Beförderungsvertrag festgelegten Endziel befördert zu werden.

    88

    In Bezug auf den Fahrgast, der gemäß Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 die Erstattung des Fahrpreises beantragt, ist – wie der Generalanwalt in Nr. 108 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – nämlich festzustellen, dass er in einem solchen Fall mit diesem Antrag seinen Willen zum Ausdruck bringt, sich von seiner Pflicht zur Zahlung des Fahrpreises zu befreien, und folglich sein Recht auf Beförderung zum Endziel verliert. Daher hat dieser Fahrgast keinen Anspruch auf Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung.

    89

    Wählt ein Fahrgast allerdings nicht die Erstattung, sondern eine anderweitige Beförderung zum Endziel zum frühestmöglichen oder zu einem späteren Zeitpunkt, ist anzunehmen, dass er seinen Willen, befördert zu werden, bekräftigt und folglich nicht auf sein Recht auf Beförderung zum Endziel verzichtet, für die er bezahlt hat. Dieser Fahrgast hat daher einen Anspruch auf Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010, wenn die dort genannten Schwellenwerte überschritten sind. Erreicht der Fahrgast das im Beförderungsvertrag festgelegte Endziel, d. h. – wie aus Rn. 60 des vorliegenden Urteils hervorgeht – den in diesem Vertrag angegebenen Ausschiffungshafen, mit einer größeren als der in Art. 19 der Verordnung festgelegten Verspätung, hat er somit einen Anspruch auf Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung für die erlittenen großen Unannehmlichkeiten.

    90

    Nach alledem ist auf die Fragen 2, 4 und 5a zu antworten, dass die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen sind, dass in dem Fall, dass der Beförderer einen Personenverkehrsdienst mehrere Wochen vor dem ursprünglich vorgesehenen Abfahrtstermin annulliert, der Fahrgast, der sich gemäß Art. 18 der Verordnung dafür entscheidet, zum frühestmöglichen Zeitpunkt anderweitig befördert zu werden oder seine Reise auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, und am ursprünglich vorgesehenen Endziel mit einer Verspätung ankommt, die über den in Art. 19 der Verordnung festgelegten Schwellenwerten liegt, einen Anspruch auf Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung hat. Entscheidet sich ein Fahrgast dagegen für die Erstattung des Fahrpreises, hat er keinen Anspruch auf Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung.

    Zur Frage 5b

    91

    Mit der Frage 5b möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass der in diesem Artikel enthaltene Begriff des Fahrpreises die Kosten für vom Fahrgast gewählte zusätzliche Sonderleistungen wie die Buchung einer Kabine oder eines Hundezwingers oder den Zugang zu Premium-Lounges einschließt.

    92

    Vorab ist festzustellen, dass Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 zwar die Methode zur Berechnung der Mindestentschädigung vorsieht, auf die ein Fahrgast, der die Voraussetzungen dieses Artikels erfüllt, Anspruch hat und die einem bestimmten Prozentsatz des Fahrpreises entspricht, doch wird weder in dieser noch in einer anderen Bestimmung der Verordnung festgelegt, was unter „Fahrpreis“ zu verstehen ist.

    93

    Andererseits ergibt sich zum einen – wie in Rn. 61 des vorliegenden Urteils ausgeführt – aus Art. 3 Buchst. n der Verordnung Nr. 1177/2010, dass der Fahrschein ein Dokument zum Nachweis eines Beförderungsvertrags ist, der zwischen einem Beförderer und einem Fahrgast zur Erbringung eines oder mehrerer Personenverkehrsdienste geschlossen wird.

    94

    Zum anderen bestimmt Art. 19 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1177/2010, dass die Entschädigung im Verhältnis zu dem Preis berechnet wird, den der Fahrgast für den Personenverkehrsdienst tatsächlich entrichtet hat.

    95

    Der Wendung „tatsächlich entrichtet“ nach ihrer Bedeutung im gewöhnlichen Sprachgebrauch ist zu entnehmen, dass der Unionsgesetzgeber – wie der Generalanwalt in Nr. 124 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat – auf den Gesamtbetrag Bezug nehmen wollte, den der Fahrgast als Gegenleistung für den Personenverkehrsdienst gezahlt hat, zu dessen Erbringung sich der Beförderer entsprechend den Vertragsbedingungen verpflichtet hat. Daher erfasst der Begriff des Fahrpreises alle Leistungen, zu deren Erbringung sich der Beförderer gegenüber dem Fahrgast als Gegenleistung für den gezahlten Preis verpflichtet hat, also nicht nur die Beförderungsleistung als solche, sondern auch alle zur Beförderung hinzukommenden Leistungen wie die Buchung einer Kabine oder eines Hundezwingers oder den Zugang zu Premium-Lounges. Nicht erfasst sind dagegen Beträge, die Leistungen entsprechen, die vom Personenverkehrsdienst unabhängig und eindeutig bestimmbar sind wie die vom Reiseveranstalter bei der Buchung erhobenen Kosten.

    96

    Diese Auslegung wird durch das in Rn. 51 des vorliegenden Urteils genannte Ziel bestätigt, ein hohes Schutzniveau für die Fahrgäste sicherzustellen. Denn sie ermöglicht dem betreffenden Fahrgast die einfache Bestimmung des Entschädigungsbetrags, auf den er bei Annullierung des Verkehrsdienstes Anspruch hat.

    97

    Die Auslegung wird auch durch die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 1177/2010 gestützt, aus denen sich ergibt, dass das Parlament vorgeschlagen hatte, den Begriff des Fahrpreises auf die Kosten für Beförderung und Unterkunft an Bord zu beschränken und die Kosten für Essen, andere Tätigkeiten und Käufe an Bord davon auszuschließen, der Unionsgesetzgeber es jedoch bewusst abgelehnt hat, den Begriff des Fahrpreises in verschiedene Bestandteile aufzuteilen. Damit hat der Unionsgesetzgeber die Ansicht zum Ausdruck gebracht, dass die Entschädigung anhand des Preises zu berechnen ist, den der Fahrgast als Gegenleistung für einen Verkehrsdienst gezahlt hat, der nicht vertragsgemäß erbracht wurde.

