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Document 62019CC0398

    Schlussanträge des Generalanwalts G. Hogan vom 24. September 2020.
    Verfahren betreffend die Auslieferung von BY.
    Vorabentscheidungsersuchen des Kammergerichts Berlin.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Art. 18 und 21 AEUV – Auslieferung eines Unionsbürgers an einen Drittstaat – Person, die die Unionsbürgerschaft nach Verlegung ihres Lebensmittelpunkts in den ersuchten Mitgliedstaat erworben hat – Anwendungsbereich des Unionsrechts – Nur für Inländer geltendes Auslieferungsverbot – Beschränkung der Freizügigkeit – Rechtfertigung durch die Vermeidung der Straflosigkeit – Verhältnismäßigkeit – Unterrichtung des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörigkeit die gesuchte Person besitzt – Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaats und des Herkunftsmitgliedstaats, den ersuchenden Drittstaat um Übermittlung der Strafakte zu ersuchen – Fehlen.
    Rechtssache C-398/19.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:748

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    GERARD HOGAN

    vom 24. September 2020 ( 1 )

    Rechtssache C‑398/19

    BY,

    Beteiligte:

    Generalstaatsanwaltschaft Berlin

    (Vorabentscheidungsersuchen des Kammergerichts Berlin [Deutschland])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Auslieferung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats an einen Drittstaat – Gesuchte Person erlangte die Unionsbürgerschaft erst nach Verlegung ihres Lebensmittelpunkts in den ersuchten Mitgliedstaat – Auslieferungsschutz für die eigenen Staatsangehörigen – Verpflichtungen des ersuchten Staates und des Herkunftsmitgliedstaats des Unionsbürgers – Ziel, die Gefahr der Straflosigkeit zu verhindern“

    I. Einleitung

    1.

    Durch den Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI) ( 2 ) wurden die im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander geltenden Regeln für die Übergabe verdächtiger Personen erheblich vereinfacht. Wie jedoch im vorliegenden Fall deutlich wird, ergeben sich dennoch Schwierigkeiten, soweit es um Auslieferungsersuchen aus Drittländern geht.

    2.

    Man könnte denken, dass solche Ersuchen aus Drittländern grundsätzlich nicht dem Unionsrecht unterliegen; allerdings beruht das besondere Problem, das sich im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen ergibt, auf dem Umstand, dass die meisten Mitgliedstaaten ( 3 ) die Auslieferung ihrer eigenen Staatsangehörigen an Drittländer verbieten ( 4 ) und, was die Maxime aut dedere, aut iudicare (ausliefern oder verfolgen) angeht, die Strafverfolgung vorziehen ( 5 ). Da diejenigen Mitgliedstaaten, die die Auslieferung ihrer eigenen Staatsangehörigen an Drittländer ablehnen, in ihrer eigenen nationalen Rechtsordnung stets vorsehen, dass sie gemäß einem der allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätze der extraterritorialen Zuständigkeit (nach dem sogenannten „aktiven Täterprinzip“) ( 6 ) für die Verfolgung der von ihren eigenen Staatsangehörigen im Ausland begangenen Straftaten zuständig sind, ist eine solche Beschränkung der Auslieferung in der Praxis weniger problematisch, als es sonst wohl der Fall wäre.

    3.

    An diesem Punkt werden die Schwierigkeiten deutlich, die sich erstmals in dem Sachverhalt zeigten, der der Entscheidung des Gerichtshofs vom 6. September 2016 in der Rechtssache Petruhhin ( 7 ) zugrunde lag. Wie ist die Rechtslage, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats sein Freizügigkeitsrecht ausübt und sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, der die Auslieferung seiner eigenen Staatsangehörigen an Drittstaaten ablehnt und sich auf den Grundsatz aut dedere, aut iudicare beruft? Ergibt sich aus dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) und dem Recht auf Freizügigkeit (Art. 21 AEUV), dass der Aufnahmemitgliedstaat grundsätzlich verpflichtet ist, das für seine eigenen Staatsangehörigen geltende Auslieferungsverbot in gewisser Weise auch auf die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten zu erstrecken, die von ihren Freizügigkeitsrechten Gebrauch gemacht haben?

    4.

    Im Urteil Petruhhin hat der Gerichtshof diese Fragen – wenngleich mit zahlreichen Einschränkungen – bejaht. Dabei hat der Gerichtshof allerdings anerkannt, dass die Rechtslage eines in einem anderen Mitgliedstaat lebenden Unionsbürgers nicht vollständig derjenigen eines Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats angeglichen werden kann, weil nämlich die Zuständigkeit für die Verfolgung von im Ausland von Ausländern begangenen Straftaten in den nationalen Gesetzen der Mitgliedstaaten im Allgemeinen gar nicht, oder nur unter besonderen Voraussetzungen, vorgesehen ist. Der Gerichtshof hat dazu ausgeführt:

    „die Nichtauslieferung der Inländer [wird zwar] im Allgemeinen dadurch ausgeglichen, dass der ersuchte Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, seine eigenen Staatsangehörigen wegen außerhalb seines Hoheitsgebiets begangener schwerer Straftaten zu verfolgen, doch ist er in der Regel nicht dafür zuständig, über solche Sachverhalte zu urteilen, wenn weder der Täter noch das Opfer der mutmaßlichen Straftat die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt“ ( 8 ).

    Dies ist das Dilemma, das der Petruhhin-Rechtsprechung zugrunde liegt.

    5.

    Diesem Dilemma begegnen wir auch im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen. Mit seinem Vorlagebeschluss ersucht das Kammergericht Berlin (Deutschland) um Klarstellung der Verpflichtungen, die sich nach dem AEUV für einen Mitgliedstaat, dessen Recht es verbietet, seine eigenen Staatsangehörigen zur Strafverfolgung an Drittländer auszuliefern, in Bezug auf Auslieferungsersuchen ergeben, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten betreffen, die sich gerade in seinem Hoheitsgebiet aufhalten oder dort ihren Wohnsitz haben.

    6.

    Der Gerichtshof wird somit erneut ersucht, die Verpflichtungen klarzustellen, die sich nach den im Urteil Petruhhin ( 9 ) aufgestellten Grundsätzen für die Mitgliedstaaten ergeben. Die Neuartigkeit der im Urteil Petruhhin vorgeschlagenen Lösung zeigt sich vielleicht auch darin, dass die Entscheidung in den Mitgliedstaaten keinen einhelligen Anklang gefunden hat. Einige haben auf die rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten hingewiesen, die deren Anwendung den Mitgliedstaaten bereitet. Bevor wir jedoch näher auf diese Probleme eingehen, ist es zunächst notwendig, die einschlägigen Bestimmungen anzugeben und den Sachverhalt des vorliegenden Falles zusammenzufassen.

    II. Rechtlicher Rahmen

    A.   Europäisches Auslieferungsübereinkommen von 1957 ( 10 )

    7.

    Art. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 bestimmt:

    „Die Vertragsparteien verpflichten sich, gemäß den nachstehenden Vorschriften und Bedingungen einander die Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung und Besserung gesucht werden.“

    8.

    Art. 6 des Europäischen Auslieferungsabkommens von 1957 lautet:

    „1   

    a

    Jede Vertragspartei ist berechtigt, die Auslieferung ihrer Staatsangehörigen abzulehnen.

    b

    Jede Vertragspartei kann, was sie betrifft, bei der Unterzeichnung oder der Hinterlegung ihrer Ratifikations- oder Beitrittsurkunde durch eine Erklärung den Begriff ‚Staatsangehörige‘ im Sinne dieses Übereinkommens bestimmen.

    c

    Für die Beurteilung der Eigenschaft als Staatsangehöriger ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Auslieferung maßgebend. Wird diese Eigenschaft jedoch erst zwischen der Entscheidung und dem für die Übergabe in Aussicht genommenen Zeitpunkt festgestellt, so kann der ersuchte Staat sich ebenfalls auf die Bestimmung des Buchstaben a dieses Absatzes berufen.

    2   Liefert der ersuchte Staat seinen Staatsangehörigen nicht aus, so hat er auf Begehren des ersuchenden Staates die Angelegenheit den zuständigen Behörden zu unterbreiten, damit gegebenenfalls eine gerichtliche Verfolgung durchgeführt werden kann. Zu diesem Zweck sind die auf die strafbare Handlung bezüglichen Akten, Unterlagen und Gegenstände kostenlos auf dem in Artikel 12 Absatz 1 vorgesehenen Wege zu übermitteln. Dem ersuchenden Staat ist mitzuteilen, inwieweit seinem Begehren Folge gegeben worden ist.“

    9.

    Art. 12 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 (der durch das Zweite Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen von 1957 ( 11 ) eingefügt wurde) bestimmt jetzt:

    „1   Das Ersuchen wird schriftlich abgefasst und vom Justizministerium der ersuchenden Vertragspartei an das Justizministerium der ersuchten Vertragspartei gerichtet; der diplomatische Weg ist jedoch nicht ausgeschlossen. Ein anderer Weg kann unmittelbar zwischen zwei oder mehreren Vertragsparteien vereinbart werden[ ( 12 )].

    2   Dem Ersuchen sind beizufügen:

    a

    die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift eines vollstreckbaren verurteilenden Erkenntnisses, eines Haftbefehls oder jeder anderen, nach den Formvorschriften des ersuchenden Staates ausgestellten Urkunde mit gleicher Rechtswirkung;

    b

    eine Darstellung der Handlungen, derentwegen um Auslieferung ersucht wird. Zeit und Ort ihrer Begehung sowie ihre rechtliche Würdigung unter Bezugnahme auf die anwendbaren Gesetzesbestimmungen sind so genau wie möglich anzugeben;

    c

    eine Abschrift der anwendbaren Gesetzesbestimmungen oder, sofern dies nicht möglich ist, eine Erklärung über das anwendbare Recht sowie eine möglichst genaue Beschreibung des Verfolgten und alle anderen zur Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit geeigneten Angaben.“

    10.

    Art. 17 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 trägt die Überschrift „Mehrheit von Auslieferungsersuchen“ und bestimmt:

    „Wird wegen derselben oder wegen verschiedener Handlungen von mehreren Staaten zugleich um Auslieferung ersucht, so entscheidet der ersuchte Staat unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der verhältnismäßigen Schwere der strafbaren Handlungen, des Ortes ihrer Begehung, des Zeitpunkts der Auslieferungsersuchen, der Staatsangehörigkeit des Verfolgten und der Möglichkeit einer späteren Auslieferung an einen anderen Staat.“

    11.

    Die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde am 2. Oktober 1976 in Bezug auf Art. 6 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 erklärt:

    „Die Auslieferung eines Deutschen aus der Bundesrepublik Deutschland an das Ausland ist nach Artikel 16 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland nicht zulässig und muss daher in jedem Fall abgelehnt werden. Der Begriff ‚Staatsangehörige‘ im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 Buchstabe b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens umfasst alle Deutschen im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland.“

    Nach Inkrafttreten ihres nationalen Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2002/584 und einer dazu ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Deutschland) wurde die Erklärung von der Bundesrepublik Deutschland dahin ergänzt, dass im Verhältnis zwischen Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Rahmenbeschluss 2002/584 Vorrang genießt ( 13 ).

    B.   Unionsrecht

    12.

    Art. 8 des Rahmenbeschlusses 2002/584, der Inhalt und Form des Europäischen Haftbefehls betrifft, bestimmt:

    „(1)   Der Europäische Haftbefehl enthält entsprechend dem im Anhang beigefügten Formblatt folgende Informationen:

    a)

    die Identität und die Staatsangehörigkeit der gesuchten Person;

    b)

    Name, Adresse, Telefon- und Telefaxnummer sowie E‑Mail-Adresse der ausstellenden Justizbehörde;

    c)

    die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung nach den Artikeln 1 und 2 vorliegt;

    d)

    die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, insbesondere in Bezug auf Artikel 2;

    e)

    die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Art der Tatbeteiligung der gesuchten Person;

    f)

    im Fall eines rechtskräftigen Urteils die verhängte Strafe oder der für die betreffende Straftat im Ausstellungsmitgliedstaat gesetzlich vorgeschriebene Strafrahmen;

    g)

    soweit möglich, die anderen Folgen der Straftat.

    …“

    13.

    Art. 16 („Entscheidung bei Mehrfachersuchen“) des Rahmenbeschlusses 2002/584 bestimmt in den Absätzen 1 und 3:

    „(1)   Haben zwei oder mehr Mitgliedstaaten einen Europäischen Haftbefehl gegen dieselbe Person erlassen, so entscheidet die vollstreckende Justizbehörde unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände, welcher dieser Europäischen Haftbefehle vollstreckt wird; zu diesen Umständen gehören insbesondere die Schwere und der Ort der Straftat, der Zeitpunkt, zu dem die Europäischen Haftbefehle erlassen wurden, sowie die Tatsache, dass der Haftbefehl zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt wurde.

    (3)   Bei Zusammentreffen eines Europäischen Haftbefehls mit einem Auslieferungsersuchen eines Drittstaats entscheidet die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der in Absatz 1 genannten Umstände sowie der in dem anwendbaren Übereinkommen oder Abkommen beschriebenen Umstände, ob der Europäische Haftbefehl oder das Auslieferungsersuchen Vorrang hat.

