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Document 62008CJ0323

    Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 10. Dezember 2009.
    Ovidio Rodríguez Mayor u.a. gegen Succession vacante de Rafael de las Heras Dávila und Sagrario de las Heras Dávila.
    Vorabentscheidungsersuchen der Tribunal Superior de Justicia de Madrid.
    Rechtssache C-323/08.

    Sammlung der Rechtsprechung 2009 I-11621

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:770

    Rechtssache C‑323/08

    Ovidio Rodríguez Mayor u. a.

    gegen

    Herencia yacente de Rafael de las Heras Dávila u. a.

    (Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Madrid)

    „Vorabentscheidungsverfahren – Schutz der Arbeitnehmer – Massenentlassungen – Richtlinie 98/59/EG – Beendigung von Arbeitsverträgen durch den Tod des Arbeitgebers“

    Leitsätze des Urteils

    1.        Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen

    (Art. 234 EG; Richtlinie 98/59 des Rates, Art. 1 und 5)

    2.        Sozialpolitik – Rechtsangleichung – Massenentlassungen – Richtlinie 98/59 – Begriff der Massenentlassung

    (Richtlinie 98/59 des Rates, Art. 1 Abs. 1 Buchst. a)

    3.        Sozialpolitik – Rechtsangleichung – Massenentlassungen – Richtlinie 98/59 – Geltungsbereich

    (Richtlinie 98/59 des Rates)

    1.        Die Richtlinie 98/59 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen lässt nach ihrem Art. 5 die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer günstigere tarifvertragliche Vereinbarungen zuzulassen oder zu fördern.

    Wenn sich der nationale Gesetzgeber jedoch dazu entschlossen hat, in den Begriff der Massenentlassung im Sinne dieser Richtlinie Fälle einzubeziehen, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, wie bestimmte Arten der Beendigung von Arbeitsverträgen, die eine Zahl von Arbeitnehmern betreffen, die unterhalb der in Art. 1 der Richtlinie 98/59 vorgesehenen Schwelle liegen, während er Fälle wie die Beendigung der Arbeitsverträge der gesamten Belegschaft, die die gleiche Zahl von Arbeitnehmern betreffen können, durch den Tod des Arbeitgebers davon ausgenommen hat, besteht ein unbestreitbares Gemeinschaftsinteresse daran, dass zur Vermeidung künftiger Auslegungsdivergenzen dieser Begriff und die mit ihm verbundenen gemeinschaftsrechtlichen Lösungen unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie herangezogen werden, einheitlich ausgelegt werden.

    (vgl. Randnrn. 23, 27-28)

    2.        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Regelung nicht entgegensteht, wonach die Beendigung der Arbeitsverträge mehrerer Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber eine natürliche Person ist, durch den Tod dieses Arbeitgebers nicht als Massenentlassung angesehen wird.

    Der Begriff der Massenentlassung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie setzt nämlich die Existenz eines Arbeitgebers voraus, der solche Entlassungen beabsichtigt hat und in der Lage ist, zum einen im Hinblick darauf die in den Art. 2 und 3 der Richtlinie genannten Handlungen auszuführen und zum anderen gegebenenfalls solche Entlassungen vorzunehmen.

    Das Hauptziel der Richtlinie 98/59, nämlich Massenentlassungen Konsultationen mit Arbeitnehmervertretern und die Unterrichtung der zuständigen Behörde vorangehen zu lassen, kann im Übrigen nicht erreicht werden, wenn die Beendigung der Arbeitsverträge der gesamten Belegschaft eines von einer natürlichen Person geführten Unternehmens aufgrund der Einstellung der Tätigkeiten dieses Unternehmens wegen des Todes des Arbeitgebers als Massenentlassung angesehen wird, da solche Konsultationen nicht stattfinden können und es somit nicht möglich wäre, die Beendigung der Arbeitsverträge zu vermeiden oder zu beschränken oder ihre Folgen zu mildern.

    (vgl. Randnrn. 41, 44, 53, Tenor 1)

    3.        Die Richtlinie 98/59 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen steht einer innerstaatlichen Regelung nicht entgegen, die unterschiedliche Abfindungen vorsieht, je nachdem ob die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz durch den Tod des Arbeitgebers oder durch eine Massenentlassung verloren haben.

    Zum einen fällt nämlich die Beendigung von Arbeitsverträgen infolge des Todes eines Arbeitgebers, einer natürlichen Person, nicht unter den Begriff der Massenentlassung im Sinne der Richtlinie 98/59. Zum anderen nimmt diese Richtlinie nur eine Teilharmonisierung der Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen vor und soll keinen allgemeinen finanziellen Ausgleichsmechanismus auf Gemeinschaftsebene im Fall des Verlustes des Arbeitsplatzes einrichten. In diesem Zusammenhang fällt die Frage nach dem Umfang der Abfindung der Arbeitnehmer im Fall der Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 98/59.

