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Document 62015CJ0046

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 7. Juli 2016.
Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA gegen AICP – Associação de Industriais do Concelho de Pombal.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Central Administrativo Sul.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2004/18/EG – Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich – Technische Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers – Unmittelbare Wirkung – Arten des Nachweises – Rangordnung zwischen der Bescheinigung eines privaten Erwerbers und der einseitigen Erklärung des Bieters – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Verbot, wesentliche Änderungen hinsichtlich der vorgesehenen Nachweise einzuführen.
Rechtssache C-46/15.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:530

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

7. Juli 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Öffentliche Aufträge — Richtlinie 2004/18/EG — Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich — Technische Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers — Unmittelbare Wirkung — Arten des Nachweises — Rangordnung zwischen der Bescheinigung eines privaten Erwerbers und der einseitigen Erklärung des Bieters — Grundsatz der Verhältnismäßigkeit — Verbot, wesentliche Änderungen hinsichtlich der vorgesehenen Nachweise einzuführen“

In der Rechtssache C‑46/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Central Administrativo Sul (Zentrales Verwaltungsgericht Süd, Portugal) mit Entscheidung vom 29. Januar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Februar 2015, in dem Verfahren

Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA

gegen

AICP – Associação de Industriais do Concelho de Pombal,

Beteiligte:

Índice – ICT & Management Lda,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano (Berichterstatter), der Richter F. Biltgen und A. Borg Barthet sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Januar 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA, vertreten durch H. Rodrigues da Silva, advogado,

der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und F. Batista als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braga da Cruz und A. Tokár als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. März 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ambisig – Ambiente e Sistemas de Informação Geográfica SA (im Folgenden: Ambisig) und der AICP – Associação de Industriais do Concelho de Pombal (im Folgenden: AICP) wegen der Entscheidung dieser Einrichtung, die Bewerbung von Ambisig von einem Ausschreibungsverfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags auszuschließen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Die Erwägungsgründe 1, 2, 4, 32 und 46 der Richtlinie 2004/18 lauten:

„(1)

Anlässlich weiterer Änderungen der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge [(ABl. 1992, L 209, S. 1)], der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge [(ABl. 1993, L 199, S. 1)] und der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge [(ABl. 1993, L 199, S. 54)] mit dem Ziel, die Texte zu vereinfachen und zu modernisieren, so wie dies sowohl von den öffentlichen Auftraggebern als auch von den Wirtschaftsteilnehmern als Reaktion auf das Grünbuch der Kommission vom 27. November 1996 angeregt wurde, empfiehlt sich aus Gründen der Klarheit eine Neufassung in einem einzigen Text. …

(2)

Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz. …

(4)

Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass die Teilnahme einer Einrichtung des öffentlichen Rechts als Bieter in einem Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge keine Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privatrechtlichen Bietern verursacht.

(32)

Um den Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen zu fördern, sollten Bestimmungen über Unteraufträge vorgesehen werden.

(46)

Die Zuschlagserteilung sollte auf der Grundlage objektiver Kriterien erfolgen, die die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung gewährleisten und sicherstellen, dass die Angebote unter wirksamen Wettbewerbsbedingungen bewertet werden. …“

4

Art. 1 Abs. 9 der Richtlinie 2004/18 sieht vor:

„‚Öffentliche Auftraggeber‘ sind der Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts und die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen.

Als ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ gilt jede Einrichtung, die

a)

zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen,

b)

Rechtspersönlichkeit besitzt und

c)

überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.

Die nicht erschöpfenden Verzeichnisse der Einrichtungen und Kategorien von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die die in Unterabsatz 2 Buchstaben a, b und c genannten Kriterien erfüllen, sind in Anhang III enthalten. Die Mitgliedstaaten geben der Kommission regelmäßig die Änderungen ihrer Verzeichnisse bekannt.“

5

Art. 48 („Technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit“) der Richtlinie 2004/18 bestimmt:

„(1)   Die technische und/oder berufliche Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers wird gemäß den Absätzen 2 und 3 bewertet und überprüft.

