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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62011CJ0277

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 22. November 2012.
M. M. gegen Minister for Justice, Equality and Law Reform u. a.
Vorabentscheidungsersuchen des High Court (Irland).
Vorabentscheidungsersuchen – Gemeinsames europäisches Asylsystem – Richtlinie 2004/83/EG – Mindestnormen für die Anerkennung und den Status als Flüchtling oder den subsidiären Schutzstatus – Art. 4 Abs. 1 Satz 2 – Zusammenarbeit des Mitgliedstaats mit dem Antragsteller bei der Prüfung der für seinen Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte – Umfang – Ordnungsmäßigkeit des bei der Behandlung eines Antrags auf subsidiären Schutz nach Ablehnung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling befolgten nationalen Verfahrens – Beachtung der Grundrechte – Recht auf Anhörung.
Rechtssache C‑277/11.

Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2012:744

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

22. November 2012 ( *1 )

„Vorabentscheidungsersuchen — Gemeinsames europäisches Asylsystem — Richtlinie 2004/83/EG — Mindestnormen für die Anerkennung und den Status als Flüchtling oder den subsidiären Schutzstatus — Art. 4 Abs. 1 Satz 2 — Zusammenarbeit des Mitgliedstaats mit dem Antragsteller bei der Prüfung der für seinen Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte — Umfang — Ordnungsmäßigkeit des bei der Behandlung eines Antrags auf subsidiären Schutz nach Ablehnung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling befolgten nationalen Verfahrens — Beachtung der Grundrechte — Recht auf Anhörung“

In der Rechtssache C-277/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court (Irland) mit Entscheidung vom 1. Juni 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juni 2011, in dem Verfahren

M. M.

gegen

Minister for Justice, Equality and Law Reform,

Irland,

Attorney General

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet, M. Ilešič und J.-J. Kasel (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Herrn M., vertreten durch P. O’Shea und I. Whelan, BL, beauftragt durch B. Burns, Solicitor,

von Irland, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von D. Conlan Smyth, Barrister,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der deutschen Regierung, vertreten durch N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigten,

der ungarischen Regierung, vertreten durch Z. Fehér Miklós, K. Szíjjártó und Z. Tóth als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. Noort als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,

der schwedischen Regierung, vertreten durch K. Petkovska als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. April 2012

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12, berichtigt in ABl. 2005, L 204, S. 24).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn M. auf der einen Seite und dem Minister for Justice, Equality and Law Reform (im Folgenden: Minister), Irland sowie dem Attorney General auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens, das bei der Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz, den Herr M. nach der Ablehnung seines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling stellte, angewandt wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

3

Art. 41 („Recht auf eine gute Verwaltung“) Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) bestimmt:

„(1)   Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden.

(2)   Dieses Recht umfasst insbesondere:

a)

das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird,

b)

das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses,

c)

die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen.“

4

Art. 47 Abs. 2 der Charta betrifft das Recht jeder Person, bei einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Dieser Artikel stellt klar, dass sich jede Person beraten, verteidigen und vertreten lassen kann. Nach Art. 48 Abs. 2 der Charta wird jedem Angeklagten die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet.

5

Nach ihrem Art. 51 Abs. 1 gilt die Charta für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union.

Das gemeinsame europäische Asylsystem

6

Der Europäische Rat legte auf seiner Tagung in Straßburg am 8. und 9. Dezember 1989 das Ziel einer Harmonisierung der Asylpolitiken der Mitgliedstaaten fest.

7

Die Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 sahen u. a. die Errichtung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems vor, das sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten und am 22. April 1954 in Kraft getretenen Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Band 189, S. 150, Nr. 2545 [1954], im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention) stützt. Dieses Abkommen wurde ergänzt durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, das am 4. Oktober 1967 in Kraft trat (im Folgenden: Protokoll von 1967).

8

Alle Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967. Die Europäische Union ist nicht deren Vertragspartei, doch sehen Art. 78 Abs. 1 AEUV und Art. 18 der Charta vor, dass das Recht auf Asyl u. a. nach Maßgabe dieser Konvention und des Protokolls von 1967 gewährleistet wird.

9

Mit dem am 2. Oktober 1997 geschlossenen Vertrag von Amsterdam wurde Art. 63 in den EG-Vertrag aufgenommen, der dem Rat der Europäischen Union die Zuständigkeit zuwies, nach Anhörung des Europäischen Parlaments die vom Europäischen Rat in Tampere empfohlenen Maßnahmen zu erlassen.

10

Auf dieser Rechtsgrundlage wurden die Richtlinie 2004/83 und die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326, S. 13, berichtigt in ABl. 2006, L 236, S. 35) erlassen.

11

Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sieht Art. 78 AEUV die Errichtung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems vor.

12

Im ersten Erwägungsgrund der Richtlinien 2004/83 und 2005/85 heißt es, dass eine gemeinsame Asylpolitik einschließlich eines gemeinsamen europäischen Asylsystems wesentlicher Bestandteil des Ziels der Union ist, schrittweise einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, der denen offensteht, die wegen besonderer Umstände rechtmäßig um Schutz in der Europäischen Gemeinschaft nachsuchen. Im zweiten Erwägungsgrund dieser Richtlinien wird zudem auf die Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates in Tampere verwiesen.

13

In den Erwägungsgründen 10 bzw. 8 der Richtlinien 2004/83 und 2005/85 wird darauf hingewiesen, dass sie die Grundrechte achten und die insbesondere in der Charta anerkannten Grundsätze befolgen.

