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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62004CJ0288

    Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 8. September 2005.
    AB gegen Finanzamt für den 6., 7. und 15. Bezirk.
    Vorabentscheidungsersuchen der null.
    Rechtssache C-288/04.

    Sammlung der Rechtsprechung 2005 I-07837

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2005:526

    Rechtssache C-288/04

    AB

    gegen

    Finanzamt für den 6., 7. und 15. Bezirk

    (Vorabentscheidungsersuchen des Unabhängigen Finanzsenats, Außenstelle Wien)

    „Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften – Beamtenstatut – Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten – Örtlicher Bediensteter bei der Vertretung der Kommission in Österreich – Besteuerung“

    Schlussanträge des Generalanwalts L. A. Geelhoed vom 28. April 2005 

    Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 8. September 2005 

    Leitsätze des Urteils

    Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften – Beamte und sonstige Bedienstete der Gemeinschaften – Entscheidung eines Gemeinschaftsorgans über den Status eines Bediensteten und die für ihn geltende Beschäftigungsregelung – Bindungswirkung gegenüber den nationalen Behörden

    (Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften, Artikel 13 und 16)

    Die Entscheidung eines Gemeinschaftsorgans über den Status eines seiner Bediensteten und die für ihn geltende Beschäftigungsregelung ist für die nationalen Verwaltungs- und Justizbehörden bei der Anwendung der Artikel 13 und 16 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften bindend, so dass diese keine eigenständige Einstufung des fraglichen Beschäftigungsverhältnisses vornehmen können.

    (vgl. Randnr. 39 und Tenor)




    URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)

    8. September 2005(*)

    „Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften – Beamtenstatut – Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten – Örtlicher Bediensteter bei der Vertretung der Kommission in Österreich – Besteuerung“

    In der Rechtssache C‑288/04

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Unabhängigen Finanzsenat, Außenstelle Wien (Österreich), mit Entscheidung vom 28. Juni 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juli 2004, in dem Verfahren

    AB

    gegen

    Finanzamt für den 6., 7. und 15. Bezirk

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter K. Lenaerts, K. Schiemann, E. Juhász (Berichterstatter) und M. Ilešič,

    Generalanwalt: L. A. Geelhoed,

    Kanzler: R. Grass,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    –       der österreichischen Regierung, vertreten durch H. Dossi als Bevollmächtigten,

    –       der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und C. Jurgensen-Mercier als Bevollmächtigte,

    –       der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und M. Mesquita Palha als Bevollmächtigte,

    –       der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Krämer und C. Ladenburger als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. April 2005

    folgendes

    Urteil

    1       Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 13 und 16 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften, das ursprünglich dem am 8. April 1965 unterzeichneten Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften beigefügt war und sodann durch den Vertrag von Amsterdam dem EG-Vertrag beigefügt wurde (im Folgenden: Protokoll).

    2       Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn AB, einem örtlichen Bediensteten bei der Vertretung der Kommission in Wien, und dem Finanzamt für den 6., 7. und 15. Bezirk (im Folgenden: Finanzamt) über die Frage, ob Herr AB der nationalen Einkommensteuer unterliegt.

     Rechtlicher Rahmen

     Gemeinschaftsrecht

    3       Nach Artikel 28 Absatz 1 des Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften und jetzt, nach Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam, gemäß Artikel 291 EG genießt die Gemeinschaft im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Befreiungen nach Maßgabe des Protokolls.

    4       Artikel 13 des Protokolls bestimmt:

    „Von den Gehältern, Löhnen und anderen Bezügen, welche die Gemeinschaften ihren Beamten und sonstigen Bediensteten zahlen, wird zugunsten der Gemeinschaften eine Steuer gemäß den Bestimmungen und dem Verfahren erhoben, die vom Rat auf Vorschlag der Kommission festgelegt werden.

    Die Beamten und sonstigen Bediensteten sind von innerstaatlichen Steuern auf die von den Gemeinschaften gezahlten Gehälter, Löhne und Bezüge befreit.“

    5       Artikel 16 des Protokolls sieht vor:

    „Der Rat bestimmt auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der anderen betroffenen Organe die Gruppen von Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften, auf welche die Artikel 12, 13 Absatz 2 und Artikel 14 ganz oder teilweise Anwendung finden.

