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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62019CJ0034

    Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 4. März 2020.
    Telecom Italia SpA gegen Ministero dello Sviluppo Economico und Ministero dell'Economia e delle Finanze.
    Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per il Lazio.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Telekommunikationsdienste – Einführung eines offenen Netzzugangs – Richtlinie 97/13/EG – Gebühren und Abgaben für Einzelgenehmigungen – Übergangsregelung, mit der eine Abgabe eingeführt wird, die über die durch die Richtlinie 97/13/EG zugelassenen hinausgeht – Rechtskraft eines Urteils eines übergeordneten Gerichts, das als unionsrechtswidrig eingestuft wird.
    Rechtssache C-34/19.

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2020:148

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

    4. März 2020 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Telekommunikationsdienste – Einführung eines offenen Netzzugangs – Richtlinie 97/13/EG – Gebühren und Abgaben für Einzelgenehmigungen – Übergangsregelung, mit der eine Abgabe eingeführt wird, die über die durch die Richtlinie 97/13/EG zugelassenen hinausgeht – Rechtskraft eines Urteils eines übergeordneten Gerichts, das als unionsrechtswidrig eingestuft wird“

    In der Rechtssache C‑34/19

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) mit Entscheidung vom 11. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Januar 2019, in dem Verfahren

    Telecom Italia SpA

    gegen

    Ministero dello Sviluppo Economico,

    Ministero dell’Economia e delle Finanze

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), des Richters M. Safjan, der Richterin C. Toader und des Richters N. Jääskinen,

    Generalanwalt: E. Tanchev,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Telecom Italia SpA, vertreten durch F. Lattanzi, avvocato,

    der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Malferrari und L. Nicolae als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 22 der Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste (ABl. 1997, L 117, S. 15).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Telecom Italia SpA einerseits und dem Ministero dello Sviluppo Economico (Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, Italien) und dem Ministero dell’Economia e delle Finanze (Ministerium für Wirtschaft und Finanzen, Italien) andererseits wegen der Telecom Italia auferlegten Verpflichtung, eine auf der Grundlage ihres Umsatzes im Jahr 1998 bemessene Abgabe zu zahlen.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    In den Erwägungsgründen 2, 12 und 26 der Richtlinie 97/13 heißt es:

    „(2)

    Nach der Mitteilung der Kommission vom 25. Januar 1995 über die Konsultation zum Grünbuch über die Liberalisierung der Telekommunikationsinfrastruktur und der Kabelfernsehnetze muss durch gemeinschaftsweit geltende Grundsätze sichergestellt werden, dass sich Allgemein- und Einzelgenehmigungen auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stützen und offen, nichtdiskriminierend und transparent sind. Gemäß der Entschließung des Rates vom 18. September 1995 über den künftigen ordnungspolitischen Rahmen für die Telekommunikation … ist die Festlegung gemeinsamer Grundsätze für Allgemein- und Einzelgenehmigungen in den Mitgliedstaaten – gestützt auf ein System ausgewogener Rechte und Pflichten – im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip ein Schlüsselfaktor dieses ordnungspolitischen Rahmens in der Gemeinschaft. Diese Grundsätze sollten alle Genehmigungen umfassen, die für die Erbringung von Telekommunikationsdiensten und für den Aufbau und/oder den Betrieb einer Infrastruktur für Telekommunikationsdienste erforderlich sind.

    (12)

    Die einem Unternehmen für ein Genehmigungsverfahren auferlegten Gebühren oder Abgaben müssen auf objektiven, nichtdiskriminierenden Kriterien beruhen.

    (26)

    Diese Richtlinie gilt sowohl für künftige als auch für bestehende Genehmigungen, von denen einige über den 1. Januar 1999 hinaus erteilt worden sind. Bestimmungen in derartigen Genehmigungen, die im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht stehen – insbesondere Klauseln, die den Genehmigungsträgern besondere oder ausschließliche Rechte einräumen – sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ab dem in den einschlägigen Gemeinschaftsmaßnahmen genannten Zeitpunkt unwirksam; in Bezug auf andere Rechte, die die Interessen anderer Unternehmen nach dem Gemeinschaftsrecht nicht beeinträchtigen, dürfen die Mitgliedstaaten die Geltung derartiger Genehmigungen verlängern, um Kompensationsansprüche zu vermeiden.“

    4

    Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Telekommunikationsdienste und/oder Telekommunikationsnetze genehmigungsfrei oder aufgrund von Allgemeingenehmigungen bereitgestellt werden können, die erforderlichenfalls durch Rechte und Pflichten, die eine Einzelprüfung der Anträge verlangen sowie eine oder mehrere Einzelgenehmigungen nach sich ziehen, ergänzt werden. …“

    5

    Art. 6 („Gebühren bei den Verfahren für Allgemeingenehmigungen“) dieser Richtlinie sieht vor:

    „Unbeschadet der finanziellen Beiträge zur Erbringung des Universaldienstes gemäß dem Anhang stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass von den Unternehmen im Rahmen der Genehmigungsverfahren nur die Gebühren erhoben werden, die die für die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der jeweiligen Allgemeingenehmigung anfallenden Verwaltungskosten abdecken. Die Gebühren sind mit ausreichenden Einzelheiten in geeigneter Form zu veröffentlichen, damit die Kenntnisnahme ohne Schwierigkeiten möglich ist.“

    6

    Art. 11 („Gebühren und Abgaben für Einzelgenehmigungen“) der Richtlinie lautet wie folgt:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass von dem Unternehmen im Rahmen der Genehmigungsverfahren nur die Gebühren erhoben werden, die die für die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der jeweiligen Einzelgenehmigungen anfallenden Verwaltungskosten abdecken. Die Gebühren für eine Einzelgenehmigung müssen in Relation zu dem damit verbundenen Aufwand stehen und sind mit ausreichenden Einzelheiten in geeigneter Form zu veröffentlichen, damit die Kenntnisnahme ohne Schwierigkeiten möglich ist.