Richtlinie 2004/83

14

Ziel der Richtlinie 2004/83 ist nach ihrem Art. 1 die Festlegung zum einen von Mindestnormen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz sowie zum anderen des Inhalts des zu gewährenden Schutzes.

15

Nach ihrem Art. 2 bezeichnet im Sinne dieser Richtlinie der Ausdruck

„a)

‚internationaler Schutz‘ die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus im Sinne der Buchstaben d) und f);

c)

‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will …;

d)

‚Flüchtlingseigenschaft‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder eines Staatenlosen als Flüchtling durch einen Mitgliedstaat;

e)

‚Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz‘ einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland oder, bei einem Staatenlosen, in das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikel 15 zu erleiden, … und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will;

f)

‚subsidiärer Schutzstatus‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen durch einen Mitgliedstaat als Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat;

g)

‚Antrag auf internationalen Schutz‘ das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt …

…“

16

Art. 4 („Prüfung der Ereignisse und Umstände“) der Richtlinie 2004/83 in deren Kapitel II („Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz“) lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten können es als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Es ist Pflicht des Mitgliedstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen.

(2)   Zu den in Absatz 1 genannten Anhaltspunkten gehören Angaben des Antragstellers zu Alter, familiären und sozialen Verhältnissen – auch der betroffenen Verwandten –, Identität, Staatsangehörigkeit(en), Land/Ländern und Ort(en) des früheren Aufenthalts, früheren Asylanträgen, Reisewegen, Identitätsausweisen und Reisedokumenten sowie zu den Gründen für seinen Antrag auf internationalen Schutz und sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen hierzu.

(3)   Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:

a)

alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden;

b)

die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte oder einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. erleiden könnte;

c)

die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind;

d)

die Frage, ob die Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes ausschließlich oder hauptsächlich aufgenommen wurden, um die für die Beantragung des internationalen Schutzes erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, um bewerten zu können, ob der Antragsteller im Fall einer Rückkehr in dieses Land aufgrund dieser Aktivitäten verfolgt oder ernsthaften Schaden erleiden würde;

e)

die Frage, ob vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er den Schutz eines anderen Staates in Anspruch nimmt, dessen Staatsangehörigkeit er für sich geltend machen könnte.

(4)   Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

(5)   Wenden die Mitgliedstaaten den in Absatz 1 Satz 1 genannten Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a)

der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu substanziieren;

b)

alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c)

festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

d)

der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war;

e)

die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.“

Richtlinie 2005/85

17

Die Richtlinie 2005/85 legt Mindestnormen für die Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft fest. Außerdem werden darin die Rechte der Asylbewerber präzisiert.

18

Gemäß ihrem Art. 3 Abs. 1 gilt sie für alle im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gestellten Asylanträge.

19

Art. 3 Abs. 3 sieht vor:

„Wenn Mitgliedstaaten ein Verfahren anwenden oder einführen, nach dem Asylanträge sowohl als Anträge aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention als auch als Anträge auf Gewährung anderer Formen internationalen Schutzes, der unter den in Artikel 15 der Richtlinie 2004/83 … definierten Umständen gewährt wird, geprüft werden, wenden sie die vorliegende Richtlinie während des gesamten Verfahrens an.“

20

Kapitel II („Grundsätze und Garantien“) der Richtlinie 2005/85 legt Mindestbestimmungen für die zu befolgenden Verfahren und die Garantien für Asylbewerber fest. Dieses Kapitel umfasst die Art. 6 bis 22.

21

Art. 8 regelt die besonderen Anforderungen an die Prüfung von Anträgen.

22

Art. 9 enthält die Anforderungen an die Entscheidungen der für die Behandlung von Asylanträgen zuständigen Behörde.

23

In Art. 10 sind die Garantien für Asylbewerber aufgeführt.

24

Art. 12 sieht den Anspruch eines Asylbewerbers auf eine persönliche Anhörung vor dem Erlass einer Entscheidung vor, und Art. 13 regelt die Anforderungen an eine solche Anhörung.

25

Nach Art. 14 ist über jede persönliche Anhörung ein schriftlicher Bericht anzufertigen, zu dem der Asylbewerber rechtzeitig Zugang erhalten muss.

26

Kapitel III der Richtlinie 2005/85 legt die Regeln für erstinstanzliche Verfahren fest.

27

Kapitel V („Rechtsbehelfe“) der Richtlinie 2005/85 besteht aus einem einzigen Artikel, nämlich Art. 39, der in Abs. 1 das Recht von Asylbewerbern auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht insbesondere gegen Entscheidungen über ihren Asylantrag vorsieht.

Nationales Recht

28

In Irland ist bei der Gewährung von internationalem Schutz zwischen zwei Arten von Anträgen zu unterscheiden, nämlich

erstens dem Antrag auf Asyl und, falls dieser abgelehnt wird,

zweitens dem Antrag auf subsidiären Schutz.

29

In diesem Mitgliedstaat ist jeder der beiden Anträge Gegenstand eines spezifischen Verfahrens, wobei das eine nach dem anderen durchgeführt wird.

30

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die nationalen Bestimmungen zur Regelung der Behandlung von Anträgen auf Asyl im Wesentlichen im Gesetz von 1996 über Flüchtlinge (Refugee Act 1996) in seiner zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung (im Folgenden: Gesetz von 1996) enthalten sind.

