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Dokument 62014CC0560

Schlussanträge des Generalanwalts P. Mengozzi vom 3. Mai 2016.

Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2016:320

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 3. Mai 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑560/14

M

gegen

Minister for Justice and Equality Ireland and the Attorney General

(Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court [Irland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts — Richtlinie 2004/83/EG — Mindestnormen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus — Subsidiärer Schutz — Rechtmäßigkeit des nationalen Verfahrens bei der Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz nach Ablehnung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft — Anspruch auf rechtliches Gehör — Umfang — Erfordernis einer mündlichen Anhörung — Recht, Zeugen aufzurufen und einem Kreuzverhör zu unterziehen“

1. 

In der vorliegenden Rechtssache hat der Gerichtshof Gelegenheit, die Tragweite des unionsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör weiter zu klären ( 2 ), insbesondere in Bezug auf das Verfahren betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach der Richtlinie 2004/83 ( 3 ).

2. 

Das Vorabentscheidungsersuchen, das der irische Supreme Court dem Gerichtshof vorgelegt hat, ist im Rahmen des bei diesem anhängigen Rechtsmittelverfahrens gegen das Urteil ergangen, das der High Court nach Verkündung des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) erlassen hatte. Die Vorlagefrage des Supreme Court fügt sich ein in den Kontext der zur maßgebenden Zeit geltenden irischen Regelung über die Zuerkennung des internationalen Schutzes, die bereits zu mehreren dem Gerichtshof vorgelegten Fragen Anlass gegeben hat ( 4 ). Die Besonderheit der irischen Regelung, die inzwischen zweimal geändert wurde ( 5 ), beruht darin, dass eine zweigleisige Regelung eingeführt wurde, die durch zwei besondere und getrennte Verfahren zur Prüfung des Asylantrags bzw. des Antrags auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes gekennzeichnet ist.

3. 

Im Urteil M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) hat der Gerichtshof die Bedeutung des Erfordernisses hervorgehoben, dass in einer derartigen Regelung der Anspruch auf rechtliches Gehör ( 6 ) angesichts seines grundlegenden Charakters in beiden Verfahren vollständig gewährleistet ist. Aus den Akten der vorliegenden Rechtssache geht jedoch hervor, dass die Parteien das Urteil M. im Hinblick auf den genauen Inhalt, den der genannte Anspruch nach Auffassung des Gerichtshofs hat, unterschiedlich auslegen. Insbesondere streiten die Parteien darüber, ob dem Urteil zu entnehmen ist, dass es, um in einer derartigen Regelung den Anspruch auf rechtliches Gehör im Verfahren betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzes vollständig zu gewährleisten, erforderlich ist, dem Antragsteller vor der Verwaltung, die über seinen Antrag entscheiden wird, eine mündliche Anhörung zu gewähren, zu der Zeugen geladen werden können, obwohl eine mündliche Anhörung bereits im vorhergehenden Verfahren betreffend seinen Asylantrag stattgefunden hat. Dies ist im Wesentlichen die Frage, die der Gerichtshof im vorliegenden Verfahren zu beantworten hat.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

4.

Ziel der Richtlinie 2004/83 ist nach ihrem Art. 1 die Festlegung von Mindestnormen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz sowie für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes.

5.

Nach Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 hat eine Person Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes, wenn sie stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass sie bei einer Rückkehr in das betreffende Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie zu erleiden. Nach diesem Artikel gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Buchst. a), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung des Antragstellers (Buchst. b) oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Buchst. c).

6.

Art. 4 der Richtlinie 2004/83 in deren Kapitel II („Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz“) enthält Hinweise dafür, wie die den Anträgen zugrunde liegenden Ereignisse und Umstände zu prüfen sind. Insbesondere bestimmt er in Abs. 1 Satz 2, dass es Pflicht des Mitgliedstaats ist, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag auf internationalen Schutz maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen. Ferner ergibt sich aus Abs. 3 dieses Artikels, dass die Anträge auf internationalen Schutz individuell zu prüfen sind und dass eine Reihe von dort aufgeführten Gesichtspunkten zu berücksichtigen sind, zu denen insbesondere nach Buchst. c dieses Absatzes die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers gehören, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind.

7.

Die Richtlinie 2005/85 ( 7 ) legt Mindestnormen für die Verfahren zur Prüfung der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft fest. Art. 3 dieser Richtlinie regelt den Anwendungsbereich der Richtlinie und bestimmt in seinem Abs. 1, dass sie für alle Asylanträge gilt. Abs. 3 dieses Artikels besagt jedoch: „Wenn Mitgliedstaaten ein Verfahren anwenden oder einführen, nach dem Asylanträge sowohl als Anträge aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention als auch als Anträge auf Gewährung anderer Formen internationalen Schutzes, der unter den in Artikel 15 der Richtlinie 2004/83/EG definierten Umständen gewährt wird, geprüft werden, wenden sie die vorliegende Richtlinie während des gesamten Verfahrens an.“ Abs. 4 des Artikels bestimmt: „Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Richtlinie bei Verfahren anzuwenden, mit denen über Anträge auf Gewährung irgendeiner Form des internationalen Schutzes entschieden wird.“

8.

Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85 („Ladung zur persönlichen Anhörung“) lautet: „Bevor die Asylbehörde eine Entscheidung trifft, wird dem Asylbewerber Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Asylantrag durch einen nach nationalem Recht zuständigen Bediensteten gegeben.“ Nach den Abs. 2 und 3 dieses Artikels kann jedoch auf die persönliche Anhörung in einer Reihe von dort aufgezählten Fällen verzichtet werden ( 8 ).

B – Nationales Recht

9.

Wie vorstehend ausgeführt, gelten in Irland für den Asylantrag und den Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes unter der auf den vorliegenden Fall anwendbaren Regelung besondere und getrennte aufeinanderfolgende Verfahren.

10.

Das Verfahren betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzes war in den European Communities (Eligibility for Protection) Regulations 2006 (Verordnung von 2006 über die Europäischen Gemeinschaften [Voraussetzungen für die Gewährung von Schutz]) geregelt, die der Minister for Justice, Equality and Law Reform (im Folgenden: Minister) am 9. Oktober 2006 erlassen hatte und mit denen u. a. die Richtlinie 2004/83 umgesetzt werden sollte.

11.

Diese Verordnung enthielt keine Bestimmung, nach der die Person, die subsidiären Schutz beantragt, im Rahmen der Prüfung ihres Antrags persönlich anzuhören war. Die Regelung des Verfahrens zur Behandlung der Anträge auf subsidiären Schutz wurde zwischenzeitlich zweimal reformiert ( 9 ); diese Neuregelungen sind jedoch aus zeitlichen Gründen für die vorliegende Rechtssache ohne Bedeutung.

II – Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorlagefragen

12.

Der Verlauf der Verfahren betreffend die Anträge von Herrn M auf Asyl und auf subsidiären Schutz vor den irischen Behörden wurde im Einzelnen in den Rn. 39 bis 46 des Urteils M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) dargestellt, auf die ausdrücklich verwiesen wird. Soweit für die vorliegende Rechtssache erforderlich, weise ich lediglich darauf hin, dass Herr M, ein ruandischer Staatsangehöriger, der der ethnischen Gruppe der Tutsi angehört, ursprünglich mit einem Studentenvisum 2006 in Irland einreiste und nach Ablauf dieses Visums 2008 einen Antrag auf Anerkennung als Flüchtling stellte. Im Rahmen des Verfahrens betreffend diesen Antrag wurde Herr M in einem persönlichen Gespräch vor dem Office of the Refugee Application Commissioner angehört. Herr M legte gegen die ablehnende Entscheidung der letztgenannten Stelle Rechtsmittel vor dem Refugee Appeals Tribunal ein, das nach einem ausschließlich schriftlichen Verfahren den Asylantrag von Herrn M endgültig ablehnte, da es seine Aussagen über die Gefahr einer Verfolgung, der er bei einer Rückkehr nach Ruanda ausgesetzt wäre, für wenig glaubhaft hielt.