    (2)   Ungeachtet des Absatzes 1 können die Mitgliedstaaten ihren nationalen Regulierungsbehörden für den Fall, dass auf knappe Ressourcen zurückgegriffen werden soll, gestatten, Abgaben zu erheben, die die Notwendigkeit widerspiegeln, die optimale Nutzung dieser Ressourcen sicherzustellen. Diese Abgaben müssen nichtdiskriminierend sein und insbesondere der Notwendigkeit Rechnung tragen, die Entwicklung innovativer Dienste und den Wettbewerb zu fördern.“

    7

    Art. 22 („Bei Inkrafttreten dieser Richtlinie bestehende Genehmigungen“) der Richtlinie 97/13 sieht vor:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten unternehmen alle erforderlichen Bemühungen, damit die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie geltenden Genehmigungen spätestens ab 1. Januar 1999 mit dieser Richtlinie im Einklang stehen.

    (2)   Führt die Anwendung dieser Richtlinie zu Änderungen bei den Bestimmungen bestehender Genehmigungen, so dürfen die Mitgliedstaaten die Geltung solcher Bestimmungen verlängern, sofern damit die Rechte anderer Unternehmen nach dem Gemeinschaftsrecht, einschließlich dieser Richtlinie, nicht beeinträchtigt werden; ausgenommen sind Bestimmungen, mit denen besondere oder ausschließliche Rechte eingeräumt werden, die nach Gemeinschaftsrecht beendet worden sind oder beendet werden müssen. Die Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission über die zu diesem Zweck ergriffenen Maßnahmen und begründen diese.

    (3)   Unbeschadet des Absatzes 2 werden Auflagen in den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden Genehmigungen, die nicht bis 1. Januar 1999 mit dieser Richtlinie in Einklang gebracht worden sind, unwirksam.

    In begründeten Fällen kann die Kommission dem Mitgliedstaat auf dessen Antrag die Aufschiebung dieses Zeitpunkts gestatten.“

    8

    Art. 25 („Umsetzung der Richtlinie“) dieser Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

    „Die Mitgliedstaaten setzten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, so rasch wie möglich, spätestens aber bis zum 31. Dezember 1997 in Kraft; ebenso verfahren sie bei der Veröffentlichung der an die Genehmigungen geknüpften Auflagen und Verfahren. Sie setzten die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.“

    9

    Art. 26 („Inkrafttreten“) der Richtlinie lautet:

    „Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft.“

    Italienisches Recht

    Post‑ und Fernmeldegesetzbuch

    10

    Bis zur Umsetzung der Richtlinie 97/13 waren die öffentlichen Telekommunikationsdienste in Italien gemäß Art. 1 Abs. 1 des Codice postale e delle telecomunicazioni (Post‑ und Fernmeldegesetzbuch) im Anhang des Decreto del presidente della Repubblica n. 156, Approvazione del testo unico delle disposizioni legislative in materia postale, di bancoposta e di telecomunicazioni (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 156 zur Genehmigung des Gesetzes über den Postdienst, den Postbankdienst und die Telekommunikation) vom 29. März 1973 (GURI Nr. 113 vom 3. Mai 1973, Supplemento ordinario) dem Staat vorbehalten.

    11

    Art. 188 des Post‑ und Fernmeldegesetzbuchs bestimmte:

    „Der Konzessionär ist verpflichtet, eine jährliche Abgabe nach Maßgabe des vorliegenden Dekrets, der Verordnung oder des Konzessionsakts an den Staat zu zahlen.“

    12

    Diese Abgabe wurde nach den Bruttoeinnahmen oder ‑erlösen aus den von der Konzession erfassten Diensten unter Abzug der an die Konzessionärin des öffentlichen Netzes bezahlten Beträge berechnet.

    Dekret Nr. 318/1997

    13

    Die Richtlinie 97/13 wurde insbesondere durch das Decreto del presidente della Repubblica n. 318, Regolamento per l’attuazione di direttive comunitarie nel settore delle telecomunicazioni (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 318 zur Durchführung der Gemeinschaftsrichtlinien auf dem Gebiet der Telekommunikation) vom 19. September 1997 (GURI Nr. 221 vom 22. September 1997, Supplemento ordinario, im Folgenden: Dekret Nr. 318/1997) umgesetzt.

