EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 20.7.2022
COM(2022) 360 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN
„Gaseinsparungen für einen sicheren Winter“
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN
„Gaseinsparungen für einen sicheren Winter“
Russlands unprovozierter und ungerechtfertigter Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Energiemärkte erschüttert und weltweit Preisschwankungen und Energieunsicherheit ausgelöst, mit Auswirkungen, die besonders die EU und ihre unmittelbare Nachbarschaft betreffen.
Am 18. Mai 2022 legte die Kommission den REPowerEU-Plan vor, um unsere Abhängigkeit von russischem Gas so bald wie möglich zu beenden. Europa muss nicht nur diese Maßnahmen fortsetzen und sich weiterhin uneingeschränkt für die Ziele des europäischen Grünen Deals einsetzen, sondern sich auch zügiger auf die unmittelbaren Folgen vorbereiten, die potenzielle weitere Ausfälle – bis hin zu einer vollständigen Einstellung – der russischen Gaslieferungen haben könnten. Der Europäische Rat hat in seinen Schlussfolgerungen vom 31. Mai und 23. Juni 2022 gefordert, diese Vorbereitungen vordringlich durchzuführen, um eine engere Koordinierung mit den Mitgliedstaaten und unter ihnen zu ermöglichen.
Europa muss sich gegen etwaige weitere Lieferausfälle und einen vollständigen Gas-Lieferstopp wappnen. Im Geiste der europäischen Solidarität und Zusammenarbeit muss die EU sicherstellen, dass die Gaslieferungen dorthin gehen, wo sie am dringendsten benötigt werden, und sie muss dabei sowohl die Privathaushalte als auch unsere Arbeitsplätze und die Wirtschaft insgesamt schützen.
Aus diesem Grund hat sich die EU in den vergangenen Monaten auf solche Störungen vorbereitet. Insbesondere haben die Kommission und die Mitgliedstaaten im Rahmen der EU-Energieplattform mit alternativen Gaslieferanten zusammengearbeitet, um die Versorgung sicherzustellen. Aufbauend auf den Vorschlägen für den Grünen Deal zielt die Initiative REPowerEU darauf ab, sowohl den Ausbau erneuerbarer Energien in der gesamten EU als auch Investitionen in die Energieeffizienz zu beschleunigen. Die Kommission und die Mitgliedstaaten haben eine eingehende Überprüfung der Vorsorgemaßnahmen vorgenommen. Die gesetzgebenden Organe der EU haben eine EU-Verordnung zur Gasspeicherung angenommen, um eine rechtliche Verpflichtung zur Befüllung der Gasspeicher vor dem Winter zu schaffen.
Die Kommission hat tatkräftig darauf hingearbeitet, zusätzliche alternative Bezugsquellen zu sichern, und tut dies auch weiterhin. Die vorliegende Mitteilung ergänzt diesen Ansatz, indem sie sich auf die Nachfrageseite konzentriert. Sie enthält eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Lage und der bereits unternommenen Schritte und legt dar, welche Instrumente der EU zur Verfügung stehen, um auf die Situation zu reagieren. Anschließend werden zusätzliche Maßnahmen für eine koordinierte Nachfragesenkung und eine Intensivierung der gemeinsamen Anstrengungen der EU zur Sicherung der Versorgung vorgeschlagen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um die Wahrscheinlichkeit und die Kosten von Störungen im weiteren Verlauf des Jahres zu minimieren und zu gewährleisten, dass die europäischen Verbraucher und Unternehmen weiter über den notwendigen Zugang zu Gas verfügen, indem wir das Gewicht der Union geltend machen.
Zu diesem Zweck wird in dieser Mitteilung ein neuer Europäischer Plan zur Senkung der Gasnachfrage vorgeschlagen, der sich auf bewährte Verfahren aus der gesamten Union stützt und von einer Verordnung des Rates begleitet wird, die eine Empfehlung für eine freiwillige Senkung des Gasverbrauchs um 15 % in allen Mitgliedstaaten ab sofort und mindestens in den kommenden acht Monaten vorsieht, sowie ein Verfahren, mit dem in den nächsten Wochen bzw. Monaten erforderlichenfalls jederzeit ein verbindliches Verbrauchssenkungsziel ausgelöst werden kann.
Gas, das durch andere Brennstoffe ersetzt wird, und Energie, die in diesem Sommer von den Nutzern eingespart wird, ist Energie, die uns durch den Winter helfen wird. Jetzt gemeinsam zu handeln vermeidet Störungen und Kosten, erleichtert die Solidarität und erübrigt die Notwendigkeit, später in einer möglichen Krisensituation bei niedrigen Gasreserven ungeplante und unkoordinierte Maßnahmen treffen zu müssen. Wir werden auch zügig zu einer koordinierten und letztlich gemeinsamen Beschaffung von Gas und in Zukunft von erneuerbarem Wasserstoff übergehen, um den Energiebedarf künftig aus alternativen Quellen zu decken. Schließlich wird die Umsetzung des Plans zur Senkung der Gasnachfrage die Voraussetzungen für einen rascheren und vollständigen Ausstieg aus russischen Gasimporten im Einklang mit den Zielen von REPowerEU schaffen und die Energieversorgungssicherheit und ‑autonomie der EU verbessern.
1.
Vorbereitung auf den Winter
Wie sieht die derzeitige Situation aus?
Auf Gas entfällt ein Anteil von 24 % des gesamten Bruttoinlandsenergieverbrauchs in Europa. Russland war viele Jahre lang der wichtigste Gaslieferant der EU. Bis letztes Jahr bezog die EU mehr als 40 % ihrer Gaslieferungen und damit etwa 10 % ihres gesamten Energiebedarfs aus Russland.
Seit letztem Jahr sind die russischen Gaslieferungen an die EU als Ergebnis eines bewussten Versuchs, Energie als Waffe einzusetzen, deutlich zurückgegangen. Insgesamt beliefen sich die Gaslieferungen aus Russland in die EU im Juni 2022 auf weniger als 30 % des Durchschnitts der Jahre 2016-2021. Die EU war mit einer Reihe plötzlicher, ungerechtfertigter und einseitiger Maßnahmen Russlands konfrontiert, mit denen die Lieferungen an europäische Kunden gedrosselt oder eingestellt wurden, was zu Störungen der Wirtschaftstätigkeit und zu steigenden Preisen führte. Die Pipeline-Gasflüsse aus Russland durch Belarus wurden eingestellt und die Gasflüsse durch die Ukraine sind stetig zurückgegangen. Auch die Gaslieferungen an die baltischen Staaten, Polen, Bulgarien und Finnland wurden eingestellt. Zudem wurden die Lieferungen an mehrere Länder, darunter Polen, Deutschland, Österreich, Dänemark, die Slowakei, die Niederlande und Italien, reduziert. Seit Mitte Juni 2022 wurden die Gaslieferungen über die Nord-Stream-1-Pipeline, eine der größten Importrouten in die EU, um 60 % reduziert.
(Abbildung: Gasflüsse aus Russland im Jahr 2022 im Vergleich zu den Vorjahren)
Die wiederholte Drosselung der Gaslieferungen hat zu historisch hohen und volatilen Energiepreisen geführt, was zur Inflation beigetragen, das Risiko eines Konjunkturabschwungs in Europa erhöht und erhebliche negative Beschäftigungswirkungen und Verteilungseffekte nach sich gezogen hat. Es ist davon auszugehen, dass dies zu einem Anstieg der Energiearmut führen wird und die Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten und Regionen vergrößern dürfte.
Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sich dieses Verhaltensmuster, das Versorgungsunsicherheiten zur Folge hat, und die damit einhergehenden drastischen Preissteigerungen ändern werden. Vielmehr deuten verschiedene Anzeichen darauf hin, dass sich die Aussichten für die Gasversorgung weiter verschlechtern dürften.
