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Έγγραφο 62020CC0132

Schlussanträge des Generalanwalts M. Bobek vom 8. Juli 2021.
BN u. a. gegen Getin Noble Bank S.A.
Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Zulässigkeit – Art. 267 AEUV – Begriff ‚Gericht‘ – Art. 19 Abs. 1 EUV – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Rechtsstaatlichkeit – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz – Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit – Zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht – Gerichtliche Einrichtung, bei der ein Mitglied durch ein politisches Organ der Exekutive eines nicht demokratischen Regimes erstmals für das Amt eines Richters ernannt wurde – Arbeitsweise der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen) – Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, auf dessen Grundlage dieser Rat zusammengesetzt wurde – Möglichkeit, diese Einrichtung als unparteiisches und unabhängiges Gericht im Sinne des Unionsrechts einzustufen.
Rechtssache C-132/20.

Συλλογή της Νομολογίας — Γενική Συλλογή — Τμήμα «Πληροφορίες για τις μη δημοσιευόμενες αποφάσεις» ; Συλλογή της Νομολογίας — Γενική Συλλογή

Αναγνωριστικό ECLI: ECLI:EU:C:2021:557

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 8. Juli 2021 ( 1 )

Rechtssache C‑132/20

BN,

DM,

EN

gegen

Getin Noble Bank S.A.,

Beteiligter:

Rzecznik Praw Obywatelskich

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy [Oberstes Gericht, Polen])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 267 AEUV – Begriff ‚Gericht‘ – Begriff ‚durch Gesetz errichtet‘ – Richterliche Unabhängigkeit – Entscheidungserheblichkeit der Fragen – Art. 19 Abs. 1 EUV – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art und Weise der Prüfung – Verfahren zur Ernennung eines nationalen Richters – Lustrationsmaßnahmen – Unabsetzbarkeit der Richter“

I. Einleitung

1.

„Hängt alle Richter auf!“ An diesen Rat eines englischen Philosophen und Politikwissenschaftlers erinnerte sich der ehemalige Gouverneur der Tschechischen Nationalbank, als er gefragt wurde, was nach dem Sturz der kommunistischen Regime als Erstes zu tun sei, um die rechtliche und juristische Transformation in Mittel- und Osteuropa herbeizuführen ( 2 ).

2.

Der situationsbedingte schwarze Humor, der in diesem Spruch geballt zum Ausdruck kommt, wird wohl am besten von denjenigen verstanden, die selbst Zeugen der umfassenden gesellschaftlichen Umgestaltungen innerhalb des ehemaligen kommunistischen Ostblocks waren. Diese sind wohl besser in der Lage, sich den skurrilen Kontrast vorzustellen, wie eine Gruppe frisch geprägter Politiker, die die kommende gesellschaftliche Umgestaltung bewerkstelligen sollen, sich um einen soeben aus dem Westen angereisten Berater versammelt. Ungeduldig warten alle auf das Wundermittel, das auf Recht und Richter zur Anwendung kommen soll. Wie kann man die (Samtene) Revolution auch in die Reihen der kommunistischen Justiz hineintragen? Der einzige Rat, den man erhält, ist jedoch nur eine nicht wirklich amüsante Stichelei. Selbst wenn man ihn seines mit Gewalt verknüpften Bedeutungsgehalts entkleidet und einfach als Vorschlag für eine vollständige personelle Erneuerung des Justizpersonals versteht, bleibt er in der komplexen Realität eines europäischen Landes im späten 20. Jahrhundert an der Schwelle zu einem friedlichen gesellschaftlichen Übergang kaum mehr als ein nicht sehr hilfreicher Scherz.

3.

Überprüft alle Richter!“ Einen solchen Vorschlag aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union rund 30 Jahre später und etwa 16 Jahre nach dem Beitritt dieses Mitgliedstaats zur Europäischen Union zu hören, ist ein ziemlich verblüffendes Déjà-vu-Erlebnis. Im Gegensatz zu den persönlichen Betrachtungen eines ehemaligen hohen Beamten über die zurückliegenden Zeiten des Übergangs in der Einleitung seines Beitrags zu einer Festschrift zu Ehren eines bedeutenden Richters, der an diesen Ereignissen beteiligt war, ist die vorgeschlagene Überprüfung der Angehörigen der Justiz wohl kein schwarzer Humor. Sie scheint vielmehr die ernsthafte Frage nach der gegenwärtigen und künftigen Verfahrensweise des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen), dem vorlegenden Gericht in der vorliegenden Rechtssache (oder zumindest einiger seiner Mitglieder) zu sein.

4.

In der vorliegenden Rechtssache möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Umstände der erstmaligen richterlichen Ernennung eines Richters in einem Mitgliedstaat zu einer Zeit, als dieser Staat noch von einem undemokratischen Regime regiert wurde, und vor dem Beitritt dieses Staates zur Europäischen Union sowie der Verbleib eines solchen Richters in der Justiz dieses Staates nach dem Fall des kommunistischen Regimes geeignet sind, heute Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieses Richters im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) zu wecken. Mit seinen anschließenden Fragen erstreckt das Gericht im Kern dieselbe Frage auch auf spätere Richterernennungen in Polen, wobei es andeutet, dass es andere verfahrensrechtliche Probleme gebe, die eine Auswirkung auf diese Ernennungen gehabt haben könnten. Somit fragt das vorlegende Gericht also tatsächlich, ob es im Namen der vom Unionsrecht garantierten richterlichen Unabhängigkeit im Hinblick auf das Filtern der Rechtsmittel zum obersten nationalen Gericht eine indirekte Überprüfung womöglich aller vor 2018 ernannten polnischen Richtern durchführen dürfe.

5.

Allerdings ist diesen Sachen ein gewichtiges Zulässigkeitsproblem vorgelagert. Die Vorlageentscheidung in der vorliegenden Rechtssache ist von einem Richter eingereicht worden, dessen eigene kürzlich erfolgte Ernennung zum Richter stark umstritten ist. Sie sei rechtswidrig und unter eklatanter Verletzung des nationalen Rechts zustande gekommen. Ist ein solcher Richter, der im Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) als Einzelrichter die Zulässigkeit bei dieser Einrichtung eingelegter Rechtsmittel prüft, ein „Gericht“ im Sinne der autonomen Definition einer solchen Einrichtung gemäß Art. 267 AEUV?

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

6.

Gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV „schaffen [die Mitgliedstaaten] die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“.

7.

Nach Art. 267 AEUV kann nur ein „Gericht“ eines Mitgliedstaats dem Gerichtshof der Europäischen Union ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegen.

8.

Die Charta enthält in Titel VI („Justizielle Rechte“) Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“), der wie folgt lautet:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. …

…“

9.

Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ( 3 ) in geänderter Fassung bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.

(2)   Die in Absatz 1 genannten Mittel müssen auch Rechtsvorschriften einschließen, wonach Personen oder Organisationen, die nach dem innerstaatlichen Recht ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, damit diese darüber entscheiden, ob Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, missbräuchlich sind, und angemessene und wirksame Mittel anwenden, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen.“

B.   Nationales Recht

10.

In seiner Vorlageentscheidung verweist das vorlegende Gericht auf eine Reihe von Bestimmungen des nationalen Rechts. Für die Zwecke der vorliegenden Schlussanträge sind die folgenden Bestimmungen von besonderer Bedeutung.

11.

Art. 379 Nr. 4 der Ustawa z dnia 17 listopada 1964 r. Kodeks postępowania cywilnego (Gesetz vom 17. November 1964 – Zivilprozessordnung) sieht vor, dass das Verfahren u. a. dann ungültig ist, wenn das Gericht, das die Sache entscheidet, nicht gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zusammengesetzt ist oder das Verfahren im Beisein eines Richters geführt wurde, der ausgeschlossen war.

12.

Gemäß Art. 3989 Nr. 3 dieses Gesetzes ist eine Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn u. a. die angefochtene Entscheidung in einem ungültigen Verfahren ergangen ist.

13.

Nach Art. 39813 dieses Gesetzes prüft das Oberste Gericht die Rechtsbeschwerde im Umfang und anhand der Gründe des Rechtsmittels. Im Rahmen der Tragweite des Rechtsmittels berücksichtigt dieses Gericht die Ungültigkeit des Verfahrens jedoch von Amts wegen.

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

14.

Am 3. März 2017 erhoben die Kassationsbeschwerdeführer des Ausgangsverfahrens vor dem Sąd Okręgowy w Świdnicy (Bezirksgericht Schweidnitz, Polen) Klage gegen die Kassationsbeschwerdegegnerin, die Getin Noble Bank SA. Die Kassationsbeschwerdeführer beantragen, die Kassationsbeschwerdegegnerin zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger einen Betrag von 175107,10 polnischer Zloty (im Folgenden: PLN) zuzüglich gesetzlicher Verzugszinsen für die Zeit ab Rechtshängigkeit bis zum Tag der Zahlung zu zahlen. Die Parteien hatten am 3. April 2008 einen an eine Fremdwährung (Schweizer Franken; im Folgenden: CHF) gekoppelten Hypothekenkreditvertrag geschlossen. Die Kassationsbeschwerdeführer machten die Missbräuchlichkeit des in diesem Vertrag geregelten Kopplungsmechanismus des Kredits sowie einer sogenannten Paketklausel betreffend eine Versicherung für den Fall, dass die Eintragung der Hypothek während der ersten drei Monate der Kreditlaufzeit abgelehnt wird, geltend.

15.

Mit Urteil vom 21. August 2018 gab der Sąd Okręgowy w Świdnicy (Bezirksgericht Schweidnitz) den Klagen teilweise statt. Das Gericht hielt die Vertragsklauseln des streitigen Kreditvertrags, die der Bank erlaubten, den CHF‑Wechselkurs frei zu bestimmen, für rechtswidrig. Es sprach den Kassationsbeschwerdeführern als Gesamtgläubigern einen Betrag von 16120,12 PLN nebst gesetzlichen Verzugszinsen zu.

16.

Die Kassationsbeschwerdeführer legten gegen dieses Urteil Berufung beim Sąd Apelacyjny we Wrocławiu (Berufungsgericht Breslau, Polen) ein. Dieser wies die Berufungen mit Urteil vom 28. Februar 2019 zurück und schloss sich den tatsächlichen Feststellungen sowie der rechtlichen Beurteilung des erstinstanzlichen Gerichts an.

17.

Gegen das Berufungsurteil (im Folgenden: angefochtenes Urteil) legten die Kassationsbeschwerdeführer beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) Rechtsbeschwerde ein; das Verfahren ist derzeit dort anhängig. Das vorlegende Gericht ist im laufenden Verfahrensstadium mit der Entscheidung über die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde befasst.

18.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 93/13 die Möglichkeit vorsehen müssen, dass Verfahren (vor einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht) eingeleitet werden können, um festzustellen, ob Vertragsklauseln missbräuchlich sind. In Polen habe der nationale Gesetzgeber ein entsprechendes Gerichtsverfahren geschaffen. Demzufolge müsse eine nationale Einrichtung, die Rechtssachen im Rahmen der Richtlinie 93/13 prüfe, die unionsrechtlichen Anforderungen an ein „Gericht“, wie sie in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelt worden seien, erfüllen.

19.

Dem Spruchkörper, der das angefochtene Urteil erlassen habe, gehörten einige Richter an, deren Unabhängigkeit fraglich sei. Drei von ihnen (Richter FO, Richter GP und Richter HK) seien durch Erlasse des Präsidenten der Republik Polen vom 23. Januar 1998, 12. März 2015 bzw. 16. April 2012 zum Richter des Berufungsgerichts ernannt worden. Diese Ernennungen seien auf der Grundlage eines Beschlusses der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen; im Folgenden: Landesjustizrat) erfolgt und zwar in einer Zusammensetzung, die später vom Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht, Polen) als verfassungswidrig eingestuft worden sei. In seinem Urteil habe das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht) festgestellt, dass eine Auslegung der einschlägigen Bestimmung des Gesetzes über den Landesjustizrat, wonach die Amtszeit der Mitglieder des Landesjustizrats, die aus dem Kreis der Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit ausgewählt werden, individueller Natur sei, gegen Art. 187 Abs. 3 der Verfassung der Republik Polen verstoße ( 4 ). Ein weiteres Problem in dieser Regelung war nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die Tatsache gewesen, dass die Beschlüsse des Landesjustizrats keiner Begründung bedurften und nicht anfechtbar waren.

20.

Zudem führt das vorlegende Gericht aus, dass einer dieser drei Richter, Richter FO, zumindest in seiner ersten Amtsstellung während des kommunistischen Regierungssystems ernannt worden sei. Die Art und Weise, in der die Richter damals ernannt wurden, sowie die Modalitäten ihrer Überwachung und die Möglichkeit ihrer Entlassung hätten nicht den in einem demokratischen Rechtsstaat und in demokratischen Gesellschaften geltenden Standards entsprochen. Auch seien mit den nach 1989 in das polnische Recht eingeführten Änderungen keine wirksamen Instrumente zur Überprüfung der Richterernennungen aus kommunistischer Zeit oder von Verstößen gegen den Unabhängigkeitsgrundsatz entwickelt worden.

21.

Vor diesem Hintergrund fragt sich das vorlegende Gericht, ob es im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs A. K. u. a. verpflichtet ist, die Unabhängigkeit der oben genannten Richter zu überprüfen, und, wenn ja, welchen Maßstab es dabei anzulegen hat.

22.

Da der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) Zweifel daran hat, wie die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Grundsätze zur Unabhängigkeit der nationalen Justiz auszulegen und anzuwenden sind, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind Art. 2, Art. 4 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 und 3 sowie Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta, Art. 267 Abs. 3 AEUV sowie Art. 38 der Charta und Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass eine Einrichtung, der eine Person angehört, die durch ein politisches Organ der Exekutive eines Staates mit einem totalitären, nicht demokratischen, kommunistischen Regierungssystem (Rada Państwa Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej; Staatsrat der Volksrepublik Polen) auf Antrag des Justizministers dieses Staates erstmals zum Richter ernannt bzw. später (an ein Gericht höherer Instanz) versetzt wurde, ein unabhängiges und unparteiisches, über die erforderlichen Befugnisse verfügendes Gericht im Sinne des Unionsrechts ist, wenn man insbesondere bedenkt, dass 1) die Ernennungskriterien nicht transparent waren, 2) der Richter jederzeit abberufen werden konnte, 3) an dem Ernennungsverfahren weder die Selbstverwaltung der Richterschaft noch 4) entsprechende Einrichtungen der öffentlichen Gewalt, die aus demokratischen Wahlen hervorgegangen sind, beteiligt waren, was das Vertrauen erschüttern könnte, das die Rechtsprechung in einer demokratischen Gesellschaft genießen muss?

2.

Ist für die Beantwortung der unter Nr. 1 angeführten Frage der Umstand von Bedeutung, dass die Versetzung auf andere Richterstellen (bei Gerichten höherer Instanzen) erfolgte wegen der Anerkennung der entsprechenden Gesamtarbeitszeit (Dienstalter) und aufgrund der Beurteilung der Arbeit, die diese Person auf dem Posten geleistet hat, für den sie zumindest erstmalig durch das politische Organ, von dem in der ersten Frage die Rede ist, und im Rahmen des dort beschriebenen Verfahrens ernannt wurde, was das Vertrauen erschüttern könnte, das die Rechtsprechung in einer demokratischen Gesellschaft genießen muss?

3.

Ist für die Beantwortung der unter Nr. 1 angeführten Frage der Umstand von Bedeutung, dass die Versetzung auf andere Richterstellen (bei Gerichten höherer Instanzen, mit Ausnahme des Sąd Najwyższy [Oberstes Gericht]) nicht von der Ablegung eines Eides abhängig war, mit dem sich der Richter zur Wahrung der Werte einer demokratischen Gesellschaft verpflichtet, die erstmalig ernannte Person vielmehr darauf vereidigt wurde, das politische System eines kommunistischen Staats zu schützen und die sogenannte „Volksrechtsstaatlichkeit“ zu wahren, was das Vertrauen erschüttern könnte, das die Rechtsprechung in einer demokratischen Gesellschaft genießen muss?

4.

