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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62014CJ0087

    Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 9. Juli 2015.
    Europäische Kommission gegen Irland.
    Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 2003/88/EG – Arbeitszeitgestaltung – Gestaltung der Arbeitszeit von Ärzten in der Ausbildung.
    Rechtssache C-87/14.

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2015:449

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    9. Juli 2015 ( *1 )

    „Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Richtlinie 2003/88/EG — Arbeitszeitgestaltung — Gestaltung der Arbeitszeit von Ärzten in der Ausbildung“

    In der Rechtssache C‑87/14

    betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 18. Februar 2014,

    Europäische Kommission, vertreten durch M. van Beek und J. Enegren als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

    Klägerin,

    gegen

    Irland, vertreten durch E. Creedon, E. Mc Phillips, A. Joyce und B. Counihan als Bevollmächtigte im Beistand von D. Fennelly, Barrister,

    Beklagter,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin K. Jürimäe, der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal (Berichterstatterin),

    Generalanwalt: Y. Bot,

    Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. März 2015,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. März 2015

    folgendes

    Urteil

    1

    Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 3, 5, 6 und 17 Abs. 2 und 5 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9) verstoßen hat, dass es die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht auf die Gestaltung der Arbeitszeit von jungen Ärzten (noch nicht voll ausgebildete Krankenhausärzte [Non Consultant Hospital Doctors, im Folgenden: NCHD]) anwendet.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    2

    Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2003/88 sieht vor:

    „Im Sinne dieser Richtlinie sind:

    1.

    Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

    …“

    3

    Art. 3 („Tägliche Ruhezeit“) dieser Richtlinie bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird.“

    4

    Art. 5 („Wöchentliche Ruhezeit“) der Richtlinie sieht in seinem Abs. 1 vor:

    „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Artikel 3 gewährt wird.“

    5

    Art. 6 („Wöchentliche Höchstarbeitszeit“) der Richtlinie 2003/88 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer:

    b)

    die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet.“

    6

    Art. 16 („Bezugszeiträume“) dieser Richtlinie legt die Voraussetzungen fest, unter denen die Mitgliedstaaten für die Anwendung u. a. der Art. 5 und 6 der Richtlinie einen Bezugszeitraum vorsehen können.

    7

    Art. 17 der Richtlinie 2003/88 sieht in seinen Abs. 2 und 5 vor:

    „(2)   Sofern die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher gleichwertigen Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten, kann im Wege von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern gemäß [Absatz 5] abgewichen werden.

    (5)   Gemäß Absatz 2 dieses Artikels sind Abweichungen von Artikel 6 und von Artikel 16 Buchstabe b) bei Ärzten in der Ausbildung nach Maßgabe der Unterabsätze 2 bis 7 dieses Absatzes zulässig.

    In Unterabsatz 1 genannte Abweichungen von Artikel 6 sind für eine Übergangszeit von fünf Jahren ab dem 1. August 2004 zulässig.

    Die Mitgliedstaaten verfügen erforderlichenfalls über einen zusätzlichen Zeitraum von höchstens zwei Jahren, um den Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften im Zusammenhang mit ihren Zuständigkeiten für die Organisation und Bereitstellung von Gesundheitsdiensten und medizinischer Versorgung Rechnung zu tragen. …

    Die Mitgliedstaaten verfügen erforderlichenfalls über einen zusätzlichen Zeitraum von höchstens einem Jahr, um den besonderen Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung der in Unterabsatz 3 genannten Zuständigkeiten Rechnung zu tragen. …

    Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Zahl der Wochenarbeitsstunden keinesfalls einen Durchschnitt von 58 während der ersten drei Jahre der Übergangszeit, von 56 während der folgenden zwei Jahre und von 52 während des gegebenenfalls verbleibenden Zeitraums übersteigt.

