Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.
Dokument 61992CC0092
Opinion of Mr Advocate General Jacobs delivered on 30 June 1993. # Phil Collins v Imtrat Handelsgesellschaft mbH and Patricia Im- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH and Leif Emanuel Kraul v EMI Electrola GmbH. # References for a preliminary ruling: Landgericht München I and Bundesgerichtshof - Germany. # Article 7 of the Treaty - Copyright and related rights. # Joined cases C-92/92 and C-326/92.
Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 30. Juni 1993.
Phil Collins gegen Imtrat Handelsgesellschaft mbH und Patricia Im- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH und Leif Emanuel Kraul gegen EMI Electrola GmbH.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Landgericht München I und Bundesgerichtshof - Deutschland.
Artikel 7 EWG-Vertrag - Urheberrecht und verwandte Schutzrechte.
Verbundene Rechtssachen C-92/92 und C-326/92.
Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 30. Juni 1993.
Phil Collins gegen Imtrat Handelsgesellschaft mbH und Patricia Im- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH und Leif Emanuel Kraul gegen EMI Electrola GmbH.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Landgericht München I und Bundesgerichtshof - Deutschland.
Artikel 7 EWG-Vertrag - Urheberrecht und verwandte Schutzrechte.
Verbundene Rechtssachen C-92/92 und C-326/92.
Sammlung der Rechtsprechung 1993 I-05145
ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:1993:276
SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS
FRANCIS G. JACOBS
vom 30. Juni 1993 ( *1 )
Herr Präsident,
meine Herren Richter!
1. |
Zwei deutsche Gerichte haben den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Fragen ersucht, ob das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrags fallen und ob ein Mitgliedstaat, der es seinen eigenen Angehörigen ermöglicht, gegen die ungenehmigte Vervielfältigung ihrer musikalischen Darbietungen vorzugehen, gemäß dem in Artikel 7 EWG-Vertrag niedergelegten Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten denselben Schutz gewähren muß. |
Rechtssache C-92/92
2. |
Der Kläger in der Rechtssache C-92/92 ist Phil Collins, ein Sänger und Komponist, der die britische Staatsangehörigkeit besitzt. Die Beklagte — die Imtrat Handelsgesellschaft mbH (im folgenden: Imtrat) — stellt Tonträger ( 1 ) her. Herr Collins gab 1983 in Kalifornien ein Konzert, von dem ohne seine Zustimmung Aufnahmen gemacht wurden. Vervielfältigungen der Aufnahme wurden von der Imtrat in Deutschland als Compact Disc unter dem Titel „Live and Alive“ verkauft. Herr Collins beantragte beim Landgericht München I eine einstweilige Verfügung, nach der der Imtrat der Vertrieb dieser Aufnahmen in Deutschland verboten wird und sie die in ihrem Besitz befindlichen Kopien an einen Gerichtsvollzieher als Sequester herauszugeben hat. |
3. |
Besäße Herr Collins die deutsche Staatsangehörigkeit, wäre seinem Antrag zweifellos stattgegeben worden. Nach § 75 des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG — BGBl. 1965 I S. 1273) darf die Darbietung des ausübenden Künstlers nur mit seiner Einwilligung aufgenommen und dürfen die Aufnahmen nur mit seiner Einwilligung vervielfältigt werden. Nach § 125 Absatz 1 UrhG genießen deutsche Staatsangehörige unter anderem den nach § 75 gewährten Schutz für alle ihre Darbietungen, gleichviel, wo diese stattfinden. Ausländische Staatsangehörige haben nach dem Urheberrechtsgesetz jedoch weniger weitgehende Rechte. Nach § 125 Absatz 2 genießen sie den Schutz für Darbietungen, die in Deutschland stattfinden, und nach § 125 Absatz 5 genießen sie den Schutz nach Inhalt der Staatsverträge. Das Landgericht München I weist auf das Rom-Abkommen vom 26. Oktober 1961 über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen hin, folgert aber aus dessen Wortlaut, daß Deutschland ausländischen ausübenden Künstlern dieselbe Behandlung wie den eigenen Staatsangehörigen nur in bezug auf Darbietungen gewähren müsse, die im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats stattfänden; da die Vereinigten Staaten dem Rom-Abkommen nicht beigetreten seien, könne sich Herr Collins unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht auf § 125 Absatz 5 UrhG berufen. Herr Collins machte jedoch geltend, daß er nach Artikel 7 EWG-Vertrag Anspruch auf dieselbe Behandlung wie ein deutscher Staatsangehöriger habe. Das Landgericht München I hat daher beschlossen, dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:
|
Rechtssache C-326/92
4. |
Die Klägerin und Revisionsbeklagte in der Rechtssache C-326/92 — die EMI Electrola GmbH (im folgenden: EMI Electrola) —, die Tonträger herstellt und vertreibt, ist für den Bereich Deutschland Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an Aufnahmen bestimmter Darbietungen des britischen Sängers Cliff Richard. Die Beklagten und Revisionskläger sind die Patricia Im- und Export Verwaltungsgesellschaft mbH (im folgenden: Patricia), ein Unternehmen, das Tonträger vertreibt, und Herr L. E. Kraul, ihr Geschäftsführer. EMI Electrola klagte gegen Patricia und Herrn Kraul (sowie gegen weitere Personen) auf Unterlassung der Verletzung ihrer ausschließlichen Rechte an Aufnahmen bestimmter Darbietungen von Cliff Richard. Die Aufnahmen wurden erstmals in den Jahren 1958 und 1959 im Vereinigten Königreich veröffentlicht, offenbar von einem britischen Hersteller von Tonträgern, dem Cliff Richard seine Rechte als ausübender Künstler an den Aufnahmen übertragen hatte. Dieses Unternehmen übertrug die Rechte später auf EMI Electrola. |