31

Bei Anträgen auf Asyl läuft das Verfahren in mehreren Abschnitten wie folgt ab:

Der Betroffene stellt einen Antrag beim Office of the Refugee Applications Commissioner (im Folgenden: ORAC);

der Antragsteller hat einen Fragebogen auszufüllen;

ein Bediensteter des ORAC führt ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller;

das ORAC erstellt einen Bericht an den Minister, der eine Empfehlung dazu enthält, ob der Antragsteller als Flüchtling anzuerkennen ist oder nicht;

enthält dieser Bericht eine ablehnende Empfehlung, kann dagegen eine Klage beim Refugee Appeals Tribunal erhoben werden, das in aller Regel durch einen Einzelrichter entscheidet und ein Urteil erlässt, mit dem die Empfehlung des ORAC bestätigt oder aufgehoben wird;

der Minister erlässt seine Entscheidung in folgender Weise:

Ist die Empfehlung des ORAC oder die Entscheidung des Refugee Appeals Tribunal befürwortend, ist er verpflichtet, den Betroffenen als Flüchtling anzuerkennen;

ist der Vorschlag ablehnend, kann er ihm folgen, es steht jedoch in seinem Ermessen, die Anerkennung als Flüchtling auszusprechen;

hat der Minister den Antrag auf Asyl abgelehnt, muss die Mitteilung seiner Absicht, den Antragsteller abzuschieben, eine Belehrung über dessen Recht enthalten, binnen 15 Tagen subsidiären Schutz zu beantragen.

32

Wird die Anerkennung als Flüchtling verweigert, kann gegen diese Entscheidung eine Anfechtungsklage bei einem Gericht erhoben werden.

33

Das Verfahren über Anträge auf subsidiären Schutz ist in der Verordnung von 2006 über die Europäischen Gemeinschaften (Voraussetzungen für die Gewährung von Schutz) (European Communities [Eligibility for Protection] Regulations 2006) geregelt, die am 9. Oktober 2006 vom Minister erlassen wurde und insbesondere die Umsetzung der Richtlinie 2004/83 zum Gegenstand hat (im Folgenden: Verordnung von 2006).

34

Der Antrag auf subsidiären Schutz wird vom Betroffenen mittels eines Formblatts eingereicht, dessen Muster im Anhang der Verordnung von 2006 enthalten ist.

35

Die Verordnung enthält keine Bestimmung, die vorsieht, dass derjenige, der einen solchen subsidiären Schutz beantragt, im Rahmen der Prüfung seines Antrags angehört wird.

36

Die Verordnung von 2006 enthält auch keine Verfahrensbestimmung, die als Umsetzung des in Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2004/83 aufgestellten Erfordernisses betrachtet werden könnte.

37

Der Minister entscheidet über den Antrag auf subsidiären Schutz durch mit Gründen versehene Entscheidung und gibt diesem entweder statt oder lehnt ihn ab.

38

Gegen die ablehnende Entscheidung kann eine Anfechtungsklage bei einem Gericht erhoben werden.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

39

Herr M. ist ein ruandischer Staatsangehöriger, der der ethnischen Gruppe der Tutsi angehört und am 1. Mai 2008 in Irland einen Antrag auf Asyl gestellt hat.

40

Zur Begründung des Antrags macht Herr M. geltend, dass er im Fall der Rückkehr in sein Herkunftsland vor einem Militärgericht dafür verfolgt werden könne, dass er die Art und Weise, wie die Untersuchungen über den Völkermord von 1994 geführt worden seien, offen kritisiert habe. Er sei von diesem Völkermord in schwerwiegender Weise betroffen, da seine Eltern, drei seiner Brüder und eine seiner Schwestern ermordet worden seien.

41

Zu seiner persönlichen Situation legt er dar, dass er sich nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums der Rechtswissenschaften an der Nationalen Universität von Ruanda im Jahr 2003 um eine Anstellung im öffentlichen Dienst der Republik Ruanda beworben habe, ihm jedoch als einzigem seines Abschlussjahrgangs eine solche Anstellung trotz seiner Befähigung verweigert worden sei. Stattdessen sei er gezwungen worden, eine untergeordnete Anstellung im Büro des Militärstaatsanwalts anzunehmen, wobei der Umstand, dass er so dem strengen Militärrecht unterworfen worden sei, ein Mittel gewesen sei, um ihn zum Schweigen zu bringen und ihn daran zu hindern, Informationen über den Völkermord zu verbreiten, die sich als unangenehm für die Behörden hätten erweisen können. Im Übrigen sei ihm dringend angeraten worden, nicht zu widersprechen, und ein Militärbeamter sei getötet worden, weil er begonnen habe, heikle Fragen nach dem Ablauf der Untersuchungen über den Völkermord zu stellen.

42

Im Juni 2006 wurde Herr M. an der rechtswissenschaftlichen Fakultät einer irischen Universität zu einem LL.M.-Studium zugelassen. Zu diesem Zweck wurde ihm im September 2006 ein Studentenvisum erteilt, und nach seinem Abschluss im November 2007 beschäftigte er sich im Aufnahmemitgliedstaat mit Forschungen über Kriegsverbrechen und Völkermord.

43

Kurz nach Ablauf seines Visums stellte Herr M. einen Antrag auf Asyl in Irland. Dieser Antrag wurde abgelehnt, weil seine Aussagen in Bezug auf seine Verfolgung in Ruanda als nicht glaubhaft erachtet wurden. Die ablehnende Empfehlung des ORAC trägt das Datum des 30. August 2008 und wurde am 28. Oktober 2008 vom Refugee Appeals Tribunal bestätigt. Die Entscheidung des Ministers, mit der der Antrag von Herrn M. auf Asyl abgelehnt wurde, wurde ihm im Dezember 2008 zugestellt.

44

Herr M. stellte daraufhin am 31. Dezember 2008 einen Antrag auf subsidiären Schutz, indem er einen nach der irischen Regelung hierfür vorgesehenen Fragebogen ausfüllte.