(2)   Der Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers kann je nach Art, Menge oder Umfang und Verwendungszweck der Bauleistungen, der zu liefernden Erzeugnisse oder der Dienstleistungen wie folgt erbracht werden:

a)

i)

ii)

durch eine Liste der in den letzten drei Jahren erbrachten wesentlichen Lieferungen oder Dienstleistungen mit Angabe des Werts, des Liefer- bzw. Erbringungszeitpunkts sowie des öffentlichen oder privaten Empfängers. Die Lieferungen und Dienstleistungen werden wie folgt nachgewiesen:

wenn es sich bei dem Empfänger um einen privaten Erwerber handelt, durch eine vom Erwerber ausgestellte Bescheinigung oder, falls eine derartige Bescheinigung nicht erhältlich ist, durch eine einfache Erklärung des Wirtschaftsteilnehmers;

…“

Portugiesisches Recht

6

Die Richtlinie 2004/18 wurde durch den Código dos Contratos Públicos (Gesetzbuch über öffentliche Aufträge) in die portugiesische Rechtsordnung umgesetzt, der durch die Verordnung Nr. 18/2008 vom 29. Januar 2008 in der geänderten und als Anhang der Verordnung Nr. 287/2009 vom 2. Oktober 2009 neu veröffentlichten Fassung (Diário da República, 1. Serie, Nr. 192, vom 2. Oktober 2009) genehmigt wurde.

7

Art. 165 dieses Gesetzbuchs lautet:

„1 -   Die Mindestanforderungen an die technische Leistungsfähigkeit gemäß Abs. 1 Buchst. h des vorstehenden Artikels müssen der Art der Leistungen, die Gegenstand des zu vergebenden Auftrags sind, angepasst sein und die Situationen, Qualitäten, Spezifikationen oder anderen Umstände beschreiben, insbesondere betreffend:

a)

die Berufserfahrung der Bewerber;

b)

das von den Bewerbern gleichgültig zu welchem Zweck eingesetzte Personal, Technologien, Ausrüstung oder Sonstiges;

c)

das Organisationsmodell und die organisatorische Leistungsfähigkeit der Bewerber, insbesondere hinsichtlich der Leitung und des Einbringens von Spezialkompetenzen sowie von Datenverarbeitungs- und Qualitätsüberwachungssystemen;

d)

die Fähigkeit der Bewerber, bei der Ausführung des zu vergebenden Auftrags Umweltmanagementmaßnahmen zu ergreifen;

e)

die Informationen aus der Datenbank des Instituto da Construção e do Imobiliário, I. P. über Unternehmer, wenn es sich um die Vergabe eines Bauauftrags oder eine öffentliche Baukonzession handelt.

5 -   Die in Abs. 1 aufgeführten Mindestanforderungen an die technische Leistungsfähigkeit und der Faktor ‚f‘ gemäß Abs. 1 Ziff. i des vorstehenden Artikels dürfen nicht diskriminierend festgelegt werden.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8

Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergibt sich, dass die AICP als öffentliche Auftraggeberin am 10. Dezember 2013 ein nicht offenes Vergabeverfahren nach vorheriger Qualifikation zum Zweck der Vergabe eines Dienstleistungsauftrags über die „Implementierung von Systemen für Umweltmanagement, Qualität und Technologieplattformen in 13 Unternehmen“ einleitete.

9

Art. 12 Abs. 1 Buchst. c und f der Bekanntmachung bestimmte:

„Die Bewerber müssen für ihre Qualifizierung folgende Bewerbungsunterlagen vorlegen:

c)

Bescheinigung des Kunden auf Papier mit Briefkopf und Stempel zum Nachweis der Implementierung des Umweltmanagementsystems und/oder Qualitätsmanagementsystems durch den Bewerber entsprechend der Mustererklärung in Anhang VIII der vorliegenden Bekanntmachung. Die Erklärung muss mit einer Unterschrift versehen sein, die von einem Notar, einem Rechtsanwalt oder einer anderen hierzu befugten Stelle beglaubigt wurde, wobei die Eigenschaft des Unterzeichnenden anzugeben ist;

f)