Sind Art. 2, Art. 4 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 und 3 sowie Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta, Art. 267 Abs. 3 AEUV sowie Art. 38 der Charta und Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass eine Einrichtung, der eine Person angehört, die unter grober Verletzung der Verfassungsbestimmungen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union erstmals zum Richter ernannt bzw. später (an ein Gericht höherer Instanz) versetzt wurde, ein unabhängiges und unparteiisches, über die erforderlichen Befugnisse verfügendes Gericht im Sinne des Unionsrechts ist, wenn man bedenkt, dass die Einrichtung, die diese Person, die anschließend zum Richter ernannt wurde, vorgeschlagen hat (die Krajowa Rada Sądownictwa; Landesjustizrat), wie das Verfassungsgericht des Mitgliedstaats der Europäischen Union festgestellt hat, verfassungswidrig zusammengesetzt war, was das Vertrauen erschüttern könnte, das die Rechtsprechung in einer demokratischen Gesellschaft genießen muss?

5.

Sind Art. 2, Art. 4 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 und 3 sowie Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta, Art. 267 Abs. 3 AEUV sowie Art. 38 der Charta und Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass eine Einrichtung ein unabhängiges und unparteiisches, über die erforderlichen Befugnisse verfügendes Gericht im Sinne des Unionsrechts ist, der eine erstmals zum Richter ernannte bzw. später (an ein Gericht höherer Instanz) versetzte Person angehört, die in einem Verfahren vor einer Einrichtung, die die Bewerber bewertet (Landesjustizrat), als Bewerber für diesen Posten ausgewählt wurde, wenn dieses Verfahren keine Öffentlichkeit und Transparenz der Bewerberauswahl garantierte, was das Vertrauen erschüttern könnte, das die Rechtsprechung in einer demokratischen Gesellschaft genießen muss?

6.

Sind Art. 2, Art. 4 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 3 sowie Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta, Art. 267 Abs. 3 AEUV, Art. 38 der Charta sowie Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass das letztinstanzliche Gericht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (Sąd Najwyższy, Oberstes Gericht) zur Gewährleistung eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes als Mittel gegen die dauerhafte Anwendung missbräuchlicher Klauseln in Verträgen, die von Verkäufern und Lieferanten mit Verbrauchern geschlossen werden, dazu verpflichtet ist, von Amts wegen in jedem Verfahrensstadium zu prüfen, ob

a)

das Gericht, von dem in den Nrn. 1 und 4 die Rede ist, die Anforderungen an ein unabhängiges und unparteiisches, über die erforderlichen Befugnisse verfügendes Gericht im Sinne des Unionsrechts erfüllt, und zwar unabhängig davon, ob sich die Beurteilung der in diesen Nummern angeführten Kriterien auf die Entscheidung über die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel auswirkt, und

b)

ob das Verfahren vor dem Gericht, von dem in den Nrn. 1 und 4 die Rede ist, gültig ist?

7.

Sind Art. 2, Art. 6 Abs. 1 und 3 sowie Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta, Art. 267 Abs. 3 AEUV, Art. 38 der Charta sowie Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass der Feststellung der fehlenden Unabhängigkeit eines Gerichts oder eines Richters dieses Gerichts nach dem Recht der Europäischen Union aufgrund der Umstände, von denen in den Nrn. 1 bis 5 die Rede ist, Verfassungsbestimmungen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union entgegenstehen können, die die Gerichtsverfassung oder die Ernennung von Richtern regeln und die Beurteilung der Wirksamkeit der Ernennung eines Richters ausschließen?

23.

Der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) hat in seinem Vorlagebeschluss beantragt, das Vorabentscheidungsersuchen im beschleunigten Verfahren gemäß Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu behandeln.

24.

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 8. Februar 2020 ist der Antrag des vorlegenden Gerichts auf Durchführung eines beschleunigten Verfahrens abgelehnt worden.

25.

Der Rzecznik Praw Obywatelskich (Bürgerbeauftragter, Polen), die polnische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Diese Verfahrensbeteiligten haben in der Sitzung vom 2. März 2021 auch mündliche Ausführungen gemacht.

IV. Würdigung

26.

Das vorlegende Gericht hat in der vorliegenden Rechtssache eine Reihe von Fragen zur Auslegung von Art. 19 Abs. 1 EUV (in Verbindung mit Art. 2 EUV) und Art. 47 der Charta gestellt. Es ist der Ansicht, dass einige der Richter, die am Erlass des angefochtenen Urteils mitgewirkt hätten, aufgrund des Verfahrens, mit dem sie erstmals zum Richter ernannt worden seien, die sich aus diesen Bestimmungen ergebende Anforderung an die Unabhängigkeit möglicherweise nicht erfüllen würden.

27.

Mit einer verblüffenden, fast biblischen ( 5 ) Wendung stellen der Bürgerbeauftragte und, etwas abgeschwächt, die Kommission die Unabhängigkeit des vorlegenden Richters selbst in Frage, der in diesem Fall als Einzelrichter des nationalen Gerichts tagt. Insbesondere macht der Bürgerbeauftragte geltend, dass die Ernennung des vorlegenden Richters in ein richterliches Amt mit einem eklatanten Verstoß gegen nationales Recht behaftet sei. Folglich könne der vorlegende Richter nicht als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden, da er das Erfordernis der Unabhängigkeit nicht erfülle.

28.

Es gibt einen roten Faden zwischen den verschiedenen Rechtsfragen, die das vorliegende Verfahren unmittelbar (durch die Vorlagefragen) oder mittelbar (durch die Unzulässigkeitseinreden) aufwirft: die richterliche Unabhängigkeit.

29.

Daher beginne ich meine Schlussanträge mit einigen einleitenden Bemerkungen zum Begriff „richterliche Unabhängigkeit“ in der Unionsrechtsordnung (A). Ich werde sodann das Vorbringen zur angeblichen Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens erörtern (B) und mich, nachdem ich die Zulässigkeit bejaht habe, schließlich der materiellen Prüfung der Vorlagefragen zuwenden (C).

A.   Dimensionen der richterlichen Unabhängigkeit: Art. 267 AEUV, Art. 47 der Charta und Art. 19 Abs. 1 EUV

30.

Die richterliche Unabhängigkeit ist ohne Zweifel ein wesentlicher Bestandteil des Grundsatzes der „Rechtsstaatlichkeit“. In Art. 2 EUV wird dieser Grundsatz als einer der „Werte, auf die sich die Union gründet“, anerkannt. Das Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit ist auch, wenn auch implizit, in nicht weniger als drei Bestimmungen des Unionsprimärrechts verankert: Art. 267 AEUV, Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta.

31.

Alle drei Bestimmungen werden im vorliegenden Verfahren angeführt. In der Tat scheinen im vorliegenden Fall auf den ersten Blick alle anwendbar zu sein. Dies schließt zwar nicht aus, dass andere Bestimmungen gleichzeitig anwendbar sind, insbesondere sektorbezogene sekundäre Rechtsvorschriften, die ebenfalls spezielle Bestimmungen zum Schutz der Gerichtsbarkeit enthalten ( 6 ), oder sogar sekundärrechtliche Instrumente, die sich ausdrücklich auf die richterliche Unabhängigkeit beziehen ( 7 ), doch liegt der Zusammenhang zwischen diesen drei zentralen Vertragsbestimmungen über die richterliche Unabhängigkeit klar auf der Hand.

32.

Erstens erfolgt das vorliegende Ersuchen gemäß Art. 267 AEUV, wonach jedes „Gericht eines Mitgliedstaats“ dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen vorlegen kann. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof zur Beurteilung der Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, nach ständiger Rechtsprechung darauf abgestellt, ob diese Einrichtung unabhängig ist. Dies bedeutet im Wesentlichen, dass die Einrichtung vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreitigkeiten gefährden könnten ( 8 ).

33.

Zweitens ergibt sich die Anforderung, dass die Gerichte unabhängig sein müssen, auch aus Art. 47 der Charta, einer Bestimmung, die ein subjektives Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren für jeden Verfahrensbeteiligten festschreibt. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Richtlinie 93/13, die im vorliegenden Fall materiell anwendbar ist, den Kassationsbeschwerdeführern des Ausgangsverfahrens ein subjektives Recht gewährt und damit die Anwendung von Art. 47 der Charta auslöst.

34.

Drittens hat der Gerichtshof in einer relativ neuen, aber inzwischen gefestigten Rechtsprechung festgestellt, dass aus der in Art. 19 Abs. 1 EUV vorgesehenen Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist, folge, dass die Unabhängigkeit eines jeden nationalen Gerichts, das in diesen Bereichen entscheiden kann, sichergestellt sein müsse. Wie der Gerichtshof betont hat, ist die Garantie der Unabhängigkeit dem Auftrag des Richters inhärent ( 9 ). Insoweit genügt der Hinweis, dass die nationale Einrichtung, die das angefochtene Urteil erlassen hat – der Sąd Apelacyjny we Wrocławiu (Berufungsgericht Breslau) –, unzweifelhaft ein Gericht ist, das in Bereichen entscheidet, die unter das Unionsrecht fallen.

35.

Diese „Multiplikation“ der Rechtsgrundlagen in Bezug auf den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit spiegelt dessen verfassungsrechtliche Bedeutung und Querschnittscharakter in einer auf Rechtsstaatlichkeit beruhenden Rechtsgemeinschaft wider. Sie führt aber auch zu einiger Verwirrung. Man könnte sich fragen, ob diese Bestimmungen verschiedene Arten von „richterlicher Unabhängigkeit“ festlegen, was zur Folge hätte, dass z. B. ein nationales Gericht im Sinne einer dieser Bestimmungen unabhängig sein mag, während es für eine andere Bestimmung nicht unabhängig genug ist.

36.

Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache WB u. a. ausführlicher dargelegt habe, ist dies nicht der Fall: Das Unionsrecht enthält nur einen Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit ( 10 ). Da die drei in Rede stehenden Bestimmungen (Art. 267 AEUV, Art. 47 der Charta und Art. 19 Abs. 1 EUV) jedoch hinsichtlich ihrer Zielsetzung und Aufgabe unterschiedlich sind, kann die Art der Prüfung, die durchzuführen ist, um die Einhaltung des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit zu überprüfen, unterschiedlich ausfallen. Insbesondere die Intensität der Prüfung des Gerichtshofs im Hinblick auf die Einhaltung dieses Grundsatzes und die Schwelle für die Feststellung eines Verstoßes gegen diesen Grundsatz sind unterschiedlich ( 11 ).

37.

Art. 19 Abs. 1 EUV verpflichtet die Mitgliedstaaten u. a. dazu, „Rechtsbehelfe [zu schaffen], damit ein wirksamer Rechtsschutz … gewährleistet ist“. Es handelt sich also um eine Bestimmung, die sich hauptsächlich mit den strukturellen und systemischen Elementen des nationalen Rechtsrahmens befasst: Nach Art. 19 Abs. 1 EUV ist entscheidend, ob das Rechtssystem eines Mitgliedstaats mit dem in Art. 2 EUV verankerten Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit in Einklang steht. In diesem Zusammenhang sind meines Erachtens die wichtigsten Elemente für die Analyse des Gerichtshofs diejenigen, die die allgemeine institutionelle und verfassungsmäßige Struktur des nationalen Justizwesens betreffen. Elemente, die sich auf den konkreten Fall beziehen, können oft einen allgemeineren Aspekt veranschaulichen, sind aber für sich genommen nicht ausschlaggebend.

38.

Die Schwelle für einen Verstoß gegen diese Bestimmung ist recht hoch. Es geht nämlich darum, ob das/die dem Gerichtshof zur Kenntnis gebrachte(n) Problem(e) geeignet ist/sind, das ordnungsgemäße Funktionieren des nationalen Rechtssystems zu gefährden und dadurch die Fähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats zu beeinträchtigen, den Einzelnen ausreichende Rechtsbehelfe zu gewähren.

39.

Art. 19 Abs. 1 EUV enthält einen außerordentlichen Rechtsbehelf für außergewöhnliche Situationen. Sein Zweck ist es nicht, alle möglichen Probleme zu erfassen, die in Bezug auf die nationale Justiz auftreten können, erst recht keine Einzelfälle von Fehlern bei der Auslegung oder Anwendung nationaler Bestimmungen in einem ansonsten gesunden und unionsrechtskonformen Rechtssystem. Art. 19 Abs. 1 EUV wird nur durch Verstöße von einer gewissen Schwere und/oder von systemischer Natur verletzt, für die das interne Rechtssystem keine angemessene Abhilfe schaffen kann.

40.

Art. 47 der Charta ist dagegen eine Bestimmung, die ein subjektives Recht einer jeden Verfahrenspartei und zwar auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren umfasst, das nach Art. 51 Abs. 1 der Charta zum Tragen kommt, wenn ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Insoweit erfordert die Überprüfung der „Unabhängigkeit“ eines Gerichts im Rahmen von Art. 47 der Charta eine detaillierte Bewertung aller Umstände, die für den jeweiligen Fall spezifisch sind. Aspekte, die sich auf ein strukturelles oder systemisches Merkmal des nationalen Rechtssystems beziehen, sind nur insoweit von Bedeutung, als sie einen Einfluss auf das konkrete Verfahren haben können.

41.

Die Intensität der Prüfung des Gerichtshofs in Bezug auf die Unabhängigkeit der betreffenden gerichtlichen Einrichtung ist in diesem Zusammenhang moderat: Nicht alle Rechtsverstöße stellen einen Verstoß gegen Art. 47 der Charta dar. Voraussetzung ist eine gewisse Schwere. Ist jedoch der erforderliche Schweregrad erfüllt, reicht dies aus, um einen Verstoß gegen Art. 47 der Charta zu begründen, da keine weitere Bedingung erfüllt sein muss, um das sich aus dem Unionsrecht ergebende individuelle Recht zu wahren. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass der festgestellte Verstoß systemischer Natur ist oder Auswirkungen hat, die über den konkreten Fall hinausreichen.

42.

Was schließlich Art. 267 AEUV betrifft, so hat dieser, obwohl ebenfalls zu dieser Rechtslandschaft gehörend, ein anderes Ziel und einen anderen Zweck, auf den ich im folgenden Abschnitt eingehen werde. Die Kernaussage dieses Abschnitts der vorliegenden Schlussanträge besteht also darin, dass der Begriff „richterliche Unabhängigkeit“ im Unionsrecht zwar ein und derselbe ist, dass aber die genauen Elemente, ihre Erheblichkeit, Bedeutung und ihr relatives Gewicht, die im Zusammenhang mit einem bestimmten Fall zu berücksichtigen sind, zwangsläufig je nach der Unionsbestimmung, aufgrund derer sich die Frage der Unabhängigkeit stellt, unterschiedlich sind.

B.   Zulässigkeit

43.

Zur Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens sind verschiedene Argumente vorgebracht worden. Einige betreffen die Frage, ob die Einrichtung, die das vorliegende Ersuchen übermittelt hat, als ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen ist (1), andere beziehen sich auf die Erheblichkeit der Vorlagefragen (2). Diese Argumente werden nacheinander geprüft.

1. Ist das vorlegende Gericht ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV?

44.

Der Bürgerbeauftragte wendet sich gegen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens aus Gründen, die in der Ernennung des Richters liegen, der als Einzelrichter die Vorlagefragen eingereicht hat. Insbesondere sei der vorlegende Richter durch Beschluss des Präsidenten der Republik ernannt worden und habe diese Ernennung angenommen, obwohl der entsprechende Beschluss des Landesjustizrats (vom 28. August 2018) vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) vorläufig ausgesetzt worden sei (Beschlüsse vom 27. September 2018 und 8. Oktober 2018). Darüber hinaus weist der Bürgerbeauftragte darauf hin, dass die Ernennung des vorlegenden Richters schließlich erst erfolgt sei, nachdem der polnische Justizminister/Generalstaatsanwalt – für den dieser Richter zuvor gearbeitet habe und zu dem er sehr enge Beziehungen unterhalte – persönlich (und nach Ansicht des Bürgerbeauftragten unrechtmäßig) in das Verfahren eingegriffen habe, um seine Ernennung zu unterstützen.

45.

Auf dieser Grundlage ist der Bürgerbeauftragte der Ansicht, dass der vorlegende Richter nicht als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen sei. Er äußert insbesondere Zweifel daran, ob die vorlegende Einrichtung für die Zwecke dieser Bestimmung als (i) ein durch Gesetz errichtetes Gericht angesehen werden kann und (ii) das Erfordernis der Unabhängigkeit erfüllt.

46.

Auch die Kommission macht geltend, dass der vorlegende Richter unter Umständen – die Gegenstand eines derzeit beim Gerichtshof anhängigen Vorabentscheidungsersuchens sind ( 12 ) – ernannt worden sei, unter denen es dem Anschein nach einen eklatanten Verstoß gegen die für Richterernennungen geltenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegeben habe. Die Kommission ist jedoch offenbar der Ansicht, dass es in dem Stadium, in dem sich dieses Verfahren befindet, noch nicht vollständig geklärt sei, dass der vorlegende Richter die Voraussetzungen für die Einstufung als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV nicht erfülle.

