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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62012CJ0180

    Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 24. Oktober 2013.
    Stoilov i Ko EOOD gegen Nachalnik na Mitnitsa Stolichna.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Administrativen sad Sofia-grad - Bulgarien.
    Vorabentscheidungsersuchen - Wegfall einer Rechtsgrundlage der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entscheidung - Keine Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen - Erledigung.
    Rechtssache C-180/12.

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2013:693

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

    24. Oktober 2013 ( *1 )

    „Vorabentscheidungsersuchen — Wegfall einer Rechtsgrundlage der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entscheidung — Keine Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen — Erledigung“

    In der Rechtssache C‑180/12

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien) mit Entscheidung vom 4. April 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 16. April 2012, in dem Verfahren

    Stoilov i Ko EOOD

    gegen

    Nachalnik na Mitnitsa Stolichna

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter E. Jarašiūnas und A. Ó Caoimh (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters C. G. Fernlund,

    Generalanwalt: P. Mengozzi,

    Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. April 2013,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Stoilov i Ko EOOD, vertreten durch B. Aleksiev, advokat,

    des Nachalnik na Mitnitsa Stolichna, vertreten durch N. Yotsova, D. Yordanova, Y. Yordanova, S. Dimitrova und S. Zlatkov als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann, D. Roussanov und L. Bouyon als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Juli 2013

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur für das Jahr 2009 im Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1031/2008 der Kommission vom 19. September 2008 geänderten Fassung (ABl. L 291, S. 1) (im Folgenden: KN), insbesondere deren Unterpositionen 5407 61 30 und 6303 92 10, sowie die Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung (ABl. L 363, S. 1) (im Folgenden: Zollkodex), der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtskraft sowie der Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Stoilov i Ko ЕООD (im Folgenden: Stoilov) und dem Nachalnik na Mitnitsa Stolichna (Leiter des Hauptstädtischen Zollamts) über eine zolltarifliche Einreihung von Waren mit Herkunft China, die als „Stoff zum Herstellen von Rollos“ bezeichnet werden.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    Zollkodex

    3

    Nach Art. 68 des Zollkodex können die Zollbehörden zwecks Überprüfung der von ihnen im Rahmen des sogenannten „normalen“ Verfahrens angenommenen Anmeldungen:

    „a)

    die Unterlagen prüfen; geprüft werden können die Anmeldung …;

    b)

    eine Zollbeschau vornehmen, gegebenenfalls mit Entnahme von Mustern oder Proben zum Zweck einer Analyse oder eingehenden Prüfung.“

    4

    Art. 71 des Zollkodex lautet:

    „(1)   Die Ergebnisse der Überprüfung der Anmeldung werden der Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet worden sind, zugrunde gelegt.

    (2)   Findet keine Überprüfung der Anmeldung statt, so werden die darin enthaltenen Angaben für die Anwendung des Absatzes 1 zugrunde gelegt.“

    5

    Nach Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex ist der „Abgabenbetrag dem Zollschuldner in geeigneter Form mitzuteilen, sobald der Betrag buchmäßig erfasst worden ist“.

    6

    In Art. 232, der sich in Titel VII, Kapitel 3 Abschnitt 2 („Fristen und Modalitäten für die Entrichtung des Abgabenbetrags“) des Zollkodex befindet, heißt es:

    „(1)   Ist der Abgabenbetrag nicht fristgerecht entrichtet worden,

    a)

    so machen die Zollbehörden von allen ihnen nach den geltenden Vorschriften zu Gebot stehenden Möglichkeiten einschließlich der Zwangsvollstreckung Gebrauch, um die Entrichtung dieses Betrags zu erreichen.

    Nach dem Ausschussverfahren können für die Bürger im Rahmen des Versandverfahrens besondere Vorschriften erlassen werden;

    b)

    so werden zusätzlich zu dem Abgabenbetrag Säumniszinsen erhoben. Der Säumniszinssatz kann höher als der Kreditzinssatz sein. Er darf jedoch nicht niedriger sein.