Angesichts dieses Risikos hat die EU bereits vorausschauend begonnen, sich auf eine anhaltende Drosselung und einen jederzeit möglichen vollständigen Stopp der Gaslieferungen aus Russland vorzubereiten. Die Sicherung alternativer Gasbezugsquellen und der Ersatz von Erdgas durch saubere Energie, wann immer dies möglich ist, und – wo erforderlich – durch andere Energiequellen sind wesentliche Komponenten des REPowerEU-Plans, die von den Mitgliedstaaten übernommen wurden, insbesondere die EU-Energieplattform.
Als Grundprinzip unserer Union muss Solidarität die Grundlage für die Vorsorgemaßnahmen der EU bilden. Zudem sind alle Mitgliedstaaten durch den Binnenmarkt miteinander verbunden, was Wirtschaftswachstum, Innovation, die Schaffung von Arbeitsplätzen und Investitionen fördert. Damit diese Solidarität auch tatsächlich funktioniert, sollten sich alle Akteure bemühen, alle ihnen zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um die Auswirkungen einer etwaigen vollständigen Einstellung der russischen Gaslieferungen abzufangen.
Aufgrund dieser gegenseitigen Abhängigkeit hätte eine Krise großen Ausmaßes in jedem Mitgliedstaat – direkt oder indirekt – erhebliche negative Auswirkungen. Zwar sind einige Mitgliedstaaten stärker durch die direkten Auswirkungen einer erheblichen Drosselung oder vollständigen Einstellung der russischen Gaslieferungen gefährdet als andere, würden diese jedoch mit der Bewältigung dieser Auswirkungen allein gelassen, hätte dies massive Folgen für andere Volkswirtschaften. Ein starker Wirtschaftsabschwung in jedwedem Mitgliedstaat wird direkte negative wirtschaftliche Auswirkungen auf seine Nachbarn und weitere Exportpartner haben. Angesichts dessen müssen sofortige Schritte unternommen werden, um weiteren Störungen vorzugreifen und die Widerstandsfähigkeit der EU zu stärken.
Die vorliegende Mitteilung, einschließlich des Europäischen Plans zur Senkung der Gasnachfrage in deren Anhang, konzentriert sich auf die erforderlichen Maßnahmen auf der Nachfrageseite, aufbauend auf dem REPowerEU-Plan und dem EU-Energiesparplan. Diese Maßnahmen zur Nachfragesenkung ergänzen die laufenden Arbeiten zur Sicherung alternativer Bezugsquellen gemäß der EU-Strategie für ein auswärtiges Engagement im Energiebereich und zur Beschleunigung der Energiewende. Sie sollten von den Mitgliedstaaten unverzüglich in enger Abstimmung untereinander getroffen werden, um das Risiko eines übermäßigen Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage im nächsten Winter und darüber hinaus erheblich zu verringern. Durch dieses Vorgehen können die Risiken im Zusammenhang mit der Gasknappheit erheblich verringert werden, auch in Branchen, die für die Lieferketten in der EU, für Beschäftigung und Wachstum, für die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt und für die europäische Wirtschaft von kritischer Bedeutung sind.
Der dazugehörige Verordnungsvorschlag zur Festlegung des Rahmens für diese Nachfragesenkung wird in Abschnitt 3 dieser Mitteilung näher beschrieben.
Ein entschlossenes und glaubwürdiges koordiniertes Handeln der EU wird in einer instabilen Marktlage mehr Sicherheit bieten, die Resilienz der EU erhöhen und die angebotsbedingten Auswirkungen auf die Preise begrenzen. Es wird auch dazu beitragen, vor dem Winter die Füllstände der Speicheranlagen dort zu erhöhen, wo Kapazitäten verfügbar sind. Einseitige Maßnahmen der Mitgliedstaaten wären für die EU insgesamt und damit auch für jeden einzelnen Mitgliedstaat nicht optimal. Koordinierte Maßnahmen der EU können dazu beitragen, industrielle Lieferketten und die Integrität des Binnenmarkts im Falle größerer Angebotsschocks aufrechtzuerhalten.
Welche Instrumente stehen der EU bereits zur Verfügung und welche Maßnahmen wurden vor der aktuellen Krise ergriffen?
Erstens verfügt die EU über einen soliden Rahmen, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und die Emissionen bis 2030 um mindestens 55 % zu senken. Energiewende und Versorgungssicherheit gehen Hand in Hand. Die Versorgungssicherheit der EU wird durch den europäischen Grünen Deal und das Paket „Fit für 55“ gestärkt, indem unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen schrittweise abgebaut und der Gesamtenergieverbrauch der EU durch Energieeffizienzsteigerungen gesenkt wird.
Zweitens hat die EU auf der Grundlage der Lehren aus früheren Energiekrisen und der Maßnahmen, die wir nach der Annexion der Krim und Sewastopols durch die Russische Föderation im Jahr 2014 ergriffen haben, einen Rechtsrahmen entwickelt, um auf bestimmte Situationen im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit reagieren zu können.
Gemäß der Verordnung über die Gasversorgungssicherheit müssen die Mitgliedstaaten über nationale Präventions- und Notfallpläne verfügen, die sich auf gemeinsame Risikobewertungen stützen, die von regionalen Gruppen entlang der Versorgungswege vorgenommen werden. Für die nationale Ebene werden drei Krisenstufen festgelegt: Frühwarn-, Alarm- und Notfallstufe. In den nationalen Notfallplänen für die Gasversorgungssicherheit wird festgelegt, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten auf jeder dieser Ebenen ergreifen können. Als übergeordneter Grundsatz gilt, dass Beschränkungen der Gasflüsse, Rationierung und Lieferkürzungen erst als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn alle anderen Optionen – wie die Möglichkeiten des Wechsels auf alternative Brennstoffe – ausgeschöpft sind.
Die Kommission kann auf Antrag eines oder mehrerer Mitgliedstaaten einen unionsweiten oder für eine besonders betroffene geografische Region einen regionalen Notfall ausrufen. In solchen Fällen koordiniert die Kommission die Maßnahmen der betroffenen Mitgliedstaaten und kann als Moderatorin fungieren, wenn Maßnahmen ergriffen werden, die die Gasflüsse in andere Mitgliedstaaten und Drittländer, wie z. B. die Mitglieder der Energiegemeinschaft, ungebührlich einschränken können. Dies trägt dazu bei, dass in einem Notfall Gas zu den am stärksten betroffenen Ländern und Kunden geleitet wird.
Die Verordnung über die Gasversorgungssicherheit umfasst auch einen Solidaritätsmechanismus, der die Versorgung von „geschützten Kunden“, d. h. Haushaltskunden, Fernwärmanlagen, bei denen ein Wechsel auf einen anderen Brennstoff nicht möglich ist, und bestimmten grundlegenden sozialen Diensten wie dem Gesundheitswesen, garantiert. In einer schwerwiegenden Notlage, in der die Versorgung geschützter Kunden in einem Mitgliedstaat nicht mehr gewährleistet werden kann, sind direkt miteinander verbundene Mitgliedstaaten verpflichtet, solidarisch zu handeln und Gas dorthin zu liefern, wo es am dringendsten benötigt wird, selbst wenn dies Einschränkungen für ihre nicht geschützten Kunden mit sich bringt. Voraussetzung dafür ist eine zeitnahe und angemessene Entschädigung, die die Mitgliedstaaten im Rahmen bilateraler technischer, rechtlicher und finanzieller Regelungen vorab vereinbaren müssen.
Die Versorgungssicherheit der EU wird von der europäischen Koordinierungsgruppe „Gas“, einer von der Kommission geleiteten Sachverständigengruppe, der Sachverständige der Mitgliedstaaten, der einschlägigen europäischen Verbände und des Sekretariats der Energiegemeinschaft angehören, genau überwacht; diese Gruppe koordiniert auch erforderlichenfalls die Maßnahmen. Sie spielt seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Versorgungssicherheitslage, insbesondere durch Informationsaustausch und Unterstützung bei der Koordinierung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Auslösung der Frühwarnstufe und der Alarmstufe.
