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Dokument 32020D1049

Durchführungsbeschluss (EU) 2020/1049 der Kommission vom 15. Juli 2020 über die Ermächtigung Frankreichs, zum Schutz des kulturellen Erbes Biozidprodukte mit in situ hergestelltem Stickstoff zuzulassen (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen C(2020) 4715) (Nur der französische Text ist verbindlich)

C/2020/4715

ABl. L 230 vom 17.7.2020, S. 18–20 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

Rechtlicher Status des Dokuments In Kraft

ELI: http://data.europa.eu/eli/dec_impl/2020/1049/oj

17.7.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 230/18


DURCHFÜHRUNGSBESCHLUSS (EU) 2020/1049 DER KOMMISSION

vom 15. Juli 2020

über die Ermächtigung Frankreichs, zum Schutz des kulturellen Erbes Biozidprodukte mit in situ hergestelltem Stickstoff zuzulassen

(Bekannt gegeben unter Aktenzeichen C(2020) 4715)

(Nur der französische Text ist verbindlich)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (1), insbesondere auf Artikel 55 Absatz 3,

nach Anhörung des Ständigen Ausschusses für Biozidprodukte,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 enthält Wirkstoffe, die im Vergleich zu schädlicheren Chemikalien ein günstigeres Profil für die Umwelt oder die Gesundheit von Mensch oder Tier aufweisen. Produkte, die diese Wirkstoffe enthalten, können daher nach einem vereinfachten Verfahren zugelassen werden. Stickstoff ist in Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 aufgeführt, jedoch mit der Einschränkung, dass er nur in begrenzten Mengen in gebrauchsfertigen Behältern verwendet wird.

(2)

Gemäß Artikel 86 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 ist Stickstoff auch als Wirkstoff für die Verwendung in Biozidprodukten der Produktart 18 (Insektizide) genehmigt (2). Biozidprodukte, die Stickstoff wie genehmigt enthalten, sind in mehreren Mitgliedstaaten, auch in Frankreich, zugelassen und werden in Gasflaschen geliefert (3).

(3)

Stickstoff kann auch in situ aus der Umgebungsluft hergestellt werden. In situ hergestellter Stickstoff darf derzeit in der Union nicht verwendet werden und ist weder in Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 noch in der Liste der Wirkstoffe aus dem Prüfprogramm für alte Wirkstoffe in Biozidprodukten in Anhang II der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1062/2014 (4) der Kommission aufgeführt.

(4)

Im Einklang mit Artikel 55 Absatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 beantragte Frankreich am 14. Januar 2020 bei der Kommission, abweichend von Artikel 19 Absatz 1 Buchstabe a der genannten Verordnung zum Schutz des kulturellen Erbes Biozidprodukte zulassen zu dürfen, die aus in situ aus der Umgebungsluft hergestelltem Stickstoff bestehen (im Folgenden „Antrag“).

(5)

Es gibt ein breites Spektrum von Schadorganismen, von Insekten bis hin zu Mikroorganismen, die das kulturelle Erbe schädigen können. Dabei können diese Schadorganismen nicht nur den Verlust des Kulturguts selbst bewirken, sondern es besteht auch die Gefahr, dass sie auf andere nahe gelegene Objekte übergreifen. Ohne angemessene Behandlung können Objekte irreparabel beschädigt werden, sodass ein großes Risiko für das kulturelle Erbe besteht.

(6)

Mit in situ hergestelltem Stickstoff wird in dauerhaft oder vorübergehend versiegelten Behandlungszelten oder -kammern zur Bekämpfung von Schadorganismen auf Kulturerbeobjekten eine kontrollierte Atmosphäre mit sehr niedriger Sauerstoffkonzentration (Anoxie) geschaffen. Stickstoff wird aus der Umgebungsluft gewonnen und in die Behandlungszelte bzw. -kammern gepumpt, sodass der Stickstoffgehalt in der Atmosphäre auf etwa 99 % steigt und die Sauerstoffsättigung folglich gegen null sinkt. Die Feuchte des in den Behandlungsbereich gepumpten Stickstoffs wird je nach Bedarf des zu behandelnden Objekts geregelt. Schadorganismen sind unter den Bedingungen in den Behandlungszelten bzw. -kammern nicht überlebensfähig.

(7)

Gemäß den von Frankreich vorgelegten Informationen scheint die Verwendung von in situ hergestelltem Stickstoff die einzig wirksame Methode für die Bekämpfung von Schadorganismen zu sein, die mit vertretbarem Kostenaufwand für alle Materialarten und -kombinationen in Museumssammlungen und -ausstellungen sowie in Kulturerbestätten eingesetzt werden kann, ohne dass diese Stätten beschädigt werden.