13.

Im Dezember 2008 stellte Herr M beim Minister einen Antrag auf subsidiären Schutz, der ebenfalls abgelehnt wurde. In seiner ablehnenden Entscheidung, die erging, ohne dass Herrn M eine mündliche Anhörung über seinen Antrag auf subsidiären Schutz gewährt worden war, gelangte der Minister zum Ergebnis, dass Herr M keine hinreichenden Gründe nachgewiesen habe, aufgrund deren angenommen werden könne, dass er bei einer Rückkehr nach Ruanda Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie 2004/83 zu erleiden. Aus den Akten geht hervor, dass sich der Minister zur Begründung dieser Entscheidung fast ausschließlich auf die Gründe bezog, die zuvor für die Ablehnung des Asylantrags von Herrn M herangezogen worden waren.

14.

Herr M focht die Entscheidung des Ministers vor dem High Court an, der im Rahmen der Prüfung dieses Rechtsmittels dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegte. Mit diesem Ersuchen wurde der Gerichtshof im Wesentlichen gefragt, ob in einem Fall wie dem von Herrn M, in dem eine Person nach Ablehnung ihrer Anerkennung als Flüchtling einen Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes stellt, aufgrund des nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 bestehenden Erfordernisses der Zusammenarbeit die Verwaltungsbehörden eines Mitgliedstaats, wenn sie eine ablehnende Entscheidung erlassen wollen, verpflichtet sind, dem Antragsteller das Ergebnis ihrer Prüfung vor dem Erlass dieser Entscheidung mitzuteilen, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu den zur Ablehnung führenden Gesichtspunkten der beabsichtigten Entscheidung zu geben.

15.

Im Urteil M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) hat der Gerichtshof zunächst die Vorlagefrage des High Court verneint ( 10 ) und sodann in den Rn. 75 ff. speziell hervorgehoben, dass im Rahmen beider Verfahren – also im Asylverfahren und im Verfahren betreffend den subsidiären Schutz – die Grundrechte des Antragstellers und insbesondere das Recht, gehört zu werden, dergestalt zu wahren sind, dass er in der Lage ist, vor dem Erlass einer Entscheidung, mit der der beantragte Schutz verweigert wird, sachdienlich Stellung zu nehmen. Insbesondere hat der Gerichtshof in Rn. 95 zweiter Gedankenstrich des Urteils festgestellt: „Dass der Betroffene bereits bei der Prüfung seines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling ordnungsgemäß angehört worden ist, bedeutet in einem [zweigleisigem] System [wie dem irischen] nicht, dass von dieser Formvorschrift im Rahmen des Verfahrens betreffend den Antrag auf subsidiären Schutz abgesehen werden könnte.“

16.

Nach Verkündung des Urteils des Gerichtshofs erließ der High Court am 23. Januar 2013 sein eigenes Urteil ( 11 ). Der High Court ging davon aus, dass entgegen den Ausführungen von Herrn M der Gerichtshof in seinem Urteil M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) nicht habe feststellen wollen, dass in einem „zweigleisigen“ System wie dem irischen das Unionsrecht dem Antragsteller allgemein ein Recht auf persönliche Anhörung im Rahmen des Verfahrens betreffend den Antrag auf subsidiären Schutz gewähre, auch wenn in zahlreichen Fällen ein solches Recht bestehen könne. Der High Court hob die Entscheidung des Ministers dennoch auf, da er der Ansicht war, dass der Minister im vorliegenden Fall den Anspruch von Herrn M auf rechtliches Gehör im Verfahren betreffend den Antrag auf subsidiären Schutz nicht gewahrt habe. Der High Court stellte nämlich zum einen fest, dass sich der Minister bei der Prüfung des Asylantrags völlig auf die negativen Feststellungen über die Glaubhaftigkeit der Aussage von Herrn M gestützt habe, er werde im Fall einer Rückkehr nach Ruanda zu Schaden kommen, und zum anderen, dass der Minister die Aussagen von Herrn M zur Begründung seines Antrags nicht eigenständig und unabhängig gewürdigt habe ( 12 ).

17.

Der Minister, Irland und der Attorney General legten gegen das Urteil des High Court beim vorlegenden Gericht ein Rechtsmittel ein. Sie machten geltend, der High Court habe das Urteil M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) fehlerhaft ausgelegt. Herr M seinerseits legte Anschlussrechtsmittel ein mit der Begründung, aus dem genannten Urteil des Gerichtshofs ergebe sich entgegen der Auffassung des High Court, dass ihm ein Anspruch auf persönliche Anhörung im Verfahren betreffend seinen Antrag auf subsidiären Schutz zustehe.

18.

Das vorlegende Gericht hält es für erforderlich, zu klären, wie die Hinweise des Gerichtshofs in den Rn. 85 ff. des Urteils M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem es getrennte Verfahren für die Prüfung des Asylantrags und die Prüfung des subsidiären Schutzes gebe, zutreffend anzuwenden seien.

19.

Vor diesem Hintergrund hat das vorlegende Gericht beschlossen, das Ausgangsverfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Gebietet der unionsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör, dass einer Person, die gemäß der Richtlinie 2004/83 subsidiären Schutz beantragt, eine mündliche Anhörung über diesen Antrag gewährt wird, einschließlich des Rechts, Zeugen aufzurufen und einem Kreuzverhör zu unterziehen, wenn der Antrag im Zuge einer Regelung des betreffenden Mitgliedstaats gestellt wird, wonach zwei getrennte und aufeinanderfolgende Verfahren zur Prüfung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des Antrags auf subsidiären Schutz bestehen?

III – Verfahren vor dem Gerichtshof

20.

Die Vorlageentscheidung ist am 5. Dezember 2014 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. Herr M, die irische, die französische und die tschechische Regierung sowie die Europäische Kommission haben Erklärungen abgegeben. An der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2016 haben sich Herr M, die irische Regierung und die Kommission beteiligt.

IV – Rechtliche Würdigung

21.

Mit seiner Vorabentscheidungsfrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob im Unionsrecht das Recht, in jedem Verfahren gehört zu werden, dahin auszulegen ist, dass, wenn ein Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus in einem Mitgliedstaat gestellt wird, der zwei getrennte und aufeinanderfolgende Verfahren zur Prüfung des Asylantrags und des Antrags auf subsidiären Schutz vorsieht, zwingend gebietet, dem Antragsteller in dem Verfahren betreffend seinen Antrag auf subsidiären Schutz eine mündliche Anhörung zu gewähren, in der er Zeugen aufrufen und einem Kreuzverhör unterziehen kann.

22.

Wie bereits dargelegt, schließt sich das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen an das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) an, dessen Auslegung für die Entscheidung des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits ausschlaggebend ist. Die Parteien in jenem Rechtsstreit und die Beteiligten im vorliegenden Verfahren sind gegensätzlicher Auffassung darüber, wie das fragliche Urteil auszulegen ist.

23.

Zum einen macht Herr M geltend, in dem genannten Urteil habe der Gerichtshof anerkannt, dass demjenigen, der einen Antrag auf subsidiären Schutz stelle, eine mündliche Anhörung gewährt werden müsse, damit in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens davon ausgegangen werden könne, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt werde. Auch die Kommission ist der Ansicht, dass in einem solchen Fall die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör die Durchführung einer mündlichen Anhörung gebiete. Die irische Regierung, deren Standpunkt von der französischen und tschechischen Regierung geteilt wird, vertritt die gegenteilige Auffassung und meint, dass es in einem solchen Fall zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör genüge, dass sich der Antragsteller zu allen Gesichtspunkten, die seinem Antrag auf subsidiären Schutz zugrunde lägen, umfassend, sei es auch nur schriftlich, habe äußern können.