47.

Ich stimme der Kommission im Ergebnis – was die Zulässigkeit des Ersuchens betrifft – zu, wenn auch aus anderen Gründen. Für meine Schlussfolgerung in diesem Punkt stütze ich mich nicht auf tatsächliche Indizien, wie dies von der Kommission vorgetragen wird, sondern eher auf konzeptionelle Gründe. Die Antwort, die ich vorschlage, hat sehr wenig mit der Bewertung zu tun, ob der vorlegende Richter selbst ordnungsgemäß ernannt wurde, eine Frage, an der ich ernsthafte Zweifel hege. Meines Erachtens wird und muss die Analyse, ob die Voraussetzungen für ein „Gericht“ erfüllt sind, immer, und dabei sollte es auch bleiben, in Bezug auf die Einrichtung selbst durchgeführt werden und nicht in Bezug auf die Personen, die der Einrichtung angehören, die das Ersuchen eingereicht hat.

48.

Bei der Darlegung meiner Gründe für diese Schlussfolgerung werde ich zunächst den herkömmlichen Ansatz des Gerichtshofs bei dieser Prüfung darlegen (a) und dann aufzeigen, warum ich glaube, dass auch im Licht außergewöhnlicher Fälle wie dem vorliegenden daran festgehalten werden sollte (b).

a) Durch Gesetz errichtete und unabhängige Einrichtung

49.

Der Begriff „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV ist ein autonomer Begriff des Unionsrechts und muss unabhängig von den Bezeichnungen und Qualifikationen im nationalen Recht bestimmt werden. Zu diesem Zweck hat der Gerichtshof herkömmlich die so genannten Dorsch-Kriterien angewandt: Der Gerichtshof prüft, ob die vorlegende Einrichtung durch Gesetz errichtet wurde, ob sie auf Dauer angelegt ist, ob ihre Zuständigkeit obligatorisch vorgeschrieben ist, ob ihre Verfahren kontradiktorisch sind, ob sie Rechtsnormen anwendet und ob sie unabhängig und unparteiisch ist ( 13 ).

50.

Im Rahmen von Art. 267 AEUV hat der Begriff „Gericht“funktionalen Charakter: Er dient dazu, die nationalen Stellen zu bestimmen, die – soweit sie rechtsprechende Funktionen ausüben – im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens Gesprächspartner des Gerichtshofs werden können. Dieses Verfahren bildet den Grundpfeiler des durch die Unionsverträge geschaffenen Gerichtssystems, das durch die Einführung eines Dialogs zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten und damit die Sicherstellung seiner Kohärenz, seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts ermöglicht ( 14 ). Dieser gerichtliche Dialog ist von verfassungsrechtlicher Bedeutung, da, wie aus Art. 19 Abs. 1 EUV hervorgeht, sowohl der Gerichtshof als auch die Gerichte der Mitgliedstaaten in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich über die Wahrung der Rechtsordnung der Union „wachen“ ( 15 ).

51.

Da der Zweck des Begriffs „Gericht“ darin besteht, zwischen Einrichtungen, die in gerichtlicher Eigenschaft handeln, und Einrichtungen, die in anderer Eigenschaft handeln, zu unterscheiden, muss sich die Analyse, ob eine nationale Einrichtung die Dorsch-Kriterien erfüllt, notwendigerweise auf strukturelle, institutionelle Fragen konzentrieren. Entscheidend sind dabei die Art, die Stellung und die Arbeitsweise dieser Einrichtung innerhalb des institutionellen Rahmens des betreffenden Mitgliedstaats ( 16 ).

52.

Andererseits wurde diese Analyse nie verwendet, um zu überprüfen, ob (eine oder mehrere) konkrete Personen, die dieser Einrichtung angehören und in dem ihrer Spruchkörper tagen, der die Vorlage eingereicht hat, jeweils individuell die Dorsch-Kriterien erfüllen. Der Blick richtete sich immer auf die vorlegende Einrichtung ( 17 ) und zwar auch in Fällen, in denen diese Einrichtung nur aus einer Person bestand ( 18 ).

53.

Das Gleiche gilt für die Feststellung der beiden spezifischen Dorsch-Kriterien, die im Zusammenhang mit dem vorliegenden Fall möglicherweise problematisch sind: ein durch Gesetz errichtetes Gericht sowie seine Unabhängigkeit.

54.

Was erstens das Kriterium des „durch Gesetz errichteten“ Gerichts anbelangt, so legt die (allerdings nicht sehr reichhaltige) Rechtsprechung nahe, dass zur Erfüllung dieses Kriteriums die vorlegende Einrichtung, der die konkreten Personen angehören, die eine Vorlage eingereicht haben, im Gesetzesrecht eines Mitgliedstaats vorgesehen sein muss. Dieses Kriterium diente dazu, die Zulässigkeit von Vorlagen von Gremien auszuschließen, die auf der Grundlage von Verträgen eingerichtet wurden (insbesondere bestimmte Formen von Schiedsgerichten) ( 19 ).

55.

Im bahnbrechenden Urteil Nordsee beispielsweise hat sich der Gerichtshof bei seiner Analyse auf die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit der vorlegenden Stelle (ein Schiedsgericht, das durch einen Vertrag zwischen den Parteien eingerichtet worden war) konzentriert und die Auffassung vertreten, dass dessen Tätigkeit angesichts der schwachen Verbindungen zwischen dem Schiedsverfahren und dem mitgliedstaatlichen Rechtsschutzsystem durch die ordentlichen Gerichte außergerichtlichen Charakter habe ( 20 ). Ein ähnlicher Ansatz wurde in jüngeren Rechtssachen verfolgt, in denen der Gerichtshof die Frage nach der tatsächlichen Art der von der vorlegenden Einrichtung wahrgenommenen Aufgaben geprüft hat ( 21 ).

56.

Richtig ist, dass sich die Beurteilung des Gerichtshofs hinsichtlich der Rechtsnatur der vorlegenden Einrichtung in den letzten Jahren weiterentwickelt hat und strenger geworden ist ( 22 ). Man kann wohl nicht länger behaupten, wie es Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer vor einigen Jahren berühmt gemacht hat, dass die „Rechtsprechung … kasuistisch, sehr dehnbar und wenig wissenschaftlich [ist] und … derart verschwommene Umrisse [hat], dass danach sogar eine Vorlagefrage zulässig wäre, die Sancho Pansa als Gouverneur der Insel Barataria vorgelegt wurde“ ( 23 ). Gleichzeitig wurde jedoch (zu Recht) eine gewisse Flexibilität beibehalten, um nationalen Einrichtungen, die tatsächlich gerichtliche Funktionen ausüben, die Möglichkeit zu geben, das Vorabentscheidungsverfahren in Anspruch zu nehmen, unabhängig davon, welchen Namen oder welche Bezeichnung diese Einrichtungen nach nationalem Recht haben ( 24 ).

57.

Dieser Ansatz scheint umso mehr gerechtfertigt zu sein, wenn man berücksichtigt, dass das Kriterium „durch Gesetz errichtet“ im Sinne von Art. 267 AEUV in einer Reihe von Sprachen mit Begriffen ausgedrückt wird, die sich auf die „gesetzliche Grundlage“ der vorlegenden Einrichtung beziehen ( 25 ). Dies unterstreicht noch einmal, dass die Schlüsselfrage darin besteht, ob die Einrichtung auf der Grundlage nationaler Rechtsvorschriften errichtet wurde, und nicht darin, ob der konkrete Spruchkörper innerhalb dieser Einrichtung im gegebenen Fall in Übereinstimmung mit dem nationalen Recht handelt. Die Mehrdeutigkeit des englischen Wortes „law“ – das sich sowohl auf Rechtsvorschriften (ein Gesetz) als auch auf ein Regelsystem beziehen kann ( 26 ) – kann in diesem Zusammenhang daher irreführend sein.

58.

In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof tatsächlich ersucht, das Kriterium „durch Gesetz errichtet“ für die Zwecke von Art. 267 AEUV auszudehnen. In diesem Sinne würde dieses Kriterium nicht mehr nur bedeuten, dass die vorlegende richterliche Einrichtung durch Gesetz, in diesem Sinne durch Rechtsvorschriften und nicht durch einen Vertrag, errichtet wurde, sondern würde auch eine Prüfung, ob der einzelne vorlegende Richter rechtmäßig ernannt wurde, sowie aller anderen möglichen Elemente in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Arbeitsweise dieser Einrichtung erfordern.

59.

Einen solchen Ansatz halte ich nicht für vernünftig. Wie oben erläutert, war mit dem spezifischen Begriff „durch Gesetz errichtetes“ Gericht im Zusammenhang mit den Kriterien des Art. 267 AEUV immer etwas ganz anderes gemeint. Insoweit gibt es auch einen Begriff, der denselben (oder einen sehr ähnlichen) Namen trägt, nämlich „auf Gesetz beruhendes Gericht“, der bei der Prüfung, ob das Recht auf ein faires Verfahren im Einzelfall im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt wurde, eine Rolle spielt ( 27 ) und der jetzt in Art. 47 der Charta praktisch wiederholt wird ( 28 ).

60.

Aus den bereits oben gegebenen Erläuterungen ergibt sich ( 29 ), dass die beiden Bestimmungen, nämlich Art. 47 der Charta einerseits und Art. 267 AEUV andererseits, unterschiedliche Zwecke haben. Die Ermittlung der geeigneten gerichtlichen Gesprächspartner im Sinne von Einrichtungen in einem Mitgliedstaat, die dem Gerichtshof eine Frage vorlegen dürfen, unterscheidet sich von der Feststellung von Verstößen gegen die rechtmäßige Zusammensetzung des Gerichts im Einzelfall zum Schutz der auf Unionsrecht beruhenden individuellen Rechte. Im letzteren Fall muss die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zusammensetzung der Richterbank natürlich die Ebene des Einzelfalls erreichen, während das im ersteren Fall nicht unbedingt notwendig ist.

61.

Es wäre daher kein sehr kluger Ansatz, den Begriff „durch Gesetz errichtetes Gericht“ einfach und mechanisch aus Art. 47 der Charta auszuschneiden und in Art. 267 AEUV einzufügen, nur weil diese Bestimmungen weitgehend ähnlich klingen, dabei aber nicht richtig über den unterschiedlichen Inhalt und Zweck dieser Begriffe nachzudenken.

62.

Zweitens hat der Gerichtshof in Bezug auf das Unabhängigkeitskriterium gemäß Art. 267 AEUV in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dieses Kriterium erfordere, dass es „Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieser Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen“ ( 30 ). Der Gerichtshof hat auch klargestellt, dass es ihm grundsätzlich nicht zustehe, anzunehmen, dass die nationalen Bestimmungen, die die Unabhängigkeit der Gerichte gewährleisten, in einer den in der innerstaatlichen Rechtsordnung verankerten Grundsätzen oder den Grundsätzen eines Rechtsstaats zuwiderlaufenden Weise angewandt würden ( 31 ).

63.

Dementsprechend hat sich die Analyse des Gerichtshofs – auch zu dieser Frage – auf den rechtlichen Rahmen und die darin festgelegten Garantien zum Schutz der Fähigkeit der Richter, ihr Amt frei von jeder Form von (direktem oder indirektem, tatsächlichem oder potenziellem) Druck auszuüben, konzentriert ( 32 ). Der Schwerpunkt liegt seit jeher auf der Frage, ob die vorlegende Einrichtung strukturell sowohl von den Parteien eines bei ihr anhängigen Rechtsstreits ( 33 ) als auch von jeglicher externer Einflussnahme, wie etwa im Fall der Zugehörigkeit dieser Einrichtung zur Verwaltung ( 34 ), unabhängig ist.

64.

So wurden z. B. in einer jüngeren Rechtssache von einigen Parteien Bedenken geäußert, ob der vorlegende Richter, der als Einzelrichter tätig war, den Unionsstandard der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit erfülle, da er – soweit es um die Frage des Status der italienischen Friedensrichter ging – zwangsläufig ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits habe. Nach Prüfung der einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften hat der Gerichtshof diesen Einwand jedoch zurückgewiesen und das Vorabentscheidungsersuchen für zulässig erachtet. Er hat festgestellt, dass die italienischen Friedensrichter „ihre Funktionen vorbehaltlich der Disziplinarvorschriften in völliger Autonomie und ohne Druck von außen [ausüben], der ihre Entscheidungen beeinflussen könnte“. Ohne die konkrete Stellung des vorlegenden Richters zu überprüfen, hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass die Angaben „keinen Zweifel daran [zulassen] … dass der Friedensrichter die Kriterien hinsichtlich seiner gesetzlichen Grundlage …erfüllt“ ( 35 ).

b) Wert eines ständigen Dialogs

65.

Kurz gesagt würde eine Neuauslegung des Begriffs „Gericht“ für die Zwecke von Art. 267 AEUV, die den Gerichtshof verpflichten würde, die besonderen Umstände von Personen zu prüfen, die diesen nationalen Einrichtungen angehören, sowohl dem Wesen als auch dem Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens zuwiderlaufen. Im Gegensatz zu Art. 47 der Charta und gegebenenfalls, ab einer gewissen Schwere, auch zu Art. 19 Abs. 1 EUV geht es bei der Prüfung nach Art. 267 AEUV stets lediglich darum, die richtigen institutionellen Gesprächspartner für den Gerichtshof zu ermitteln, nicht aber um die Feststellung der Rechtmäßigkeit eines jeden einzelnen Elements des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens. Das Vorabentscheidungsverfahren ist gewissermaßen ein formalisiertes und damit ein förmliches Verfahren: Bei Art. 267 AEUV geht es um den Dialog zwischen den gerichtlichen Einrichtungen, nicht zwischen den Personen, die diese Einrichtungen bilden.

66.

Ich möchte noch vier weitere systemische Gründe hinzufügen, aus denen ich der Ansicht bin, dass dies auch in problematischeren Fällen wie dem vorliegenden zu gelten hat.

67.

Erstens wäre es unverständlich (und kontraproduktiv), wenn der Gerichtshof sich kategorisch weigern würde, in einen gerichtlichen Dialog mit Einrichtungen einzutreten, die in der Tat, jedenfalls formal, gerichtliche Funktionen auf nationaler Ebene ausüben, und die Unterstützung bei der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen benötigen. Es bedarf insoweit wohl kaum des Hinweises, dass die Antwort des Gerichtshofs auf ihre Fragen sowohl für das vorlegende Gericht als auch für andere nationale Gerichte, die mit denselben Rechtsfragen befasst sein können, bindend ist ( 36 ). Daher verpflichtet sich das vorlegende Gericht mit der Vorlage nach Art. 267 AEUV, der Auslegung des Gerichtshofs in Bezug auf die auf den betreffenden Fall anwendbaren Unionsbestimmungen zu folgen.

68.

Zweitens nimmt die Existenz (angeblicher, möglicher oder wahrscheinlicher) Probleme mit der rechtlichen und moralischen Rechtschaffenheit des/der nationalen Richter(s), der/die in einer Rechtssache entscheidet/entscheiden, den einzelnen Verfahrensbeteiligten nicht das Recht auf eine korrekte Anwendung der einschlägigen Unionsvorschriften. Daher entspricht ein institutioneller und allgemeiner Ansatz für den Begriff „Gericht“ im Rahmen von Art. 267 AEUV meines Erachtens eher dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, wie es u. a. in Art. 47 der Charta verankert ist.

69.

Drittens ist der Gerichtshof in praktischer Hinsicht kaum in der Lage, eine Beurteilung der Unparteilichkeit und moralischen Integrität bestimmter Richter auf nationaler Ebene in Form einer Zulässigkeitsprüfung gemäß Art. 267 AEUV vorzunehmen. Abgesehen davon, dass ein solches Vorgehen eine Auslegung der einschlägigen nationalen Gesetze erfordert und auch die Beweiskraft etwaiger Tatbestandsmerkmale und die Auslegung der Bestimmungen des nationalen Rechts zwischen den Parteien umstritten sein dürfte, bleibt der entscheidende Punkt, dass eine detaillierte und eingehende Untersuchung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung stattfinden müsste. Auf diese Weise würde die materielle Prüfung eines Anspruchs, der sich entweder auf Art. 47 der Charta oder auf Art. 19 EUV bezieht, bereits im Stadium der Zulässigkeit geprüft, wobei die Analyse möglicherweise etwas zirkelschlüssig wäre ( 37 ).