    14

    Art. 2 Abs. 3 bis 6 des Dekrets Nr. 318/1997 bestimmt:

    „(3)   Die besonderen und ausschließlichen Rechte zur Erbringung von Sprachtelefondiensten und zur damit verbundenen Einrichtung und Bereitstellung öffentlicher Telekommunikationsnetze werden bis zum 1. Januar 1998 aufrechterhalten. …

    (4)   Die Konzessionen zum Gemeingebrauch und die in Art. 184 Abs. 1 des Post‑ und Fernmeldegesetzbuchs genannten Genehmigungen, die bei Inkrafttreten dieser Verordnung bestanden, werden auf Initiative der [nationalen Regulierungsbehörde] vor dem 1. Januar 1999 geändert, um sie an die Bestimmungen dieser Verordnung anzupassen.

    (5)   Hat die Anwendung dieser Verordnung Änderungen der Bestimmungen der bestehenden Konzessionen und Genehmigungen zur Folge, bleiben unbeschadet der Rechte, die den anderen Unternehmen insbesondere nach dem Gemeinschaftsrecht zustehen, die Bestimmungen mit Ausnahme derjenigen gültig, mit denen besondere oder ausschließliche Rechte gewährt werden, die nach dieser Verordnung aufgehoben worden sind oder aufgehoben werden müssen.

    (6)   Sofern in den Abs. 4 und 5 nichts anderes bestimmt ist, werden die Auflagen, die sich aus den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bestehenden Konzessionen und Genehmigungen ergeben, die den Bestimmungen dieser Verordnung nicht entsprechen, am 1. Januar 1999 unwirksam.“

    15

    Art. 6 Abs. 20 dieses Dekrets sieht vor:

    „… die Gebühr, die die Unternehmen für das Einzelgenehmigungsverfahren zu entrichten haben, dient ausschließlich dazu, die Verwaltungskosten zu decken, die mit der Bearbeitung der Sache, der Kontrolle des Dienstes und der Einhaltung der in den Genehmigungen vorgesehenen Bedingungen verbunden sind. …“

    16

    Art. 21 Abs. 2 des Dekrets lautet:

    „Soweit in dieser Verordnung nicht ausdrücklich anders bestimmt, sind die im Telekommunikationsbereich geltenden Bestimmungen weiter anwendbar. Insbesondere sind zu den in Art. 6 Abs. 20 und 21 genannten Zwecken bis zu einer gegenteiligen Entscheidung der [nationalen Regulierungsbehörde] die in Art. 188 des Post‑ und Fernmeldegesetzbuchs genannten Bestimmungen weiter anwendbar.“

    Das Gesetz Nr. 448 vom 23. Dezember 1998

    17

    Art. 20 Abs. 3 der Legge n. 448, Misure di finanza pubblica per la stabilizzazione e lo sviluppo (Gesetz Nr. 448 über steuerliche Maßnahmen zu Stabilität und Entwicklung) vom 23. Dezember 1998 (GURI Nr. 302 vom 29. Dezember 1998, Supplemento ordinario) lautet:

    „Ab dem 1. Januar 1999 sind die Bestimmungen des Art. 188 des [Post‑ und Fernmeldegesetzbuchs] nicht mehr auf die Erbringer von Telekommunikationsdiensten für die Allgemeinheit anwendbar.“

    18

    Gemäß Art. 20 Abs. 4 dieses Gesetzes ist Art. 21 Abs. 2 des Dekrets Nr. 318/1997 aufgehoben.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    19

    Telecom Italia war die Alleinkonzessionärin für Telekommunikationsdienste für die Allgemeinheit im Sinne von Art. 188 des Post‑ und Fernmeldegesetzbuchs.

    20

    Mit einem Bescheid des Ministero delle Comunicazioni (Ministerium für Kommunikation, Italien) vom 9. Juli 2003 wurde von Telecom Italia die Zahlung von 31118630,05 Euro als Nachzahlung zur Konzessionsabgabe für das Geschäftsjahr 1997 sowie von 41025043,06 Euro als Nachzahlung zur Konzessionsabgabe für das Geschäftsjahr 1998 verlangt.

    21

    Telecom Italia focht diesen Bescheid vor dem Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) an, das den Gerichtshof mit einer Vorlagefrage befasste, zu der das Urteil vom 21. Februar 2008, Telecom Italia (C‑296/06, EU:C:2008:106), erging.

    22

    In Rn. 45 dieses Urteils stellte der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie 97/13 es einem Mitgliedstaat verwehrt, von einem Anbieter, der früher Inhaber eines ausschließlichen Rechts in Bezug auf öffentliche Telekommunikationsdienste war, für ein Jahr ab dem für die Umsetzung dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht vorgesehenen letzten Termin, d. h. bis zum 31. Dezember 1998, die Zahlung einer finanziellen Belastung zu verlangen, die dem zuvor als Gegenleistung für die Gewährung des ausschließlichen Rechts geforderten Betrag entspricht.

    23

    Im Licht dieses Urteils entschied das vorlegende Gericht mit dem Urteil Nr. 11386 vom 15. Dezember 2008, dass die Abgabe für das Jahr 1998 zu zahlen sei.

    24

    Dieses Urteil wurde von Telecom Italia vor dem Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) angefochten, der mit dem Urteil Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 bestätigte, dass die Forderung der Zahlung der Abgabe für das Jahr 1998, insbesondere im Licht des Urteils vom 21. Februar 2008, Telecom Italia (C‑296/06, EU:C:2008:106), mit dem Unionsrecht vereinbar sei.