    (vgl. Randnrn. 55-57, Tenor 2)








    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    10. Dezember 2009(*)

    „Vorabentscheidungsverfahren – Schutz der Arbeitnehmer – Massenentlassungen – Richtlinie 98/59/EG – Beendigung von Arbeitsverträgen durch den Tod des Arbeitgebers“

    In der Rechtssache C‑323/08

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de Madrid (Spanien) mit Entscheidung vom 14. Juli 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juli 2008, in dem Verfahren

    Ovidio Rodríguez Mayor u. a.

    gegen

    Herencia yacente de Rafael de las Heras Dávila u. a.

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter), G. Arestis und T. von Danwitz,

    Generalanwalt: P. Mengozzi,

    Kanzler: R. Grass,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    –        der spanischen Regierung, vertreten durch B. Plaza Cruz als Bevollmächtigte,

    –        der ungarischen Regierung, vertreten durch R. Somssich, M. Fehér und K. Veres als Bevollmächtigte,

    –        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch I. Rao und T. de la Mare als Bevollmächtigte,

    –        der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Enegren und R. Vidal Puig als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Juli 2009

    folgendes

    Urteil

    1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1 bis 4 und 6 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 225, S. 16).

    2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Rodríguez Mayor und sechs anderen Personen einerseits und dem ruhenden Nachlass von Herrn Rafael de las Heras Dávila (Herencia yacente de Rafael de las Heras Dávila), seinen Erben und dem Fondo de Garantía Salarial (Lohngarantiefonds) andererseits wegen eines Antrags auf Abfindung wegen rechtswidriger Massenentlassung.

     Rechtlicher Rahmen

     Gemeinschaftsrecht

    3        Art. 1 Abs. 1 in Teil I der Richtlinie 98/59 („Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich“) sieht vor:

    „Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

    a)      ‚Massenentlassungen‘ sind Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen – nach Wahl der Mitgliedstaaten – die Zahl der Entlassungen

    i)      entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen

    –        mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern,

    –        mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,

    –        mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern,

    ii)      oder innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind,

    beträgt;

    b)       ‚Arbeitnehmervertreter‘sind die Arbeitnehmervertreter nach den Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten.

    Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Absatz 1 Buchstabe a) werden diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.“

    4        Art. 2 in Teil II („Information und Konsultation“) dieser Richtlinie bestimmt:

    „(1)      Beabsichtigt ein Arbeitgeber, Massenentlassungen vorzunehmen, so hat er die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen.

    (2)      Diese Konsultationen erstrecken sich zumindest auf die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, sowie auf die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen, die insbesondere Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben, zu mildern.

    (3)      Damit die Arbeitnehmervertreter konstruktive Vorschläge unterbreiten können, hat der Arbeitgeber ihnen rechtzeitig im Verlauf der Konsultationen

    a)      die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und

    b)      in jedem Fall schriftlich folgendes mitzuteilen:

    i)      die Gründe der geplanten Entlassung;

    ii)      die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer;

    iii)      die Zahl und die Kategorien der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer;

    iv)      den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen;

    v)      die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, soweit die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken dem Arbeitgeber die Zuständigkeit dafür zuerkennen;

    vi)      die vorgesehene Methode für die Berechnung etwaiger Abfindungen, soweit sie sich nicht aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken ergeben.

    Der Arbeitgeber hat der zuständigen Behörde eine Abschrift zumindest der in Unterabsatz 1 Buchstabe b) Ziffern i) bis v) genannten Bestandteile der schriftlichen Mitteilung zu übermitteln.

    …“

    5        Art. 3 in Teil III („Massenentlassungsverfahren“) der Richtlinie 98/59 lautet:

    „(1)      Der Arbeitgeber hat der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen.

    Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, dass im Fall einer geplanten Massenentlassung, die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung über die Einstellung der Tätigkeit des Betriebs erfolgt, der Arbeitgeber diese der zuständigen Behörde nur auf deren Verlangen schriftlich anzuzeigen hat.

    Die Anzeige muss alle zweckdienlichen Angaben über die beabsichtigte Massenentlassung und die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter gemäß Artikel 2 enthalten, insbesondere die Gründe der Entlassung, die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer und den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen.

    (2)      Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmervertretern eine Abschrift der in Absatz 1 genannten Anzeige zu übermitteln.

    Die Arbeitnehmervertreter können etwaige Bemerkungen an die zuständige Behörde richten.“

    6        In Art. 4 dieser Richtlinie, der auch zu ihrem Teil III gehört, heißt es:

    „(1)      Die der zuständigen Behörde angezeigten beabsichtigten Massenentlassungen werden frühestens 30 Tage nach Eingang der in Artikel 3 Absatz 1 genannten Anzeige wirksam; die im Fall der Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen bleiben unberührt.

    Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde jedoch die Möglichkeit einräumen, die Frist des Unterabsatzes 1 zu verkürzen.