    (2)   Die Zollbehörden können auf die Säumniszinsen verzichten …“

    7

    Art. 243 in Titel VIII („Rechtsbehelf“) des Zollkodex lautet:

    „(1)   Jede Person kann einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen der Zollbehörden auf dem Gebiet des Zollrechts einlegen, die sie unmittelbar und persönlich betreffen.

    (2)   Ein Rechtsbehelf kann eingelegt werden:

    a)

    auf einer ersten Stufe bei der … Zollbehörde;

    b)

    auf einer zweiten Stufe bei einer unabhängigen Instanz; dabei kann es sich nach dem geltenden Recht der Mitgliedstaaten um ein Gericht oder eine gleichwertige spezielle Stelle handeln.“

    Die KN

    8

    Teil 1 der KN betrifft einführende Vorschriften. In Titel I („Allgemeine Vorschriften“) dieses Teils heißt es unter Abschnitt A („Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der [KN]“):

    „Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:

    1.

    Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

    2.

    a)

    Jede Anführung einer Ware in einer Position gilt auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie im vorliegenden Zustand die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale der vollständigen oder fertigen Ware hat. Sie gilt auch für eine vollständige oder fertige oder nach den vorstehenden Bestimmungen dieser Vorschrift als solche geltende Ware, wenn diese zerlegt oder noch nicht zusammengesetzt gestellt wird.

    b)

    Jede Anführung eines Stoffes in einer Position gilt für diesen Stoff sowohl in reinem Zustand als auch gemischt oder in Verbindung mit anderen Stoffen. Jede Anführung von Waren aus einem bestimmten Stoff gilt für Waren, die ganz oder teilweise aus diesem Stoff bestehen. Solche Mischungen oder aus mehr als einem Stoff bestehenden Waren werden nach den Grundsätzen der Allgemeinen Vorschrift 3 eingereiht.

    …“

    9

    Die KN stützt sich auf das von der Weltzollorganisation ausgearbeitete Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren, dessen Positionen und sechsstellige Unterpositionen sie aufgreift, während die siebte und achte Stelle spezielle Unterpositionen der KN darstellen. In ihrem Teil II („Zolltarif“) umfasst die KN eine Einreihung der Waren in Abschnitte, Kapitel, Positionen und Unterpositionen.

    10

    Abschnitt XI der KN trägt die Überschrift „Spinnstoffe und Waren daraus“. Anmerkung 7 zu diesem Abschnitt lautet wie folgt:

    „Als ‚konfektioniert‘ im Sinne des Abschnitts XI gelten:

    a)

    Waren in anderer als quadratischer oder rechteckiger Form zugeschnitten;

    b)

    Waren, die abgepasst hergestellt und gebrauchsfertig sind oder durch bloßes Zerschneiden der nicht gebundenen Fäden ohne Nähen oder eine andere zusätzliche Arbeit gebrauchsfertig werden (z. B. Putztücher, Handtücher, Tischtücher, Halstücher und Decken);

    c)

    Waren, deren Ränder entweder durch Säume aller Art, auch Rollsäume, oder durch geknüpfte Fransen aus den Fäden der Waren selbst oder aus nachträglich angebrachten Fäden befestigt sind; Meterwaren, deren Schnittkanten wegen des Fehlens eines festen Randes in einfacher Weise gegen Ausriefeln gesichert sind, gelten nicht als konfektioniert;

    …“

    11

    In diesem Abschnitt XI enthält das Kapitel 54 der KN („Synthetische oder künstliche Filamente; Streifen und dergleichen aus synthetischer oder künstlicher Spinnmasse“) u. a. die Position 5407 („Gewebe aus Garnen aus synthetischen Filamenten, einschließlich Gewebe aus Erzeugnissen der Position 5404“). Diese Position umfasst u. a. die Kategorie „andere Gewebe, mit einem Anteil an Polyester-Filamenten von 85 GHT oder mehr“, unter die u. a. die Unterposition 5407 61 („mit einem Anteil an nicht texturierten Polyester Filamenten von 85 GHT oder mehr“) fällt. Diese Unterposition umfasst ihrerseits u. a. die Unterposition 5407 61 30 („gefärbt“).