    Namen, Dienstrang und ‑stellung sowie Anschrift der Beamten und sonstigen Bediensteten dieser Gruppen werden den Regierungen der Mitgliedstaaten in regelmäßigen Zeitabständen mitgeteilt.“

    6       In Artikel 18 Absatz 1 des Protokolls wird klargestellt, dass die Vorrechte, Befreiungen und Erleichterungen den Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften ausschließlich im Interesse der Gemeinschaften gewährt werden.

    7       Auf der Grundlage von Artikel 16 des Protokolls erließ der Rat die Verordnung (Euratom, EGKS, EWG) Nr. 549/69 vom 25. März 1969 zur Bestimmung der Gruppen von Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, auf welche die Artikel 12, 13 Absatz 2 und Artikel 14 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Gemeinschaften Anwendung finden (ABl. L 74, S. 1). In Artikel 2 dieser Verordnung heißt es:

    „Artikel 13 Absatz 2 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Gemeinschaften gilt für folgende Gruppen:

    a)      Personen, die unter das Statut der Beamten oder unter die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften fallen, einschließlich Empfänger der bei Stellenenthebungen aus dienstlichen Gründen vorgesehenen Vergütung, mit Ausnahme der örtlichen Bediensteten;

    …“

    8       Die Artikel 2 und 3 der Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Sondermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommission anwendbar sind (ABl. L 56, S. 1), legen in ihrer bis zum 30. April 2004 gültigen Fassung das Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Statut) und die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: BSB) fest.

    9       Die BSB gelten nach ihrem Artikel 1 für alle Bediensteten, die von den Gemeinschaften durch Vertrag eingestellt wurden. Diese Bediensteten sind Bedienstete auf Zeit, Hilfskräfte, örtliche Bedienstete oder Sonderberater.

    10     Artikel 4 BSB lautet:

    „Örtlicher Bediensteter im Sinne dieser Beschäftigungsbedingungen ist ein Bediensteter, der – entsprechend den örtlichen Gepflogenheiten – zur Verrichtung von manuellen Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten eingestellt wird, für die in dem dem Einzelplan des Haushaltsplans für jedes Organ beigefügten Stellenplan eine Planstelle nicht ausgebracht ist, und der seine Bezüge aus Mitteln erhält, die zu diesem Zweck im Einzelplan des Haushaltsplans pauschal bereitgestellt werden. Örtlicher Bediensteter kann in Ausnahmefällen auch ein Bediensteter sein, der für ausführende Aufgaben bei den Presse- und Informationsstellen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingestellt worden ist.

    Bei Dienstorten, die außerhalb der Länder der Gemeinschaft liegen, kann ein Bediensteter, der zur Verrichtung anderer als der in Absatz 1 genannten Tätigkeiten eingestellt wird, die im dienstlichen Interesse weder einem Beamten noch einem anderen der in Artikel 1 genannten Bediensteten übertragen werden können, als örtlicher Bediensteter betrachtet werden.“

    11     Artikel 79 BSB bestimmt:

    „Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Titels werden die Beschäftigungsbedingungen für die örtlichen Bediensteten, insbesondere:

    a)      die Einzelheiten für ihre Einstellung und ihre Entlassung,

    b)      die Urlaubsregelung und

    c)      die Bezüge

    von jedem Organ auf der Grundlage der Vorschriften und Gepflogenheiten festgelegt, die am Ort der dienstlichen Verwendung des Bediensteten bestehen.“

    12     Nach Artikel 80 BSB übernimmt das Organ die Soziallasten, die nach den am Ort der dienstlichen Verwendung des Bediensteten geltenden Vorschriften auf den Arbeitgeber entfallen.

    13     Artikel 81 BSB sieht vor:

    „1. Streitigkeiten zwischen dem Organ und dem in einem Mitgliedstaat tätigen örtlichen Bediensteten werden dem Gericht unterbreitet, das nach den Rechtsvorschriften des Ortes zuständig ist, in dem der Bedienstete seine Tätigkeit ausübt.