    98

    Schließlich lässt sich diese Auslegung auch nicht mit dem Vorbringen von Irish Ferries in Frage stellen, dass es nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sei, bei der Berechnung der dem Fahrgast zustehenden Entschädigung die von ihm gewählten zusätzlichen Sonderleistungen zu berücksichtigen, da dies erhebliche Folgen für die finanzielle Belastung der Beförderer hätte, die im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der Fahrgäste unverhältnismäßig wären. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann nämlich die Bedeutung, die dem Ziel des Schutzes der Verbraucher und somit auch der Fahrgäste im Seeverkehr zukommt, negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen (vgl. entsprechend Urteil vom 23. Oktober 2012, Nelson u. a.,C‑581/10 und C‑629/10, EU:C:2012:657, Rn. 81).

    99

    Nach alledem ist auf die Frage 5b zu antworten, dass Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass der in diesem Artikel enthaltene Begriff des Fahrpreises die Kosten für vom Fahrgast gewählte zusätzliche Sonderleistungen wie die Buchung einer Kabine oder eines Hundezwingers oder den Zugang zu Premium-Lounges einschließt.

    Zur Frage 6

    100

    Das vorlegende Gericht bezieht sich im Wortlaut der Frage 6 zwar auf eine Reihe von Umständen wie z. B., dass der Beförderer kein Ersatzschiff beschaffen konnte, dass es auf der betreffenden Verbindung keinen entsprechenden alternativen Verkehrsdienst gab, da es sich um eine neu eröffnete Verbindung handelte, oder dass die durch die verspätete Lieferung des fraglichen Schiffes verursachte Annullierung der Überfahrten zahlreiche Fahrgäste betraf, die entweder eine Erstattung erhielten oder mit anderen Schiffen auf anderen Überfahrten oder mit anderen Verkehrsträgern anderweitig befördert wurden, doch ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass all diese Umstände auf ein gemeinsames Vorkommnis zurückgehen, nämlich die verspätete Lieferung des fraglichen Schiffes, so dass die Frage 6 so zu verstehen ist, dass es nur darum geht, ob die verspätete Lieferung eines Schiffes unter den Begriff der außergewöhnlichen Umstände im Sinne von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1177/2010 fallen kann.

    101

    Folglich möchte das vorlegende Gericht mit der Frage 6 wissen, ob Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass die verspätete Lieferung eines Fahrgastschiffes, die zur Annullierung aller Überfahrten geführt hat, die mit diesem Schiff im Rahmen einer neuen Seeverbindung vorgenommen werden sollten, nicht unter den Begriff der außergewöhnlichen Umstände im Sinne dieser Bestimmung fällt.

    102

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 – wie sich aus Rn. 90 des vorliegenden Urteils ergibt – Anwendung findet, wenn sich der Fahrgast infolge der Annullierung eines Verkehrsdienstes gemäß Art. 18 der Verordnung dafür entscheidet, zum frühestmöglichen Zeitpunkt anderweitig befördert zu werden oder seine Reise auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

    103

    Allerdings sieht Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1177/2010 vor, dass Art. 19 der Verordnung nicht zur Anwendung kommt, wenn der Beförderer nachweist, dass die Annullierung oder Verspätung durch Wetterbedingungen, die den sicheren Betrieb des Schiffes beeinträchtigen, oder durch außergewöhnliche Umstände verursacht wurde, die die Erbringung des Personenverkehrsdienstes behindern und die auch dann nicht hätten vermieden werden können, wenn alle zumutbaren Maßnahmen getroffen worden wären.

    104

    Zwar wird der Begriff der außergewöhnlichen Umstände weder in Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1177/2010 noch in deren Art. 3 definiert, in dem eine Reihe von Begriffen für die Zwecke der Verordnung definiert ist, doch lässt sich der Inhalt dieses Begriffs anhand der Erwägungsgründe der Verordnung präzisieren.

    105

    Wie aus dem 17. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1177/2010 hervorgeht, zählt der Unionsgesetzgeber zu solchen Umständen eine Reihe von Vorkommnissen, zu denen jedoch nicht die verspätete Lieferung eines Schiffes gehört. Aus dieser Angabe in den Erwägungsgründen der Verordnung geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber die genannten Vorkommnisse, deren Aufzählung nur Hinweischarakter hat, nicht selbst als außergewöhnliche Umstände angesehen hat, sondern nur ausdrücken wollte, dass sie solche Umstände eintreten lassen können.

    106

    Im 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1177/2010 hat der Unionsgesetzgeber auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs Bezug genommen, in der dieser festgestellt hat, dass unter den Begriff der außergewöhnlichen Umstände Vorkommnisse fallen können, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Beförderers sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind. Mit der Bezugnahme auf die zu dem Begriff ergangene Rechtsprechung, die im Rahmen der Beförderung von Fluggästen entwickelt wurde, hat der Unionsgesetzgeber beim Begriff der außergewöhnlichen Umstände einen einheitlichen Ansatz wählen wollen.