Bescheinigung des Kunden auf Papier mit Briefkopf und Stempel zum Nachweis der Implementierung von Systemen für das Management, die Entwicklung und die Implementierung von Technologieplattformen im Netz, der Erstellung von Software für Managementsysteme sowie der Durchführung von Koordinierungsmaßnahmen durch den Bewerber, unter Angabe des jeweiligen Werts im Einklang mit dem Erklärungsmuster in Anhang IX der vorliegenden Bekanntmachung. Die Erklärung muss mit einer Unterschrift versehen sein, die von einem Notar, einem Rechtsanwalt oder einer anderen hierzu befugten Stelle beglaubigt wurde, wobei die Eigenschaft des Unterzeichnenden anzugeben ist; …“

10

Mit Entscheidung vom 27. März 2014 billigte die AICP den abschließenden Bericht des Prüfungsausschusses, mit dem die Índice ICT & Management Lda für die Angebotsphase ausgewählt und u. a. die Bewerbung von Ambisig mit der Begründung zurückgewiesen wurde, dass diese Gesellschaft zum einen die Anforderungen an ihre technische Leistungsfähigkeit nicht durch eine im Einklang mit Art. 12 der Bekanntmachung beglaubigte Bescheinigung eines privaten Erwerbers nachgewiesen habe und dass sie zum anderen weder belegt noch geltend gemacht habe, dass es ihr unmöglich gewesen sei oder dass sie ernsthafte Schwierigkeiten gehabt habe, eine solche Bescheinigung vorzulegen.

11

Im Rahmen der von Ambisig gegen diese Entscheidung erhobenen Klage gab das Tribunal Administrativo e Fiscal de Leiria (Verwaltungs- und Finanzgericht Leiria, Portugal) mit Urteil vom 11. Juni 2014 den von dieser Gesellschaft vorgetragenen Klagegründen teilweise statt, hob die Entscheidung der AICP auf und verurteilte diese dazu, innerhalb von 20 Tagen eine neue Bekanntmachung zu erlassen.

12

Ambisig legte gegen dieses Urteil bei der Kollegialkammer dieses Gerichts Beschwerde mit der Begründung ein, das Gericht habe zu Unrecht die Klagegründe zurückgewiesen, die insbesondere auf die Unvereinbarkeit der vom öffentlichen Auftraggeber für den Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit der Bewerber aufgestellten Bestimmungen mit den insoweit in Art. 48 der Richtlinie 2004/18 vorgesehenen Anforderungen gestützt gewesen seien.

13

Nachdem die Kollegialkammer des Tribunal Administrativo e Fiscal de Leiria (Verwaltungs- und Finanzgericht Leiria) diese Beschwerde mit Urteil vom 6. August 2014 zurückgewiesen hatte, legte Ambisig bei dem vorlegenden Gericht ein Rechtsmittel mit der Begründung ein, dass auch in diesem Urteil nicht festgestellt worden sei, dass die vom öffentlichen Auftraggeber für die Handhabung des Nachweises der technischen Leistungsfähigkeit der Bewerber aufgestellten Bestimmungen gegen Art. 48 der Richtlinie 2004/18 verstießen.

14

Unter diesen Umständen hat das Tribunal Central Administrativo Sul (Zentrales Verwaltungsgericht Süd, Portugal) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 angesichts der Tatsache, dass der darin geregelte Bereich im portugiesischen Recht nicht geregelt ist, in der portugiesischen Rechtsordnung in dem Sinne unmittelbar anwendbar, dass er Privatpersonen Rechte verleiht, die diese gegenüber den öffentlichen Auftraggebern geltend machen können?

2.

Ist Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 in dem Sinne auszulegen, dass er der Anwendung von von einem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bestimmungen entgegensteht, die es einem Wirtschaftsteilnehmer nicht erlauben, die Erbringungen von Dienstleistungen durch eine von ihm unterzeichnete Erklärung nachzuweisen, es sei denn, er weist nach, dass die Beschaffung einer Bescheinigung des privaten Erwerbers unmöglich oder mit ernsthaften Schwierigkeiten verbunden ist?

3.

Ist Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 in dem Sinne auszulegen, dass er der Anwendung von von einem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bestimmungen entgegensteht, die verlangen, dass die Bescheinigung des privaten Erwerbers mit einer von einem Notar, einem Rechtsanwalt oder einer anderen befugten Stelle beglaubigten Unterschrift versehen ist, und andernfalls den Ausschluss des Bewerbers vorsehen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

15

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen ist, dass er – bei fehlender Umsetzung in innerstaatliches Recht – die Voraussetzungen erfüllt, um Privatpersonen Rechte zu verleihen, die diese vor den nationalen Gerichten gegenüber einem öffentlichen Auftraggeber geltend machen können.