    In Unterabsatz 1 genannte Abweichungen von Artikel 16 Buchstabe b) sind zulässig, vorausgesetzt, dass der Bezugszeitraum während des in Unterabsatz 5 festgelegten ersten Teils der Übergangszeit zwölf Monate und danach sechs Monate nicht übersteigt.“

    8

    Art. 19 („Grenzen der Abweichungen von Bezugszeiträumen“) dieser Richtlinie bestimmt:

    „Die … Möglichkeit der Abweichung von Artikel 16 Buchstabe b) darf nicht die Festlegung eines Bezugszeitraums zur Folge haben, der länger ist als sechs Monate.

    Den Mitgliedstaaten ist es jedoch mit der Maßgabe, dass sie dabei die allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer wahren, freigestellt zuzulassen, dass in den Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern aus objektiven, technischen oder arbeitsorganisatorischen Gründen längere Bezugszeiträume festgelegt werden, die auf keinen Fall zwölf Monate überschreiten dürfen.

    …“

    Irisches Recht

    9

    Die Verordnung über die Europäischen Gemeinschaften (Arbeitszeitgestaltung) (Ärzte in der Ausbildung) von 2004 (European Communities [Organisation of Working Time] [Activities of Doctors in Training] Regulations 2004, SI 2004, Nr. 494) in der durch die Verordnung von 2010 (SI 2010, Nr. 533) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung von 2004) dient der Umsetzung der Richtlinie 2003/88 in irisches Recht in Bezug auf die NCHD.

    Vorverfahren

    10

    Da die Kommission der Ansicht war, dass Irland in Bezug auf die NCHD gegen die ihm nach den Art. 3, 5 und 17 der Richtlinie 2003/88 in Bezug auf die Mindestruhezeit und die ihm nach den Art. 6 und 17 Abs. 5 der Richtlinie in Bezug auf die Grenzen der wöchentlichen Arbeitszeit obliegenden Verpflichtungen verstoßen habe, richtete sie am 23. November 2009 ein Mahnschreiben an diesen Mitgliedstaat, das dieser mit Schreiben vom 25. Januar 2010 beantwortete.

    11

    Am 30. September 2011 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, mit der sie Irland aufforderte, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu erlassen, um ihr nachzukommen. Irland antwortete darauf mit Schreiben vom 13. Januar 2012.

    12

    Da die Erklärungen Irlands nach einem ergänzenden Schriftwechsel die Kommission nicht zufriedenstellten, hat sie beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

    Zur Klage

    Vorbemerkungen

    13

    Die Kommission führt aus, dass sie im Rahmen der vorliegenden Klage die Umsetzung der Richtlinie 2003/88 durch die Verordnung von 2004 nicht in Frage stelle. Die irischen Behörden wendeten diese Verordnung jedoch nicht an, wodurch Irland gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 3, 5, 6 und 17 Abs. 2 und 5 dieser Richtlinie verstoße.

    14

    Zur Stützung ihrer Klage verweist die Kommission darauf, dass die Irish Medical Organisation (irische Ärztekammer, im Folgenden: IMO), die alle im irischen Hoheitsgebiet praktizierenden Ärzte vertrete, und der Health Service Executive (Gesundheitsdienst, im Folgenden: HSE), eine öffentliche Einrichtung, die die Gesundheitsbehörden vertrete, zur Beilegung eines Rechtsstreits über die Arbeitszeit der NCHD am 22. Januar 2010 eine Vergleichsvereinbarung unterzeichnet hätten, der im Anhang ein zwischen diesen Parteien geschlossener Tarifvertrag (im Folgenden: Tarifvertrag) sowie ein Musterarbeitsvertrag für die NCHD (im Folgenden: Musterarbeitsvertrag) beigefügt gewesen seien.

    15

    Nach Ansicht der Kommission verstoßen Klausel 3 Buchst. a und b des Tarifvertrags sowie bestimmte Vorschriften von Klausel 5 des Mustervertrags gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88. Verschiedene Berichte über die Umsetzung dieser Richtlinie und eine Erklärung der IMO bestätigten das Vorliegen eines Verstoßes gegen die sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in der Praxis.

