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Document 61987CC0031

Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 4. Mai 1988.
Gebroeders Beentjes BV gegen Niederländischer Staat.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Arrondissementsrechtbank 's-Gravenhage - Niederlande.
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge.
Rechtssache 31/87.

Sammlung der Rechtsprechung 1988 -04635

ECLI identifier: ECLI:EU:C:1988:226

61987C0031

Schlussanträge des Generalanwalts Darmon vom 4. Mai 1988. - GEBROEDERS BEENTJES BV GEGEN KOENIGREICH DER NIEDERLANDE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM ARRONDISSEMENTSRECHTBANK DEN HAAG. - VERFAHREN ZUR VERGABE OEFFENTLICHER BAUAUFTRAEGE. - RECHTSSACHE 31/87.

Sammlung der Rechtsprechung 1988 Seite 04635


Schlußanträge des Generalanwalts


++++

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1 . Die Fragen, die die Arrondissementsrechtbank Den Haag dem Gerichtshof mit Urteil vom 28 . Januar 1987 vorgelegt hat, betreffen die Auslegung von Bestimmungen der Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26 . Juli 1971 über die Koordinierung von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge ( 1 ) ( nachstehend : die Richtlinie ).

2 . Sie haben sich in einem Rechtsstreit ergeben, in dem die Firma Beentjes vom niederländischen Staat Ersatz des Schadens verlangt, der ihr dadurch entstanden sei, daß in einem von der Örtlichen Flurbereinigungskommission Waterland ( nachstehend : Örtliche Kommission ) veranstalteten Ausschreibungsverfahren für Bauaufträge, in dem sie das niedrigste Gebot abgegeben hatte, der Zuschlag dennoch nicht ihr erteilt worden war, sondern dem Unternehmer, der das zweitniedrigste Angebot gemacht hatte, wobei die Örtliche Kommission die Ablehnung des Gebots der Firma Beentjes damit begründet hatte, daß diese Firma weniger geeignet sei . Da die Klage der Firma Beentjes unmittelbar darauf gestützt ist, daß die Örtliche Kommission die Bestimmungen der Richtlinie verkannt habe, hielt es das vorliegende Gericht für angebracht, den Gerichtshof um die Erläuterung bestimmter Voraussetzungen für deren Anwendung zu ersuchen .

3 . Die erste Frage betrifft den Anwendungsbereich der Richtlinie . Sie geht dahin, ob diese auch für die Vergabe von Bauaufträgen durch eine Stelle wie die niederländische Örtliche Flurbereinigungskommission gilt .

4 . Den Begründungserwägungen der Richtlinie zufolge ist die Koordinierung der einzelstaatlichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge neben der Aufhebung der Beschränkungen notwendig für "die gleichzeitige Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistunsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge, die in den Mitgliedstaaten für Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften sowie sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts vergeben werden" ( 2 ). Was die materiellen Bestimmungen betrifft, so gelten nach Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie als "öffentliche Auftraggeber" "der Staat, die Gebietskörperschaft und die in Anhang I aufgeführten juristischen Personen des öffentlichen Rechts"; in diesem Anhang sind für alle Mitgliedstaaten die aus Gebietskörperschaften bestehenden Verbände sowie speziell für die Niederlande verschiedene Gruppen von Einrichtungen, darunter solche mit Hochschulcharakter, aufgeführt .

5 . Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist die Örtliche Flurbereinigungskommission, eine Einrichtung "ohne eigene Rechtspersönlichkeit", mit der Durchführung der Flurbereinigung beauftragt . Sie wird vom Provinzialausschuß eingesetzt und hat die Anweisungen einer Zentralkommission auszuführen, die durch Königliche Verordnung geschaffen wurde und deren Mitglieder von der Krone ernannt werden .

6 . Daß die Örtliche Kommission, worauf das vorlegende Gericht ausdrücklich hingewiesen hat, keine Rechtspersönlichkeit besitzt, gibt mir Anlaß, dem Ausdruck "lichaam" ( Körperschaft ), den es in seiner ersten Frage verwendet, keine andere Bedeutung beizumessen als "Organismus" oder "Stelle ".

7 . Das Vorbringen der niederländischen Regierung im Ausgangsverfahren, wonach die Richtlinie nicht auf die Vergabe von Bauaufträgen durch Stellen wie die Örtliche Kommission anwendbar sei, beruht auf einer schlichten Gegenüberstellung der Wesensmerkmale dieser Kommission mit den vorgenannten Bestimmungen der Gemeinschaftsvorschrift . Da die Örtliche Kommission weder eine Verwaltungsdienststelle des Staates oder eine Gebietskörperschaft sei, noch zu den "in Anhang I (( der Richtlinie )) aufgeführten juristischen Personen des öffentlichen Rechts" zähle, sei die Richtlinie nicht auf von der in Rede stehenden Stelle vergebene Bauaufträge anzuwenden .