    12

    Das Teilkapitel I („Andere konfektionierte Spinnstoffwaren“) in Abschnitt XI, Kapitel 63 der KN umfasst u. a. die Position 6303 („Gardinen, Vorhänge und Innenrollos; Fenster- und Bettbehänge [Schabracken]“). Diese Position ist in die beiden Kategorien „aus Gewirken oder Gestricken“ und „andere“ unterteilt. Die letztgenannte Kategorie umfasst u. a. die Unterposition 6303 92 („aus synthetischen Chemiefasern“). Diese Unterposition ist ihrerseits in die beiden Unterpositionen 6303 92 10 („aus Vliesstoffen“) und 6303 92 90 („andere“) unterteilt.

    Bulgarisches Recht

    13

    Art. 34 Abs. 3 des Administrativnoprotsesualen kodeks (Verwaltungsgerichtsordnung) sieht vor, dass „die Verwaltung den Parteien die Möglichkeit gewährt, zu den gesammelten Beweisen sowie zu den Vorbringen Stellung zu nehmen, wobei sie dafür eine Frist setzt, die nicht länger als sieben Tage betragen darf. Die Parteien können schriftlich Anträge und Einwendungen erheben“.

    14

    Gemäß Art. 35 Verwaltungsgerichtsordnung ergeht der individuelle Verwaltungsakt nach Klärung der für den Fall relevanten Tatsachen und Umstände und nach Prüfung der gegebenenfalls von den betroffenen Bürgern oder Organisationen vorgebrachten Erläuterungen und Einwendungen.

    15

    Nach Art. 179 Abs. 1 des Grazhdanski protsesualen kodeks (Zivilprozessordnung, im Folgenden: GPK) stellt ein von einer Amtsperson im Rahmen ihres dienstlichen Wirkungskreises und in der erforderlichen Form und nach den erforderlichen Modalitäten ausgestelltes offizielles Dokument einen Beweis für die vor ihr abgegebenen Erklärungen und die von ihr oder in ihrer Gegenwart vorgenommenen Handlungen dar.

    16

    Gemäß Art. 297 GPK bindet ein rechtskräftiges Urteil das Gericht, von dem es erlassen wurde, sowie alle anderen Gerichte und Einrichtungen.

    17

    Nach Art. 302 GPK bindet ein rechtskräftiges Urteil eines Verwaltungsgerichts das Zivilgericht hinsichtlich der Gültigkeit und Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts.

    18

    Gemäß Art. 211 Abs. 1 des Zakon na mitnitsite (Zollgesetz, im Folgenden: ZM) machen die Zollbehörden im Fall der nicht fristgerechten Entrichtung des Abgabenbetrags von allen ihnen nach diesem Gesetz und nach anderen Rechtsvorschriften zu Gebot stehenden Möglichkeiten einschließlich des Erlasses von Vollstreckungsverwaltungsakten Gebrauch, um die Entrichtung dieses Betrags zu erreichen.

    19

    Nach Art. 211a ZM sind „Entscheidungen über die zwangsweise Beitreibung öffentlicher Forderungen des Staates individuelle Verwaltungsakte, die vom Leiter der Zollbehörde, in deren Sprengel die nicht fristgerecht beglichene Schuld entstanden ist, erlassen werden und mit denen die Fälligkeit von Zollschulden und anderen öffentlichen Schulden festgestellt wird“.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    20

    Stoilov meldete mit am 8. Januar 2009 eingereichter Zollanmeldung „Stoffe zum Herstellen von Rollos“ in der Unterposition 6303 92 10 der KN an. Es wurden Zölle in Höhe von 7598,56 bulgarischen Leva (BGN) und Mehrwertsteuer in Höhe von 23544,53 BGN berechnet und entrichtet.

    21

    Zur Überprüfung dieser Anmeldung führten die Zollbehörden am 9. Januar 2009 eine Laboranalyse von Mustern durch, über die ein Protokoll aufgenommen wurde.