    25

    Da Telecom Italia der Ansicht war, dass sie aufgrund der unzutreffenden Auslegung des Urteils vom 21. Februar 2008, Telecom Italia (C‑296/06, EU:C:2008:106), durch den Consiglio di Stato (Staatsrat) einen Schaden erlitten habe, erhob sie eine zivilrechtliche Haftungsklage wegen fehlerhafter Ausübung der Gerichtsbarkeit gegen den italienischen Staat bei der Corte d’appello di Roma (Berufungsgericht Rom, Italien), die mit Entscheidung vom 31. Januar 2012 der Beschwerde dieser Gesellschaft stattgab und das Vorliegen eines offenkundigen Verstoßes gegen das Unionsrecht feststellte.

    26

    Im Anschluss an diese Entscheidung beantragte Telecom Italia mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Klage, auch die als Abgabe für das Jahr 1998 verlangten Beträge für nicht geschuldet zu erklären und demnach die Rechtskraft des Urteils des Consiglio di Stato (Staatsrat) Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 zu beseitigen.

    27

    In diesem Zusammenhang hegt das vorlegende Gericht Zweifel hinsichtlich der Tragweite der Richtlinie 97/13 und der Frage, ob die nationalen Rechtsvorschriften und die Auslegung dieser Vorschriften durch den Consiglio di Stato (Staatsrat) mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

    28

    Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass Telecom Italia nach der vom Consiglio di Stato (Staatsrat) im Urteil Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 vorgenommenen Auslegung zur Zahlung der Abgabe für das Jahr 1998 verpflichtet war, da diese Abgabe die Gegenleistung für die Konzession für den Telekommunikationsdienst war und da feststeht, dass Telecom Italia in diesem Jahr weiterhin Konzessionärin war und diese Dienstleistung, wenn auch nicht ausschließlich, erbrachte.

    29

    Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Abgabe für das Jahr 1998 anhand des Umsatzes von Telecom Italia und nicht anhand der Verwaltungs- und Kontrollkosten im Sinne der Art. 6 und 11 der Richtlinie 97/13 berechnet wurde. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich aus dem Urteil vom 21. Februar 2008, Telecom Italia (C‑296/06, EU:C:2008:106), ergibt, dass die finanziellen Belastungen, die den Unternehmen im Bereich der Telekommunikationsdienste auferlegt werden können, nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie ausschließlich durch diese Artikel geregelt wurden.

    30

    Daraus folgt nach Ansicht des vorlegenden Gerichts, dass die vom Consiglio di Stato (Staatsrat) vorgenommene Auslegung der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Urteil vom 21. Februar 2008, Telecom Italia (C‑296/06, EU:C:2008:106), zuwiderlaufen könnte, und das vorlegende Gericht fragt sich, welche Folgen dies, falls dies der Fall sein sollte, hätte, da das Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat) Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 endgültig und damit nach innerstaatlichem Recht rechtskräftig geworden sei.

    31

    Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Ist Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 97/13 dahin auszulegen, dass er auch für das Jahr 1998 die Beibehaltung der Verpflichtung zur Zahlung einer Abgabe oder Gegenleistung gestattet, die – da sie auf der Grundlage eines identischen Anteils am Umsatz bemessen wird – derjenigen entspricht, die nach der Regelung geschuldet war, die vor dieser Richtlinie galt?

    2.

    Steht die Richtlinie 97/13 im Licht der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 18. September 2003, Albacom und Infostrada (C‑292/01 und C‑293/01, EU:C:2003:480), und vom 21. Februar 2008, Telecom Italia (C‑296/06, EU:C:2008:106), einem rechtskräftigen innerstaatlichen Urteil entgegen, das auf einer fehlerhaften Auslegung und/oder einer Verfälschung dieser Richtlinie beruht, so dass dieses rechtskräftige Urteil von einem zweiten Gericht, das mit einem Rechtsstreit befasst ist, der auf demselben materiellen Rechtsverhältnis beruht, sich jedoch wegen der akzessorischen Natur der verlangten Zahlung von demjenigen unterscheidet, der Gegenstand der Sache war, zu der das rechtskräftige Urteil ergangen ist, unangewendet gelassen werden kann?

    Zu den Vorlagefragen

    Zur ersten Frage

    32

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 97/13 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der die einem Telekommunikationsunternehmen, das Inhaber einer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden Genehmigung ist, auferlegte Verpflichtung zur Zahlung einer nach dem Umsatz und nicht nur nach den Verwaltungskosten der Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der Allgemein- und Einzelgenehmigungen berechneten Abgabe für das Jahr 1998 verlängert wird.

    33

    Der Gerichtshof hatte im Urteil vom 21. Februar 2008, Telecom Italia (C‑296/06, EU:C:2008:106), bereits Gelegenheit, die Vereinbarkeit einer Telecom Italia, der ehemaligen Inhaberin eines ausschließlichen Rechts an öffentlichen Telekommunikationsdiensten in Italien, auferlegten jährlichen finanziellen Belastung mit der Richtlinie 97/13 zu prüfen.