8 . Man kann nicht die Augen vor einer Paradoxie der rechtlichen Lage verschließen, in der sich die Örtliche Flurbereinigungskommission befindet und die sich daraus ergibt, daß nach den ausdrücklichen Feststellungen des vorlegenden Gerichts Artikel 35 der Anweisungen der Zentralkommission die Örtliche Kommission verpflichtet, bei der Vergabe ihrer Bauaufträge die Richtlinie anzuwenden . Man darf sich also fragen, ob die Anwendbarkeit der Richtlinie, um die es in ersten Frage geht, wirklich ernsthaft umstritten ist, da ja die niederländischen Behörden - ich verweise auf den ausdrücklichen Wortlaut von Punkt 5.4 . des Vorlageurteils - die Ansicht vertreten haben, die Örtliche Kommission habe die Bestimmungen der Richtlinie durchzuführen .

9 . Das Gebot juristischer Korrektheit verlangt von Ihnen jedoch eine grundsätzliche Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts . Die blosse Feststellung der tatsächlichen Anwendung einer Rechtsnorm mag dadurch erklärbar sein, daß von einer Befugnis Gebrauch gemacht wurde, und genügt daher nicht für den Beweis des Vorliegens einer Rechtspflicht .

10 . In Wirklichkeit sieht sich der Gerichtshof hier mit einer Erscheinung konfrontiert, die im Verwaltungsleben entwickelter Gesellschaften geläufig ist, nämlich der Ausgliederung von Verwaltungsaufgaben . Immer häufiger entscheiden sich die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten dafür, Aufgaben, die von Natur aus öffentlicher Art sind, Einrichtungen zu übertragen, die von der klassischen Verwaltungsorganisation losgelöst sind, ohne jedoch deswegen eine eigene Rechtspersönlichkeit zu besitzen . Diese Ausgliederungen gehen entweder auf das Bestreben zurück, an der Durchführung der in Rede stehenden Ausgaben verwaltungsfremde Kräfte zu beteiligen, was sich dann in der personalen Zusammensetzung der Einrichtungen niederschlägt; oder auf den Wunsch, gegenüber den Bürgern die Unabhängigkeit dieser Einrichtungen zu betonen, was sich darin ausdrückt, daß die klassischen Verwaltungsbehörden ihnen keine Anweisungen erteilen können; oder schließlich auf beide Bestrebungen . So sind z . B . seit einigen Jahren in manchen Staaten "unabhängige Verwaltungsbehörden" in Erscheinung getreten, die mit umfangreichen Zuständigkeiten, insbesondere Regelungsbefugnissen, ausgestattet sind . Aber wir brauchen nicht bis zu solchen Schöpfungen jüngsten Datums zu gehen : Bereits im normalen Verwaltungsbetrieb begegnen uns seit längerer Zeit Organismen wie etwa die Prüfungsausschüsse, deren Tätigkeit in materieller Hinsicht administrativer Natur ist, die jedoch getrennt und unabhängig von den klassischen Strukturen der Verwaltung arbeiten; letztere werden - da es an einer Dienstaufsicht fehlt - sozusagen funktionell ferngehalten .

11 . Soweit die niederländische Örtliche Flurbereinigungskommission, wie ich es sehe, dieses Phänomen der administrativen Ausgliederung verkörpert, läuft die Ihnen gestellte Frage eigentlich darauf hinaus, ob Organismen, die ausserhalb der klassischen Strukturen der Verwaltung stehen, aber - ohne mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet zu sein - Aufgaben erfuellen, für die normalerweise der Staat oder die Gebietskörperschaften zuständig sind, der Anwendung der die Staaten oder die Gebietskörperschaften verpflichtenden Gemeinschaftsnormen entzogen werden können .