    107

    Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Fluggastrechten ist festzustellen, dass der Begriff der außergewöhnlichen Umstände im Sinne von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1177/2010 Vorkommnisse bezeichnet, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Beförderers sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind und ihr Vorliegen von Fall zu Fall zu beurteilen ist (vgl. entsprechend Urteil vom 23. März 2021, Airhelp, C‑28/20, EU:C:2021:226, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    108

    Darüber hinaus ist der Begriff der außergewöhnlichen Umstände im Sinne von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1177/2010 in Anbetracht des in Rn. 51 des vorliegenden Urteils genannten Zieles der Verordnung, ein hohes Schutzniveau für die Fahrgäste sicherzustellen, und der Tatsache, dass Art. 20 Abs. 4 der Verordnung eine Ausnahme vom Grundsatz des Anspruchs der Fahrgäste auf Entschädigung bei Annullierung oder Verspätung darstellt, eng auszulegen.

    109

    In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die verspätete Lieferung eines Schiffes wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als ein „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1177/2010 in Verbindung mit deren 19. Erwägungsgrund eingestuft werden kann.

    110

    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass zwar der Bau eines Schiffes grundsätzlich nicht zur Tätigkeit eines Beförderers im Seeverkehr, sondern zu der einer Werft gehört, doch stellen die Bestellung und Lieferung eines Fahrgastschiffs, auch wenn sie seltene Vorkommnisse sind, zweifellos einen Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Beförderers im Seeverkehr dar. Denn dieser hat im Rahmen seiner Beförderungstätigkeit als eine der Maßnahmen des laufenden Geschäftsbetriebs zur Organisation und Unterhaltung seiner Flotte Schiffe zu bestellen.

    111

    Diese Auslegung wird durch den Umstand bestätigt, dass der Vertrag über die Bestellung und Lieferung eines Schiffes eine Entschädigungsregelung enthalten kann, die das Risiko verspäteter Lieferung abdeckt, wie es vorliegend der Fall ist, was Irish Ferries in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat. Die Einfügung einer solchen Regelung bestätigt, dass eine solche Verspätung ein gewöhnliches Risiko darstellt, dem der Beförderer im Rahmen der Ausübung seiner Tätigkeit der Beförderung von Fahrgästen ausgesetzt ist.

    112

    Daher ist die verspätete Lieferung eines Schiffes als ein Vorkommnis anzusehen, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Beförderers im Seeverkehr ist. Folglich ist in Anbetracht dessen, dass eine der in Rn. 107 des vorliegenden Urteils genannten kumulativen Voraussetzungen fehlt, festzustellen, dass eine solche Verspätung nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1177/2010 eingestuft werden kann, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob ein solches Vorkommnis vom Beförderer tatsächlich nicht zu beherrschen ist.

    113

    Nach alledem ist auf die Frage 6 zu antworten, dass Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass die verspätete Lieferung eines Fahrgastschiffes, die zur Annullierung aller Überfahrten geführt hat, die mit diesem Schiff im Rahmen einer neuen Seeverbindung vorgenommen werden sollten, nicht unter den Begriff der außergewöhnlichen Umstände im Sinne dieser Bestimmung fällt.

    Zur Frage 7

    114

    Mit der Frage 7 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 24 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass er dem Fahrgast, der eine Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung beantragt, aufgibt, seinen Antrag innerhalb von zwei Monaten nach der tatsächlichen oder geplanten Durchführung des Verkehrsdienstes in Form einer Beschwerde beim Beförderer einzureichen.

    115

    Nach Art. 24 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1177/2010 muss der Beförderer ein zugängliches System zur Bearbeitung von Beschwerden im Zusammenhang mit den unter diese Verordnung fallenden Rechten und Pflichten unterhalten. Art. 24 Abs. 2 der Verordnung führt ein kurzes Verfahren zur Bearbeitung der Beschwerden ein, das bestimmte Fristen vorsieht. Will ein Fahrgast eine Beschwerde an den Beförderer richten, muss er diese somit innerhalb von zwei Monaten nach der tatsächlichen oder geplanten Durchführung des Verkehrsdienstes einreichen. Der Beförderer wiederum muss dem Fahrgast innerhalb eines Monats mitteilen, ob seiner Beschwerde stattgegeben wurde, ob sie abgelehnt wurde oder ob sie noch bearbeitet wird, und ihm jedenfalls innerhalb von zwei Monaten ab Eingang der Beschwerde mittteilen, wie diese endgültig beantwortet wurde.

    116

    Aus der Bezugnahme auf die „unter diese Verordnung fallenden [Rechte] und Pflichten“ ergibt sich, dass eine Beschwerde sowohl die Rechte und Pflichten betreffen kann, die in Kapitel II („Rechte von behinderten Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität“) der Verordnung vorgesehen sind, als auch diejenigen in Kapitel III („Pflichten der Beförderer und Terminalbetreiber bei Reiseunterbrechung“) der Verordnung, das Art. 19 über die Entschädigung der Fahrgäste bei verspäteter Ankunft enthält.

    117

    Ein Antrag eines Fahrgastes auf die in Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 vorgesehene Entschädigung kann jedoch nicht einer Beschwerde gemäß Art. 24 der Verordnung gleichgestellt werden, so dass für ihn auch nicht die in Art. 24 vorgesehenen Fristen gelten.

    118

    Denn während mit einer Beschwerde gemäß Art. 24 der Verordnung Nr. 1177/2010 eine angebliche Verletzung der Pflichten des Beförderers aus der Verordnung gemeldet wird und der Beförderer bei der Entscheidung, wie er auf diese Meldung reagiert, über einen gewissen Wertungsspielraum verfügt, wie der Generalanwalt in Nr. 164 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verleiht Art. 19 Abs. 1 der Verordnung dem Fahrgast einen Anspruch auf eine Geldforderung, deren Zahlung er vom Beförderer allein deshalb verlangen kann, weil die Voraussetzungen dieses Artikels erfüllt sind, ohne dass der Beförderer insoweit über denselben Spielraum verfügt.