    (4)      Die Mitgliedstaaten können davon absehen, diesen Artikel im Fall von Massenentlassungen infolge einer Einstellung der Tätigkeit des Betriebs anzuwenden, wenn diese Einstellung aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung erfolgt.“

    7        Nach Art. 5 der Richtlinie lässt diese „die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer günstigere tarifvertragliche Vereinbarungen zuzulassen oder zu fördern“.

    8        Art. 6 der Richtlinie 98/59 sieht vor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … dafür [sorgen], dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen“.

     Nationales Recht

    9        Gemäß Art. 49 Abs. 1 Buchst. g des Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut), das durch das Real Decreto Legislativo Nr. 1/1995 vom 24. März 1995 (BOE Nr. 75, vom 29. März 1995, S. 9654, im Folgenden: Arbeitnehmerstatut) erlassen wurde, erlischt das Arbeitsverhältnis

    „durch Tod, Zurruhesetzung in den nach der einschlägigen Regelung über die soziale Sicherheit vorgesehenen Fällen, Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, unbeschadet der Regelung des Art. 44, oder durch Auflösung der Rechtspersönlichkeit des Vertragspartners.

    Der Arbeitnehmer hat bei Tod, Zurruhesetzung oder Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Arbeitgebers Anspruch auf Zahlung in Höhe eines Monatslohns oder eines Monatsgehalts.

    Im Fall der Auflösung der Rechtspersönlichkeit des Vertragspartners ist das Verfahren nach Art. 51 dieses Gesetzes einzuhalten.“

    10      Art. 51 des Arbeitnehmerstatuts bestimmt:

    „1. Als Massenentlassung im Sinne dieses Gesetzes gilt die Beendigung von Arbeitsverträgen aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen, wenn sich die Beendigung innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens auswirkt auf:

    a)      10 Arbeitnehmer in Unternehmen mit weniger als 100 Beschäftigten;

    b)      10 v. H. der Arbeitnehmer in Unternehmen mit 100 bis 300 Beschäftigten;

    c)      30 Arbeitnehmer in Unternehmen mit 300 oder mehr Beschäftigten.

    Die in diesem Artikel genannten Gründe liegen vor, wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen ergriffen werden, um eine schlechte Wirtschaftslage des Unternehmens zu bewältigen oder – wenn es sich um technische, organisatorische oder produktionsbedingte Gründe handelt – um die künftige Überlebensfähigkeit des Unternehmens und dessen Beschäftigungslage durch eine bessere Organisation der Ressourcen zu gewährleisten.

    Als Massenentlassung gilt auch die Beendigung der Arbeitsverträge der gesamten Belegschaft eines Unternehmens, sofern mehr als fünf Arbeitnehmer betroffen sind und die Massenentlassung infolge einer völligen Aufgabe der Geschäftstätigkeit aus den bereits genannten Gründen erfolgt.

    Bei der Berechnung der Zahl der nach Abs. 1 beendeten Verträge sind auch sonstige Vertragsaufhebungen zu berücksichtigen, die auf Veranlassung des Arbeitgebers im Bezugszeitraum aus Gründen erfolgt sind, die nicht in der Person des Arbeitnehmers liegen und von den in Art. 49 Abs. 1 Buchst. c dieses Gesetzes genannten Gründen abweichen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt. Beendet ein Unternehmen in aufeinander folgenden Zeiträumen von 90 Tagen und zur Umgehung der Bestimmungen dieses Artikels gemäß Art. 52 Buchst. c dieses Gesetzes Verträge in einer Zahl, die unter den angegebenen Schwellenwerten liegt, und ohne dass neue Gründe vorliegen, die ein solches Vorgehen rechtfertigen, so gelten diese neuen Vertragsaufhebungen als Gesetzesumgehung und sind für nichtig zu erklären.

    2.      Beabsichtigt ein Arbeitgeber, eine Massenentlassung vorzunehmen, so hat er für die Aufhebung der Arbeitsverträge nach dem in diesem Gesetz und seinen Durchführungsvorschriften für Entlassungen vorgesehenen Verfahren Genehmigungen einzuholen. Das Verfahren wird durch Antragstellung beim zuständigen Arbeitsamt und gleichzeitige Aufnahme befristeter Konsultationen mit den gesetzlichen Arbeitnehmervertretern eingeleitet.

    8.      Arbeitnehmer, deren Verträge gemäß diesem Artikel aufgehoben wurden, haben Anspruch auf Abfindung in Höhe von 20 Tagesentgelten je Dienstjahr, wobei Zeiten von weniger als einem Jahr anteilig auf Monatsbasis bis zu höchstens 12 Monatssätzen abgerechnet werden.