    …“

    C.   Deutsches Recht

    14.

    Im deutschen Recht bestimmt Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 ( 14 ):

    „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.“

    15.

    § 7 des Strafgesetzbuchs ( 15 ) bestimmt:

    „(1) Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, …

    (2) Für andere Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter

    1.

    zur Zeit der Tat Deutscher war … oder

    2.

    zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach Art der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist.“

    III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorabentscheidungsersuchen

    16.

    Die gesuchte Person in diesem Verfahren ist BY, ein ukrainischer Staatsangehöriger. 2012 begab er sich aus der Ukraine nach Deutschland (im Folgenden: Aufnahmemitgliedstaat oder ersuchter Staat). Im Jahr 2014 erhielt er, weil er ein Nachfahre ehemals rumänischer Staatsangehöriger aus der ehemals rumänischen Bukowina ist, die rumänische Staatsangehörigkeit. Seinen Lebensmittelpunkt hatte er allerdings zu keinem Zeitpunkt in Rumänien (im Folgenden: Herkunftsmitgliedstaat).

    17.

    Am 26. Februar 2016 erließ das Bezirksgericht Zastavna (Ukraine) einen Haftbefehl gegen BY. Ihm wird vorgeworfen, in den Jahren 2010 und 2011 bei einem ukrainischen Staatsbetrieb Gelder veruntreut zu haben. Am 15. März 2016 erließ die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine (im Folgenden: „Drittstaat“ oder „ersuchender Staat“) ein formelles Auslieferungsersuchen, das der Bundesrepublik Deutschland auf justizministeriellem Weg gemäß Art. 5 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen von 1957 übermittelt wurde. Bei alledem darf nicht übersehen werden, dass für BY natürlich die Unschuldsvermutung gilt. Dies ist die Grundlage, auf der diese Schlussanträge beruhen.

    18.

    Auf das Auslieferungsersuchen hin wurde BY am 26. Juli 2016 gemäß § 19 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vorläufig festgenommen ( 16 ). Am 28. November 2016 ordnete das Kammergericht Berlin gegen Zahlung einer Sicherheitsleistung und unter bestimmten Auflagen die Aussetzung des weiteren Vollzugs der gegen BY verhängten Auslieferungshaft an. Nach Hinterlegung der Sicherheit am 2. Dezember 2016 wurde BY am selben Tag aus der Auslieferungshaft entlassen.

    19.

    Im Hinblick auf die rumänische Staatsangehörigkeit von BY und unter Bezugnahme auf das Urteil Petruhhin unterrichtete die Generalstaatsanwaltschaft Berlin das Justizministerium von Rumänien mit Schreiben vom 9. November 2016 unter Beifügung einer Ausfertigung des Beschlusses des vorlegenden Gerichts vom 1. August 2016, mit dem gegen BY Auslieferungshaft angeordnet worden war, über das Auslieferungsersuchen. Mit dem Schreiben wurde bei den rumänischen Behörden angefragt, ob dort die Absicht bestehe, die Strafverfolgung gegen BY zu übernehmen.

    20.

    Die Übernahme wurde zunächst abgelehnt, weil das Justizministerium von Rumänien dafür ein Ersuchen der ukrainischen Strafverfolgungsbehörden für erforderlich hielt. Daraufhin fragte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin an, ob die BY zur Last gelegten Taten nach rumänischem Strafrecht auch unabhängig von einem Verfolgungsübernahmeersuchen der ukrainischen Justizbehörden (im Sinne von Art. 6 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957) verfolgt werden könnten. In seiner Antwort teilte das Justizministerium von Rumänien der Generalstaatsanwaltschaft mit, dass Voraussetzung für einen Europäischen Haftbefehl der Erlass eines nationalen Haftbefehls sei, der wiederum eine hinreichende Beweislage für die Täterschaft des Verfolgten erfordere. Es ersuchte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin, Unterlagen und Kopien der Beweismittel aus der Ukraine beizubringen.

    21.

    Das vorlegende Gericht versteht diesen Schriftwechsel dahin, dass das rumänische Recht die Verfolgung eines rumänischen Staatsangehörigen wegen in einem Drittstaat begangener Taten grundsätzlich ermöglicht.

    22.

    Das vorlegende Gericht erachtet die von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin beantragte Auslieferung von BY an die Ukraine für nach deutschem Recht grundsätzlich zulässig. Allerdings sieht es sich durch das Urteil Petruhhin daran gehindert, da eine (sei es positive oder negative) Entscheidung der rumänischen Justizbehörden über die Verfolgung von BY wegen der ihm im Auslieferungsersuchen zur Last gelegten Straftaten noch ausstehe. Das vorlegende Gericht weist allerdings darauf hin, dass erstens der Sachverhalt in dieser Rechtssache insofern von dem in der Rechtssache Petruhhin abweiche, als BY zu dem Zeitpunkt, als er seinen Lebensmittelpunkt aus der Ukraine in die Bundesrepublik Deutschland verlegt habe, noch nicht die rumänische Staatsangehörigkeit besessen habe. Seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland habe der Verfolgte daher nicht in Ausübung des Freizügigkeitsrechts aus Art. 21 Abs. 1 AEUV begründet.

    23.

    Zweitens, so das vorlegende Gericht, stoße die Anwendung der im Urteil Petruhhin aufgestellten Grundsätze auf praktische Schwierigkeiten. Die rumänischen Strafverfolgungsbehörden hätten Deutschland ersucht, die für die Prüfung des Tatverdachts gegen BY benötigten Beweise beizubringen. Auf Grundlage dieser Beweise wäre es ihnen möglich, über den Erlass eines nationalen Haftbefehls zu entscheiden, auf dessen Grundlage sodann ein Europäischer Haftbefehl erlassen werden könnte. Diese Beweise lägen den deutschen Behörden jedoch nicht vor. Dies ist nicht erstaunlich, da die Ukraine ihr Auslieferungsersuchen auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 gestützt hat. Nach Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens ist es nicht erforderlich, dass der ersuchende Staat derartige Unterlagen übermittelt, und dementsprechend hat die Ukraine solche auch nicht übermittelt.

    24.

    Vor diesem Hintergrund stelle sich, so das vorlegende Gericht, die Frage, ob der Herkunftsmitgliedstaat selbst verpflichtet sei, vom ersuchenden Staat die Akten anzufordern, anhand deren es ihm möglich wäre, über die Übernahme der Strafverfolgung zu entscheiden. Des Weiteren sei, selbst wenn den deutschen Behörden vom ersuchenden Staat übermittelte Unterlagen vorlägen, nicht klar, ob diese ohne Weiteres vom ersuchten Staat an den Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers, um dessen Auslieferung ersucht worden sei, übermittelt werden dürften oder ob dies nicht der Zustimmung des ersuchenden Staates bedürfe.

    25.

    Wenn jedoch die dem Auslieferungsersuchen beigefügten einfachen Angaben nicht ausreichten, dem Herkunftsmitgliedstaat die Prüfung der Verfolgungsübernahme zu ermöglichen, und der Herkunftsmitgliedstaat die Akten vom ersuchenden Staat anfordern müsste, so würde sich das Verfahren dadurch sowohl wegen des einzuhaltenden diplomatischen Wegs als auch wegen des Erfordernisses der Übersetzung erheblich verzögern. Besonders problematisch sei dies, wenn sich der Verfolgte in Auslieferungshaft befinde.

    26.

    Aus praktischen Gründen, so das vorlegende Gericht, sei es auch nicht möglich, dass der ersuchte Staat die Akte vom ersuchenden Staat anfordere, da der ersuchte Staat nicht in der Lage sei, zu beurteilen, ob die Strafverfolgung im Herkunftsmitgliedstaat nach dessen nationalem Recht möglich wäre. Die gleichen Probleme – mangelnde Kenntnis des Aufnahmemitgliedstaats vom Recht des Herkunftsmitgliedstaats sowie die damit unweigerlich verbundenen Verzögerungen – ergäben sich, wenn der ersuchte Mitgliedstaat den ersuchenden Staat auffordern würde, ein Verfolgungsübernahmeersuchen an den Herkunftsmitgliedstaat zu richten.

    27.

    Drittens stelle sich im Hinblick auf die in § 7 Abs. 2 des deutschen Strafgesetzbuchs vorgesehene (Auffang‑)Zuständigkeit für die Verfolgung von, auch von Ausländern begangenen, Auslandstaten die Frage, ob das vorlegende Gericht, um dem in Art. 18 AEUV verankerten Diskriminierungsverbot Genüge zu tun, verpflichtet ist, die Auslieferung für unzulässig zu erklären. Gegebenenfalls müssten dann die deutschen Strafverfolgungsbehörden die Verfolgung übernehmen.

    28.

    Das vorlegende Gericht sieht bei einer solchen Vorgehensweise allerdings eine erhebliche Gefährdung einer wirksamen Verfolgung derartiger Straftaten. Die Auslieferung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats wäre danach nämlich von vornherein unzulässig, weil die deutschen Behörden die Möglichkeit hätten, die Strafverfolgung zu übernehmen. Somit wäre nach deutschem Recht der Erlass eines Haftbefehls, sei es zu Auslieferungszwecken ( 17 ) oder zur Strafverfolgung in Deutschland ( 18 ), unmöglich. Die dadurch verursachte Verzögerung könne vom Beschuldigten dazu genutzt werden, sich (erneut) der Strafverfolgung zu entziehen.

    29.

    Vor diesem Hintergrund hat das vorlegende Gericht das Verfahren am 23. Mai 2019 ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.

    Gelten die Grundsätze aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Petruhhin (C‑182/15) zur Anwendung der Art. 18 und 21 AEUV im Falle des Ersuchens eines Drittstaats auf Auslieferung eines Unionsbürgers auch dann, wenn der Verfolgte seinen Lebensmittelpunkt in den ersuchten Mitgliedstaat zu einem Zeitpunkt verlegt hat, in dem er noch nicht Unionsbürger war?

    2.

    Ist auf der Grundlage des Urteils Petruhhin (C‑182/15) der über ein Auslieferungsersuchen unterrichtete Heimatmitgliedstaat verpflichtet, den ersuchenden Drittstaat um Übermittlung der Akten zur Prüfung der Verfolgungsübernahme zu ersuchen?

    3.

    Ist der von einem Drittstaat um die Auslieferung eines Unionsbürgers ersuchte Mitgliedstaat auf der Grundlage des Urteils Petruhhin (C‑182/15) verpflichtet, die Auslieferung abzulehnen und die Strafverfolgung selbst zu übernehmen, wenn ihm dies nach seinem nationalen Recht möglich ist?

    30.

    BY, die deutsche Regierung, Irland, die Regierungen Griechenlands, Lettlands, Ungarns, Österreichs, Polens und Rumäniens sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der mündlichen Verhandlung, die am 16. Juni 2020 während der Covid‑19-Pandemie stattgefunden hat, haben die Vertreter von BY, der deutschen Regierung und der Kommission mündliche Ausführungen gemacht. Aufgrund der vom Gerichtshof erteilten Erlaubnis war es Irland gestattet, per Videokonferenz teilzunehmen; die schriftlichen Ausführungen der lettischen Regierung und der polnischen Regierung wurden in Gegenwart der Richter und der Vertreter der anwesenden Beteiligten verlesen.

    IV. Rechtliche Würdigung

    A.   Begründung des Gerichtshofs im Urteil Petruhhin

    31.

    Die Fragen des vorlegenden Gerichts betreffen die Anwendung der Grundsätze, die vom Gerichtshof im Urteil Petruhhin aufgestellt und in späteren Entscheidungen wie den Urteilen Pisciotti ( 19 ) und Raugevicius ( 20 ) bestätigt wurden, auf den vorliegenden Sachverhalt; es ist deshalb erforderlich, sowohl den Sachverhalt als auch die Urteilsbegründung in der Rechtssache Petruhhin zu betrachten.

    32.

    In der Rechtssache Petruhhin war der Antragsteller ein estnischer Staatsbürger, der sich nach Lettland begeben hatte. Bei den lettischen Behörden ging dann ein Auslieferungsersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation ein, in dem Herrn Petruhhin bandenmäßiger Handel mit einer großen Menge von Betäubungsmitteln zur Last gelegt wurde. Nach lettischem Recht war die Auslieferung lettischer Staatsangehöriger verboten, und Herr Petruhhin berief sich im Wesentlichen darauf, dass die Nichtanwendung des Auslieferungsverbots auf ihn – einen sich in Ausübung seiner Freizügigkeitsrechte in Lettland aufhaltenden Unionsbürger – gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV verstoße.

    33.