    119

    Zudem wird mit Art. 19 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1177/2010 dem Beförderer aufgegeben, die Zahlung der Entschädigung innerhalb eines Monats nach Einreichung eines solchen Antrags vorzunehmen. Dass in dieser Vorschrift eine kürzere Frist als die Zweimonatsfrist vorgesehen ist, über die der Beförderer nach Art. 24 Abs. 2 der Verordnung für die Unterrichtung des Fahrgastes über seine endgültige Entscheidung über die Beschwerde verfügt, bestätigt, dass ein Antrag auf Zahlung der in Art. 19 der Verordnung vorgesehenen Entschädigung nicht einer Beschwerde gemäß Art. 24 der Verordnung gleichgestellt werden kann.

    120

    Das in Rn. 51 des vorliegenden Urteils angeführte Ziel der Verordnung Nr. 1177/2010, ein hohes Schutzniveau für die Fahrgäste sicherzustellen, bestätigt diese Auslegung. Dieses Schutzniveau lässt sich nicht mit der Vorgabe einer so kurzen Frist von zwei Monaten für die Beantragung einer Entschädigung vereinbaren.

    121

    Folglich hat der Unionsgesetzgeber den in Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 vorgesehenen Entschädigungsanspruch nicht an die Einhaltung der in Art. 24 der Verordnung vorgesehenen Zweimonatsfrist knüpfen wollen.

    122

    Nach alledem ist auf die Frage 7 zu antworten, dass Art. 24 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass er dem Fahrgast, der eine Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung beantragt, nicht aufgibt, seinen Antrag innerhalb von zwei Monaten nach der tatsächlichen oder geplanten Durchführung des Verkehrsdienstes in Form einer Beschwerde beim Beförderer einzureichen.

    Zur Frage 8

    123

    Mit der Frage 8 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 25 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass in die Zuständigkeit einer nationalen Stelle, die ein Mitgliedstaat für die Durchsetzung dieser Verordnung benannt hat, nicht nur der Personenverkehrsdienst fällt, der von einem im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gelegenen Hafen aus erbracht wird, sondern auch ein Personenverkehrsdienst, der von einem im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats gelegenen Hafen aus zu einem im Hoheitsgebiet des ersteren Mitgliedstaats gelegenen Hafen erbracht wird, wenn dieser letztere Verkehrsdienst im Rahmen einer Hin- und Rückfahrt stattfindet, die insgesamt annulliert worden ist.

    124

    Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1177/2010 sieht vor, dass jeder Mitgliedstaat eine oder mehrere neue oder bestehende Stellen benennt, die für die Durchsetzung dieser Verordnung in Bezug auf Personenverkehrsdienste und Kreuzfahrten von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Häfen und in Bezug auf Personenverkehrsdienste von einem Drittland zu diesen Häfen zuständig sind.

    125

    Folglich lässt diese Vorschrift zwar – wie der Generalanwalt in Nr. 169 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – die Annahme zu, dass die für einen zwischen Mitgliedstaaten erbrachten Personenverkehrsdienst zuständige nationale Stelle grundsätzlich diejenige des Mitgliedstaats ist, in dessen Hoheitsgebiet der Einschiffungshafen liegt. Allerdings hat der Unionsgesetzgeber die Verbindung, die zwischen dem Mitgliedstaat des Ausschiffungshafens und aus einem Drittland kommenden Personenverkehrsdiensten besteht, für ausreichend gehalten, um der nationalen Stelle dieses Mitgliedstaats die Zuständigkeit für die Aufsicht über die Durchsetzung der Verordnung Nr. 1177/2010 zu verleihen.

    126

    Somit hat der Unionsgesetzgeber – wie der Generalanwalt in Nr. 199 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – der nationalen Stelle die Zuständigkeit für die allgemeine Aufsicht anhand eines Kriteriums zuweisen wollen, das auf der Nähe zwischen dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem der Einschiffungs- oder Ausschiffungshafen liegt, und dem betreffenden Personenverkehrsdienst beruht.

    127

    Demzufolge ist im Fall eines annullierten Personenverkehrsdienstes grundsätzlich die nationale Stelle des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Einschiffungshafen liegt.

    128

    Dagegen ist bei einer Hin- und Rückfahrt, die aus einem Personenverkehrsdienst der Hinfahrt und einem Personenverkehrsdienst der Rückfahrt besteht und insgesamt annulliert worden ist, die Verbindung zwischen dem Personenverkehrsdienst der Rückfahrt und dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem der Einschiffungshafen für diesen Dienst liegt, nicht enger als die Verbindung, die zwischen dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem der Ausschiffungshafen liegt, und diesem Dienst besteht. Denn dieser Ausschiffungshafen ist – wie der Generalanwalt in Nr. 200 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – grundsätzlich auch der Einschiffungshafen für die Hinfahrt und ist am besten in der Lage, für die ordnungsgemäße Durchsetzung der Verordnung Nr. 1177/2010 bei annullierten Personenverkehrsdiensten Sorge zu tragen.

    129

    Diese Auslegung wird durch das in Rn. 51 des vorliegenden Urteils angeführte Ziel der Verordnung Nr. 1177/2010, ein hohes Schutzniveau für die Fahrgäste sicherzustellen, bestätigt, da sie es dem Fahrgast ermöglicht, eine Vielzahl von Verfahren bei verschiedenen nationalen Stellen zu vermeiden, wenn die Annullierung der Personenverkehrsdienste der Hin- und der Rückfahrt auf derselben Tatsache beruht.

    130

    Nach alledem ist auf die Frage 8 zu antworten, dass Art. 25 der Verordnung Nr. 1177/2010 dahin auszulegen ist, dass in die Zuständigkeit einer nationalen Stelle, die ein Mitgliedstaat für die Durchsetzung dieser Verordnung benannt hat, nicht nur der Personenverkehrsdienst fällt, der von einem im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gelegenen Hafen aus erbracht wird, sondern auch ein Personenverkehrsdienst, der von einem im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats gelegenen Hafen aus zu einem im Hoheitsgebiet des ersteren Mitgliedstaats gelegenen Hafen erbracht wird, wenn dieser letztere Verkehrsdienst im Rahmen einer Hin- und Rückfahrt stattfindet, die insgesamt annulliert worden ist.