Der oben beschriebene Rahmen ist jedoch nicht in vollem Umfang für die Bewältigung der aktuellen Krise geeignet, da er darauf abzielt, kurzfristige Störungen im Zusammenhang mit bestimmten Teilen der Infrastruktur oder kurzfristige extreme Wetterereignisse zu bewältigen, und nicht auf längerfristige Ausfälle der Lieferungen eines großen Anbieters angelegt ist, die mehrere Routen gleichzeitig betreffen. Aus diesem Grund muss dieser Governance-Rahmen angepasst und insbesondere auch die Perspektive der auf europäischer und nationaler Ebene für Industrie zuständigen Ministerien einbezogen werden.
Drittens hat die EU nach und nach ein Netz von Energieverbindungsleitungen und einen Energiebinnenmarkt aufgebaut, sodass Gas und Strom dorthin gebracht werden können, wo sie benötigt werden. Dieses aktive Vorgehen hat dazu beigetragen, die Gaslieferungen und – ebenso wichtig – die Versorgungswege zu diversifizieren, und zwar durch Investitionen in die grenzüberschreitende Gasinfrastruktur, in Reverse-Flow-Projekte wie die Umkehrflusskapazität über die Jamal-Pipeline zwischen Deutschland und Polen und in LNG-Terminals im Ostseeraum und in Mittelost- und Südosteuropa. Über die Fazilität „Connecting Europe“ und die Kohäsionspolitik hat die EU zahlreiche Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Rahmen des transeuropäischen Energienetzes finanziell unterstützt.
Schlüsselprojekte der letzten zehn Jahre
– LNG-Terminals in Klaipeda, Świnoujście und Krk, die BRUA-Pipeline und die Ostsee-Erdgasleitung „Baltic Pipe“ haben die historisch bedingte Isolation bestimmter Regionen verringert.
– Die EU hat den südlichen Gaskorridor eröffnet, indem sie die TAP- und die TANAP-Pipeline fertiggestellt hat, über die Gas nun direkt aus dem Kaspischen Meer nach Europa geleitet wird.
– Weitere wichtige Projekte sind die Gasverbindungsleitung zwischen Polen und Litauen (GIPL), die baltische Verbindungsleitung zwischen Finnland und Estland, die Verbindungsleitung Polen-Slowakei und die Verbindungsleitung Griechenland-Bulgarien (IGB). Diese Projekte spielen eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, den Ersatz von russischem Gas zu ermöglichen.
Die beschriebenen Entwicklungen haben die Versorgungssicherheit in der EU bereits erheblich verbessert bzw. werden künftig zu ihrer Verbesserung beitragen und eine wirksame Diversifizierung der Bezugsquellen und Versorgungswege ermöglichen. Alle Mitgliedstaaten, einschließlich der historisch am stärksten exponierten Länder wie Bulgarien und Finnland, haben die Abhängigkeit von Russland als einziger Bezugsquelle für den Import von Gas beendet.
Was hat die EU seit dem Einfall Russlands in die Ukraine unternommen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten?
Nach dem russischen Einfall in die Ukraine hat die EU den REPowerEU-Plan vorgelegt, der zum Ziel hat, die Abhängigkeit der Union von fossilen Brennstoffen aus Russland so bald wie möglich zu beenden. Zu diesem Zweck enthält der REPowerEU-Plan Maßnahmen für die Diversifizierung der Bezugsquellen, Energieeinsparungen und Energieeffizienz und schlägt eine beschleunigte Energiewende vor, um fossile Brennstoffe in Privathaushalten, in der Industrie und bei der Stromerzeugung rasch zu ersetzen, insbesondere durch Strom aus erneuerbaren Energiequellen und erneuerbaren Wasserstoff. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten und die lokalen Behörden gut aufgestellt, um an die lokalen Gegebenheiten angepasste Energiesparmaßnahmen zu fördern.
Im Rahmen des REPowerEU-Plans hat die EU Maßnahmen ergriffen, um ihre Versorgungssicherheit und ihre Resilienz zu stärken und setzt dabei sowohl an der Angebots- als auch an der Nachfrageseite an. Dies umfasst insbesondere die folgenden Maßnahmen:
·Im März 2022 wurden neue EU-Rechtsvorschriften vorgeschlagen, um die Befüllung der unterirdischen Gasspeicheranlagen in der EU für den kommenden Winter sicherzustellen; diese wurden im Mai vom Europäischen Parlament und vom Rat angenommen und traten am 1. Juli in Kraft. Die Speicherfüllstände waren im letzten Winter beunruhigend niedrig – 10 Prozentpunkte niedriger als im Zeitraum 2016-2018. Inzwischen haben die Füllstände jedoch trotz verringerter Einfuhren aus Russland und hoher Preise, die den Anreiz zur Einspeicherung verringern, wieder den historischen Durchschnitt erreicht und sie liegen derzeit bei über 64 %, was 46 Tagen Winterverbrauch entspricht.
·Im ersten Halbjahr 2022 hat die Kommission alle nationalen Notfallpläne für die Gasversorgungssicherheit einer eingehenden Überprüfung unterzogen, sodass die Mitgliedstaaten ihre Vorsorgemaßnahmen auf dieser Grundlage im Hinblick auf etwaige größere Störungen verstärken können. Darüber hinaus hat die Kommission in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten sowie ENTSOG und ENTSO-E, dem Europäischen Verbund der Fernleitungsnetzbetreiber bzw. der Übertragungsnetzbetreiber, eine eingehende Überwachung der Versorgungssicherheitslage und eine Risikobewertung sowohl im Gas- als auch im Stromsektor vorgenommen.
·Die Kommission hat die EU-Energieplattform eingerichtet, um die Energienachfrage auf regionaler Ebene zu bündeln und die freiwillige gemeinsame Beschaffung zu erleichtern und so die bestmögliche Nutzung der Infrastruktur sicherzustellen, damit Gas dorthin fließt, wo es am dringendsten benötigt wird, und um auf internationale Lieferpartner wie die USA, Norwegen, Aserbaidschan, Katar, Ägypten, Israel, Algerien und viele andere zuzugehen. Diese Kontaktaufnahme erfolgt im Einklang mit der Strategie für das auswärtiges Engagement der EU im Energiebereich . Insbesondere diesen Maßnahmen ist es zu verdanken, dass die EU seit Jahresbeginn LNG in beispiellosen Mengen sowie zusätzliches Pipeline-Gas erhalten hat, um die Fehlmengen an russischem Gas auszugleichen (siehe Kasten).
·Die Kommission hat im Rahmen der EU-Energieplattform fünf regionale Gruppen von Mitgliedstaaten eingerichtet, um die Gaslieferungen aus Russland zu ersetzen und die Versorgungssicherheit in allen Regionen zu verbessern, beispielsweise durch die Entwicklung von rasch umzusetzenden Aktionsplänen, wie dies in der regionalen Gruppe für Südosteuropa sehr erfolgreich geschehen ist. Diese Gruppen ergänzen die Arbeit der bestehenden regionalen hochrangigen Gruppen (HLG), die sich mit der beschleunigten Umsetzung wichtiger Energieverbindungen und Projekte im Bereich erneuerbare Energien sowie mit wichtigen Reformen des Energiemarkts befassen, wie z. B. der CESEC HLG in Mittel- und Südosteuropa.
·Die Kommission hat mit Sachverständigen aus der Wirtschaft zusammengearbeitet, um das Potenzial für Brennstoffwechsel und freiwillige Nachfragesenkungen zu ermitteln und die möglichen Auswirkungen unkoordinierter Maßnahmen zur Verringerung der Gasnachfrage der industriellen Nutzer zu bewerten.
Diversifizierung seit Anfang 2022
Der EU ist es gelungen, eine verstärkte Diversifizierung zu erreichen, um weniger auf Gasimporte aus Russland angewiesen zu sein, insbesondere dank gestiegener Einfuhren von LNG und Pipelinegas. Im ersten Halbjahr 2022 wurden die LNG-Importe aus anderen Bezugsquellen als Russland dank der Bemühungen der EU um Kontaktaufnahme mit LNG-Produzenten in Drittländern im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 21 Mrd. m³ gesteigert. Die Importe von Pipelinegas aus nichtrussischen Quellen – aus Norwegen, dem Kaspischen Meer, dem Vereinigten Königreich und Nordafrika – sind um 14 Mrd. m³ gestiegen.