    In seinen am 10. Mai 2016 verlesenen Schlussanträgen stellte Generalanwalt Bot fest, dass in der Tat lettische Staatsangehörige einen Auslieferungsschutz genössen, der Personen ohne lettische Staatsangehörigkeit nicht gewährt werde ( 21 ). Insoweit ergebe sich eine unterschiedliche Behandlung der Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten. Diese unterschiedliche Behandlung sei jedoch objektiv gerechtfertigt, da Lettland zwar eine extraterritoriale Zuständigkeit für die von seinen eigenen Staatsangehörigen im Ausland begangenen Straftaten habe, das lettische Recht jedoch für Ausländer wie Herrn Petruhhin (der keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitze ( 22 )) keine solche allgemeine Zuständigkeit vorsehe ( 23 ). Nachdem Generalanwalt Bot zu dem Schluss gelangt war, dass Herr Petruhhin „in Lettland wegen einer Straftat, die er in Russland begangen haben soll, nicht strafrechtlich verfolgt werden kann“, führte er aus:

    „Im Hinblick auf die Zielsetzung, eine Straflosigkeit von Personen zu verhindern, die verdächtigt werden, in einem Drittstaat eine Straftat begangen zu haben, befindet sich dieser Staatsangehörige folglich nicht in einer vergleichbaren Situation wie lettische Staatsangehörige.

    Die Ungleichbehandlung von Unionsbürgern, die nicht die lettische Staatsangehörigkeit besitzen, und lettischen Staatsangehörigen stellt daher keine nach Art. 18 Abs. 1 AEUV verbotene Diskriminierung dar, da sie durch die Zielsetzung gerechtfertigt ist, die Straflosigkeit von Personen zu bekämpfen, die verdächtigt werden, in einem Drittstaat eine Straftat begangen zu haben“ ( 24 ).

    34.

    In diesem Punkt ist der Gerichtshof allerdings nicht den Schlussanträgen des Generalanwalts Bot gefolgt; darauf werde ich zu gegebener Zeit zurückkommen. Der Gerichtshof hat vielmehr entschieden, dass im Falle nationaler Vorschriften, die dem Mitgliedstaat die Auslieferung der eigenen Staatsangehörigen verbieten, der in Art. 18 AEUV verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung es gebietet, das Auslieferungsverbot auch auf Ausländer auszudehnen. Andernfalls käme es zu einer Beschränkung der Freizügigkeit im Sinne von Art. 21 AEUV ( 25 ).

    35.

    Der Gerichtshof hat des Weiteren ausgeführt, dass sich eine solche Beschränkung nur rechtfertigen lässt, wenn sie auf objektiven Erwägungen beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck steht. Staaten, die ihre eigenen Staatsangehörigen nicht ausliefern, haben, so der Gerichtshof, in der Regel die Möglichkeit, die Strafverfolgung dieser Staatsangehörigen zu übernehmen; was Staatsangehörige von Drittstaaten angeht, ist das jedoch im Allgemeinen nicht der Fall. Das gibt Grund zur Sorge, dass Straftaten ungeahndet bleiben könnten. Das Ziel, dieser Gefahr entgegenzuwirken, ist im Unionsrecht als legitim einzustufen ( 26 ).

    36.

    Angesichts dieser Schwierigkeiten hat der Gerichtshof dann eine Vorgehensweise vorgeschlagen, die seiner Meinung nach die Verhältnismäßigkeitsanforderungen erfüllt. Als Grundlage dient der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Mangels Unionsrechtsvorschriften über die Auslieferung sind die Mitgliedstaaten nach diesem Grundsatz verpflichtet, alle Mechanismen der Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe, die es im Bereich des Strafrechts nach dem Unionsrecht gibt, zu nutzen ( 27 ). Der Gerichtshof hat dazu ausgeführt, dass:

    „… die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass ein Mitgliedstaat, in den sich ein Unionsbürger, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, begeben hat, im Fall eines Auslieferungsantrags eines Drittstaats, mit dem der erstgenannte Mitgliedstaat ein Auslieferungsabkommen geschlossen hat, verpflichtet ist, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, zu informieren und ihm gegebenenfalls auf sein Ersuchen den Unionsbürger im Einklang mit den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/584 zu übergeben, sofern dieser Mitgliedstaat nach seinem nationalen Recht für die Verfolgung dieser Person wegen im Ausland begangener Straftaten zuständig ist“ ( 28 ).

    B.   Europäisches Auslieferungsübereinkommen von 1957

    37.

    Auf die Entscheidung in der Rechtssache Petruhhin und deren Bedeutung für den vorliegenden Fall werde ich in Kürze zurückkommen. An diesem Punkt ist es jedoch erforderlich, näher auf das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 einzugehen. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, gibt es, was Auslieferungen angeht, kein internationales Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine. Die Auslieferungsvorschriften fallen damit grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. In der vorliegenden Rechtssache geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass der internationale Vertrag, auf den die Ukraine das Auslieferungsersuchen stützt, das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 ist. Das Übereinkommen ist ein Vertrag des Europarats, zu dessen Vertragsparteien Deutschland und die Ukraine wie auch Rumänien zählen. Bevor ich mit der Prüfung fortfahre, schlage ich vor, zunächst zu untersuchen, welche Auswirkungen die Anwendung der im Urteil Petruhhin ( 29 ) aufgestellten Grundsätze auf die Anwendung des Übereinkommens hätten.

    38.

    Nach Art. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 besteht die Verpflichtung, Personen, die wegen einer auslieferungsfähigen strafbaren Handlung verfolgt werden, auszuliefern. Es steht außer Zweifel, dass die strafbare Handlung, die BY zur Last gelegt wird, die in Art. 2 dieses Übereinkommens genannten Voraussetzungen für eine „auslieferungsfähige strafbare Handlung“ erfüllt. Das genannte Übereinkommen sieht mehrere Ausnahmen vor, bei deren Vorliegen die Auslieferung abgelehnt werden kann oder muss (etwa für politische strafbare Handlungen nach Art. 3 des Übereinkommens oder bei Begehung der Straftat im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates gemäß Art. 7 des Übereinkommens); diese Ausnahmen sind hier offensichtlich nicht relevant. Nach Art. 6 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 ist jede Vertragspartei berechtigt, die Auslieferung ihrer Staatsangehörigen abzulehnen. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil BY die rumänische und die ukrainische, nicht jedoch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

    39.

    Somit stellt sich die Frage, ob – und wenn ja, wie – ein ersuchter Staat seine Verpflichtungen aus den Art. 18 und 21 Abs. 1 AEUV (wozu gehört, die gesuchte Person gemäß den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/584 an den Herkunftsmitgliedstaat zu übergeben ( 30 )) und gleichzeitig seine sich aus dem Übereinkommen ergebenden Verpflichtungen erfüllen kann, falls der Herkunftsmitgliedstaat einen Europäischen Haftbefehl erlässt.

    40.

    Aus genau diesem Grunde hat Deutschland auf Art. 17 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957, der den Fall mehrerer gleichzeitiger Auslieferungsersuchen regelt, und Art. 16 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584, der den Fall des Zusammentreffens eines Europäischen Haftbefehls und eines Auslieferungsersuchens eines Drittstaats regelt, Bezug genommen. In beiden Bestimmungen geht es um miteinander in Konflikt stehende Ersuchen, wobei jedoch keine der beiden dem Ersuchen des Herkunftsmitgliedstaats einen klaren Vorrang einräumt. Allerdings ist das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 ein internationales Übereinkommen, bei dem die Union nicht Vertragspartei ist, so dass dessen Auslegung – im Gegensatz zur Auslegung des Rahmenbeschlusses 2002/584 – nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtshofs fällt. Dennoch ist es nützlich, die Bestimmungen des Übereinkommens zu betrachten, da diese den Hintergrund zu dem von der Ukraine gestellten Auslieferungsersuchen bilden.

    41.

    Die in einer Verbalnote der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland beim Europarat vom 8. November 2010, die am 9. November 2010 beim Generalsekretariat des Vertragsbüros des Europarats registriert wurde, enthaltene Erklärung bezüglich des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 betrifft nur das Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten; im Verhältnis zwischen Deutschland und der Ukraine bleibt daher Art. 17 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 anwendbar. Eine vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung von Art. 16 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 würde daher das Problem bezüglich Art. 17 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 nicht lösen. Ich schlage vor, auf diesen Punkt später zurückzukommen.

    C.   Einige Vorbemerkungen: War das Urteil Petruhhin richtig?

    42.

    Bevor ich auf die drei Vorlagefragen eingehe, halte ich es für erforderlich, mich zunächst mit der Frage auseinanderzusetzen, ob das Urteil Petruhhin richtig war – auch wenn, wie in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde, zurzeit nur Irland den Gerichtshof ersucht, von der Entscheidung abzuweichen. Ich denke jedenfalls, dass Generalanwalt Bot mit seiner Auffassung zur Frage des Art. 18 AEUV völlig richtig lag. Er führte aus, dass der Grundsatz der Nichtauslieferung eigener Staatsangehöriger in engem Zusammenhang stehe mit der Souveränität der Staaten über ihre Staatsangehörigen und der daraus entstehenden Pflicht des Staates, „seine Staatsangehörigen vor der Anwendung einer ausländischen Strafrechtsordnung, deren Verfahren und Sprache sie nicht kennen und in deren Rahmen sie sich nur schwer verteidigen können, zu schützen“ ( 31 ).

    43.

    Es mag sein, dass sich im Grundsatz der Nichtauslieferung eigener Staatsangehöriger ein traditionelles Misstrauen gegenüber fremden Rechtsordnungen widerspiegelt und dass dieser seinen Ursprung in einer weniger globalisierten Welt hat, doch darauf kommt es hier nicht an. Der für die dem Staat nach der Maxime aut dedere, aut iudicare eröffnete Wahlmöglichkeit entscheidende Punkt war nämlich, dass der Staat der Staatsangehörigkeit der gesuchten Person nach seinem eigenen Recht die Möglichkeit hatte, die betreffende Person wegen im Ausland begangener Straftaten zu verfolgen. Diese extraterritoriale Zuständigkeit beruhte auf der Ausübung seiner Souveränität über seine eigenen Staatsangehörigen. Es stimmt, dass es – wie die klassische Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in der Rechtssache Lotus ( 32 ) zeigt – auch Umstände gibt, unter denen ein Staat diese Zuständigkeit in Bezug auf Straftaten ausüben kann, die im Ausland von Personen, die nicht seine Staatsangehörigen sind, begangen wurden. In Ermangelung besonderer internationaler Verträge, die eine Zuständigkeit nach dem Universalitätsprinzip für bestimmte Straftaten vorsehen, beschränkt sich aber diese Zuständigkeit im Allgemeinen auf bestimmte Sachverhalte, bei denen das Geschehen, die Handlungen und Personen, auf die die Rechtsvorschriften anwendbar sind, für den Frieden, die innere Ordnung und die ordnungsgemäße Regierung des betreffenden Staates oder zumindest die Interessen eines Staatsangehörigen des betreffenden Staates relevant sind, so dass ein echter Anknüpfungspunkt für die Ausübung der extraterritorialen Strafgewalt über den Ausländer durch den ausübenden Staat gegeben ist ( 33 ).

    44.

    In den letzten etwa 90 Jahren seit der Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs in der Rechtssache Lotus ( 34 ) sind dessen Überlegungen und Begründung eingehend untersucht sowie die Grenzen und insbesondere die Relevanz des Urteils für die heutige Zeit erörtert worden ( 35 ); ich selbst kann die heutige Rechtslage und völkerrechtliche Rechtspraxis nicht besser auf den Punkt bringen, als es IGH-Präsident Guillaume in seinem Sondervotum zum Urteil des Internationalen Gerichtshofs in der Rechtssache Arrest Warrant getan hat:

    „Staaten üben ihre Strafgerichtsbarkeit vornehmlich in ihrem eigenen Hoheitsgebiet aus. Nach klassischem Völkerrecht ist die Ausübung eigener Strafgewalt über Auslandstaten daher in der Regel nur gegeben, wenn der Straftäter oder zumindest das Opfer die Nationalität des verfolgenden Staates hat oder wenn die Straftat die innere oder äußere Sicherheit des Staates bedroht. Darüber hinaus kann die Strafgewalt nur noch in Fällen von Piraterie oder nach Maßgabe von durch Völkervertragsrecht verliehener subsidiärer Strafgewalt in Einzelfällen dann ausgeübt werden, wenn sich der mutmaßliche Täter auf dem eigenen Hoheitsgebiet befindet. Abgesehen von diesen Fällen erkennt das Völkerrecht keine universelle Jurisdiktion … an“ ( 36 ).

    45.

    Darin klingt an, was der Gerichtshof in der Rechtssache Petruhhin anerkannt hat, dass ein Mitgliedstaat nämlich „in der Regel nicht dafür zuständig“ ist, über „außerhalb seines Hoheitsgebiets“ begangene schwere Straftaten zu urteilen, „wenn weder der Täter noch das Opfer der mutmaßlichen Straftat die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt“ ( 37 ).

    46.

    Aus alldem wird hinreichend deutlich, dass es im Hinblick auf die extraterritoriale Anwendung des Strafrechts eines Staates, der seine eigenen Staatsangehörigen nicht ausliefert, sehr wohl einen wesentlichen Unterschied gibt zwischen der Lage eines Staatsangehörigen des betreffenden Staates einerseits und der Lage von Personen, die nicht dessen Staatsangehörigkeit haben, andererseits. Wie Generalanwalt Bot in der Rechtssache Petruhhin ( 38 ) festgestellt hat, besteht im Falle von Ausländern die Gefahr, dass sie der Strafe entgehen, während dies bei den eigenen Staatsangehörigen nicht der Fall ist.

    47.