5. |
Das Landgericht gab dem Antrag der EMI Electrola statt, und diese Entscheidung wurde in der Berufungsinstanz bestätigt. Patricia und Herr Kraul legten Revision beim Bundesgerichtshof ein, der der Auffassung ist, daß EMI Electrola nach deutschem Recht einen Unterlassungsanspruch hätte, wenn Cliff Richard die deutsche Staatsangehörigkeit besäße; da er Brite sei, habe sie diesen Anspruch aber nicht. Aus dem Vorlagebeschluß geht nicht eindeutig hervor, wie oder weshalb der Bundesgerichtshof zu der Auffassung gelangt ist, daß das deutsche Recht eine solche unterschiedliche Behandlung vorsieht. Der Grund liegt offenbar darin, daß die fraglichen Darbietungen vor dem 21. Oktober 1966 stattfanden, an dem das Rom-Abkommen in Deutschland in Kraft trat, und daß Deutschland nach dem Rom-Abkommen den ausländischen ausübenden Künstlern „Inländerbehandlung“ nur in bezug auf Darbietungen gewähren muß, die nach diesem Datum stattfinden ( 2 ). |
6. |
Jedenfalls ist unstreitig, daß das deutsche Recht eine unterschiedliche Behandlung kennt, die von der Staatsangehörigkeit des ausübenden Künstlers abhängt. Der Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof daher folgende Fragen vorgelegt: Unterfällt das nationale Urheberrecht eines Mitgliedstaats dem Diskriminierungsverbot des Artikels 7 Absatz 1 EWG-Vertrag? Im Falle der Bejahung: Ist die in einem Mitgliedstaat für den Schutz künstlerischer Darbietungen bestehende Regelung (§ 125 Absätze 2 bis 6 des deutschen Urheberrechtsgesetzes) mit Artikel 7 Absatz 1 EWG-Vertrag vereinbar, wenn sie den Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats nicht dieselben Schutzmöglichkeiten (Inlandsschutz) wie inländischen Künstlern gewährt? |
Die sich in beiden Rechtssachen stellenden Fragen
7. |
Beide Rechtssachen werfen im wesentlichen die gleichen Fragen auf: a) Ist es mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit Artikel 7 EWG-Vertrag, vereinbar, wenn ein Mitgliedstaat in bezug auf Darbietungen seiner Staatsangehörigen einen weitergehenden Schutz gewährt als in bezug auf Darbietungen von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, und b) wenn eine solche unterschiedliche Behandlung nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, entfalten die einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts unmittelbare Wirkung in dem Sinn, daß ein ausübender Künstler, der die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, in einem Verfahren gegen eine Person, die ungenehmigte Aufnahmen von seinen Darbietungen vermarktet, dieselben Rechte geltend machen kann wie ein Angehöriger des betreffenden Mitgliedstaats? |
8. |
Ich weise nebenbei darauf hin, daß, obwohl sich die vorlegenden Gerichte auf das Urheberrecht beziehen, die Rechtssachen tatsächlich nicht das Urheberrecht im eigentlichen Sinn betreffen, sondern bestimmte verwandte Schutzrechte, die sogenannten Rechte der ausübenden Künstler. |
Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit
9. |
Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist bei weitem der wichtigste Grundsatz des Gemeinschaftsrechts. Es ist das Leitmotiv des EWG-Vertrags. Es ist in Artikel 7 EWG-Vertrag allgemein niedergelegt, dessen Absatz 1 lautet: „Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“ Dieses allgemeine Verbot der Diskriminierung wird in anderen, spezielleren Vorschriften des EWG-Vertrags näher ausgestaltet. So erlaubt Artikel 36 bestimmte Beschränkungen des freien Warenverkehrs, sofern sie keine „willkürliche Diskriminierung“ oder verschleierte Beschränkung des Handels darstellen. Artikel 48 Absatz 2 verlangt die „Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen“. Nach Artikel 52 Absatz 2 können Angehörige eines Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben „nach den Bestimmungen des Aufnahme-Staats für seine eigenen Angehörigen“. Nach Artikel 60 Absatz 3 kann ein Leistender zwecks Erbringung seiner Leistung seine Tätigkeit vorübergehend in dem Staat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, „und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt“. |
10. |
Es ist unschwer zu erkennen, weshalb die Urheber des Vertrages dem Diskriminierungsverbot so große Bedeutung beigemessen haben. Das grundlegende Ziel des Vertrages besteht darin, eine integrierte Wirtschaft zu erreichen, in der sich die Produktionsfaktoren ebenso wie die Erzeugnisse frei und ungestört bewegen können, wodurch es zu einer wirksameren Aufteilung der Mittel und zu einer verbesserten Arbeitsteilung kommen soll. Das größte Hindernis für die Verwirklichung dieses Zieles waren die zahllosen diskriminierenden Bestimmungen und Praktiken, mit denen die nationalen Regierungen üblicherweise ihre Erzeuger und Arbeitnehmer vor ausländischer Konkurrenz schützten. Wenn die Abschaffung diskriminierender Bestimmungen und Praktiken für sich allein auch nicht ausreichen mag, den nach dem Vertrag angestrebten hohen Stand der wirtschaftlichen Integration zu erreichen, so stellt sie dafür doch eindeutig eine wesentliche Vorbedingung dar. |