    Zur Frage 9

    131

    Mit der Frage 9 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das nationale Gericht bei seiner Beurteilung der Gültigkeit der Entscheidung einer für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 1177/2010 zuständigen nationalen Stelle die Art. 16, 17, 20 und 47 der Charta und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung anzuwenden hat und ob seine Kontrolle auf offensichtliche Fehler zu beschränken ist.

    132

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs macht es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, erforderlich, dass dieses Gericht die Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens, die ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgeführt sind, sorgfältig beachtet (Urteil vom 19. April 2018, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑152/17, EU:C:2018:264, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    133

    So ist es nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung u. a. unerlässlich, dass die Vorlageentscheidung eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, enthält und den Zusammenhang angibt, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2018, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑152/17, EU:C:2018:264, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    134

    Außerdem ist hervorzuheben, dass die in den Vorabentscheidungsersuchen enthaltenen Informationen nicht nur dazu dienen, den Gerichtshof in die Lage zu versetzen, sachdienliche Antworten zu geben, sondern auch dazu, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, Erklärungen gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union abzugeben. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass diese Möglichkeit gewahrt bleibt, und zwar in Anbetracht der Tatsache, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (Urteil vom 13. Juli 2017, Szoja, C‑89/16, EU:C:2017:538, Rn. 49).

    135

    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass diesen Anforderungen offensichtlich keiner der beiden Teile der Frage 9 genügt, deren erster Teil die vom nationalen Gericht anzuwendenden unionsrechtlichen Vorschriften und Grundsätze und deren zweiter Teil den Umfang der vom nationalen Gericht auszuübenden gerichtlichen Kontrolle betrifft.

    136

    Das vorlegende Gericht legt in Bezug auf den ersten Teil nämlich nicht dar, welche spezifischen Gründe es dazu veranlasst haben, in Anbetracht der übrigen Vorlagefragen diese Frage zu stellen, so dass der Gerichtshof nicht in der Lage ist, auf diesen Teil eine sachdienliche Antwort zu geben.

    137

    Ebenso wenig kann der Gerichtshof in Bezug auf den zweiten Teil eine sachdienliche Antwort geben, da das vorlegende Gericht insoweit nicht erläutert, worin das Kriterium der Angemessenheit bestehen soll, das es bei seiner Beurteilung der Gültigkeit der Entscheidung der für die Durchsetzung der Verordnung Nr. 1177/2010 zuständigen nationalen Stelle anzuwenden gedenkt.

    138

    In Anbetracht des Vorstehenden ist der Gerichtshof nicht in der Lage, auf die Frage 9 eine sachdienliche Antwort zu geben. Daher ist diese Frage als unzulässig anzusehen.

    Zur Frage 10

    139

    Mit der Frage 10 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 ungültig sind, weil sie weder mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit noch mit den Art. 16, 17 und 20 der Charta vereinbar seien.

    140

    Erstens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung und auf Art. 20 der Charta ungültig sind.

    141

    Irish Ferries trägt allgemein vor, die Verordnung Nr. 1177/2010 verstoße dadurch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und Art. 20 der Charta, dass sie Beförderern im Seeverkehr eine Reihe von Pflichten auferlege, denen Beförderer im Luft- und Schienenverkehr nicht unterworfen seien, obgleich sich all diese Beförderer in einer vergleichbaren Lage befänden. Während Beförderer im Luftverkehr nämlich gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 die Möglichkeit hätten, die Zahlung einer Entschädigung dadurch abzuwenden, dass sie die Fluggäste mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung des Fluges unterrichteten, ergebe sich für Beförderer im Seeverkehr aus der Verordnung Nr. 1177/2010 keine solche Möglichkeit.

    142

    Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung, dass gleiche Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C‑344/04, EU:C:2006:10, Rn. 95, und vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 48).

    143

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die jeweilige Lage der in den verschiedenen Verkehrssektoren tätigen Unternehmen nicht miteinander vergleichbar ist, da die einzelnen Beförderungsformen unter Berücksichtigung ihrer Funktionsweise, ihrer Zugänglichkeit und der Aufteilung ihrer Netze hinsichtlich ihrer Nutzungsbedingungen nicht austauschbar sind. Unter diesen Umständen war der Unionsgesetzgeber berechtigt, Vorschriften aufzustellen, die ein unterschiedliches Verbraucherschutzniveau vorsehen, je nachdem, welcher Verkehrssektor betroffen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C‑344/04, EU:C:2006:10, Rn. 96, und vom 26. September 2013, ÖBB-Personenverkehr, C‑509/11, EU:C:2013:613, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    144

    Sodann ist festzustellen, dass die im Seeverkehr von einer Annullierung oder großen Verspätung betroffenen Fahrgäste sich in einer anderen Situation als die Fahrgäste anderer Verkehrsträger befinden. Denn aufgrund der Lage der Häfen und der begrenzten Anzahl angebotener Verbindungen, deren Frequenz je nach Jahreszeit schwanken kann, sind die Unannehmlichkeiten, die Fahrgästen beim Auftreten solcher Vorkommnisse entstehen, nicht vergleichbar.

    145

    Schließlich soll nach dem ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1177/2010 zwar ein hohes, dem Standard anderer Verkehrsträger vergleichbares Schutzniveau für die Fahrgäste im Seeverkehr sichergestellt werden, doch wollte der Unionsgesetzgeber damit entgegen dem Vorbringen von Irish Ferries weder zum Ausdruck bringen, dass die verschiedenen Verkehrsträger miteinander vergleichbar sind, noch für jeden dieser Verkehrsträger dasselbe Schutzniveau sicherstellen.