24.

Soweit, wie in der Rechtssache M., auch das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen allgemein die Frage nach der Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Unionsrecht in einer besonderen Lage wie der des Ausgangsverfahrens ( 13 ) aufwirft, halte ich es zur Beantwortung der Vorlagefrage für zweckmäßig, kurz die Grundzüge der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs zu diesem Anspruch zu skizzieren.

A – Grundsätze der Rechtsprechung zum Anspruch auf rechtliches Gehör im Unionsrecht

25.

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Wahrung der Verteidigungsrechte ein tragender Grundsatz des Unionsrechts, mit dem der Anspruch darauf, in jedem Verfahren gehört zu werden, untrennbar verbunden ist ( 14 ).

26.

Der Anspruch jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird, ist jetzt ausdrücklich in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta als besonderer Ausdruck des Rechts auf eine gute Verwaltung geregelt ( 15 ).

27.

Wie ich bereits kürzlich ausführen konnte ( 16 ), ist die Frage der Anwendbarkeit des Art. 41 der Charta auf die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union ( 17 ) in der Rechtsprechung umstritten. Nach einer ersten Rechtsprechungslinie, der ich folge ( 18 ), stellt dieser Artikel eine allgemein anwendbare Bestimmung dar, die nicht nur auf die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, sondern auch auf die Mitgliedstaaten anwendbar ist, wenn diese Maßnahmen zur Durchführung des Unionsrechts erlassen ( 19 ). Eine andere Rechtsprechungslinie stützt sich auf den Wortlaut der Bestimmung, die sich ausdrücklich nur an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, nicht aber an die Mitgliedstaaten wendet. Hieraus sei zu folgern, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör einer Person, die an einem Verfahren vor der Verwaltung eines Mitgliedstaats beteiligt sei, in dem diese das Unionsrecht durchführe, seine Grundlage nicht in Art. 41 der Charta, sondern in dem im Unionsrecht geltenden allgemeinen Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte habe ( 20 ).

28.

Im vorliegenden Fall hat diese Frage jedoch, auch wenn ihr eine gewisse Bedeutung für die genaue Bestimmung der dem Anspruch von Herrn M auf rechtliches Gehör zugrunde liegenden Rechtsgrundlage zukommt, in Wirklichkeit, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, keine praktischen Auswirkungen, da es außer Zweifel steht, dass dieses Recht vor den irischen Behörden zu wahren ist, unabhängig davon, ob ihm Art. 41 der Charta oder der allgemeine Grundsatz des Unionsrechts zugrunde liegt.

29.

Was den Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör angeht, so ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dieses Recht jeder Person die Möglichkeit garantiert, im Verwaltungsverfahren, bevor ihr gegenüber eine für ihre Interessen nachteilige Entscheidung erlassen wird, sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorzutragen ( 21 ). Dieses Recht setzt auch voraus, dass die Verwaltung mit aller gebotenen Sorgfalt die entsprechenden Erklärungen der betroffenen Person zur Kenntnis nimmt, indem sie sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls untersucht und ihre Entscheidung eingehend begründet ( 22 ).

30.

Es wurde festgestellt, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör eine doppelte Aufgabe hat: Zum einen bezweckt er, so genau und korrekt wie möglich eine Untersuchung des Falles und eine Ermittlung des Sachverhalts zu ermöglichen, und zum anderen, einen wirksamen Schutz des Betroffenen zu sichern. Insbesondere soll er gewährleisten, dass jede für eine Person nachteilige Entscheidung in voller Sachkenntnis getroffen wird ( 23 ), und insbesondere der zuständigen Behörde die Berichtigung eines Fehlers oder der betroffenen Person die Geltendmachung individueller Umstände ermöglichen, die für oder gegen den Erlass oder für oder gegen einen bestimmten Inhalt der Entscheidung sprechen ( 24 ).

31.

Wenn die Verwaltungen der Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen, die in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen, müssen sie die Verteidigungsrechte der Adressaten von Entscheidungen, die ihre Interessen spürbar beeinträchtigen, und damit auch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör wahren, und zwar auch dann, wenn die anwendbare Regelung solche Verfahrensrechte nicht ausdrücklich vorsieht ( 25 ).

32.

Sind die Bedingungen, unter denen die Wahrung der Verteidigungsrechte im Rahmen eines besonderen Verfahrens zu gewährleisten ist, unionsrechtlich nicht festgelegt, richten sich nach ständiger Rechtsprechung diese Bedingungen nach nationalem Recht, sofern die in diesem Sinne getroffenen Maßnahmen denen entsprechen, die für den Einzelnen in vergleichbaren unter das nationale Recht fallenden Situationen gelten (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) ( 26 ). Diese Erfordernisse in Bezug auf die Äquivalenz und Effektivität sind Ausdruck der allgemeinen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Wahrung der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Verteidigungsrechte, u. a. was die Bestimmung von Verfahrensmodalitäten betrifft, zu gewährleisten ( 27 ).

33.

Jedoch sind die Grundrechte, wie die Wahrung der Verfahrensrechte, nicht schrankenlos gewährleistet, sondern können Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet ( 28 ).

34.

Ob eine Verletzung der Verteidigungsrechte vorliegt, ist zudem anhand der Umstände jedes Einzelfalls zu prüfen, insbesondere des Inhalts des betreffenden Rechtsakts, des Kontexts seines Erlasses sowie der Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet ( 29 ). Insbesondere hat der Gerichtshof ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung der Modalitäten, nach denen der Betroffene seinen Anspruch auf rechtliches Gehör vor Erlass einer ihn betreffenden Entscheidung wahrnehmen können muss, das Ziel der in Rede stehenden Rechtsvorschrift zu berücksichtigen ist ( 30 ).

35.

Nach alledem müssen die Mitgliedstaaten den Gesamtzusammenhang der Rechtsprechung zur Wahrung der Verteidigungsrechte, wie sie oben dargestellt worden ist, sowie des Systems und der Ziele der betreffenden unionsrechtlichen Vorschriften beachten, wenn sie im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie die Bedingungen und Modalitäten für die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Adressaten von Entscheidungen festlegen, die deren Interessen spürbar beeinträchtigen ( 31 ), und zwar ebenfalls unter Wahrung der oben in Nr. 32 angeführten Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität.

B – Zur Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Rahmen des Verfahrens betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus

36.

In dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Fall enthält das Unionsrecht keine genauen Vorschriften für die Festlegung der Bedingungen und Modalitäten, durch die im Verwaltungsverfahren die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör eines Drittstaatsangehörigen gewährleistet werden soll, der einen Antrag auf subsidiären Schutz gestellt hat.

37.

Insbesondere sind die genannten Bedingungen und Modalitäten in einem gesetzlichen Rahmen wie dem für das vorlegende Gericht relevanten weder in der Richtlinie 2004/83 enthalten, die für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz keine Verfahrensvorschriften vorsieht ( 32 ), noch in der Richtlinie 2005/85, die gemäß ihrem Art. 3 nicht für Anträge auf subsidiären Schutz gilt, es sei denn, ein Mitgliedstaat führt ein einheitliches Verfahren für die Behandlung beider Anträge auf internationalen Schutz ein (Asyl und subsidiärer Schutz) ( 33 ), was, wie dargelegt, bei der zur maßgeblichen Zeit in Irland geltenden Regelung nicht der Fall war ( 34 ).

38.