11. |
Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist auch insofern von großer symbolischer Bedeutung, als es zeigt, daß die Gemeinschaft nicht nur eine wirtschaftliche Vereinbarung zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten ist, sondern ein gemeinsames Unternehmen, an dem alle Bürger Europas als einzelne teilhaben können. Die Angehörigen eines jeden Mitgliedstaats sind berechtigt, in anderen Mitgliedstaaten unter denselben Bedingungen zu leben, zu arbeiten und unternehmerisch tätig zu sein wie die einheimische Bevölkerung. Sie dürfen nicht einfach als Fremde toleriert, sondern müssen von den Behörden des Gaststaats als Gemeinschaftsangehörige aufgenommen werden, die „im Anwendungsbereich des Vertrages“ Anspruch auf alle Privilegien und Vorteile haben, die für die Angehörigen des Gaststaats bestehen. Kein anderer Aspekt des Gemeinschaftsrechts berührt den einzelnen unmittelbarer oder trägt mehr dazu bei, das Gefühl einer gemeinsamen Identität und eines gemeinsamen Schicksals zu fördern, ohne das der in der Präambel des Vertrages proklamierte „immer engere Zusammenschluß der europäischen Völker“ eine leere Phrase wäre. |
12. |
Über das Verhältnis von Artikel 7 zu den anderen Vorschriften des Vertrages, die Ausprägungen des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sind (z. B. die Artikel 48 Absatz 2, 52 Absatz 2 und 60 Absatz 3), ist viel geschrieben worden. Außerdem ist zu diesem Verhältnis reichlich Rechtsprechung ergangen. Man ist sich wohl allgemein darin einig, daß auf Artikel 7 nur zurückzugreifen ist, wenn keine der spezielleren Vorschriften zum Diskriminierungsverbot einschlägig ist ( 3 ). Eine der Hauptfunktionen von Artikel 7 besteht somit darin, die Lücken zu füllen, die die spezielleren Vertragsvorschriften lassen ( 4 ). |
13. |
Bisweilen wird gesagt, daß Bestimmungen, wenn sie mit den speziellen Artikeln des Vertrages, die die Diskriminierung verbieten, vereinbar sind, auch mit Artikel 7 vereinbar seien ( 5 ). Es wäre vielleicht richtiger, zu sagen, daß eine nationale Vorschrift, wenn sie in einer Weise diskriminiert, die nach einer der spezielleren Artikel des Vertrages ausdrücklich erlaubt ist, nicht gegen Artikel 7 verstoßen kann. Da nach Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag Angehörige anderer Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen von der Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung ausgeschlossen werden können, kann eine solche Praxis somit nicht gegen Artikel 7 verstoßen, obgleich sie offensichtlich diskriminierend ist. Es wäre jedoch falsch, zu sagen, daß eine Bestimmung, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten diskriminiert, nicht gegen Artikel 7 verstoßen kann, nur weil sie nicht von den speziellen Artikeln 48, 52, 59 und 60 EWG-Vertrag erfaßt wird. Andernfalls hätte Artikel 7 keine lückenfüllende Funktion mehr. |
14. |
Unter den Umständen der vorliegenden Rechtssachen glaube ich, daß es nicht notwendig ist, das Verhältnis zwischen dem allgemeinen Verbot des Artikels 7 und den spezielleren Verboten, die an anderen Stellen niedergelegt sind, weiter zu vertiefen. Es steht außer Zweifel, daß sich Artikel 7 — allein oder in Verbindung mit anderen Vorschriften des Vertrages — dahin auswirkt, daß Angehörige eines Mitgliedstaats berechtigt sind, in einem anderen Mitgliedstaat jede rechtmäßige Form von wirtschaftlicher Betätigung unter den gleichen Bedingungen auszuüben wie die Angehörigen dieses anderen Mitgliedstaats. |
15. |
Diese einfache Bemerkung dürfte für sich allein ausreichen, um die grundlegenden Fragen zu lösen, die die vorliegenden Rechtssachen aufwerfen. Soweit die Immaterialgüterrechte ihrem Inhaber dabei helfen, von den wirtschaftlichen Freiheiten des Vertrages, insbesondere der Artikel 30, 52 und 59, Gebrauch zu machen, muß ein Mitgliedstaat den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten im gleichen Umfang Schutz gewähren wie seinen eigenen Angehörigen. Wenn ein Mitgliedstaat zum Beispiel Patente nur seinen eigenen Angehörigen erteilen und es ablehnen würde, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Patente zu erteilen, könnte nicht ernsthaft behauptet werden, daß eine derartige Praxis mit dem Vertrag vereinbar sei. |
16. |
Tatsächlich wurde diese Art der Diskriminierung vom Rat 1961 in dem Allgemeinen Programm zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs ( 6 ) und in dem Allgemeinen Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit ( 7 ) ausdrücklich beim Namen genannt. Beide Programme fordern die Aufhebung von „Vorschriften und Praktiken, die allein für Ausländer die Befugnis zur Ausübung der normalerweise mit der Erbringung von Dienstleistungen [oder mit einer selbständigen Tätigkeit] verbundenen Rechte ausschließen, beschränken oder von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, und zwar insbesondere die Befugnis: ... Immaterialgüterrechte (geistiges Eigentum) und die damit verbundenen Rechte zu erwerben, zu nutzen oder darüber zu verfügen“ ( 8 ). Es sei darauf hingewiesen, daß die Allgemeinen Programme „für die Verwirklichung der betreffenden Bestimmungen des Vertrages nützliche Anhaltspunkte [geben]“ ( 9 ). |