12 . Hierbei kommt es darauf an, funktionelle Unabhängigkeit nicht mit Autonomie zu verwechseln . Wenn die Organismen, um die es hier geht, auch von jeglicher behördlicher Unterordnung unter die "klassische" Verwaltung befreit sind, so dienen sie doch nicht Interessen, die von denen des Staates oder einer Gebietskörperschaft verschieden wären . Sie verfolgen Ziele, die in die normale Zuständigkeit des Staates oder einer solchen Körperschaft fallen . Ein Prüfungsausschuß, der über die Erteilung von Zeugnissen entscheidet, handelt im Namen des Staates oder, je nach der anwendbaren Rechtsordnung, einer Gebietskörperschaft, nicht aber im Dienste irgendwelcher sonstiger - unauffindbarer - Interessen . Daß die Interessen der Bürger berücksichtigt werden, sei es über die Zusammensetzung der Organismen, sei es dank deren funktioneller Unabhängigkeit, ändert deswegen nichts an der Zweckbestimmung dieser Einrichtungen, die in Ermangelung eigener Rechtspersönlichkeit lediglich darin besteht, in der ihnen eigentümlichen Weise den Staat oder eine Gebietskörperschaft zu vertreten . Soweit nichts Gegenteiliges bestimmt ist, müssen daher die für den Staat oder die Gebietskörperschaften geltenden Normen des Gemeinschaftsrechts ipso jure auf die Tätigkeit von Einrichtungen der vorliegend in Rede stehenden Art Anwendung finden .

13 . Da es sich jedoch um die Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts handelt, müssen die Kriterien dafür bestimmt werden, wann eine solche Untrennbarkeit zwischen bestimmten Organismen einerseits und dem Staat oder den Gebietskörperschaften andererseits vorliegt .

14 . Ich schlage Ihnen vor, die Auffassung zu vertreten, daß die Vergabe von Bauaufträgen durch einen Organismus, der keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, dessen Mitglieder jedoch von den Behörden des Staates oder einer Gebietskörperschaft ernannt werden, dem Aufgaben übertragen wurden, die in die normale Zuständigkeit des Staates oder einer Gebietskörperschaft fallen, und dem diese Stellen die Mittel für deren Erfuellung an die Hand geben, von den Bestimmungen der Richtlinie erfasst wird, wenn jene Aufträge mit der Erfuellung dieser Aufgabe im Zusammenhang stehen .

15 . Die Vorgehensweise, die ich Ihnen nahelegen möchte und die darin besteht, sich nicht streng an den Wortlaut von Begriffen wie "Staat" oder "Gebietskörperschaft" zu halten, ist für Sie nicht neu .

16 . So haben Sie in Ihrem Urteil vom 24 . November 1982 ( Kommission/Irland ) ( 3 ) im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens entschieden, daß eine Regierung, die "die Vorstandsmitglieder (( einer Einrichtung beruft ))", diese durch "öffentliche Gelder, die den grösseren Teil (( ihrer )) Ausgaben decken, (( unterstützt ))" und schließlich "in grossen Zuegen die Ziele der von dieser Einrichtung geführten Kampagne zur Förderung des Absatzes und des Kaufs (( einheimischer )) Erzeugnisse (( bestimmt ))", "sich ... nicht darauf berufen (( kann )), daß die Kampagne von einer privatrechtlichen Gesellschaft durchgeführt worden sei, um sich so jeglicher Verantwortung zu entledigen, die ihr nach den Vorschriften des Vertrages auferlegt sein könnte" ( 4 ).

17 . Weiterhin haben Sie in Ihrem Urteil vom 6 . Oktober 1981 in der Rechtssache Brökmeulen ( 5 ) die Auffassung vertreten, daß der "Streitsachenausschuß für Angelegenheiten der allgemeinen Medizin", ein Organ der Königlich-Niederländischen-Gesellschaft zur Förderung der Medizin, die ihrerseits eine privatrechtliche Vereinigung ist, angesichts der Tatsache, daß er seine Aufgaben mit Zustimmung und unter Mitwirkung der öffentlichen Behörden wahrnehme und daß seine in einem streitigen Verfahren getroffenen Entscheidungen faktisch als endgültig hingenommen würden, "daß es (( also )) auf einem Gebiet, das die Anwendung des Gemeinschaftsrechts betrifft, in der Praxis keinen effektiven Rechtsbehelf zu den ordentlichen Gerichten gibt", als Gericht eines Mitgliedstaates im Sinne von Artikel 177 EWG-Vertrag anzusehen sei .

18 . Ich glaube daher, daß es dem Realitätssinn Ihrer Rechtsprechung gemäß wäre, wenn Sie die Anwendbarkeit der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts über die Vergabe öffentlicher Bauaufträge durch den Staat und die Gebietskörperschaften auf die Vergabe von Bauaufträgen durch eine Stelle bejahten, deren Satzung zwar ihre funktionelle Unabhängigkeit bestehen lässt, jedoch zeigt, daß diese Stelle für Rechnung des Staates oder einer Gebietskörperschaft handelt .