16

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass sich der Einzelne nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Fällen, in denen der Staat eine Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat, vor nationalen Gerichten ihm gegenüber nur auf die Bestimmungen dieser Richtlinie berufen kann, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 2013, Portgás, C‑425/12, EU:C:2013:829, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 14. Januar 2014, Association de médiation sociale, C‑176/12, EU:C:2014:2, Rn. 31, und vom 15. Mai 2014, Almos Agrárkülkereskedelmi, C‑337/13, EU:C:2014:328, Rn. 31).

17

Wie der Generalanwalt in Nr. 25 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, genügt Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 diesen Kriterien, weil er zum einen eine Verpflichtung begründet, die weder an irgendeine zusätzliche Anforderung geknüpft noch vom Erlass eines Rechtsakts der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten abhängig ist, und zum anderen eindeutig und vollständig die Angaben anführt, die von den Wirtschaftsteilnehmern zum Nachweis ihrer technischen Leistungsfähigkeit in den Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge verlangt werden können.

18

In diesem Sinne hat der Gerichtshof im Übrigen bereits in Bezug auf die Richtlinie 92/50, die durch die Richtlinie 2004/18 aufgehoben und ersetzt wurde, entschieden.

19

So hat der Gerichtshof in den Rn. 46 und 47 des Urteils vom 24. September 1998, Tögel (C‑76/97, EU:C:1998:432), den Standpunkt eingenommen, dass die Vorschriften von Abschnitt VI der Richtlinie 92/50, darunter insbesondere ihr Art. 32 Abs. 2, dessen Inhalt in Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 nahezu unverändert übernommen wurde, unmittelbare Wirkungen entfalten können.

20

Um eine zweckdienliche Antwort auf die erste Frage zu geben, ist allerdings noch zu klären, ob Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 jeder Stelle entgegengehalten werden kann, die als „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie zu qualifizieren ist.

21

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Richtlinie zwar nicht selbst Verpflichtungen für einen Privaten begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist (vgl. insbesondere Urteile vom 24. Januar 2012, Dominguez, C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 15. Januar 2015, Ryanair, C‑30/14, EU:C:2015:10, Rn. 30), sich der Einzelne jedoch, wenn er sich nicht einem Privaten, sondern dem Staat gegenüber auf eine Richtlinie berufen kann, dies unabhängig davon tun kann, in welcher Eigenschaft der Staat handelt. Es muss nämlich verhindert werden, dass der Staat aus der Nichtbeachtung des Unionsrechts Nutzen ziehen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Januar 2012, Dominguez, C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 12. Dezember 2013, Portgás, C‑425/12, EU:C:2013:829, Rn. 23).

22

Somit können die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie nicht nur einer öffentlichen Einrichtung, sondern auch einer Einrichtung, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen, entgegengehalten werden (Urteil vom 12. Dezember 2013, Portgás, C‑425/12, EU:C:2013:829, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23

Was im vorliegenden Fall die Einordnung der AICP betrifft, scheint aus den von der portugiesischen Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof gemachten Angaben hervorzugehen, dass diese Einrichtung, wenngleich sie unter den Begriff „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne von Art. 1 Abs. 9 der Richtlinie 2004/18 fällt, eine Unternehmensvereinigung des Privatrechts ist, die nicht die vorerwähnten Voraussetzungen dafür erfüllt, dass ihr die Vorschriften dieser Richtlinie entgegengehalten werden können, weil sie nicht unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse erbringt und sie nicht mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt, was zu prüfen allerdings Sache des vorlegenden Gerichts ist.

24

In einem solchen Fall wird es jedoch Aufgabe des vorlegenden Gerichts sein, das nationale Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie 2004/18 auszulegen, um das mit ihrem Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich verfolgte Ziel zu erreichen und damit Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Januar 2012, Dominguez, C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 19. April 2016, DI, C‑441/14, EU:C:2016:278, Rn. 31).