    Während sich der betreffende Staat dafür entscheiden kann, seinen eigenen Staatsangehörigen zur Last gelegte Auslandstaten zu verfolgen, liegt es in der Regel anders, wenn es sich um Auslandstaten handelt, die von Ausländern begangen worden sein sollen. Über den Umfang der extraterritorialen Zuständigkeit in letzterem Falle mag man streiten; unstreitig ist jedoch, dass nach dem Völkerrecht und der völkerrechtlichen Praxis der Rechtsetzungsbefugnis eines Staates, in Bezug auf von Ausländern im Ausland begangenen Straftaten Gesetze mit extraterritorialer Wirkung zu erlassen, Grenzen gesetzt sind, die sich von denen, die in Bezug auf die eigenen Staatsangehörigen gelten, unterscheiden. Dies zeigt sich in dem der Rechtssache Petruhhin zugrunde liegenden Sachverhalt darin, dass es nach lettischem Recht nicht möglich war, einen estnischen Staatsangehörigen, der keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für Lettland besaß, wegen des ihm vorgeworfenen Handels mit Betäubungsmitteln, den er in der Russischen Föderation begangen haben soll, in Lettland strafrechtlich zu verfolgen ( 39 ).

    48.

    All dies zeigt, dass die Situation der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats und die Situation anderer Unionsbürger hinsichtlich des im Aufnahmemitgliedstaat geltenden Auslieferungsverbots für die eigenen Staatsangehörigen nicht vergleichbar sind. Wegen dieses grundlegenden Unterschieds bin ich der Ansicht, dass aufgrund der für die Ausübung der extraterritorialen Zuständigkeit in Bezug auf Auslandstaten unterschiedlichen Regelungen, je nachdem, ob jemand Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaats ist oder nicht, die Gestattung eines Auslieferungsschutzes lediglich für eigene Staatsangehörige keine nach Art. 18 AEUV verbotene Diskriminierung darstellte oder darstellt. Schließlich besteht – um es nochmals zu wiederholen – im Falle von Ausländern die Gefahr der Straflosigkeit, während diese Gefahr bei eigenen Staatsangehörigen nicht gegeben ist. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Sachverhalten, weshalb es sich bei den unterschiedlichen Auslieferungsvorschriften, die auf die Staatsangehörigkeit der gesuchten Person abstellen, meines Erachtens nicht um eine Diskriminierung im Sinne von Art. 18 AEUV handelt.

    49.

    In der Tat ist das Urteil Petruhhin eine relativ neue Entscheidung der Großen Kammer des Gerichtshofs. Jedoch hat sie, schon in der relativ kurzen Zeit, seit sie erlassen wurde, zu einer Reihe zunehmend komplexer Fälle geführt, von denen jeder auf seine Weise zeigt, wie schwierig sich die Anwendung der Petruhhin-Grundsätze ( 40 ) in der Praxis gestaltet.

    50.

    Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Raugevicius ( 41 ); in diesem Fall ersuchte die Russische Föderation Finnland um Auslieferung eines litauischen Staatsangehörigen, der auch die russische Staatsangehörigkeit hatte, zum Zweck der Vollstreckung einer von einem russischen Gericht verhängten Freiheitsstrafe. Zwar dürfen nach finnischem Recht finnische Staatsbürger nicht an ein anderes Land ausgeliefert werden, jedoch erlaubt es das finnische Recht, eine Freiheitsstrafe, die in einem Drittland gegen einen finnischen Staatsangehörigen „oder einen Ausländer, der seinen ständigen Wohnsitz in Finnland hat,“ verhängt wurde, in Finnland zu vollziehen. Somit stellte sich die Frage, ob in diesem Fall die Petruhhin-Grundsätze anwendbar waren.

    51.

    In seinen Schlussanträgen ( 42 ) wies Generalanwalt Bot auf die Schwierigkeiten hin, die sich ergeben könnten. Die litauischen Justizbehörden zu ersuchen, einen Europäischen Haftbefehl zur erneuten Strafverfolgung von Herrn Raugevicius zu erlassen, verstieße gegen den Grundsatz ne bis in idem ( 43 ). Sodann führte der Generalanwalt aus:

    „Auch ist es meines Erachtens nicht denkbar, dass der Weg für einen Mechanismus bereitet wird, mit dem die litauischen Justizbehörden die Möglichkeit hätten, einen Europäischen Haftbefehl zur Vollstreckung der Strafe im litauischen Hoheitsgebiet zu erlassen. Abgesehen von dem rechtlichen Hindernis, das die Tatsache darstellt, dass die zu vollstreckende Strafe von einem Gericht eines Drittstaats verhängt worden ist, stelle ich fest, dass sich die finnischen Behörden in einem solchen Fall berechtigterweise auf den fakultativen Grund für die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls in Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584 berufen könnten, wonach die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung eines solchen zum Zweck der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausgestellten Haftbefehls verweigern kann, wenn sich die gesuchte Person ‚im Vollstreckungsmitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehöriger ist oder dort ihren Wohnsitz hat‘ und sich dieser Staat verpflichtet, die Strafe nach seinem innerstaatlichen Recht zu vollstrecken.“ ( 44 )

    52.

    Der Gerichtshof hat jedoch eine andere Auffassung vertreten. Er hat ausgeführt, dass der auf die finnische Staatsangehörigkeit abstellende Auslieferungsschutz prima facie eine Diskriminierung im Sinne von Art. 18 AEUV darstellt und dass nach den Petruhhin-Grundsätzen ( 45 ) eine solche Regel nur gerechtfertigt sein kann, „wenn sie auf objektiven Erwägungen beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht“ ( 46 ).

    53.

    Sodann hat sich der Gerichtshof der Frage zugewandt, ob die Petruhhin-Grundsätze auch im Fall eines zum Zwecke der Strafvollstreckung gestellten Auslieferungsersuchens gelten. Er hat anerkannt, dass eine erneute Strafverfolgung einer Person, die bereits im ersuchenden Staat verfolgt und verurteilt wurde, gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen kann. Der Gerichtshof hat dazu ausgeführt:

    „Zwar kann das nach nationalem Recht gewährleistete Verbot der Doppelbestrafung für einen Mitgliedstaat ein Hindernis bei der Strafverfolgung von Personen darstellen, gegen die ein Auslieferungsersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung vorliegt. Um jedoch der Gefahr entgegenzuwirken, dass solche Personen einer Strafe entgehen, gibt es im nationalen Recht und/oder im Völkerrecht Mechanismen, die es ermöglichen, dass diese Personen ihre Strafe etwa in dem Staat verbüßen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, wodurch ihre Chancen auf eine soziale Wiedereingliederung nach dem Strafvollzug steigen“ ( 47 ).

    54.

    Der Gerichtshof ist dann auf das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 ( 48 ) eingegangen, zu dessen Vertragsparteien sowohl alle Mitgliedstaaten als auch die Russische Föderation zählen. Nach dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen können Personen, die im Ausland Freiheitsstrafen verbüßen, unter bestimmten Voraussetzungen zum Vollzug der gegen sie verhängten Strafe in das Hoheitsgebiet ihres Herkunftsmitgliedstaats überstellt werden.

    55.

    Der Gerichtshof hat festgestellt, dass Finnland sowohl seinen eigenen Staatsangehörigen als auch Ausländern mit ständigem Wohnsitz in Finnland gestattet, sich auf dieses Übereinkommen zu berufen, und dass Herr Raugevicius somit möglicherweise als Ausländer mit ständigem Wohnsitz in Finnland anzusehen ist und die Reststrafe in Finnland verbüßen kann, wenn sowohl er selbst als auch die Russische Föderation dem zustimmen.

    56.

    Abschließend hat der Gerichtshof dazu ausgeführt:

    „Somit verlangen die Art. 18 und 21 AEUV, dass die Regelung, wonach finnische Staatsangehörige nicht ausgeliefert werden dürfen, auch den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten zugutekommen muss, die ihren ständigen Wohnsitz in Finnland haben und gegen die ein Auslieferungsersuchen zum Zweck der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe vorliegt; diese müssen also ihre Strafe unter denselben Bedingungen wie Inländer in Finnland verbüßen können. Wenn dagegen bei einem Unionsbürger wie Herrn Raugevicius nicht davon ausgegangen werden kann, dass er seinen ständigen Wohnsitz im ersuchten Mitgliedstaat hat, bestimmt sich die Frage seiner Auslieferung nach dem anwendbaren nationalen oder internationalen Recht.“ ( 49 )

    57.

    Auch wenn das Urteil Raugevicius ( 50 ) einen etwas anders gelagerten Sachverhalt betrifft, bei dem es um die Auslieferung zum Zwecke der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe geht, werden doch auch an ihm die Grenzen der Petruhhin-Grundsätze deutlich – gerade weil es, wenn es um die Auslieferung geht, im Allgemeinen sehr wohl Unterschiede zwischen der Situation der Staatsangehörigen des Herkunftsmitgliedstaats auf der einen Seite und den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten auf der anderen Seite gibt.

    58.

    Letztlich hat der Gerichtshof mit seinem Urteil Raugevicius ( 51 ) anerkannt, dass die Anwendung des Urteils Petruhhin auf den Sachverhalt in der Rechtssache Raugevicius unmöglich gewesen wäre, wenn nicht die Rechtslage der gesuchten Person nach finnischem Recht der der eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt wäre ( 52 ), so dass das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen von 1983 auf diese Person Anwendung finden könnte.

    59.

    Darüber hinaus befürchte ich, dass das Urteil Petruhhin in der Praxis Schwierigkeiten verursachen wird, weil weder die Rechtsvorschriften noch die Rechtspraxis in Bezug auf Übergabe und Auslieferung – wie diese dem Rahmenbeschluss 2002/584 bzw. dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen von 1957 zu entnehmen sind – für Fälle geeignet sind, in denen der Aufnahmemitgliedstaat Ersuchen an die Strafverfolgungsbehörden des Herkunftsmitgliedstaats richtet, die die Strafverfolgung eines eigenen Staatsangehörigen des Herkunftsmitgliedstaats wegen in einem Drittstaat begangener Straftaten betreffen; genauso wenig sind sie für Ersuchen des Herkunftsmitgliedstaats oder des Aufnahmemitgliedstaats an den Drittstaat, in dem die Straftat begangen wurde, geeignet.

    60.

    Einige dieser praktischen Probleme, die sich durch das Urteil Petruhhin ergeben, wurden vom vorlegenden Gericht genannt und auch in der mündlichen Verhandlung von den Vertretern der verschiedenen Mitgliedstaaten angesprochen. Alle diese praktischen Schwierigkeiten berühren Fragen, die das Problem der potenziellen Straflosigkeit betreffen, etwa die Frage, wie viel Zeit der Aufnahmemitgliedstaat dem Herkunftsmitgliedstaat für dessen Entscheidung geben muss. Derartige Fristen sind, nebenbei bemerkt, besonders problematisch, wenn sich die gesuchte Person im Aufnahmemitgliedstaat in Auslieferungshaft befindet. Der Aufnahmemitgliedstaat ist möglicherweise nicht bereit, die gesuchte Person solange in Auslieferungshaft zu halten, bis über das Ersuchen an ihren Herkunftsmitgliedstaat entschieden ist; wird die Auslieferungshaft jedoch ausgesetzt, könnte auch das problematisch sein, insbesondere, wenn bei der gesuchten Person Fluchtgefahr besteht.

    61.

    In diesem Zusammenhang besteht unter allen am Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten Einigkeit, dass dem Herkunftsmitgliedstaat, wenn er vom Aufnahmemitgliedstaat die Mitteilung erhält, dass ein Drittstaat um die Auslieferung eines sich im Aufnahmemitgliedstaat aufhaltenden Staatsangehörigen des Herkunftsmitgliedstaats ersucht, nicht genügend Informationen vorliegen, um einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen und zu entscheiden, ob er seinerseits um die Übergabe seines Staatsangehörigen ersuchen will, um selbst die Strafverfolgung zu übernehmen.

    62.

    Die Mitgliedstaaten sind sich auch darüber einig, dass es keine bestimmte Frist gibt, die in allen Fällen anwendbar wäre, in denen der Aufnahmemitgliedstaat mit einer Antwort des Herkunftsmitgliedstaats auf die Frage rechnen kann, ob dieser einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen beabsichtigt, oder innerhalb derer der Herkunftsmitgliedstaat den Europäischen Haftbefehl erlassen muss, wenn er sich dafür entscheidet. Das vorlegende Gericht hat hierzu keine Frage gestellt, doch in den Fragen, die den Beteiligten für die mündliche Verhandlung gestellt wurden, ging es auch um derartige Fristen, und die Kommission ist in einer schriftlichen Antwort auf eine vom Gerichtshof gestellte Frage zur praktischen Anwendung der Petruhhin-Grundsätze ( 53 ) durch die Mitgliedstaaten darauf eingegangen. Danach besteht wohl unter den Mitgliedstaaten (sowohl nach Angaben der Mitgliedstaaten, die in der mündlichen Verhandlung zugegen waren, als auch laut den von der Kommission vorgelegten Dokumenten über die praktische Anwendung der Petruhhin-Grundsätze) allgemeine Einigkeit darüber, dass der Herkunftsmitgliedstaat seine Entscheidung über den Erlass eines Europäischen Haftbefehls so bald wie möglich treffen sollte, dass die Frist jedoch von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängen wird. Eine der Haupterwägungen ist, ob sich die betreffende Person in Auslieferungshaft befindet.