19 . Im vorliegenden Falle ist die in Rede stehende Kommission kraft Gesetzes auf örtlicher Ebene mit der Durchführung der Flurbereinigung betraut . Berücksichtigt man, daß sie sich bei dieser Tätigkeit an die Anweisungen einer Zentralkommission zu halten hat, deren Mitglieder von der Krone ernannt werden, und daß sie nach dem niederländischen Gesetz über Klagen gegen Verwaltungsakte als Verwaltungsorgan der Zentralbehörde anzusehen ist, so wird klar, daß diese Örtliche Kommission, die keine eigene Rechtspersönlichkeit hat, im Namen des Staates mit Verwaltungsaufgaben betraut wurde . Überdies werden ihre Mitglieder vom Provinzialausschuß, einer öffentlichen Behörde, ernannt, und ihre Ausgaben durch die öffentliche Hand finanziert .

20 . Wenn Sie den vorstehenden Darlegungen zustimmen, werden Sie zu dem Ergebnis kommen, daß die öffentlichen Bauaufträge, die durch Stellen wie eine niederländische Örtliche Flurbereinigungskommission vergeben werden, für Rechnung des Staates erteilt werden und somit unter die Bestimmungen der Richtlinie fallen .

21 . Die zweite Frage betrifft den materiellen Inhalt dieser Bestimmungen; es geht darum, ob es mit ihnen vereinbar ist, einen Bieter nach bestimmten Eignungskriterien auszuschließen, die in der Bekanntmachung der Ausschreibung nicht ausdrücklich genannt wurden .

22 . Artikel 20 der Richtlinie stellt den Grundsatz einer Trennung zwischen den jeweiligen Kriterien für die Prüfung der fachlichen Eignung der Unternehmer und die Erteilung des Zuschlags auf :

"Der Zuschlag des Auftrags erfolgt aufgrund der in Kapitel 2 ... vorgesehenen Zuschlagskriterien, nachdem die öffentlichen Auftraggeber die fachliche Eignung der Unternehmer ... nach den in den Artikeln 25 bis 28 genannten Kriterien der wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit geprüft haben ."

23 . Die Richtlinie behandelt die Beurteilung der fachlichen Eignung der Unternehmer unter zwei Gesichtspunkten : dem der finanziellen und wirtschaftlichen ( Artikel 25 ) und dem der technischen Leistungsfähigkeit ( Artikel 26 ).

24 . Was die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit betrifft, um die es im Ausgangsrechtsstreit nicht ging, von der jedoch in der vom niederländischen Staat angeführten staatlichen Rechtsvorschrift die Rede ist, und auf die sich der Wortlaut der Frage bezieht, so ist festzustellen, daß sie gemäß Artikel 25 "in der Regel" durch einen oder mehrere der drei "Nachweise" dargetan werden kann, die unter den Buchstaben a bis c des Artikels beschrieben sind; die öffentlichen Auftraggeber haben in der Bekanntmachung anzugeben, für welchen Nachweis oder für welche Nachweise sie sich entschieden haben und "welche anderen als die unter den Buchstaben a, b und c genannten Nachweise beizubringen sind ".

25 . Der Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit kann nach Artikel 26 durch Dokumente "erbracht werden", die jeweils unter den Buchstaben a bis e des Artikels beschrieben sind; die Vergabebehörden geben in der Bekanntmachung an, welche dieser Dokumente ihnen jeweils vorzulegen sind .

26 . Dieser kurze Hinweis auf die Bestimmungen der Richtlinie über die Prüfung der fachlichen Eignung der Unternehmer gibt Anlaß zu drei Bemerkungen .

27 . Erstes wird klar, daß die Artikel 25 und 26 der Richtlinie entgegen der unter 6.2 . des Vorlageurteils wiedergegebenen Behauptung des niederländischen Staates nicht lediglich die Vereinheitlichung der Dokumente bezwecken, die verlangt werden können, wenn auf Eignungskriterien zurückgegriffen wird . Sie sollen vielmehr diese Kriterien auch festlegen, wie sich aus dem vorgenannten Artikel 20 ergibt . Da die Artikel 25 und 26 angeben, welche Nachweise die öffentlichen Auftraggeber verlangen können, muß angenommen werden, daß die von diesen Nachweisen jeweils betroffenen Eignungsmerkmale die in Artikel 20 angekündigten Kriterien darstellen .