    22

    Im Hinblick auf die Analyse des Zolllabors gingen die Zollbehörden davon aus, dass die von dieser Anmeldung erfassten Waren nicht in Kapitel 63 der KN eingereiht werden könnten. Die Untersuchung habe ergeben, dass diese Waren die Voraussetzungen erfüllten, um in Kapitel 54 der KN und, konkret, in die Unterposition 5407 61 30 eingereiht zu werden.

    23

    Vor diesem Hintergrund teilte der Nachalnik na Mitnitsa Stolichna der Stoilov am 27. April 2009 eine Entscheidung (im Folgenden: Zollmitteilung) mit, mit der die von der Zollanmeldung vom 8. Januar 2009 erfassten Waren in diese Unterposition eingereiht wurden, was zu einer Erhöhung der Zollsätze von 6,5 % auf 8 % und gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1487/2005 des Rates vom 12. September 2005 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter veredelter Gewebe aus Polyester-Filamenten mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl. L 240, S.1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1087/2007 des Rates vom 18. September 2007 geänderten Fassung (ABl. L 246, S. 1) zur Anwendung eines endgültigen Antidumpingzolls von 74,8 % führte.

    24

    In dieser Entscheidung wurde Stoilov eine Frist von sieben Tagen gesetzt, um die öffentlichen Forderungen in Höhe von 1211,37 BGN an Zöllen, in Höhe von 82372,82 BGN an Antidumpingzöllen und in Höhe von 16716,84 BGN an Mehrwertsteuer freiwillig zu entrichten.

    25

    Stoilov legte gegen diese Entscheidung Einspruch bei der Behörde ein und erhob im Anschluss Klage beim Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht Sofia).

    26

    Da Stoilov die in der Zollmitteilung angegebenen Beträge nicht innerhalb der gesetzten Frist gezahlt hatte, erließ in der Zwischenzeit der Nachalnik na Mitnitsa Stolichna die Entscheidung Nr. 13 vom 7. August 2009 über die zwangsweise Beitreibung staatlicher Forderungen (im Folgenden: Beitreibungsanordnung).

    27

    Am 11. September 2009 legte Stoilov Einspruch gegen diese Entscheidung ein und beantragte, die Einholung eines unabhängigen Gutachtens über die Einreihung der belasteten Waren anzuordnen. Da hierauf keine fristgerechte Antwort erfolgte, erhob Stoilov am 7. Oktober 2009 unmittelbar beim Administrativen sad Sofia-grad die im Ausgangsverfahren anhängige Klage.

    28

    Am 14. Oktober 2009 wies die übergeordnete Verwaltungsbehörde, d. h. der Regionaldirektor für Zollwesen, den am 11. September 2009 eingelegten Einspruch zurück und verweigerte die Einholung des beantragten Gutachtens.

    29

    Mit Urteil vom 30. Dezember 2010 bestätigte der Administrativen sad Sofia-grad die Zollmitteilung.

    30

    Stoilov focht dieses Urteil mit einem Rechtsmittel vor dem Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof) an, das zum Zeitpunkt des Vorabentscheidungsersuchens noch anhängig war.

    31

    Nach Ansicht des Administrativen sad Sofia-grad gibt es die beiden Möglichkeiten, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren in das Kapitel 54 oder in das Kapitel 63 der KN einzureihen. Zu deren Abgrenzung seien der Begriff „konfektionierte Ware“ im Sinne der Anmerkung 7 zu Kapitel 63 sowie der Begriff „Gewebe“ in Unterposition 5407 61 30 der KN auszulegen.

    32

    Außerdem sei unter Berücksichtigung der Erledigung von fünf anderen Zollanmeldungen für Waren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die Stoilov sowohl vor als auch nach der Abgabe der streitigen Anmeldung eingereicht hatte, zu beurteilen, ob sich diese Gesellschaft auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen könne, um die Einreihung dieser Waren unter den KN-Code 6303 92 10 zu erwirken.

    33

    Darüber hinaus hält es das vorlegende Gericht unter Hinweis darauf, dass die letztgenannte Anmeldung zu zwei unterschiedlichen nationalen Verfahren zur selben Sach- und Rechtsfrage geführt habe, für erforderlich, dem Gerichtshof die Frage vorzulegen, gegen welchen Rechtsakt im Hinblick auf Art. 243 Abs. 1 des Zollkodex ein Rechtsbehelf eingelegt werden könne.