    9.      Arbeitnehmer können über ihre Vertreter auch die Einleitung des in diesem Artikel genannten Verfahrens beantragen, wenn anzunehmen ist, dass ihnen durch die Nichteinleitung dieses Verfahrens durch den Arbeitgeber Schäden entstünden, die nicht oder nur schwer zu beseitigen wären. In diesem Fall bestimmt das zuständige Arbeitsamt unter Berücksichtigung der in diesem Artikel vorgesehenen Fristen, welche Maßnahmen und Auskünfte für das Verfahren erforderlich sind.

    12.      Das Arbeitsamt stellt unabhängig von der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer nach dem in diesem Absatz vorgesehenen Verfahren fest, ob es sich bei dem als Begründung für die Beendigung von Arbeitsverträgen angegebenen Grund um einen Fall von höherer Gewalt handelt. Das Verfahren ist auf Antrag des Unternehmens unter Beifügung der von ihm für erforderlich gehaltenen Beweismittel einzuleiten und gleichzeitig den gesetzlichen Arbeitnehmervertretern zur Kenntnis zu bringen, die während des gesamten Verfahrens als Beteiligte gelten. Die Entscheidung des Arbeitsamts ergeht nach den gebotenen Maßnahmen und Auskünften binnen fünf Tagen ab Antragstellung und wirkt ab dem Eintritt des Ereignisses höherer Gewalt.

    Das Arbeitsamt, das das Vorliegen höherer Gewalt feststellt, kann bestimmen, dass die gesamte oder ein Teil der Abfindung, auf die die betroffenen Arbeitnehmer Anspruch haben, vom Fondo de Garantía Salarial zu zahlen ist, unbeschadet des Rechts desselben, den Arbeitgeber in Regress zu nehmen.

    13.      Soweit in diesem Artikel nicht etwas anderes bestimmt ist, gilt die Ley de Régimen Jurídico de las Administraciones Públicas y del Procedimiento Administrativo Común Nr. 30/1992 vom 26. November 1992 [Gesetz über die Rechtsstellung der öffentlichen Verwaltungen und über das allgemeine Verwaltungsverfahren], insbesondere im Bereich der Rechtsbehelfe. Alle zu ergreifenden Maßnahmen und die den Arbeitnehmern zu übermittelnden Mitteilungen sind an deren gesetzliche Vertreter zu richten.“

    11      Das vorlegende Gericht erläutert, dass die Auswirkungen einer für rechtswidrig erklärten Beendigung des Arbeitsvertrags aus objektiven Gründen und einer für rechtswidrig erklärten Kündigung wegen Vertragsverletzung gemäß Art. 55 des Arbeitnehmerstatuts die gleichen sind. Art. 56 Abs. 1 des Arbeitnehmerstatuts sieht dazu vor:

    „Wird die Entlassung für rechtswidrig erklärt, kann der Unternehmer binnen fünf Tagen ab Zustellung des Urteils wählen zwischen der Wiedereinstellung des Arbeitnehmers mit Zahlung der ‚salarios de tramitación‘ – wie in Abs. 1 Buchst. b dieses Artikels angegeben – und folgenden, im Urteil festzulegenden Zahlungen:

    a)      einer Abfindung in Höhe von 45 Tagesentgelten je Dienstjahr, wobei Zeiten von weniger als einem Jahr anteilig auf Monatsbasis bis zu höchstens 42 Monatssätzen abgerechnet werden;

    b)      der Summe der geschuldeten, auf die Zeit von der Entlassung bis zur Zustellung des Urteils, mit dem die Entlassung für rechtswidrig erklärt wurde, oder bis zum Zeitpunkt der Aufnahme einer neuen Beschäftigung durch den Arbeitnehmer entfallenden Lohn‑ und Gehaltszahlungen, sofern diese Einstellung des Arbeitnehmers vor dem genannten Urteil erfolgte und der Arbeitgeber die Bezüge nachweist, um sie von den ‚salarios de tramitación‘ abzuziehen.“

     Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

    12      Die sieben Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens bildeten das im Unternehmen von Herrn de las Heras Dávila beschäftigte Personal, der das Unternehmen als natürliche Person betrieb; das Unternehmen hatte demnach keine eigene Rechtspersönlichkeit.

    13      Mit Klageschrift vom 31. Mai 2004 erhoben sie vor dem Juzgado de lo Social n° 25 de Madrid Klage gegen den ruhenden Nachlass von Rafael de las Heras Dávila u. a. wegen rechtswidriger Kündigung und machten geltend, dass sie vom 30. April bis zum 5. Mai 2004 an ihrem Arbeitsplatz erschienen seien, dass dieser jedoch verschlossen gewesen sei, so dass sie angenommen hätten, dass ihnen stillschweigend gekündigt worden sei.

    14      Es stellte sich heraus, dass der Arbeitgeber am 1. Mai 2004 verstorben war, ohne ein Testament hinterlassen oder die Rechte seiner Erben festgelegt zu haben. Seine gesetzlichen Erben verzichteten mit öffentlichen Urkunden vom 15. Juni 2004 und vom 27. März 2007 auf die Erbschaft. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass das Unternehmen seine Tätigkeit einstellte.

