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Document 61980CC0053
Opinion of Mr Advocate General Warner delivered on 27 November 1980. # Officier van justitie v Koninklijke Kaasfabriek Eyssen BV. # Reference for a preliminary ruling: Gerechtshof Amsterdam - Netherlands. # Free movement of goods: prohibition of additives. # Case 53/80.
Schlussanträge des Generalanwalts Warner vom 27. November 1980.
Officier van justitie gegen Koninklijke Kaasfabriek Eyssen BV.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Gerechtshof Amsterdam - Niederlande.
Freier Warenverkehr: Verbot von Zusatzstoffen.
Rechtssache 53/80.
Schlussanträge des Generalanwalts Warner vom 27. November 1980.
Officier van justitie gegen Koninklijke Kaasfabriek Eyssen BV.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Gerechtshof Amsterdam - Niederlande.
Freier Warenverkehr: Verbot von Zusatzstoffen.
Rechtssache 53/80.
Sammlung der Rechtsprechung 1981 -00409
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1980:272
SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS
JEAN-PIERRE WARNER
VOM 27. NOVEMBER 1980 ( 1 )
Herr Präsident,
meine Herren Richter!
Diese Rechtssache gelangte im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens des Gerechtshof Amsterdam vor den Gerichtshof. Ihr liegt ein Strafverfahren gegen einen niederländischen Käsehersteller, die Koninklijke Kaasfabriek Eyssen BV (im weiteren: Eyssen), wegen Verstößen gegen die niederländischen Rechtsvorschriften über den Zusatz konservierender Stoffe zu Schmelzkäse zugrunde. In ihr wird die Frage aufgeworfen, ob diese Rechtsvorschriften mit den Artikeln 30 bis 36 EWG-Vertrag vereinbar sind.
Die niederländischen Rechtsvorschriften über Zusätze zu Lebensmitteln beruhen auf dem System der sogenannten Positivlisten, d. h. einem System, wonach bestimmte Zusatzstoffe, die als unschädlich angesehen werden, ausdrücklich zugelassen und alle anderen Zusatzstoffe im großen und ganzen verboten sind. Dieses System gilt in einer Reihe von Mitgliedstaaten und wurde den Harmonisierungsrichtlinien des Rates auf diesem Gebiet zugrunde gelegt — vgl. die Richtlinie vom 23. Oktober 1962 über färbende Stoffe, die Richtlinie vom 5. November 1963 über konservierende Stoffe, die Richtlinie vom 13. Juli 1970 über Stoffe mit antioxydierender Wirkung und die Richtlinie vom 18. Juli 1974 über Emulgatoren, Stabilisatoren, Verdikkungs- und Geliermittel.
Eyssen wurde vorgeworfen, gewisse Mengen Streichkäse und sogenannten „Käse ohne Rinde“ [Schmelzkäse] für den Verkauf zum menschlichen Verzehr auf Lager gehalten zu haben, dem ein Antibiotikum namens Nisin als konservierender Stoff unter Verstoß gegen Artikel 8 Buchstabe h des „Smeltkaasbesluit (Warenwet)“, einer niederländischen Verordnung über Schmelzkäse, zugesetzt worden war.
Der Gerichtshof ist über Nisin eingehend unterrichtet worden. Ich will nicht auf alles eingehen. Besonders hilfreich fand ich die in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Ausführungen von Herrn Kinch, dem Leiter der Abteilung Nahrungsmittelindustrie der Generaldirektion III der Kommission (Binnenmarkt und Gewerbliche Wirtschaft). Sie ergänzten die in den Akten des Gerechtshof enthaltenen Informationen und die Hinweise von Eyssen sowie der niederländischen Regierung und der deutschen Regierung.