17. |
Für den Inhaber von Immaterialgüterrechten gibt es viele Wege, auf denen er diese Rechte unter Inanspruchnahme der durch den Vertrag garantierten wirtschaftlichen Freiheiten ausüben kann. Ein ausübender Künstler kann zum Beispiel Tonträger mit seiner Darbietung in seinem Heimatland herstellen lassen und diese Ware in einen anderen Mitgliedstaat ausführen; dieser Fall wird von Artikel 30 erfaßt. Oder er kann in diesem anderen Mitgliedstaat eine Gesellschaft gründen oder eine Zweigniederlassung eröffnen und Tonträger dort für den Verkauf in diesem Land herstellen lassen; in diesem Fall übt er sein Niederlassungsrecht nach Artikel 52 aus. Oder er kann schließlich — und dies ist zweifellos die gängigste Methode der Verwertung von Rechten ausübender Künstler, von der auch in den vorliegenden Rechtssachen Gebrauch gemacht wurde — einem anderen gestatten, Tonträger mit seiner Darbietung in dem anderen Mitgliedstaat herzustellen und zu verkaufen; in diesem Fall wird er zweifellos Tantiemen für jeden Verkauf erhalten, und er wird weitere Tantiemen dadurch erhalten, daß er eine Gesellschaft zur Wahrnehmung von Urheberrechten (oder, genauer, eine Gesellschaft zur Wahrnehmung von Rechten ausübender Künstler) ermächtigt, die öffentliche Aufführung seiner Aufnahmen zu erlauben. Diese Lizenztätigkeiten stellen grenzüberschreitende Dienstleistungen dar, die als solche unter Artikel 59 EWG-Vertrag fallen. |
18. |
Welchen Weg ein ausübender Künstler für die Verwertung seiner Darbietungen zur Erzielung kommerzieller Gewinne in einem anderen Mitgliedstaat auch wählt, er befindet sich stets in einer Situation, die vom Gemeinschaftsrecht erfaßt wird. Damit befindet er sich „im Anwendungsbereich des Vertrages“ und kann sich auf das in Artikel 7 EWG-Vertrag niedergelegte Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit berufen. Tatsächlich ist der Gerichtshof noch viel weiter gegangen. Er hat entschieden, daß ein Tourist, der in einen anderen Mitgliedstaat reist, als Dienstleistungsempfänger eine Regelung für die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten zu den gleichen Bedingungen in Anspruch nehmen kann wie die Angehörigen dieses Mitgliedstaats ( 10 ); er hat ferner entschieden, daß von einer Person, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um eine Berufsausbildung zu erhalten, nicht die Zahlung einer Einschreibegebühr verlangt werden kann, wenn von Angehörigen dieses Mitgliedstaats keine solche Gebühr erhoben wird ( 11 ); und er hat außerdem entschieden, daß ein Wanderarbeitnehmer in einem Strafverfahren in bezug auf die Verfahrenssprache Anspruch auf die gleiche Behandlung hat wie ein Angehöriger des Gastlandes ( 12 ). Es wäre sonderbar, wenn diejenigen, die die durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten ausüben, in bezug auf Angelegenheiten, die — wenn sie auch nicht ohne Bedeutung sind — peripher und im wesentlichen nichtwirtschaftlicher Art sind, Anspruch auf Gleichbehandlung hätten, ihnen aber im Bereich der Immaterialgüterrechte, die von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sind, die Gleichbehandlung versagt würde. |
19. |
An der wirtschaftlichen Bedeutung des ausschließlichen Rechts des ausübenden Künstlers, die Vervielfältigung und den Vertrieb von Aufnahmen seiner Darbietung zu genehmigen, besteht sicherlich kein Zweifel. Die Ausübung dieses Rechts ist für die kommerzielle Verwertung einer Darbietung unentbehrlich. Der Verkauf ungenehmigter Aufnahmen schädigt den ausübenden Künstler in zweierlei Hinsicht: erstens, weil er für solche Aufnahmen, deren Verkauf zwangsläufig die Nachfrage nach seinen genehmigten Aufnahmen zurückgehen läßt, da die Kaufkraft auch des gierigsten Schallplattensammlers begrenzt ist, keine Tantiemen erhält, und zweitens, weil er die Qualität der Aufnahmen nicht mehr kontrollieren kann, die, wenn sie technisch minderwertig ist, sein Ansehen beeinträchtigen kann. Der letztgenannte Punkt wurde vehement, aber vergeblich von dem „weltberühmten österreichischen Dirigenten“ geltend gemacht, der in dem oben (unter Punkt 5) genannten „Zauberflöte“-Fall den Verkauf von ungenehmigten Aufnahmen nicht verhindern konnte. |
20. |
Rechte ausübender Künstler spielen auch im Bereich des Verbraucherschutzes eine Rolle: Der Verbraucher geht zweifellos davon aus, daß Aufnahmen von wohlbekannten, lebenden ausübenden Künstlern nicht ohne deren Genehmigung veröffentlicht werden und daß diese Künstler ihr Ansehen nicht dadurch gefährden würden, daß sie den Vertrieb von qualitativ schlechten Aufnahmen genehmigen; diese eingeschränkte Qualitätsgarantie entfällt vollständig, wenn Aufnahmen ohne Zustimmung des ausübenden Künstlers vertrieben werden dürfen. Dies macht deutlich, daß die Rechte ausübender Künstler in ganz ähnlicher Weise wirken wie Warenzeichen, deren wirtschaftliche Bedeutung der Gerichtshof in der Rechtssache Hag II ( 13 ) anerkannt hat. |
21. |