Aus der Feststellung, dass die Richtlinie 2005/85 nicht anwendbar ist, folgt, dass die Frage, ob in dem Verfahren betreffend den Antrag von Herrn M auf subsidiären Schutz ein Anspruch auf mündliche Anhörung besteht, jedenfalls nicht auf der Grundlage des Art. 12 der Richtlinie 2005/85 geprüft werden kann. Diese Bestimmung kann auf den vorliegenden Fall nicht angewandt werden, auch nicht entsprechend. Wie Irland zu Recht ausgeführt hat, hätte ihre – auch nur mittelbare – Anwendung einerseits zur Folge, dass die Entscheidung des Gesetzgebers eines Mitgliedstaats, der sich unter der Geltung der Richtlinie 2005/85 dafür entschieden hat, die Anträge auf Asyl und auf subsidiären Schutz unterschiedlichen Verfahrensregelungen zu unterstellen, ihre Wirksamkeit im Wesentlichen verlieren würde, und andererseits, dass den Bestimmungen des Art. 3 Abs. 3 und 4 der Richtlinie dadurch, dass die Anwendung der Regelung im Wesentlichen auch auf Fälle eingeführt wird, auf die sie nicht anwendbar ist, die praktische Wirksamkeit genommen würde.

39.

In Ermangelung spezifischer unionsrechtlicher Vorschriften bleiben nach der oben in Nr. 32 angeführten Rechtsprechung die Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie für die Regelung der Bedingungen und Verfahrensmodalitäten bezüglich der Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren betreffend die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz unter Gewährleistung der Achtung der Grundrechte sowie der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität zuständig ( 35 ).

40.

Aus dem Erfordernis, die volle Wirksamkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen über den subsidiären Schutz zu gewährleisten, ergibt sich insbesondere, dass die nationalen Verfahrensvorschriften den Ablauf des Verfahrens bezüglich der Anträge auf Zuerkennung dieses Schutzes in der Weise regeln, dass für die Antragsteller ein effektiver Zugang zu den ihnen durch die Richtlinie 2004/83 zuerkannten Rechten gewährleistet ist ( 36 ). Was insbesondere den vorliegenden Fall angeht, bedeutet dies, dass die nationalen Vorschriften Bedingungen und Verfahrensmodalitäten für die Wahrnehmung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren vorsehen müssen, durch die den Betroffenen ein effektiver Zugang zu den sich aus dem subsidiären Schutzstatus ergebenden Rechten gewährleistet wird.

41.

Insoweit ergibt sich aus der oben in den Nrn. 34 und 35 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung, dass die Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie die zu seiner Wahrung erforderlichen Bedingungen und Verfahrensmodalitäten unter Berücksichtigung des Wesens und der Ziele des betreffenden Verfahrens zu prüfen sind, d. h. im vorliegenden Fall des Verfahrens auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß der Richtlinie 2004/83.

42.

Die Vorschriften über den subsidiären Schutz gemäß der Richtlinie 2004/83 haben ausdrücklich zum Ziel, einer Person, die zwar nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling erfüllt, die aber dennoch des internationalen Schutzes bedarf, einen „angemessenen Status“ zu verleihen ( 37 ). Der subsidiäre Schutz ist somit eine Art Ergänzung des für die Flüchtlinge geltenden Schutzes ( 38 ), der gewährt wird, wenn Voraussetzungen erfüllt sind, die sich von den Voraussetzungen für die Anerkennung des Asylrechts unterscheiden, und der Rechte verleiht, die anderer Natur sind als die Rechte, die der Flüchtlingsstatus verleiht ( 39 ).

43.

Vor dem Hintergrund dieses Ziels ist das Verfahren zur Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz dadurch gekennzeichnet, dass die spezifische individuelle Lage des Antragstellers bei der Prüfung des Antrags eine wesentliche Rolle spielt, was im Übrigen in der Richtlinie 2004/83 seinen Ausdruck findet.

44.

Was zum einen die Arten ernsthafter Schäden nach Art. 15 der Richtlinie 2004/83 betrifft, bei denen die Gefahr ihres Eintretens die Zuerkennung des subsidiären Schutzes rechtfertigt ( 40 ), setzen diese nach der Rechtsprechung sämtlich die Berücksichtigung der spezifischen individuellen Situation des Antragstellers voraus. Wie nämlich der Gerichtshof festgestellt hat, erfassen die Buchst. a und b des genannten Artikels Situationen, in denen der den subsidiären Schutz Beantragende spezifisch der Gefahr ausgesetzt ist, einen Schaden ganz bestimmter Art zu erleiden. Bezüglich des Buchst. c des genannten Artikels hat der Gerichtshof betont, dass dieser zwar eine Schadensgefahr allgemeinerer Art umfasst, die spezifische individuelle Situation des Antragstellers jedoch auch in diesem Fall eine zentrale Bedeutung in der endgültigen Entscheidung haben kann. Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist ( 41 ).

45.

Zum anderen ergibt sich im Übrigen ausdrücklich aus Art. 4 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/83, dass bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz und daher auch bei der Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers geprüft werden müssen, um zu beurteilen, ob aufgrund seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einem ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind.

46.

Überdies ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass das Verfahren betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ebenso wie das Verfahren betreffend die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch eine schwierige menschliche und materielle Situation gekennzeichnet ist und den Schutz wesentlicher Rechte des Antragstellers betrifft, für den die zu treffende Entscheidung von vitaler Bedeutung ist. Dieses Verfahren zeichnet sich somit durch die absolut zentrale Position des Betroffenen aus, der nicht nur das Verfahren einleitet, sondern auch die einzige Person ist, die ihre persönliche Geschichte, die zur Anerkennung dieses Status führen kann, sowie den Zusammenhang, in dem sie steht, konkret darlegen kann ( 42 ).

47.

Der Gerichtshof hat zudem gerade wegen der Besonderheit der Ziele und der Natur des Verfahrens betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzes und seiner Unterschiede zu dem Verfahren betreffend die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Urteil M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) den grundlegenden Charakter, der dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör im Rahmen dieses Verfahrens zukommt, sowie das Erfordernis besonders betont, dass dieses Recht in dem genannten Verfahren vollständig gewährleistet ist, und zwar auch in einem zweigleisigen System wie dem im Ausgangsverfahren ( 43 ).

48.

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass in Anbetracht der besonderen Natur und der Ziele des Verfahrens, in dem geprüft werden soll, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllt sind, die Effektivität des Zugangs zu den durch diesen Status verliehenen Rechten voraussetzt, dass der Betroffene in die Lage versetzt wird, den Anspruch auf rechtliches Gehör in diesem Verfahren besonders effektiv wahrzunehmen. Nur wenn der Antragsteller wirklich die Möglichkeit hat, seine persönliche Geschichte und den Zusammenhang, in dem diese steht, wirksam und zweckdienlich vorzubringen und er der zuständigen Verwaltung alle Tatsachen und Gesichtspunkte zur Stützung seines Antrags umfassend und klar darlegt, kann er einen effektiven Zugang zu den Rechten haben, die ihm dieser Status gemäß der Richtlinie 2004/83 verleiht.

49.

Insoweit ist zu beachten, dass das soeben von mir behandelte Erfordernis, eine besonders effektive Wahrnehmung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu gewährleisten, genauso für das Verfahren betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus wie für das Verfahren betreffend die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt. Obgleich nämlich, wie dargelegt, die Voraussetzungen, die für die Zuerkennung der beiden Status erfüllt sein müssen, unterschiedlich sind, weisen beide Verfahren die oben in den Nrn. 43 bis 46 angeführten Merkmale auf, nämlich die zentrale Rolle der Person des Antragstellers und die vitale Bedeutung, die den für ihn auf dem Spiel stehenden Interessen zukommt, sowie die Bedeutung der spezifischen individuellen Situation des Antragstellers für den Erlass der endgültigen Entscheidung. Dies wird zudem dadurch bestätigt, dass der vorgenannte Art. 4 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 für beide Status gilt.

50.