45

Dieser Antrag wurde mit Entscheidung des Ministers vom 24. September 2010 abgelehnt. In seiner Entscheidung stützte sich der Minister weitgehend auf seine vorhergehende Entscheidung aus dem Jahr 2008 über die Ablehnung des Antrags des Betroffenen auf Asyl, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass dieser, da ernste Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen bestünden, keine ausreichenden Gründe vorgetragen habe, um darzutun, dass er in seinem Herkunftsland Gefahr laufe, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

46

Gegen diese Entscheidung des Ministers erhob Herr M. am 6. Januar 2011 eine Anfechtungsklage beim High Court, in deren Rahmen er die Rechtmäßigkeit der Ablehnung seines Antrags auf subsidiären Schutz mit der Begründung angreift, dass das Verfahren der Prüfung dieses Antrags nicht im Einklang mit dem Unionsrecht stehe.

47

Zum einen habe Irland die Richtlinie 2004/83 und insbesondere Art. 4 Abs. 1 Satz 2 sowie Abs. 2 und den Anfang von Abs. 3 dieser Richtlinie nicht vollständig umgesetzt, und zum anderen habe der Minister im vorliegenden Fall bei der Prüfung des von Herrn M. gestellten Antrags auf subsidiären Schutz Bestimmungen des Unionsrechts verletzt.

48

Das grundlegende Erfordernis der Fairness bei der Durchführung der Verwaltungsverfahren umfasse nämlich insbesondere die Beachtung der Verteidigungsrechte.

49

Nach ständiger Rechtsprechung impliziere daher das Recht auf Anhörung, auch wenn eine besondere Regelung fehle, als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts in allen Verfahren, die zu einer beschwerenden Maßnahme führen könnten, dass der Betroffene in die Lage versetzt werden müsse, zu den Umständen, auf die die Verwaltung ihre Entscheidung zu stützen beabsichtige, angemessen Stellung zu nehmen. Dieser Grundsatz sei nunmehr in der Charta verankert.

50

Wenn man sie im Licht dieser Grundsätze betrachte, bedeute die in Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2004/83 aufgestellte Pflicht zur Zusammenarbeit, dass der Minister dem Asylbewerber die Ergebnisse seiner Bewertung vor dem Erlass einer abschließenden Entscheidung mitteilen müsse, um ihm Gelegenheit zu geben, durch die Vorlage aller ihm dann verfügbaren Unterlagen oder mit jedem Vorbringen, mit dem sich der Standpunkt der zuständigen Behörde widerlegen lasse, auf die für eine Ablehnung sprechenden Umstände zu reagieren und diese Behörde auf alle erheblichen Fragen hinzuweisen, die sie nicht ordnungsgemäß berücksichtigt habe.

51

Im vorliegenden Fall stehe fest, dass Herr M. im Rahmen der Prüfung seines Antrags auf subsidiären Schutz zu keinem Zeitpunkt angehört worden sei. Ferner sei er während der gesamten Prüfung dieses Antrags weder davon unterrichtet worden, welche Umstände der Minister als für die Entscheidung, ihm den subsidiären Schutz zu verweigern, erheblich angesehen habe, noch davon, zu welchem Zeitpunkt diese Entscheidung habe erlassen werden sollen. Zudem habe sich der Minister bei der Begründung dieser Entscheidung sehr weitgehend darauf beschränkt, auf die Gründe Bezug zu nehmen, auf die zuvor die Ablehnung des Asylantrags von Herrn M. gestützt worden sei. Im Übrigen sei ihm im Verfahren über die Klage, die er gegen die Entscheidung über die Ablehnung seines Asylantrags eingereicht habe, eine mündliche Verhandlung mit der Begründung verweigert worden, dass er diesen Antrag nicht so rasch wie möglich nach seiner Ankunft in Irland gestellt habe und nicht in der Lage gewesen sei, einen überzeugenden Grund zur Rechtfertigung dieses Umstands vorzutragen.

52

Die zuständigen irischen Behörden führten aus, dass ein Antrag auf subsidiären Schutz wie der im vorliegenden Fall gestellte nicht isoliert geprüft werde, sondern Gegenstand eines „intensiven Zusammenwirkens des Antragstellers und der Behörden“ sei, da ein solcher Antrag notwendigerweise nach der Prüfung – und der Ablehnung – eines Asylantrags beurteilt werde, in deren Lauf der Betroffene tatsächlich mit seiner Stellungnahme angehört worden sei und einen detaillierten Fragebogen beantwortet habe. Nach Einreichung des Antrags sei das Verfahren allerdings ein „nicht kontradiktorisches Ermittlungsverfahren“. Daher betreffe die in Art. 4 Abs. 1 Satz 2 erwähnte Pflicht zur Zusammenarbeit allein die Prüfung der maßgeblichen Tatsachen, die zur Stützung des Antrags vorgetragen worden seien, und nicht das Entscheidungsverfahren. Im Übrigen seien die zur Stützung des Antrags auf subsidiären Schutz eingereichten Unterlagen in den meisten Fällen genau identisch mit denen, die bereits im Rahmen des Asylantrags vorgelegt worden seien, oder zumindest im Wesentlichen die gleichen, und in jedem Fall würden alle neuen Informationen gewürdigt.

53

In der Sache sei die Ablehnung der Gewährung internationalen Schutzes für Herrn M. dadurch gerechtfertigt, dass seine Ausführungen nicht glaubhaft seien, was dadurch bekräftigt werde, dass er seine beiden Anträge erst mit einer erheblichen Verzögerung gegenüber dem Zeitpunkt seiner Einreise in das irische Hoheitsgebiet gestellt habe.