    2. Streitigkeiten zwischen dem Organ und dem in einem Drittland tätigen örtlichen Bediensteten werden unter den Bedingungen, die in der im Vertrag des Bediensteten enthaltenen Schiedsgerichtsklausel festgelegt sind, einer Schiedsinstanz unterbreitet.“

    14     Schließlich bestimmt Artikel 236 EG: „Der Gerichtshof ist für alle Streitsachen zwischen der Gemeinschaft und deren Bediensteten innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der Bedingungen zuständig, die im Statut der Beamten festgelegt sind oder sich aus den Beschäftigungsbedingungen für die Bediensteten ergeben.“

     Nationale Steuerregelung und Rechtsprechung

    15     Die Bundesabgabenordnung (BAO) sieht vor, dass die Abgabenbehörden bei der Regelung von Steuerfragen nicht auf eine formale Betrachtung des Sachverhalts, sondern auf seinen wahren Gehalt abzustellen haben. So bestimmt § 21 Abs. 1 BAO, dass für die Beurteilung abgabenrechtlicher Fragen in wirtschaftlicher Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts maßgebend ist.

    16     Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Abgabenbehörden das Recht, einen Arbeitsvertrag eigenständig auf der Grundlage seines wahren Gehalts einzustufen.

     Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    17     Aus den Akten ergibt sich, dass Herr AB, der Berufungswerber des Ausgangsverfahrens und deutscher Staatsangehöriger, seit 1982 als örtlicher Bediensteter bei der Kommission tätig ist. Er begann seinen Dienst bei der Ständigen Vertretung der Kommission bei den Internationalen Organisationen in Genf (Schweiz). 1987 wurde er zur Delegation der Kommission in Wien versetzt, und seit dem Beitritt der Republik Österreich zu den Gemeinschaften am 1. Jänner 1995 ist seine Dienststelle die Vertretung der Kommission in Wien. Mit Vertrag vom 1. Juli 1994, der am 1. Mai 1994 in Kraft trat, wurde er auf unbefristete Zeit als örtlicher Bediensteter für Entwurfs-, Planungs- und Kontrolltätigkeiten in der Eigenschaft als Presseattaché bei der Delegation, später der Vertretung der Kommission in Wien eingestellt und in Gruppe I/Stufe 35 eingestuft.

    18     Laut vorlegendem Gericht übte der Kläger des Ausgangsverfahrens von Jänner 1995 bis März 1998 Tätigkeiten aus, die über die in Artikel 4 Absatz 1 BSB für örtliche Bedienstete vorgesehenen Tätigkeiten hinausgingen, da diese nicht mit Tätigkeiten der Gruppen I und II, die den Kategorien A und B des Statuts entsprechen, betraut werden dürfen. Aus den Akten ergibt sich auch, dass der Arbeitsvertrag des Betroffenen durch Nachtrag vom 4. Juli 1997 mit seiner Zustimmung geändert und er in die Gruppe III/Stufe 35 eingestuft wurde, die der Kategorie C des Statuts entspricht.

    19     Bis Ende 1994 unterlag der Betroffene aufgrund seiner Beschäftigung bei einer „privilegierten Institution“ im Sinne des österreichischen Steuerrechts nicht der nationalen Einkommensteuer. Die Situation änderte sich jedoch mit dem Beitritt der Republik Österreich zu den Gemeinschaften am 1. Jänner 1995. Am 5. Mai 2000 erließ das Finanzamt Steuerbescheide für die Jahre 1995 bis 1998 und einen Einkommensteuervorauszahlungsbescheid für das Jahr 2000. Gegen diese Bescheide erhob der Betroffene beim Unabhängigen Finanzsenat Berufung und machte geltend, die tatsächlich von ihm ausgeübten Tätigkeiten entsprächen in Wirklichkeit nicht den Tätigkeiten, die das Gemeinschaftsrecht den örtlichen Bediensteten zuweise.

    20     Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich im Einzelnen, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens geltend macht, aufgrund der von ihm ausgeübten Tätigkeiten hätte er nicht als örtlicher Bediensteter, sondern als Bediensteter auf Zeit oder als Hilfskraft im Sinne der Artikel 8 bis 50a und 51 bis 78 BSB eingestuft werden und in den Genuss der Bestimmungen des Artikels 13 des Protokolls kommen müssen, wonach er von innerstaatlichen Steuern auf die von den Gemeinschaften gezahlten Gehälter, Löhne und Bezüge befreit gewesen wäre. Im Einklang mit der BAO und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hätte das Finanzamt daher die wahre Natur seiner Tätigkeiten prüfen müssen und ihn nicht der nationalen Einkommensteuer unterwerfen dürfen, da diese Tätigkeiten denen der Laufbahngruppe A des Statuts entsprächen, die normalerweise von der Gemeinschaftsteuer unterliegenden Bediensteten auf Zeit oder von Hilfskräften ausgeübt würden.