Die Beklagten in den vorliegenden Rechtssachen tragen eine Reihe von Argumenten vor, die angeblich zeigen, daß die beanstandeten deutschen Rechtsvorschriften nicht gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verstoßen. Ich werde die Hauptargumente kurz zusammenfassen und darlegen, warum meiner Ansicht nach keines von ihnen überzeugen kann. |
22. |
Beide Beklagte tragen vor, die Diskriminierung liege außerhalb des Anwendungsbereichs des Vertrages. Imtrat gelangt zu dieser Schlußfolgerung, weil die fragliche Darbietung außerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats stattgefunden habe und sich das Bestehen von Immaterialgüterrechten gemäß Artikel 222 EWG-Vertrag nach nationalem Recht richte. Dies kann nicht richtig sein. Der Ort, an dem die eigentliche Darbietung stattfand, ist ohne Bedeutung; worauf es ankommt, ist, daß Phil Collins und seinen Lizenznehmern in offen diskriminierender Weise Schutz verweigert wird, wenn sie versuchen, die Darbietung in einem Mitgliedstaat zu verwerten oder andere daran zu hindern ( 14 ). Das Argument aus Artikel 222 EWG-Vertrag ist in gleicher Weise unhaltbar. Dieser Artikel, der bekanntlich vorsieht, daß der Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt läßt, ermächtigt die Mitgliedstaaten eindeutig nicht dazu, Immaterialgüterrechte in diskriminierender Weise zu gewähren. Genausogut könnte argumentiert werden, daß ein Mitgliedstaat den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten verbieten könnte, Land für gewerbliche Zwecke zu kaufen. |
23. |
Patricia und Herr Kraul tragen vor, daß das Fehlen von Gemeinschaftsvorschriften zur Harmonisierung des Rechts der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte bewirke, daß dieser Bereich vollständig außerhalb des Anwendungsbereichs des Vertrages liege. Dieses Argument kann selbstverständlich nicht durchgreifen. Die Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung ist nicht abhängig von der Harmonisierung nationalen Rechts; im Gegenteil, dem Grundsatz der Inländerbehandlung kommt gerade in Bereichen, in denen noch keine Harmonisierung erreicht ist, besondere Bedeutung zu. |
24. |
Es trifft zu, daß der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, daß sich die Voraussetzungen für die Gewährung von Immaterialgüterrechten mangels einer Rechtsangleichung nach dem nationalen Recht bestimmen (vgl. z. B. das Urteil Thetford ( 15 )). Dies bedeutet aber nicht, daß die Mitgliedstaaten diskriminierende Voraussetzungen für die Gewährung dieser Rechte festlegen können. Dies ergibt sich eindeutig schon aus dem Urteil Thetford (Randnr. 17), in dem der Gerichtshof auf den nichtdiskriminierenden Charakter einer Vorschrift im Recht des Vereinigten Königreichs über die Erteilung von Patenten abgestellt hat, in der er „keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit des Patentanmelders“ erkennen konnte; der Gerichtshof ging eindeutig davon aus, daß ein Patent, das aufgrund einer diskriminierenden Vorschrift erteilt wurde, nicht geltend gemacht werden kann, um eine Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten nach Artikel 36 EWG-Vertrag zu rechtfertigen. Außerdem hat der Rat in den (unter Punkt 16) bereits angesprochenen Allgemeinen Programmen ebenfalls anerkannt, daß es sich bei der Gewährung und der Ausübung von Immaterialgüterrechten um Angelegenheiten handelt, die in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen und deshalb dem Diskriminierungsverbot unterliegen. |
25. |
In diesem Zusammenhang ist auch das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache GVL/Kommission ( 16 ) von Bedeutung, in dem der Gerichtshof entschieden hat, daß eine Gesellschaft zur Wahrnehmung von Rechten ausübender Künstler unter Verstoß gegen Artikel 86 EWG-Vertrag ihre beherrschende Stellung mißbraucht hatte, indem sie es abgelehnt hatte, die Rechte ausländischer ausübender Künstler ohne Wohnsitz in Deutschland wahrzunehmen. Die Entscheidung der Kommission ( 17 ), um die es in dieser Rechtssache ging, war zum Teil auf Artikel 7 EWG-Vertrag gestützt. Wie die Kommission ausgeführt hat, wäre es äußerst sonderbar, wenn es Unternehmen im Bereich des geistigen Eigentums verboten wäre, aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu diskriminieren, die Mitgliedstaaten aber diskriminierende Rechtsvorschriften weiterhin in Kraft lassen dürften. Das Vereinigte Königreich zitiert ebenfalls das Urteil GVL/Kommission und trägt — in meinen Augen zu Recht — vor, daß dieses Urteil eindeutig belege, daß es sich bei der Wahrnehmung und Durchsetzung von Rechten ausübender Künstler um Angelegenheiten handele, die in den Anwendungsbereich des Vertrages fielen. |
26. |
Jedenfalls trifft es nicht zu, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte völlig untätig gewesen ist. Es sind mehrere Maßnahmen erlassen worden, insbesondere die Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen ( 18 ) und die Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums ( 19 ). Interessant ist, daß in der 18. Begründungserwägung der letztgenannten Richtlinie bestimmt wird, daß Maßnahmen auf der Grundlage des Artikels 5, wonach Ausnahmen von dem ausschließlichen Verleihrecht nach Artikel 1 der Richtlinie möglich sind, mit Artikel 7 des Vertrages vereinbar sein müssen. Erwähnt sei außerdem die Entschließung des Rates vom 14. Mai 1992 im Hinblick auf einen verstärkten Schutz des Urheberrechts und der Leistungsschutzrechte ( 20 ). In Artikel 1 dieser Entschließung nimmt der Rat zur Kenntnis, daß sich die Mitgliedstaaten verpflichten, Vertragsparteien der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (revidiert in Paris am 24. Juli 1971) und des Rom-Abkommens von 1961 zu werden. Unter diesen Umständen ist die Ansicht, daß das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte außerhalb des Anwendungsbereichs des Vertrages liegen, eindeutig nicht haltbar. |