    63.

    Aus den Antworten, die die Kommission von den Mitgliedstaaten eingeholt hat ( 54 ), ist ersichtlich, dass Fristen zwischen 10 und 45 Tagen gesetzt werden, und dass längere Fristen nur von wenigen Staaten oder in Ausnahmefällen gewährt werden ( 55 ). Es gibt nur wenige Mitgliedstaaten, die gar keine Fristen setzen. Dies führt jedoch zu einer erheblichen Unsicherheit.

    64.

    Der Eindruck lässt sich kaum vermeiden, dass im Allgemeinen jede Frist zu kurz sein wird, um dem Herkunftsmitgliedstaat oder Aufnahmemitgliedstaat genügend Zeit zu gewähren, mittels eines Rechtshilfeersuchens an den ersuchenden Staat die Akte, die Hunderte Seiten umfassen kann, anzufordern, zu übersetzen und zu prüfen. Der Zeitrahmen ist äußerst eng und wird sicherlich sehr oft zu knapp bemessen sein, selbst wenn Rechtshilfeabkommen bestehen. Wo dies nicht der Fall ist und der diplomatische Weg einzuhalten ist, dürfte es dem Herkunftsmitgliedstaat so gut wie unmöglich sein, innerhalb einer solchen Frist einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen. In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Kommission darauf hingewiesen, dass dies nur in Ausnahmefällen, wenn der Herkunftsmitgliedstaat bereits selbst parallel Ermittlungen gegen die betreffende Person aufgenommen hat, anders sein dürfte.

    65.

    Darüber hinaus liegen aber auch noch andere, zusätzliche Probleme auf der Hand. Steht es dem Aufnahmemitgliedstaat frei, die vom Drittstaat übermittelten Dokumente an den Herkunftsmitgliedstaat zu übermitteln oder bedarf dies der Einwilligung des Drittstaats? Und falls (in der vorliegenden Rechtssache) Rumänien bereit wäre, die Strafverfolgung zu übernehmen, und zu diesem Zweck einen Europäischen Haftbefehl erließe, ergäbe sich jedenfalls das – Art. 17 des Übereinkommens unterliegende – Problem, ob Deutschland gegebenenfalls seine Verpflichtungen gemäß Art. 1 des Übereinkommens erfüllt hätte; schließlich würde damit zwangsläufig die Auslieferung des Verdächtigen an die Ukraine abgelehnt, und zwar aus Gründen, die nicht zuvor in den verschiedenen von Deutschland bezüglich Art. 6 des Übereinkommens hinterlegten Erklärungen angegeben wurden ( 56 ). Des Weiteren stellt sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die gesuchte Person nicht möchte, dass die gegen sie gerichtete Strafverfolgung von ihrem Herkunftsmitgliedstaat übernommen wird.

    66.

    Praxis und Erfahrung haben somit gezeigt, dass die Situationen von Inländern und Ausländern im Hinblick auf die Anwendung der Gleichheitsgrundsätze nach Art. 18 AEUV tatsächlich nicht vergleichbar sind. Diese praktischen Probleme, die die potenzielle Straflosigkeit betreffen, werden noch dadurch verschärft, dass es an einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften fehlt. Aus allen vorgenannten Gründen lege ich deshalb dem Gerichtshof nahe, vom Urteil Petruhhin abzuweichen.

    67.

    Für den Fall, dass der Gerichtshof meiner Auffassung nicht folgt, werde ich nunmehr jedoch die drei vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen beantworten. Dabei werde ich (entgegen der von mir vertretenen Ansicht) die Annahme zugrunde legen, dass das Urteil Petruhhin richtig ist.

    D.   Zur ersten Frage

    68.

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die oben erörterten Grundsätze zur Anwendung der Art. 18 und 21 AEUV auch dann gelten, wenn die betreffende Person ihren Wohnsitz zu einem Zeitpunkt, zu dem sie noch nicht Unionsbürger war, in einen anderen als ihren Herkunftsmitgliedstaat verlegt hat. Da die Argumentation des Gerichtshofs im Urteil Petruhhin offenkundig darauf beruht, dass es sich um eine Beschränkung des Rechts eines Unionsbürgers auf Freizügigkeit im Sinne von Art. 21 AEUV handelt, stellt sich die Frage, ob in der vorliegenden Rechtssache Art. 21 AEUV betroffen ist.

    69.

    Irland vertritt die Ansicht, dass andere sich aus der Ausübung der Freizügigkeit ergebende Unionsrechte nur dann wirksam würden, wenn die Person, die sich auf die Rechte berufe, erstens ein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt und zweitens zum Zeitpunkt der Rechtsausübung die Unionsbürgerschaft besessen habe. Es steht fest, dass BY, als er seinen Wohnsitz in Deutschland begründete, kein Unionsbürger war. Irland ist aus diesem Grund der Meinung, dass er durch die bloße Ansässigkeit in Deutschland keine unionsrechtliche Freizügigkeit ausgeübt habe.

    70.

    Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, gibt es zwischen der Europäischen Union und der Ukraine kein internationales Abkommen über Auslieferungen. Die Auslieferungsvorschriften fallen damit grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. In dieser Rechtssache geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass der internationale Vertrag, auf den die Ukraine das Auslieferungsersuchen stützt, das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957 ist, zu dessen Vertragsparteien Deutschland, die Ukraine und auch Rumänien zählen. Die sich aus dem Übereinkommen ergebenden Verpflichtungen wurden ratifiziert und in nationales Recht umgesetzt. Die nationalen Vorschriften müssen natürlich in Situationen, die unter das Unionsrecht fallen, dieses Recht beachten ( 57 ). Grundsätzlich sind für das Strafrecht und das Strafverfahrensrecht zwar weitgehend die Mitgliedstaaten zuständig, doch nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt das Unionsrecht deren Zuständigkeit Schranken. Diese Zuständigkeit der Mitgliedstaaten muss nämlich unter Wahrung nicht nur der durch das Unionsrecht garantierten Grundfreiheiten, sondern des gesamten Unionsrechts, insbesondere des Primärrechts wahrgenommen werden ( 58 ). Derartige Rechtsvorschriften dürfen weder zu einer Diskriminierung von Personen führen, denen das Unionsrecht einen Anspruch auf Gleichbehandlung verleiht, noch die durch das Unionsrecht garantierten Grundfreiheiten beschränken ( 59 ).

    71.

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ( 60 ) ist die Unionsbürgerschaft dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, aufgrund dessen alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die sich in der gleichen Situation befinden, im sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts vorbehaltlich der hiervon ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung haben. In den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen u. a. Situationen, in denen es um die Ausübung der im Vertrag gewährten Grundfreiheiten geht, namentlich um die Ausübung der in Art. 21 Abs. 1 AEUV verliehenen Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.

    72.

    Andererseits ist die durch Art. 20 AEUV eingeführte Unionsbürgerschaft nicht dazu gedacht, den sachlichen Anwendungsbereich des Vertrags auf Situationen zu erweitern, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen ( 61 ).

    73.

    Art. 21 Abs. 1 AEUV bestimmt, dass „[j]eder Unionsbürger … das Recht [hat], sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten … frei zu bewegen und aufzuhalten“. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dieser Frage sind fundamentale Grundsätze wie der Grundsatz der Freizügigkeit weit auszulegen, während die Abweichungen von diesem Grundsatz eng auszulegen sind ( 62 ).

    74.

    Ich denke, dass das Urteil McCarthy ( 63 ) nichts an dieser Würdigung ändert. In jener Rechtssache ging es um den Fall von Frau McCarthy, die zwei Staatsangehörigkeiten besaß, u. a. die Staatsangehörigkeit des Landes, in dem sie stets gelebt hatte. Der Gerichtshof ist zu dem Schluss gelangt, dass nichts an der Lage von Frau McCarthy erkennen ließ, dass die in Rede stehende nationale Maßnahme bewirkte, dass ihr der tatsächliche Genuss des Kernbestands der mit ihrem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte verwehrt würde ( 64 ). Allerdings hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Lage eines Unionsbürgers, der vom Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, nicht allein aus diesem Grund einer rein internen Situation gleichgestellt werden kann ( 65 ).

    75.

    So handelte es sich in der Rechtssache Schempp nicht um einen rein internen Sachverhalt, weil zwar nicht Herr Schempp selbst, jedoch seine frühere Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hatte ( 66 ). Auch in der Rechtssache Zhu und Chen hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Situation des Angehörigen eines Mitgliedstaats, der im Aufnahmemitgliedstaat geboren wurde und von dem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, nicht allein aufgrund dieser Tatsache einer rein internen Situation, in der der Staatsangehörige die unionsrechtlichen Vorschriften über die Freizügigkeit und den Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat nicht geltend machen kann, gleichgestellt werden kann ( 67 ). In der Rechtssache Garcia Avello hat der Gerichtshof ausdrücklich ausgeführt, dass bei Personen, die Angehörige eines Mitgliedstaats sind und sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten, ein Bezug zum Unionsrecht besteht ( 68 ).

    76.

    Diese Überlegungen lassen sich auch auf BY anwenden. Als er die rumänische Staatsangehörigkeit (und damit auch die Unionsbürgerschaft) erlangte, hatte er seinen Wohnsitz in Deutschland. Bei einem solchen Sachverhalt ist es unerheblich, wann ein Unionsbürger die Staatsangehörigkeit erlangt hat. Für die Anwendung von Art. 21 AEUV ist es auch nicht erforderlich, dass der Unionsbürger tatsächlich eine Staatsgrenze überschritten hat.

    77.

    Der Vollständigkeit halber möchte ich ergänzen, dass der Umstand, dass BY zwei Staatsangehörigkeiten besitzt, wovon eine nicht die eines anderen Mitgliedstaats der Union ist, ihm nicht die Freiheiten nimmt, die er als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats aus dem Unionsrecht herleitet ( 69 ). Insofern unterscheidet sich die vorliegende Rechtssache von der Rechtssache McCarthy ( 70 ); anders als in jenem Fall deutet im vorliegenden Fall nichts darauf hin, dass das derzeitige Recht des BY, sich in Deutschland aufzuhalten, auf anderer Grundlage als auf Unionsrecht beruht. Dieses Recht genießt BY nämlich aufgrund des Umstands, dass er als rumänischer Staatsangehöriger berechtigt ist, sich dort aufzuhalten und dort zu wohnen, auch wenn dies nicht der Fall war, als er 2012 seinen Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegte.

    78.

    Soweit sich Irland auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Lounes ( 71 ) stützt, insbesondere auf Rn. 55 des Urteils, wo der Gerichtshof ausgeführt hat, dass „[e]in Mitgliedstaat aber die Wirkungen, die der Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats hat, nicht einschränken [darf], und insbesondere auch nicht die Rechte, die nach dem Unionsrecht mit dieser Staatsangehörigkeit verbunden sind und sich daraus ergeben, dass ein Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat“, scheint dem der Gedanke zugrunde zu liegen, dass die Ausübung der Rechte nach Art. 21 Abs. 1 AEUV stets mit dem Überschreiten einer Staatsgrenze verbunden ist. Dies ist aber, wie oben dargelegt wurde, nicht notwendigerweise der Fall.

    79.

    In Anbetracht dieser Erwägungen bin ich der Ansicht, dass die Art. 18 und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass Unionsbürger nicht allein deshalb daran gehindert sind, die sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Rechte geltend zu machen, weil sie die Unionsbürgerschaft erst erlangt haben, nachdem sie ihren Wohnsitz bereits in einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen, dessen Staatsangehörigkeit sie später erlangt haben, verlegt hatten, so dass sie ihr Recht auf Freizügigkeit nicht ausgeübt haben, nachdem sie Unionsbürger geworden sind. Soweit (wie hier) das Recht des Unionsbürgers, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, auf Unionsrecht beruht, ist der Bürger berechtigt, sich auf die durch die Art. 18 und 21 AEUV garantierten Rechte zu berufen.

    E.   Zur zweiten Frage

    80.

    Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, wie weit die Verpflichtungen des Herkunftsmitgliedstaats gehen, wenn dieser über ein an einen anderen Mitgliedstaat gerichtetes Auslieferungsersuchen eines Drittstaats, das einen Staatsangehörigen des Herkunftsmitgliedstaats betrifft, unterrichtet wird. Die Frage zielt insbesondere darauf ab, ob der Herkunftsmitgliedstaat dann verpflichtet ist, den um Auslieferung ersuchenden Drittstaat um Übermittlung der Akten zu ersuchen.

    81.

    Mit Ausnahme der griechischen Regierung sind sich alle Mitgliedstaaten, die in dieser Rechtssache Erklärungen eingereicht haben, einig, dass sich aus dem Unionsrecht keinerlei Handlungspflicht des Herkunftsmitgliedstaats ergibt. Dies ist auch die Auffassung der Kommission. Des Weiteren sind sich die Mitgliedstaaten einig, dass der Herkunftsmitgliedstaat über keine ausreichende Informationsgrundlage für die Entscheidung über den Erlass eines Europäischen Haftbefehls verfügt, wenn ihm lediglich die für ein Auslieferungsersuchen gemäß Art. 12 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 erforderlichen Angaben mitgeteilt werden. Nach Auffassung der Mitgliedstaaten bedeutet dies, dass es dem Herkunftsmitgliedstaat nahezu unmöglich ist, über den Erlass eines Europäischen Haftbefehls zu entscheiden.