28 . Sicherlich sind diese Kriterien verhältnismässig unvollständig, denn wie Generalanwalt Mischo in seinen Schlussanträgen am 11 . Juni 1987 in Rechtssachen ausführte, in denen es um Vorabentscheidungsfragen des belgischen Conseil d' Etat ging ( 6 ), betreffen die in den Artikeln 25 und 26 genannten Nachweise Eignungsmerkmale - zum Beispiel früher erbrachte Bauleistungen, Ausstattung und technische Ausrüstung oder durchschnittliche Zahl der Beschäftigten -, ohne daß ein bestimmtes Niveau gefordert würde . Hieraus folgt, daß den Vergabebehörden hinsichtlich der Anforderungen dieser Art anscheinend ein gewisser Spielraum belassen wurde . Aber solche Anforderungen müssen - in welcher Weise, werden wir gleich sehen - auf die Eignungsmerkmale bezogen sein, die Gegenstand der in den Artikeln 25 und 26 bezeichneten Nachweise sind .

29 . Eine zweite Bemerkung lässt sich aus einem Vergleich zwischen Artikel 25 und Artikel 26 herleiten . Die Kriterien, die sich aus den unter den Buchstaben a bis e von Artikel 26 beschriebenen technischen Nachweisen ergeben, sind erschöpfender Natur, da die öffentlichen Auftraggeber - anders als es Artikel 25 für die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vorsieht - nicht die Möglichkeit haben, die Vorlage "anderer ... Belege" zu fordern und auf diese Weise Kriterien ins Spiel zu bringen, die sich auf zusätzliche, unter dem vorgenannten Buchstaben nicht aufgeführte Eignungsmerkmale beziehen . In Ihrem Urteil vom 19 . Februar 1982 in der Rechtssache Transporoute ( 7 ) hatten Sie bereits den abschließenden Charakter der Nachweise hervorgehoben, die sich nicht auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit beziehen .

30 . Die dritte Bemerkung betrifft die Rechtsfolgen der Angaben in der Bekanntmachung der Ausschreibung . Nach Artikel 25 und 26 haben die öffentlichen Auftraggeber in ihrer Bekanntmachung jeweils anzugeben, "für welchen Nachweis bzw . welche Nachweise sie sich entschieden haben" oder "welche Nachweise ihnen jeweils vorzulegen sind ". Angesichts der Bedeutung der in diesen Artikeln aufgeführten Nachweise, die, wie Artikel 20 erkennen lässt, gleichzeitig als Festlegung von Faktoren für die Beurteilung der Eignung und als Beschreibung der Dokumente, die diese Beurteilung ermöglichen sollen, zu verstehen sind, meine ich, daß die Richtlinie mit ihrer an die öffentlichen Auftraggeber gerichteten Forderung, in der Bekanntmachung die von ihnen gewünschten Nachweise zu bezeichnen, es diesen Auftraggebern insbesondere zur Pflicht macht, den Unternehmern die qualitativen Faktoren, mit anderen Worten die Kriterien, zur Kenntnis zu bringen, auf deren Grundlage ihre fachliche Eignung geprüft werden soll . Meiner Auffassung nach untersagen es die in Rede stehenden Bestimmungen der Richtlinie daher den öffentlichen Auftraggebern, einen Unternehmer aufgrund von Eignungsmerkmalen auszuschließen, deren Nachweis in der Bekanntmachung nicht verlangt worden war . Würde man anders entscheiden, so würde man, wie ich glaube, die Gefahr heraufbeschwören, daß das Gefüge der Richtlinie auseinanderbricht und daß die von ihr festgelegten Verpflichtungen hinsichtlich der wechselseitigen Unterrichtung der öffentlichen Auftraggeber und der Unternehmer bewusst missachtet werden .

31 . Nach dem "Bekanntmachungsmuster für Aufträge" in Anhang I der Richtlinie 72/277/EWG des Rates über die Einzelheiten und Bedingungen für die Veröffentlichung der Bekanntmachungen von öffentlichen Bauaufträgen und Konzessionen für öffentliche Bauarbeiten im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ( 8 ) müssen die Bekanntmachungen unter Punkt 11 die "wirtschaftlichen und technischen Mindestbedingungen, die vom Unternehmer zu erfuellen sind", angeben . Wenn ich auch nicht den - insbesondere haushaltspolitischen - Nutzen verkenne, den eine Vereinheitlichung der Veröffentlichung der Bekanntmachungen von Ausschreibungen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften mit sich bringt, so schiene mir doch die Auffassung übertrieben, die Angaben zu den von den öffentlichen Auftraggebern geforderten Nachweisen der wirtschaftlich-finanziellen und der technischen Leistungsfähigkeit müssten bei Vermeidung der Nichtigkeit in der Rubrik 11 enthalten sein, so daß Nachweisforderungen, die sich auf in den Artikeln 25 und 26 vorgesehene Eignungsmerkmale beziehen, jedoch in einer anderen Rubrik der Bekanntmachung aufgeführt sind, unbeachtlich seien . Eine derartige Auffassung stuende meines Erachtens weder mit den beim Erlaß der Richtlinie 72/277/EWG verfolgten Absichten noch mit den Erwartungen in Einklang, die der Normgeber der Gemeinschaft mit dem Erlaß der Grundrichtlinie 71/305/EWG verbunden hat .