70.

Viertens und letztens stellt sich die Frage der horizontalen Konsistenz der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Unter normalen Umständen wäre es für eine Reihe von Personen, mich eingeschlossen, ziemlich befremdlich, wenn der Gerichtshof die „Qualität“ des/der einzelnen Richter(s) eines nationalen Gerichts, das ein Vorabentscheidungsersuchen stellt, im Hinblick auf die Annahme oder Ablehnung dieses Ersuchens beurteilen würde. Sind die Richter, die das Ersuchen gestellt haben, gesetzestreue Personen, die ihr Amt mit der erforderlichen Integrität ausüben? Gibt es einen möglichen Interessenkonflikt im Einzelfall? Darf ein Richter, gegen den ein Disziplinarverfahren läuft, gleichwohl um eine Vorabentscheidung in einer anderen Rechtssache ersuchen? Was ist mit einem Richter, der der Korruption verdächtigt wird, gegen den bereits strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden, der aber nicht formell vom Amt suspendiert wurde? Ist der Gerichtshof verpflichtet, all diesen Fragen nachzugehen, wenn er ihm vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV „filtert“?

71.

In den letzten Jahren, insbesondere angesichts der Rechtsstaatlichkeitskrise in mehreren Mitgliedstaaten, ist der Gerichtshof nicht nur veranlasst gewesen, seine Rechtsprechung weiterzuentwickeln, um Hinweise zu Sachverhalten und Szenarien zu geben, die sich nur wenige jemals hätten vorstellen können, sondern auch, um aufgrund außergewöhnlicher Fälle Ausnahmen von den normalerweise anwendbaren Regeln zu schaffen. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, kann man meines Erachtens in solchen Fällen nicht sagen, dass mit doppeltem Maß gemessen werde, da es sich um objektiv unterschiedliche Sachverhalte handelt ( 38 ).

72.

In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof jedoch tatsächlich ersucht, die allgemein geltenden Dorsch-Kriterien – die unabhängig von der gerichtlichen Einrichtung in einem Mitgliedstaat transversal auf alle Rechtssachen anwendbar sind – neu auszulegen und den Anwendungsbereich und die Argumentationsmöglichkeiten (der Verfahrensbeteiligten), die bereits im Rahmen der Zulässigkeit nach Art. 267 AEUV geltend gemacht werden können, zu erweitern. Aus den in diesem Abschnitt der Schlussanträge dargelegten Gründen bin ich nicht der Ansicht, dass ein derartiger Schritt erforderlich oder, selbst angesichts solch außergewöhnlicher Fälle wie in des vorliegenden, geboten ist.

73.

Nach alledem komme ich zu dem Schluss, dass die möglichen Mängel im Ernennungsverfahren des Richters, der die Vorlageentscheidung in der vorliegenden Rechtssache erlassen hat ( 39 ), und/oder seine persönlichen und beruflichen Bindungen zum Justizminister/Generalstaatsanwalt ( 40 ) nicht die Unzulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens zur Folge haben sollten.

74.

Dieses Ergebnis steht jedoch unter zwei wichtigen Vorbehalten.

75.

Erstens ist sehr deutlich darauf hinzuweisen, dass eine solche Schlussfolgerung für die besonderen Zwecke des Art. 267 AEUV keineswegs bedeutet, dass das vorlegende Gericht rechtmäßig zusammengesetzt ist und/oder dass, genauer gesagt, der vorlegende Richter rechtmäßig ernannt worden ist. Die vom Bürgerbeauftragten angesprochenen Punkte sind meiner Ansicht nach nämlich recht beunruhigend. Dies gilt insbesondere dann, wenn man die Vorwürfe des Bürgerbeauftragten im – dem Gerichtshof wohl bekannten – breiteren institutionellen und verfassungsrechtlichen Kontext des Zustands der Rechtsstaatlichkeit in Polen betrachtet.

76.

Diese Faktoren könnten allerdings gegebenenfalls im Rahmen der Beurteilung der Unabhängigkeit des vorlegenden Gerichts gemäß Art. 19 Abs. 1 EUV und/oder Art. 47 der Charta von Bedeutung sein und möglicherweise zu dem Ergebnis führen, dass ein Verstoß gegen diese beiden Bestimmungen vorliegt. Dagegen handelt es sich, wie oben erläutert, nicht um Faktoren, die normalerweise für die Feststellung relevant sind, ob eine nationale Einrichtung ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV darstellt. Die Annahme, dass formale institutionelle Partner ihre Gespräche fortsetzen sollten, auch wenn bei einem von ihnen ernsthafte Bedenken an den persönlichen Voraussetzungen von der anderen Seite zugehörigen Personen bestehen, beruht auf ganz anderen Erwägungen als der – wenn auch nur stillschweigenden – Anerkennung der anderen Seite.

77.

Zweitens schließe ich letztlich eine andere Schlussfolgerung nicht aus, wenn die Signifikanz der Umstände in Bezug auf die persönliche Situation eines oder mehrerer Richter eines nationalen Gerichts, das formal ein Ersuchen gemäß Art. 267 AEUV stellt, über die betreffende(n) Person(en) hinausgeht und Auswirkungen auf die allgemeine Funktionsweise der nationalen Einrichtung hat, der die Richter angehören. Bei einem solchen Sachverhalt wäre der Blick und die Prüfung jedoch auf die Einrichtung, die eine Vorlageentscheidung erlässt, gerichtet, wie es der Argumentation in der Rechtssache Dorsch und dem in den vorliegenden Schlussanträgen vorgeschlagenen institutionellen Ansatz entspricht. Die Anwendung eines institutionellen Ansatzes bei der Prüfung der Dorsch-Kriterien bedeutet nicht, dass der institutionelle Kontext unberücksichtigt bleibt. Naturgemäß ist eine Einrichtung gewissermaßen die Gesamtheit der Personen, die sie bilden. In welcher Weise die Personen, die Teil einer (vermeintlich) gerichtlichen Einrichtung sind, in ein Richteramt berufen wurden, ist eindeutig Teil dieses Kontexts.

78.

Diese Situation könnte z. B. in Bezug auf eine abhängige oder vereinnahmte gerichtliche Einrichtung in einem Mitgliedstaat entstehen, die dann nicht mehr als „Gericht“ bezeichnet werden kann. Sie kann möglicherweise entstehen, wenn die Anhäufung von Fragen, die sich z. B. auf die Ernennung zu dieser (formal gerichtlichen) Einrichtung, den politischen Einfluss auf ihre Entscheidungsfindung und andere mögliche Elemente beziehen, ein Muster offenbart, bei dem sie kein unabhängiges Gericht mehr darstellt, das diesen Namen verdient. In einem solchen Fall wäre die Schlussfolgerung jedoch, dass die Einrichtung als solche nicht mehr als „Gericht“ anzusehen ist und zwar selbst für den deutlich leichteren Ansatz des Art. 267 AEUV, was bedeutet, dass der Gerichtshof dann nicht einmal mehr mit einer solchen Einrichtung in Verbindung treten kann. Diese letztere Einrichtung wäre dann von jedem Dialog gänzlich abgeschnitten.

79.

Unter Berücksichtigung all dessen bin ich der Ansicht, dass das als Einzelrichter tagende Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens noch als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen ist.

2. Ist das Vorabentscheidungsersuchen im Sinne von Art. 267 AEUV „entscheidungserheblich“?

80.

Eine weitere Frage, die die Zulässigkeit des Verfahrens betrifft und im vorliegenden Verfahren aufgeworfen worden ist, betrifft die „Entscheidungserheblichkeit“ (oder „Erforderlichkeit“) der Vorlagefragen.

81.

Nach ständiger Rechtsprechung liegt die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist ( 41 ). Insoweit ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, das die Verantwortung für die spätere gerichtliche Entscheidung zu übernehmen hat, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen ( 42 ).

82.

Infolgedessen spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind ( 43 ).

83.

Konkret zum Kriterium der Erheblichkeit/Erforderlichkeit hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass dieses Kriterium voraussetzt, dass die in der Vorabentscheidung gegebene Antwort in der vom vorlegenden Gericht zu treffenden Entscheidung berücksichtigt werden kann ( 44 ).

84.

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof im Urteil Miasto Łowicz – einer jüngeren Rechtssache, in der es, wie im vorliegenden Fall, um Fragen der Rechtsstaatlichkeit ging – betont, dass für die Feststellung der Erheblichkeit im Sinne von Art. 267 AEUV ein Anknüpfungspunkt zwischen dem Rechtsstreit, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist, und den Bestimmungen des Unionsrechts, um deren Auslegung ersucht wird, bestehen muss, „so dass diese Auslegung einem objektiven Erfordernis für die Entscheidung entspricht, die das nationale Gericht zu treffen hat“ ( 45 ). Dieser Anknüpfungspunkt ist nach Ansicht des Gerichtshofs gegeben, wenn (i) der Rechtsstreit einen sachlichen Bezug zum Unionsrecht aufweist, (ii) sich die Frage auf die Auslegung von Verfahrensvorschriften des Unionsrechts bezieht, die möglicherweise anwendbar sind oder (iii) die beim Gerichtshof nachgesuchte Antwort geeignet ist, dem nationalen Gericht eine Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die es ihm ermöglicht, über Verfahrensfragen des nationalen Rechts zu entscheiden, bevor es in dem bei ihm anhängigen Verfahren in der Sache entscheiden kann ( 46 ).

85.

Die vorliegende Rechtssache fällt nicht unter die ersten beiden Kategorien, da es keine materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Unionsvorschrift gibt, die in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit anwendbar ist und an deren Auslegung oder Gültigkeit das vorlegende Gericht Zweifel hegt. Zwar beruft sich das vorlegende Gericht auf Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 93/13 sowie auf Art. 38 der Charta als Bestimmungen, die auch auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbar sein könnten. Es bedürfte jedoch ziemlich großer Phantasie und einer langen Kette transitiver Argumentation, um vom Anwendungsbereich dieser Bestimmungen zum Inhalt der Fragen zu gelangen, die dieses Gericht tatsächlich vorgelegt hat.

86.

Die vorliegende Rechtssache fällt aber jedenfalls in die dritte Kategorie. Das vorlegende Gericht bedarf nämlich zur Klärung einer verfahrensrechtlichen Frage des nationalen Rechts einer Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefragen, bevor es in der Sache entscheiden kann.

87.

Nach den im Lauf dieses Verfahrens gewonnenen Informationen erfolgt die Prüfung von Rechtsbeschwerden vor dem Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) grundsätzlich in zwei Stufen. In einem ersten Schritt prüft er, als Einzelrichter tagend, die Zulässigkeit des Rechtsmittels. Gemäß Art. 3989 Abs. 1 Nr. 3 der polnischen Zivilprozessordnung (im Folgenden: polnische ZPO) ist eine Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn die angefochtene Entscheidung u. a. in einem ungültigen Verfahren ergangen ist. Nach Art. 379 Nr. 4 der polnischen ZPO ist ein Verfahren u. a. dann ungültig, wenn das Gericht, das die Sache entscheidet, nicht gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zusammengesetzt ist oder das Verfahren im Beisein eines Richters geführt wurde, der ausgeschlossen war. Nur wenn ein Rechtsmittel als zulässig erachtet wird, prüft der dann in einem mit drei Richtern besetzten Spruchkörper entscheidende Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) die Begründetheit des Rechtsmittels in einem nachfolgenden Schritt.

88.

Wie die polnische Regierung und die Kommission in der mündlichen Verhandlung klargestellt haben, muss der Richter, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels prüft, das Vorliegen einer der vier Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Art. 3989 Abs. 1 der polnischen ZPO positiv feststellen, damit die Rechtssache fortgesetzt werden kann. Zu diesem Zweck muss der für diese erste Verfahrensstufe zuständige Richter eine spezifische und gesonderte Entscheidung über die Zulässigkeit erlassen, unabhängig davon, ob diese positiv oder negativ ausfällt, und damit diese Phase der Vorprüfung abschließen.

89.

In Anbetracht des Vorstehenden kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Vorlagefragen für die vom vorlegenden Gericht zu treffende Entscheidung unerheblich seien. Die Frage der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Gerichts, dessen Urteil überprüft wird, ist nämlich einer der Gründe für die Kassationsbeschwerde. Als solche ist sie vom vorlegenden Gericht, gegebenenfalls von Amts wegen, zu prüfen, und jede Schlussfolgerung, die zu diesem Punkt gezogen wird, ist gesondert zu begründen. Eine solche Frage beinhaltet daher in der Tat ein vorab zu klärendes Element der Vereinbarkeit zwischen nationalem Recht und Unionsrecht, mit dem sich das vorlegende Gericht befassen muss, um über die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde entscheiden zu können.

90.

Infolgedessen halte ich die Vorlagefragen für entscheidungserheblich und damit für zulässig, weil die Antwort des Gerichtshofs auf diese Fragen das vorlegende Gericht in die Lage versetzen wird, in einer bei ihm anhängigen Rechtssache eine Entscheidung zu treffen.

C.   Materielle Prüfung

91.

Mit seinen – teilweise zusammen zu prüfenden – Fragen wirft das vorlegende Gericht vor dem Gerichtshof eine Reihe von Zweifelsfragen zur Auslegung des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit auf, die sich im Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 2 EUV und Art. 47 der Charta ergeben. Obwohl das vorlegende Gericht in seinen Fragen eine Reihe anderer Bestimmungen heranzieht, bin ich nicht der Ansicht, dass eine gesonderte Erörterung dieser anderen Bestimmungen zusätzliche Klarheit zu den aufgeworfenen Fragen schaffen könnte.

92.

Die vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Fragen betreffen erstens die Art und Weise der Analyse, die es vornehmen muss, um die Einhaltung des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit zu überprüfen; dabei unterscheidet das vorlegende Gericht zwei Formen, nämlich die abstrakte und die konkrete Analyse. Dieses Problem hat Querschnittscharakter und findet sich in mehreren der aufgeworfenen Fragen. Ich werde es daher zunächst in meinen einleitenden Bemerkungen untersuchen (1). Anschließend und in diesem Lichte werde ich zu den konkreten Fragen übergehen. Zunächst werde ich prüfen, ob bestimmte Tatsachen im Zusammenhang mit der erstmaligen Ernennung von Personen, die richterliche Funktionen ausüben, ihre Unabhängigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta in Frage stellen können und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Ernennung in der Zeit des kommunistischen Regimes (2) oder zu einem späteren Zeitpunkt, unter den angeblich nachfolgenden mängelbehafteten Verfahrenssystemen bis 2018 handelt (3). Schließlich werde ich auf die Zweifel des vorlegenden Gerichts eingehen, ob es grundsätzlich verpflichtet ist, Fragen der Unabhängigkeit von Amts wegen zu prüfen, und ob der Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter es daran hindern könnte (4).

1. Einleitende Bemerkungen: Prüfung der richterlichen Unabhängigkeit

93.

Mit seinen Fragen bittet das vorlegende Gericht den Gerichtshof in erster Linie um Klärung der Art und Weise, wie die Prüfung der Einhaltung des Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit zu erfolgen hat. Zum besseren Verständnis der vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Fragen erscheint es angebracht, die von ihm insoweit geäußerten Zweifel kurz in Erinnerung zu rufen.

94.

In seinem Vorabentscheidungsersuchen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der Gerichtshof in seinen früheren Entscheidungen klargestellt hat, dass für die Feststellung, ob ein nationales Gericht „unabhängig“ ist, u. a. die Art und Weise der Ernennung seiner Mitglieder und deren Amtszeit zu berücksichtigen sei. Insbesondere habe der Gerichtshof festgestellt, dass unabhängig von dem für die Ernennung gewählten verfassungsrechtlichen Modell „jedoch sicherzustellen [ist], dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten für den Erlass der Ernennungsentscheidungen so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen, sind die betreffenden Richter erst einmal ernannt, keine berechtigten Zweifel an deren Unempfänglichkeit für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen lassen“ ( 47 ).

95.

Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil A. K. u. a. festgestellt hat, dass angebliche Verstöße gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit unter Berücksichtigung aller erheblichen Umstände und gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Gründe und spezifischen Ziele zu prüfen sind, die die fraglichen Maßnahmen angeblich rechtfertigen. Die Bedeutung der erheblichen Umstände dürfe nicht für sich allein und isoliert bewertet werden, sondern sie seien in Kombination im Lichte der breiteren rechtlichen und institutionellen Landschaft zu beurteilen ( 48 ).

96.