Aus dem Umstand, dass die beiden Status anhand unterschiedlicher Kriterien zuerkannt werden, sowie aus dem sich aus dem genannten Art. 4 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 herleitenden Erfordernis, die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers spezifisch und gesondert nach den zwei unterschiedlichen Kriterien zu beurteilen (d. h. die Gefahr einer Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens), folgt zudem, dass in beiden Verfahren der Anspruch auf rechtliches Gehör eine Verfahrensgarantie darstellt, die sich auf unterschiedliche Gesichtspunkte bezieht.

C – Zur Frage, ob demjenigen, der den subsidiären Schutz beantragt, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in einem „zweigleisigen“ System für die Zuerkennung des internationalen Schutzes eine mündliche Anhörung gewährt werden muss

51.

An diesem Punkt stellt sich die für das Ausgangsverfahren grundlegende Frage, ob das genannte Erfordernis, die Effektivität des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzes zu gewährleisten, ausschließlich durch eine persönliche Anhörung des Betroffenen erfüllt werden kann oder ob vielmehr, wie die irische Regierung geltend macht, in einem zweigleisigen System für die Zuerkennung des internationalen Schutzes die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme ausreichen kann, wenn diese Anhörung bereits im vorangegangenen Verfahren betreffend die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stattgefunden hat.

52.

Zunächst weise ich darauf hin, dass sich, anders als Herr M zu meinen scheint, aus dem Urteil M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) nicht ergibt, dass in dem Verfahren betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach den Feststellungen des Gerichtshofs eine mündliche Anhörung des Betroffenen stets unbedingt notwendig ist.

53.

Diese Auffassung ergibt sich insbesondere nicht aus der Feststellung des Gerichtshofs in Rn. 95 zweiter Gedankenstrich letzter Satz des genannten Urteils, die in Nr. 15 der vorliegenden Schlussanträge wörtlich wiedergegeben wird. Diese Feststellung ist im Zusammenhang des Urteils zu sehen. Sie ist meines Erachtens die Antwort auf ein vor dem Gerichtshof ausgeführtes und von diesem in Rn. 90 des Urteils wiedergegebenes Argument, wonach es in einem „zweigleisigen“ System, wenn die Anhörung des Betroffenen bereits im Rahmen der Prüfung des Asylantrags stattgefunden hat, „nicht erforderlich sein soll, diesen bei der Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz erneut anzuhören, weil diese Formalität in gewisser Weise eine unnötige Wiederholung derjenigen darstelle, die dem Ausländer bereits in einem weitgehend vergleichbaren Kontext zugutegekommen sei“.

54.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf Rn. 91 des genannten Urteils bin ich der Ansicht, dass der Gerichtshof feststellen wollte, dass in einem „zweigleisigen“ System der Umstand, dass eine mündliche Anhörung des Betroffenen bereits im Verfahren betreffend den Asylantrag stattgefunden hat, nicht impliziert, d. h. nicht (zwingend, wie hinzuzufügen ist) zur Folge hat, dass die persönliche Anhörung im Verfahren betreffend den subsidiären Schutz nicht stattfinden muss, da der Anspruch auf rechtliches Gehör ohnehin auch in dem letztgenannten Verfahren vollständig gewährleistet sein muss.

55.

Das Urteil M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) ist daher meines Erachtens nicht als eine Bestätigung dafür zu verstehen, dass eine mündliche Anhörung im Verfahren betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzes eine absolute Notwendigkeit darstellt, sondern als ein deutlicher Hinweis auf das Erfordernis, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör in diesem Verfahren auch in einem „zweigleisigen“ System vollständig gewahrt wird. Diese Auslegung steht zudem im Einklang mit der Asylregelung, die Ausnahmen von der Möglichkeit einer persönlichen Anhörung vorsieht ( 44 ).

56.

Diese Erwägungen sprechen zwar nicht für die Anerkennung eines absoluten Rechts auf eine persönliche Anhörung in allen Fällen eines Antrags auf subsidiären Schutz. Das Erfordernis, die Effektivität des Anspruchs auf rechtliches Gehör in dieser Art des Verfahrens im Hinblick auf seine besondere Natur und seine Ziele besonders zu gewährleisten, veranlasst mich jedoch zu dem Schluss, dass entgegen dem Vorbringen von Irland die persönliche Anhörung des Antragstellers auf jeden Fall die Regel und nicht die Ausnahme darstellen sollte und dass auf sie somit nur ausnahmsweise verzichtet werden kann, und zwar auch in einem „zweigleisigen“ System.

57.

Gemäß meinen Ausführungen oben in Nr. 30 hat der Anspruch auf rechtliches Gehör im Verfahren auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes insoweit die Aufgabe, der zuständigen Verwaltung die Möglichkeit zu geben, den Betroffenen zu einer Stellungnahme zu den seinem Antrag zugrunde liegenden Umständen zu veranlassen, damit ein effektiver Schutz des Betroffenen und eine Entscheidung dieser Verwaltung gewährleistet wird, die in voller Kenntnis der Sachlage ergeht.

58.

Die persönliche Anhörung ist höchster Ausdruck des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Für den Antragsteller ist sie die einzige Gelegenheit, seine Geschichte persönlich darzustellen und sich unmittelbar mit der Person zu unterhalten, die am besten geeignet ist, seine persönliche Situation zu berücksichtigen ( 45 ). Bei dieser Gelegenheit kann er etwaige neue Elemente zur Stützung seines Antrags, die er in seine Argumentation nicht aufgenommen hatte, darlegen und vor allem sich persönlich zu etwa entstandenen Zweifeln oder zu etwaigen als widersprüchlich angesehenen Gesichtspunkten äußern.

59.

Für die zuständige nationale Behörde bietet diese Anhörung die Gelegenheit, um Gesichtspunkte – auch subjektive und daher schriftlich schwer feststellbare Gesichtspunkte – konkret zu prüfen, die für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht in Betracht kommen konnten, dagegen aber für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus von Bedeutung sein können.

60.

In einem Verfahren wie dem betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzes, in dem die Person des Betroffenen eine zentrale Rolle spielt und es oft unmöglich ist, den Nachweis durch Vorlage von Dokumenten zu führen, ist die persönliche Anhörung in dieser Hinsicht von grundlegender Bedeutung, auch für die Beurteilung der Persönlichkeit des Betroffenen und der Glaubwürdigkeit der im Antrag geltend gemachten Angaben.

61.

Meines Erachtens gelten die vorgenannten Erwägungen auch in einer Situation, in der in einem zweigleisigen System wie dem in Irland zur Zeit der maßgeblichen Ereignisse geltenden der Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus auf dem gleichen tatsächlichen Rahmen wie der zurückgewiesene Asylantrag beruht.

62.

Wie nämlich der Gerichtshof im Urteil M. festgestellt hat, muss, wenn sich ein Mitgliedstaat entschieden hat, zwei getrennte und aufeinanderfolgende Verfahren für die Prüfung des Asylantrags und des Antrags auf subsidiären Schutz einzurichten, der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör im Rahmen beider Verfahren vollständig gewährleistet sein ( 46 ).

63.

Folglich führt der Umstand, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör im Rahmen des vorangegangenen Verfahrens betreffend den Asylantrag vollständig gewahrt wurde, nicht dazu, dass das oben in Nr. 48 angeführte besondere Erfordernis, die effektive Wahrnehmung dieses Anspruchs zu gewährleisten, im nachfolgenden und getrennten Verfahren betreffend die Zuerkennung des subsidiären Schutzes eingeschränkt wird. Wie oben in Nr. 50 ausgeführt, bezieht sich der Anspruch auf rechtliches Gehör in den beiden Verfahren zudem auf verschiedene Kriterien und stellt daher eine Verfahrensgarantie dar, die verschiedene Zusammenhänge abdeckt ( 47 ).

64.