    21     Das Finanzamt ist der Ansicht, es sei Sache des betreffenden Gemeinschaftsorgans, die für seine Bediensteten geltende Beschäftigungsregelung festzulegen. Diese Meinung wird vom Unabhängigen Finanzsenat geteilt, der den Standpunkt vertritt, dass die für einen Bediensteten geltende Beschäftigungsregelung sich ausschließlich aus dem betreffenden Anstellungsvertrag ergebe. Der Kläger hätte daher die Rechtmäßigkeit seines Arbeitsvertrags durch den Gerichtshof kontrollieren lassen können oder müssen.

    22     Da der Unabhängige Finanzsenat, Außenstelle Wien, der Ansicht ist, dass die geschilderte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur völligen Steuerfreiheit des Betroffenen sowohl auf nationaler als auch auf Gemeinschaftsebene führen könnte, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:

    1.      Steht Artikel 13 Absatz 1 des Protokolls nur dann der Besteuerung von Gehältern, Löhnen und anderen Bezügen, welche die Gemeinschaften ihren Beamten und sonstigen Bediensteten zahlen, in den Mitgliedstaaten entgegen, wenn die Europäischen Gemeinschaften von dem ihnen zustehenden Besteuerungsrecht Gebrauch machen?

    2.      Steht Artikel 16 Absatz 2 des Protokolls nur dann der Besteuerung von Gehältern, Löhnen und anderen Bezügen, welche die Gemeinschaften ihren Beamten und sonstigen Bediensteten zahlen, in den Mitgliedstaaten entgegen, wenn der Beamte oder sonstige Bedienstete in einer Mitteilung im Sinne des genannten Artikels angeführt ist, und berechtigt eine auf Grundlage dieses Artikels ergangene Mitteilung die Abgabenbehörden des Mitgliedstaats automatisch, hinsichtlich der in dieser Mitteilung nicht genannten Beamten und sonstigen Bediensteten, sohin hinsichtlich jener Bediensteten, welche die Europäischen Gemeinschaften als örtliche Bedienstete betrachten, das nationale Besteuerungsrecht auszuüben?

     Zu den Vorlagefragen

    23     Da die beiden vorgelegten Fragen eng miteinander verknüpft sind, sind sie gemeinsam zu prüfen.

    24     In ihren oben wiedergegebenen rechtlichen und tatsächlichen Kontext gestellt lassen diese Fragen erkennen, dass das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen möchte, ob die Entscheidung eines Gemeinschaftsorgans über den Status eines seiner Bediensteten und die für ihn geltende Beschäftigungsregelung für die nationalen Verwaltungs- und Justizbehörden bei der Anwendung der Artikel 13 und 16 des Protokolls bindend ist, so dass diese keine eigenständige Einstufung des fraglichen Beschäftigungsverhältnisses vornehmen können.

    25     Die Artikel 11 des Statuts und der BSB sehen sowohl in ihrer vor dem 1. Mai 2004 als auch in der nach diesem Tag (dem Datum des Inkrafttretens des neuen Statuts) gültigen Fassung vor, dass der Beamte oder Bedienstete sich bei der Ausübung seines Amtes und in seinem Verhalten „ausschließlich von den Interessen der Gemeinschaften leiten zu lassen [hat]; er darf von keiner Regierung, Behörde, Organisation oder Person außerhalb seines Organs Weisungen anfordern oder entgegennehmen“.

    26     Artikel 2 des Statuts und Artikel 6 BSB enthalten sowohl in ihrer vor dem 1. Mai 2004 als auch in der nach diesem Tag gültigen Fassung u. a. den Grundsatz der funktionellen Autonomie der Gemeinschaftsorgane bezüglich der Auswahl ihrer Beamten und Bediensteten, indem sie festlegen, dass jedes Organ bestimmt, wer in seinem Dienstbereich die der Anstellungsbehörde im Statut übertragenen Befugnisse ausübt oder wer ermächtigt ist, Dienstverträge mit den sonstigen Bediensteten zu schließen.

    27     Diese institutionelle und funktionelle Autonomie wird u. a. durch die Verleihung der zur Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaftsorgane erforderlichen Vorrechte und Befreiungen auf der Grundlage höherrangigen Rechts, nämlich des Protokolls, gewährleistet. So ist dort vorgesehen, dass bestimmte Gruppen von Beamten und sonstigen Bediensteten der Organe, die allein vom Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der anderen betroffenen Organe festgelegt werden, einer Steuer zugunsten der Gemeinschaften auf die von diesen gezahlten Gehälter, Löhne und anderen Bezüge unterliegen und gleichzeitig von innerstaatlichen Steuern auf diese Gehälter, Löhne und Bezüge befreit sind (Artikel 13 und 16 des Protokolls).