    15      Der Juzgado de lo Social n° 25 de Madrid wies die Klage mit der Begründung ab, dass die Arbeitsverträge der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens durch den Tod des Arbeitgebers ohne Unternehmensnachfolge beendet worden seien, und dass keine Kündigung vorliege.

    16      Die Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens legten beim vorlegenden Gericht gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel ein. Sie machen geltend, dass die Entscheidung über die Beendigung eine formale Handlung sei, bei der die Voraussetzungen von Art. 55 Abs. 1 des Arbeitnehmerstatuts erfüllt sein müssten, so dass ihnen die Entscheidung von den Erben des Unternehmers hätte mitgeteilt werden müssen. Deshalb beantragen sie die Feststellung, dass eine ungerechtfertigte Kündigung vorliege, und die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 45 Tagesentgelten je Dienstjahr sowie die Zahlung von Arbeitsentgelt während des Verfahrens vom Zeitpunkt der Kündigung an bis zum Zeitpunkt der Zustellung des Urteils des vorlegenden Gerichts oder bis zum Zeitpunkt ihrer Wiedereinstellung. Hilfsweise beantragen sie die Feststellung, dass die Arbeitsverträge gemäß Art. 49 des Arbeitnehmerstatuts durch den Tod des Arbeitgebers erloschen sind, und die Zahlung der nach dieser Bestimmung vorgesehenen Abfindung.

    17      Die Rechtsmittelgegner des Ausgangsverfahrens tragen vor, dass keine Kündigung vorliege und dass es sich um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitgebers handele.

    18      Die Staatsanwaltschaft, die vom vorlegenden Gericht aufgefordert worden ist, sich zum Ausgangsverfahren zu äußern, meint, dass eine Unvereinbarkeit zwischen den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und Art. 49 Abs. 1 Buchst. g des Arbeitnehmerstatuts vorliegen könne.

    19      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts besteht im spanischen Recht hinsichtlich der Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen wegen Schließung des Unternehmens eine Ungleichbehandlung je nach der Rechtsnatur des Arbeitgebers. Denn die Arbeitnehmer, die bei einer juristischen Person beschäftigt seien, würden besser gestellt als Arbeitnehmer, die bei einer natürlichen Person beschäftigt seien, obwohl die Nachteile, die sich aus einer Kündigung oder einer Vertragsaufhebung für alle Arbeitnehmer ergäben, gleich seien.

    20      Da das Tribunal Superior de Justicia de Madrid unter diesen Umständen die Auslegung der Richtlinie 98/59 für den Erlass seines Urteils für erforderlich hält, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.      Verstößt Art. 51 des spanischen Arbeitnehmerstatuts dadurch gegen die Richtlinie 98/59, dass er den Begriff Massenentlassungen auf Entlassungen aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen beschränkt und ihn nicht auf Entlassungen aus jeglichem Grund, der nicht in der Sphäre des Arbeitnehmers liegt, erstreckt?

    2.      Verstößt auch Art. 49 Abs. 1 Buchst. g des Arbeitnehmerstatuts – wonach Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz durch Tod, Zurruhesetzung, Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Arbeitgebers verlieren, unter Ausschluss von der Regelung des Art. 51 des Arbeitnehmerstatuts eine Abfindung in Höhe nur eines Monatslohns oder eines Monatsgehalts erhalten – gegen die Art. 1, 2, 3, 4 und 6 der genannten Richtlinie?

    3.      Verstößt die spanische Regelung für Massenentlassungen, insbesondere die Art. 49 Abs. 1 Buchst. g und 51 des Arbeitnehmerstatuts, gegen Art. 30 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1) und die auf der Tagung des Europäischen Rates vom 9. Dezember 1989 in Straßburg von den Staats- und Regierungschefs von elf Mitgliedstaaten angenommene Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer?

     Zu den Vorlagefragen

     Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

    21      Mit der spanischen und der ungarischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ist zu den ersten beiden Fragen festzustellen, dass Herr de las Heras Dávila zum Zeitpunkt seines Todes sieben Arbeitnehmer beschäftigte, so dass eine solche Situation grundsätzlich vom Anwendungsbereich der Richtlinie 98/59 ausgeschlossen ist.

    22      Auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren fragliche ist diese Richtlinie nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii der Richtlinie nämlich nur dann anwendbar, wenn die Zahl der Entlassungen innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20 beträgt.

    23      Die Richtlinie 98/59 lässt aber nach ihrem Art. 5 die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer günstigere tarifvertragliche Vereinbarungen zuzulassen oder zu fördern.