32 . In dem Fall, der Anlaß zur Anrufung des Gerichtshofes in der vorliegenden Rechtssache gegeben hat, hieß es in der Bekanntmachung der Ausschreibung, deren Rubrik 11 leer geblieben war, am Ende, daß

"das beschäftigte Personal sich zu mindestens 70 % aus Langzeitarbeitslosen zusammensetzen muß, die von der örtlichen Arbeitsbeschaffungsstelle vermittelt wurden ".

Hierzu ist zu bemerken, daß eine Bekanntmachung Eignungsmerkmale zwar auch ausserhalb der Rubrik 11 wirksam aufzählen kann, daß solche Merkmale jedoch unter die Tatbestände der Artikel 25 und 26 fallen müssen, wie dies im übrigen Artikel 16 Buchstabe l der Richtlinie verlangt . Eine Anforderung wie die vorstehend wiedergegebene hat nun aber begriffsnotwendig nichts mit den Nachweisen zu tun, die nach Artikel 25 geeignet sind, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit darzutun; sie dürfte sich auch schwerlich in eine der Rubriken von Artikel 26 einfügen lassen, deren abschließenden Charakter ich bereits betont hatte . Die dergestalt umschriebene Situation könnte widersinnig erscheinen, da der Umstand, daß die Bekanntmachung keine rechtswirksamen wirtschaftlichen und finanziellen Kriterien aufzählt, darauf hinausläuft, daß für die Bewerbung um den Zuschlag des Auftrags keinerlei Eignungsanforderungen gestellt waren, so daß grundsätzlich jedes Unternehmen als geeignet zu gelten hatte . Es ist jedoch zu betonen, daß der öffentliche Auftraggeber sich selbst durch unrichtige Anwendung der Richtlinie in diese Lage versetzt hat . Nicht die Richtlinie, sondern deren Verkennung hat somit zu der widersinnigen Situation geführt .

33 . Um den Kreis der Überlegungen zu schließen, die es Ihnen ermöglichen, die zweite Frage in sachdienlicher Weise zu beantworten, ist es meines Erachtens noch erforderlich, im Hinblick auf den Sachverhalt, der zu Ihrer Befassung geführt hat, die Voraussetzungen für die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie über die Kriterien für den Zuschlag des Auftrags genauer darzulegen .

34 . Nach Artikel 20 der Richtlinie erfolgt dieser Zuschlag aufgrund der in Kapitel 2 von Abschnitt IV vorgesehenen Kriterien . Artikel 29, der zu diesem Kapitel gehört, bestimmt in seinem Absatz 1 folgendes :

"Bei der Erteilung des Zuschlags wendet der öffentliche Auftraggeber folgende Kriterien an :

- entweder ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises;

- oder - wenn der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt - verschiedene Kriterien, die je nach Auftrag wechseln, z . B . den Preis, die Ausführungsfrist, die Betriebskosten, die Rentabilität, den technischen Wert ."

Für den Fall, daß der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilt wurde, heisst es in Absatz 2, daß

"der öffentliche Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen oder in der Bekanntmachung alle Zuschlagskriterien (( angibt )), deren Verwendung er vorsieht, (( und zwar )) so weit wie möglich in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung ".

35 . Artikel 29 zählt zwar die Kriterien, die für die Erteilung des Zuschlags gelten, wenn hierfür nicht ausschließlich auf den niedrigsten Preis abgestellt wird, nicht erschöpfend auf, lässt aber mit aller Deutlichkeit ein all diesen Kriterien gemeinsames Merkmal erkennen : Sie müssen, ebenso wie die ausdrücklich angeführten, die zu erbringende Leistung oder die Modalitäten ihrer Ausführung betreffen, dürfen sich jedoch nicht auf die Person des "Leistungserbringers" beziehen . Einfacher ausgedrückt : Die Kriterien für die Erteilung des Zuschlags "auf das wirtschaftlich günstigste Angebot" betreffen das "Produkt" und nicht den "Produzenten", die Eigenschaften der "Arbeit" und nicht diejenigen des Bauunternehmers .