    28     Aus diesen Grundsätzen und dem dargestellten rechtlichen Rahmen ergibt sich, dass die Gemeinschaftsorgane im Rahmen der Bestimmungen des Statuts und der BSB sowie der haushaltlichen Gegebenheiten über einen weiten Ermessensspielraum und Autonomie bezüglich der Schaffung einer Beamten- oder Bedienstetenstelle, bezüglich der Auswahl des Beamten oder Bediensteten zur Besetzung der geschaffenen Stelle und bezüglich der Art des Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Organ und dem Bediensteten verfügen.

    29     Außerdem ist, wie der Generalanwalt in Nummer 16 seiner Schlussanträge festgestellt hat, allein der Rat auf der Grundlage des Artikels 16 des Protokolls für die Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs des in Artikel 13 des Protokolls verankerten Steuersystems zuständig.

    30     Die Autonomie der Gemeinschaftsorgane wird auch dadurch hervorgehoben, dass nach Artikel 79 BSB die Beschäftigungsbedingungen der örtlichen Bediensteten und insbesondere die Einzelheiten für ihre Einstellung von dem betreffenden Gemeinschaftsorgan festgelegt werden. Da der in dieser Vorschrift enthaltene Ausdruck „Einzelheiten für ihre Einstellung“ die Festlegung des Rechtsverhältnisses der betroffenen Bediensteten umfasst, schließt diese Norm es aus, dass die Festlegung des Rechtsverhältnisses durch nichtgemeinschaftliche Stellen erfolgen kann.

    31     Dieses Ergebnis wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes bestätigt, nach der die Einstufung als Beamter oder Bediensteter nur durch einen formellen Rechtsakt des betreffenden Organs und nicht durch eine Entscheidung einer nationalen Verwaltungs- oder Justizbehörde erfolgen kann. Dies würde nämlich einen Eingriff in den autonomen Bereich der Gemeinschaftsorgane darstellen (Urteile vom 11. März 1975 in der Rechtssache 65/74, Porrini u. a., Slg. 1975, 319, Randnr. 15 und Nr. 2 des Tenors, und vom 3. Oktober 1985 in der Rechtssache 232/84, Tordeur u. a., Slg. 1985, 3223, Randnrn. 27 und 28).

    32     Die rechtlichen Regelungen für Beamte, Bedienstete auf Zeit und Hilfskräfte einerseits und für örtliche Bedienstete andererseits unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Rechtsnatur grundlegend voneinander. Während die Dienstverhältnisse der Beamten, Bediensteten auf Zeit und Hilfskräfte ausschließlich vom Gemeinschaftsrecht bestimmt werden und die Rechtsstreitigkeiten, zu denen diese Beschäftigungsverhältnisse führen können, in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichte fallen, unterliegen die Beschäftigungsverhältnisse der örtlichen Bediensteten einer Regelung mit gemischtem Charakter, der sowohl gemeinschaftliche als auch nationale Quellen zugrunde liegen, und die Rechtsstreitigkeiten, zu denen diese Beschäftigungsverhältnisse führen können, fallen in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte. Schließlich kommen die örtlichen Bediensteten nicht in den Genuss der Befreiung von den innerstaatlichen Steuern auf die von den Gemeinschaften gezahlten Gehälter, Löhne und Bezüge.

    33     Die Regelung für die Bediensteten auf Zeit und die Hilfskräfte entspricht weitgehend der Regelung für die Beamten. Sowohl die Bediensteten auf Zeit als auch die Hilfskräfte unterliegen im Wesentlichen den gleichen Anforderungen bezüglich ihrer Einstellungsbedingungen, haben dieselben Rechte und Pflichten wie jene, die in den Artikeln 11 bis 25 des Statuts für die Beamten vorgesehen sind, unterliegen derselben Arbeitszeitregelung, haben im Wesentlichen dieselben Urlaubsansprüche und verfügen schließlich, weil sie von derselben Regelung erfasst werden, über dieselben Rechtsschutzmöglichkeiten vor den Gemeinschaftsgerichten.