    34

    In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinie 97/13 dahin auszulegen ist, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehrt, von einem Anbieter, der früher Inhaber eines ausschließlichen Rechts in Bezug auf öffentliche Telekommunikationsdienste war und Inhaber einer Allgemeingenehmigung geworden ist, für ein Jahr ab dem für die Umsetzung dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht vorgesehenen letzten Termin, d. h. bis zum 31. Dezember 1998, die Zahlung einer finanziellen Belastung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abgabe zu verlangen, die dem zuvor als Gegenleistung für die Gewährung des ausschließlichen Rechts geforderten Betrag entspricht.

    35

    Auf diese Antwort hin stellte das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) mit Urteil Nr. 11386 vom 15. Dezember 2008 gleichwohl fest, dass die Zahlung der Gebühr für das Jahr 1998 mit der Richtlinie 97/13 vereinbar sei, was vom Consiglio di Stato (Staatsrat) im Urteil Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 bestätigt wurde.

    36

    In diesem Zusammenhang hat das vorlegende Gericht Zweifel hinsichtlich der Tragweite der Richtlinie 97/13, insbesondere ihres Art. 22, und fragt sich, ob die nationale Regelung, wie sie der Consiglio di Stato (Staatsrat) im Urteil Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 ausgelegt hat, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

    37

    Insoweit ist zum einen daran zu erinnern, dass die Richtlinie 97/13 nach ihrem Art. 26 am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft getreten ist, d. h. am 27. Mai 1997. Art. 25 dieser Richtlinie verpflichtete die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Vorschriften zu erlassen, um dieser Richtlinie spätestens bis zum 31. Dezember 1997 nachzukommen.

    38

    Zum anderen stellen die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 97/13 sicher, dass Telekommunikationsdienste und/oder Telekommunikationsnetze entweder ohne Genehmigung oder aufgrund einer Allgemeingenehmigung oder einer Einzelgenehmigung erbracht werden können. Art. 6 dieser Richtlinie sieht in Bezug auf Allgemeingenehmigungen vor, dass, abgesehen von den finanziellen Beiträgen zur Erbringung des Universaldiensts gemäß deren Anhang, die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass von den Unternehmen im Rahmen der Genehmigungsverfahren nur die Gebühren erhoben werden, die die für die Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung dieser Genehmigungen anfallenden Verwaltungskosten abdecken. Das Gleiche gilt für die finanziellen Belastungen, die in Art. 11 der Richtlinie für Einzelgenehmigungen vorgesehen sind, mit der einzigen Ausnahme betreffend die Möglichkeit, im Fall der Nutzung knapper Ressourcen Abgaben zu erheben, wie in Abs. 2 dieses Artikels vorgesehen.

    39

    Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Richtlinie 97/13, wie sich aus ihrem 26. Erwägungsgrund ergibt, sowohl für bestehende als auch für künftige Genehmigungen gilt, hat Art. 22 der Richtlinie außerdem eine Übergangsregelung für die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bestehenden Genehmigungen eingeführt. So wird erstens nach Abs. 1 dieses Artikels eine zusätzliche Frist von einem Jahr bis zum 1. Januar 1999 gewährt, um die bestehenden Genehmigungen mit der Richtlinie in Einklang zu bringen. Zweitens sieht Abs. 2 dieses Artikels die Möglichkeit vor, die Geltung der mit den bestehenden Genehmigungen verbundenen Bestimmungen zu verlängern, allerdings unter dem Vorbehalt, dass diese Bedingungen keine besonderen oder ausschließlichen Rechte einräumen, die nach Unionsrecht beendet worden sind oder beendet werden müssen, und dass diese Verlängerung der Geltung die Rechte anderer Unternehmen aus dem Unionsrecht nicht beeinträchtigt. Schließlich sieht Abs. 3 dieses Artikels vor, dass die genannten Auflagen vor dem 1. Januar 1999 mit dieser Richtlinie in Einklang gebracht werden müssen, um nicht unwirksam zu werden, es sei denn, die Kommission hat dem betreffenden Mitgliedstaat auf dessen Antrag die Aufschiebung dieses Zeitpunkts gestattet.

    40

    Folglich konnten die Mitgliedstaaten gemäß der in Art. 22 der Richtlinie 97/13 vorgesehenen Übergangsregelung im Laufe des Jahres 1998 entweder die Geltung der Bestimmungen für bestehende Genehmigungen mit Ausnahme derjenigen, die besondere oder ausschließliche Rechte einräumten, verlängern oder von der Kommission eine Aufschiebung des Zeitpunkts erwirken, an dem diese mit der Richtlinie 97/13 in Einklang stehen mussten.

    41

    Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass von Telecom Italia mit einem Bescheid des Ministeriums für Kommunikation vom 9. Juli 2003 die Zahlung von 41025043,06 Euro als Nachzahlung zur Konzessionsabgabe für das Geschäftsjahr 1998 verlangt wurde. Dieser Bescheid wurde vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium) durch das Urteil Nr. 11386 vom 15. Dezember 2008 und anschließend vom Consiglio di Stato (Staatsrat) im Urteil Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 bestätigt, da diese Gerichte die Zahlung der Abgabe für das Jahr 1998 für mit der Richtlinie 97/13 vereinbar hielten.

    42

    Diese Auslegung der genannten Gerichte findet jedoch in den Bestimmungen der Richtlinie 97/13 keine Stütze und ist zurückzuweisen.