    34

    Schließlich sei um Auslegung der Art. 41 und 47 der Charta zu ersuchen.

    35

    Unter diesen Umständen hat der Administrativen sad Sofia-grad das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Ist die Ware – d. h. eingerollte Streifen aus Vliesstoff zum Herstellen von Innenrollos – für die Zwecke der zolltariflichen Einreihung nach der KN je nach ihren Eigenschaften als „Gewebe“ dem KN-Code 5407 61 30 oder vielmehr entsprechend ihrem einzigen Verwendungszweck – für Innenrollos – dem KN-Code 6303 92 10 zuzuordnen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:

    a)

    der Begriff „konfektionierte Ware“ im Sinne von Anmerkung 7 zu Kapitel 63 („Andere konfektionierte Spinnstoffwaren; Warenzusammenstellungen; Altwaren und Lumpen“) in Abschnitt XI („Spinnstoffe und Waren daraus“) der KN, ausgelegt in Verbindung mit Nr. 2 Buchst. a der Allgemeinen Vorschriften der Nomenklatur betreffend die Begriffe „unvollständige oder unfertige Ware“ unter Berücksichtigung des in Buchst. c von Anmerkung 7 genannten Falles, der Eigenschaften der verfahrensgegenständlichen Ware und der Möglichkeit, dass aus ihr ein einziges Endprodukt hergestellt wird;

    b)

    die Frage, ob der Begriff „Gewebe“ nach Kapitel 54, Unterposition 5407 61 30 der KN Stoffstreifen umfasst, die wie das Endprodukt, das ihren einzigen Verwendungszweck bildet – Innenrollos –, auch über befestigte Ränder an der Längsseite verfügen, und zwar in Anbetracht der ausdrücklichen Anführung dieses Produkts in Unterposition 6303 92 10 der KN?

    2.

    Besteht ein vernünftiger Grund für die Annahme, dass für den Anmelder und aufgrund der Wareneinfuhr Verpflichteten ein berechtigtes Vertrauen bezüglich der zolltariflichen Einreihung der Ware entstanden ist und dass gemäß Art. 71 Abs. 2 Zollkodex sowie im Hinblick auf den Grundsatz des berechtigten Vertrauens die in der Zollanmeldung angegebene Zolltarifnummer der Ware anzuwenden ist, wenn nach dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zum Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung folgende Umstände vorlagen:

    a)

    Hinsichtlich einer früher abgegebenen Zollanmeldung von gleichen Waren mit der gleichen Zolltarifnummer wurden von den Zollbehörden nach einer in einem Protokoll festgehaltenen Warenkontrolle einschließlich einer Kontrolle im Hinblick auf die zolltarifliche Einreihung keine Muster zur Analyse entnommen, und es wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass die Waren mit den Angaben in der Anmeldung übereinstimmten;

    b)

    es erfolgte keine spätere Kontrolle nach der Überlassung der Waren zu fünf anderen Zollanmeldungen von gleichen Waren mit der gleichen Zolltarifnummer, die ebenfalls früher abgegeben worden waren, und zwar vor und nach dem Datum des Protokolls über die Zollkontrolle, in der festgestellt wurde, dass die Zolltarifnummer richtig sei?

    3.

    Ist Art. 243 Abs. 1 des Zollkodex im Hinblick auf die Wahrung des Grundsatzes der Rechtskraft dahin auszulegen, dass ein Rechtsbehelf nur gegen den Akt nach Art. 232 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung eingelegt werden kann, wenn dieser Akt wegen nicht fristgerechter Zahlung erlassen wurde, mit ihm zugleich der Einfuhrabgabenbetrag festgestellt wird und er nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats einen Vollstreckungstitel für die Beitreibung von Abgaben bildet?

    4.