Hieraus folgt, dass in einem zweigleisigen System – dessen Einführung auf einer freien Entscheidung des betreffenden Mitgliedstaats beruht – die Feststellungen, die die Verwaltung im ersten Verfahren getroffen hat, im zweiten Verfahren nicht automatisch übernommen werden können. Die Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nämlich nicht von einem Verfahren in ein anderes „übertragen“ werden. In einem Zusammenhang wie dem des internationalen Schutzes gelten angesichts des grundlegenden Charakters des Anspruchs auf rechtliches Gehör diese Erwägungen erst recht für die negativen Feststellungen über die Glaubwürdigkeit, die einen entscheidenden Einfluss auf die endgültige Entscheidung haben können.

65.

Insoweit ist noch zu beachten, dass zwar das Unionsrecht keine spezifischen Vorschriften darüber enthält, wie die Glaubwürdigkeit desjenigen zu beurteilen ist, der den Antrag auf internationalen Schutz stellt, so dass es Aufgabe des innerstaatlichen Rechtssystems des einzelnen Mitgliedstaats ist, die Verfahrensvoraussetzungen für die Beurteilung dieser Glaubwürdigkeit ( 48 ) festzusetzen, die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten jedoch durch den Effektivitätsgrundsatz begrenzt wird, der, wie dargelegt, in dem Erfordernis besteht, den effektiven Zugang zu den von den Rechtsvorschriften über den subsidiären Schutz verliehenen Rechten zu gewährleisten, der seinerseits eine besonders effektive Wahrnehmung des Anspruchs auf rechtliches Gehör voraussetzt ( 49 ).

66.

Eine Auslegung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, die die zentrale Bedeutung der mündlichen Anhörung im Rahmen des Verfahrens betreffend die Anerkennung des internationalen Schutzes anerkennt, steht zudem im Einklang mit den jüngsten Entscheidungen des Gesetzgebers der Union auf diesem Gebiet, der zum einen in der Richtlinie 2013/32 die Fälle, in denen die persönliche Anhörung im nunmehr einheitlichen Verfahren betreffend die Anträge auf internationalen Schutz unterbleiben kann, drastisch eingeschränkt hat ( 50 ), und zum anderen in der Verordnung Nr. 604/2013 (Dublin III) ( 51 ) für die Mitgliedstaaten die Pflicht eingeführt hat, im Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats ein persönliches Gespräch zu führen.

67.

Was schließlich die Frage betreffend das Recht angeht, Zeugen aufzurufen und im Verfahren einem Kreuzverhör zu unterziehen, so weise ich darauf hin, dass aus der Struktur des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wie diese sich aus der in den Nrn. 29 ff. der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung ergibt, nicht hervorgeht, dass dieser Anspruch das genannte Recht zwingend einschließt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass ein Mitgliedstaat im Rahmen seiner Befugnis, günstigere Vorschriften in diesem Bereich einzuführen oder aufrechtzuerhalten ( 52 ), das Recht, Zeugen aufzurufen und im Verfahren einem Kreuzverhör zu unterziehen, vorsehen kann.

V – Ergebnis

68.

Aus den dargestellten Gründen schlage ich daher dem Gerichtshof vor, die Frage des Supreme Court wie folgt zu beantworten:

Wird ein Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes im Zuge einer Regelung des betreffenden Mitgliedstaats gestellt, wonach zwei getrennte und aufeinanderfolgende Verfahren zur Prüfung des Antrags auf Asyl bzw. des Antrags auf subsidiären Schutz bestehen, ist das Recht, in jedem Verfahren gehört zu werden, wie es im Unionsrecht besteht, dahin auszulegen, dass dieses Recht grundsätzlich eine persönliche Anhörung des Antragstellers gebietet, auf die nur in Ausnahmefällen verzichtet werden kann. In diesem Zusammenhang schließt das Recht, in jedem Verfahren gehört zu werden, dagegen nicht das Recht ein, Zeugen aufzurufen und einem Kreuzverhör zu unterziehen.


( 1 ) Originalsprache: Italienisch.

( 2 ) Der Gerichtshof hat sich in jüngerer Zeit wiederholt mit Fragen des Rechts beschäftigt, im Verfahren gehört zu werden. Neben dem Urteil vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744), in dessen Zusammenhang das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen steht, vgl. u. a. Urteile vom 10. September 2013, G. und R. (C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533), vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics (C‑129/13 und C‑130/13, EU:C:2014:2041), vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336), und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431). Zuletzt zu dem Anspruch auf rechtliches Gehör vgl. auch Urteil vom 17. März 2016, Bensada Benallal (C‑161/15, EU:C:2016:175).

( 3 ) Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12). Die Richtlinie 2004/83 wurde durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9) aufgehoben.

( 4 ) Der Gerichtshof hat sich mit diesem Verfahren bereits in drei Rechtssachen befasst, insbesondere in den Urteilen vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744), vom 31. Januar 2013, HID und BA (C‑175/11, EU:C:2013:45), sowie vom 8. Mai 2014, N. (C‑604/12, EU:C:2014:302). Das genannte Verfahren ist überdies Gegenstand der anhängigen Rechtssache C‑429/15, Danqua.

( 5 ) Siehe unten, Fn. 9.

( 6 ) Die Übersetzung des französischen Begriffs „droit d’être entendu“ („right to be heard“ im Englischen, „Recht auf Anhörung“ bzw. „Anspruch auf rechtliches Gehör“ im Deutschen, „Derecho a ser oído“ im Spanischen) ins Italienische ist nicht einheitlich. In der italienischen Fassung der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird manchmal der Begriff „diritto al contraddittorio“ („Recht auf Anhörung“) (vgl. z. B. Urteil vom 22. November 2012, M., C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 82, 85 und 87), gelegentlich der Begriff „diritto di essere sentiti“ („Recht, gehört zu werden“) (vgl. z. B. Urteile vom 10. September 2013, G. und R., C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 27, 28 und 32, oder vom 17. März 2016, Bensada Benallal, C‑161/15, EU:C:2016:175, Rn. 21 und 35) oder auch der Begriff „diritto di essere ascoltato“(ebenfalls „Recht, gehört zu werden“) verwendet (vgl. z. B. Urteil vom 11. Dezember 2014, Boudjlida, C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 1, 28 und 30, der letztgenannte Begriff entspricht dem in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [im Folgenden: Charta] verwendeten Begriff und entspricht wörtlich den oben genannten Begriffen, die in den französischen, englischen, deutschen und spanischen Fassungen verwendet werden). Das betreffende Recht, das auf die römischen Rechtsgrundsätze audi alteram partem oder audiatur et altera pars zurückgeht, ist ein Verfahrensrecht, das Ausdruck des grundlegendsten Verteidigungsrechts ist und im Unionsrecht den in Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge dargestellten Inhalt hat. In sprachlicher Hinsicht ist der Begriff „diritto al contraddittorio“ in der italienischen nationalen Rechtsprache am gebräuchlichsten, insbesondere in Bezug auf gerichtliche Verfahren. Wörtlich hebt er das Element des Kontradiktorischen hervor in dem Sinne, dass das genannte Recht nur gewahrt wird, wenn der Betreffende auf etwaige widersprechende oder ungünstiges Argumente, die im Laufe des Verfahrens vorgebracht werden, antworten kann. Die Begriffe „diritto di essere sentito“ und „diritto di essere ascoltato“ betonen dagegen stärker die Notwendigkeit, den eigenen Gesichtspunkt im Verfahren zur Geltung bringen zu können. Die Verwendung von „sentiti“ oder „ascoltati“ impliziert jedoch in gewisser Weise den Aspekt der Mündlichkeit. Aufgrund dessen, dass der Begriff im Primärrecht verwendet wird und vom Buchstaben her eher den anderen Sprachfassungen entspricht, werde ich nun in den vorliegenden Schlussanträgen zur Bezeichnung des in Rede stehenden Rechts den Begriff „diritto di essere ascoltato“ („Recht, gehört zu werden“) verwenden.