Demgegenüber gingen die Pipelinegas-Importe aus Russland im gleichen Zeitraum um 28 Mrd. m³ auf insgesamt 44,6 Mrd. m³ zurück, während die LNG-Importe aus Russland um 3 Mrd. m³ stiegen. Durch diese erhöhten Liefermengen kompensiert die EU derzeit den Rückgang des Gesamtvolumens der Gasimporte aus Russland. Im selben Zeitraum sind die LNG-Importe aus allen Bezugsquellen (einschließlich Russlands) gegenüber 2021 um 24,3 Mrd. m³ (59 %) gestiegen. Gleichzeitig wurde aus den USA LNG im Umfang von 30 Mrd. m³ importiert, während die Importe im gesamten Jahr 2021 bei 22 Mrd. m³ LNG lagen (und im ersten Halbjahr 2021 bei nur 11,6 Mrd. m³).
Am 25. März 2022 kündigten Präsidentin von der Leyen und Präsident Biden in ihrer gemeinsamen Erklärung eine Steigerung der LNG-Importe aus den USA in die EU um 15 Mrd. m³ im Jahr 2022 an. Dies wird derzeit durch eine Erhöhung der Lieferungen aus den USA umgesetzt. Der Anteil der Lieferungen aus den USA an den LNG-Importen der EU lag im Juni bei rund 46 %.
Die seit Februar ergriffenen Maßnahmen, einschließlich der Maßnahmen zur Stärkung des EU-Rahmens für die Versorgungssicherheit, zielen darauf ab, schrittweise und so bald wie möglich einen vollständigen Verzicht auf russisches Gas zu ermöglichen.
Die jüngsten Ausfälle bei den Gaslieferungen aus Russland deuten jedoch auf ein erhebliches Risiko hin, dass diese Lieferungen bereits in diesem Jahr auf plötzliche und einseitige Weise vollständig eingestellt werden. Die EU muss auf dieses Szenario vorbereitet sein und zusätzliche Maßnahmen ergreifen, die den mit diesem Risiko verbundenen Herausforderungen angemessen sind. Wird der Gasverbrauch jetzt auf geordnete Weise gesenkt, so verringert dies die künftigen Kosten für die Gesellschaft. Der Übergang zu einer gemeinsamen Beschaffung im Rahmen der Energieplattform ist eine notwendige Ergänzung, um eine stärkere Koordinierung sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite anzustreben, und die Kommission wird ihre Arbeit beschleunigen, damit die Plattform Ende des Jahres in Betrieb genommen werden kann. Parallel dazu könnte die gemeinsame Beschaffung von Gas beispielsweise kleineren Gasunternehmen eine größere Rolle einräumen und sie könnte der EU – dem weltweit größten Erdgasimporteur – beim Ankauf von Gas mehr Gewicht verleihen, nicht zuletzt auf regionaler Ebene; dies würde unsere Energieresilienz und die langfristige Energieversorgungssicherheit verbessern.
Was ist zu erwarten?
Trotz der bisherigen guten Fortschritte bei der Befüllung der Speicheranlagen deuten die von der Kommission und dem ENTSOG durchgeführten Simulationen darauf hin, dass im Falle eines vollständigen Lieferstopps zwischen Juli und Winter 2023 die Füllstände unter dem in der neuen EU-Verordnung zur Gasspeicherung für November festgelegten Ziel von 80 % liegen würden. Den Simulationen zufolge könnten die Füllstände zu Beginn der Heizperiode sogar bei nur 65 % bis 71 % liegen.
Wichtigste Ergebnisse der Analyse des Szenarios ohne zusätzliche Vorsorgemaßnahmen
In Szenario 1 würde die Fehlmenge zur Deckung des Gasbedarfs im Winter unter durchschnittlichen Witterungsbedingungen und bei einer anhaltend hohen Versorgung mit LNG insgesamt 30 Mrd. m³ betragen – gegenüber einem durchschnittlichen EU-Gesamtverbrauch von 300 Mrd. m³ im Zeitraum August bis März. In diesem Szenario wären die Speicheranlagen Ende März 2023 nahezu leer, sodass für die Wintersaison 2023-2024 kein Puffer bliebe.
In Szenario 2 würde die Speicherkapazität Ende März 2023 auf einem Mindestniveau von 15 % gehalten, und die Fehlmenge würde im Winter 45 Mrd. m³ betragen.
Bei der Vorbereitung auf die nachfolgende Wintersaison dürfte – ausgehend von der Annahme, dass die Lage auf den internationalen Gasmärkten anhaltend angespannt bleibt – die Wiederauffüllung der Speicheranlagen im Sommer 2023 eine große Herausforderung darstellen. Die Füllstände im Oktober 2023 würden im ersten Szenario nur 41 % und im zweiten Szenario 56 % erreichen.
Ein ungewöhnlich kalter Winter oder geringere Gasimporte aus anderen Bezugsquellen (z. B. aufgrund einer Erholung des Wirtschaftswachstums auf einem großen Markt wie China) würden das Risiko erhöhen, dass in dieser Periode zu einem gegebenen Zeitpunkt weitere drastische Senkungen erforderlich sind.
Abrupte Kürzungen würden bestimmten Branchen der Industrie schaden, die wenig Spielraum haben, auf andere Brennstoffe umzustellen – beispielsweise, wenn Gas als Ausgangsstoff für industrielle Prozesse verwendet wird – oder die Produktion ohne schwere Schäden zu reduzieren.
Die Verfügbarkeit von Gas für geschützte Kunden, insbesondere Haushaltskunden, auf die weniger als 37 % des gesamten EU-Verbrauchs entfallen, würde grundsätzlich nicht direkt durch großmaßstäbliche Ausfälle russischer Gaslieferungen beeinträchtigt. Dies setzt jedoch voraus, dass keine anderen unvorhergesehenen Ereignisse eintreten.
Nun ist rasches und entschlossenes Handeln von entscheidender Bedeutung. Werden in den kommenden Wochen keine erheblichen Bemühungen um Substitutionslösungen und eine deutliche Senkung der Nachfrage unternommen, hätte eine massive Störung der Gasversorgung im Winter 2022/2023 erhebliche Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft und die europäischen Arbeitsmärkte und würde alle Mitgliedstaaten direkt oder indirekt betreffen.
Wenn wir jetzt handeln, würde dies die Kosten einer plötzlichen Versorgungsstörung senken.
Dank der längeren Vorlaufzeit wäre es wesentlich kostengünstiger, das Substitutionspotenzial zu maximieren und die Nachfrage nach Erdgas jetzt und im mäßigen Umfang zu senken, statt die Nachfrage in der Spitzenverbrauchszeit (d. h. im Winter) plötzlich und ohne angemessene Vorbereitung drastisch drosseln zu müssen. Wird die Nachfragesenkung antizipiert, könnten die Netzbetreiber die Netzkapazität optimieren, rechtzeitig mehr Gas von Westen nach Osten transportieren und mit Blick auf den nächsten Winter und den Winter 2023/2024 die Füllstände der Speicheranlagen dort erhöhen, wo Kapazitäten verfügbar sind. Eine solche antizipierte, verteilte Senkung der Nachfrage würde das Risiko einer Versorgungslücke im Winter weitgehend ausräumen bzw. um mehr als die Hälfte verringern. Bei einer vorgezogenen Nachfragesenkung könnten gezielte Anreize für diejenigen Branchen geschaffen werden, die ihren Verbrauch potenziell senken könnten, z. B. durch Umstellung auf erneuerbare Brennstoffe oder, soweit möglich, auf Brennstoffe mit dem geringstmöglichen Emissionsgehalt, vorbehaltlich der Bemühungen um Energieeffizienz und zur Vermeidung langfristiger Lock-in-Effekte.