Nisin kommt in natürlicher Form in Käse vor. Außerdem kann es Nahrungsmitteln, insbesondere Schmelzkäse und Nahrungsmittelkonserven, als konservierender Stoff zugesetzt werden. Die deutsche Regierung hat darauf hingewiesen, daß seine chemische Struktur noch nicht völlig bekannt sei. Wie dem auch sei, Nisin war Gegenstand eines Berichts des gemeinsamen Sachverständigenausschusses für Nahrungsmittelzusatzstoffe der Welternähtungsorganisation und der Weltgesundheitsorganisation (Joi nt FAO/WHO Expert Committee on Food Additives; WHO Tech. Rep. Ser. 1969, Nr. 430). Anhand von Tierversuchen gelangte dieser Ausschuß zu dem Ergebnis, daß die tägliche Einnahme von 3300000 Internationalen Einheiten Nisin pro Kilogramm Körpergewicht keine schädlichen Wirkungen zeitige. Um die hinnehmbare tägliche Einnahmemenge (acceptable daily intake, „a.d.i.“) für Menschen festzulegen, wurde diese Zahl durch einen „Sicherheitsfaktor“ 100 geteilt, der unter anderem das unterschiedliche Alter der Personen berücksichtigte, die dieses Erzeugnis verzehrten. Der Ausschuß gelangte so zu einem „a.d.i.“ von 33000 Internationalen Einheiten (das entspricht 0,78 mg) pro Kilogramm Körpergewicht. Anschießend stellt sich das Problem, diesen „a.d.i.“ in die Nisinmengen umzusetzen, die in bestimmten Lebensmitteln hingenommen werden können. Dieses Problem hat uns Herr Kinch als „außergewöhnlich schwierig“ beschrieben. Seine Lösung hängt weitgehend von der Ermittlung der Zusammensetzung der menschlichen Nahrung ab, die, wie Herr Kinch ausführte, „eine sehr langwierige und komplizierte Aufgabe“ darstelle. Seine Abteilung habe damit begonnen, sie indes bei weitem noch nicht zu Ende geführt. Diese Aufgabe wird noch verwickelter, weil der Geschmack in jedem Land ein anderer ist. Die niederländische Regierung verwies dafür auf Statistiken, denen zum Beispiel zu entnehmen war, daß der Käseverbrauch pro Kopf der Bevölkerung in den Niederlanden mehr als doppelt so hoch ist als im Vereinigten Königreich. Auf meine Frage antwortete Herr Kinch, es gebe keinen verbindlichen internationalen Maßstab dafür, bis zu welcher Menge Nisin in Käse unschädlich sei. Er konnte in diesem Zusammenhang lediglich auf eine uns schon von anderer Seite genannte Empfehlung der Codex Alimentarius Commission der FAO/WHO verweisen, die dahin ging, daß 12,5 mg Nisin pro Kilogramm Käse (einschließlich des natürlich vorhandenen Nisins) als unschädlich anzusehen seien. Herr Kinch teilte uns jedoch mit, das „Codex“-Verfahren für diese Empfehlung sei noch nicht abgeschlossen; daraus schließe ich, daß nicht feststeht, ob diese Empfehlung angenommen wird oder nicht.
Was das Gemeinschaftsrecht angeht, so gibt es die von mir schon genannte Richtlinie des Rates vom 5. November 1963„zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für konservierende Stoffe, die in Lebensmitteln verwendet werden dürfen“ (64/54/EWG). Diese enthält jedoch über Nisin nur folgendes: „Diese Richtlinie berührt nicht die innerstaatlichen Rechtsvorschriften für: ... das Nisin“ — vgl. Artikel 6 Buchstabe b.
Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Zusatz von Nisin zu Schmelzkäse lassen sich in drei Gruppen unterteilen. In Frankreich und im Vereinigten Königreich ist seine Verwendung unbeschränkt zugelassen, wobei jedoch im Vereinigten Königreich die Verpflichtung besteht, auf dem Etikett anzugeben, daß der Käse „einen zugelassenen konservierenden Stoff enthält“. In Belgien, Dänemark, Irland und Italien ist die Verwendung von Nisin bis zu bestimmten Grenzen gestattet, die unterschiedlich ausgestaltet sind. In Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden ist der Zusatz von Nisin untersagt; eine Ausnahme ist für Erzeugnisse vorgesehen, die für den Export bestimmt sind, sowie in den Niederlanden dann, wenn von dem zuständigen Minister aufgrund von technischen Notwendigkeiten eine besondere Erlaubnis erteilt worden ist.