25

Allerdings findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ihre Schranken und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Januar 2012, Dominguez, C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 19. April 2016, DI, C‑441/14, EU:C:2016:278, Rn. 32).

26

Sollte eine mit der Richtlinie 2004/18 vereinbare Auslegung des nationalen Rechts nicht möglich sein, könnte sich die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigte Partei somit auf die auf dem Urteil vom 19. November 1991, Francovich u. a. (C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:428), beruhende Rechtsprechung berufen, um gegebenenfalls Ersatz des ihr entstandenen Schadens zu erlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2015, Fenoll, C‑316/13, EU:C:2015:200, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen ist, dass er die Voraussetzungen erfüllt, um – bei fehlender Umsetzung in innerstaatliches Recht – Privatpersonen Rechte zu verleihen, die diese vor den nationalen Gerichten gegenüber einem öffentlichen Auftraggeber geltend machen können, soweit dieser eine öffentliche Einrichtung ist oder kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt.

Zur zweiten Frage

28

Mit seiner zweiten Frage fragt das vorlegende Gericht danach, ob Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 der Anwendung von von einem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bestimmungen entgegensteht, die es einem Wirtschaftsteilnehmer nicht erlauben, seine technische Leistungsfähigkeit durch eine einseitige Erklärung nachzuweisen, es sei denn, er weist nach, dass die Beschaffung einer Bescheinigung des privaten Erwerbers unmöglich oder mit ernsthaften Schwierigkeiten verbunden ist.

29

Hierzu ist vorab darauf hinzuweisen, dass nach Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie 2004/18 der Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers durch eine Liste der in den letzten drei Jahren vor der Veröffentlichung der Bekanntmachung erbrachten wesentlichen Lieferungen oder Dienstleistungen erbracht werden kann.

30

Handelt es sich bei dem Empfänger dieser Leistungen um einen privaten Erwerber, kann der Nachweis dieser Lieferungen oder Dienstleistungen gemäß dem zweiten Gedankenstrich dieser Bestimmung auf zwei unterschiedliche Arten erbracht werden, nämlich „durch eine vom Erwerber ausgestellte Bescheinigung oder, falls eine derartige Bescheinigung nicht erhältlich ist, durch eine einfache Erklärung des Wirtschaftsteilnehmers“.

31

Die von dem vorlegenden Gericht aufgeworfene Frage bezieht sich gerade auf das Verhältnis zwischen diesen beiden Arten von Nachweisen: Mit ihr soll geklärt werden, ob sie gleichrangig sind – und der Wirtschaftsteilnehmer seine technische Leistungsfähigkeit somit nach Belieben in gleicher Weise entweder durch eine von dem privaten Erwerber ausgestellte Bescheinigung oder durch eine einfache, von ihm selbst verfasste Erklärung nachweisen kann – oder ob der Unionsgesetzgeber vielmehr eine Rangordnung zwischen diesen Arten von Nachweisen vorgesehen hat und ein Wirtschaftsteilnehmer nur dann auf eine solche einseitige Erklärung zurückgreifen kann, wenn er nicht in der Lage ist, die genannte Bescheinigung zu erlangen.

32

Insoweit ist festzustellen, dass Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 in Worten abgefasst ist, die, entsprechend ihrem üblichen Sinn im gewöhnlichen Sprachgebrauch, keinen Raum für vernünftige Zweifel lassen.

33

Wie der Generalanwalt in Nr. 43 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, verweist die in dieser Bestimmung gebrauchte Wendung „falls eine derartige Bescheinigung nicht erhältlich ist“ nach ihrem gewöhnlichen Sinn nämlich nicht auf ein Äquivalenz-, sondern auf ein Subsidiaritätsverhältnis zwischen den genannten Arten von Nachweisen.

34

Daraus folgt, dass Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 bei einer grammatikalischen Auslegung dahin zu verstehen ist, dass einem Wirtschaftsteilnehmer von den öffentlichen Auftraggebern nur dann erlaubt werden kann, seine technische Leistungsfähigkeit durch eine einseitige Erklärung nachzuweisen, wenn er nicht in der Lage ist, die Bescheinigung des privaten Erwerbers zu erlangen.