Wie das vorlegende Gericht jedoch ausführt, ist es sich nicht sicher, wie die Prüfung der Einhaltung des Grundsatzes der Unabhängigkeit tatsächlich zu erfolgen hat. Es meint insbesondere, dass sowohl eine abstrakte als auch eine konkrete Betrachtungsweise in Frage kommen könnten. Unter Bezugnahme auf die spezielle Situation, um die es im Ausgangsverfahren geht, führt das vorlegende Gericht aus, dass eine abstrakte Beurteilung bedeuten würde, dass jeder Fall, in dem ein Richter im Wege eines fehlerhaften Verfahrens ernannt worden sei, Anlass zu Bedenken geben würde, unabhängig von den Auswirkungen auf die jeweilige Rechtssache, um die es gehe. Dementsprechend wären die Stellung, das Verhalten und der Werdegang eines bestimmten Richters, der an der Besetzung eines Spruchkörpers beteiligt sei, in diesem Zusammenhang unerheblich. Andererseits gebe es die Möglichkeit, die Einhaltung des Grundsatzes der Unabhängigkeit im konkreten Fall zu überprüfen, was voraussetzte, dass ein Zusammenhang zwischen einem rechtswidrigen richterlichen Ernennungsverfahren und einer tatsächlichen oder potenziellen Auswirkung auf den Ausgang einer bestimmten Rechtssache nachgewiesen werde.

97.

Meines Erachtens beruht das vom vorlegenden Gericht dargelegte Problem auf einer etwas unvollständigen Lesart des in Rede stehenden Urteils. Das vorlegende Gericht hebt nur einen Gesichtspunkt des Urteils A. K. u. a. hervor und stellt dann, ohne auf den Kontext und den Zweck einer solchen Beurteilung einzugehen, eine falsche Gegensätzlichkeit her, indem es die abstrakte Analyse und die konkrete Analyse als sich gegenseitig ausschließend darstellt. Meiner Ansicht nach sind diese beiden Ansätze, wenn sie in ihrem richtigen Kontext betrachtet werden, keine Alternativen, sondern sie ergänzen sich oder sind sogar kumulativ zu sehen.

98.

Erstens hat der Gerichtshof durch die Bezugnahme auf „alle erheblichen Umstände“ nicht irgendeine Art oder Kategorie von relevanten Faktoren ausgeschlossen. Meines Erachtens hat er lediglich angedeutet, dass es bei der Beurteilung der richterlichen (Un‑)Abhängigkeit möglicherweise nicht ausreicht, lediglich das „geschriebene Recht“ zu betrachten ( 49 ). Oft ist es notwendig, auch die tatsächliche Praxis bei der Anwendung dieser Vorschriften zu untersuchen ( 50 ). Dementsprechend können und – wo angebracht – sollten sowohl formale und institutionelle Faktoren (die für eine abstrakte Analyse von zentraler Bedeutung sind) als auch konkretere und fallspezifische Faktoren (die im Mittelpunkt einer konkreten Analyse stehen) berücksichtigt werden.

99.

Angesichts der Vielzahl von Situationen, in denen die Frage der Unabhängigkeit der Justiz aufgeworfen werden könnte, lässt sich unmöglich von vornherein sagen, welche Art von Faktoren größeres Gewicht haben sollten. Die Bedeutung dieser Faktoren – die, ich wiederhole es, in jedem Fall in einer Gesamtschau zu beurteilen sind – hängt natürlich von den besonderen Merkmalen des betreffenden Einzelfalls ab.

100.

Darüber hinaus ist auch der Gesamtkontext wichtig, in dem die Bestimmungen Anwendung finden, und wie sie mit anderen Bestimmungen und Akteuren zusammenhängen oder interagieren. (Un‑)Abhängigkeit ist definitionsgemäß beziehungsorientiert: es ist die Unabhängigkeit oder Abhängigkeit von etwas oder jemandem. Bildlich gesprochen kann sich die Prüfung also nicht auf die mikroskopische Untersuchung einer Salamischeibe beschränken, ohne den Rest der ganzen Salamiwurst sowie die Art und Weise, wie und wo sie normalerweise aufbewahrt wird, ihren Abstand und ihr Verhältnis zu anderen Gegenständen im Lagerraum, im Auge zu haben und geflissentlich übersehen, dass in der Ecke des Raums ein ziemlich großer Fleischfresser lauert.

101.

Zweitens, und wohl noch wichtiger, ist es ganz einfach unmöglich, von vorneherein, unabhängig von der im betreffenden Fall anwendbaren Unionsvorschrift, ein allgemeingültiges Kriterium für die Beurteilung der richterlichen Unabhängigkeit zu benennen. Der Versuch, abschließend und abstrakt festzulegen, wann genau ein bestimmtes Gericht „unabhängig“ ist, ohne den Zweck, für den die Frage formuliert wird – also, ob im Zusammenhang mit Art. 267 AEUV, Art. 47 der Charta oder Art. 19 Abs. 1 EUV – sowie die Umstände des Einzelfalls zu kennen, kommt der Aufforderung an den Gerichtshof recht nahe, den sprichwörtlichen Karren vor das Pferd zu spannen.

102.

Wie ich in den vorangegangenen Abschnitten der vorliegenden Schlussanträge zu erläutern versucht habe und wie ich bereits in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache WB u. a. ausführlich dargelegt habe, ist der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit im Unionsrecht zwar ein und derselbe, aber was genau geprüft wird und welches Maß an Überprüfung ausgeübt wird, hängt davon ab, welche der Bestimmungen des Unionsrechts tatsächlich zur Anwendung kommt: Art. 267 AEUV, Art. 19 Abs. 1 EUV oder Art. 47 der Charta ( 51 ).

103.

Im Zusammenhang mit einer Prüfung anhand von Art. 19 Abs. 1 EUV wird sich der Gerichtshof vermutlich in erster Linie auf formale und institutionelle Faktoren konzentrieren, während im Zusammenhang mit einer Prüfung anhand von Art. 47 der Charta die fallspezifischen Faktoren im Vordergrund stehen werden. Diese Schwerpunktsetzung wird durch die Funktionsweise der einzelnen Vorschriften bestimmt: strukturelles Versagen eines Mitgliedstaats und/oder Verletzung individueller, im Unionsrecht begründeter Rechte. Doch wie bereits erläutert, ist das keine binäre Entscheidung: Das eine kann auf das andere hinauslaufen, auch wenn beides natürlich nicht dasselbe ist. Das Kriterium „alle erheblichen Umstände“ bedeutet – und man möge mir diese Binsenweisheit verzeihen –, dass alle Umstände relevant sein können. Es sind der Schwerpunkt und der Zweck der Bestimmung, die im spezifischen tatsächlichen und rechtlichen Kontext eines bestimmten Falles zu bewerten sind und die letztendlich bestimmen werden, welche von ihnen ausschlaggebend ist.

104.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein nationales Gericht, um die Einhaltung des in Art. 19 Abs. 1 EUV und in Art. 47 der Charta verankerten Grundsatzes der Unabhängigkeit der Justiz zu beurteilen, alle erheblichen Umstände prüfen und gegebenenfalls die Gründe und spezifischen Ziele der nationalen Maßnahmen berücksichtigen muss, die auf den jeweiligen Sachverhalt anwendbar sein können. In diesem Zusammenhang können je nach den Merkmalen des betreffenden Falles und der/den anwendbaren Unionsvorschrift(en) sowohl formale und institutionelle Faktoren als auch fallspezifische Faktoren erheblich sein. Die Bedeutung dieser Faktoren sollte nicht für sich oder isoliert bewertet werden, sondern zusammen im Licht der weiteren rechtlichen und institutionellen Landschaft beurteilt werden.

105.

Nach diesen Vorbemerkungen wende ich mich nun den in den einzelnen Vorlagefragen genannten spezifischen Problemen zu.

2. Fragen 1 bis 3

106.

Mit seiner ersten, seiner zweiten und seiner dritten Frage, die eng miteinander verbunden sind und daher zusammen geprüft werden können, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Umstände der ersten Ernennung eines der Richter des Gerichts, das das angefochtene Urteil erlassen hat (Richter FO), die unter dem kommunistischen Regime der damaligen Volksrepublik Polen erfolgte, Auswirkungen auf seine Unabhängigkeit bei der derzeitigen Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta haben.

107.

In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass in der kommunistischen Ära in Polen ein Richter bei seinem Amtsantritt gegenüber dem Präsidenten des betreffenden Gerichts den Eid ablegte, u. a. die Freiheit, Unabhängigkeit und Macht des „demokratischen“ polnischen Staates zu festigen, die auf den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Grundsätzen der Volksrepublik Polen beruhende Ordnung zu schützen und zu stärken sowie die Achtung vor dem Gesetz und die Loyalität gegenüber diesem Staat zu stärken. Nach den damals geltenden Bestimmungen bestand die Aufgabe der Justiz in der Volksrepublik Polen darin, die „Volksdemokratie“ zu schützen und ihre Entwicklung zum Sozialismus zu fördern. Die Gerichte in der kommunistischen Ära in Polen waren auch verpflichtet, im Rahmen ihrer Tätigkeit die Bürger im Sinne der Loyalität zur Volksrepublik Polen zu erziehen.

108.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts entsprachen die Art und Weise, wie die Richter damals ernannt wurden, sowie die Modalitäten ihrer Überwachung und der Möglichkeit ihrer Abberufung nicht den Anforderungen an einen demokratischen Rechtsstaat. Insbesondere seien die Richter bis 1989 von der Exekutive eines Staates ernannt und entlassen worden, der durch ein undemokratisches Machtsystem gekennzeichnet gewesen sei: dem Staatsrat. Die Vorschriften, die die Ernennung und Abberufung von Richtern regelten, hätten nicht nur eine große Abhängigkeit von den staatlichen Exekutivorganen begründet, sondern auch keine transparenten Ernennungskriterien enthalten und keine Beteiligung der richterlichen Selbstverwaltung oder aus demokratischen Wahlen hervorgegangener Gremien an dem Ernennungsverfahren zugelassen. Diese Verfahren würden das Vertrauen, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft wecken müsse, untergraben.

109.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts haben die nach 1989 in das polnische Recht eingeführten Änderungen wenig dazu beigetragen, wirksame Instrumente für die Überprüfung von Richterernennungen aus der kommunistischen Ära oder möglicher Verstöße von Richtern gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit zu entwickeln. Es habe daher nach 1989 weder eine allgemeine Überprüfung aller richterlichen Ernennungen aus der kommunistischen Ära noch eine wirksame Überprüfung einzelner richterlicher Ernennungen gegeben, nicht einmal in Fällen, in denen einzelne Richter offenkundig gegen den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit verstoßen hätten.

110.

Ich halte die oben genannten Argumente nicht für überzeugend.

111.

Zwar teile ich die Auffassung des vorlegenden Gerichts, dass die Verfahren zur Ernennung von Richtern und ganz allgemein die Regeln für ihre Amtszeit und Tätigkeit während der Ära der Volksrepublik Polen keine ausreichenden Garantien boten, um den in den Unionsverträgen derzeit niedergelegten Anforderungen an die richterliche Unabhängigkeit zu genügen.

112.

Aber im Übrigen weiß ich nicht recht, welche Bedeutung diese Aussage in rechtlicher Hinsicht für die heutige Zeit besitzt. Indem das vorlegende Gericht ein bestimmtes politisches Weltbild als juristisches Argument verpackt, scheint es etwas zu sagen, das entweder auf eine echte Rückwirkung oder auf gänzlich unbegründete Unterstellungen hinausläuft.

113.

Erstens ist es offensichtlich, dass das Unionsrecht für Polen vor seinem Beitritt zur Europäischen Union keine Geltung hatte. Es ist auch eine Binsenweisheit, dass nach der Unionsrechtsordnung mangels spezieller Rückwirkungsvorschriften neue Rechtsnormen nicht auf rechtliche Sachverhalte anwendbar sind, die unter dem alten Recht entstanden und abgeschlossen sind; sie entfalten ihre Wirkung jedoch für die Zukunft und gelten dann auch für neue rechtliche Sachverhalte ( 52 ). Daher kann ich mir nicht erklären, wie die sich aus Art. 19 Abs. 1 EUV und/oder Art. 47 der Charta ergebenden Vorschriften und Maßstäbe auf die Ernennung von Richtern in Polen vor 1989 angewandt werden könnten, ohne dass dies einer echten Rückwirkung gleichkäme ( 53 ).

114.

Zweitens gibt es im Unionsrecht in der Tat den Vorbehalt der fortdauernden Rechtswirkung. Daher könnte sich möglicherweise ein Unabhängigkeitsproblem nach Art. 19 Abs. 1 EUV und/oder Art. 47 der Charta ergeben, wenn die nationalen Vorschriften, auf die das vorlegende Gericht verwiesen hat, trotz ihrer Außerkraftsetzung vor Jahrzehnten auch heute noch eine gewisse Wirkung entfalten könnten. Dazu wäre, was den vorliegenden Fall betrifft, der Nachweis einer fortdauernden Auswirkung, eines Zusammenhangs zwischen diesen früheren nationalen Bestimmungen und den heutigen legitimen und echten Zweifeln in der Vorstellung des Einzelnen an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Richters, wie des Richters FO, erforderlich.

115.

In dieser Hinsicht enthält die Vorlageentscheidung jedoch, was angesichts ihrer Gesamtlänge und Ausführlichkeit eher überraschend ist, kaum konkrete Erklärungen dazu, wer die Person, das Organ oder die Einrichtung sein könnte, die derzeit in der Lage wäre, unzulässigen Druck auf den Richter FO auszuüben, und aus welchen Gründen der Richter FO geneigt sein könnte, diesem Druck nachzugeben. Stattdessen scheint das vorlegende Gericht von der Annahme auszugehen, dass Richter, die während der kommunistischen Ära ernannt wurden, automatisch „für immer belastet“ sind, einfach aufgrund ihrer Verbindung mit dem früheren Regime, und weil sie, wie aus der dritten Frage ersichtlich, nie neu ernannt wurden und nie einen neuen richterlichen Eid auf den neuen demokratischen Staat geschworen haben.

116.

Drittens möchte ich, ohne mich in irgendeiner Weise in der Sache zu solchen „Vorstellungen“ äußern zu wollen, lediglich anmerken, dass es im Lauf der Geschichte eines jeden Landes Verfassungsmomente gibt, in denen sich verschiedene Optionen hinsichtlich der Gestaltung neuer staatlicher Institutionen und ihres Personals ergeben ( 54 ). Bei dieser verfassungsrechtlichen Entscheidung vor etwa 30 Jahren entschied sich Polen jedoch zusammen mit einer Reihe anderer Länder in Mitteleuropa für Kontinuität. In der Folge haben die unter dem früheren Regime ernannten Richter in Polen von einer doppelten Akzeptanz profitiert und zwar sowohl auf nationaler als auch auf Unionsebene.

117.

Zum einen akzeptierte der neu gebildete demokratische Staat, wie das vorlegende Gericht hervorhebt, trotz der Verabschiedung gewisser „Lustrationsmaßnahmen“ ( 55 ), dass die in der Ära der Volksrepublik Polen ernannten Richter im Prinzip im Amt bleiben konnten. Dies hat auch die polnische Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

118.

Zum anderen wurde diese Situation von den Unionsorganen für die Zwecke des Beitritts Polens zur Europäischen Union als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die künftigen Mitgliedstaaten die sogenannten „Kopenhagener Kriterien“ ( 56 ) erfüllen mussten, von denen eines das Vorhandensein von institutioneller Stabilität, u. a. als Garantie für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenrechte, betraf.

119.

In diesem Zusammenhang betrachtet, laufen die vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Fragen im Kern darauf hinaus, dass die von Polen vor Jahrzehnten getroffene und von der Europäischen Union bei seinem Beitritt zur Union akzeptierte verfassungsrechtliche Wahl falsch gewesen sei. Auch insoweit möchte ich mich nicht zu den politischen Implikationen dieser Auffassung äußern. Was jedoch die vorliegende Rechtssache betrifft, so käme jedes gerichtliche Eingreifen, das die Entscheidungen eines nationalen Richters, wie des Richters FO, für ungültig erklären würde, nur weil er erstmals in der Volksrepublik Polen in ein richterliches Amt berufen worden war, einer erneuten Lustrationsmaßnahme gleich.

120.

Viertens gibt es keine Bestimmung des Unionsrechts, die es dem Gerichtshof erlaubt, die Art und Weise zu überprüfen, in der die Mitgliedstaaten vor ihrem Beitritt mit dem politischen, rechtlichen und administrativen Erbe der früheren Regime umgegangen sind ( 57 ). Ebenso verbleibt die Gestaltung der geltenden oder neuen Regeln für die Organisation der Justiz, die Ernennung von Richtern oder die richterliche Disziplin regelmäßig in der institutionellen Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten ( 58 ).