    Sind die Art. 41 Abs. 2 Buchst. a und Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass, wenn ein Antrag auf Beweisaufnahme durch ein unabhängiges Gutachten, der von dem Verpflichteten nach seiner Unterrichtung gemäß Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex gestellt wurde, nicht ausdrücklich von einer Zollbehörde beschieden wurde und in den Begründungen von späteren Entscheidungen nicht erörtert wurde, ein nicht behebbarer Verstoß gegen das Recht auf eine gute Verwaltung und das Recht auf Verteidigung im Verwaltungsverfahren vorliegt, der im Gerichtsverfahren nicht mehr geheilt werden kann, weil der Betroffene unter den Umständen des Ausgangsverfahrens nur im Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht die Möglichkeit hat, seine Einwände bezüglich der zolltariflichen Einreihung der Ware zu beweisen, indem er Fragen an einen unabhängigen Sachverständigen stellt?

    Zum Vorabentscheidungsersuchen

    36

    Nach ständiger Rechtsprechung ist das in Art. 267 AEUV vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (vgl. u. a. Urteile vom 16. Juli 1992, Meilicke, C-83/91, Slg. 1992, I-4871, Randnr. 22, und vom 27. November 2012, Pringle, C‑370/12, Randnr. 83).

    37

    Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht am besten in der Lage, im Hinblick auf den Einzelfall sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen, die es dem Gerichtshof vorlegt, zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 16. Juli 1992, Lourenço Dias, C-343/90, Slg. 1992, I-4673, Randnr. 15, und vom 21. Februar 2006, Ritter-Coulais, C-152/03, Slg. 2006, I-1711, Randnr. 14).

    38

    Gleichwohl obliegt es dem Gerichtshof gegebenenfalls, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird, und insbesondere festzustellen, ob die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts einen Bezug zu den tatsächlichen Gegebenheiten und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits aufweist, um nicht Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abgeben zu müssen (vgl. u. a. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 1981, Foglia, 244/80, Slg. 1981, 3045, Randnrn. 18 und 21, und vom 30. September 2003, Inspire Art, C-167/01, Slg. 2003, I-10155, Randnr. 45). Stellt sich heraus, dass die vorgelegte Frage für die in diesem Rechtsstreit zu treffende Entscheidung offensichtlich nicht erheblich ist, so muss der Gerichtshof feststellen, dass er keine Entscheidung treffen kann (vgl. insbesondere Urteile Lourenço Dias, Randnr. 20, und Ritter-Coulais, Randnr. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    39

    Im vorliegenden Fall geht aus den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen und aus der Antwort des vorlegenden Gerichts auf das Ersuchen des Gerichtshofs um Erläuterungen hervor, dass der Varhoven administrativen sad mit Urteil vom 5. Juli 2012 das in Randnr. 29 des vorliegenden Urteils genannte Urteil sowie die Zollmitteilung aufgehoben hat.

    40

    Nach den Erklärungen des vorlegenden Gerichts in Beantwortung des Ersuchens um Erläuterungen über die Auswirkung der Aufhebung der Zollmitteilung auf den Ausgangsrechtsstreit und nach dem Wortlaut dieses, dieser Antwort als Anlage beigefügten Urteils hat der Varhoven administrativen sad u. a. entschieden, dass die vom Nachalnik na Mitnitsa Stolichna vorgenommene zolltarifliche Einreihung, die vom Administrativen sad Sofia-grad bestätigt worden war, im Hinblick auf die zu den Akten genommenen Beweise und Gutachten falsch sei. Hierzu hat der Varhoven administrativen sad die Auffassung vertreten, dass die vom Administrativen sad Sofia-grad berücksichtigten Anhaltspunkte weder durch die vorgelegten Beweise, noch durch die Schlussfolgerungen des Berichts des Gerichtssachverständigen untermauert gewesen seien.

    41

    In dieser Antwort hat das vorlegende Gericht auch ausgeführt, dass es seine Sache sei, sich zu vergewissern, ob die Verfahrensregeln, von denen die Rechtmäßigkeit der Beitreibungsanordnung abhänge, darunter u. a. die der Mitteilung des Bestehens einer „nicht beglichenen Schuld“ im Sinne von Art. 211a ZM durch die Zollmitteilung, eingehalten worden seien.