35

Eine solche Auslegung wird im Übrigen durch den Zusammenhang, in dem die Begriffe dieses Artikels verwendet werden, und durch die mit der Richtlinie 2004/18 verfolgten Ziele bestätigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 2012, GENESIS, C‑190/10, EU:C:2012:157, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Was erstens den Zusammenhang von Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 angeht, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass diese Bestimmung ein geschlossenes System einführt, das die Bewertungs- und Prüfungsmethoden, über die die öffentlichen Auftraggeber hinsichtlich der technischen Leistungsfähigkeit verfügen, begrenzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2012, Édukövízig und Hochtief Construction, C‑218/11, EU:C:2012:643, Rn. 28). Daraus folgt, dass diese Auftraggeber, wenn sie in diesem Bereich keine neuen Arten von Nachweisen einführen können, auch die Bedeutung der bereits vorgesehenen Nachweise nicht beschränken können.

37

Die in Rn. 34 des vorliegenden Urteils vorgenommene grammatikalische Auslegung von Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 ist die einzige, die mit diesem Zusammenhang vereinbar ist. Es steht nämlich fest, dass eine alternative Lesart dieser Bestimmung, wonach die öffentlichen Auftraggeber es jedem Wirtschaftsteilnehmer erlauben müssten, nach Belieben zwischen der einen und der anderen genannten Art des Nachweises zu wählen, die praktische Wirksamkeit und damit unmittelbar die Bedeutung des auf die Bescheinigung des privaten Erwerbers gestützten Nachweises beeinträchtigen würde, da wohl alle Wirtschaftsteilnehmer stets nur eine einseitige Erklärung beibringen würden, um dieser Bestimmung zu entsprechen.

38

Was zweitens die mit der Richtlinie 2004/18 verfolgten Ziele angeht, ist festzustellen, dass das mit ihr eingeführte System, wie aus den Erwägungsgründen 2, 4 und 46 folgt, insbesondere darauf gerichtet ist, Wettbewerbsverzerrungen zwischen privatrechtlichen Bietern zu verhindern und die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung sicherzustellen.

39

Eine grammatikalische Auslegung von Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18, wie sie sich aus Rn. 34 des vorliegenden Urteils ergibt, mit der der Art des Nachweises der Vorzug gegeben werden soll, die auf eine von dem privaten Erwerber des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers stammende Bescheinigung gestützt ist, erweist sich auch als mit der Verfolgung der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Ziele kohärent, weil sie zum einen mehr Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die tatsächliche technische Leistungsfähigkeit dieses Wirtschaftsteilnehmers bietet und es zum anderen ermöglicht, einer fortwährenden Überprüfung der von jedem Wirtschaftsteilnehmer abgegebenen Erklärungen, die der öffentliche Auftraggeber gemäß Art. 44 Abs. 1 und Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/18 vorzunehmen hat, vorzubeugen.

40

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, dürfen die von den öffentlichen Auftraggebern aufgestellten Vorschriften über die Handhabung der beiden in Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 vorgesehenen Arten von Nachweisen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2015, Impresa Edilux und SICEF, C‑425/14, EU:C:2015:721, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Daraus folgt, wie der Generalanwalt in Nr. 50 seiner Schlussanträge und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt haben, dass sich in einer Bekanntmachung enthaltene Bestimmungen, die es einem Wirtschaftsteilnehmer nur dann erlauben, zum Nachweis seiner technischen Leistungsfähigkeit eine einseitige Erklärung vorzulegen, wenn er nachweist, dass die Beschaffung einer Bescheinigung des privaten Erwerbers überhaupt nicht möglich war, als unverhältnismäßig erweisen. Derartige Bestimmungen würden ihn nämlich im Verhältnis zu dem, was für eine Vermeidung einer Verzerrung des Wettbewerbs und zur Wahrung der Grundsätze der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe notwendig ist, unverhältnismäßig belasten.

42

Dagegen stehen in einer Bekanntmachung enthaltene Bestimmungen, denen zufolge sich ein Wirtschaftsteilnehmer auch dann auf eine solche einseitige Erklärung stützen kann, wenn er anhand objektiver Umstände, die von Fall zu Fall zu prüfen sind, nachweist, dass ihn das Bestehen ernsthafter Schwierigkeiten, die etwa auf die Bösgläubigkeit des betreffenden privaten Erwerbers zurückzuführen sein können, an der Beschaffung einer solchen Bescheinigung gehindert hat, mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang, weil dem betreffenden Wirtschaftsteilnehmer mit diesen Bestimmungen keine im Hinblick auf die Verfolgung dieser Ziele unverhältnismäßige Beweislast auferlegt wird.