121.

Das bedeutet jedoch nicht, dass jedwede Lustrationsmaßnahme, die ein Mitgliedstaat jetzt ergreift, der Überprüfung ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, sofern letzteres Anwendung findet, entzogen wäre. Insbesondere müsste eine Maßnahme, die sich auf die Tätigkeit der nationalen Gerichte in den vom Unionsrecht geregelten Bereichen auswirken könnte, u. a. mit den in Art. 19 Abs. 1 EUV enthaltenen Grundsätzen, die die in Art. 2 EUV verankerten Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Grundrechte widerspiegeln, vereinbar sein.

122.

Auch wenn der Gerichtshof bisher noch keine Gelegenheit hatte, eine solche Maßnahme zu überprüfen, sind in der Vergangenheit verschiedene Formen der Lustration vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) geprüft worden. Dieser hat insoweit festgestellt, dass Lustrationsmaßnahmen gerechtfertigt sein können, wenn Ziele verfolgt werden, die sich u. a. auf den Schutz der nationalen und der öffentlichen Sicherheit, die Förderung des Vertrauens in die neuen demokratischen Institutionen, die Verhinderung von Unruhen, die Transparenz des öffentlichen Lebens, die Klarheit und den inneren Frieden in der Gesellschaft, das wirtschaftliche Wohlergehen des Landes und die Rechte und Freiheiten anderer beziehen ( 59 ). In diesem Zusammenhang hat der EGMR auch festgestellt, dass Staaten rechtsgültig Lustrationsmaßnahmen ergreifen können, da „ein demokratischer Staat berechtigt ist, von Beamten Loyalität gegenüber den Verfassungsgrundsätzen zu verlangen, auf denen er beruht“ ( 60 ).

123.

Der EGMR hat jedoch die Auffassung vertreten, dass bei derartigen Maßnahmen, selbst wenn sie als solche nicht zu einer Verletzung der Menschenrechte führen, doch bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, um mit den Bestimmungen der EMRK vereinbar zu sein. Im Hinblick auf das, was für das vorliegende Verfahren von Bedeutung ist, möchte ich lediglich darauf hinweisen, dass der EGMR vom nationalen Rechtsrahmen u. a. verlangt, dass er (i) hinreichend bestimmt ist, um die Verantwortung der jeweiligen Personen individuell zuordnen zu können ( 61 ), (ii) angemessene Verfahrensgarantien für die betroffenen Personen enthält ( 62 ) und (iii) vorübergehender Natur ist, da die objektive Notwendigkeit der Einschränkung der individuellen Rechte aufgrund der Übergangsmaßnahmen mit der Zeit abnimmt ( 63 ).

124.

Die Feststellungen des EGMR sind meines Erachtens weitgehend auf die Unionsrechtsordnung übertragbar ( 64 ). In Anbetracht dieser Rechtsprechung habe ich ernsthafte Zweifel, dass eine Gerichtsentscheidung, wie sie das vorlegende Gericht in Betracht zieht, mit dem Unionsrecht vereinbar wäre. Ohne dass dies näher erläutert werden muss, sehe ich mehrere mögliche Probleme, insbesondere im Hinblick auf Art. 2 EUV (Rechtsstaatlichkeit) und die Art. 47 und 48 der Charta (rechtsstaatliches Gerichtsverfahren).

125.

Was mir jedoch in jedem Fall am meisten auffällt, ist, dass eine solche Maßnahme Jahrzehnte nach dem Sturz des früheren Regimes und der Gründung eines neuen Staates betrachtet würde, aber immer noch, zumindest nominell, im Namen der Notwendigkeit, die kommunistische Vergangenheit zu bewältigen. Was auch immer die wahren Motive hinter solchen Vorstellungen im heutigen Polen sein mögen, ist doch festzuhalten, dass die zeitliche Distanz an sich die objektive Notwendigkeit solcher Maßnahmen in einer demokratischen Gesellschaft ausschließen würde ( 65 ). Vereinfacht gesagt: Der Verfassungsmoment, in dem solche Maßnahmen legitimerweise hätten ins Auge gefasst werden können, ist meines Erachtens schon lange verstrichen.

126.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen bin ich der Auffassung, dass die bloße Tatsache, dass einige Richter während der Ära der Volksrepublik Polen erstmals in ein richterliches Amt berufen wurden, für sich genommen kein Faktor ist, der als solcher ihre Unabhängigkeit heute in Frage stellen kann. Daher sind die in den Fragen 1 bis 3 genannten Umstände nicht geeignet, Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines nationalen Richters wie des Richters FO im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta aufkommen zu lassen.

3. Fragen 4 und 5

127.

Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Umstand, dass einige Mitglieder, die dem Spruchkörper des Gerichts, der das angefochtene Urteil erlassen hat, angehörten, auf der Grundlage von Beschlüssen des Landesjustizrats in einer Zusammensetzung ernannt wurden, die sich aus ausgelegten Rechtsvorschriften ergab, die später vom Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht) für verfassungswidrig erklärt wurden ( 66 ), einen Einfluss auf die Beurteilung der Frage hat, ob dieser Spruchkörper des Gerichts der Anforderung der Unabhängigkeit entsprach. Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht ferner wissen, ob eine Einrichtung – wie der Landesjustizrat zum maßgeblichen Zeitpunkt –, die bei der Ernennung von Richtern intransparente und nicht öffentliche Verfahren anwendet, als unabhängig im Sinne des Unionsrechts angesehen werden kann.

128.

Diese beiden Fragen können zusammen behandelt werden. Sie lassen sich vielleicht am besten in zwei Stufen angehen: erstens vom Grundsatz her, d. h. ohne Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs, und dann, zweitens, durch Anreicherung der Analyse durch diesen breiteren Kontext ( 67 ).

129.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des EGMR ergibt, nicht schon jeder Fehler, der im Zuge des Ernennungsverfahrens eines Richters auftreten mag, geeignet ist, Zweifel an der Unabhängigkeit dieses Richters aufkommen zu lassen.

130.

Im Urteil Simpson hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass eine Vorschriftswidrigkeit, die bei der Ernennung von Richtern begangen wird, einen Verstoß gegen Art. 47 der Charta darstellt, „insbesondere dann, wenn die Art und Schwere der Vorschriftswidrigkeit dergestalt ist, dass sie die tatsächliche Gefahr begründet, dass andere Teile der Staatsgewalt – insbesondere die Exekutive – ein ihnen nicht zustehendes Ermessen ausüben können, wodurch die Integrität des Ergebnisses des Ernennungsverfahrens beeinträchtigt und so beim Einzelnen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des oder der betreffenden Richter geweckt werden“. Der Gerichtshof hat in diesem Fall festgestellt, dass die vom Rat bei der Ernennung eines Mitglieds des (damaligen) Gerichts für den öffentlichen Dienst begangene Unregelmäßigkeit nicht so schwerwiegend war, dass sie gegen Art. 47 der Charta verstieß ( 68 ).

131.

In ähnlicher Weise hat die Große Kammer des EGMR im Urteil Ástráðsson anhand von drei Kriterien geprüft, ob eine vorschriftswidrige Ernennung eines Richters gegen das Recht auf ein „auf Gesetz beruhendes Gericht“ gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK verstieß. Der EGMR prüfte, ob (i) ein offensichtlicher Verstoß gegen die innerstaatlichen Vorschriften über die Ernennung von Richtern vorlag, (ii) ob der Verstoß ein Gesetz von grundlegender Bedeutung für die Ernennung von Richtern betraf und (iii) ob der Verstoß von den innerstaatlichen Gerichten wirksam überprüft und Abhilfe geschaffen worden war ( 69 ).

132.

Der EGMR hat insbesondere in Bezug auf das zweite oben genannte Element die Notwendigkeit betont, den Rechtsverstoß „im Licht von Ziel und Zweck des Erfordernisses eines ‚auf Gesetz beruhenden Gerichts‘ zu beurteilen, nämlich die Fähigkeit der Justiz sicherzustellen, ihre Aufgaben frei von ungebührlichen Einflussnahmen zu erfüllen und dadurch die Rechtsstaatlichkeit und die Gewaltenteilung zu wahren“. Dementsprechend hat der EGMR festgestellt, dass „Verstöße rein technischer Art, die keinen Einfluss auf die Legitimität des Ernennungsprozesses haben, als unterhalb der relevanten Schwelle zu betrachten sind“ ( 70 ).

133.

Vorliegend bezogen sich die vom Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht) in seiner Entscheidung K 5/17 vom 20. Juni 2017 festgestellten Probleme auf die Amtsdauer bestimmter Mitglieder des Landesjustizrats, einer der am richterlichen Ernennungsverfahren beteiligten Stellen. Die Feststellungen dieses Gerichts waren überwiegend technischer Natur, zumindest wenn man sie aus der Sicht von Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta betrachtet. Weder das vorlegende Gericht noch die polnische Regierung haben im Rahmen des vorliegenden Verfahrens eine konkrete und klare gegenteilige Erklärung abgegeben. Auf Nachfrage zu diesem Punkt in der mündlichen Verhandlung hat die polnische Regierung erklärt, dass die Unregelmäßigkeit in der Zusammensetzung des Landesjustizrats ihrer Ansicht nach keine automatischen Auswirkungen auf die Gültigkeit der zwischen 2000 und 2018 gefassten Beschlüsse dieses Gremiums habe. Es bleibt auch unklar, inwiefern die Feststellung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht) irgendeinen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung der Unabhängigkeit der drei betreffenden Richter haben könnte.

134.

Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Rechtsprechung die Bedeutung der Feststellung eines solchen Umstands deutlich macht.

135.

Der Gerichtshof hat beispielsweise im Urteil Kommission/Polen entschieden, dass die betreffende nationale Regelung – die eine sofort wirksame Herabsetzung des Ruhestandsalters von Richtern des Obersten Gerichts in Verbindung mit der Befugnis des Präsidenten der Republik, nach seinem freien Ermessen einem Richter die Fortsetzung seiner Tätigkeit zu erlauben, vorsah – den Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter, der für deren Unabhängigkeit wesentlich ist, beeinträchtige und damit gegen Art. 19 Abs. 1 EUV verstoße. Aufgrund ihrer besonderen Merkmale und in Anbetracht der Umstände, unter denen sie erlassen wurde, ist der Gerichtshof zu dem Schluss gelangt, dass diese Regelung begründete Zweifel an den ihr zugrunde liegenden wahren Absichten aufkommen lassen konnte. Insbesondere deuten mehrere Umstände darauf hin, dass die Regelung möglicherweise erlassen wurde, um eine bestimmte Gruppe von Richtern zu entfernen oder kaltzustellen ( 71 ).

136.

In ähnlicher Weise hatte der Gerichtshof in den Urteilen A. K. u. a. und Repubblika ( 72 ) die Zusammensetzung und Funktionsweise zweier staatlicher Einrichtungen, die in das Verfahren zur Ernennung von Richtern in ihrem jeweiligen Mitgliedstaat eingreifen, zu prüfen. Er hat insbesondere die Umstände untersucht, unter denen die Mitglieder dieser Einrichtungen ernannt wurden, die Art und Weise, in der diese Einrichtungen ihre Aufgaben wahrnahmen, den umfassenderen rechtlichen Rahmen, der die Rolle und die Tätigkeiten dieser Einrichtungen regelt, und schließlich die politische Landschaft, in der diese Einrichtungen tätig waren.

137.

In diesem Licht hat der Gerichtshof im Urteil A. K. u. a. festgestellt, dass bestimmte Elemente beim Einzelnen Zweifel an der Unempfindlichkeit der betreffenden Einrichtung gegenüber äußeren Einflüssen, insbesondere gegenüber dem Einfluss der Legislative und der Exekutive, aufkommen lassen konnten, obwohl er die Beurteilung dieser Frage letztlich dem vorlegenden Gericht überlassen hat. Dagegen hat der Gerichtshof in der Rechtssache Repubblika in Bezug auf die einschlägigen Vorschriften und die Art und Weise, in der diese Vorschriften von den Organen der Mitgliedstaaten angewandt wurden, nichts gefunden, was auf einen möglichen Mangel an Unabhängigkeit der betreffenden Einrichtung hinwies. Er sah keinen Grund zu der Annahme, dass der Präsident der Republik in diesem Mitgliedstaat seine Befugnisse zur Ernennung von Richtern in einer Weise nutzen könne, die in der breiten Öffentlichkeit einen echten Zweifel hinsichtlich der Unabhängigkeit der ausgewählten Personen wecken könne.

138.

In der Rechtssache WB u. a. hatte das vorlegende Gericht den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit, u. a. mit Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 2 EUV, einer nationalen Rechtsvorschrift gefragt, nach der der Justizminister/Generalstaatsanwalt auf der Grundlage nicht veröffentlichter Kriterien Richter auf unbestimmte Zeit an höhere Gerichte abordnen und diese Abordnung jederzeit nach eigenem Ermessen beenden konnte. In meinen Schlussanträgen habe ich die Auffassung vertreten, dass diese Rechtsvorschriften insofern gegen diese Bestimmungen verstoßen, als sie sich auf die Art und Weise auswirken können, in der bestimmte Richter ihre Aufgaben wahrnehmen. Insbesondere habe ich darauf hingewiesen, dass einige Richter aufgrund dieser Rechtsvorschriften einen Anreiz haben könnten, zugunsten der Staatsanwaltschaft oder, allgemeiner, nach dem Geschmack des Justizministers/Generalstaatsanwalts zu entscheiden. In der Tat kann es für Richter unterer Gerichte verlockend sein, mit einer Abordnung an ein höheres Gericht, mit möglicherweise besseren Karriereaussichten und einem höheren Gehalt, belohnt zu werden. Im Gegenzug kann es sein, dass Richter, die an höhere Gerichte abgeordnet sind, davon abgehalten werden, unabhängig zu handeln, um das Risiko zu vermeiden, dass ihre Abordnung durch den Justizminister/Generalstaatsanwalt beendet wird ( 73 ).

139.

Anders als in jenen Fällen ist im vorliegenden Fall nichts an „Motiv, Mittel und Gelegenheit“ in Bezug auf einen möglichen Mangel an Unabhängigkeit der drei in Rede stehenden Richter zu erkennen. Ähnlich wie in meiner Schlussfolgerung in Bezug auf die Umstände der erstmaligen Ernennung eines Richters in der Ära der Volksrepublik Polen stellt sich mir auch hier die Frage, wer derzeit in der Lage sein könnte, unzulässigen Druck auf die drei in Rede stehenden Richter auszuüben und zwar als Folge oder wegen des angeblichen Fehlers in ihrem Ernennungsverfahren, und warum diese Richter zumindest in der Vorstellung der Bürger geneigt sein könnten, sich diesem Druck zu beugen.

140.

Zweitens ergibt sich jedoch ein etwas anderes Bild, wenn die Analyse tatsächlich auf „alle erheblichen Umstände“ ausgeweitet wird, insbesondere wenn man das mögliche „Motiv, Mittel und Gelegenheit“ berücksichtigt, das der Entscheidung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht) über die (nicht) ordnungsgemäße Zusammensetzung des Landesjustizrats zugrunde liegt, auf das das vorlegende Gericht all seine Bedenken hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der richterlichen Ernennungen im Zeitraum von 2000 bis 2018 stützt. In diesem Zusammenhang könnte ein neugierigerer oder kritischer Beobachter vielleicht geneigt sein, sich zu fragen, was die wahren Motive hinter dieser Entscheidung gewesen sind, ob diese Entscheidung selbst von einem unabhängigen und ordnungsgemäß zusammengesetzten Gericht erlassen wurde ( 74 ) und wie sehr man sich generell auf Entscheidungen einer Einrichtung verlassen kann, die derzeit als anfällig für instrumentellen Missbrauch angesehen werden könnte ( 75 ).

141.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die in den Fragen 4 und 5 genannten Umstände ebenfalls nicht geeignet sind, Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von nationalen Richtern im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta aufkommen zu lassen.

4. Fragen 6 und 7

142.

Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es, um die etwaige Ungültigkeit eines angefochtenen Urteils zu prüfen, von Amts wegen klären muss, ob das Gericht der Vorinstanz, das das angefochtene Urteil erlassen hat, die Anforderungen an die Unabhängigkeit gemäß Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta erfüllt.

143.