    24      Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass es solche Vereinbarungen im spanischen Recht gibt, da der Begriff der Massenentlassung nach Art. 51 Abs. 1 Unterabs. 1 und 3 des Arbeitnehmerstatuts auch die Beendigung der Arbeitsverträge der gesamten Belegschaft eines Unternehmens umfasst, sofern mehr als fünf Arbeitnehmer betroffen sind und die Massenentlassung infolge einer völligen Aufgabe der Geschäftstätigkeit aus wirtschaftlichen, technischen, organisatorischen oder produktionsbedingten Gründen erfolgt.

    25      Das vorlegende Gericht führt aus, dass in der bei ihm anhängigen Rechtssache die Beendigung der Arbeitsverträge der gesamten bei Herrn de las Heras Dávila beschäftigten Belegschaft durch dessen Tod in den Anwendungsbereich der in der vorstehenden Randnummer genannten Bestimmungen fallen und auch als Massenentlassung angesehen werden sollte. Seiner Meinung nach liegt sonst eine Ungleichbehandlung vor, die gegen die Richtlinie 98/59 und den Begriff der Massenentlassung im Sinne dieser Richtlinie verstoße.

    26      Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft einen Fall der Beendigung einer Zahl von Arbeitsverhältnissen unterhalb der in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 vorgesehenen Schwelle.

    27      Wenn sich der nationale Gesetzgeber jedoch dazu entschlossen hat, in den Begriff der Massenentlassung im Sinne dieser Richtlinie Fälle einzubeziehen, die auch nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, während er Fälle wie die des Ausgangsverfahrens davon ausgenommen hat, besteht ein unbestreitbares Gemeinschaftsinteresse daran, dass zur Vermeidung künftiger Auslegungsdivergenzen dieser Begriff und die mit ihm verbundenen gemeinschaftsrechtlichen Lösungen unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie herangezogen werden, einheitlich ausgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2006, Poseidon Chartering, C‑3/04, Slg. 2006, I‑2505, Randnrn. 16 und 17).

    28      Unter diesen Umständen sind die Vorlagefragen ausgehend von der Prämisse zu beantworten, dass bestimmte Arten der Beendigung von Arbeitsverträgen, die eine Zahl von Arbeitnehmern betreffen, die unterhalb der in Art. 1 der Richtlinie 98/59 vorgesehenen Schwelle liegen, nach spanischem Recht Massenentlassungen im Sinne dieses Artikels gleichgestellt sind, dass aber andere Arten der Beendigung von Arbeitsverträgen, die die gleiche Zahl von Arbeitnehmern betreffen können, insbesondere die Beendigung der Arbeitsverträge der gesamten Belegschaft durch den Tod des Arbeitgebers, nach dieser Regelung nicht unter den Begriff der Massenentlassung fallen.

     Zur ersten Frage

    29      Mit seiner ersten Frage bringt das vorlegende Gericht seine Zweifel an der Vereinbarkeit der spanischen Regelung, die im Ausgangsverfahren anzuwenden ist und wonach der Begriff der Massenentlassung nicht jede Beendigung von Arbeitsverträgen aus Gründen umfasst, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, mit Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 zum Ausdruck.

    30      Es ist nicht Sache des Gerichtshofs, sich im Rahmen eines gemäß Art. 234 EG eingeleiteten Verfahrens zur Vereinbarkeit von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts mit denen des Gemeinschaftsrechts zu äußern. Der Gerichtshof ist jedoch befugt, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, über die Frage der Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden (vgl. u. a. Urteile vom 19. September 2006, Wilson, C‑506/04, Slg. 2006, I‑8613, Randnrn. 34 und 35, und vom 6. März 2007, Placanica u. a., C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, Slg. 2007, I‑1891, Randnr. 36).

    31      Es steht fest, dass das Ausgangsverfahren die Rechtmäßigkeit der Beendigung der Arbeitsverträge der gesamten Belegschaft eines Unternehmens durch den Tod des Arbeitgebers betrifft.

    32      Daher ist, um dem vorlegenden Gericht für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits eine sachdienliche Antwort zu geben, zu prüfen, ob Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Regelung entgegensteht, wonach die Beendigung der Arbeitsverträge mehrerer Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber eine natürliche Person ist, durch den Tod dieses Arbeitgebers nicht als Massenentlassung angesehen wird.

    33      Erstens ist festzustellen, dass aus dem Wortlaut der Richtlinie nicht hervorgeht, dass eine solche Situation in ihren Anwendungsbereich fiele.

    34      Der Gerichtshof hat den in Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie verwendeten Ausdruck „Gründe, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“ zwar weit ausgelegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Oktober 2004, Kommission/Portugal, C‑55/02, Slg. 2004, I‑9387, Randnr. 49, und vom 7. September 2006, Agorastoudis u. a., C‑187/05 bis C‑190/05, Slg. 2006, I‑7775, Randnr. 28). Aus dem Wortlaut dieses Artikels ergibt sich aber, dass der Begriff der Massenentlassung im Sinne dieser Bestimmung sowohl die Existenz eines Arbeitgebers als auch eine Handlung desselben voraussetzt.