Was die makroökonomischen Gesamtauswirkungen einer etwaigen größeren Versorgungsstörung angeht, so würde eine solidarische koordinierte Reaktion der EU vor dem Winter die negativen Auswirkungen auf BIP und Beschäftigung begrenzen.
Ausgehend von dem in den ENTSOG-Szenarien ermittelten Bedarf und sofern frühzeitig Maßnahmen zur Nachfragesenkung ergriffen werden, könnte ein Ausfall der Gaslieferungen aus Russland im Falle eines durchschnittlichen Winters zu einem durchschnittlichen BIP-Rückgang in der EU als Ganzes um mindestens 0,4 % und im Szenario eines kalten Winters um 0,6 % führen.
Wird jedoch erst dann gehandelt, wenn es zu einem vollständigen Lieferstopp kommt, wären die Kosten um mindestens ein Drittel höher, dies ist zum Teil auf die entgangene Chance zur Koordinierung und zur einfacheren Anpassung zurückzuführen, durch die die Kosten stärker ansteigen. Abwarten würde im Falle eines durchschnittlichen Winters Auswirkungen im Umfang von 0,6 % bis 1 % des BIP haben.
In einem kalten Winter würden diese Kosten noch höher ausfallen. Das Abwarten würde die Kosten für die EU – insbesondere für die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten – bei einem kalten Winter deutlich in die Höhe treiben, wobei die Auswirkungen auf das BIP im Durchschnitt zwischen 0,9 % und 1,5 % liegen würden.
Um zu vermeiden, dass in den kommenden Monaten eine Gasversorgungslücke entsteht, wird für den Zeitraum vom 1. August bis zum 31. März 2023 eine Senkung der Gasnachfrage um insgesamt 15 % empfohlen.
2.
Ein Plan zur Senkung der Gasnachfrage bei gleichzeitiger Priorisierung kritischer Kunden
Der Europäische Plan zur Senkung der Gasnachfrage
Die oben beschriebene Senkung der Nachfrage um 15 % kann erreicht werden, wenn wir jetzt handeln, den Energiesparplan umsetzen und zusätzliche Maßnahmen zur Einsparung von Gas in nicht geschützten Sektoren ergreifen und dabei die bewährten Verfahren und Kriterien für intelligente Priorisierung anwenden, die im beigefügten Europäischen Plan zur Senkung der Gasnachfrage festgelegt sind. In dem Plan werden die Grundsätze und Kriterien für eine koordinierte Nachfragesenkung dargelegt, die nicht nur darauf abzielt, die Gasversorgung von Haushalten und systemrelevanten Nutzern wie Krankenhäusern zu sichern, sondern auch die Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen, die für die Wirtschaft, für Branchen, die für die Lieferketten der EU von entscheidender Bedeutung sind, und für die Wettbewerbsfähigkeit von zentraler Bedeutung sind. Er baut auf den bestehenden nationalen Notfallplänen, vorhandenen bewährten Verfahren und gezielten Konsultationen mit der Industrie auf.
Die Steuerung der Nachfrage sollte vorrangig in Sektoren mit besseren Substitutionsmöglichkeiten erfolgen, zu einer besseren Lastenteilung über die gesamte Wirtschaft hinweg führen und gleichzeitig BIP und Arbeitsplätze schützen. Die Gefahr nachgelagerter Engpässe und der Inflationsdruck wären geringer und es bestünde eine wirksamere Absicherung gegen andere Risiken (z. B. strenge Winter).
Die wichtigsten Grundsätze des Plans: Substitution, Solidarität und Einsparungen
Substitution: Koordinierte Einsparungen beim Gasverbrauch durch Förderung von Substitutionsmöglichkeiten
Alle Bemühungen in den Mitgliedstaaten – im Bereich der Stromerzeugung, der Industrie und der Haushalte – sollten sich zunächst auf Substitutionsmöglichkeiten konzentrieren, die eine Abkehr von der Nutzung von Erdgas ermöglichen würden, wobei jedoch stets die Zielkonflikte zu berücksichtigen sind, die bei solchen Entscheidungen entstehen können, etwa bei der (Wieder-)Aufnahme z. B. von Kohle in den Mix, und sei es auch nur vorübergehend. Priorität hat der zeitnahe und kosteneffiziente Brennstoffwechsel auf saubere Energiequellen, wo immer dies technisch machbar ist. Zur Fortsetzung der Diversifizierungsbemühungen sollte die Fertigstellung unbedingt notwendiger LNG-Terminals oder anderer Gasinfrastrukturen, insbesondere von Verbindungsleitungen, beschleunigt werden und mit Bemühungen der EU um eine Diversifizierung der Versorgung mit LNG im Rahmen der EU-Energieplattform einhergehen.
Auch die Möglichkeiten zur Substitution von Erdgas durch CO2-intensivere Quellen wie Diesel oder Kohle müssen vorübergehend genutzt werden, wenn keine saubereren Lösungen möglich sind, wobei die erforderlichen Umweltschutzklauseln vorzusehen sind. Zu diesem Zweck können auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten zeitlich begrenzte Möglichkeiten für den Brennstoffwechsel unterstützt werden.
Solidarität: Antizipation und Minderung der Risiken einer vollständigen Einstellung russischer Gaslieferungen
Angebotsschocks bei Gas betreffen Mitgliedstaaten und Regionen in unterschiedlicher Weise. Zur Bewältigung dieser Folgen muss die EU zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den verschiedenen Erdgasnutzern uneingeschränkt solidarisch handeln. Auch wenn die Mitgliedstaaten unterschiedlich stark betroffen sein werden, werden gemeinsame Bemühungen die Schwere der Auswirkungen auf die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten verringern und so wiederum alle Mitgliedstaaten von einem gemeinsamen Vorgehen profitieren. Die Kommission wird daher weiterhin aufmerksam darauf achten, den Binnenmarkt zu schützen und insbesondere etwaige Beschränkungen des Handels zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern, und darauf hinarbeiten, dass es nicht zu Störungen besonders wesentlicher wirtschaftlicher Tätigkeiten und kritischer sozialer Dienste kommt. Entsteht eine Situation, in der Kürzungsmaßnahmen in Betracht gezogen werden müssen, so sollte dies auf kohärente und zwischen den Mitgliedstaaten abgestimmte Weise und unter gebührender Berücksichtigung einer Abmilderung der Auswirkungen auf Beschäftigung und Einkommen erfolgen.
Damit diese Solidarität in der Praxis funktioniert, müssen alle Mitgliedstaaten und alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteure alles in ihrer Macht Stehende tun, um sich vorzubereiten, und bereits jetzt die Nachfrage nach Gas reduzieren oder Gas ersetzen, wo immer dies möglich ist. Für diese Koordinierung ist die Schaffung eines angemessenen Governance-Systems erforderlich, in dessen Rahmen auf Ressourcen der Energie- und Industrieministerien aller Mitgliedstaaten zurückgegriffen werden kann und das eine große Reichweite hat und alle Verbrauchergruppen einbindet.
Einsparungen: Jeder Beitrag zählt
In den Bereichen Heizung und Kühlung von Gebäuden oder Warmwasserbereitung sollte eine zusätzliche Reduzierung der Nachfrage in Betracht gezogen werden. In Notfällen, wenn die Stromversorgungssicherheit gefährdet sein könnte, erlauben es die Vorschriften der EU und der Mitgliedstaaten zur Versorgungssicherheit, der Gasversorgung bestimmter kritischer Gaskraftwerke und bestimmter Kategorien geschützter Verbraucher Vorrang einzuräumen. Die Tatsache, dass die Gasversorgung für Haushalte und bestimmte kritische Gaskraftwerke garantiert wird, sollte die Behörden jedoch nicht daran hindern, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um den Verbrauch von Gas durch geschützte Kunden und im Stromsektor zu senken und freiwillige Reduzierungen zu fördern. Dies ist unerlässlich, um zu vermeiden, dass industriellen Kunden, die für Gesellschaft und Wirtschaft von kritischer Bedeutung sind, Einschränkungen auferlegt werden müssen.