    Zur ersten Rüge, mit der ein Verstoß gegen die Richtlinie 2003/88 durch Klausel 3 Buchst. a des Tarifvertrags geltend gemacht wird

    16

    Mit ihrer ersten Rüge trägt die Kommission vor, dass Klausel 3 Buchst. a des Tarifvertrags, nach der bestimmte Ausbildungszeiten der NCHD nicht als „Arbeitszeit“ anzusehen seien, gegen die Richtlinie 2003/88 verstoße. Da die betreffenden Ausbildungsmaßnahmen durch das Ausbildungsprogramm vorgeschrieben seien und an einem in diesem Programm bestimmten Ort stattfänden, müssten sie als „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Richtlinie angerechnet werden.

    17

    Irland weist darauf hin, dass zum einen die betreffenden Ausbildungszeiten einen „geschützten“ Ausbildungszeitraum darstellten, während dessen die NCHD nicht zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit zur Verfügung stünden. Zum anderen bestehe zwischen den NCHD und ihrer Ausbildungseinrichtung ein gegenüber demjenigen zwischen den NCHD und ihrem Arbeitgeber gesondertes Verhältnis. Die Anforderungen an die Ausbildung der NCHD seien nicht Teil ihres Beschäftigungsverhältnisses. Der Arbeitgeber leite weder die Durchführung einer solchen Ausbildung, noch lege er die von den NCHD bei dieser Ausbildung zu verrichtenden Tätigkeiten oder den Fortschritt der NCHD im Rahmen dieser Ausbildung fest, und er bestimme auch nicht den Ausbildungsort.

    18

    Insoweit steht fest, dass nach Klausel 3 Buchst. a des Tarifvertrags die in Anhang 1 Nr. 1 des Tarifvertrags genannten Ausbildungszeiten nicht als Arbeitszeit gelten. Dort heißt es:

    „Es werden drei Kategorien von Ausbildungszeiten unterschieden:

    A)

    die im Ausbildungsprogramm vorgesehene und vorgeschriebene geschützte externe Ausbildung;

    B)

    die in einem Programm vorgesehenen und regelmäßig vor Ort stattfindenden Unterrichts- und Ausbildungsmaßnahmen (jede Woche, alle zwei Wochen), wie Vorträge, wissenschaftliche Besprechungen sowie die Besprechung von Krankheits- und Todesfällen;

    C)

    Forschung, Studien etc.“

    19

    In der mündlichen Verhandlung ist dargelegt worden, dass die Dauer dieser Ausbildungszeiten je nach Ausbildungsphase, in der sich der NCHD befinde, und den betreffenden Tätigkeiten zwischen 2 ½ Stunden und 17 Stunden im Monat variiere. In ihrer Erwiderung hat die Kommission erläutert, dass die in Anhang 1 Nr. 1 Buchst. A und B des Tarifvertrags genannten Ausbildungszeiten (im Folgenden: Ausbildungszeiten A und B), anders als die in Nr. 1 Buchst. C genannte Kategorie von Zeiten, als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 anzusehen seien.

    20

    Nach ständiger Rechtsprechung erfolgt die rechtliche Qualifizierung einer Zeit der Anwesenheit des Arbeitnehmers als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 nach Maßgabe seiner Verpflichtung, sich für seinen Arbeitgeber zur Verfügung zu halten (Urteil Dellas u. a., C‑14/04, EU:C:2005:728, Rn. 58, und Beschluss Grigore, C‑258/10, EU:C:2011:122, Rn. 53).

    21

    Entscheidend ist der Umstand, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu seiner Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können (Urteil Dellas u. a., C‑14/04, EU:C:2005:728, Rn. 48, sowie Beschlüsse Vorel, C‑437/05, EU:C:2007:23, Rn. 28, und Grigore, C‑258/10, EU:C:2011:122, Rn. 53).