    34     Angesichts der Unvereinbarkeit zwischen der Regelung für Beamte, Bedienstete auf Zeit und Hilfskräfte einerseits und der für örtliche Bedienstete andererseits wird nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes mit der Ernennung eines örtlichen Bediensteten zum Beamten, Bediensteten auf Zeit oder Hilfskraft sein vorheriges Beschäftigungsverhältnis ohne weiteres beendet; umgekehrt stellt die Wiederaufnahme seiner früheren Tätigkeiten ein neues Beschäftigungsverhältnis und nicht die Fortsetzung des früheren Dienstverhältnisses dar (vgl. Urteil vom 25. Juni 1981 in der Rechtssache 105/80, Desmedt, Slg. 1981, 1701, Randnr. 15 und Tenor). Falls also das Beschäftigungsverhältnis des Klägers des Ausgangsverfahrens das eines Bediensteten auf Zeit oder einer Hilfskraft wäre, so müsste es als Neueinstellung eingestuft werden, was es nach den Urteilen Porrini u. a. und Tordeur u. a. ausschließen würde, dass eine solche Neueinstellung durch einen Rechtsakt einer nichtgemeinschaftlichen Stelle bewirkt werden könnte.

    35     Die Einstufung einer Person durch die zuständige Stelle eines Gemeinschaftsorgans als „örtlicher Bediensteter“ und die Rechtsnatur des im Anstellungsvertrag des betreffenden Bediensteten festgelegten Beschäftigungsverhältnisses können nicht durch eine eigenständige Beurteilung einer nationalen Verwaltungs- oder Justizbehörde in Frage gestellt werden. Andernfalls würde nämlich einer nationalen Stelle die Befugnis eingeräumt, in den autonomen Bereich der Gemeinschaftsorgane einzugreifen und die Rechtsnatur des Anstellungsvertrags eines ihrer Bediensteten zu bestimmen, was einen Eingriff im Sinne der in Randnummer 31 dieses Urteils zitierten Rechtsprechung darstellen würde.

    36     Im Rahmen des dem betreffenden Bediensteten zustehenden effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes muss es diesem zwar möglich sein, die Einstufung der für ihn geltenden Beschäftigungsregelung im Hinblick auf die Bestimmungen des BSB anzufechten. Die ausschließliche Zuständigkeit dafür muss aber bei den Gemeinschaftsgerichten liegen, da die Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der zuständigen Stelle eines Gemeinschaftsorgans, mit der die Einstufung als Beamter oder Bediensteter erfolgt und mit der die Rechtsnatur seines Beschäftigungsverhältnisses durch den Abschluss des entsprechenden Vertrages festgelegt wird, nicht in die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts fallen kann.

    37     Die nationalen Gerichte bleiben ihrerseits gemäß Artikel 81 BSB für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über die Beschäftigungsbedingungen für die örtlichen Bediensteten nach Artikel 79 BSB zuständig. Der Rechtsakt eines Gemeinschaftsorgans zur Festlegung des Rechtsverhältnisses eines seiner Bediensteten kann vor diesen Gerichten aber nicht in Frage gestellt werden.

    38     Abschließend ist festzustellen, dass die im Protokoll getroffene Regelung, wonach die Beamten und bestimmte Bedienstete der Gemeinschaften lediglich einer Steuer zugunsten der Gemeinschaften unterliegen, nur der Stärkung der Autonomie der Gemeinschaftsorgane dient und die Befreiung der sonstigen Bediensteten von den Abgaben, die das an ihrem Dienstort geltende Steuerrecht vorsieht, weder bezweckt noch bewirkt.

    39     Aus diesen Gründen ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass die Entscheidung eines Gemeinschaftsorgans über den Status eines ihrer Bediensteten und die für ihn geltende Beschäftigungsregelung für die nationalen Verwaltungs- und Justizbehörden bei der Anwendung der Artikel 13 und 16 des Protokolls bindend ist, so dass diese keine eigenständige Einstufung des fraglichen Dienstverhältnisses vornehmen können.

     Kosten

    40     Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

    Die Entscheidung eines Gemeinschaftsorgans über den Status eines ihrer Bediensteten und die für ihn geltende Beschäftigungsregelung ist für die nationalen Verwaltungs- und Justizbehörden bei der Anwendung der Artikel 13 und 16 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften bindend, so dass diese keine eigenständige Einstufung des fraglichen Dienstverhältnisses vornehmen können.

    Unterschriften.


    * Verfahrenssprache: Deutsch.

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