    146

    Daher sind Haftungsausschlussgründe, die in für andere Verkehrsträger als den Seeverkehr geltenden Unionsrechtsvorschriften vorgesehen sind, wie beispielsweise der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 für die Beförderung von Fluggästen vorgesehene Grund bei der Prüfung der Vergleichbarkeit der Situationen nicht zu berücksichtigen.

    147

    Folglich verstoßen die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 weder gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung noch gegen Art. 20 der Charta.

    148

    Zweitens ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sind.

    149

    Insoweit trägt Irish Ferries im Wesentlichen vor, dass die Pflichten, die den Personenbeförderern im Seeverkehr im Fall der Annullierung eines Verkehrsdienstes gemäß den Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 oblägen, mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden seien, die völlig außer Verhältnis zu dem mit der Verordnung verfolgten Ziel stünden. Insbesondere sei es unverhältnismäßig, dem Beförderer die Zahlung einer Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung aufzugeben, wenn er dem Fahrgast die Annullierung eines Verkehrsdienstes mehrere Wochen im Voraus mitgeteilt habe. Es sei auch unverhältnismäßig, es einem Fahrgast, dessen Verkehrsdienst annulliert worden sei, zu ermöglichen, sowohl eine anderweitige Beförderung zum Endziel gemäß Art. 18 der Verordnung als auch eine Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung zu beanspruchen.

    150

    Zunächst ist festzustellen, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, die von einer unionsrechtlichen Bestimmung eingesetzten Mittel zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet sein müssen und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen dürfen (Urteil vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C‑344/04, EU:C:2006:10, Rn. 79).

    151

    Was die richterliche Überprüfung der in der vorstehenden Randnummer genannten Anforderungen betrifft, hat der Gerichtshof dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen in Bereichen zugebilligt, in denen er politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen treffen und komplexe Prüfungen vornehmen muss. Folglich ist eine in diesen Bereichen erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des Zieles, das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist. So verhält es sich u. a. im Bereich der gemeinsamen Verkehrspolitik (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C‑344/04, EU:C:2006:10, Rn. 80).

    152

    Wie in Rn. 51 des vorliegenden Urteils ausgeführt, verfolgt der Unionsgesetzgeber gemäß den Erwägungsgründen 1, 2, 13 und 14 der Verordnung Nr. 1177/2010 das Ziel, ein hohes Schutzniveau für die Fahrgäste sicherzustellen, denen durch Annullierung oder große Verspätung ihres Verkehrsdienstes große Unannehmlichkeiten entstehen. Insoweit hat der Unionsgesetzgeber in den Art. 18 und 19 der Verordnung vorgesehen, bestimmte Unannehmlichkeiten, die den Fahrgästen in solchen Situationen entstehen, einheitlich und unverzüglich zu beseitigen.

    153

    Der Gerichtshof hat zu beurteilen, ob die vom Unionsgesetzgeber festgelegten Maßnahmen im Hinblick auf das Ziel der Verordnung Nr. 1177/2010, das in der Stärkung des Schutzes der Fahrgäste besteht und dessen Rechtmäßigkeit an sich unbestritten ist, offensichtlich ungeeignet sind.

    154

    Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die in den Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 vorgesehenen Maßnahmen als solche geeignet sind, bestimmte Unannehmlichkeiten, die Fahrgästen bei einer Annullierung eines Verkehrsdienstes entstehen, unverzüglich zu beseitigen, und es somit ermöglichen, ein hohes Schutzniveau für die Fahrgäste sicherzustellen, wie es mit der Verordnung angestrebt wird.

    155

    Mit den in Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 vorgesehenen Maßnahmen soll dem Fahrgast nämlich die Wahl gegeben werden, ob er das im Beförderungsvertrag festgelegte Endziel durch eine anderweitige Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt ohne Aufpreis unter vergleichbaren Bedingungen erreichen oder auf seine Beförderung verzichten will, indem er die Erstattung des Fahrpreises beantragt, gegebenenfalls in Verbindung mit einer kostenlosen Rückfahrt zum frühestmöglichen Zeitpunkt an den im Beförderungsvertrag festgelegten Abfahrtsort.

    156

    Zu der in Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 vorgesehenen Entschädigung ist festzustellen, dass sie sich dem Grundsatz und der Höhe nach an der Dauer der Verspätung bei Ankunft am im Beförderungsvertrag festgelegten Endziel im Verhältnis zur Dauer des Verkehrsdienstes orientiert. Entscheidet sich der Fahrgast infolge der Annullierung seines Verkehrsdienstes für eine anderweitige Beförderung zu seinem Endziel, die aufgrund der Besonderheiten des Seeverkehrssektors dazu führen kann, dass er mit großer Verspätung am Endziel ankommt, weil er auf einen alternativen Verkehrsdienst warten oder sich an anderen als den ursprünglich vorgesehenen Häfen ein- bzw. ausschiffen muss, weisen diese zur Bestimmung des Entschädigungsanspruchs der Fahrgäste herangezogenen Kriterien daher ersichtlich einen Bezug zum Erfordernis der Verhältnismäßigkeit auf.

    157

    Ferner zeigt schon die Tatsache, dass die in Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 vorgesehene Entschädigung anhand des vom Fahrgast tatsächlich entrichteten Preises berechnet wird, dass der Unionsgesetzgeber einen verhältnismäßigen Ansatz gewählt hat, der auf eine Wiedergutmachung der durch Verspätungen oder Annullierungen verursachten nachteiligen Folgen gerichtet ist, die mit der Verordnung beseitigt werden sollen.