Mit seiner siebten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es angesichts des in der polnischen Verfassung vorgesehenen unwiderruflichen Charakters der Ernennung von Richtern davon absehen muss, die Unabhängigkeit der Richter, die das angefochtene Urteil erlassen haben, zu den oben genannten Zwecken zu überprüfen.

144.

In Anbetracht der Antworten auf die vorangegangenen Fragen besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit, diese Fragen zu beantworten.

145.

Der Vollständigkeit halber werde ich jedoch einige kurze Anmerkungen zu den vom vorlegenden Gericht in diesen beiden Vorlagefragen aufgeworfenen Fragen machen. Im Wesentlichen fragt sich das vorlegende Gericht, ob es grundsätzlich verpflichtet ist, Fragen der Unabhängigkeit von Amts wegen aufzuwerfen, und ob der Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter es daran hindern könnte, dies zu tun.

146.

Was die sechste Frage betrifft, so ist nicht ganz klar, warum sich diese Frage überhaupt stellt, da der vorlegende Richter offensichtlich nach nationalem Recht verpflichtet ist, die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Gerichts, das das angefochtene Urteil erlassen hat, von Amts wegen zu prüfen ( 76 ). Für die Zwecke der möglichen Anwendung von Art. 47 der Charta findet sich jedoch die Antwort auf die Zweifel des vorlegenden Gerichts im Urteil Simpson des Gerichtshofs ( 77 ).

147.

In diesem Urteil hat der Gerichtshof ausgeführt, dass sich aus Art. 47 der Charta, in dem das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem zuvor durch Gesetz errichteten unabhängigen und unparteiischen Gericht und auf ein faires Verfahren verankert ist, ergebe, dass „der Unionsrichter prüfen können [muss], ob eine Vorschriftswidrigkeit des in Rede stehenden Ernennungsverfahrens [eines Richters] zu einer Verletzung dieses Grundrechts hat führen können“. Dieses Recht impliziert auch, dass „jedes Gericht überprüfen [muss], ob es in Anbetracht seiner Zusammensetzung ein solches Gericht ist, wenn insoweit ein ernsthafter Zweifel besteht“. Auf der Grundlage früherer Rechtsprechung hat der Gerichtshof ausgeführt, dass „eine solche Überprüfung ein wesentliches Formerfordernis [darstellt], das zwingend zu beachten und von Amts wegen zu prüfen ist“ ( 78 ).

148.

Der Wortlaut dieses Urteils ist eindeutig: Wenn echte Zweifel an der Zusammensetzung des Spruchkörpers aufkommen – z. B. wegen eines möglichen Fehlers im Ernennungsverfahren eines oder mehrerer davon betroffenen Richter –, muss jedes Gericht der Union diese Frage aufgreifen, gegebenenfalls auch von Amts wegen. Zwar handelte es sich in der Rechtssache Simpson um ein gerichtliches Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, doch finden die sich aus diesem Urteil ergebenden Grundsätze immer dann auch für nationale Gerichte Anwendung, wenn Art. 47 der Charta anwendbar ist.

149.

Wie in den vorangegangenen Abschnitten dieser Schlussanträge erläutert, gibt es im vorliegenden Fall jedoch offenbar keinen tatsächlichen Faktor, aus dem sich ein möglicher Mangel an Unabhängigkeit der Richter ergibt, die das angefochtene Urteil erlassen haben.

150.

Was die siebte Frage betrifft, so kann ich ebenso wie die Kommission nur schwer erkennen, wieso der Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter – ein Grundsatz, der, wie das vorlegende Gericht ausführt, in der polnischen Verfassung verankert ist – dem entgegenstehen soll, dass das vorlegende Gericht die Frage der Unabhängigkeit der betreffenden Richter wegen eines angeblich rechtswidrigen Ernennungsverfahrens aufwirft.

151.

Offenbar geht das vorlegende Gericht davon aus, dass ein nach nationalem Recht förmlich ernannter Richter nicht abgesetzt und die Entscheidung über seine Ernennung nicht für ungültig erklärt werden kann, obwohl diese Ernennung möglicherweise im Hinblick auf den unionsrechtlichen Unabhängigkeitsstandard rechtswidrig ist, weil dies dem Grundsatz der Unabsetzbarkeit zuwiderlaufen würde.

152.

Sowohl die Ausgangsannahmen des vorlegenden Gerichts als auch die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind mir unverständlich.

153.

Erstens konzentriert sich dieses Gericht erneut klinisch isoliert auf eine bestimmte Frage und konstruiert auf dieser Grundlage einen scheinbaren Widerspruch auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau. Auch wenn nach nationalem Recht die Entscheidung über die Ernennung eines Richters in ein richterliches Amt nicht nachgeprüft und für nichtig erklärt werden kann, folgt daraus keineswegs, dass die Entscheidungen dieses Richters nicht nachgeprüft werden können oder dass dieser Richter, sofern alle erforderlichen Vorschriften und Verfahren eingehalten werden, nicht im Wege eines Disziplinar- oder sonstigen einschlägigen Verfahrens abgesetzt werden kann.

154.

Zweitens ist für mich nicht ersichtlich, wie der Grundsatz der Unabsetzbarkeit eines Richters, wie er gemeinhin verstanden wird, im Ausgangsverfahren überhaupt in Frage stehen könnte. Der vorlegende Richter hat die Aufgabe, über die Zulässigkeit einer Kassationsbeschwerde beim Obersten Gericht zu entscheiden. Bei diesem Verfahren handelt es sich eindeutig nicht z. B. um ein Disziplinarverfahren, in dem die Entfernung des betreffenden Richters oder die Verhängung einer anderen Disziplinarmaßnahme gegen ihn beschlossen werden könnte. Daher sehe ich keinen direkten Konflikt zwischen dem Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter und der Möglichkeit, ein in einem Berufungsverfahren ergangenes Urteil wegen einer angeblich falschen Zusammensetzung des Spruchkörpers für ungültig zu erklären.

155.

Drittens sehe ich insoweit auch keinen indirekten Konflikt. Meines Erachtens übersehen die in der Vorlageentscheidung geäußerten Erwägungen zwei wichtige Faktoren, die das Wesen des Grundsatzes der Unabsetzbarkeit bzw. seine Verknüpfung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen betreffen.

156.

Zum einen hat der Gerichtshof immer wieder betont, dass zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz bestimmte Garantien bestehen müssen, um die Personen zu schützen, die die Aufgabe haben, in einem Rechtsstreit zu entscheiden, wie z. B. Garantien gegen eine Amtsenthebung. Der Grundsatz der Unabsetzbarkeit besagt insbesondere, dass „Richter im Amt bleiben dürfen, bis sie das obligatorische Ruhestandsalter erreicht haben oder ihre Amtszeit, sofern diese befristet ist, abgelaufen ist“ ( 79 ).

157.

Gleichzeitig hat der Gerichtshof jedoch klargestellt, dass der Grundsatz der Unabsetzbarkeit keine „völlig absolute“ Geltung hat und nicht haben kann. Die Unabsetzbarkeit, und im weiteren Sinne die richterliche Unabhängigkeit, die sie garantieren soll, geht Hand in Hand mit der richterlichen Rechenschaftspflicht. In der Tat kann es unter der Voraussetzung, „dass dies durch legitime und zwingende Gründe gerechtfertigt ist und dabei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet wird“, Ausnahmen von diesem Grundsatz geben. Beispielsweise hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass „allgemein anerkannt [ist], dass Richter abberufen werden können, wenn sie wegen Dienstunfähigkeit oder einer schweren Verfehlung nicht mehr zur Ausübung ihres Amtes geeignet sind, wobei angemessene Verfahren einzuhalten sind“ ( 80 ).

158.

Zugegebenermaßen birgt das Verhältnis zwischen dem Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter auf der einen und dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz sowie den Rechten auf effektiven Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren auf der anderen Seite einige schwierige Probleme der Verschränkung. Der Ausgleich zwischen diesen Interessen, die zuweilen in unterschiedliche Richtungen ziehen, muss im jeweiligen Einzelfall gefunden werden. Dieser Ausgleich kann nicht abstrakt formuliert werden, wovon das vorlegende Gericht in seiner siebten Frage wohl ausgeht.

159.

Die im Vorabentscheidungsersuchen angedeutete Position lässt sich jedoch unter keinem denkbaren Ansatz in dieser Frage aufrechterhalten. Diese Position führt nämlich zu einem Paradoxon: Um die Unabhängigkeit der Richter zu schützen, müssten auch die nicht unabhängigen Richter geschützt werden.

160.

Das ist nicht haltbar. In einer auf Rechtsstaatlichkeit basierenden Gemeinschaft, in der die Grundrechte des Einzelnen – wie das Recht auf einen wirksamen Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren – gewährleistet sein müssen, ist genau das Gegenteil von dem, was das vorlegende Gericht andeutet, richtig. Man könnte sogar so weit gehen, zu sagen, dass zu diesem Zweck die „Absetzbarkeit“ von nicht unabhängigen Richtern genauso wichtig ist wie die „Unabsetzbarkeit“ von unabhängigen Richtern. In der Tat verletzt die Existenz von Richtern, die politischen, wirtschaftlichen oder anderen privaten Interessen untergeordnet sind, den Kern eines auf Rechtsstaatlichkeit basierenden Rechtssystems und einer auf Gewaltenteilung beruhenden Demokratie.

161.

Damit will ich nicht sagen, dass jeder Richter, dessen Ernennung Fragen der Unabhängigkeit aufwirft, automatisch seines Amtes enthoben werden sollte und seine Entscheidungen für ungültig erklärt werden müssten. Jedoch muss ein Rechtssystem in der Lage sein, die Einhaltung des Prinzips der Unabhängigkeit der Justiz durchzusetzen, womit ich zu meinem letzten Punkt komme.

162.

Wie oben erwähnt, führen nicht alle Mängel in einem richterlichen Ernennungsverfahren zu Unabhängigkeitsproblemen. In dieser Hinsicht gibt es keinen Automatismus ( 81 ). Es gibt auch keinen Automatismus hinsichtlich der Folgen, die sich aus der Feststellung ergeben, dass eine Person zu Unrecht in ein richterliches Amt berufen wurde, auch dann nicht, wenn die Rechtswidrigkeit auf einem Verstoß gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit beruht. Stattdessen muss nach dem Unionsrecht im Licht der Tatsachen und Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine angemessene Korrelation zwischen den verletzten Vorschriften oder Grundsätzen, der Schwere des begangenen Verstoßes und der Art und dem Umfang der verfügbaren Rechtsbehelfe (und gegebenenfalls der gegen die Täter verhängten Strafen) hergestellt werden ( 82 ).

163.

Allgemeine Grundsätze des Unionsrechts wie u. a. Verhältnismäßigkeit, Rechtssicherheit, Rechtskraftwirkung und Fairness des Verfahrens werden bei der Beurteilung der Frage, ob die nationalen Rechtsbehelfe in diesem Bereich die Einhaltung und Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleisten, sicherlich nicht unberücksichtigt bleiben.

164.

Daher sehe ich kein Spannungsverhältnis zwischen der möglichen Feststellung, dass die Ernennung eines Richters mit einem Verfahrensfehler behaftet war (selbst wenn dieser Fehler so beschaffen ist, dass er beim Einzelnen Zweifel an dessen Unabhängigkeit aufkommen lässt), und dem Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter.

V. Ergebnis

165.

Ich schlage dem Gerichtshof vor, die vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Um die Einhaltung des in Art. 19 Abs. 1 EUV und in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatzes der Unabhängigkeit der Justiz zu beurteilen, muss ein nationales Gericht alle erheblichen Umstände prüfen und gegebenenfalls die Gründe und spezifischen Ziele der nationalen Maßnahmen berücksichtigen, die auf den Sachverhalt anwendbar sind. In diesem Zusammenhang können je nach den Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts und der möglicherweise anwendbaren Unionsbestimmung(en) sowohl formale und institutionelle Faktoren als auch konkretere und fallspezifische Faktoren erheblich sein. Die Bedeutung dieser Faktoren sollte nicht für sich oder isoliert bewertet, sondern zusammen im Licht der weiteren rechtlichen und institutionellen Landschaft beurteilt werden;

die in den Fragen 1 bis 5 genannten Umstände sind nicht geeignet, Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der nationalen Richter im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Grundrechtecharta aufkommen zu lassen;

Art. 47 der Grundrechtecharta ist dahin auszulegen, dass die nationalen Gerichte zu prüfen haben, ob eine Vorschriftswidrigkeit in einem Verfahren zur Ernennung eines Richters zu einer Verletzung durch das Unionsrecht verliehener Rechte führen könnte. Besteht in diesem Punkt ein echter und ernsthafter Zweifel, hat das Gericht diese Frage von Amts wegen zu prüfen. Der Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter hindert die nationalen Gerichte nicht daran, diese Überprüfung vorzunehmen.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Tůma, Z., „Soudce nelze novelizovat“ [Richter kann man nicht ändern], in: Kokeš, M., und Pospíšil, I., (Hrsg.), In dubio pro libertate: Úvahy nad ústavními hodnotami a právem. Pocta Elišce Wagnerové u příležitosti životního jubilea, Masarykova Univerzita, Brünn, 2009, S. 247.

( 3 ) ABl. 1993, L 95, S. 29.

( 4 ) Urteil vom 20. Juni 2017, K 5/17, OTK-A 2017.

( 5 ) Matthäus 7:12: „Therefore all things whatsoever ye would that men should do to you, do ye even so to them“ (King James Bible) oder in einer moderneren Übersetzung: „Do to others whatever you would have them do to you“ (New American Bible). Vergleichbare deutsche Fundstellen: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch.“ (Lutherbibel) bzw. „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ (Einheitsübersetzung). Die gleiche „Goldene (Verhaltens‑)Regel“ wird aber auch in anderen Religionen als Grundlehre angesehen.

( 6 ) Wie im vorliegenden Fall der oben unter Nr. 9 der vorliegenden Schlussanträge zitierte Art. 7 der Richtlinie 93/13.

( 7 ) Einige Regelungen des Sekundärrechts sind sogar transversal anwendbar, d. h. unabhängig von (materiellen) sektoralen Rechtsvorschriften. Vgl., obwohl im vorliegenden Fall offensichtlich nicht anwendbar, z. B. die Entscheidung der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung (ABl. 2006, L 354, S. 56), ausführlich behandelt in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a. (C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19 und C‑355/19, EU:C:2020:746, Nrn. 183 bis 225).

( 8 ) Vgl. u. a. Urteil vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 17 und 18 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 9 ) Vgl. Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 37 bis 42), und vom 20. April 2021, Repubblika (C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 51).

( 10 ) Verbundene Rechtssachen C‑748/19 bis C‑754/19, EU:C:2021:403, Nrn. 161 und 162.

( 11 ) Ebd., Nrn. 163 bis 169.

( 12 ) Rechtssache C‑487/19, W. Ż. (ABl. 2019, C 337, S. 4). In seinen Schlussanträgen in dieser Rechtssache kommt Generalanwalt Tanchev zu dem Ergebnis, dass die Ernennung von Richtern durch den Präsidenten der Republik unter Missachtung der Aussetzung des Ernennungsverfahrens durch einen Beschluss des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) einen offensichtlichen und vorsätzlichen Verstoß gegen die nationalen Vorschriften darstelle und als ein eklatanter Verstoß gegen das Ernennungsverfahren für Richter zu werten sei (EU:C:2021:289, Nrn. 87 bis 89).

( 13 ) Urteil vom 17. September 1997, Dorsch Consult (C‑54/96, EU:C:1997:413, Rn. 23). Vgl. aus jüngerer Zeit z. B. Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 14 ) Vgl. in diesem Sinne jüngst Urteil vom 2. März 2021, A.B. u. a. (Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Klagen) (C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 15 ) Vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/09 (Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems) (EU:C:2011:123, Rn. 66).

( 16 ) Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Pula Parking (C‑551/15, EU:C:2016:825, Nrn. 85 und 86) und Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in den verbundenen Rechtssachen Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:265, Nr. 53).

( 17 ) Nicht von ungefähr wird bereits in Rechtssachen wie etwa dem Urteil vom 30. Juni 1966, Vaassen-Göbbels (61/65, EU:C:1966:39, Slg. 1966, S. 273) durchgängig von „body“ (französisch „organisme“; deutsch „Einrichtung“) als der betreffenden Einrichtung gesprochen.

( 18 ) So z. B. bereits Urteil vom 11. Juni 1987, X (14/86, EU:C:1987:275, Rn. 6 und 7), das ein Vorabentscheidungsersuchen eines italienischen Pretore als Einzelrichter betraf, der in diesem Verfahrensabschnitt im Wesentlichen als Ermittlungsrichter tätig war.