( 7 ) Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13). Diese Richtlinie wurde aufgehoben durch die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60). Die letztgenannte Richtlinie führte gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ein (die Flüchtlingseigenschaft und den Schutz von Personen, die keine Flüchtlinge sind, aber ernsthafter Gefahr ausgesetzt wären, wenn sie in ihr Herkunftsland zurückkehren würden). Wie im 58. Erwägungsgrund dieser Richtlinie festgestellt, ist Irland nach den Art. 1, 2 und 4a Abs. 1 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts an diese Richtlinie nicht gebunden.

( 8 ) Insbesondere kann nach Abs. 2 des Artikels auf die persönliche Anhörung verzichtet werden, wenn die Asylbehörde anhand der verfügbaren Beweismittel eine zuerkennende Entscheidung treffen kann (Buchst. a) oder die zuständige Behörde bereits ein Treffen mit dem Antragsteller hatte, um ihn bei der Ausfüllung des Antrags und der Vorlage der für den Antrag wesentlichen Informationen zu unterstützen (Buchst. b) oder die Asylbehörde aufgrund einer vollständigen Prüfung der vom Antragsteller vorgelegten Informationen der Auffassung ist, dass der Antrag in den Fällen, in denen die Umstände nach Art. 23 Abs. 4 Buchst. a, c, g, h und j zutreffen, unbegründet ist. Nach Abs. 3 des Artikels kann auf die persönliche Anhörung ferner verzichtet werden, wenn diese nach vernünftigem Ermessen nicht durchführbar ist, insbesondere wenn die zuständige Behörde zu der Auffassung gelangt ist, dass der Antragsteller aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist.

( 9 ) Die erste Reform, die 2013 stattfand, beließ es bei dem „zweigleisigen“ System, sah jedoch vor, dass eine persönliche Anhörung des Antragstellers auch im Verfahren zur Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz stattzufinden habe (vgl. European Union [Subsidiary Protection] Regulations 2013, S.I.426 von 2013). Nach den Ausführungen der irischen Regierung in der mündlichen Verhandlung hat die zweite Reform, die 2015 stattfand, das „zweigleisige“ System abgeschafft und ein einheitliches System für die Behandlung beider Anträge eingeführt.

( 10 ) Insbesondere hat der Gerichtshof festgestellt, dass in einem zweigleisigem System wie dem irischen das genannte Erfordernis der Zusammenarbeit nicht dahin ausgelegt werden kann, dass die zuständige nationale Behörde verpflichtet wäre, den Betroffenen vor dem Erlass ihrer Entscheidung von der beabsichtigten Ablehnung seines Antrags zu unterrichten und ihm die Argumente mitzuteilen, auf die sie dessen Ablehnung stützen möchte, um es diesem Antragsteller zu ermöglichen, seinen Standpunkt dazu geltend zu machen. Vgl. Rn. 74 und 95 erster Gedankenstrich des Urteils vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744).

( 11 ) Urteil des High Court vom 23. Januar 2013, M.M./Minister for Justice & Anor, Rechtssache 2011 8 JR (2013) IEHC 9.

( 12 ) Ebd. (Rn. 46). Insbesondere vertrat der High Court in Rn. 47 dieses Urteils die Auffassung, der Anspruch auf rechtliches Gehör könne als wirksam im Sinne des Urteils des Gerichtshofs vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744) nur angesehen werden, wenn im fraglichen Verfahren i) der Antragsteller aufgefordert werde, zu etwaigen negativen Feststellungen bezüglich seiner Glaubwürdigkeit im Verfahren über seinen Asylantrag Stellung zu nehmen, ii) dem Antragsteller erneut Gelegenheit gegeben werde, nochmals alle Gesichtspunkte aufzugreifen, die für seinen Antrag auf subsidiären Schutz bedeutsam seien, und iii) eine völlig neue Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Antragstellers vorgenommen werde, bei der die bloße Tatsache, dass das Refugee Appeals Tribunal diese Frage negativ beurteilt habe, für diese neue Beurteilung der Glaubwürdigkeit weder hinreichend noch unmittelbar relevant sei.

( 13 ) Vgl. Urteil vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 73).

( 14 ) Urteile vom 18. Dezember 2008, Sopropé (C‑349/07, EU:C:2008:746, Rn. 36), vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 81 und 82 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 15 ) Urteil vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Vgl. Nr. 28 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Bensada Benallal (C‑161/15, EU:C:2016:3).

( 17 ) Also wenn die nationalen Maßnahmen, die sie erlassen, in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen. Vgl. Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 18 bis 21).

( 18 ) Vgl. Nr. 32 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Bensada Benallal (C‑161/15, EU:C:2016:3).

( 19 ) Vgl. Urteile vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 84), und vom 8. Mai 2014, N. (C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 49 und 50). Vgl. auch implizit Urteil vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics (C‑129/13 und C‑130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 29), das die Anwendbarkeit des Art. 41 Abs. 2 der Charta auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nur zeitlich ausgeschlossen hat. Dieser Standpunkt wurde wiederholt von den Generalanwälten vertreten. Neben meinen vorstehend angeführten Schlussanträgen in der Rechtssache Bensada Benallal (C‑161/15, EU:C:2016:3) und den Schlussanträgen in der Rechtssache CO Sociedad de Gestion y Participación u. a. (C‑18/14, EU:C:2015:95, Fn. 48) ist die Stellungnahme des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache G. und R. (C‑383/13 PPU, EU:C:2013:553, Nrn. 49 bis 53) anzuführen sowie dessen Schlussanträge in den Rechtssachen Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2031, Nr. 56) und Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2032, Nrn. 46 bis 48).

( 20 ) Diese Rechtsprechungslinie lässt sich auf eine Reihe in jüngerer Zeit ergangener Urteile zurückführen. Vgl. Urteile vom 21. Dezember 2011, Cicala (C‑482/10, EU:C:2011:868, Rn. 28), vom 17. Juli 2014, Y. S. u. a. (C‑141/12 und C‑372/12, EU:C:2014:2081, Rn. 67), vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 44), und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 32 und 33).

( 21 ) Urteile vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 36).

( 22 ) Urteile vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 88), und vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 48).

( 23 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache M. (C‑277/11, EU:C:2012:253, Nrn. 35 und 36) sowie Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2032, Nr. 58). Siehe dazu auch Rn. 59 des Urteils vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431).

( 24 ) Vgl. Urteile vom 18. Dezember 2008, Sopropé (C‑349/07, EU:C:2008:746, Rn. 49), vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics (C‑129/13 und C‑130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 38), und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 37).

( 25 ) Urteile vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 49 und 50 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 39 und 40).

( 26 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 41). Vgl. auch Urteil vom 17. März 2016, Bensada Benallal (C‑161/15, EU:C:2016:175, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 27 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 42).

( 28 ) Vgl. Urteile vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 53), und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 29 ) Vgl. Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi (C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 10. September 2013, G. und R. (C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 34), und vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 54).

( 30 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 45).

( 31 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2013, G. und R. (C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 37), und vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 55).

( 32 ) Vgl. Urteil vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 72 und 73), und vom 2. Dezember 2014, A u. a. (C‑148/13 bis C‑150/13, EU:C:2014:2406, Rn. 47).

( 33 ) Vgl. Urteile vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 79), und vom 8. Mai 2014, N. (C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 38 bis 40).

( 34 ) Dazu ist festzustellen, dass nach der neuen Richtlinie 2013/32, die auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist (siehe oben, Fn. 7), die Einführung eines einheitlichen Verfahrens nicht mehr nur eine Möglichkeit ist, wie unter der Richtlinie 2005/85, sondern gegenwärtig eine Pflicht darstellt. Vgl. insoweit elfter Erwägungsgrund und Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 sowie Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache N. (C‑604/12, EU:C:2013:714, Nrn. 55 und 56).