(8)

Das Verfahren der Anoxie bzw. einer geänderten oder kontrollierten Atmosphäre ist in der Norm EN 16790:2016 „Erhaltung des kulturellen Erbes — Integrierte Schädlingsbekämpfung (IPM) zum Schutz des kulturellen Erbes“ aufgeführt, wonach Stickstoff am häufigsten zur Erzeugung einer Anoxie eingesetzt wird.

(9)

Zwar gibt es weitere Methoden für die Bekämpfung von Schadorganismen, z. B. Niedertemperaturbehandlung, Hitzebehandlung oder Gammastrahlung. Zudem können auch andere Wirkstoffe eingesetzt werden. Allerdings stößt jede dieser Methoden nach Angaben Frankreichs an Grenzen, weil an bestimmten Materialien während der Behandlung Schäden auftreten können, sodass mit keiner von ihnen allein alle Materialarten und -kombinationen behandelt werden können.

(10)

Gemäß den von Frankreich vorgelegten Informationen bestehen Zweifel, ob die Methode der Niedertemperaturbehandlung für Kunstsammlungen und kunsthandwerkliche Sammlungen aller Art geeignet ist. Im Falle von Werken mit mehreren Materialschichten (mit Farb-, Lack- oder Wachsauftrag, mit Einlegearbeiten oder eingebetteten Textilfasern) besteht bei dieser Methode das Risiko, dass die Objekte beschädigt werden. Gemäß den nationalen Leitlinien für Einrichtungen, die öffentliche Sammlungen beherbergen, darf es solche Zweifel jedoch nicht geben, wenn es um die Erhaltung von im nationalen Kulturerbeverzeichnis aufgeführten Kunstwerken geht.

(11)

Die Hitzebehandlung zur Schädlingsbekämpfung ist dem Antrag zufolge im Kulturerbebereich kaum gebräuchlich. Wie im Fall der Niedertemperaturbehandlung bestehen Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen der Hitzebehandlung auf mehrschichtige Materialien. Zudem gehen von der Hitzebehandlung weitere Risiken aus: Verringerung der Adhäsion bei Klebstoffen, Erweichen wachshaltiger Komponenten und Freisetzung von im Objekt enthaltenen Chemikalien, wodurch Flecken auf der Oberfläche entstehen.

(12)

Den Angaben im Antrag zufolge erfordert die Bestrahlung mit Gammastrahlen eine spezielle Ausrüstung, für deren Anwendung besondere Sicherheitsanforderungen erfüllt und besondere Fachkenntnisse vorhanden sein müssen. Es handelt sich somit um eine kostspielige Methode, die sich kaum allgemein anwenden lässt. Darüber hinaus eignet sich diese Methode nicht für transparente oder lichtdurchlässige Materialien, die durch die Gammastrahlung trüb oder fleckig werden können.

(13)

Aus dem Antrag geht ferner hervor, dass bei Verwendung von Biozidprodukten mit anderen Wirkstoffen, die auf dem französischen Markt erhältlich sind, Rückstände auf den behandelten Werken verbleiben, die möglicherweise in die Umwelt freigesetzt werden und ein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen. Darüber hinaus bestehen bei diesen Stoffen erhebliche Nachteile in Bezug auf die physische Konservierung kultureller Werke, da viele von ihnen Farbveränderungen, ölige oder klebrige Absonderungen, Kristallbildung auf der Oberfläche oder Veränderungen der DNA bei Materialien tierischen Ursprungs hervorrufen können.

(14)

In den letzten Jahrzehnten bemühte sich eine wachsende Zahl von Einrichtungen im Bereich des Kulturerbes im Kontext der integrierten Schädlingsbekämpfung darum, Lösungen zu finden, um den Einsatz potenziell gefährlicher Chemikalien zu verringern und stattdessen Verfahren wie die Anoxie einzusetzen, die für das Kulturerbe schonender und für die Anwender dieser Verfahren weniger gefährlich sind.

(15)

Gemäß den Angaben im Antrag ist Stickstoff in Flaschen für Museen und Kulturerbestätten aus praktischen und wirtschaftlichen Gründen keine geeignete Alternative: Infolge der begrenzten Mengen in den Flaschen bedarf es häufiger Transporte und separater Lagerräume. Die Lagerung zahlreicher Gasflaschen birgt aufgrund des unter Druck stehenden Gases Sicherheitsrisiken. Beim Anoxie-Verfahren wird in situ erzeugter Stickstoff verwendet, wodurch den Kulturerbestätten im Vergleich zur Verwendung von Stickstoff in Flaschen geringere Kosten entstehen. Abgesehen von den Anschaffungskosten für die Behandlungskammer und den Stickstoffgenerator fallen keine weiteren Kosten an.