    22

    Im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens ist es Sache der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen und dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern, die es diesem ermöglichen, das Vorliegen der Vertragsverletzung zu prüfen, ohne dass sich die Kommission hierfür auf irgendeine Vermutung stützen kann (vgl. u. a. Urteil Kommission/Polen, C‑356/13, EU:C:2014:2386, Rn. 104 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    23

    Darüber hinaus ist bei einer Rüge wegen der Anwendung einer nationalen Regelung für den Nachweis einer Vertragsverletzung die Vorlage von Beweismitteln erforderlich, die im Vergleich zu denen, die gewöhnlich im Rahmen einer nur den Inhalt einer nationalen Vorschrift betreffenden Vertragsverletzungsklage herangezogen werden, besonderer Natur sind; unter diesen Umständen kann die Vertragsverletzung nur durch einen hinreichend dokumentierten und detaillierten Nachweis der der nationalen Verwaltung vorgeworfenen und dem betreffenden Mitgliedstaat zuzurechnenden Praxis dargetan werden (vgl. Urteile Kommission/Belgien, C‑287/03, EU:C:2005:282, Rn. 28, und Kommission/Deutschland, C‑441/02, EU:C:2006:253, Rn. 49).

    24

    Zunächst ist festzustellen, dass die Kommission die von Irland gegebenen Erläuterungen, wonach die betreffenden Ausbildungszeiten einen „geschützten“ Ausbildungszeitraum darstellten, während dessen die NCHD nicht für die Erbringung der medizinischen Versorgung der Patienten zur Verfügung stünden, nicht beanstandet. Demgegenüber zählt die Kommission die Tätigkeiten der NCHD im Rahmen der Ausbildung zu den Bestandteilen ihres Beschäftigungsverhältnisses, da sie diese Tätigkeiten nach Maßgabe ihres Arbeitsvertrags ausüben müssten.

    25

    Hierzu ist festzustellen, dass, wie Irland unwidersprochen ausgeführt hat, zwischen den NCHD und ihrer Ausbildungseinrichtung ein gegenüber demjenigen zwischen den NCHD und ihrem Arbeitgeber gesondertes Verhältnis besteht. Insbesondere ist es der Kommission in der mündlichen Verhandlung nicht gelungen, ihre Auffassung zu untermauern, dass die betreffenden Ausbildungseinrichtungen und die Arbeitgeber der NCHD sämtlich dem Staat zuzurechnen seien, der der einzige Arbeitgeber der NCHD im Sinne der Richtlinie 2003/88 sei.

    26

    Daher lässt der Umstand, auf den die Kommission Bezug nimmt, dass die Ausbildungszeiten A und B „vom Ausbildungsprogramm“ vorgeschrieben seien und an einem „von diesem Programm“ bestimmten Ort stattfänden, nicht die Annahme zu, dass die NCHD verpflichtet sind, sich im Sinne der in Rn. 21 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich dort zu seiner Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort ihre Leistungen erbringen zu können.

    27

    Diese Feststellung wird auch nicht durch den Hinweis der Kommission auf die Klauseln 6 und 8 des Musterarbeitsvertrags in Frage gestellt.

    28

    In Bezug auf Klausel 6, in der die Pflichten und Aufgaben aufgeführt sind, die den NCHD im Rahmen ihres Arbeitsvertrags obliegen, hat die Kommission nämlich nicht dargetan, dass die NCHD aufgrund dieser Klausel eine Verpflichtung zur Ausbildung haben.

    29

    Auch was Klausel 8 des Musterarbeitsvertrags betrifft, nach der der Arbeitgeber „gemäß den Anforderungen des Medical Practitioner's Act 2007 [Ärztegesetz von 2007] gegebenenfalls die Anforderungen an die Ausbildungs- oder Kompetenzsicherung für NCHD-Stellen [erleichtert]“ und die NCHD „gemäß den Anforderungen [dieses Gesetzes]“ an der Ausbildung teilnehmen, hat die Kommission nicht dargetan, dass diese Klausel einen anderen als den von Irland erläuterten Sinn hat, nämlich lediglich die in diesem Gesetz vorgeschriebenen Anforderungen wiederzugeben und spezielle Arbeitsverpflichtungen im Bereich der Ausbildung weder einzuführen noch aufzuerlegen.