54

Der High Court bezweifelt, dass dem Vorbringen von Herrn M. gefolgt werden könne. Er habe bereits mehrfach entschieden, dass ein Verfahren über die Behandlung eines Antrags auf subsidiären Schutz, das unter Bedingungen durchgeführt worden sei, wie sie in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit in Rede stünden, in Anbetracht des Wortlauts und der Systematik der Richtlinie 2004/83 sowie ihres Kontextes unter dem Aspekt des in Art. 4 Abs. 1 Satz 2 dieser Richtlinie aufgestellten Erfordernisses nicht beanstandet werden könne.

55

Allerdings gehe aus einer Entscheidung des Raad van State (Niederlande) aus dem Jahr 2007 hervor, dass ein Asylbewerber im Königreich der Niederlande dann, wenn die zuständige Behörde beabsichtige, einen Asylantrag abzulehnen, davon im Voraus unter Mitteilung der Gründe für diese Ablehnung unterrichtet werde und über die Möglichkeit verfüge, innerhalb der gesetzten Frist schriftlich Stellung zu nehmen.

56

Daher hat der High Court beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind in dem Fall, dass ein Antragsteller nach Ablehnung seiner Anerkennung als Flüchtling einen Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus stellt und dieser Antrag abgelehnt werden soll, aufgrund des für die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2004/83 bestehenden Erfordernisses, mit dem Antragsteller zusammenzuarbeiten, die Verwaltungsbehörden des betreffenden Mitgliedstaats verpflichtet, dem Antragsteller dieses Ergebnis der Prüfung vor dem Erlass einer endgültigen Entscheidung mitzuteilen, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu den zur Ablehnung führenden Gesichtspunkten der beabsichtigten Entscheidung zu geben?

Zur Vorlagefrage

57

Zur Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts ist eingangs festzustellen, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 auf einen Antrag wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus anwendbar ist.

58

Sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach dem Titel des Kapitels, dem diese Bestimmung angehört, betrifft sie nämlich „Anträge auf internationalen Schutz“.

59

Wie sich aus Art. 2 Buchst. a und g der Richtlinie 2004/83 ergibt, sind unter „internationaler Schutz“ die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus und unter „Antrag auf internationalen Schutz“ das Ersuchen um Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder um Gewährung des subsidiären Schutzstatus zu verstehen.

60

Allerdings kann, was die Bedeutung angeht, die dem Erfordernis der Zusammenarbeit mit dem Antragsteller zukommt, das Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2004/83 dem betreffenden Mitgliedstaat auferlegt, nicht die von Herrn M. vertretene Ansicht zugrunde gelegt werden, dass diese Bestimmung die für die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz zuständige nationale Behörde dazu zwinge, dem Antragsteller vor dem Erlass einer ablehnenden Entscheidung darüber und nachdem ein von derselben Person gestellter Asylantrag zuvor abgelehnt wurde, die Umstände, auf die sie diese Entscheidung zu stützen beabsichtigt, mitzuteilen und eine Stellungnahme des Betroffenen dazu einzuholen.

61

Es ist nämlich festzustellen, dass ein Erfordernis dieser Art nicht aus dem Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmung hervorgeht. Hätte der Unionsgesetzgeber beabsichtigt, den Mitgliedstaaten Verpflichtungen der von Herrn M. genannten Art aufzuerlegen, hätte er dies sicherlich ausdrücklich getan.

62

Zudem wäre eine so verstandene Zusammenarbeitspflicht nicht mit dem System kohärent, das der Unionsgesetzgeber für die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz eingeführt hat.

63

Art. 4 der Richtlinie 2004/83 bezieht sich, wie aus seiner Überschrift hervorgeht, auf die „Prüfung der Ereignisse und Umstände“.

64

Diese „Prüfung“ vollzieht sich in Wirklichkeit in zwei getrennten Abschnitten. Der erste Abschnitt betrifft die Feststellung der tatsächlichen Umstände, die Beweise zur Stützung des Antrags darstellen können, während der zweite Abschnitt die rechtliche Würdigung dieser Umstände betrifft, die in der Entscheidung besteht, ob die in den Art. 9 und 10 oder 15 der Richtlinie 2004/83 vorgesehenen materiellen Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes in Anbetracht der Umstände, die einen konkreten Fall auszeichnen, erfüllt sind.

65

Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie ist es zwar normalerweise Sache des Antragstellers, alle zur Begründung seines Antrags erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen, doch obliegt es dem betreffenden Mitgliedstaat, mit dem Antragsteller im Abschnitt der Bestimmung der maßgeblichen Anhaltspunkte des Antrags zusammenzuarbeiten.

66

Dieses Erfordernis der Mitwirkung des Mitgliedstaats bedeutet daher konkret, dass der betreffende Mitgliedstaat, wenn die von der Person, die internationalen Schutz beantragt, vorgetragenen Anhaltspunkte aus irgendeinem Grund nicht vollständig, aktuell oder maßgeblich sind, in diesem Abschnitt des Verfahrens aktiv mit dem Antragsteller zusammenarbeiten muss, um ihm die Zusammenstellung aller zur Begründung seines Antrags geeigneten Anhaltspunkte zu ermöglichen. Ein Mitgliedstaat hat im Übrigen möglicherweise eher Zugang zu bestimmten Arten von Unterlagen als der Antragsteller.

67

Die in der vorstehenden Randnummer vorgenommene Auslegung wird zudem durch Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/85 bestätigt, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass genaue und aktuelle Informationen über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Asylbewerber und gegebenenfalls in den Staaten, durch die sie gereist sind, gesammelt werden.