    35      Nach der Definition in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 sind unter diesem Begriff solche Entlassungen zu verstehen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt, sofern bestimmte quantitative und zeitliche Voraussetzungen erfüllt sind.

    36      Nach Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie werden für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Unterabs. 1 Buchst. a dieses Absatzes diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern es sich mindestens um fünf Entlassungen handelt.

    37      Beabsichtigt ein Arbeitgeber, Massenentlassungen vorzunehmen, so hat er nach Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen. Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie sieht vor, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmervertretern rechtzeitig im Verlauf der Konsultationen die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und in jedem Fall schriftlich die in Buchst. b dieses Absatzes aufgeführten Punkte mitzuteilen hat.

    38      Nach Art. 3 der Richtlinie 98/59 hat der Arbeitgeber der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen und den Arbeitnehmervertretern eine Abschrift dieser Anzeige zu übermitteln.

    39      Sämtliche in diesen Bestimmungen enthaltenen Ausdrücke, u. a. „beabsichtigen, Massenentlassungen vorzunehmen“, „konsultieren“, „Auskünfte erteilen“, „schriftlich mitteilen“, „alle beabsichtigten Entlassungen schriftlich anzeigen“ und „eine Abschrift übermitteln“ zeigen, dass die Existenz eines Arbeitgebers und bestimmter Handlungen desselben erforderlich sind.

    40      Darüber hinaus geht aus der Wendung „Entlassungen, die ein Arbeitgeber … vornimmt“ in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 hervor, dass der Begriff der Massenentlassung grundsätzlich voraussetzt, dass der Arbeitgeber solche Entlassungen vornimmt oder dies jedenfalls beabsichtigt, während die Wendung „auf Veranlassung des Arbeitgebers“ in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2, wie der Generalanwalt in Nr. 81 seiner Schlussanträge ausführt, eine unmittelbare Willensäußerung des Arbeitgebers in Form einer Veranlassung verlangt.

    41      Aus alledem ergibt sich, dass der Begriff der Massenentlassung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59 die Existenz eines Arbeitgebers voraussetzt, der solche Entlassungen beabsichtigt hat und in der Lage ist, zum einen im Hinblick darauf die in den Art. 2 und 3 der Richtlinie genannten Handlungen auszuführen und zum anderen gegebenenfalls solche Entlassungen vorzunehmen.

    42      Eine Situation wie die im Ausgangsverfahren fragliche ist hingegen nicht nur durch die fehlende Absicht gekennzeichnet, Massenentlassungen vorzunehmen, sondern auch dadurch, dass es keinen Arbeitgeber gibt, den die Pflichten, die sich aus den in den Randnrn. 37 und 38 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen ergeben, treffen können und der die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Handlungen ausführen und gegebenenfalls die Entlassungen vornehmen kann.

    43      Was zweitens den Hauptzweck der Richtlinie 98/59 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass sich zum einen diese Konsultationen nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie auf die Möglichkeit erstrecken, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, sowie auf die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen, die insbesondere Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben, zu mildern. Zum anderen muss der Arbeitgeber nach Art. 2 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen anzeigen und ihr die in diesen Bestimmungen aufgeführten Informationen übermitteln.

    44      Das Hauptziel der Richtlinie 98/59, nämlich Massenentlassungen Konsultationen mit Arbeitnehmervertretern und die Unterrichtung der zuständigen Behörde vorangehen zu lassen, kann hingegen nicht erreicht werden, wenn die Beendigung der Arbeitsverträge der gesamten Belegschaft eines von einer natürlichen Person geführten Unternehmens aufgrund der Einstellung der Tätigkeiten dieses Unternehmens wegen des Todes des Arbeitgebers als Massenentlassung angesehen wird, da solche Konsultationen nicht stattfinden können und es somit nicht möglich wäre, die Beendigung der Arbeitsverträge zu vermeiden oder zu beschränken oder ihre Folgen zu mildern.

    45      Im Übrigen ist zu beachten, dass die Richtlinie 98/59 keinen allgemeinen finanziellen Ausgleichsmechanismus auf Gemeinschaftsebene im Fall des Verlustes des Arbeitsplatzes einrichten soll.

    46      Drittens ist festzustellen, dass einige Bestimmungen der Richtlinie 98/59 vom Gerichtshof bereits ausgelegt worden sind.

    47      So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass nach Art. 2 Abs. 1 und 3 sowie Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 98/59 die Informations-, Konsultations- und Meldepflichten allein den Arbeitgeber treffen (vgl. Urteil vom 10. September 2009, Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a., C‑44/08, Slg. 2009, I‑0000, Randnr. 57).

    48      Weiter hat der Gerichtshof entschieden, dass die Konsultations- und Anzeigepflichten vor einer Entscheidung zur Kündigung von Arbeitsverträgen entstehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Januar 2005, Junk, C‑188/03, Slg. 2005, I‑885, Randnrn. 36 und 37, und Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a., Randnr. 38).