In den Niederlanden hat ein beratender Sachverständigenausschuß (die „Adviescommissie“) eine Lockerung der niederländischen Rechtsvorschriften vorgeschlagen, um den Zusatz von Nisin bis zu einer bestimmten Grenze zu gestatten; dieser Ausschuß hat Verordnungen entworfen, die seinen Empfehlungen entsprechen. Diesen Empfehlungen und Entwürfen kommt jedoch keine rechtliche Bedeutung zu.
Eyssen hatte bis Dezember 1977, als das Verfahren gegen sie eingeleitet wurde, keine ministerielle Erlaubnis beantragt; jedoch hat sie dies inzwischen getan. Auch gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß der von Eyssen auf Lager gehaltene Käse für die Ausfuhr bestimmt war, obwohl dem Vorlageurteil des Gerechtshof zu entnehmen ist, daß Eyssen tatsächlich Käse sowohl für den niederländischen Markt als auch für die Ausfuhr herstellt. Aus dem Vorlageurteil ergibt sich außerdem, daß sich die Menge Nisin, die in den Erzeugnissen von Eyssen enthalten war, innerhalb der Grenze von 12,5 mg hielt, die die Codex Alimentarius Commission empfohlen hatte und auf die sich der Gerechtshof unter der Bezeichnung „Empfehlung des Ausschusses der Regierungssachverständigen FAO/WHO vom September 1976“ bezieht.
Das Verfahren gelangte in erster Instanz vor die Arrondissementsrechtbank Alkmaar. Dieses Gericht hielt mit Urteil vom 14. November 1978 den Eyssen vorgeworfenen Sachverhalt für erwiesen, sprach sie jedoch mit der Begründung frei, die von ihr ihren Erzeugnissen zugesetzte Menge Nisin sei zur Hemmung des Verderbs erforderlich und stelle keine Gesundheitsgefährdung dar, Artikel 6 Buchstabe b der Richtlinie 64/54/EWG gestatte den Mitgliedstaaten, den Zusatz von Nisin zu erlauben und die niederländischen Rechtsvorschriften, aufgrund deren Eyssen angeklagt worden sei, seien nicht mit den Artikeln 30 und 34 EWG-Vertrag vereinbar.
Die Staatsanwaltschaft legte Berufung zum Gerechtshof ein. Dieses Gericht legte dem Gerichtshof eine Frage vor, mit der es nach Darlegung des wesentlichen Sachverhalts und insbesondere nach der Ausführung, daß „Nisin zwar nicht als ein absolut, wohl aber als ein relativ für die menschliche Gesundheit (geringfügig) schädlicher Stoff anzusehen ist“, kurz zusammengefaßt geklärt sehen möchte, ob eine Bestimmung wie Artikel 8 Buchstabe h des Smeltkaasbesluit, die den Zusatz von Nisin bei Schmelzkäse untersagt, wenn keine Ausnahmegenehmigung erteilt wurde, nach den Vorschriften des Vertrages über den freien Warenverkehr ungeachtet des Artikels 36, der Verbote zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen zuläßt, rechtswidrig ist, und ob es von Bedeutung ist, wenn eine entsprechende Ausnahmegenehmigung für Schmelzkäse erteilt wird, der offensichtlich für die Ausfuhr bestimmt ist.
Der Hinweis auf die Ausnahmegenehmigung für Schmelzkäse, der offensichtlich für die Ausfuhr bestimmt ist, bezieht sich wohl auf ein von Eyssen vor den niederländischen Gerichten vorgetragenes Argument, welches dahin ging, die niederländischen Rechtsvorschriften liefen im Ergebnis darauf hinaus, daß niederländische Käsehersteller zwei Produktionssysteme einrichten müßten, und zwar eines für Käse, der für den niederländischen Markt bestimmt sei, und ein anderes für Käse, der für die Ausfuhr in Länder bestimmt sei, in denen der Zusatz von Nisin gestattet sei; dieses Erfordernis komme einer Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Ausfuhrbeschränkung gleich, wie sie in Artikel 34 EWG-Vertrag verboten sei. Vor dem Gerichtshof hat sich Eyssen jedoch mehr auf Artikel 30 EWG-Vertrag in der Auslegung gestützt, die ihm der Gerichtshof in den Rechtssachen 8/74 (Procureur du Roi/Dassonville, Slg. 1974, 837), 104/75 (De Peijper, Slg. 1976, 613), 120/78 (Rewe/Bundesmonopolverwaltung fiir Branntwein — „ Cassis de Dijon“ -, Slg. 1979, 649) und 788/79 (Gilli, Urteil vom 26. Juni 1980, noch nicht veröffentlicht) gegeben hat. Die Argumentation von Eyssen läuft kurz darauf hinaus, daß es sich bei dem niederländischen Verbot des Zusatzes von Nisin um eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung bei Einfuhren aus Mitgliedstaaten handele, in denen ein derartiger Zusatz erlaubt sei.