    1. Urteil Petruhhin und Herkunftsmitgliedstaat

    82.

    Es fällt auf, dass im Urteil Petruhhin selbst, außer in den einleitenden Absätzen, die den Sachverhalt schildern, und vielleicht in den Rn. 48 und 49, nur recht wenig zu den Verpflichtungen und Rechten des Herkunftsmitgliedstaats gesagt wird. In den genannten Randnummern geht es um die Verpflichtung des Aufnahmemitgliedstaats zum Informationsaustausch mit dem Herkunftsmitgliedstaat, doch es wird nichts über etwaige Verpflichtungen des Herkunftsmitgliedstaats gesagt.

    83.

    Das Urteil Petruhhin befasst sich somit offenbar weder ausdrücklich noch implizit mit den Verpflichtungen des Herkunftsmitgliedstaats. Die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage zwingt uns, zu prüfen, ob sich derartige Handlungspflichten des Herkunftsmitgliedstaats aus dem dieser Rechtssache zugrunde liegenden Grundsatz ergeben.

    84.

    Wie bereits erwähnt, hat der Gerichtshof in der Rechtssache Petruhhin ( 72 ) entschieden, dass der Aufnahmemitgliedstaat, dessen Auslieferungsverbot für die eigenen Staatsangehörigen die Art. 18 und 21 AEUV verletzt, nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet ist, mit dem Herkunftsmitgliedstaat zu kooperieren.

    85.

    Die Situation des Herkunftsmitgliedstaats ist jedoch eine ganz andere. Er muss entscheiden, ob er die Strafverfolgung der gesuchten Person, bei der es sich um einen seiner Staatsangehörigen handelt, übernimmt. Dies ist erforderlich, um die in Art. 8 Abs. 1 Buchst. c bis f des Rahmenbeschlusses 2002/584 genannten Anforderungen an den Inhalt des Europäischen Haftbefehls zu erfüllen. Eine dieser Anforderungen ist keine reine Formvorschrift; gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584 muss er nämlich einen nationalen Haftbefehl erlassen, der den Anforderungen seines nationalen Rechts genügt.

    86.

    Die Frage, ob ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, ist natürlich allein nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats zu beantworten, genauso wie die Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen, die er ergreift, um die Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, die für eine solche Entscheidung erforderlich sind. Da nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die nationalen Rechtsvorschriften in Situationen, die unter das Unionsrecht fallen, mit dem Unionsrecht in Einklang stehen müssen, darf BY, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, nicht deswegen diskriminiert werden. Allerdings hat in dieser Rechtssache keiner der Beteiligten geltend gemacht, dass Rumänien BY anders behandele als seine (anderen) Staatsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht haben; es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass das der Fall sein könnte ( 73 ).

    87.

    Im Gegensatz zum Aufnahmemitgliedstaat befindet sich Rumänien also nicht in einer Lage, in der seine Anwendung der nationalen Vorschriften einen Eingriff in die Art. 18 und 21 AEUV darstellt, der einer Rechtfertigung bedürfte. Eine Verpflichtung des Herkunftsmitgliedstaats würde also in dem Kontext erwachsen, dass diskriminierende Vorschriften eines anderen Mitgliedstaats zur Verletzung des den Unionsbürgern zustehenden Rechts auf Freizügigkeit führten.

    2. Verpflichtungen des Aufnahmemitgliedstaats

    88.

    Mehrere Mitgliedstaaten haben dazu Stellung genommen, ob nicht vielleicht der ersuchte Mitgliedstaat dem Herkunftsmitgliedstaat zusätzliche Informationen liefern müsste, und ob der ersuchte Mitgliedstaat zu diesem Zweck verpflichtet sein müsste, den Drittstaat um die Informationen zu ersuchen, die der Herkunftsmitgliedstaat vom ersuchenden Staat braucht, um über die Übernahme der Strafverfolgung zu entscheiden. Zu diesem Zweck müssten die eingehenden Informationen dann natürlich an den Herkunftsmitgliedstaat weitergeleitet werden.

    89.

    In Reaktion auf das Urteil Petruhhin hat Lettland sein nationales Recht geändert, um dem Urteil des Gerichtshofs Rechnung zu tragen. In Art. 704 des Kriminālprocesa likums (Gesetz über das Strafverfahren) ( 74 ) wurde ein Abs. 2 hinzugefügt, der den Fall regelt, dass um die Auslieferung eines Unionsbürgers ersucht wird. In einem solchen Fall muss die Staatsanwaltschaft das Land der Staatsangehörigkeit der gesuchten Person darüber informieren, dass die Möglichkeit besteht, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, und eine Frist für den Erlass eines solchen Haftbefehls setzen.

    90.

    Viele der Beteiligten sind der Ansicht, dass der Gerichtshof diese Frage bereits in seinem Urteil in der Rechtssache Pisciotti entschieden habe. In jener Rechtssache hat der Gerichtshof in Bezug auf Ersuchen eines Drittstaats um Auslieferung des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats ausgeführt, dass der ersuchte Mitgliedstaat, der seine eigenen Staatsangehörigen nicht ausliefert, die Anforderungen von Art. 18 und 21 AEUV erfüllt, „sofern er vorher den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger dieser Betroffene ist, die Möglichkeit [einräumt], ihn im Rahmen eines Europäischen Haftbefehls für sich zu beanspruchen, und dieser letztgenannte Mitgliedstaat keine entsprechende Maßnahme ergriffen hat“ ( 75 ).

    91.

    In der Rechtssache Pisciotti war ein italienischer Staatsangehöriger bei einer Zwischenlandung am Frankfurter Flughafen aufgrund eines Auslieferungsersuchens der Vereinigten Staaten von Amerika an die Bundesrepublik Deutschland festgenommen worden. In dem Fall waren die italienischen Konsularbeamten vor dem Vollzug des Auslieferungsersuchens über die Situation von Herrn Pisciotti informiert worden, ohne dass die italienischen Behörden einen Europäischen Haftbefehl erlassen hätten. Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass die im Urteil Petruhhin ( 76 ) aufgestellten Verpflichtungen in dem Fall erfüllt waren, weil der Aufnahmemitgliedstaat – in diesem Beispiel Deutschland – den Herkunftsmitgliedstaat – in diesem Beispiel Italien – in vollem Umfang über den Fall informiert und ihm die Möglichkeit eingeräumt hatte, „[den Staatsangehörigen] im Rahmen eines Europäischen Haftbefehls für sich zu beanspruchen, und dieser letztgenannte Mitgliedstaat keine entsprechende Maßnahme ergriffen hat“ ( 77 ). Dies scheint dem Verständnis des Urteils durch den lettischen Gesetzgeber zu entsprechen.

    92.

    Meines Erachtens wird diese Frage durch die Entscheidung in der Rechtssache Pisciotti ( 78 ) mehr oder weniger geklärt. Das Urteil stellt klar, dass die sich aus den Petruhhin-Grundsätzen ( 79 ) ergebende Verpflichtung des Aufnahmemitgliedstaats darauf beschränkt ist, dem Herkunftsmitgliedstaat die Möglichkeit zu geben, sich dafür zu entscheiden, um Übergabe seines eigenen Staatsangehörigen zu ersuchen und diesen im eigenen Land wegen der im Auslieferungsersuchen des Drittstaats genannten Straftaten strafrechtlich zu verfolgen. Im vorliegenden Fall würde es also genügen, dass Deutschland das ukrainische Ersuchen an Rumänien weiterleitete, damit die dortigen zuständigen Strafverfolgungsbehörden eine Entscheidung darüber treffen können, ob sie einen Europäischen Haftbefehl erlassen wollen, damit BY für die Zwecke der Strafverfolgung von Deutschland übergeben wird. Aus der Entscheidung in der Rechtssache Pisciotti ( 80 ) geht somit klar hervor, dass Deutschland diesbezüglich keine weiteren Verpflichtungen hat.

    93.

    Folglich ist die zweite Frage nach meiner Auffassung dahin zu beantworten, dass weder der Herkunftsmitgliedstaat noch der Aufnahmemitgliedstaat aufgrund des Urteils Petruhhin verpflichtet sind, den ersuchenden Staat zum Zwecke der Prüfung der Übernahme der Strafverfolgung um die Übermittlung der Akten zu ersuchen.

    F.   Zur dritten Frage

    94.

    Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Mitgliedstaat, der von einem Drittstaat um die Auslieferung eines Unionsbürgers ersucht wird, auf der Grundlage des Urteils Petruhhin verpflichtet ist, die Auslieferung abzulehnen und die Strafverfolgung selbst zu übernehmen, wenn ihm dies nach seinem nationalen Recht möglich ist.

    95.

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende endgültige gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen ( 81 ). Gleichwohl obliegt es dem Gerichtshof gegebenenfalls, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wurde, und insbesondere festzustellen, ob die erbetene Auslegung des Unionsrechts einen Bezug zu den tatsächlichen Gegebenheiten und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits aufweist, um nicht Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abgeben zu müssen ( 82 ).

    96.

    Das vorlegende Gericht führt, gestützt auf § 7 Abs. 2 Nr. 2 des deutschen Strafgesetzbuchs, aus, dass es möglich wäre, dem Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV dadurch Rechnung zu tragen, dass die Auslieferung eines Unionsbürgers an einen Drittstaat für unzulässig erklärt und die Strafverfolgung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden übernommen würde. Laut der deutschen Regierung, die diesbezüglich eine jüngst ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs ( 83 ) anführt, ist das in der Vorschrift des § 7 Abs. 2 Nr. 2 des deutschen Strafgesetzbuchs enthaltene Prinzip der „stellvertretenden Strafrechtspflege“ lediglich eine subsidiäre Ergänzung der Strafgewalt anderer Staaten. Das bedeutet, dass die deutschen Gerichte nach dieser Bestimmung nur zuständig sind, wenn kein anderer Staat die Strafverfolgung übernehmen kann oder will. Dies ist hier aber nicht der Fall, da die Ukraine für die Strafverfolgung gegen BY zuständig ist und diese Zuständigkeit ausüben möchte ( 84 ). Auf dieser Grundlage scheint die Frage, so wie sie vom vorlegenden Gericht gestellt wurde, für das Ergebnis in dieser Rechtssache unerheblich und daher unzulässig.

    97.

    Gleichwohl muss daran erinnert werden, dass es nicht Sache des Gerichtshofs ist, über die Auslegung und Anwendbarkeit von Bestimmungen des nationalen Rechts zu befinden. Der Gerichtshof hat nämlich im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der Union und denen der Mitgliedstaaten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorabentscheidungsfrage einfügt, von den Feststellungen des vorlegenden Gerichts auszugehen ( 85 ).

    98.

    Da diese Frage zwischen den Beteiligten streitig zu sein scheint ( 86 ) und die der dritten Frage zugrunde liegende Prämisse zeigt, dass das vorlegende Gericht, zumindest bislang, keine abweichende Entscheidung getroffen hat, kann die Frage jedoch nicht als offensichtlich unerheblich angesehen werden. Die dritte Frage sollte daher in dem rechtlichen Kontext geprüft werden, den das vorlegende Gericht beschreibt, beziehungsweise der dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegt.

    99.

    Dem Urteil Petruhhin liegt, wie wir gesehen haben, die Annahme zugrunde, dass die Mitgliedstaaten in der Regel nicht dafür zuständig sind, über eine Straftat zu urteilen, die nicht in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurde, wenn weder der Täter noch das Opfer der mutmaßlichen Straftat die Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats besitzt ( 87 ). Von dieser Prämisse ausgehend hat der Gerichtshof den Schluss gezogen, dass eine mögliche Straflosigkeit des Täters vermieden werden könnte, wenn der Herkunftsmitgliedstaat nach seinem nationalen Recht zuständig wäre, die gesuchte Person wegen der außerhalb seines Hoheitsgebiets begangenen Straftaten zu verfolgen. Dabei hatte er die Rechtslage vor Augen, die in vielen Mitgliedstaaten besteht, deren nationales Recht der Auslieferung ihrer eigenen Staatsangehörigen entgegensteht.

    100.

    Anders als es in der vorliegenden Rechtssache der Fall ist, wenn man der vom vorlegenden Gericht vorgenommenen Auslegung von § 7 Abs. 2 Nr. 2 des deutschen Strafgesetzbuchs folgt, sah in der Rechtssache Petruhhin das lettische Recht keine extraterritoriale Zuständigkeit vor, wenn weder der Täter noch das Opfer lettische Staatsangehörige oder, in ersterem Falle, Inhaber einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für Lettland waren. Dennoch war der Gerichtshof in diesem Kontext bestrebt, die Gleichbehandlung der Person, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, auch dann sicherzustellen, wenn im Aufnahmemitgliedstaat die Auslieferung der eigenen Staatsbürger an Drittländer verboten war. Wie wir gesehen haben, bestand die Lösung dieses Problems darin, die Behörden des Herkunftsmitgliedstaats über das Ersuchen zu informieren und ihnen zu ermöglichen, erforderlichenfalls einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, um die Übergabe der gesuchten Person für die Zwecke eines Strafverfahrens im Herkunftsmitgliedstaat zu bewirken. Das ist der Umfang der Verpflichtung, und indem der Aufnahmemitgliedstaat diese Maßnahmen ergreift, stellt er die Gleichbehandlung im Sinne der Petruhhin-Grundsätze sicher.