36 . Damit trifft die Richtlinie eine klare Unterscheidung zwischen den Kriterien für die Prüfung der fachlichen Eignung, die die Eigenschaften des Unternehmers betreffen, und denjenigen für die Erteilung des Zuschlags, die sich auf die Eigenschaften der angebotenen Leistung - also der Arbeiten, die zu verrichten sich der Unternehmer bereit erklärt - beziehen .

37 . Unter diesen Umständen ist es für die Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinie erforderlich, die Kriterien nicht zu verwechseln und für die Erteilung des Zuschlags keine Kriterien heranzuziehen, die die fachliche Eignung der Unternehmer betreffen . Insofern schließe ich mich den Darlegungen der Italienischen Republik mit an, ohne ihnen allerdings folgen zu können, soweit sie eine strenge Trennung im zeitlichen Ablauf der beiden Phasen - Prüfung der fachlichen Eignung und Erteilung des Zuschlags - postulieren . Sicherlich darf ein Kriterium für die fachliche Eignung nicht als Kriterium für die Erteilung des Zuschlags herangezogen werden, aber ich glaube nicht, daß sich der Richtlinie eine Ausschlußfrist für die Beurteilung der fachlichen Eignung entnehmen lässt . Ein öffentlicher Auftraggeber, der erst spät von einem gegen die fachliche Eignung sprechenden Grund erfährt, muß sich "in extremis" hierauf berufen können, sofern kein Ermessensmißbrauch vorliegt, d . h . soweit sich hinter der Einwendung nicht die Weigerung verbirgt, die für die Erteilung des Zuschlags geltenden Kriterien ordnungsgemäß anzuwenden .

38 . Die Bekanntmachung der vorliegenden Ausschreibung enthielt in der Rubrik 13, die in der vorgenannten Richtlinie 72/277/EWG den "Kriterien, die bei der Auftragserteilung angewandt werden", vorbehalten ist, keinerlei Angaben . Das einzige in der Bekanntmachung genannte "Kriterium" war die bereits erwähnte Forderung, bei der Ausführung der Arbeiten eine bestimmte Quote von Arbeitslosen einzusetzen . Aber dieses Kriterium, das keinerlei Beziehung zu den eigentlichen Merkmalen der auszuführenden Arbeiten, der zu erbringenden Leistung, des "Produkts" also, aufwies, durfte nicht als Kriterium für die Erteilung des Zuschlags im Sinne der Richtlinie herangezogen werden und infolgedessen nicht zum Ausschluß eines Bieters führen . Bei einem solchen Sachverhalt, wo weder in der Bekanntmachung noch in den Verdingungsunterlagen ein Kriterium für die Erteilung des Zuschlags rechtsgültig aufgestellt worden war, ergibt sich meines Erachtens bereits aus dem Wortlaut der Richtlinie, daß allein das Kriterium des niedrigsten Preises angewendet werden kann .

39 . Ich schlage Ihnen daher vor, die zweite Frage mit der Feststellung zu beantworten, daß nach der Richtlinie ein Unternehmer nur aufgrund eines oder mehrerer Eignungskriterien, die sich auf die in den Artikeln 25 und 26 vorgesehenen Faktoren beziehen und in der Bekanntmachung der Ausschreibung spezifiziert sind, oder aufgrund eines oder mehrerer der in Artikel 29 vorgesehenen, in der Ausschreibungsbekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen spezifizierten Kriterien für die Erteilung des Zuschlags - in welch letzterem Fall nicht ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises zum Zuge kommt - ausgeschlossen werden kann .

40 . Zur dritten Frage kann ich mich kürzer fassen . Wie die Kommission ausgeführt hat, dürfte die unmittelbare Wirkung der betroffenen Bestimmung der Richtlinie bereits in Ihrem vorerwähnten Urteil in der Rechtssache Transporoute zumindest implizit bejaht worden sein .

41 . In unserem heutigen Fall fragt Sie das vorlegende Gericht, ob sich Einzelpersonen auf die Bestimmungen der Richtlinie, deren Sinn ich im einzelnen dargelegt habe, berufen können,

"auch wenn bei der Übernahme dieser Bestimmungen in die staatlichen Rechtsvorschriften dem Auftraggeber weitergehende Befugnisse zur Verweigerung der Auftragsvergabe eingeräumt worden sind, als es die Richtlinie zulässt ."