Bevor ich auf dieses Argument eingehe, muß ich mich mit zwei Fragen von geringerer Bedeutung auseinandersetzen, die die Kommission aufgeworfen hat.
Zunächst bezog sich die Kommission auf Artikel 22 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 des Rates, der Grundverordnung über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse. Diese Bestimmung untersagte im innergemeinschaftlichen Handel „jede mengenmäßige Beschränkung oder Maßnahme gleicher Wirkung“. Der Hinweis auf diese Bestimmung war jedoch meiner Ansicht nach unbehelflich, da nach Ablauf der Übergangszeit, als die Artikel 30 bis 36 EWG-Vertrag unmittelbare Wirkung erhielten, Bestimmungen wie Artikel 22 Absatz 1 gegenstandslos geworden sind — vgl. z. B. die Rechtssache 251/78 (Denkavit Futtermittel/Minister fiir Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Slg. 1979, 3369, Randnr. 3 der Entscheidungsgründe).
Weiter trug die Kommission vor, Eyssen könne sich nicht auf Artikel 30 berufen, da sie kein Importeur sei. In diesem Zusammenhang bezog sich die Kommission auf die Rechtssache 68/79 (Just/Dänisches Ministerium fiir das Steuerwesen, Slg. 1980, 501), in der für Recht erkannt wurde, daß Artikel 95 EWG-Vertrag nur aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Erzeugnisse schütze, ein inländischer Erzeuger sich aber nicht auf diese Bestimmung berufen könne. Diese Entscheidung ist jedoch meines Erachtens nicht einschlägig. Es steht fest, daß Artikel 95 den Mitgliedstaaten untersagt, aus anderen Mitgliedstaaten eingeführte Erzeugnisse höher zu belasten als einheimische Erzeugnisse, daß er jedoch das Gegenteil nicht untersagt — vgl. Rechtssache 86/78 (Peureux/Directeur des Services Fiscaux, Slg. 1979, 897, Randnr. 32 der Entscheidungsgründe). Daß dem so ist, ist bereits zwingend aus dem Wortlaut des Artikels 95 abzuleiten. Mit anderen Worten, bei Artikel 95 handelt es sich um eine der seltenen Vertragsbestimmungen, die eine „umgekehrte Diskriminierung“ zulassen. Artikel 30 ist anders ausgestaltet und hat eine viel größere Reichweite. In der bekannten Formulierung des Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache Dassonville untersagt er „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“. Artikel 30 untersagt somit nicht lediglich die Diskriminierung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten. Er kann auch dann eingreifen, wenn keine derartige Diskriminierung vorliegt. Dies zeigt die Rechtssache Gilli, in der das umstrittene Verbot, in Italien Obstessig in den Verkehr zu bringen, unabhängig davon galt, ob der Essig in Italien oder in einem anderen Mitgliedstaat hergestellt war. Generalanwalt Capotorti hat nachdrücklich gerade auf diesen Punkt hingewiesen und ausgeführt:
„Das Merkmal der innerstaatlichen Regelung, das die Wirkung des Artikels 30 betrifft, besteht nämlich darin, daß diese Regelung eine absolute Schranke für die Einfuhr eines bestimmten Erzeugnisses aus anderen Mitgliedstaaten darstellt. Dieser Umstand genügt für die Annahme, daß der Grundsatz des freien Warenverkehrs verletzt ist, auch wenn die Regelung den Absatz des fraglichen Erzeugnisses unabhängig von dem Land, in dem es hergestellt worden ist, verhindert.“
Ich übersehe nicht den Umstand, daß es sich in der Rechtssache Gilli bei den Angeklagten um Importeure handelt. In der Entscheidung des Gerichtshofes ging es jedoch nicht um diese Frage. Es ging darum, daß die italienische Regelung, objektiv und unabhängig vom Sachverhalt des Einzelfalles betrachtet, ein Hindernis für den innergemeinschaftlichen Handel darstellte. Ebenso kann meines Erachtens der Umstand, daß es sich bei Eyssen um einen holländischen Hersteller und nicht um einen holländischen Importeur handelt, die Antwort, die Sie auf die Frage des Gerichtshof im vorliegen- - den Fall geben werden, nicht beeinflussen.