68

Somit ist klar, dass sich Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 nur auf den in Randnr. 64 des vorliegenden Urteils erwähnten ersten Abschnitt bezieht, der die Feststellung der Ereignisse und Umstände betrifft, die Beweise zur Rechtfertigung des Asylantrags darstellen können.

69

Dagegen ist offenkundig, dass die von Herrn M. vertretene Ansicht den zweiten Abschnitt im Sinne derselben Randnummer des vorliegenden Urteils betrifft, in dem es um die Würdigung der Folgen geht, die aus den zur Begründung des Antrags vorgetragenen Anhaltspunkten abzuleiten sind, indem bestimmt wird, ob die für die Gewährung des beantragten internationalen Schutzes erforderlichen Voraussetzungen damit tatsächlich erfüllt werden.

70

Eine solche Prüfung der Begründetheit des Asylantrags fällt in die alleinige Verantwortung der zuständigen nationalen Behörde, so dass ein Erfordernis der Zusammenarbeit dieser Behörde mit dem Antragsteller, wie in Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2004/83 vorgeschrieben, in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Rolle spielt.

71

Zudem hätte eine Zusammenarbeitspflicht mit der von Herrn M. vertretenen Tragweite ihren Platz logischerweise nicht in der Richtlinie 2004/83.

72

Diese Richtlinie dient nämlich in Anbetracht ihres Inhalts und ihres Zwecks nur dazu, zum einen allen Mitgliedstaaten gemeinsame Kriterien in Bezug auf die materiellen Voraussetzungen, die Drittstaatsangehörige erfüllen müssen, um internationalen Schutz erhalten zu können, und zum anderen den materiellen Inhalt des zu gewährenden Schutzes festzulegen.

73

Dagegen sollen mit dieser Richtlinie keine Verfahrensregeln für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz vorgeschrieben werden und demnach auch nicht die Verfahrensgarantien festgelegt werden, die dem Asylbewerber in diesem Zusammenhang zu gewähren sind.

74

Unter diesen Umständen ist zu diesem Punkt festzustellen, dass das Erfordernis der Zusammenarbeit des betreffenden Mitgliedstaats mit dem Asylbewerber im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2004/83 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass die zuständige nationale Behörde, wenn ein Ausländer die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus beantragt, nachdem ihm die Anerkennung als Flüchtling verweigert worden ist, und sie beabsichtigt, auch diesen zweiten Antrag abzulehnen, verpflichtet wäre, den Betroffenen vor dem Erlass ihrer Entscheidung von der beabsichtigten Ablehnung seines Antrags zu unterrichten und ihm die Argumente mitzuteilen, auf die sie dessen Ablehnung stützen möchte, um es diesem Antragsteller zu ermöglichen, seinen Standpunkt dazu geltend zu machen.

75

Nach dieser Klarstellung ist festzustellen, dass aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen der Parteien des Ausgangsverfahrens hervorgeht, dass die vorliegende Rechtssache mehr im Allgemeinen die Frage des Rechts eines Ausländers aufwirft, im Verfahren über die Behandlung seines zweiten, auf subsidiären Schutz gerichteten Antrags angehört zu werden, wenn dieser Antrag nach der Ablehnung eines ersten, auf die Anerkennung als Flüchtling gerichteten Antrags gestellt wurde, wie es in der beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtssache der Fall ist, in der der ursprüngliche Antrag Gegenstand eines anderen Verfahrens war, in dessen Rahmen der Betroffene seinen Standpunkt gebührend geltend machen konnte.

76

Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, ist daher zu klären, ob es das Unionsrecht in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren, die dadurch gekennzeichnet ist, dass zwei getrennte und aufeinanderfolgende Verfahren zur Prüfung eines Asylantrags und eines Antrags auf subsidiären Schutz bestehen, verwehrt, dass der Betroffene bei der Behandlung des zweiten Antrags und vor dessen Ablehnung deshalb nicht erneut angehört wird, weil er, wie sowohl der High Court als auch Irland ausgeführt haben, bereits im Verfahren über seinen ersten Antrag, der auf seine Anerkennung als Flüchtling gerichtet war, angehört worden ist.

77

Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2005/85 der Rechtsakt ist, in dem Mindestnormen für die Verfahren der Prüfung von Anträgen festgelegt und die Rechte der Asylbewerber präzisiert werden.

78

In dieser Hinsicht sieht diese Richtlinie insbesondere vor, dass Asylanträge nicht allein deshalb abgelehnt oder von der Prüfung ausgeschlossen werden, weil die Antragstellung nicht so rasch wie möglich erfolgt ist (Art. 8 Abs. 1), dass die Anträge einzeln, objektiv und unparteiisch geprüft und entschieden werden (Art. 8 Abs. 2 Buchst. a), dass bei der Ablehnung eines Antrags die sachlichen und rechtlichen Gründe dafür in der Entscheidung dargelegt werden (Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1) und dass, bevor die Asylbehörde eine Entscheidung trifft, dem Asylbewerber Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Asylantrag unter Bedingungen gegeben wird, die ihm eine zusammenhängende Darlegung der Gründe seines Antrags gestatten (Art. 12 und Art. 13 Abs. 3).

79

Allerdings findet die Richtlinie 2005/85 keine Anwendung auf Anträge auf subsidiären Schutz, sofern ein Mitgliedstaat nicht ein einheitliches Verfahren einführt, in dessen Rahmen er einen Antrag unter dem Aspekt der beiden Formen des internationalen Schutzes, nämlich der Anerkennung als Flüchtling und des subsidiären Schutzes, prüft. Bei einer solchen Fallgestaltung sind nämlich die Bestimmungen dieser Richtlinie während des ganzen Verfahrens, also auch dann anzuwenden, wenn die zuständige nationale Behörde den Antrag auf subsidiären Schutz prüft.