    158

    Zwar macht Irish Ferries geltend, dass die in Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 vorgesehenen Entschädigungsmaßnahmen erhebliche Folgen für die finanzielle Belastung der Beförderer haben könnten und nicht geeignet seien, doch ist festzustellen, dass der Gerichtshof im Bereich der Beförderung von Fluggästen bereits entschieden hat, dass solche Folgen gemessen an dem Ziel eines hohen Schutzniveaus für die Fahrgäste nicht als unverhältnismäßig angesehen werden können. Die Bedeutung, die dem Ziel des Schutzes der Verbraucher und somit auch der Fahrgäste im Seeverkehr zukommt, kann nämlich negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen (vgl. entsprechend Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh, C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 47 und 48).

    159

    Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Erfüllung der Pflichten aus der Verordnung Nr. 1177/2010 das Recht der Beförderer im Seeverkehr unberührt lässt, bei anderen Personen, auch Dritten, gemäß nationalem Recht Regress zu nehmen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Ein solcher Regress kann daher die finanzielle Belastung, die diese Beförderer infolge dieser Pflichten tragen, verringern oder sogar beseitigen. Zudem erscheint es nicht unangemessen, dass diese Pflichten zunächst – vorbehaltlich des genannten Regressanspruchs – von den Beförderern im Seeverkehr getragen werden, die mit den betreffenden Fahrgästen einen Beförderungsvertrag geschlossen haben, der diesen einen Anspruch auf einen Verkehrsdienst gibt, der weder annulliert werden noch verspätet sein sollte.

    160

    Schließlich ist zu der in Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1177/2010 vorgesehenen Entschädigung festzustellen, dass Beförderer im Seeverkehr gemäß Art. 20 Abs. 4 der Verordnung von der Zahlung dieser Entschädigung befreit werden können, wenn sie nachweisen, dass die Annullierung oder Verspätung durch außergewöhnliche Umstände verursacht wurde, die auch dann nicht hätten vermieden werden können, wenn alle zumutbaren Maßnahmen getroffen worden wären. In Anbetracht dieses Befreiungsgrundes und der engen Voraussetzungen, unter denen die Entschädigungspflicht der Beförderer im Seeverkehr zum Tragen kommt, erscheint diese Pflicht nicht als zur Erreichung des angestrebten Zieles offensichtlich ungeeignet.

    161

    Nach alledem sind die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 nicht wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ungültig.

    162

    Drittens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar sind.

    163

    Diese Frage stellt sich dem vorlegenden Gericht in Anbetracht des Vorbringens von Irish Ferries, wonach zum einen die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstießen, weil sie Beförderern ohne klare Rechtsgrundlage schwerwiegende Pflichten auferlegten, und zum anderen Art. 19 Abs. 1 der Verordnung gegen diesen Grundsatz insbesondere dadurch verstoße, dass er Beförderern aufgebe, eine Entschädigung zu zahlen, die einem bestimmten Prozentsatz des Fahrpreises entspreche, ohne diesen letzteren Begriff zu definieren.

    164

    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit ein grundlegendes Prinzip des Unionsrechts darstellt, das insbesondere verlangt, dass eine Regelung klar und deutlich ist, damit die Betroffenen ihre Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit ihre Vorkehrungen treffen können (Urteil vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C‑344/04, EU:C:2006:10, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    165

    Im vorliegenden Fall ist zunächst, wie der Generalanwalt in Nr. 223 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, das allgemeine Vorbringen von Irish Ferries, wonach die Verordnung Nr. 1177/2010 gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße, weil sie Beförderern ohne klare Rechtsgrundlage in der Verordnung übermäßige Pflichten auferlege, entsprechend der in den Rn. 132 bis 134 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zurückzuweisen, da dieses Vorbringen es aufgrund seiner vagen und allgemein gehaltenen Formulierung dem Gerichtshof nicht erlaubt, eine sachdienliche Antwort zu geben.

    166

    Sodann ist zum Vorbringen, dass der Begriff des Fahrpreises in Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1177/2010 ungenau sei, festzustellen, dass es zwar zutrifft, dass der Begriff des Fahrpreises, auf dem die Berechnung der in Art. 19 der Verordnung vorgesehenen Entschädigung beruht, weder in Art. 19 Abs. 1 noch in Art. 3 der Verordnung definiert wird.

    167

    Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass dieser allgemeine Begriff für eine unbestimmte Zahl von Fällen, die sich nicht im Vorhinein erfassen lassen, gelten soll und nicht für genau bestimmte Fahrscheine, deren Bestandteile in einer Norm des Unionsrechts im Vorhinein im Einzelnen aufgeführt werden können. Außerdem wollte der Unionsgesetzgeber in Art. 19 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1177/2010 klarstellen, dass die vom Beförderer geschuldete Entschädigung „im Verhältnis zu dem Preis berechnet [wird], den der Fahrgast für den … Personenverkehrsdienst tatsächlich entrichtet hat“, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieser Begriff nicht hinreichend genau ist. Dass dieser Begriff vom Gerichtshof in der in den Rn. 95 bis 98 des vorliegenden Urteils dargelegten Weise ausgelegt worden ist, reicht nicht zum Nachweis eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit aus, da dies – wie der Generalanwalt in Nr. 224 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – darauf hinausliefe, jede andere Auslegungsmethode als die grammatische Auslegung einer Vorschrift mit allgemeiner Geltung auszuschließen.

    168

    Daher ist festzustellen, dass Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1177/2010 dadurch, dass er auf den Begriff des Fahrpreises verweist, ohne ihn zu definieren, nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstößt.

    169

    Viertens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 mit den Art. 16 und 17 der Charta, die die unternehmerische Freiheit bzw. das Eigentumsrecht der Beförderer im Seeverkehr gewährleisten, vereinbar sind.