In Ihrem Urteil in der Rechtssache Transporoute, in dem es gerade um eine, wie es Generalanwalt Reischl ausdrückte, ungenaue Umsetzung von Artikel 29 ging, haben Sie entschieden, daß der öffentliche Auftraggeber die Bestimmungen dieses Artikels anzuwenden hat, was offensichtlich die unmittelbare Anwendbarkeit der in Rede stehenden Bestimmungen der Richtlinie voraussetzt . Insbesondere haben Sie festgestellt, daß

"das Ziel dieser Bestimmung, den Bieter vor der Willkür des öffentlichen Auftraggebers zu schützen, ... nicht erreicht werden (( könnte )), wenn man diesem die Beurteilung der Frage überließe, ob die Anforderung von Belegen zweckmässig ist ".

42 . Hier, wo es sich um mehrere Bestimmungen der Richtlinie, darunter Artikel 29, handelt, die das gleiche Ziel verfolgen und deren Ziel durch eine staatliche Umsetzungsbestimmung vereitelt werden kann, die der Vergabebehörde ein umfassendes Beurteilungsermessen einräumt, muß die Antwort, wie mir scheint, im gleichen Sinne lauten wie diejenige Ihres Urteils von 1982 . In der Tat verfolgt die rechtliche Konstruktion der Artikel 20, 25, 26 und 29 der Richtlinie offensichtlich das Ziel, im Wege der Festlegung von Kriterien für die fachliche Eignung und die Erteilung des Zuschlags den Bieter vor der Willkür der Vergabebehörde zu schützen . Ebenso klar ist, daß diese Konstruktion durch die Anwendung einer Bestimmung wie Artikel 21 Absatz 2 der Einheitlichen Verordnung zum Einsturz gebracht werden könnte, einer staatlichen Bestimmung zur Umsetzung der Richtlinie, die dahin ginge, die Vergabebehörde von der Beachtung der dort festgelegten Kriterien zu dispensieren . Ich kann daher nur beantragen, im Sinne des von der Richtlinie - deren einschlägige Bestimmungen den Vorrang vor der staatlichen Umsetzungsvorschrift haben müssen - angestrebten Schutzes des Bieters zu entscheiden .

43 . Ich schlage Ihnen deshalb vor, die Fragen der Arrondissementsrechtbank Den Haag wie folgt zu beantworten :

"1)Die Bestimmungen der Richtlinie 71/305/EWG des Rates gelten für die Vergabe von Bauaufträgen durch Einrichtungen ohne Rechtspersönlichkeit, wenn sich aus deren Zusammensetzung und Aufgaben sowie aus den für die Erfuellung dieser Aufgaben eingesetzten Mitteln ergibt, daß die Einrichtung im Namen des Staates oder einer Gebietskörperschaft handelt .

2)Nach diesen Bestimmungen kann ein Unternehmer nur aufgrund eines oder mehrerer der Eignungskriterien, die sich auf in Artikel 25 vorgesehene oder in Artikel 26 niedergelegte Faktoren beziehen und in der Bekanntmachung der Ausschreibung spezifiziert sind, oder eines oder mehrerer der in Artikel 29 vorgesehenen, in der Ausschreibungsbekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen spezifizierten Kriterien für die Erteilung des Zuschlags ausgeschlossen werden, wenn nicht ausschließlich auf das Kriterium des niedrigsten Preises abgestellt wird .

3 ) Eine öffentliche Vergabebehörde hat diese Bestimmungen einzuhalten, ohne sich auf staatliche Umsetzungsvorschriften berufen zu können, die ihr eine umfassende Befugnis zur Beurteilung des Unternehmers und seines Angebots einräumen ."

(*) Aus dem Französischen übersetzt .

( 1 ) ABl . L 185 vom 16 . 8 . 1971, S . 5 .

( 2 ) Erste Begründungserwägung .

( 3 ) Rechtssache 249/81, Slg . 1982, 4005 .

( 4 ) Rechtssache 249/81, a . a . O ., Randnr . 14 .

( 5 ) Rechtssache 246/80, Slg . 1981, 2311 .

( 6 ) Urteil vom 9 . Juli 1987 in den verbundenen Rechtssachen 27, 28, und 29/86, Slg . 1987, 3347 .

( 7 ) Rechtssache 76/81, Slg . 1982, 417 .

( 8 ) ABl . L 176 vom 3 . 8 . 1972, S . 12 .

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