    30

    Schließlich legt die Kommission keine Beweise zur Stützung ihrer von Irland beanstandeten Behauptung vor, wonach die NCHD Gefahr liefen, von ihrem Arbeitgeber entlassen zu werden, wenn sie nicht die Ausbildung nach den Ausbildungszeiten A und B erfüllten.

    31

    Aus alledem folgt, dass die Kommission somit nicht dargetan hat, dass die Ausbildungszeiten A und B „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 darstellen. Folglich hat sie in Bezug auf Klausel 3 Buchst. a des Tarifvertrags keine gegen diese Richtlinie verstoßende Praxis nachgewiesen. Daher ist die erste Rüge zurückzuweisen.

    Zur zweiten Rüge, mit der ein Verstoß gegen die Richtlinie 2003/88 durch Klausel 3 Buchst. b des Tarifvertrags geltend gemacht wird

    32

    Mit ihrer zweiten Rüge macht die Kommission geltend, dass Klausel 3 Buchst. b des Tarifvertrags, nach der „der Bezugszeitraum für NCHD mit Arbeitsverträgen von zwölf Monaten oder längerer Dauer von sechs auf zwölf Monate verlängert [wird]“, gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 verstoße. Sie räumt ein, dass Art. 19 dieser Richtlinie die Möglichkeit vorsieht, aufgrund von Tarifverträgen den Bezugszeitraum für die Berechnung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Monate zu verlängern. Eine solche Verlängerung sei nach dieser Bestimmung jedoch nur unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer und nur aus objektiven, technischen oder arbeitsorganisatorischen Gründen möglich.

    33

    Irland hält dem entgegen, dass die Verlängerung des Bezugszeitraums von sechs auf zwölf Monate für die NCHD mit Arbeitsverträgen von mehr als zwölf Monaten Dauer mit dieser Richtlinie, insbesondere mit ihrem Art. 19, vereinbar sei. Der betreffende Tarifvertrag nenne den objektiven bzw. arbeitsorganisatorischen Grund, der die Verlängerung des Bezugszeitraums erfordere, nämlich die Besorgnis des HSE hinsichtlich seiner Möglichkeit, die NCHD hinreichend flexibel im Dienstplan einzutragen, um seinen rechtlichen Pflichten vollständig nachzukommen.

    34

    Insoweit ist festzustellen, dass die Kommission, die einräumt, dass der Bezugszeitraum gemäß Art. 19 der Richtlinie 2003/88 auf zwölf Monate verlängert werden kann, lediglich auf die Voraussetzungen für eine solche Verlängerung hinweist, ohne in irgendeiner Weise zu erläutern, weshalb diese Voraussetzungen entgegen dem Vorbringen Irlands im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien.

    35

    Folglich hat die Kommission nicht nachgewiesen, dass in Bezug auf Klausel 3 Buchst. b des Tarifvertrags eine Praxis besteht, die gegen die Richtlinie 2003/88 verstößt. Daher ist die zweite Rüge zurückzuweisen.

    Zur dritten Rüge, mit der ein Verstoß gegen die Richtlinie 2003/88 durch einige Bestimmungen von Klausel 5 des Musterarbeitsvertrags geltend gemacht wird

    36

    In ihrer dritten Rüge vertritt die Kommission die Auffassung, dass einige Bestimmungen von Klausel 5 des Musterarbeitsvertrags gegen die Richtlinie 2003/88 verstießen. Sie verweist erstens auf Klausel 5 Buchst. a dieses Musterarbeitsvertrags, nach der die wöchentliche Arbeitszeit grundsätzlich 39 Stunden betrage, sowie auf Klausel 5 Buchst. e und f dieses Vertrags, wonach es untersagt sei, von den NCHD zu verlangen, mehr als 24 Stunden zusammenhängend am Arbeitsplatz zu arbeiten, und der Arbeitgeber sicherzustellen habe, dass sie – außer in Sonderfällen – in nicht mehr als einem Fünftel der Fälle einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst haben. Nichts weise darauf hin, dass die Ärzte Anspruch auf die in der Richtlinie 2003/88 festgelegten täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten oder auf entsprechende Ausgleichsruhezeiten hätten.