    43

    Erstens hat der Gerichtshof nämlich in Rn. 28 des Urteils vom 21. Februar 2008, Telecom Italia (C‑296/06, EU:C:2008:106), entschieden, dass Art. 22 der Richtlinie 97/13 nicht ausdrücklich die finanziellen Belastungen für Telekommunikationsunternehmen behandelt, die Inhaber einer Genehmigung, sei es einer Allgemeingenehmigung oder einer Einzelgenehmigung, sind. Nur die Art. 6 und 11 der Richtlinie sind ausdrücklich dieser Frage gewidmet.

    44

    Zweitens hat der Gerichtshof in den Rn. 32 und 34 dieses Urteils zum einen ausgeführt, dass dem Zweck des Art. 22 der Richtlinie 97/13 die Aufrechterhaltung einer mit einem früheren ausschließlichen Recht verbundenen finanziellen Belastung fremd ist, und zum anderen, dass Art. 22 Abs. 2 dieser Richtlinie im Fall eines Mitgliedstaats, der keine Erlaubnis der Kommission zur Aufrechterhaltung besonderer oder ausschließlicher Rechte im Telekommunikationsbereich erhalten hat, die Aufrechterhaltung von Bestimmungen, mit denen solche Rechte gewährt werden, über den 31. Dezember 1997 hinaus ausschließt. Die Beseitigung eines ausschließlichen Rechts muss aber normalerweise Auswirkungen auf die finanzielle Belastung haben, die die Gegenleistung für dieses Recht ist.

    45

    Drittens hat der Gerichtshof in Rn. 36 dieses Urteils festgestellt, dass eine Auflage in Form einer an ein früheres ausschließliches Recht geknüpften Abgabe nicht in den Anwendungsbereich der Auflagen fällt, auf die sich Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 97/13 bezieht, und eine solche Abgabe gemäß Art. 25 der Richtlinie nicht über den 31. Dezember 1997 hinaus aufrechterhalten werden kann.

    46

    Der Gerichtshof hat zwar in Rn. 38 des Urteils vom 21. Februar 2008, Telecom Italia (C‑296/06, EU:C:2008:106), festgestellt, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, festzustellen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Abgabe an das Telecom Italia vor Inkrafttreten der Richtlinie 97/13 gewährte ausschließliche Recht in Bezug auf öffentliche Telekommunikationsdienste geknüpft ist.

    47

    Bei dieser Verweisung an das nationale Gericht ist jedoch zu berücksichtigen, dass, wie der Gerichtshof in Rn. 39 des genannten Urteils festgestellt hat, wenn eine solche Abgabe nicht an ein solches vor Inkrafttreten der Richtlinie 97/13 gewährtes ausschließliches Recht geknüpft sein sollte, geprüft werden muss, ob eine solche Belastung eine „Auflage“ im Sinne von Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 97/13 ist, für die die in dieser Vorschrift vorgesehene Ausnahme gelten kann.

    48

    Wie in Rn. 43 des vorliegenden Urteils ausgeführt, behandeln nur die Art. 6 und 11 der Richtlinie 97/13 die finanziellen Belastungen, die für Unternehmen gelten, die Inhaber von Genehmigungen im Bereich Telekommunikationsdienste sind. Für Einzelgenehmigungen sieht Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie vor, dass die Gebühren, die die Mitgliedstaaten den Unternehmen auferlegen, die Inhaber dieser Genehmigungen sind, nur die Verwaltungskosten decken sollen, die für die durch die Erteilung dieser Genehmigungen verursachte Arbeit anfallen. Dasselbe gilt für die von den Mitgliedstaaten für Allgemeingenehmigungen erhobenen Gebühren nach Art. 6 der Richtlinie 97/13, der im Übrigen nur eine einzige andere Form finanzieller Beiträge vorsieht, nämlich die an die Erbringung des Universaldiensts geknüpften Beiträge (Urteil vom 21. Februar 2008, Telecom Italia, C‑296/06, EU:C:2008:106, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    49

    Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Richtlinie 97/13 nicht nur Vorschriften u. a. über die Verfahren zur Erteilung der Genehmigungen und zu deren Inhalt enthält, sondern auch über die Natur bzw. das Ausmaß der finanziellen Belastungen im Zusammenhang mit diesen Verfahren, die die Mitgliedstaaten den Unternehmen im Sektor der Telekommunikationsdienste auferlegen können. Dieser Richtlinie würde jedoch ihre praktische Wirksamkeit genommen, wenn es den Mitgliedstaaten freistünde, die finanziellen Belastungen festzusetzen, die die in diesem Sektor tätigen Unternehmen zu tragen haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. September 2003, Albacom und Infostrada, C‑292/01 und C‑293/01, EU:C:2003:480, Rn. 36 und 38).

    50

    Solche Belastungen hätten, anders als die in den Art. 6 und 11 der Richtlinie 97/13 vorgesehenen, zur Folge, dass die Gebühren und Abgaben, die die Mitgliedstaaten nach dieser Richtlinie ausdrücklich auferlegen dürfen, stark erhöht würden, und würden ein erhebliches Hindernis für die Dienstleistungsfreiheit in der Telekommunikation schaffen, was den vom Unionsgesetzgeber verfolgten Zielen zuwiderläuft und den durch die genannte Richtlinie geschaffenen gemeinsamen Rahmen verlässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. September 2003, Albacom und Infostrada, C‑292/01 und C‑293/01, EU:C:2003:480, Rn. 40 und 41).