27. |
Das einzige halbwegs plausible Argument der Beklagten ist dasjenige, mit dem auf das Rom-Abkommen abgestellt wird, in das die Imtrat großes Vertrauen setzt. Danach sind alle Fragen hinsichtlich des Grades, bis zu dem ausländische ausübende Künstler zu schützen seien, im Rahmen des Rom-Abkommens zu lösen, das auf der Grundlage von Gegenseitigkeitserwägungen ein empfindliches Gleichgewicht geschaffen habe. Anknüpfungspunkt sei nach dem Rom-Abkommen nicht die Staatsangehörigkeit — die untauglich sei, da viele Darbietungen von Gruppen von ausübenden Künstlern stattfänden, die verschiedene Staatsangehörigkeiten besäßen —, sondern der Ort der Darbietung. Imtrat führt weiter aus, daß das Rom-Abkommen sowohl für Deutschland als auch für das Vereinigte Königreich bindend gewesen sei, bevor sie gegenseitig durch den EWG-Vertrag gebunden worden seien (vermutlich am 1. Januar 1973, als das Vereinigte Königreich den Gemeinschaften beitrat), und argumentiert, daß das Rom-Abkommen daher dem EWG-Vertrag nach dessen Artikel 234 vorgehe. Wenn Artikel 7 EWG-Vertrag im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte angewandt würde, hätte dies nach dem Vorbringen der Imtrat fatale Folgen: So könnten Autoren aus anderen Mitgliedstaaten z. B. in Deutschland die nach dem deutschen Recht vorgesehene lange Schutzdauer (70 Jahre nach dem Tod des Autors) beanspruchen, während Deutschland ihnen nach Artikel 7 Absatz 8 der Berner Übereinkunft keine längere Schutzdauer gewähren müsse als die im Ursprungsland des Werkes festgesetzte Dauer. |
28. |
Diesem Argument können folgende Punkte entgegengehalten werden. Erstens, selbst wenn das Rom-Abkommen vor dem EWG-Vertrag geschlossen worden wäre, würde Artikel 234 EWG-Vertrag hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den Mitgliedstaaten dem Abkommen keinen Vorrang einräumen. Artikel 234 betrifft nur das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und Drittländern ( 21 ). |
29. |
Zweitens besteht zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem Rom-Abkommen jedenfalls kein Widerspruch. Das Abkommen legt nur einen Mindeststandard für den Schutz fest und hindert die vertragschließenden Staaten nicht, ihren eigenen Angehörigen oder den Angehörigen anderer Staaten weitergehenden Schutz zu gewähren. Dies ergibt sich eindeutig aus den Artikeln 21 und 22 des Abkommens. Artikel 21 sieht vor: „Der in diesem Abkommen vorgesehene Schutz läßt den Schutz unberührt, den die ausübenden Künstler, die Hersteller von Tonträgern und die Sendeunternehmen etwa aus anderen Rechtsgründen genießen.“ Artikel 22 bestimmt: „Die vertragschließenden Staaten behalten sich das Recht vor, untereinander besondere Vereinbarungen zu treffen, soweit diese den ausübenden Künstlern, den Herstellern von Tonträgern oder den Sendeunternehmen weitergehende Rechte verschaffen als diejenigen, die durch dieses Abkommen gewährt werden, oder soweit sie andere Bestimmungen enthalten, die nicht im Widerspruch zu diesem Abkommen stehen.“ Das Rom-Abkommen hindert Deutschland nicht daran, ausübenden Künstlern einen weitergehenden Schutz zu gewähren als den in dem Abkommen vorgesehenen Mindestschutz. Wenn deutschen ausübenden Künstlern ein weitergehender Schutz gewährt wird, verlangt Artikel 7 EWG-Vertrag jedoch, daß für Angehörige der anderen Mitgliedstaaten derselbe Schutzumfang besteht. |
30. |
Drittens, wenn die Staatsangehörigkeit wegen des Problems gemischtnationaler Ensembles als Anknüpfungspunkt untauglich ist, so fragt sich doch, warum das deutsche Recht die Staatsangehörigkeit überhaupt als Anknüpfungspunkt nimmt, was eindeutig der Fall ist, da es je nachdem, ob der ausübende Künstler die deutsche oder eine andere Staatsangehörigkeit besitzt, einen unterschiedlichen Schutzumfang gewährt. Außerdem ist die Darbietung offenbar geschützt, wenn nur ein Mitglied eines Ensembles die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt ( 22 ). Dies stellt ein sehr einfaches Kriterium für die Lösung der Schwierigkeiten dar, die sich angeblich bei gemischtnationalen Ensembles ergeben; es wäre genauso tauglich, wenn ein Mitglied eines Ensembles die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besäße. |
31. |