80

Dies ist jedoch in Irland nicht der Fall, da sich dieser Mitgliedstaat dafür entschieden hat, für die Prüfung des Asylantrags und des Antrags auf subsidiären Schutz zwei getrennte Verfahren einzurichten, wobei der letztgenannte Antrag erst nach Ablehnung des erstgenannten gestellt werden kann. Daher schreibt das irische Recht die Beachtung der in der Richtlinie 2005/85 niedergelegten Garantien und Grundsätze nur bei der Prüfung der Anträge auf Anerkennung als Flüchtling vor. Was im Einzelnen das Recht des Antragstellers anbelangt, vor dem Erlass einer Entscheidung angehört zu werden, hat der High Court in seiner Vorlageentscheidung ausgeführt, dass diese Formvorschrift nach der nationalen Rechtsprechung bei der Behandlung eines nach der Ablehnung eines Asylantrags gestellten Antrags auf subsidiären Schutz nicht zu beachten sei, da der Betroffene bereits im Rahmen der Prüfung seines Asylantrags angehört worden sei und die beiden Verfahren eng miteinander verbunden seien.

81

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Wahrung der Verteidigungsrechte nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein tragender Grundsatz des Unionsrechts ist (vgl. u. a. Urteile vom 28. März 2000, Krombach, C-7/98, Slg. 2000, I-1935, Randnr. 42, und vom 18. Dezember 2008, Sopropé, C-349/07, Slg. 2008, I-10369, Randnr. 36).

82

Im vorliegenden Fall ist, was insbesondere das Recht auf Anhörung in jedem Verfahren angeht, das integraler Bestandteil dieses tragenden Grundsatzes ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 9. November 1983, Nederlandsche Banden-Industrie-Michelin/Kommission, 322/81, Slg. 1983, 3461, Randnr. 7, und vom 18. Oktober 1989, Orkem/Kommission, 374/87, Slg. 1989, 3283, Randnr. 32), dieses heute nicht nur in den Art. 47 und 48 der Charta verankert, die das Recht auf Wahrung der Verteidigungsrechte und das Recht auf ein faires Verfahren im Rahmen aller Gerichtsverfahren garantieren, sondern auch in Art. 41 der Charta, der das Recht auf eine gute Verwaltung gewährleistet.

83

Nach Art. 41 Abs. 2 der Charta umfasst das Recht auf eine gute Verwaltung insbesondere das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird, das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses und die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen.

84

Diese Bestimmung ist, wie sich bereits aus ihrem Wortlaut ergibt, allgemein anwendbar.

85

Demgemäß hat der Gerichtshof stets die Bedeutung des Rechts auf Anhörung und seinen sehr weiten Geltungsumfang in der Unionsrechtsordnung bekräftigt, indem er dargelegt hat, dass dieses Recht in allen Verfahren gelten muss, die zu einer beschwerenden Maßnahme führen können (vgl. u. a. Urteile vom 23. Oktober 1974, Transocean Marine Paint Association/Kommission, 17/74, Slg. 1974, 1063, Randnr. 15, Krombach, Randnr. 42, und Sopropé, Randnr. 36).

86

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dieses Recht auch dann zu wahren, wenn die anwendbare Regelung ein solches Verfahrensrecht nicht ausdrücklich vorsieht (vgl. Urteil Sopropé, Randnr. 38).

87

Das Recht auf Anhörung garantiert jeder Person die Möglichkeit, im Verwaltungsverfahren, bevor ihr gegenüber eine für ihre Interessen nachteilige Entscheidung erlassen wird, sachdienlich und wirksam ihren Standpunkt vorzutragen (vgl. Urteile vom 9. Juni 2005, Spanien/Kommission, C-287/02, Slg. 2005, I-5093, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung, Sopropé, Randnr. 37, vom 1. Oktober 2009, Foshan Shunde Yongjian Housewares & Hardware/Rat, C-141/08 P, Slg. 2009, I-9147, Randnr. 83, und vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People’s Mojahedin Organization of Iran, C-27/09 P, Slg. 2011, I-13427, Randnrn. 64 und 65).

88

Dieses Recht setzt auch voraus, dass die Verwaltung mit aller gebotenen Sorgfalt die entsprechenden Erklärungen der betroffenen Person zur Kenntnis nimmt, indem sie sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls untersucht und ihre Entscheidung eingehend begründet (vgl. Urteile vom 21. November 1991, Technische Universität München, C-269/90, Slg. 1991, I-5469, Randnr. 14, und Sopropé, Randnr. 50); die Pflicht, eine Entscheidung so hinreichend spezifisch und konkret zu begründen, dass es dem Betroffenen ermöglicht wird, die Gründe für die Ablehnung seines Antrags zu verstehen, ergibt sich somit aus dem Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte.

89

Nach alledem ist das so verstandene Recht des Asylbewerbers auf Anhörung in vollem Umfang auf das Verfahren der Prüfung eines Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes anzuwenden, das die zuständige nationale Behörde nach den im Rahmen des gemeinsamen europäischen Asylsystems erlassenen Bestimmungen durchführt.