    51

    Folglich bezieht sich der Begriff „Bestimmungen bestehender Genehmigungen“ im Sinne von Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 97/13, deren Geltung für das Jahr 1998 verlängert werden kann, auf verschiedene Rechte und Auflagen, umfasst jedoch nicht die finanziellen Belastungen, die Telekommunikationsunternehmen, die Inhaber von Genehmigungen sind, auferlegt werden. Dieser Begriff deckt den Begriff „Auflagen“ im Sinne von Art. 22 Abs. 3 dieser Richtlinie ab, der sich folglich nicht auf eine finanzielle Belastung beziehen kann, die einem Telekommunikationsunternehmen ohne Bezug zu den Bedingungen für die Ausübung der ihm erteilten Genehmigung auferlegt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2008, Telecom Italia, C‑296/06, EU:C:2008:106, Rn. 41, 43 und 44).

    52

    Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 97/13 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der die einem Telekommunikationsunternehmen, das Inhaber einer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden Genehmigung ist, auferlegte Verpflichtung zur Zahlung einer nach dem Umsatz und nicht nur nach den Verwaltungskosten der Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der Allgemein- und Einzelgenehmigungen berechneten Abgabe für das Jahr 1998 verlängert wird.

    Zur zweiten Frage

    53

    Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es ein nationales Gericht verpflichtet, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine gerichtliche Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, wenn dadurch ein Verstoß gegen eine Vorschrift des Unionsrechts abgestellt werden könnte.

    54

    Zunächst ist festzustellen, dass aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht klar hervorgeht, dass die Rechtskraft des Urteils des Consiglio di Stato (Staatsrat) Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 das vorlegende Gericht in Bezug auf das Ausgangsverfahren binden könnte.

    55

    Insoweit sind Telecom Italia und die Kommission der Ansicht, dass der Gegenstand der Rechtssache, in der das Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat) Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 ergangen sei, anders sei als der des Ausgangsverfahrens, da es in der ersten Rechtssache um das Bestehen einer Schuld gegangen sei, während das Ausgangsverfahren den Restbetrag dieser Schuld betreffe und sich daher die Frage der Rechtskraft nicht stelle. Die italienische Regierung macht dagegen geltend, die Identität der Parteien und die Identität der im Ausgangsverfahren gestellten Fragen mit den Fragen, über die der Consiglio di Stato (Staatsrat) in dem genannten Urteil entschieden habe, verpflichteten das vorlegende Gericht aufgrund der Rechtskraft dieses Urteils, diesem nachzukommen.

    56

    Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bei der Auslegung von Bestimmungen des nationalen Rechts grundsätzlich gehalten ist, die der Vorlageentscheidung zu entnehmenden Qualifizierungen zugrunde zu legen. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof nämlich nicht befugt, das innerstaatliche Recht eines Mitgliedstaats auszulegen (Urteil vom 10. Januar 2019, ET, C‑97/18, EU:C:2019:7, Rn. 24).

    57

    Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass der Ausgangsrechtsstreit auf dem materiellen Rechtsverhältnis beruht, das auch zum Urteil des Consiglio di Stato (Staatsrat) Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 geführt hat, sich aber von der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, unterscheidet, da die beantragte Zahlung im Verhältnis zu derjenigen, um die es in dieser Rechtssache ging, akzessorisch ist. Jedenfalls ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die Rechtskraft dieses Urteils nach innerstaatlichem Recht die vorliegende Rechtssache oder Aspekte davon umfasst, und gegebenenfalls die nach diesem Recht vorgesehenen Folgen zu prüfen.

    58

    Da auf diesem Gebiet unionsrechtliche Vorschriften fehlen, ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie nämlich Sache der innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die Modalitäten der Umsetzung des Grundsatzes der Rechtskraft festzulegen. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (Urteil vom 3. September 2009, Fallimento Olimpiclub, C‑2/08, EU:C:2009:506, Rn. 24).

    59

    In diesem Zusammenhang muss das vorlegende Gericht, wenn es der Ansicht ist, dass die Rechtskraft des Urteils des Consiglio di Stato (Staatsrat) Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht ausschlaggebend ist, das anwendbare nationale Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie 97/13 auslegen, um den sich daraus ergebenden Verpflichtungen nachzukommen. Wie sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, ist diese Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts dem System des AEU-Vertrags immanent, da den nationalen Gerichten dadurch ermöglicht wird, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn sie über die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten entscheiden. Sie verlangt, dass das nationale Gericht gegebenenfalls das gesamte nationale Recht berücksichtigt, um zu beurteilen, inwieweit es so angewandt werden kann, dass kein dem Unionsrecht, insbesondere der Richtlinie 97/13, widersprechendes Ergebnis erzielt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2016, Ognyanov, C‑554/14, EU:C:2016:835, Rn. 59 und 66).

    60

    Das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung umfasst die Verpflichtung der nationalen Gerichte, einschließlich der letztinstanzlichen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit dem Unionsrecht unvereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2018, IR, C‑68/17, EU:C:2018:696, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    61

    Folglich darf ein nationales Gericht nicht davon ausgehen, dass es eine nationale Vorschrift nicht im Einklang mit dem Unionsrecht auslegen könne, nur weil sie in einem nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren Sinne ausgelegt worden ist oder von den zuständigen nationalen Behörden auf diese Weise angewandt wird (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 79).