Die nachstehende Abbildung enthält die jüngste Bewertung des Potenzials der verschiedenen Arten von Maßnahmen zur Senkung der Gasnachfrage und zur fast vollständigen Schließung der Lücke.
Gebäude: Reduzierung von Heizung und Kühlung
In dem im Rahmen von REPowerEU vorgelegten Energiesparplan vom 18. Mai wurde bereits eine Reihe potenzieller Einsparmaßnahmen in Gebäuden genannt, und Schätzungen zufolge könnten 11 Mrd. m³ eingespart werden. Einfache Verhaltensänderungen, z. B. Herunterdrehen der Heizung in der Wohnung, wenn die Temperatur nicht bereits niedrig ist, kürzeres Duschen, Abschalten von Geräten, anstatt sie auf Stand-by zu schalten, sowie energieeffizientes Kochen, Kühlen und Einfrieren, sind Maßnahmen, die die Energierechnungen senken und keine Nachteile mit sich bringen. Je höher die Reduzierung durch freiwillige Maßnahmen ausfällt, desto weniger muss am Ende in der Industrie verpflichtend gekürzt werden. Ein geringerer Gasverbrauch bedeutet natürlich niedrigere Rechnungen.
Gaseinsparungen können bereits im Sommer erzielt werden, indem die mit der Kühlung verbundene Stromverbrauchsspitze (und damit direkt der Gasverbrauch) verringert wird. Während der Heizperiode (Oktober-März) können große Einsparungen erzielt werden, indem alternative Wärmequellen für die Fernwärmeversorgung genutzt werden, Wärmepumpen und intelligente Energiemanagementsysteme in Haushalten zum Einsatz kommen und Gassparkampagnen durchgeführt werden, bei denen es z. B. darum geht, das Thermostat um 1° herunterzudrehen (ausgenommen Personen, die bereits jetzt ihre Wohnung nicht angemessen heizen können) oder weniger warmes Wasser zu nutzen. Gut konzipierte Bonus-Malus-Tarifsysteme können ebenfalls Verhaltensänderungen und zusätzliche Einsparungen fördern. Einsparungen lassen sich auch erreichen, indem vorgeschrieben wird, öffentliche Gebäude, Büros, Geschäftsgebäude und offene Bereiche wie Außenterrassen weniger zu heizen, sofern dies technisch machbar und durchsetzbar ist. Der Vorreiterrolle von Behörden kommt in dieser Hinsicht entscheidende Bedeutung zu.
Strom- und Wärmeerzeugung: Einsparung von nicht kritischem Gas
Es besteht ein großes Potenzial, bei der Strom- und Wärmeerzeugung Gas einzusparen, indem der Stromverbrauch gesenkt, Strom- und Wärmequellen gewechselt und Strom importiert wird. Die Kommission hat ENTSO-E gebeten, die Auswirkungen einer möglichen Gasknappheit auf die Stromerzeugung abzuschätzen. Einer ersten Schätzung zufolge wird nur die Hälfte des im Elektrizitätssektor verbrauchten Gases als kritisch für die Gewährleistung der Stromversorgungssicherheit angesehen. Derzeit läuft eine weitere Analyse in Bezug auf die Vorsorge für den Winter im Bereich Strom, bei der die Verfügbarkeit von Kernkraftwerken und Wasserkraftreserven, die in diesem Jahr möglicherweise stärker beeinträchtigt sind, berücksichtigt werden sollte. Diese erste Schätzung deutet jedoch auf die Möglichkeit hin, eine erhebliche Menge Gas einzusparen. So hat die EU seit Jahresbeginn beispielsweise neue Kapazitäten für erneuerbare Energien in Höhe von mindestens 20 GW geschaffen. Durch die Umstellung auf alternative Brennstoffe zur Stromerzeugung könnten in den nächsten acht Monaten erhebliche Einsparungen erzielt werden (siehe Abbildung Seite 14), und zwar zusätzlich zur nachfrageseitigen Flexibilität zur Verringerung von Nachfragespitzen.
Die Wahl der Energiequellen für die Strom- und Wärmeerzeugung ist letztlich Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, wobei das Klimaziel der EU für 2030, das langfristige Ziel der Klimaneutralität, die Maßnahmen der EU zur Luftqualität und die Auswirkungen der Entscheidungen auf andere Mitgliedstaaten und auf die kollektive Versorgungssicherheit berücksichtigt werden müssen. Bei den laufenden Arbeiten zur Verstärkung der nationalen Vorsorge und zur Überprüfung der Planung der schrittweisen Inbetriebnahme und Außerbetriebnahme von Kraftwerken sollten die europaweiten Auswirkungen vor dem Hintergrund der neuen aktuellen Umstände, einschließlich der Risiken für die Versorgungssicherheit und der Preise für alternative Brennstoffe auf den globalen Energiemärkten, berücksichtigt werden. Dies ist ein zentraler Aspekt der nationalen Risikovorsorgepläne im Rahmen der Verordnung über die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor, die die Kommission derzeit überprüft.
Die Umstellung auf andere Brennstoffe, ob sie nun weniger CO2-intensiv und umweltbelastend sind als Erdgas oder nicht, würde aufgrund der hohen Gaspreise in der Regel automatisch erfolgen. Bei der Umstellung auf Biomasse oder Diesel muss jedoch sichergestellt werden, dass die Standorte, an denen sie genutzt werden, über ausreichende Mengen dieser alternativen Brennstoffe verfügen, und es müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um diese alternativen Brennstoffe zu speichern und die diesbezügliche Versorgungssicherheit zu überwachen. Einige Mitgliedstaaten haben die Abschaltung von Kernkraftwerken verschoben. In anderen dürfen Steinkohle-/Braunkohlekraftwerke wieder ans Netz gehen oder mehr produzieren.
Das im Rahmen des fünften und sechsten Sanktionspakets der EU erlassene Einfuhrverbot für Kohle und Erdöl aus Russland sollte von den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Brennstoffwechseln berücksichtigt werden, da es Auswirkungen auf die Verfügbarkeit früherer Bezugsquellen haben könnte. Bei Erdöl ist die optimale Verwaltung der vorhandenen Sicherheitsvorräte ein wesentliches Element. Die vorhandenen Erdölsicherheitsvorräte bieten ein Sicherheitsnetz, das im Einklang mit den EU-Vorschriften und den nationalen Notfallplänen zum Einsatz kommen kann.
Ein Brennstoffwechsel kann auch Auswirkungen auf die Luftverschmutzung – und damit auf die Gesundheit von Mensch und Ökosystemen – sowie auf den Wasserverbrauch haben. Gemäß der Richtlinie über Industrieemissionen ist es zulässig, mit Gas betriebenen Feuerungsanlagen, die auf Öl umgestellt werden, unter bestimmten Bedingungen Abweichungen von den Emissionsgrenzwerten zu gewähren, wenn ein vorrangiges Bedürfnis für die Aufrechterhaltung der Energieversorgung gegeben ist. Diese Abweichung ist möglich solange die Notwendigkeit fortbesteht, vorausgesetzt, die Kommission wird ordnungsgemäß unterrichtet. Wie der Gerichtshof klargestellt hat, stellt ein Projekt, das nicht mit Arbeiten oder Eingriffen zur Änderung der bestehenden Anlagen verbunden ist, kein Projekt im Sinne der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung dar, für das eine neue Genehmigung erforderlich ist. Analog würde der Brennstoffwechsel eines Kraftwerks nicht als Projekt gelten, sofern er nicht mit Arbeiten oder Eingriffen einhergeht. Im Einklang mit REPowerEU wird in der Änderung des Befristeten Krisenrahmens für staatliche Beihilfen auf die Möglichkeit hingewiesen, Beihilfen für den Brennstoffwechsel, vorrangig auf saubere Energiequellen, zu gewähren.