43

Dies scheint, vorbehaltlich der von dem vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen, bei den Bestimmungen der Fall zu sein, die in der Bekanntmachung der AICP enthalten sind und die im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits angefochten werden.

44

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung von von einem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bestimmungen wie den im Ausgangsrechtsstreit fraglichen, die es einem Wirtschaftsteilnehmer nicht erlauben, seine technische Leistungsfähigkeit durch eine einseitige Erklärung nachzuweisen, es sei denn, er weist nach, dass die Beschaffung einer Bescheinigung des privaten Erwerbers unmöglich oder mit ernsthaften Schwierigkeiten verbunden ist, nicht entgegensteht.

Zur dritten Frage

45

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 der Anwendung von von einem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bestimmungen entgegensteht, die unter Androhung des Ausschlusses der Bewerbung des Bieters vorschreiben, dass die Bescheinigung des privaten Erwerbers mit einer von einem Notar, einem Rechtsanwalt oder einer anderen befugten Stelle beglaubigten Unterschrift versehen sein muss.

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Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Wendung „vom Erwerber ausgestellte Bescheinigung“ in Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 in ihrer portugiesischen Sprachfassung „declaração reconhecida do adquirente“ („beglaubigte Erklärung des Erwerbers“) lautet, was den Schluss nahelegen würde, dass die Bescheinigung des privaten Erwerbers nur dann gilt, wenn sie mit einer beglaubigten Unterschrift versehen ist.

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Wie sämtliche Verfahrensbeteiligte, die schriftliche Erklärungen abgegeben haben, hervorheben, ist der Text der meisten anderen Sprachfassungen dieser Bestimmung jedoch anders formuliert, und zwar in einer Weise, die zu einer weniger restriktiven Auslegung des Umfangs eines solchen Nachweises zu führen scheint. Insbesondere aus der französischen („certification de l'acheteur“), der spanischen („certificado del comprador“), der italienischen („attestazione dell’acquirente“) und der englischen („purchaser’s certification“) Sprachfassung geht nämlich hervor, dass die Wendung „vom Erwerber ausgestellte Bescheinigung“ dahin zu verstehen ist, dass es einem Wirtschaftsteilnehmer erlaubt ist, seine technische Leistungsfähigkeit durch ein einfaches, von einem oder mehreren seiner privaten Erwerber ohne irgendein besonderes Formerfordernis verfasstes Dokument nachzuweisen, in dem die in den letzten drei Jahren erbrachten wesentlichen Lieferungen oder Dienstleistungen mit Angabe des Wertes und des Zeitpunkts dieser Leistungen bestätigt werden.

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Im Hinblick auf diese sprachliche Abweichung ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen sprachlichen Fassungen beanspruchen kann. Die Vorschriften des Unionsrechts müssen nämlich im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Textes des Unionsrechts voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteil vom 15. Oktober 2015, Grupo Itevelesa u. a., C‑168/14, EU:C:2015:685, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

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Was die allgemeine Systematik von Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 angeht, stellt dieser, wie in Rn. 36 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, ein geschlossenes System auf, das die Möglichkeit für die öffentlichen Auftraggeber beschränkt, neue Arten von Nachweisen vorzusehen oder zusätzliche Anforderungen festzulegen, mit denen die Art und die Bedingungen der Vorlage der bereits vorgesehenen Nachweise wesentlich verändert werden.

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Die Anforderung, dass die Unterschrift auf der von dem privaten Erwerber ausgestellten Bescheinigung beglaubigt ist, würde indes ein Formerfordernis einführen, das eine solche wesentliche Änderung hinsichtlich des ersten der beiden in Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 vorgesehenen Nachweise darstellte und das die Schritte, die ein Wirtschaftsteilnehmer vorzunehmen hat, um den Anforderungen an die ihm obliegende Beweislast zu genügen, erschwerte, was mit der allgemeinen Systematik dieses Artikels unvereinbar wäre.