    101.

    In dieser Hinsicht teile ich die von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vertretene Auffassung, dass der Gerichtshof in seinem Urteil Petruhhin eine neuartige Lösung für die Frage der Gleichbehandlung in diesem Kontext gefunden hat und dass in der Entscheidung bestimmte, eingeschränkte Verpflichtungen aufgestellt werden, die von einem Aufnahmemitgliedstaat, der seine eigenen Staatsangehörigen nicht ausliefert, einzuhalten sind. Damit ist der Rechtssicherheit gedient, die im Bereich des Strafrechts für alle Beteiligten von höchster Wichtigkeit ist. Meines Erachtens ergeben sich aus dem Recht der Europäischen Union keine darüber hinaus gehenden Verpflichtungen des Aufnahmemitgliedstaats. Insbesondere, wenn man zu dem Ergebnis käme, dass der Aufnahmemitgliedstaat die Auslieferung eines Unionsbürgers an einen anderen Mitgliedstaat automatisch ablehnen und die Strafverfolgung selbst übernehmen sollte, wäre das eine sehr weit gehende Vorgabe, die schwer mit der den Strafverfolgungsbehörden der Aufnahmemitgliedstaaten eingeräumten allgemeinen Unabhängigkeit und Autonomie vereinbar wäre.

    102.

    Mit anderen, einen geringeren Eingriff als die Auslieferung darstellenden Maßnahmen, mit denen ein Aufnahmemitgliedstaat seine Verpflichtungen aus den Art. 18 und 21 AEUV erfüllen könnte, hat sich der Gerichtshof in der Rechtssache Petruhhin nicht auseinandergesetzt.

    103.

    Dies ist nicht das erste Mal, dass der Gerichtshof mit der hier in Rede stehenden deutschen Bestimmung und der Überlegung befasst ist, dass ein Mitgliedstaat, wenn er die Strafgewalt dafür habe, die Strafverfolgung des Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats selbst übernehmen sollte, da diese Maßnahme einen geringeren Eingriff als die Auslieferung an einen Drittstaat darstelle. Dabei wird offensichtlich vorausgesetzt, dass der betreffende Mitgliedstaat seine eigenen Staatsangehörigen nicht ausliefert, da eine unionsrechtliche Einschränkung der Auslieferung von dem auf dem nationalen Recht beruhenden Auslieferungsverbot abgeleitet und kein der Unionsbürgerschaft innewohnendes Recht ist.

    104.

    Es ist anzumerken, dass dieses Argument auch vom Antragsteller in der Rechtssache Pisciotti ( 88 ) vorgebracht wurde. Diesbezüglich hat Generalanwalt Bot auf die Erläuterungen der deutschen Regierung verwiesen, denen zufolge § 7 Abs. 2 des deutschen Strafgesetzbuchs nicht anwendbar sei, da eine der in dieser Vorschrift aufgestellten Voraussetzungen, dass nämlich die beantragte Auslieferung nicht durchgeführt werden könne, nicht erfüllt sei ( 89 ). Der Gerichtshof hat dagegen ausgeführt, dass sich „[i]m vorliegenden Fall jedoch nur die Frage [stellt], ob die Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf Herrn Pisciotti über eine Handlungsmöglichkeit verfügt hätte, die weniger stark in die Ausübung seines Rechts auf Freizügigkeit eingegriffen hätte, indem sie in Erwägung gezogen hätte, ihn der Italienischen Republik zu übergeben, statt ihn an die Vereinigten Staaten von Amerika auszuliefern“ ( 90 ).

    105.

    Darüber hinaus würde eine Verpflichtung des Mitgliedstaats, den Ausländer nicht auszuliefern, sondern die Strafverfolgung selbst zu übernehmen, vielfach mit seinen sich aus internationalen Auslieferungsübereinkommen ergebenden Verpflichtungen in Konflikt stehen. Nach Art. 6 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 sind die Vertragsparteien berechtigt, die Auslieferung ihrer Staatsangehörigen abzulehnen, sofern der ersuchte Staat auf Begehren des ersuchenden Staates die Angelegenheit den zuständigen Behörden unterbreitet, damit gegebenenfalls eine gerichtliche Verfolgung durchgeführt werden kann. Eine vergleichbare Bestimmung, nach der eine Vertragspartei die Strafverfolgung von Ausländern übernimmt, gibt es nicht. Wie mehrere Verfahrensbeteiligte ausgeführt haben, beruht die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere im Bereich der Auslieferung, auf dem gegenseitigen Vertrauen der Vertragsparteien. Würde die Auslieferung mutmaßlicher Straftäter weiter eingeschränkt, könnte dies dazu führen, dass andere Vertragsparteien weniger gern bereit wären, Abkommen mit Mitgliedstaaten der Union einzugehen. Das kann jedoch nicht im Interesse der Europäischen Union liegen, die laut den Erwägungsgründen des Vertrags über die Europäische Union „ENTSCHLOSSEN [ist], die Freizügigkeit unter gleichzeitiger Gewährleistung der Sicherheit ihrer Bürger durch den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts … zu fördern“.

    106.

    Nach diesen ausführlichen Erörterungen genügt jedenfalls zur Beantwortung der dritten Frage die Feststellung, dass dem ersuchten Staat durch die Petruhhin-Grundsätze keine solche Verpflichtung auferlegt wird, die Strafverfolgung eines Ausländers, um dessen Auslieferung ein Drittstaat ersucht, selbst zu übernehmen.

    V. Ergebnis

    107.

    Zusammenfassend gelange ich daher zu folgendem Ergebnis:

    Das Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2016, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:630), war falsch, und der Gerichtshof sollte ihm jetzt nicht folgen. Rechtspraxis und Erfahrung haben gezeigt, dass die Situation eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der seine eigenen Staatsangehörigen nicht ausliefert, und die Situation von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, im Hinblick auf die Anwendung von Art. 18 AEUV nicht vergleichbar sind. Die praktischen Probleme, die in Bezug auf die potenzielle Straflosigkeit bestehen, werden noch dadurch verschärft, dass es an einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften fehlt. Aus allen vorgenannten Gründen lege ich deshalb dem Gerichtshof nahe, von der Entscheidung in der Rechtssache Petruhhin abzuweichen.

    108.

    Unabhängig davon, ob der Gerichtshof meiner Würdigung folgt oder nicht, bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gerichtshof die vom Kammergericht Berlin (Deutschland) gestellten Fragen wie folgt beantworten sollte:

    1.

    Die Art. 18 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass Unionsbürger nicht allein deshalb daran gehindert sind, die sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Rechte geltend zu machen, weil sie die Unionsbürgerschaft erst erlangt haben, nachdem sie ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen, dessen Staatsangehörigkeit sie später erlangt haben, verlegt hatten und somit ihr Recht auf Freizügigkeit nicht erst ausgeübt haben, nachdem sie Unionsbürger geworden sind. Soweit (wie hier) das Recht des Unionsbürgers, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, auf Unionsrecht beruht, ist der Bürger berechtigt, sich auf die durch die Art. 18 und 21 AEUV garantierten Rechte zu berufen.

    2.

    Es gibt keine unionsrechtliche Verpflichtung des Herkunftsmitgliedstaats, den ersuchenden Drittstaat um Übermittlung der Akten zur Prüfung der Verfolgungsübernahme zu ersuchen.

    3.

    Es gibt keine unionsrechtliche Verpflichtung des ersuchten Staates, die Strafverfolgung eines Ausländers, um dessen Auslieferung ersucht wird, selbst zu übernehmen.


    ( 1 ) Originalsprache: Englisch.

    ( 2 ) ABl. 2002, L 190, S. 1, in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss 2002/584).

    ( 3 ) 21 Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen des Europarats vom 13. Dezember 1957 (Sammlung Europäischer Verträge – Nr. 024) eine Erklärung hinzugefügt, in der sie erklären, dass sie ihre eigenen Staatsangehörigen nicht ausliefern, und/oder die Bedeutung des Begriffs „Staatsangehöriger“ im Sinne des Europäischen Auslieferungsübereinkommens bestimmen, wobei dieser zum Teil enger und zum Teil weiter definiert wird. So haben etwa Dänemark, Finnland und Schweden die Ausnahme von der Auslieferung auf die Staatsangehörigen der genannten Länder sowie Norwegens und Islands und auf Personen mit Wohnsitz in einem dieser Länder erweitert. Polen und Rumänien dagegen haben die Ausnahme von der Auslieferung auf die in ihren Ländern als Flüchtlinge anerkannten Personen erweitert. Die Erklärungen und Vorbehalte sind online auf der Website des Europarats unter https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/024/declarations?p_auth=BNlW2Sc9 (zuletzt abgerufen am 11. September 2020) zu finden. Daraus ist zu ersehen, wie häufig vom Auslieferungsschutz für die eigenen Staatsangehörigen Gebrauch gemacht wird. Nähere Angaben zu der von Deutschland abgegebenen Erklärung sind Nr. 11 dieser Schlussanträge zu entnehmen.

    ( 4 ) „Auslieferungsschutz für eigene Staatsangehörige“. Es wird auf die Ausführungen in Deen-Ryacsmány, Z., und Judge Blekxtoon, R., „The Decline of the Nationality Exception in European Extradition“, in European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice, Bd. 13(3), Brill Nijhof, S. 317 bis 364 verwiesen, wo die Verfasser auf S. 322 darauf hinweisen, dass „[i]n Europa … die Geschichte der Nichtauslieferung eigener Staatsangehöriger mindestens bis ins 18./19. Jahrhundert [zurückreicht]. Die Dominanz der auf dem römischen Recht beruhenden Rechtsordnungen führte dazu, dass der Auslieferungsschutz für die eigenen Staatsangehörigen zur anerkannten Regel wurde, die in entsprechenden Bestimmungen der Verfassungen, der nationalen Gesetze und Auslieferungsabkommen verankert wurde. Selbst in den Abkommen, die mit Staaten abgeschlossen wurden, deren Rechtsordnung auf dem Common Law beruht, das die Auslieferung eigener Staatsangehöriger zulässt, blieb die Freiheit der Vertragsparteien, ihre eigenen Staatsangehörigen nicht auszuliefern, in der Regel unberührt.“

    ( 5 ) Wie bereits von Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:330, Fn. 25) angemerkt wurde, ist „Pflicht zur Verfolgung“ der in diesem Zusammenhang am häufigsten verwendete Ausdruck. Tatsächlich ist die Pflicht jedoch darauf beschränkt, die Angelegenheit den Strafverfolgungsbehörden zu übergeben. Es gibt keine eigentliche Pflicht, die Strafverfolgung einzuleiten. Ob die Strafverfolgung eingeleitet wird, ist vielmehr von der Beweislage abhängig; siehe dazu allgemein „The obligation to extradite or prosecute (aut dedere aut judicare)“, in Final Report of the International Law Commission 2014, Nr. 21.

    ( 6 ) Vgl. z. B. die Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vom 7. September 1927, The Case of the S.S. Lotus (Fr. v. Turk.), 1927 P.C.I.J. (ser. A) Nr. 10.

    ( 7 ) Urteil vom 6. September 2016 (C‑182/15, EU:C:2016:630) (im Folgenden: Urteil Petruhhin).

    ( 8 ) Urteil Petruhhin, Rn. 39.

    ( 9 ) Urteil Petruhhin, Rn. 50.

    ( 10 ) In Deutschland seit dem 1. Januar 1977 und in der Ukraine seit dem 9. Juni 1998 in Kraft. In Rumänien ist das Europäische Auslieferungsabkommen von 1957 am 9. Dezember 1997 in Kraft getreten.

    ( 11 ) Sammlung Europäischer Verträge Nr. 098, in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 6. Juni 1991, in Rumänien seit dem 9. Dezember 1997 und in der Ukraine seit dem 9. Juni 1998 in Kraft. Das Vierte Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen, Sammlung Europäischer Verträge Nr. 212, durch das Art. 12 des Europäischen Auslieferungsabkommens von 1957 weiter geändert wurde, ist hier nicht anwendbar, weil es noch nicht von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert worden ist und deshalb im Verhältnis zwischen Deutschland und der Ukraine keine Anwendung findet.

    ( 12 ) Siehe Art. 5 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 17. März 1978, Sammlung der Europaratsverträge Nr. 098.

    ( 13 ) Erklärung in einer Verbalnote der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland beim Europarat vom 8. November 2010, die am 9. November 2010 beim Generalsekretariat des Vertragsbüros des Europarats registriert wurde.

    ( 14 ) BGBl. 1949 S. 1, in der durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 16) vom 29. November 2000, geänderten Fassung (BGBl. I 2000 S. 1633).

    ( 15 ) In der am 13. November 1998 veröffentlichten Fassung (BGBl. I S. 3322), die zuletzt durch Art. 62 des Zweiten Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetzes EU vom 20. November 2019 (BGBl. I S. 1626) geändert wurde.