Was viertens die Folgen der Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung auf das Urheberrecht im allgemeinen und auf die Frage der Schutzdauer angeht, so kann es sehr wohl sein, daß jeder Mitgliedstaat nach Artikel 7 EWG-Vertrag allen Angehörigen der Gemeinschaft dieselbe Schutzdauer gewähren muß wie seinen eigenen Angehörigen, selbst wenn den letztgenannten in anderen Mitgliedstaaten eine kürzere Schutzdauer gewährt wird. Sicherlich, das Diskriminierungsverbot wird bei Fehlen einer vollständigen Harmonisierung oft bewirken, daß Angehörige des Mitgliedstaats A im Mitgliedstaat B besser geschützt werden als umgekehrt. Aber die Frage braucht in diesen Fällen nicht entschieden zu werden, und es ist klar, daß es (außer für die Hersteller von ungenehmigten Aufnahmen) keine schwerwiegenden Folgen haben würde, wenn der Schutz, der deutschen ausübenden Künstlern in bezug auf Darbietungen gewährt wird, die im Hoheitsgebiet eines Staates stattfinden, der dem Rom-Abkommen nicht beigetreten ist, oder in bezug auf Darbietungen, die stattgefunden haben, bevor dieses Abkommen in Kraft trat, auf ausübende Künstler ausgedehnt würde, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzen. Die unmittelbare Wirkung von Artikel 7 Absatz 1 |
32. |
Ich wende mich nun der Frage der unmittelbaren Wirkung zu. Meiner Meinung nach folgt aus den dargelegten Erwägungen ganz klar, daß es für ausübende Künstler unter den Umständen, wie sie in den vorliegenden Rechtssachen gegeben sind, möglich sein muß, sich auf die Vertragsvorschriften, die die Diskriminierung verbieten, zu berufen. Es steht selbstverständlich außer Zweifel, daß das Diskriminierungsverbot der Artikel 52 Absatz 2 und 60 Absatz 3 unmittelbare Wirkung entfaltet; vgl. in bezug auf die erstgenannte Vorschrift die Rechtssache Reyners ( 23 ) und in bezug auf die letztgenannte Vorschrift die Rechtssache Van Binsbergen ( 24 ). Diese Rechtssachen zeigen, daß der Erlaß von gesetzgeberischen Maßnahmen im Hinblick auf die unmittelbare Wirkung der Vertragsbestimmungen überflüssig war, soweit es um das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ging ( 25 ). |
33. |
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes hat offenbar auch Artikel 7 Absatz 1 insoweit unmittelbare Wirkung, als er Diskriminierungen im Anwendungsbereich des Vertrages verbietet. Im Urteil Kenny ( 26 ) hat der Gerichtshof ausgeführt, daß diese Vorschrift „unmittelbar gilt“ (womit er vermutlich meint, daß sie unmittelbare Wirkung hat), während er im Urteil Blaizot ( 27 ) ausdrücklich auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 7 verwiesen hat. Noch bedeutsamer ist, daß sich aus einer Reihe von Urteilen — unter anderem in den Rechtssachen Cowan ( 28 ), Barra ( 29 ) und Raulin ( 30 ) — eindeutig ergibt, daß die nationalen Gerichte verpflichtet sind, nationale Vorschriften, die gegen Artikel 7 verstoßen, unangewendet zu lassen. Klar ist ebenfalls, daß diese Verpflichtung nicht nur in Verfahren gegen den Staat, sondern auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen besteht ( 31 ). |
Ein Sachverhaltsunterschied zwischen den Rechtssachen C-92/92 und C-326/92
34. |
Eine letzte Frage, die noch zu prüfen ist, ist die, ob einem offensichtlichen Sachverhaltsunterschied zwischen den Rechtssachen C-92/92 und C-326/92 Bedeutung zukommt: In der Rechtssache C-92/92 ist der ausübende Künstler, Phil Collins, Inhaber der Rechte des ausübenden Künstlers geblieben und hat einem Hersteller von Tonträgern eine ausschließliche Lizenz erteilt, diese Rechte in Deutschland zu verwerten; in der Rechtssache C-326/92 hat der ausübende Künstler, Cliff Richard, seine Rechte einem britischen Unternehmen übertragen, das sie an ein deutsches Unternehmen weiterübertragen hat. Ich bin überzeugt, daß dieser Unterschied für die Frage der Diskriminierung nicht relevant ist. Obwohl in der Rechtssache C-326/92 das unmittelbare Opfer der diskriminierenden deutschen Rechtsvorschriften ein deutsches Unternehmen ist, wird das mittelbare Opfer — wenn man davon ausgeht, daß EMI Electrola dem ausübenden Künstler Tantiemen zu zahlen hat — Cliff Richard selbst sein. Selbst im Fall der vollständigen Abtretung ohne eine Klausel über die Zahlung von Tantiemen wäre es grundsätzlich falsch, aus Gründen der Staatsangehörigkeit des ausübenden Künstlers und ursprünglichen Rechtsinhabers zu diskriminieren. Wenn eine derartige Diskriminierung erlaubt wäre, so würde dies bedeuten, daß das einem deutschen ausübenden Künstler gewährte ausschließliche Recht ein übertragbarer Vermögenswert wäre, der einen erheblichen Wert verkörpern könnte, während dem ausschließlichen Recht eines britischen ausübenden Künstlers praktisch kein übertragbarer Vermögenswert zukommen würde, da es bei Abtretung erlöschen würde. Mittelbares Opfer der Diskriminierung wäre also stets der ausübende Künstler selbst. Unter den Umständen der vorliegenden Rechtssachen wäre es jedenfalls unlogisch, wenn zwischen dem Recht eines ausübenden Künstlers, für das eine ausschließliche Lizenz erteilt wurde, und dem Recht eines ausübenden Künstlers, das abgetreten wurde, unterschieden würde. |
Ergebnis
35. |
Ich bin daher der Meinung, daß die dem Gerichtshof in der Rechtssache C-92/92 vom Landgericht München I und in der Rechtssache C-326/92 vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten sind: Gemäß Artikel 7 Absatz 1 EWG-Vertrag müssen die Gerichte eines Mitgliedstaats gewährleisten, daß ausübende Künstler, die die Staatsangehörigkeit anderer Mitgliedstaaten besitzen, gegen die ungenehmigte Vervielfältigung ihrer Darbietungen unter denselben Bedingungen vorgehen können wie die Angehörigen des erstgenannten Mitgliedstaats. |
( *1 ) Originalsprache: Englisch.