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Hinsichtlich des Ziels der Richtlinie 2004/18 ist darauf hinzuweisen, dass diese, wie sich aus ihrem ersten und ihrem zweiten Erwägungsgrund ergibt, Vorschriften zur Koordinierung aufstellt, mit denen die nationalen Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge insbesondere vereinfacht und modernisiert werden sollen, um den freien Warenverkehr, die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die Ausschreibung solcher Aufträge zu vereinfachen.

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Insbesondere bezweckt diese Richtlinie, wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, den Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen zu fördern, wie in ihrem 32. Erwägungsgrund angeführt ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Oktober 2013, Swm Costruzioni 2 und Mannocchi Luigino, C‑94/12, EU:C:2013:646, Rn. 34, und vom 7. April 2016, Partner Apelski Dariusz, C‑324/14, EU:C:2016:214, Rn. 34).

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Den Beweiswert der Bescheinigung des privaten Erwerbers von der Beglaubigung der darauf angebrachten Unterschrift durch eine dritte Einrichtung abhängig zu machen, würde indes, wie der Generalanwalt in den Nrn. 80 und 81 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ein Formerfordernis einführen, das geeignet wäre, die Beschaffungsmärkte nicht für den größtmöglichen Wettbewerb zu öffnen, sondern die Teilnahme der Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere ausländischer, an solchen Märkten einzuschränken und zu begrenzen.

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Aufgrund der kurzen Fristen, die in der Regel in den Bekanntmachungen für die Einreichung von Bewerbungen vorgesehen sind, und der zwischen den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Beglaubigung der Unterschriften auf Urkunden bestehenden Unterschiede ist nicht ausgeschlossen, dass zahlreiche – insbesondere ausländische – Wirtschaftsteilnehmer in Anbetracht der praktischen Schwierigkeit, in dem von der Auftragsvergabe betroffenen Mitgliedstaat eine Bescheinigung vorzulegen, deren Unterschrift ordnungsgemäß beglaubigt wurde, davon abgehalten werden könnten, ihre Angebote einzureichen.

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Daher führen die allgemeine Systematik und der Zweck der Richtlinie 2004/18 dazu, die Auslegung zugrunde zu legen, nach der die „Bescheinigung“ des privaten Erwerbers – ebenso wie die „beglaubigte Erklärung“, von der in der portugiesischen Sprachfassung von Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich dieser Richtlinie die Rede ist – allein die Vorlage einer von diesem Erwerber ausgestellten Bescheinigung erfordert und von den öffentlichen Auftraggebern nicht mit einem anderen Formerfordernis, wie der Beglaubigung der Unterschrift dieses Erwerbers durch irgendeine zuständige Stelle, versehen werden darf.

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Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung von von einem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bestimmungen wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die unter Androhung des Ausschlusses der Bewerbung des Bieters vorschreiben, dass die Bescheinigung des privaten Erwerbers mit einer von einem Notar, einem Rechtsanwalt oder einer anderen befugten Stelle beglaubigten Unterschrift versehen sein muss.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass er die Voraussetzungen erfüllt, um – bei fehlender Umsetzung in innerstaatliches Recht – Privatpersonen Rechte zu verleihen, die diese vor den nationalen Gerichten gegenüber einem öffentlichen Auftraggeber geltend machen können, soweit dieser eine öffentliche Einrichtung ist oder kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt.

 

2.

Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung von von einem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bestimmungen wie den im Ausgangsrechtsstreit fraglichen, die es einem Wirtschaftsteilnehmer nicht erlauben, seine technische Leistungsfähigkeit durch eine einseitige Erklärung nachzuweisen, es sei denn, er weist nach, dass die Beschaffung einer Bescheinigung des privaten Erwerbers unmöglich oder mit ernsthaften Schwierigkeiten verbunden ist, nicht entgegensteht.

 

3.

Art. 48 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/18 ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung von von einem öffentlichen Auftraggeber aufgestellten Bestimmungen wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die unter Androhung des Ausschlusses der Bewerbung des Bieters vorschreiben, dass die Bescheinigung des privaten Erwerbers mit einer von einem Notar, einem Rechtsanwalt oder einer anderen befugten Stelle beglaubigten Unterschrift versehen sein muss.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Portugiesisch.

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