90

In diesem Zusammenhang kann der vom vorlegenden Gericht und von Irland vertretenen Ansicht nicht gefolgt werden, wonach es dann, wenn der Antrag auf subsidiären Schutz wie in diesem Mitgliedstaat Gegenstand eines getrennten Verfahrens ist, das notwendigerweise auf die Ablehnung eines Asylantrags aufgrund einer Prüfung, die eine Anhörung des Betroffenen beinhaltet, folgt, nicht erforderlich sein soll, diesen bei der Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz erneut anzuhören, weil diese Formalität in gewisser Weise eine unnötige Wiederholung derjenigen darstelle, die dem Ausländer bereits in einem weitgehend vergleichbaren Kontext zugutegekommen sei.

91

Vielmehr ist es, wenn sich ein Mitgliedstaat entschieden hat, zwei getrennte und aufeinanderfolgende Verfahren für die Prüfung des Asylantrags und des Antrags auf subsidiären Schutz einzurichten, wichtig, dass der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör in Anbetracht seines grundlegenden Charakters im Rahmen beider Verfahren vollständig gewährleistet ist.

92

Im Übrigen ist diese Auslegung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens umso mehr gerechtfertigt, als die zuständige nationale Behörde nach den vom vorlegenden Gericht selbst gemachten Angaben ihre Entscheidung über die Ablehnung des Antrags auf subsidiären Schutz lediglich durch eine weitgehende Bezugnahme auf die Gründe, die sie bereits für die Ablehnung des Asylantrags herangezogen hatte, begründet hat, während nach der Richtlinie 2004/83 für die Anerkennung als Flüchtling und die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht die gleichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen und im Übrigen die Natur der Rechte, die mit dem Status als Flüchtling und mit dem subsidiären Schutzstatus verbunden sind, unterschiedlich ist.

93

Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs haben überdies die Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C-411/10 und C-493/10, Slg. 2011, I-13905, Randnr. 77).

94

Das vorlegende Gericht hat anhand dieser Grundsätze für die Auslegung des Unionsrechts zu beurteilen, ob das im Rahmen des von Herrn M. gestellten Antrags auf subsidiären Schutz durchgeführte Verfahren mit den Erfordernissen dieses Rechts im Einklang steht, und, falls es eine Verletzung seines Rechts auf Anhörung feststellen sollte, daraus alle gebotenen Konsequenzen zu ziehen.

95

Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass

das Erfordernis der Zusammenarbeit des betreffenden Mitgliedstaats mit dem Asylbewerber im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2004/83 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass die zuständige nationale Behörde, wenn ein Ausländer die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus beantragt, nachdem ihm die Anerkennung als Flüchtling verweigert worden ist, und sie beabsichtigt, auch diesen zweiten Antrag abzulehnen, verpflichtet wäre, den Betroffenen vor dem Erlass ihrer Entscheidung von der beabsichtigten Ablehnung seines Antrags zu unterrichten und ihm die Argumente mitzuteilen, auf die sie dessen Ablehnung stützen möchte, um es diesem Antragsteller zu ermöglichen, seinen Standpunkt dazu geltend zu machen;

es jedoch bei einem System wie dem durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung eingerichteten, das dadurch gekennzeichnet ist, dass zwei getrennte und aufeinanderfolgende Verfahren zur Prüfung des Antrags auf Anerkennung als Flüchtling bzw. des Antrags auf subsidiären Schutz bestehen, dem nationalen Gericht obliegt, im Rahmen beider Verfahren für die Wahrung der Grundrechte des Antragstellers und insbesondere des Rechts auf Anhörung in dem Sinne Sorge zu tragen, dass er in der Lage ist, vor dem Erlass einer Entscheidung, mit der der beantragte Schutz nicht gewährt wird, sachdienlich Stellung zu nehmen. Dass der Betroffene bereits bei der Prüfung seines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling ordnungsgemäß angehört worden ist, bedeutet in einem solchen System nicht, dass von dieser Formvorschrift im Rahmen des Verfahrens über den Antrag auf subsidiären Schutz abgesehen werden könnte.

Kosten

96

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Das Erfordernis der Zusammenarbeit des betreffenden Mitgliedstaats mit dem Asylbewerber im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes kann nicht dahin ausgelegt werden, dass die zuständige nationale Behörde, wenn ein Ausländer die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus beantragt, nachdem ihm die Anerkennung als Flüchtling verweigert worden ist, und sie beabsichtigt, auch diesen zweiten Antrag abzulehnen, verpflichtet wäre, den Betroffenen vor dem Erlass ihrer Entscheidung von der beabsichtigten Ablehnung seines Antrags zu unterrichten und ihm die Argumente mitzuteilen, auf die sie dessen Ablehnung stützen möchte, um es diesem Antragsteller zu ermöglichen, seinen Standpunkt dazu geltend zu machen.

 

Bei einem System wie dem durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung eingerichteten, das dadurch gekennzeichnet ist, dass zwei getrennte und aufeinanderfolgende Verfahren zur Prüfung des Antrags auf Anerkennung als Flüchtling bzw. des Antrags auf subsidiären Schutz bestehen, obliegt es jedoch dem nationalen Gericht, im Rahmen beider Verfahren für die Wahrung der Grundrechte des Antragstellers und insbesondere des Rechts auf Anhörung in dem Sinne Sorge zu tragen, dass er in der Lage ist, vor dem Erlass einer Entscheidung, mit der der beantragte Schutz nicht gewährt wird, sachdienlich Stellung zu nehmen. Dass der Betroffene bereits bei der Prüfung seines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling ordnungsgemäß angehört worden ist, bedeutet in einem solchen System nicht, dass von dieser Formvorschrift im Rahmen des Verfahrens über den Antrag auf subsidiären Schutz abgesehen werden könnte.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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