Maßnahmen zum Brennstoffwechsel sollten so konzipiert sein, dass die mittelfristigen Dekarbonisierungsziele und die Notwendigkeit, die Umstellung auf saubere Energie zu beschleunigen, nicht gefährdet werden, eine Zunahme der Umweltverschmutzung minimiert wird und die von den Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen, langfristig aus der Kohlenutzung insgesamt auszusteigen, nicht gefährdet werden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dafür zu sorgen, dass die Maßnahmen nicht zu einer künftigen Abhängigkeit von Prozessen, bei denen Kohlendioxid freigesetzt wird („Carbon Lock-in“), führen.
Schließlich arbeitet die EU mit der Ukraine und ENTSO-E zusammen, um den Stromhandel zwischen der Ukraine und der EU auszubauen, um sowohl die Ukraine zu unterstützen als auch eine CO2-ärmere Alternative für benachbarte Mitgliedstaaten bereitzustellen.
Industrie: Brennstoffwechsel, andere marktbasierte Maßnahmen und Kriterien für intelligente Priorisierung
Die Industrie ist bereits mit höheren Energiepreisen konfrontiert, und einige Branchen verzeichnen aus diesem Grund bereits eine hohe Zahl von Unternehmensschließungen. Die hohen Gaspreise waren zum Teil dafür verantwortlich, dass die Nachfrage nach Gas in der EU im ersten Halbjahr 2022 um 5 % im Vergleich zu den Vorjahren zurückging. Dieser Trend dürfte sich so lange fortsetzen, wie die Preise hoch bleiben. Eine ausführlichere Beschreibung der Maßnahmen zur Einsparung von Gas und zum Brennstoffwechsel findet sich im Anhang dieser Mitteilung.
In der Industrie sollte die Reaktion als nächstes auf marktbasierte Maßnahmen ausgerichtet sein, um Anreize zur Senkung der Nachfrage zu schaffen und den Schaden für Gesellschaft und Wirtschaft zu begrenzen. Gas wird als Ausgangsstoff und Energiequelle von Branchen verwendet, deren technisches Potenzial und Kosten für einen Brennstoffwechsel oder eine Senkung des Verbrauchs von einem Sektor zum anderen erheblich variieren. Marktinstrumente sind ein wirksames Mittel, um die günstigsten Reduzierungsoptionen zu erschließen.
Die Kommission unterstützt nachdrücklich bewährte Verfahren wie nationale, regionale oder gemeinsame Auktionen oder Ausschreibungen, um für industrielle Verbraucher Anreize zur Senkung des Verbrauchs zu schaffen, indem Unternehmen die Möglichkeit gegeben wird, eine Reduzierung ihres Gasverbrauchs anzubieten. Dies würde zu einer Senkung des derzeitigen Gesamtverbrauchs an Gas führen und dafür sorgen, dass mehr Gas, z. B. für die Befüllung der Speicher, verfügbar ist. Diese Auktionen oder Ausschreibungen könnten auf grenzüberschreitender Ebene organisiert werden, um die Möglichkeiten einer Nachfragereduzierung insbesondere durch große grenzüberschreitende Kunden, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, zu maximieren. Wie auch im Befristeten Krisenrahmen für staatliche Beihilfen dargelegt, ermöglichen es die EU-Beihilfevorschriften den Mitgliedstaaten, diesbezüglich unter bestimmten Bedingungen Anreize für eine freiwillige Senkung der Gasnachfrage zu schaffen, z. B. indem Anreize für die Umstellung auf sauberere Energiequellen geschaffen werden.
Die Kommission wird die Idee von EU-Auktionen in enger Abstimmung mit den Mitgliedstaaten rasch prüfen.
Andere ähnliche marktbasierte Maßnahmen, die bereits in den nationalen Notfallplänen vorgesehen sind, umfassen sogenannte „unterbrechbare Verträge“, d. h. eine Flexibilitätsmaßnahme, bei der ein vorab festgelegter finanzieller Ausgleich für eine im Voraus festgelegte Verringerung des Gasvolumens für die Zeit der Trennung von der Gasversorgung gewährt wird.
Im Notfall müssen die Mitgliedstaaten nach Ausschöpfung aller marktbasierten und nicht marktbasierten Maßnahmen möglicherweise beginnen, die Versorgung von bestimmten Verbrauchergruppen, die sie in einer vorab festgelegten Reihenfolge in ihren Notfallplänen angegeben haben, ganz oder teilweise einzuschränken. Die Ansätze für eine solche Priorisierung unterscheiden sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat und berücksichtigen teilweise, aber nicht in allen Fällen, weiterreichende Auswirkungen auf kritische Segmente der EU-Wirtschaft oder der Weltwirtschaft. Im Falle unkoordinierter Entscheidungen besteht das erhebliche Risiko einer Fragmentierung des Binnenmarkts mit ungewollten Auswirkungen nationaler Entscheidungen auf andere EU-Länder, wie wir es während der COVID-19-Krise erlebt haben. Koordinierung ist von entscheidender Bedeutung, um die Integrität des Binnenmarkts so weit wie möglich zu wahren. Der beigefügte Europäische Plan zur Senkung der Nachfrage enthält Leitlinien für die Mitgliedstaaten zur Überprüfung und Verbesserung der Priorisierung anhand gemeinsamer Grundsätze und Kriterien, um die sozioökonomischen Auswirkungen in einem breiteren EU-Kontext zu koordinieren und zu minimieren und gleichzeitig die europäische Solidarität zu wahren.
Im Falle gezielter Kürzungen ist es von entscheidender Bedeutung, die sozioökonomischen Auswirkungen abzumildern. Diese Leitlinien sollten sich in den aktualisierten Notfallplänen der Mitgliedstaaten klar wiederspiegeln. Sie werden künftige Koordinierungsmaßnahmen erleichtern, sobald diese erforderlich sind. Wie in der begleitend zum REPowerEU-Plan vorgelegten Mitteilung über kurzfristige Marktinterventionen erwähnt, könnte es bei einem regionalen oder unionsweiten Notfall gemäß der Verordnung über die Gasversorgungssicherheit auch erforderlich sein, einen administrierten Preis für Gas festzulegen, um den Zeitraum eines ausgerufenen Unionsnotstands abzudecken.
Für die Wirtschaftszweige, die eine strategische Rolle für das Funktionieren der Wirtschaft und Gesellschaft der EU spielen, könnten neue Instrumente entwickelt werden, um sie bei ihren Bemühungen um Substitution, Diversifizierung und Einsparungen zu unterstützen, wenn das Potenzial von Marktpreismechanismen und marktbasierten Optionen ausgeschöpft ist.
Verstärkte Governance für Solidarität und Mechanismen zur Unterstützung der Zusammenarbeit
Die Situation erfordert einen Mechanismus, der es der Kommission und den Mitgliedstaaten ermöglicht, ihre Zusammenarbeit zur Bewältigung verschiedener Aspekte der sich entwickelnden Krise und zum Schutz des Binnenmarkts weiter zu verstärken. Die bestehende Koordinierungsgruppe „Gas“ kann dieser Anforderung dadurch Rechnung tragen, dass sie regelmäßig und erforderlichenfalls auf Ebene der Generaldirektoren und mit Vertretern der Industrieministerien zusammenkommt. Sie wird eine entscheidende Rolle dabei spielen, die Auswirkungen der Nachfragesenkung auf kritische Sektoren und Wertschöpfungsketten in der gesamten EU zu überwachen und den erforderlichen Informationsaustausch zu ermöglichen, gegebenenfalls unter Einbeziehung anderer einschlägiger Interessenträger, Sozialpartner und politischer Foren.
In Notfällen würde eine wirksame und unverzügliche Solidarität dadurch erleichtert, dass die in der Verordnung über die Gasversorgungssicherheit vorgesehenen bilateralen Solidaritätsvereinbarungen bereits geschlossen wurden, in denen die im Krisenfall geltenden technischen, rechtlichen und finanziellen Regelungen für die Versorgung der rechtlich geschützten Kunden der Nachbarländer mit Gas geklärt werden. Es ist dringend erforderlich, dass alle Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, die erforderlichen Solidaritätsvereinbarungen fertigstellen. Bilaterale Solidaritätsvereinbarungen allein reichen jedoch möglicherweise nicht aus. Eine Koordinierung auf EU-Ebene wird unabdingbar bleiben.