    170

    Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die unternehmerische Freiheit und das Eigentumsrecht nicht absolut gewährleistet werden, sondern im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen sind (Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh, C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 60).

    171

    Sodann lässt Art. 52 Abs. 1 der Charta bei der Ausübung der von ihr verbürgten Rechte Einschränkungen zu, sofern sie gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt der genannten Rechte und Freiheiten achten, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

    172

    Bei dieser Beurteilung ist schließlich, wenn sich mehrere durch die Unionsrechtsordnung geschützte Rechte gegenüberstehen, darauf zu achten, dass die Erfordernisse des Schutzes dieser verschiedenen Rechte miteinander in Einklang gebracht werden müssen und dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen besteht (Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh, C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 62).

    173

    Im vorliegenden Fall bezieht sich das vorlegende Gericht zwar auf die Art. 16 und 17 der Charta, doch ist auch Art. 38 der Charta zu berücksichtigen, der wie Art. 169 AEUV darauf abzielt, dass in allen Politikbereichen der Union ein hohes Schutzniveau der Verbraucher und somit auch der Fahrgäste im Seeverkehr sichergestellt wird. Wie in Rn. 51 des vorliegenden Urteils ausgeführt, gehört der Schutz der Fahrgäste zu den grundlegenden Zielen der Verordnung Nr. 1177/2010.

    174

    Aus den Rn. 150 bis 161 des vorliegenden Urteils, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit betreffen, ergibt sich jedoch, dass die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 dem Erfordernis genügen, die einzelnen betroffenen Grundrechte miteinander in Einklang zu bringen und ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihnen herzustellen.

    175

    Folglich verstoßen diese Bestimmungen nicht gegen die Art. 16 und 17 der Charta.

    176

    Nach alledem ist festzustellen, dass die Prüfung der Frage 10 nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 berühren könnte.

    Kosten

    177

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

     

    1.

    Die Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 ist dahin auszulegen, dass sie anwendbar ist, wenn ein Beförderer einen Personenverkehrsdienst mehrere Wochen vor dem ursprünglich vorgesehenen Abfahrtstermin annulliert, weil das für diesen Dienst eingeplante Schiff verspätet geliefert wird und nicht ersetzt werden kann.

     

    2.

    Art. 18 der Verordnung Nr. 1177/2010 ist dahin auszulegen, dass der Beförderer, wenn ein Personenverkehrsdienst annulliert wird und es auf derselben Verbindung keinen alternativen Verkehrsdienst gibt, verpflichtet ist, dem Fahrgast aufgrund seines in dieser Bestimmung vorgesehenen Anspruchs auf anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Bedingungen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen alternativen Verkehrsdienst auf einer anderen Strecke als der des annullierten Dienstes oder einen Seeverkehrsdienst in Kombination mit anderen Verkehrsträgern wie dem Straßen- oder Schienenverkehr anzubieten, und etwaige zusätzliche Kosten zu übernehmen hat, die dem Fahrgast im Rahmen dieser anderweitigen Beförderung zum Endziel entstanden sind.

     

    3.

    Die Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 sind dahin auszulegen, dass in dem Fall, dass der Beförderer einen Personenverkehrsdienst mehrere Wochen vor dem ursprünglich vorgesehenen Abfahrtstermin annulliert, der Fahrgast, der sich gemäß Art. 18 der Verordnung dafür entscheidet, zum frühestmöglichen Zeitpunkt anderweitig befördert zu werden oder seine Reise auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, und am ursprünglich vorgesehenen Endziel mit einer Verspätung ankommt, die über den in Art. 19 der Verordnung festgelegten Schwellenwerten liegt, einen Anspruch auf Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung hat. Entscheidet sich ein Fahrgast dagegen für die Erstattung des Fahrpreises, hat er keinen Anspruch auf Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung.

     

    4.

    Art. 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 ist dahin auszulegen, dass der in diesem Artikel enthaltene Begriff des Fahrpreises die Kosten für vom Fahrgast gewählte zusätzliche Sonderleistungen wie die Buchung einer Kabine oder eines Hundezwingers oder den Zugang zu Premium-Lounges einschließt.

     

    5.

    Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1177/2010 ist dahin auszulegen, dass die verspätete Lieferung eines Fahrgastschiffes, die zur Annullierung aller Überfahrten geführt hat, die mit diesem Schiff im Rahmen einer neuen Seeverbindung vorgenommen werden sollten, nicht unter den Begriff der außergewöhnlichen Umstände im Sinne dieser Bestimmung fällt.

     

    6.

    Art. 24 der Verordnung Nr. 1177/2010 ist dahin auszulegen, dass er dem Fahrgast, der eine Entschädigung gemäß Art. 19 der Verordnung beantragt, nicht aufgibt, seinen Antrag innerhalb von zwei Monaten nach der tatsächlichen oder geplanten Durchführung des Verkehrsdienstes in Form einer Beschwerde beim Beförderer einzureichen.

     

    7.

    Art. 25 der Verordnung Nr. 1177/2010 ist dahin auszulegen, dass in die Zuständigkeit einer nationalen Stelle, die ein Mitgliedstaat für die Durchsetzung dieser Verordnung benannt hat, nicht nur der Personenverkehrsdienst fällt, der von einem im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gelegenen Hafen aus erbracht wird, sondern auch ein Personenverkehrsdienst, der von einem im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats gelegenen Hafen aus zu einem im Hoheitsgebiet des ersteren Mitgliedstaats gelegenen Hafen erbracht wird, wenn dieser letztere Verkehrsdienst im Rahmen einer Hin- und Rückfahrt stattfindet, die insgesamt annulliert worden ist.

     

    8.

    Die Prüfung der Frage 10 hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Art. 18 und 19 der Verordnung Nr. 1177/2010 berühren könnte.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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