( 1 ) „Tonträger“ ist der Gattungsbegriff für Schallplatten, Compact Discs und Audiokassetten. Er wird in Artikel 3 Buchstabe b des Rom-Abkommens vom 26. Oktober 1961 über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen definiert als „jede ausschließlich auf den Ton beschränkte Festlegung der Töne einer Darbietung oder anderer Töne“.
( 2 ) Vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. November 19S6 („Die Zauberflöte“), GRUR 1987, S. 814.
( 3 ) Vgl. z. ö. Grabilz, in: Kommentar Zinn EWG-Vertrag, Hg. von E. Grabilz, Randnr. 20 zu Artikel 7; vgl. außerdem Rechtssache 305/87 (Kommission/Griechenland, Slg. 1989, I4ŁI, Rarulnr. 13).
( 4 ) Vgl. ß. Sundbcrg-Weitman, Disainrination on Grounds of Nationality, 1977, S. 14.
( 5 ) Vgl. z. B. Rechtssache C-41/90 (Höfner und Elser, Slg. 1991, I-1979, Randnr.36).
( 6 ) ABl. 1962, Nr. 2, S. 32.
( 7 ) ABl. 1962, Nr. 2, S. 36.
( 8 ) Abschnitt III Buchstabe A Unterabsatz 3 Buchstabe e.
( 9 ) Urteil in der Rechtssache 71/76 (Thieffry, Slg. 1977, 765, Randnr. 14).
( 10 ) Urteil in der Rechtssache 186/87 (Cowan, Slg. 19S9, 195).
( 11 ) Urteil in der Rechtssache 293/83 (Gravier, Slg. 1985, 593).
( 12 ) Urteil in der Rechtssache C 137/81 (Mutsch, Slg. 1985, 2681, insbesondere Randnr. 12).
( 13 ) Urteil in der Rechtssache C-10/89 (HAG GF, Slg. 1990, I-3711).
( 14 ) Im Urteil in der Rechtssache 36/74 (Walrave, Slg. 1974, 1405, Randnr. 28) hat der Gerichtshof festgestellt, daß „das Diskriminierungsverbot bei der Prüfung sämtlicher Rechtsbeziehungen zu beachten [ist], die aufgrund des Ortes, an dem sie entstanden sind oder an dem sie ihre Wirkungen entfalten, einen räumlichen Bezug zum Gebiet der Gemeinschaft aufweisen“.
( 15 ) Urteil in der Rechtssache 35/87 (Slg. 1988, 3585, Randnr. 12).
( 16 ) Rechtssache 7/82 (Slg. 1983, 183).
( 17 ) Entscheidung 81/1030/EWG der Kommission (ABI. 1981, L 370, S. 49); siehe insbesondere die 46. Begründungscrwägung der Entscheidung.
( 18 ) ABI. 1991, L 122, S. 12.
( 19 ) ABl. 1992, L 346, S. 61.
( 20 ) ABI. 1992, C 138, S. 1.
( 21 ) Vgl. z. B. Urteil in der Rechtssache 121/85 (Conegatc, Slg. 1986, 1007, Randnr. 24).
( 22 ) Vgl. Möhring-Nicolini, Urheberrechtsgesetz, Anmerkung zu § 125, S. 694 f.
( 23 ) Rechtssache 2/74 (Slg. 1974, 631, Randnrn. 24 und 25).
( 24 ) Rechtssache 33/74 (Slg. 1974, 1299, Randnr. 27).
( 25 ) Randnr. 30 des Urteils Reyners und Randnr. 26 des Urteils Van Binsbergen.
( 26 ) Rechtssache 1/78 (Slg. 1978, 1489, Randnr. 12).
( 27 ) Rechtssache 24/S6 (Slg. 1988, 379, Randnr. 35).
( 28 ) Siehe Fußnote 10.
( 29 ) Rechtssache 309/85 (Slg. 1988, 355, insbesondere Randnrn. 19 und 20).
( 30 ) Rechtssache C-357/89 (Slg. 1992, I-1027, Randnrn. 42 und 43).
( 31 ) Vgl. Rechtssache 13/76 (Donà, Slg. 1976, 1333, Randnrn. 17 bis 19); vgl. ferner A. Arnull, The General Principles of EEC Law and the Individual, 1990, S. 18.