( 19 ) Einen allgemeinen Überblick geben z. B. Broberg, M., und Fenger, N., Preliminary References to the European Court of Justice, 2. Aufl., Oxford University Press, Oxford, 2014, S. 61 und 62.

( 20 ) Urteil vom 23. März 1982 (102/81, EU:C:1982:107, Rn. 7 bis 16).

( 21 ) Vgl. u. a. Urteile vom 12. Juni 2014, Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta (C‑377/13, EU:C:2014:1754, Rn. 24), vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 20), und vom 6. Oktober 2015, Consorci Sanitari del Maresme (C‑203/14, EU:C:2015:664, Rn. 18).

( 22 ) Vgl. insbesondere Urteile vom 9. Oktober 2014, TDC (C‑222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 27 bis 38), und vom 21. Januar 2020, Banco de Santander (C‑274/14, EU:C:2020:17, insbesondere Rn. 55).

( 23 ) Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache De Coster (C‑17/00, EU:C:2001:366, Nr. 14).

( 24 ) Vgl. insbesondere Urteil vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 15 bis 30), und Beschluss vom 23. Oktober 2018, Conseil départemental de l’ordre des chirurgiens-dentistes de la Haute-Garonne (C‑296/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:857, Rn. 6). Allgemeiner zu dieser Frage und mit weiteren Hinweisen siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache Ministerstwo Sprawiedliwości (C‑55/20, EU:C:2021:500, Nrn. 31 bis 62).

( 25 ) Vgl. u. a. Deutsch („gesetzliche Grundlage der Einrichtung“), Spanisch („origen legal“), Französisch („origine légale“), Italienisch („origine legale“), Portugiesisch („origem legal“).

( 26 ) Wie der Gerichtshof kürzlich in einem Fall, der, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, eine ähnliche Auslegungsfrage aufwarf, im Urteil vom 15. März 2017, Al Chodor (C‑528/15, EU:C:2017:213, Rn. 31), festgestellt hat.

( 27 ) Urteil des EGMR vom 1. Dezember 2020, Guðmundur Andri Ástráðsson/Island (CE:ECHR:2020:1201JUD002637418, §§ 229 bis 234), jüngst bestätigt im Urteil des EGMR vom 7. Mai 2021, Xero Flor w Polsce sp. z o.o./Polen (CE:ECHR:2021:0507JUD000490718, §§ 243 bis 247).

( 28 ) In jüngster Zeit vgl. z. B. Schlussanträge des Generalanwalts Tanchev in der Rechtssache W. Ż. (Rechtssache C‑487/19, EU:C:2021:289, Nrn. 70 bis 80).

( 29 ) Nrn. 36 bis 42 der vorliegenden Schlussanträge.

( 30 ) Vgl. in jüngerer Zeit Urteil vom 20. April 2021, Repubblika (C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). Hervorhebung nur hier.

( 31 ) Urteil vom 4. Februar 1999, Köllensperger und Atzwanger (C‑103/97, EU:C:1999:52, Rn. 24). Diese Rechtsprechung spiegelt den Ansatz des EGMR zu dieser Frage wider, vgl. dessen Urteil vom 6. November 2018, Ramos Nunes de Carvalho e Sá/Portugal (CE:ECHR:2018:1106JUD005539113, § 186).

( 32 ) Vgl. u. a. Urteil vom 24. Mai 2016, MT Højgaard und Züblin (C‑396/14, EU:C:2016:347, Rn. 22 bis 32).

( 33 ) Urteil vom 19. September 2006, Wilson (C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 49).

( 34 ) Damit sind die mit Verwaltungsbeschwerden befassten Stellen von der Anrufung des Gerichtshofs gemäß Art. 267 AEUV ausgeschlossen, vgl. z. B. Urteile vom 30. März 1993, Corbiau (C‑24/92, EU:C:1993:118, Rn. 15 bis 17), oder vom 30. Mai 2002, Schmid (C‑516/99, EU:C:2002:313, Rn. 34 bis 38).

( 35 ) Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana (Status der italienischen Friedensrichter) (C‑658/18, EU:C:2020:572, insbesondere Rn. 43 und 55). Diese Rechtssache ist von früheren Rechtssachen zu unterscheiden, die im Wesentlichen dieselbe Frage betrafen, in denen der Gerichtshof die Vorlage als unzulässig zurückgewiesen hat, dies allerdings nur, weil das vorlegende Gericht nach nationalem Recht offensichtlich unzuständig war. Obwohl einige Beteiligten die Frage der Unparteilichkeit aufgeworfen hatten, ist der Gerichtshof in seinen Beschlüssen nicht auf einen solchen Einwand eingegangen, vgl. Beschlüsse vom 6. September 2018, Di Girolamo (C‑472/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:684), und vom 17. Dezember 2019, Di Girolamo (C‑618/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1090).

( 36 ) Allgemein zu dieser Frage und mit Hinweisen auf die einschlägige Rechtsprechung vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Hochtief Solutions Magyarországi Fióktelepe (C‑620/17, EU:C:2019:340, Nrn. 59 bis 62).

( 37 ) Vgl. im Einzelnen zu ähnlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Urteil vom 9. Juli 2020, Land Hessen (C‑272/19, EU:C:2020:535), ergeben, meine Schlussanträge in der Rechtssache WB u. a., Nrn. 115 bis 120.

( 38 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache WB u. a., Nr. 154.

( 39 ) Der Vollständigkeit halber, aber meines Erachtens ohne jeden Einfluss auf die Entscheidung der vorliegenden Rechtssache, sei hinzugefügt, dass nach der mündlichen Verhandlung in der vorliegenden Rechtssache das Vorliegen von Verfahrensfehlern in dem betreffenden Ernennungsverfahren durch Urteile des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) vom 6. Mai 2021, II GOK 2/18, II GOK 3/18, II GOK 5/18, II GO 6/18 und II GOK 7/18 festgestellt wurde. Wegen dieser Verfahrensfehler erklärt dieses Gericht die angefochtenen Beschlüsse des Landesjustizrats für nichtig, ohne jedoch die Gültigkeit der Entscheidungen des Präsidenten der Republik über die Ernennung der betreffenden Richter in irgendeiner Weise anzutasten.

( 40 ) Zu den Problemen, die sich in Bezug auf Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta aus dieser „unheiligen Allianz“ der Rollen ergeben, vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache WB u. a., insbesondere Nrn. 178 bis 192.

( 41 ) In diesem Sinne Urteil vom 28. März 2017, Rosneft (C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 194 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 42 ) Vgl. Urteil vom 24. November 2020, Openbaar Ministerie (Urkundenfälschung) (C‑510/19, EU:C:2020:953, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 43 ) Ebd., Rn. 26.

( 44 ) Vgl. u. a. Urteile vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 24), und vom 19. Juni 2018, Gnandi (C‑181/16, EU:C:2018:465, Rn. 31).

( 45 ) Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny (C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 48).

( 46 ) Ebd., Rn. 49 bis 51.

( 47 ) Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 127 und 130 bis 134 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 48 ) Urteil A. K. u. a., Rn. 152 und 153.

( 49 ) Vgl. Urteil des EGMR vom 6. Oktober 2011, Agrokompleks/Ukraine (CE:ECHR:2011:1006JUD002346503, § 136). Vgl. allgemeiner zu dieser Frage Spano, R., „The rule of law as the lodestar of the European Convention on Human Rights: The Strasbourg Court and the independence of the judiciary“, European Law Journal, 2021, S. 9.

( 50 ) Vgl. für eine ausführlichere Erörterung und Kategorisierung der möglichen Szenarien meine Schlussanträge in der Rechtssache Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a. (C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19 und C‑355/19, EU:C:2020:746, Nrn. 240 bis 248).

( 51 ) Nrn. 36 bis 42 der vorliegenden Schlussanträge sowie Nrn. 163 bis 169 meiner Schlussanträge in der Rechtssache WB u. a.

( 52 ) Vgl., mit weiteren Hinweisen, meine Schlussanträge in der Rechtssache E.B. (C‑258/17, EU:C:2018:663, Nrn. 44 bis 48).

( 53 ) Vgl. jedoch Urteil vom 15. Januar 2019, E.B. (C‑258/17, EU:C:2019:17, Rn. 54 und 55).

( 54 ) Es ist zu hoffen, dass die in Nr. 1 der vorliegenden Schlussanträge erwähnte „Lösung“ davon ausgenommen ist.

( 55 ) Der Begriff „Lustration“ – eine Wortneuschöpfung, die sich von dem alten lateinischen Wort „lustratio“ ableitet, das „Reinigung durch Opfer“ bedeutet – wurde weithin für Maßnahmen der Justiz in der Übergangszeit verwendet, die in postkommunistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa ergriffen wurden, um institutionelle und administrative Reformen sowie politische und gesellschaftliche Veränderungen zu erleichtern. Diese Maßnahmen umfassten häufig Überprüfungsprogramme, die darauf abzielten, die Integrität und die Fähigkeiten von Personen (auch Richtern), zu beurteilen, die in einigen Schlüsselbereichen der öffentlichen Verwaltung tätig waren. Vgl. allgemein hierzu Europarat, Parlamentarische Versammlung, „Measures to dismantle the heritage of former communist totalitarian systems: Guidelines to ensure that lustration laws and similar administrative measures comply with the requirements of a State based on the rule of law“, Dok. 7568, 3. Juni 1996, und Horne, C. M., „Transitional justice: Vetting and lustration“, in: Lawther, C., Moffett, L., und Jacobs, D., (Hrsg.), Research Handbook on Transitional Justice, Edward Elgar Publishing, Cheltenham, 2017, S. 424 bis 441.

( 56 ) Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat, Kopenhagen (21. und 22. Juni 1993). Vgl. jetzt Art. 49 EUV.

( 57 ) Meines Wissens gibt es auch kein verbindliches internationales Übereinkommen zu diesem Thema, insbesondere keines, das für die Europäische Union und/oder ihre Mitgliedstaaten verbindlich ist.

( 58 ) Vgl. u. a. Urteil vom 20. April 2021, Repubblika (C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 48).

( 59 ) Urteil des EGMR vom 21. Oktober 2014, Naidin/Rumänien (CE:ECHR:2014:1021JUD003816207, § 51). Vgl. auch United Nations, Rule-Of-Law Tools for Post-Conflict States – Vetting: an operational framework, 2006, S. 3 bis 5, mit dem Vorschlag einer Personalreform, die darauf abzielt, Personen mit schwerwiegenden Integritätsdefiziten aus dem öffentlichen Dienst auszuschließen, um das Vertrauen der Bürger wiederherzustellen und öffentliche Institutionen wieder zu legitimieren.

( 60 ) Urteil des EGMR vom 26. September 1995, Vogt/Deutschland (CE:ECHR:1995:0926JUD001785191, § 59).

( 61 ) Urteile des EGMR vom 24. Juni 2008, Adamsons/Lettland (CE:ECHR:2008:0624JUD000366903, § 116), und vom 3. September 2015, Sõro/Estland (CE:ECHR:2015:0903JUD002258808, §§ 60 und 61). Vgl. auch Europarat, Parlamentarische Versammlung, Entschließung 1096 vom 27. Juni 1996 betreffend Maßnahmen zur Beseitigung des Erbes der früheren kommunistischen totalitären Systeme, S. 12.

( 62 ) Urteile des EGMR vom 14. Februar 2006, Turek/Slowakei (CE:ECHR:2006:0214JUD005798600, § 115), vom 24. Juni 2008, Adamsons/Lettland (CE:ECHR:2008:0624JUD000366903, § 116), und vom 24. April 2007, Matyjek/Polen (CE:ECHR:2007:0424JUD003818403, § 62).

( 63 ) Urteile des EGMR vom 24. Juni 2008, Adamsons/Lettland (CE:ECHR:2008:0624JUD000366903, § 116), und vom 21. Januar 2016, Ivanovski/ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien (CE:ECHR:2016:0121JUD002990811, § 185). Siehe auch die im letztgenannten Urteil in § 108, Buchst. a wiedergegebene Aussage der Venedig-Kommission, wonach „die Einführung von Lustrationsmaßnahmen sehr lange nach dem Beginn des Demokratisierungsprozesses in einem Land die Gefahr birgt, Zweifel an ihren tatsächlichen Zielen zu wecken. Rache darf nicht über den Schutz der Demokratie gestellt werden. Es sind daher schlüssige Gründe erforderlich“.

( 64 ) Wie auch in Art. 52 Abs. 3 der Charta und Art. 6 Abs. 3 EUV vorgeschrieben.

( 65 ) Im Sinne der oben in Fn. 63 angeführten Voraussetzungen gemäß der EGMR-Rechtsprechung unter der Annahme, dass ein solcher Fall überhaupt über die Schwelle des legitimen Ziels und der Rechtsstaatlichkeit kommt, wenn überzeugende Beweggründe für solche Maßnahmen festgestellt werden sollten.

( 66 ) Siehe oben, Nr. 19 der vorliegenden Schlussanträge.

( 67 ) Dies ist in der Tat ein Fallbeispiel für die Berücksichtigung „aller erheblichen Umstände“, wie oben in den Nrn. 98 bis 100 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt.

( 68 ) Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson und HG/Rat und Kommission (C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, vgl. insbesondere Rn. 75 bis 82).

( 69 ) Urteil des EGMR vom 1. Dezember 2020, Guðmundur Andri Ástráðsson/Island (CE:ECHR:2020:1201JUD002637418, §§ 244 bis 252).

( 70 ) Ebd., § 246.

( 71 ) Urteil vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 82 und 85).

( 72 ) Urteil vom 20. April 2021, Repubblika (C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 51).

( 73 ) Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache WB u. a., Nrn. 171 bis 196.

( 74 ) Vgl. Urteil des EGMR vom 7. Mai 2021, Xero Flor w Polsce sp. z o.o./Polen (CE:ECHR:2021:0507JUD000490718), in dem festgestellt wird, dass bestimmte kürzlich erfolgte Ernennungen zum Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht) unter eklatantem Verstoß gegen innerstaatliches Recht erfolgten und dass die rechtswidrige äußere Einflussnahme auf diese Einrichtung durch die Legislative und die Exekutive das Wesen des Rechts auf ein „auf Gesetz beruhendes Gericht“ gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK beeinträchtigt.

( 75 ) In jüngster Zeit, und für das vorliegende Verfahren im Hinblick auf die an diesem Fall interessierten Parteien in gewisser Weise von Bedeutung, vgl. z. B. das Urteil des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgericht) vom 15. April 2021, K 20/20, das zu dem Schluss kam, dass eine Bestimmung des Gesetzes über den Bürgerbeauftragten, die vorsieht, dass der Amtsinhaber auch nach Ablauf seines Mandats im Amt bleibt, bis ein neuer Bürgerbeauftragter ernannt wird, verfassungswidrig sei. Es ist nicht leicht zu verstehen, warum eine solche Bestimmung, die legitimerweise die institutionelle Kontinuität in einer Reihe von Einrichtungen in ganz Europa, einschließlich des Gerichtshofs (siehe Art. 5 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union), gewährleistet, begrifflich verfassungswidrig sein könnte. Ein mögliches intellektuelles Rätsel in dieser Hinsicht könnte sich jedoch schnell auflösen, wenn man den Kontext versteht, insbesondere warum es einen Bedarf für eine solche Entscheidung gab und wer sie für notwendig erachtete.

( 76 ) Siehe oben, Nrn. 13 and 88 der vorliegenden Schlussanträge.

( 77 ) Urteil vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson und HG/Rat und Kommission (C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, insbesondere Rn. 75 bis 82).

( 78 ) Ebd., Rn. 53 bis 58. Hervorhebung nur hier.

( 79 ) Vgl. Urteil vom 16. Juli 2020, Governo della Repubblica italiana (Status italienischer Friedensrichter) (C‑658/18, EU:C:2020:572, insbesondere Rn. 47 und 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 80 ) Ebd., Rn. 48.

( 81 ) Vgl. auch Urteil des EGMR vom 1. Dezember 2020, Guðmundur Andri Ástráðsson/Island (CE:ECHR:2020:1201JUD002637418), gemeinsame teils zustimmende, teils abweichende Meinung der Richter O’Leary, Ravarani, Kucsko-Stadlmayer und Ilievski, insbesondere § 53.

( 82 ) Vgl. allgemein zu dieser Korrelation meine Schlussanträge in der Rechtssache An tAire Talmhaíochta Bia agus Mara u. a. (C‑64/20, EU:C:2021:14, Nrn. 34 bis 63).

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