    42

    In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hat der Nachalnik na Mitnitsa Stolichna eingeräumt, dass die Zollmitteilung aufgrund ihrer Aufhebung durch den Varhoven administrativen sad in der bulgarischen Rechtsordnung nicht mehr existiere.

    43

    Außerdem hat sich Stoilov in dieser mündlichen Verhandlung auf eine von der öffentlichen Vollstreckungsbehörde erlassene Entscheidung vom 24. September 2012 berufen, die der Beitreibung der öffentlichen Forderungen ein Ende setzt. Diese Entscheidung soll das gemäß Beitreibungsanordnung eröffnete Zwangsvollstreckungsverfahren beendet haben. Der Nachalnik na Mitnitsa Stolichna hat die Existenz einer solchen Entscheidung zwar nicht geleugnet, deren Gültigkeit aber in Frage gestellt.

    44

    Unter diesen Umständen ergibt sich unabhängig davon, ob das gemäß Beitreibungsanordnung durchgeführte Zwangsvollstreckungsverfahren beendet worden ist, aus den vorstehenden Überlegungen jedenfalls, dass das vorlegende Gericht, wie der Generalanwalt in Nr. 16 seiner Schlussanträge betont, zur Lösung des Ausgangsrechtsstreits keine Entscheidung mehr zu treffen haben wird, bei der die Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefragen berücksichtigt werden könnte, sollte er diese beantworten.

    45

    Denn wie das vorlegende Gericht in seiner Antwort auf das Ersuchen des Gerichtshofs um Erläuterungen ausgeführt hat, ist die Zollmitteilung vom Varhoven administrativen sad zur Gänze aufgehoben worden und die Existenz dieser Zollmitteilung stellt, wie bereits in Randnr. 41 des vorliegenden Urteils erwähnt worden ist, eine Prozessvoraussetzung für den Erlass der Beitreibungsanordnung dar.

    46

    Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass sich das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen nicht auf eine Auslegung des Unionsrechts bezieht, die für die vom vorlegenden Gericht zu erlassende Entscheidung objektiv erforderlich ist (vgl. entsprechend u. a. Urteil vom 9. Oktober 1997, Grado und Bashir, C-291/96, Slg. 1997, I-5531, Randnr. 16). Dieses gegenstandslos gewordene Ersuchen ermöglicht es nämlich nicht, Kriterien für die Auslegung des Unionsrechts aufzuzeigen, anhand deren das vorlegende Gericht über den vor ihm anhängigen Rechtsstreit in Anwendung dieses Rechts entscheiden könnte (vgl. u. a. in diesem Sinne Urteil vom 16. September 1982, Vlaeminck, Slg. 1982, 132/81, 2953, Randnr. 13).

    47

    Das vorlegende Gericht hat in seiner Antwort auf das Ersuchen des Gerichtshofs um Erläuterungen in Bezug auf die Auswirkung der Aufhebung der Zollmitteilung auf den Ausgangsrechtsstreit zwar die Auffassung vertreten, dass die Zollbehörden neue Entscheidungen mit demselben Inhalt wie die Zollmitteilungen und Beitreibungsanordnungen erlassen können. Doch sogar unter der Annahme, dass dies ungeachtet des Urteils des Varhoven administrativen sad vom 5. Juli 2012 noch immer der Fall sei, steht fest, dass eine Beantwortung der Vorlagefragen unter diesen Umständen darauf hinausliefe, dass der Gerichtshof unter Missachtung der Aufgabe, die ihm im Rahmen der mit Art. 267 AEUV eingeführten Zusammenarbeit der Gerichte zugewiesen ist, ein Gutachten zu hypothetischen Fragen abgäbe (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Februar 1983, Robards, 149/82, Slg. 1983, 171, Randnr. 19, Meilicke, Randnr. 25, und vom 21. März 2002, Cura Anlagen, C-451/99, Slg. 2002, I-3193, Randnr. 26).

    48

    Nach alledem ist festzustellen, dass die vom vorlegenden Gericht vorgelegten Fragen nicht zu beantworten sind.

    Kosten

    49

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) beschlossen:

     

    Auf die vom Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien) vorgelegten Fragen ist nicht zu antworten.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Bulgarisch.

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