3.
Ein gemeinsames EU-Instrument zur Koordinierung der Senkung der Gasnachfrage
Durch die erforderliche Nachfragesenkung können die Risiken für den nächsten Winter nur verringert werden, wenn sich alle Mitgliedstaaten diesem gemeinsamen Ziel fest verpflichten. Angesichts der beispiellosen Gasversorgungskrise und ihrer grenzüberschreitenden Auswirkungen kann darüber hinaus kein Mitgliedstaat allein dem Risiko ernsthafter wirtschaftlicher Schwierigkeiten infolge von Preissteigerungen oder erheblichen Versorgungsunterbrechungen ausreichend oder wirksam begegnen. Um ihre volle Wirkung entfalten zu können, muss die gemeinsame Vorbereitung der EU auf den Winter durch einen soliden Rechtsrahmen untermauert werden, der ein koordiniertes und rasches Handeln gewährleistet. Die derzeitigen Umstände rechtfertigen den Rückgriff auf die in Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegten Regelungsbefugnisse für Notfälle.
Die Kommission schlägt daher eine Verordnung des Rates vor, um dem Risiko eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage auf dem europäischen Gasmarkt mit wirksamen Maßnahmen begegnen zu können, auch durch den erforderlichen Governance-Rahmen. In einem ersten Schritt haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die erforderliche Senkung auf freiwilliger Basis durchzuführen. Sollte sich die Lage verschlechtern und es sich als notwendig erweisen, einen EU-Alarm auszurufen, würde gemäß dem im Notfall-Vorschlag festgelegten Rahmen ein verbindliches Ziel für die Senkung der Gasnachfrage umgesetzt. Jeder Mitgliedstaat würde in Absprache mit den Nachbarländern Maßnahmen zur Senkung der Nachfrage festlegen. Der Verordnungsentwurf sieht daher Folgendes vor:
·Alle Mitgliedstaaten sind aufgefordert, nach besten Kräften weiterhin in Alternativen zu russischem Gas zu investieren und mindestens für die nächsten acht Monate das unverbindliche Ziel einer Senkung ihrer Nachfrage um 15 % gegenüber der durchschnittlichen Nachfrage der letzten fünf Jahre (2016-2021) zu erreichen. Dies würde in diesem Zeitraum europaweite Einsparungen von 45 Mrd. m³ Gas ermöglichen. Die entsprechenden Reduzierungsbemühungen sollten sich auf die Leitlinien des Europäischen Plans zur Senkung der Nachfrage stützen.
·Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, ihre bestehenden nationalen Notfallpläne zu aktualisieren, um die spezifischen Maßnahmen zur Senkung der Nachfrage zu ermitteln, die sie entsprechend bis Ende September ergreifen wollen.
·Es wird ein Governance-Rahmen festgelegt, der die Bewertung der von allen Mitgliedstaaten unternommenen Bemühungen erleichtert, in Alternativen zu russischem Gas zu investieren, die Gasnachfrage zu senken und durch nationale Maßnahmen bedingte Störungen der Lieferketten der EU zu berücksichtigen.
·Es wird ein Verfahren eingeführt, um in den kommenden Wochen oder Monaten jederzeit einen EU-Alarm ausrufen zu können, wenn sich die Lage und die Aussichten in Bezug auf das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage negativ entwickeln und die Gefahr einer gravierenden Gasknappheit und einer erheblichen Verschlechterung der Versorgungssicherheit besteht. Sollte dieser Fall eintreten, kann die Kommission eine verbindliche Senkung um 15 % auslösen, um die Reduzierung sicherzustellen, die in der EU insgesamt erforderlich ist, damit alle sicherer über den Winter kommen.
4.
Fazit und weitere Schritte
Es ist an der Zeit, dass die EU Risiken antizipiert und die Vorsorge im Bereich Gasversorgungssicherheit proaktiv verstärkt. Dies ist ein Signal an alle öffentlichen Einrichtungen, Verbraucher, Haushalte, Eigentümer öffentlicher Gebäude und Energieversorger, dass sie jetzt außerordentliche und schnelle Maßnahmen ergreifen müssen, um Gas zu sparen, damit mögliche Versorgungsstörungen in den nächsten Monaten weniger Folgen für die Wirtschaft der EU haben.
Die Vorbereitung auf mögliche größere Versorgungsstörungen vor dem nächsten Winter oder während des nächsten Winters ist von entscheidender Bedeutung für die Resilienz der EU und die Glaubwürdigkeit ihrer Reaktion auf die geopolitischen Ereignisse. Sie wird nur mit Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger und anderer Verbraucher gelingen, die durch Einbeziehung in den Entscheidungsprozess erreicht werden kann.
Unabhängig von einer kurzfristigen vollständigen Unterbrechung der Lieferungen aus Russland wird ein frühzeitiges gemeinsames Vorgehen auf EU-Ebene zu diesem bei der Speicherbefüllung kritischen Zeitpunkt die Notwendigkeit einer möglichen und schmerzhafteren Verringerung der Nachfrage später im Winter verringern.
Durch die Beschleunigung der Diversifizierung und die koordinierte Umsetzung einer glaubwürdigen Nachfragereduzierung in allen Mitgliedstaaten kann die EU dem Markt ein starkes Signal senden, dass Europa für weitere Lieferunterbrechungen gewappnet ist. Es ist resilienter, besser in der Lage, unvorhergesehene Entwicklungen zu bewältigen, und kann dazu beitragen, deren preisliche und wirtschaftliche Auswirkungen abzumildern.
Die EU sollte Vertrauen in ihre Fähigkeit haben, die Folgen größerer Lieferunterbrechungen bewältigen zu können, und ihre Anstrengungen zur Beendigung ihrer Abhängigkeit von russischem Gas deutlich verstärken. Der beigefügte Vorschlag für eine Verordnung des Rates und der Europäische Vorsorgeplan für den Winter bieten den Mitgliedstaaten ein gemeinsames Regulierungsinstrument und Leitlinien, um die Nachfrage rasch und kosteneffizient auf ein Niveau zu senken, das ausreichend ist, um durch den nächsten Winter zu kommen und uns sicher auf die nächsten Schritte vorzubereiten. Ziel ist es, im Geiste der Solidarität und Verantwortung koordinierte nachfrageseitige Maßnahmen und Kriterien in der gesamten EU vorzusehen, wie von den Staats- und Regierungschefs der EU gefordert. Bewährte Verfahren wie gemeinsame Auktionen zur Senkung des Verbrauchs und weniger starkes Heizen in öffentlichen Gebäuden sollten rasch in Betracht gezogen werden.
Die Kommission wird dem Rat regelmäßig Bericht erstatten. Durch kontinuierliches politisches Engagement wird eine proaktive und wirksame Koordinierung auf EU-Ebene gewährleistet, die den künftigen Herausforderungen entspricht.
Gleichzeitig ist es von entscheidender Bedeutung, die Annahme der überarbeiteten Verordnung über die Gasversorgungssicherheit zu beschleunigen, die in der Überarbeitung der Verordnung über den Gasmarkt im Dezember 2021 vorgesehen ist und mit der automatische und harmonisierte Solidaritätsklauseln zwischen den Mitgliedstaaten eingeführt werden, um die Versorgung geschützter Kunden auch in extremen Krisen zu gewährleisten.
Das Voranbringen und die unverzügliche Umsetzung dieses Plans wird die Unsicherheit verringern, die Risikoprämien auf den Energiemärkten begrenzen, zu einer stärkeren Befüllung der Speicher beitragen und dem Gasverbrauch dort Vorrang einräumen, wo Gas am dringendsten benötigt wird. Letztlich werden dadurch die EU und ihre Mitgliedstaaten angesichts möglicher größerer Störungen der Gasversorgung bis zum und im nächsten Winter gestärkt.