Ich wende mich nun dieser Frage zu, die, genau betrachtet, drei Unterfragen enthält:
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i) |
Ist eine Bestimmung, wie sie in Artikel 8 Buchstabe h des Smeltkaasbesluit enthalten ist, prima facie durch Artikel 30 EWG-Vertrag verboten? |
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ii) |
Ist eine derartige Bestimmung prima facie durch Artikel 34 EWG-Vertrag verboten? |
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iii) |
Wenn eine derartige Bestimmung prima facie durch diese Vertragsartikel oder einen von ihnen verboten ist, ist sie dann dennoch aufgrund von Artikel 36 EWG-Vertrag rechtmäßig? |
Die beiden ersten Fragen sind schnell zu beantworten.
Eyssen und die Kommission haben vorgetragen, daß Artikel 8 Buchstabe h in Anbetracht des Artikels 30 prima facie ungültig sei. Niemand hat das Gegenteil behauptet. Eyssen und die Kommission scheinen mir insoweit eindeutig recht zu haben. Artikel 8 Buchstabe h hat zur Folge, daß Nisin enthaltender Schmelzkäse, der in einem Mitgliedstaat hergestellt wurde, in dem der Zusatz von Nisin gestattet ist, in den Niederlanden nicht verkauft werden darf. Ganz offensichtlich schränkt dies den innergemeinschaftlichen Handel mit derartigem Käse ein.
Da dem so ist, braucht man meines Erachtens zu Artikel 34 nicht abschließend Stellung zu nehmen. Die niederländische Regierung und die Kommission haben beide vorgetragen, Artikel 34 sei nicht einschlägig, da Ausfuhren aus den Niederlanden dem Verbot des Zusatzes von Nisin nicht unterlägen und der Zusatz von Nisin zu Schmelzkäse in keinem Mitgliedstaat gesetzlich vorgeschrieben sei. Ich bin sicher, daß diese Frage damit erschöpfend beantwortet ist. Es ist denkbar, daß z. B. ein niederländischer Hersteller, der beabsichtigte, Schmelzkäse in das Vereinigte Königreich auszuführen, zu dem Ergebnis käme, daß sein Erzeugnis ohne Zusatz von Nisin dort nicht wettbewerbsfähig wäre, da es schneller verdürbe als ein im Vereinigten Königreich hergestelltes Erzeugnis. Der niederländische Hersteller wäre dann wirtschaftlich gezwungen, Schmelzkäse, der für die Ausfuhr in das Vereinigte Königreich bestimmt ist, Nisin zuzusetzen. Das von der Firma Eyssen vorgetragenen Argument über die „zwei Produktionssysteme“ könnte also zum Tragen kommen. Eine Entscheidung darüber hängt jedoch von tatsächlichen Umständen ab, die die niederländischen Gerichte zu ermitteln haben.
Somit komme ich zum eigentlichen Problem dieser Rechtssache, das sich auf die Tragweite des Artikels 36 bezieht.
Eyssen und die Kommission haben die Auffassung vertreten, daß diese Bestimmung an der Ungültigkeit des Artikels 8 Buchstabe h nichts ändern könne; die niederländische und die deutsche Regierung haben hingegen eine gegenteilige Auffassung vertreten. Die von Eyssen und der Kommission vorgetragenen Argumente zur Begründung ihrer Auffassung ähnelten sich in manchen Punkten, wichen jedoch in anderen voneinander ab. Die dem widersprechenden Argumente der niederländischen oder deutschen Regierungen sind sich sehr ähnlich, abgesehen davon, daß die der deutschen Regierung in mancherlei Hinsicht erheblich weiter reichten als die der niederländischen Regierung. Sie, meine Herren Richter, haben diese Argumente gelesen und vernommen; ich halte es nicht für sinnvoll, sie zu wiederholen.