    ( 16 ) Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in der am 27. Juni 1994 veröffentlichten Fassung (BGBl. I S. 1537) mit späteren Änderungen (im Folgenden: IRG).

    ( 17 ) § 15 Abs. 2 IRF bestimmt, dass keine Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet werden kann, wenn die Auslieferung von vornherein unzulässig erscheint.

    ( 18 ) Gemäß § 112 Abs. 1 der Strafprozessordnung darf die Untersuchungshaft nur angeordnet werden, wenn der Beschuldigte der Tat „dringend verdächtig“ ist; dies kann nur auf der Grundlage einer Prüfung der vorliegenden Beweismittel bejaht werden. Wie bereits ausgeführt wurde, ist der ersuchte Staat im Allgemeinen nicht im Besitz der dafür erforderlichen Akte.

    ( 19 ) Urteil vom 10. April 2018 (C‑191/16, EU:C:2018:222).

    ( 20 ) Urteil vom 13. November 2018 (C‑247/17, EU:C:2018:898).

    ( 21 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:330).

    ( 22 ) Nach dem lettischen Strafgesetz war die extraterritoriale Zuständigkeit auch bei Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für Lettland begründet; vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:330, Nr. 65).

    ( 23 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:330, Nrn. 49 bis 70).

    ( 24 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:330, Nrn. 68 und 69).

    ( 25 ) Urteil Petruhhin, Rn. 33.

    ( 26 ) Urteil Petruhhin, Rn. 37. Vgl. auch Urteil vom 10. April 2018, Pisciotti (C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 46 und 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 27 ) Urteil Petruhhin, Rn. 42 und 47.

    ( 28 ) Urteil Petruhhin, Rn. 50.

    ( 29 ) Urteil Petruhhin, Rn. 50.

    ( 30 ) Dies setzt voraus, dass die Gerichte des Herkunftsmitgliedstaats nach dem nationalen Recht die Zuständigkeit für die Verfolgung von der betreffenden Person außerhalb des Hoheitsgebiets des Herkunftsmitgliedstaats begangener Straftaten haben.

    ( 31 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:330, Nr. 51).

    ( 32 ) Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vom 7. September 1927, The Case of the S.S. Lotus (Fr. v. Turk.), 1927 P.C.I.J. (ser. A) Nr. 10.

    ( 33 ) Vgl. O’Connell, D., International Law, 2. Aufl., Bd. 2, Stevens, 1979, S. 602; Crawford, J., Brownlie’s Principles of Public International Law, 8. Aufl., Oxford University Press, 2012, S. 457; Ipsen, K., Völkerrecht, 6. Aufl., Nrn. 71 bis 74; siehe auch Combacau, J., und Sur, S., Droit international public, 13. Aufl., S. 390, die darauf hinweisen, dass die Ausübung normativer Macht in Bezug auf extraterritoriale Sachverhalte, wenn keinerlei Anknüpfungspunkt im Hinblick auf das Hoheitsgebiet oder die Staatsangehörigkeit gegeben ist, in hohem Maße subsidiär und auf sehr wenige Tatbestände beschränkt ist. Ein gutes Beispiel dafür, wie dieser die Zuständigkeit betreffenden Vorgabe in der Praxis Rechnung getragen wird, ist Art. 4 Abs. 3 des lettischen Strafgesetzes, um den es in der Rechtssache Petruhhin ging; diese Vorschrift gestattet die Strafverfolgung von Ausländern wegen außerhalb des lettischen Hoheitsgebiets begangener „schwere[r] oder besonders schwere[r] Straftaten …, die sich gegen die Interessen der Republik Lettland oder ihrer Bewohner richten“: siehe dazu Schlussanträge des Generalanwalts Bot, Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:330, Nr. 67).

    ( 34 ) Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vom 7. September 1927, The Case of the S.S. Lotus (Fr. v. Turk.), 1927 P.C.I.J. (ser. A) Nr. 10.

    ( 35 ) Vgl. z. B. Ryngaert, C., Jurisdiction in International Law, 2. Aufl., Oxford University Press, 2015, S. 30 bis 48; Beaulac, S., „The Lotus Case in Context“, in Allen, S., et al., Oxford Handbook of Jurisdiction in International Law, Oxford University Press, 2019, S. 40 bis 58.

    ( 36 ) Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 14. Februar 2002, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), [2002] ICJ Reports 2002, Rn. 16 des Sondervotums von Präsident Guillaume.

    ( 37 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Petruhhin, Rn. 39.

    ( 38 ) Schlussanträge (C‑182/15, EU:C:2016:330, Nrn. 68 und 69).

    ( 39 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Petruhhin (C‑182/15, EU:C:2016:330, Nr. 68).

    ( 40 ) Urteil Petruhhin, Rn. 50.

    ( 41 ) Urteil vom 13. November 2018 (C‑247/17, EU:C:2018:898).

    ( 42 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Raugevicius (C‑247/17, EU:C:2018:616).

    ( 43 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Raugevicius (C‑247/17, EU:C:2018:616, Nr. 55).

    ( 44 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Raugevicius (C‑247/17, EU:C:2018:616, Nr. 56).

    ( 45 ) Urteil Petruhhin, Rn. 50.

    ( 46 ) Urteil vom 13. November 2018, Raugevicius (C‑247/17, EU:C:2018:898, Rn. 31).

    ( 47 ) Urteil vom 13. November 2018, Raugevicius (C‑247/17, EU:C:2018:898, Rn. 36).

    ( 48 ) Sammlung Europäischer Verträge Nr. 112 (Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen).

    ( 49 ) Urteil vom 13. November 2018, Raugevicius (C‑247/17, EU:C:2018:898, Rn. 47 und 48).

    ( 50 ) Urteil vom 13. November 2018 (C‑247/17, EU:C:2018:898).

    ( 51 ) Urteil vom 13. November 2018 (C‑247/17, EU:C:2018:898).

    ( 52 ) Das heißt, indem (gegebenenfalls) festgestellt wird, dass Herr Raugevicius seinen ständigen Wohnsitz in Finnland hat und er deshalb Anspruch darauf hat, genauso behandelt zu werden wie finnische Staatsangehörige.

    ( 53 ) Urteil Petruhhin, Rn. 50.

    ( 54 ) Die Kommission weist darauf hin, dass diese Antworten kurzfristig und nur auf der Ebene des Mitarbeiterstabs eingeholt wurden, was bedeutet, dass die Mitgliedstaaten ihre Antwort jederzeit ergänzen und/oder näher ausführen können.

    ( 55 ) Längere Fristen sind weniger problematisch, wenn sich die gesuchte Person bereits wegen einer anderen Straftat als derjenigen, derentwegen um ihre Auslieferung ersucht wird, in Haft befindet.

    ( 56 ) Wegen des Vorrangs des Unionsrechts gegenüber internationalen Verträgen, bei denen die Europäische Union selbst nicht Vertragspartei ist, ist dies allerdings kein entscheidender Faktor. Vgl. auch nachstehend Nr. 107 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 57 ) Urteile vom 20. März 1997, Hayes (C‑323/95, EU:C:1997:169, Rn. 13), und Petruhhin, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung.

    ( 58 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2019, Rimšēvičs und EZB/Lettland (C‑202/18 und C‑238/18, EU:C:2019:139, Rn. 57).

    ( 59 ) In diesem Sinne auch Urteile vom 2. Februar 1989, Cowan (186/87, EU:C:1989:47, Rn. 19), vom 24. November 1998, Bickel und Franz (C‑274/96, EU:C:1998:563, Rn. 17), und vom 28. April 2011, El Dridi (C‑61/11 PPU, EU:C:2011:268, Rn. 53 und 54).

    ( 60 ) Urteile vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 22 bis 24), und vom 13. Juni 2019, TopFit und Biffi (C‑22/18, EU:C:2019:497, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 2. April 2020, Ruska Federacija (C‑897/19, EU:C:2020:262, Rn. 40).

    ( 61 ) Urteil vom 5. Mai 2011, McCarthy (C‑434/09, EU:C:2011:277, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 62 ) Urteil vom 9. November 2000, Yiadom (C‑357/98, EU:C:2000:604, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie, hinsichtlich des erstgenannten Aspekts, Urteil vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen (C‑200/02, EU:C:2004:639, Rn. 31).

    ( 63 ) Urteil vom 5. Mai 2011 (C‑434/09, EU:C:2011:277).

    ( 64 ) Urteil vom 5. Mai 2011, McCarthy (C‑434/09, EU:C:2011:277, Rn. 49).

    ( 65 ) Urteil vom 5. Mai 2011, McCarthy (C‑434/09, EU:C:2011:277, Rn. 46).

    ( 66 ) Urteil vom 12. Juli 2005, Schempp (C‑403/03, EU:C:2005:446, Rn. 25).

    ( 67 ) Urteil vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen (C‑200/02, EU:C:2004:639, Rn. 19).

    ( 68 ) Urteil vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539, Rn. 27).

    ( 69 ) Urteil vom 13. November 2018, Raugevicius (C‑247/17, EU:C:2018:898, Rn. 29), siehe auch Urteil vom 7. Juli 1992, Micheletti u. a./Delegación del Gobierno en Cantabria (C‑369/90, EU:C:1992:295, Rn. 19).

    ( 70 ) Urteil vom 5. Mai 2011, McCarthy (C‑434/09, EU:C:2011:277).

    ( 71 ) Urteil vom 14. November 2017 (C‑165/16, EU:C:2017:862).

    ( 72 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Petruhhin, Rn. 42.

    ( 73 ) Da es sich bei der gesuchten Person um einen Staatsangehörigen des Herkunftsmitgliedstaats handelt, fiele dieser Fall nur bei umgekehrter Diskriminierung (Inländerdiskriminierung) in den Anwendungsbereich der Art. 18 und 21 AEUV. In seiner Entscheidung im Urteil vom 11. Juli 2002, D’Hoop (C‑224/98, EU:C:2002:432, Rn. 30), hat der Gerichtshof ausgeführt, dass „es mit dem Recht auf Freizügigkeit unvereinbar [wäre], wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger [der Betreffende] ist, [diesen] deshalb weniger günstig behandeln würde, weil er von den Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, die ihm die Freizügigkeitsbestimmungen des EG-Vertrags eröffnen“. Diese Fälle betreffen Staatsangehörige, die, nachdem sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, in ihr Heimatland zurückkehren und dort dann anders behandelt werden als Staatsangehörige, die im Heimatland geblieben sind. Dies ist jedoch bei BY nicht der Fall. Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 7. Juli 1992, Singh (C‑370/90, EU:C:1992:296, Rn. 23).

    ( 74 ) Latvijas Vēstnesis, 11.05.2005, Nr. 74 (3232). Abrufbar auf Lettisch, Englisch und Russisch: https://likumi.lv/doc.php?id=107820 (zuletzt abgerufen am 11. September 2020). Laut der schriftlichen Erwiderung der Kommission auf eine vom Gerichtshof gestellte Frage hat auch die Republik Österreich ihr Gesetz in ähnlicher Weise geändert, indem in § 31 des Bundesgesetzes über die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen ein neuer Abs. 1a aufgenommen wurde (veröffentlicht im BGBl. I Nr. 20/2020), der am 1. Juni 2020 in Kraft getreten ist.

    ( 75 ) Urteil vom 10. April 2018, Pisciotti (C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 56).

    ( 76 ) Urteil Petruhhin, Rn. 50.

    ( 77 ) Urteil vom 10. April 2018, Pisciotti (C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 56).

    ( 78 ) Urteil vom 10. April 2018 (C‑191/16, EU:C:2018:222).

    ( 79 ) Urteil Petruhhin, Rn. 50.

    ( 80 ) Urteil vom 10. April 2018 (C‑191/16, EU:C:2018:222).

    ( 81 ) Urteil vom 28. Juni 2018, Crespo Rey (C‑2/17, EU:C:2018:511, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 82 ) Urteil vom 24. Oktober 2013, Stoilov i Ko (C‑180/12, EU:C:2013:693, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 83 ) Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23. April 2019 (4StR 41/19), abrufbar auf der Website des Bundesgerichtshofs: https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=09ff6a4c826bba36ff9531132f1210e7&nr=96151&pos=0&anz=1 (zuletzt abgerufen am 11. September 2020).

    ( 84 ) Vgl. auch die Schlussanträge von Generalanwalt Bot in der Rechtssache Pisciotti (C‑191/16, EU:C:2017:878, Nr. 48), und das Urteil vom 10. April 2018, Pisciotti (C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 49), in denen auf diese Lesart der genannten Bestimmung Bezug genommen wird.

    ( 85 ) Urteil vom 13. Juni 2013, Kostov (C‑62/12, EU:C:2013:391, Rn. 24 und 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 86 ) Nach Auffassung des Prozessbevollmächtigten von BY ist die Bestimmung im vorliegenden Fall anwendbar.

    ( 87 ) Urteil Petruhhin, Rn. 39.

    ( 88 ) Urteil vom 10. April 2018 (C‑191/16, EU:C:2018:222).

    ( 89 ) Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Pisciotti (C‑191/16, EU:C:2017:878, Nr. 48).

    ( 90 ) Urteil vom 10. April 2018, Pisciotti (C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 50).

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