    49      In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens fallen der Tod des Arbeitgebers und die Beendigung der Arbeitsverträge der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer jedoch zusammen. Folglich ist es, wie die spanische Regierung vorträgt, tatsächlich unmöglich, diesen Pflichten nachzukommen.

    50      Außerdem gibt es in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens weder eine Entscheidung, die Arbeitsverträge zu kündigen, noch bestand die Absicht, eine solche Kündigung vorzunehmen.

    51      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass die Richtlinie 98/59, ebenso wie zuvor die Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 48, S. 29), nur eine Teilharmonisierung der Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen vornimmt (vgl. in Bezug auf die Richtlinie 75/129, Urteil vom 8. Juni 1994, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑383/92, Slg. 1994, I‑2479, Randnr. 25, und in Bezug auf die Richtlinie 98/59, Urteil Akavan Erityisalojen Keskusliitto AEK u. a., Randnr. 60) und dass sie nicht die Modalitäten der endgültigen Einstellung der Tätigkeiten eines Unternehmens, sondern das Verfahren harmonisiert, das bei Massenentlassungen anzuwenden ist (vgl. in Bezug auf die Richtlinie 75/129, Urteil vom 7. September 2006, Agorastoudis u. a., Randnr. 36).

    52      Schließlich steht der Auslegung, wonach der Begriff der Massenentlassung im Sinne der Richtlinie 98/59 die Beendigung von Arbeitsverträgen von mehreren Arbeitnehmern, deren Arbeitgeber eine natürliche Person ist, durch den Tod dieses Arbeitgebers nicht umfasst, nicht das Urteil Kommission/Portugal entgegen. Denn dieses Urteil ist im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens ergangen, in dem der in Art. 1 der Richtlinie 98/59 verwendete Ausdruck „Gründe, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“ untersucht worden ist, ohne dass jedoch eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens, die durch die Beendigung der Arbeitsverträge durch den Tod der natürlichen Person, die der Arbeitgeber ist, und durch das Fehlen des Rechtssubjekts, das die in dieser Richtlinie vorgesehenen Pflichten treffen, gekennzeichnet ist, besonders geprüft worden wäre.

    53      In Anbetracht des Vorstehenden ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Regelung, wonach die Beendigung der Arbeitsverträge mehrerer Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber eine natürliche Person ist, durch den Tod dieses Arbeitgebers nicht als Massenentlassung angesehen wird, nicht entgegensteht.

     Zur zweiten Frage

    54      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 98/59 dahin auszulegen ist, dass sie einer innerstaatlichen Regelung entgegensteht, die unterschiedliche Abfindungen vorsieht, je nachdem ob die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz durch den Tod des Arbeitgebers oder durch eine Massenentlassung verloren haben.

    55      Zum einen ergibt sich aus der Antwort auf die erste Frage, dass die Beendigung von Arbeitsverträgen infolge des Todes eines Arbeitgebers, einer natürlichen Person, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht unter den Begriff der Massenentlassung im Sinne der Richtlinie 98/59 fällt.

    56      Zum anderen nimmt diese Richtlinie, worauf in den Randnrn. 45 und 51 des vorliegenden Urteils hingewiesen wird, nur eine Teilharmonisierung der Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen vor und soll keinen allgemeinen finanziellen Ausgleichsmechanismus auf Gemeinschaftsebene im Fall des Verlustes des Arbeitsplatzes einrichten. In diesem Zusammenhang fällt die Frage nach dem Umfang der Abfindung der Arbeitnehmer im Fall der Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 98/59.

    57      Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass die Richtlinie einer innerstaatlichen Regelung nicht entgegensteht, die unterschiedliche Abfindungen vorsieht, je nachdem ob die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz durch den Tod des Arbeitgebers oder durch eine Massenentlassung verloren haben.

     Zur dritten Frage

    58      Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 30 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte dahin auszulegen sind, dass sie einer innerstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen.

    59      Wie sich aber aus der Erörterung der ersten beiden Fragen ergibt, fällt eine Situation wie die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 98/59 und demnach auch nicht in den des Gemeinschaftsrechts. Unter diesen Umständen ist die dritte Frage nicht mehr zu beantworten.

     Kosten

    60      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

    1.      Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Regelung nicht entgegensteht, wonach die Beendigung der Arbeitsverträge mehrerer Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber eine natürliche Person ist, durch den Tod dieses Arbeitgebers nicht als Massenentlassung angesehen wird.

    2.      Die Richtlinie 98/59 steht einer innerstaatlichen Regelung nicht entgegen, die unterschiedliche Abfindungen vorsieht, je nachdem ob die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz durch den Tod des Arbeitgebers oder durch eine Massenentlassung verloren haben.

    Unterschriften


    * Verfahrenssprache: Spanisch.

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