( 35 ) Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 8. Mai 2014, N. (C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 41). Was die sich aus dem Äquivalenzgrundsatz ergebenden Grenzen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten betrifft, macht Herr M geltend, dieser Grundsatz erfordere in einem Mitgliedstaat die gleiche Verfahrensregelung für die Behandlung von Asylanträgen und für die von Anträgen auf subsidiären Schutz (vgl. insoweit Rechtssache C‑429/15, Danqua, noch beim Gerichtshof anhängig). Unter Berufung auf den Äquivalenzgrundsatz könnte vielleicht geltend gemacht werden, dass dieser Grundsatz einem Mitgliedstaat die Festsetzung von Verfahrensmodalitäten untersagt, die für Anträge auf internationalen Schutz, die auf das Unionsrecht gestützt werden, weniger günstig sind als für Anträge, die auf das innerstaatliche Recht gestützt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. November 2014, Mukarubega, C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 11. Dezember 2014, Boudjlida, C‑249/13, EU:C:2014:2431, Rn. 41). Jedoch ist festzustellen, dass sowohl der sich aus dem Flüchtlingsstatus ergebende Schutz als auch der sich aus dem subsidiären Schutzstatus ergebende Schutz auf der Richtlinie 2004/83 beruhen (die sich ihrerseits bezüglich des erstgenannten Status auf das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 stützt und sich bezüglich des zweitgenannten Status an sonstigen völkerrechtlichen Verträgen im Bereich der Menschenrechte orientiert, vgl. insoweit meine Schlussanträge in der Rechtssache Diakité, C‑285/12, EU:C:2014:39, Nr. 63). Nach der Rechtsprechung jedoch kommt dem Äquivalenzgrundsatz bei Anträgen, die beide auf dem Unionsrecht beruhen, keine Bedeutung zu (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2015, Târșia, C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 34, und vom 28. Januar 2015, ÖBB Personenverkehr, C‑417/13, EU:C:2015:38, Rn. 74). Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft meines Erachtens jedoch nicht so sehr die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes als die des Effektivitätsgrundsatzes.

( 36 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2014, N. (C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 42).

( 37 ) Vgl. Schlussfolgerung 14 des Europäischen Rates von Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999 sowie fünfter Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83. Vgl. insoweit auch die Nrn. 58 ff. meiner Schlussanträge in der Rechtssache Diakité (C‑285/12, EU:C:2013:500).

( 38 ) Vgl. 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83 und Urteil vom 8. Mai 2014, N. (C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 30 bis 32). Vgl. bezüglich der Richtlinie 2011/95 die Erwägungsgründe 6 und 33 dieser Richtlinie sowie Urteil vom 1. März 2016, Kreis Warendorf und Osso (C‑443/14 und C‑444/14, EU:C:2016:127, Rn. 31).

( 39 ) Vgl. Urteil vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 92). Hierzu ist jedoch darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 8, 9 und 39 ergibt, der Unionsgesetzgeber in der neuen Richtlinie 2011/95 von dem ursprünglich in der Richtlinie 2004/83 gewählten Ansatz abrückte und unter Berücksichtigung der Forderung des Stockholmer Programms einen einheitlichen Status für alle Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, einführen wollte und sich deshalb dafür entschieden hat, Personen mit subsidiärem Schutzstatus, abgesehen von den notwendigen und sachlich gerechtfertigten Ausnahmeregelungen, dieselben Rechte und Leistungen zu gewähren wie Flüchtlingen (vgl. Urteil vom 1. März 2016, Kreis Warendorf und Osso, C‑443/14 und C‑444/14, EU:C:2016:127, Rn. 32).

( 40 ) Vgl. Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 sowie Urteile vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94, Rn. 31), vom 30. Januar 2014, Diakité (C‑285/12, EU:C:2014:39, Rn. 18), und vom 18. Dezember 2014, M’Bodj (C‑542/13, EU:C:2014:2452, Rn. 30).

( 41 ) Vgl. Urteile vom 17. Februar 2009, Elgafaji (C‑465/07, EU:C:2009:94, Rn. 32, 33 und 39). Vgl. auch Urteil vom 30. Januar 2014, Diakité (C‑285/12, EU:C:2014:39, Rn. 31).

( 42 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache M. (C‑277/11, EU:C:2012:253, Nr. 43) und in der Rechtssache N. (C‑604/12, EU:C:2013:714, Nr. 49).

( 43 ) Urteil vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 91 und 92).

( 44 ) Insoweit ist zwar, wie in den Nrn. 37 und 38 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, die zur maßgeblichen Zeit im Asylbereich geltende Verfahrensvorschrift der Union (d. h. die Richtlinie 2005/85) nicht, auch nicht entsprechend, auf den vorliegenden Fall anwendbar, doch wurde in Nr. 48 darauf hingewiesen, dass der Regelung über die Behandlung der Asylanträge und der Regelung über die Behandlung der Anträge auf subsidiären Schutz das Erfordernis gemein ist, die Effektivität des Anspruchs auf rechtliches Gehör während des Verfahrens zu gewährleisten.

( 45 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache M. (C‑277/11, EU:C:2012:253, Nr. 83). Zur Funktion der persönlichen Anhörung vgl. auch Nr. 68 der Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in den verbundenen Rechtssachen A u. a. (C‑148/13 bis C‑150/13, EU:C:2014:2111).

( 46 ) Urteil vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 91). Hervorhebung nur hier.

( 47 ) Dies ist der ausschlaggebende Punkt, durch den sich die vorliegende Rechtssache von der unterscheidet, die der Gerichtshof im Urteil vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336), entschieden hat. In diesem Urteil hat der Gerichtshof verneint, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör für den Erlass einer Rückkehrentscheidung im Rahmen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98) eine mündliche Anhörung erfordert. Der Gerichtshof hat nämlich die Auffassung vertreten, dass die Rückkehrentscheidung die logische und notwendige Folge der Entscheidung über die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Aufenthalts darstellt, vor deren Erlass die Betroffene angehört worden war, und dass, mit anderen Worten, diese Entscheidung automatisch auf eine Ablehnung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels folgen musste, ohne dass abweichende Gründe vorgebracht werden mussten (vgl. Rn. 72 des Urteils).

( 48 ) Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit im Zusammenhang des internationalen Schutzes vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in den verbundenen Rechtssachen A u. a. (C‑148/13 bis C‑150/13, EU:C:2014:2111, Nrn. 50 ff.).

( 49 ) Siehe oben, Nrn. 40 bis 48.

( 50 ) Nach Art. 14 der Richtlinie 2013/32 kann nunmehr auf die persönliche Anhörung zum Inhalt des Antrags nur in zwei Fällen verzichtet werden, nämlich wenn die Asylbehörde anhand der verfügbaren Beweismittel eine positive Entscheidung im Hinblick auf die Flüchtlingseigenschaft treffen kann oder wenn die Asylbehörde der Auffassung ist, dass der Antragsteller aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist.

( 51 ) Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31).

( 52 ) Vgl. Art. 3 der Richtlinie 2004/83 – und zu diesem Artikel vgl. Urteile vom 9. November 2010, B (C‑57/09 und C‑101/09, EU:C:2010:661, Rn. 114), und vom 18. Dezember 2014, M’Bodj (C‑542/13, EU:C:2014:2452, Rn. 42) – sowie Art. 5 der Richtlinie 2005/85. Zur fehlenden Möglichkeit eines Kreuzverhörs von Zeugen im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens, wenn auch in einem völlig anderen Sektor des Unionsrechts, vgl. Rn. 200 des Urteils vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission (C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6).

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