    37

    Zweitens verweist die Kommission auf Klausel 5 Buchst. i des Musterarbeitsvertrags, wonach von den NCHD verlangt werden könne, über die 39 Arbeitsstunden hinaus Überstunden (Bereitschaftsdienst am Arbeitsplatz), Bereitschaftsdienst nicht am Arbeitsplatz und außerhalb der vom Klinikdirektor/Arbeitgeber festgelegten Arbeitszeiten und/oder Überstunden zu leisten und nach Maßgabe dienstlicher Erfordernisse auch über die im Dienstplan festgelegten Zeiten hinaus zu arbeiten, wenn auch der Arbeitgeber gehalten sei, hierauf nur ausnahmsweise zurückzugreifen. Es gebe aber keine ausdrückliche Grenze für die wöchentliche Gesamtarbeitszeit.

    38

    Die Mitgliedstaaten seien gehalten, bei der Umsetzung und Anwendung einer Richtlinie einen klaren rechtlichen Rahmen zu schaffen, so dass die Einzelnen ihre Rechte erkennen könnten. Klausel 5 des Musterarbeitsvertrags sehe einen solchen rechtlichen Rahmen nicht vor. Diese Feststellung werde im Übrigen durch Klausel 5 Buchst. m des Musterarbeitsvertrags bestätigt, wonach „Arbeit über den in diesem Vertrag vorgesehenen Rahmen hinaus nicht gestattet ist, wenn die mit dieser Beschäftigung verbundene Arbeitszeit zusammen mit einer anderen Beschäftigung über die in (der Verordnung von 2004) geregelte wöchentliche Höchstarbeitszeit hinausgeht“. Diese Bestimmung scheine vielmehr zu zeigen, dass die in der Verordnung von 2004 vorgesehenen Grenzen nicht für den Musterarbeitsvertrag gälten.

    39

    Irland trägt vor, dass der in der Verordnung von 2004 und in der Richtlinie 2003/88 vorgesehene Schutz, auch wenn er keinen Eingang in den Musterarbeitsvertrag gefunden habe, gemäß der Vergleichsvereinbarung vom 22. Januar 2010 Bestandteil desselben sei. Jedenfalls sei gemäß der Verordnung von 2004 dieser Schutz für die Arbeitgeber der NCHD verpflichtend.

    40

    Dadurch, dass sich die Kommission auf einige isolierte Bestimmungen von Klausel 5 des Musterarbeitsvertrags stütze, verkenne sie den klaren rechtlichen Rahmen, in den sich dieser Vertrag im Allgemeinen und diese Bestimmungen im Besonderen einfügten. Klausel 5 Buchst. m des Musterarbeitsvertrags sehe einen ausdrücklichen Schutz der Arbeitszeitgrenzen vor, wie sie in der Verordnung von 2004 festgelegt seien.

    41

    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen, die eine Richtlinie umsetzen, es dem Einzelnen ermöglichen müssen, sich auf einen klaren, genauen und eindeutigen rechtlichen Rahmen zu berufen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Irland, C‑282/02, EU:C:2005:334, Rn. 80).

    42

    Im Rahmen der vorliegenden Klage beanstandet die Kommission jedoch nicht die Umsetzung der Richtlinie 2003/88 durch die Verordnung von 2004. Sie macht unter Bezugnahme insbesondere auf einige Bestimmungen von Klausel 5 des Musterarbeitsvertrags lediglich geltend, dass diese Verordnung in der Praxis nicht angewandt werde.

    43

    Darüber hinaus wird von den Parteien nicht bestritten, dass der rechtliche Rahmen, wie er sich aus den Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2003/88, also der Verordnung von 2004, ergibt, klar und auf jeden Fall anwendbar ist.

    44

    Durch den Verweis auf einige isolierte Bestimmungen von Klausel 5 des Musterarbeitsvertrags, deren genaue Tragweite im Übrigen Gegenstand der Diskussion zwischen den Parteien ist, ist es der Kommission unter diesen Umständen nicht gelungen, das Bestehen einer Praxis darzutun, die gegen die Richtlinie 2003/88 verstößt. Folglich ist die dritte Rüge zurückzuweisen.