    62

    Im vorliegenden Fall hat der Consiglio di Stato (Staatsrat), wie sich aus der Antwort auf die erste Frage ergibt, indem er im Urteil Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 entschieden hat, dass die Gebühr, die von Telecom Italia, Inhaberin einer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie 97/13 bestehenden Genehmigung, für das Jahr 1998 verlangt wurde, zu entrichten war, das nationale Recht, wie sich aus der Antwort auf die erste Vorlagefrage ergibt, in einem Sinne ausgelegt, der mit dem Unionsrecht, wie es der Gerichtshof in seinem Urteil vom 21. Februar 2008, Telecom Italia (C‑296/06, EU:C:2008:106), ausgelegt hatte, nicht vereinbar ist.

    63

    Folglich ist es im Rahmen des in Rn. 59 des vorliegenden Urteils genannten Falls Sache des vorlegenden Gerichts, für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts Sorge zu tragen und erforderlichenfalls die durch den Consiglio di Stato (Staatsrat) im Urteil Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 vorgenommene Auslegung aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt zu lassen, wenn diese Auslegung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist (Urteil vom 8. November 2016, Ognyanov, C‑554/14, EU:C:2016:835, Rn. 70).

    64

    Sollte das vorlegende Gericht hingegen der Auffassung sein, dass die Rechtskraft des Urteils des Consiglio di Stato (Staatsrat) Nr. 7506 vom 1. Dezember 2009 nach nationalem Recht das Ausgangsverfahren erfasst und somit dessen Entscheidung bestimmt, ist auf die Bedeutung hinzuweisen, die dem Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Unionsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen zukommt. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nämlich nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können (Urteile vom 3. September 2009, Fallimento Olimpiclub, C‑2/08, EU:C:2009:506, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 11. September 2019, Călin, C‑676/17, EU:C:2019:700, Rn. 26).

    65

    Nach ständiger Rechtsprechung gebietet das Unionsrecht es einem nationalen Gericht nicht, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß gegen eine Bestimmung des Unionsrechts abgestellt werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 68).

    66

    Daher verlangt das Unionsrecht nicht, dass ein nationales Rechtsprechungsorgan seine rechtskräftig gewordene Entscheidung grundsätzlich rückgängig machen muss, um der Auslegung einer einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmung durch den Gerichtshof Rechnung zu tragen (Urteil vom 11. September 2019, Călin, C‑676/17, EU:C:2019:700, Rn. 28).

    67

    Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, aus dem Wesen des AEU-Vertrags folgt, ohne dass danach unterschieden würde, ob der schadensverursachende Verstoß der Legislative, der Judikative oder der Exekutive zuzurechnen ist (Urteil vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 30 und 32).

    68

    In Anbetracht der entscheidenden Rolle, die die Judikative beim Schutz der dem Einzelnen aufgrund unionsrechtlicher Bestimmungen zustehenden Rechte spielt, wäre die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der Einzelne unter bestimmten Voraussetzungen dann keine Entschädigung erlangen könnte, wenn seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht verletzt werden, der einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaats zuzurechnen ist (Urteil vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 33).

    69

    Im Übrigen darf insbesondere aufgrund des Umstands, dass eine Verletzung der aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte durch eine endgültig und damit rechtskräftig gewordene Entscheidung in der Regel nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, dem Einzelnen nicht die Möglichkeit genommen werden, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Weg einen gerichtlichen Schutz seiner vom Unionsrecht anerkannten Rechte zu erlangen (Urteil vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C‑234/17, EU:C:2018:853, Rn. 58).

    70

    So geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass Telecom Italia im Ausgangsverfahren eine zivilrechtliche Haftungsklage gegen den italienischen Staat wegen fehlerhafter Ausübung der Gerichtsbarkeit erhoben hat und dass die Corte d’appello di Roma (Berufungsgericht Rom) der Beschwerde stattgegeben hat, indem sie einen offenkundigen Verstoß gegen das Unionsrecht durch den Consiglio di Stato (Staatsrat) festgestellt hat.

    71

    Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es ein nationales Gericht nicht verpflichtet, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine gerichtliche Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß gegen eine Vorschrift des Unionsrechts abgestellt werden könnte, was für die Betroffenen nicht die Möglichkeit ausschließt, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Wege den rechtlichen Schutz ihrer vom Unionsrecht anerkannten Rechte zu erlangen.

    Kosten

    72

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

     

    1.

    Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der die einem Telekommunikationsunternehmen, das Inhaber einer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden Genehmigung ist, auferlegte Verpflichtung zur Zahlung einer nach dem Umsatz und nicht nur nach den Verwaltungskosten der Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der Allgemein- und Einzelgenehmigungen berechneten Abgabe für das Jahr 1998 verlängert wird.

     

    2.

    Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es ein nationales Gericht nicht verpflichtet, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund deren eine gerichtliche Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß gegen eine Vorschrift des Unionsrechts abgestellt werden könnte, was für die Betroffenen nicht die Möglichkeit ausschließt, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Wege den rechtlichen Schutz ihrer vom Unionsrecht anerkannten Rechte zu erlangen.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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