(16)

Von den Museen und Kulturerbestätten zu verlangen, dass sie mehrere Methoden zur Bekämpfung von Schadorganismen anwenden — jede davon nur für bestimmte Materialien und Objekte —, statt einer einzigen, die bereits gängig und für alle Materialien geeignet ist, wäre mit Mehrkosten für die Museen und Kulturerbestätten verbunden und würde es ihnen erschweren, den angestrebten Verzicht auf gefährlichere Wirkstoffe bei ihrer integrierten Schädlingsbekämpfung zu erreichen.

(17)

Eine mögliche Ausnahmeregelung nach Artikel 55 Absatz 3 für in situ hergestellten Stickstoff wurde 2019 auf mehreren Sitzungen (5) der Sachverständigengruppe der Kommission der für Biozidprodukte zuständigen Behörden diskutiert.

(18)

Darüber hinaus führte die Europäische Chemikalienagentur auf Ersuchen der Kommission im Anschluss an den ersten, ähnlichen Antrag Österreichs auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für Produkte in Form von in situ erzeugtem Stickstoff eine öffentliche Konsultation zu diesem Antrag durch, bei der alle Interessenträger Stellung nehmen konnten. In den 1 487 eingegangenen Beiträgen wurde die Ausnahmeregelung mit großer Mehrheit befürwortet. In vielen Beiträgen wurden die Nachteile der Alternativmethoden hervorgehoben: Thermische Behandlungen können bestimmte Materialien schädigen, der Einsatz anderer Wirkstoffe hinterlässt toxische Rückstände auf Artefakten, die nach und nach in die Umwelt abgegeben werden, bei der Verwendung von Stickstoff in Flaschen kann die relative Feuchte im Behandlungsbereich nicht geregelt werden, was für die Behandlung einiger Materialien jedoch notwendig ist.

(19)

Zwei internationale Organisationen für Museen und Kulturerbestätten — der Internationale Museumsrat und der Internationale Rat für Denkmalpflege — haben angekündigt, die Aufnahme von in situ hergestelltem Stickstoff in Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 beantragen zu wollen, sodass die Mitgliedstaaten Produkte, die in situ hergestellten Stickstoff enthalten, zulassen können, ohne dass eine Ausnahmeregelung nach Artikel 55 Absatz 3 der genannten Verordnung notwendig ist. Allerdings nehmen die Prüfung eines solchen Antrags, die Aufnahme des Wirkstoffs in Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 und die Produktgenehmigungen Zeit in Anspruch.

(20)

Aus dem Antrag geht hervor, dass in Frankreich keine geeigneten Alternativen verfügbar sind, da alle derzeit verfügbaren alternativen Methoden entweder durch ihre fehlende Eignung für die Behandlung aller Materialien oder aus praktischen Gründen Nachteile aufweisen.

(21)

Diese Argumente lassen die Schlussfolgerung zu, dass in situ hergestellter Stickstoff für den Schutz des kulturellen Erbes in Frankreich unverzichtbar ist und keine geeigneten Alternativen dazu verfügbar sind. Frankreich sollte daher zum Schutz des kulturellen Erbes die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten, die in situ hergestellten Stickstoff enthalten, zulassen dürfen.

(22)

Die mögliche Aufnahme von in situ hergestelltem Stickstoff in Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 und die anschließende Genehmigung von in situ hergestelltem Stickstoff durch die Mitgliedstaaten ist zeitaufwendig. Daher ist es angezeigt, so lange eine Ausnahmeregelung zu genehmigen, bis die damit verbundenen Verfahren abgeschlossen werden können —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Frankreich darf zum Schutz des kulturellen Erbes die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten, die in situ hergestellten Stickstoff enthalten, bis zum 31. Dezember 2024 zulassen.

Artikel 2

Dieser Beschluss ist an die Französische Republik gerichtet.

Brüssel, den 15. Juli 2020

Für die Kommission

Stella KYRIAKIDES

Mitglied der Kommission


(1)  ABl. L 167 vom 27.6.2012, S. 1.

(2)  Richtlinie 89/2009/EG der Kommission vom 30. Juli 2009 zur Änderung der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zwecks Aufnahme des Wirkstoffs Stickstoff in Anhang I (ABl. L 199 vom 31.7.2009, S. 19).

(3)  Liste der zugelassenen Produkte: https://echa.europa.eu/en/information-on-chemicals/biocidal-products.

(4)  Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1062/2014 der Kommission vom 4. August 2014 über das Arbeitsprogramm zur systematischen Prüfung aller in Biozidprodukten enthaltenen alten Wirkstoffe gemäß der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 294 vom 10.10.2014, S. 1).

(5)  83., 84., 85. und 86. Sitzung der Sachverständigengruppe der Vertreter der für Biozidprodukte zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten für die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012, abgehalten im Mai 2019, Juli 2019, September 2019 bzw. November 2019. Die Sitzungsprotokolle sind einsehbar auf https://ec.europa.eu/health/biocides/events_en#anchor0.


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