    Zu den verschiedenen Fortschrittsberichten und zur Erklärung der IMO

    45

    Die Kommission verweist ferner auf verschiedene in den Jahren 2013 und 2014 von den irischen Behörden erstellte und der Kommission übermittelte Fortschrittsberichte über die Umsetzung der Richtlinie 2003/88 sowie auf eine Erklärung der IMO, aus denen sich ergebe, dass Irland, auch wenn es bei der Anwendung der Richtlinie 2003/88 Fortschritte gegeben habe, den sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen noch immer nicht vollständig nachgekommen sei.

    46

    Irland räumt ein, dass es in der Praxis nicht möglich gewesen sei, in jedem Fall eine mit der Richtlinie 2003/88 exakt in Einklang stehende Situation zu erreichen, bestreitet aber, dass dies einem Verstoß seinerseits gegen die Verpflichtung geschuldet sei, die zur Erreichung einer solchen Situation erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Es habe fortlaufende und abgestimmte Anstrengungen unternommen, in der Praxis – auch durch Anwendung finanzieller Sanktionen – einen vollständigen Einklang zu erreichen, und es gehe weiterhin gegen alle Verstöße vor.

    47

    Das Vorbringen der Kommission laufe im Kern darauf hinaus, dass der bloße Umstand, dass die Regelung zur Umsetzung der Richtlinie 2003/88 in Irland nicht in allen Fällen eingehalten werde, ausreiche, um die Feststellung einer Vertragsverletzung des betreffenden Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht zu rechtfertigen.

    48

    Insoweit ist festzustellen, dass die Kommission in ihrer Klageschrift nicht angibt, ob sie auf die betreffenden Fortschrittsberichte und die betreffende Erklärung nur zur Veranschaulichung von Problemen, zu denen der behauptete Verstoß gegen die Richtlinie 2003/88, der sich aus Klausel 3 Buchst. a und b des Tarifvertrags und einigen Bestimmungen von Klausel 5 des Musterarbeitsvertrags ergebe, geführt habe, oder aber als selbständigen Hinweis auf die Nichtanwendung dieser Richtlinie in der Praxis verweist.

    49

    Jedenfalls genügt es nicht, dass die Kommission auf die betreffenden Fortschrittsberichte und die Erklärung der IMO verweist, um darzutun, dass Irland die Richtlinie 2003/88 nicht angewandt habe. Wie sich aus der in den Rn. 22 und 23 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, obliegt ihr nämlich auch der Nachweis, dass die mutmaßlich gegen diese Richtlinie verstoßende Praxis Irland in der einen oder anderen Weise zugerechnet werden kann; dabei kann sie sich nicht auf eine wie auch immer geartete Vermutung stützen.

    50

    Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Kommission insoweit auf die Feststellung, dass der HSE eine dem Staat zuzurechnende Einrichtung sei. Sie erläutert jedoch nicht, welche Rolle dessen Verwaltung, abgesehen davon, dass sie die in Rn. 14 des vorliegenden Urteils genannte Vergleichsvereinbarung, der der Tarifvertrag und der Musterarbeitsvertrag beigefügt sind, unterzeichnet hat, gespielt habe. Aus den Rn. 16 bis 44 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass die beiden letztgenannten Dokumente eine gegen die Richtlinie 2003/88 verstoßende Praxis begründeten.

    51

    Aus alledem folgt, dass die Kommission nicht den Beweis erbracht hat, dass in Irland eine Praxis der Arbeitszeitgestaltung der NCHD besteht, die gegen die Art. 3, 5, 6 und 17 Abs. 2 und 5 der Richtlinie 2003/88 verstößt.

    52

    Dementsprechend ist die Klage abzuweisen.

    Kosten

    53

    Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag Irlands die Kosten aufzuerlegen.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

     

    1.

    Die Klage wird abgewiesen.

     

    2.

    Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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