Es gibt eine bekannte Rechtsprechung des Gerichtshofes, auf die sich die Argumente der Kommission und auch von Eyssen weitgehend stützen. In dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof aus dem hier nicht in Frage gestellten allgemeinen Grundsatz Folgerungen gezogen, daß Artikel 36 EWG-Vertrag nicht bestimmte Sachgebiete der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten vorbehalten soll, sondern lediglich Ausnahmen vom Grundsatz des freien Warenverkehrs durch innerstaatliche Normen insoweit zuläßt, als dies zur Erreichung der in dieser Vorschrift genannten Ziele gerechtfertigt ist und bleibt. Bei diesen Folgerungen handelt es sich, soweit hier von Bedeutung, um die folgenden:
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i) |
Im Recht eines Mitgliedstaats zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen enthaltene Ausnahmen vom Grundsatz des freien Warenverkehrs sind mit dem Vertrag nur dann vereinbar, wenn sie zur Erreichung dieses Zieles „erforderlich“ sind. |
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ii) |
Die Beweislast dafür, daß derartige Ausnahmen diese Voraussetzungen erfüllen, obliegt dem jeweiligen Mitgliedstaat. |
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iii) |
Wenn die Gültigkeit derartiger Ausnahmen vor einem Gericht eines Mitgliedstaats bestritten wird, dann ist es Aufgabe dieses Gerichts, die Voraussetzungen zu prüfen und danach zu entscheiden. |
Ich will keineswegs, meine Herren Richter, behaupten, daß der Gerichtshof diese Folgerungen zu Unrecht gezogen hat. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß sie anhand von Rechtssachen gezogen wurden, bei denen es jeweils um verwaltungsrechtliche Verfahren oder Anforderungen ging, die in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutz vor einer offensichtlichen Gefährdung der Gesundheit vorgesehen waren. So ging es z. B. in der Rechtssache De Peijper (a.a.O.) um die Unterlagen, die nach niederländischem Recht vorzulegen sind, damit in den Niederlanden keine mangelhaften pharmazeutischen Erzeugnisse in den Verkehr gebracht werden; die Rechtssache 35/76 (Simmenthal/Italienisches Finanzministerium, Slg. 1976, 1871) betraf gesundheitspolizeiliche Untersuchungen zum Schutz der italienischen Bevölkerung vor der Einfuhr verdorbenen Fleisches; in der Rechtssache 153/78 (Kommission/Deutschland, Slg. 1979, 2555) ging es um eine Bestimmung des deutschen Rechts über die Herkunft der Bestandteile von Fleischerzeugnissen, durch die (angeblich) die Verbraucher vor ungesundem Fleisch geschützt werden sollten; die Rechtssache 251/78 (Denkavit Futtermittel, a.a.O.) schließlich betraf ein kompliziertes deutsches Bescheinigungs-, Untersuchungs- und Genehmigungssystem zur Bekämpfung von Krankheitserregern in Futtermitteln.
Die vorliegende Rechtssache unterscheidet sich davon. Niemand behauptet, daß Nisin seiner Natur nach schädlich sei, wie dies bei mangelhaften pharmazeutischen Erzeugnissen oder Krankheitserregern in Fleisch, Fleischerzeugnissen oder Futtermitteln der Fall ist. Nisin ist von Natur aus im Käse vorhanden. Schädlich kann allenfalls eine übermäßige Aufnahme von Nisin sein. Niemand kann mit Sicherheit sagen, welche Menge Nisin bei Käse zu groß ist. Auch sehen die hier umstrittenen niederländischen Bestimmungen kein Verfahren vor, das vor dem Vorhandensein von Nisin in Käse schützen soll. Sie untersagen lediglich, in den Niederlanden Käse mit Nisinzusatz zu verkaufen, soweit nicht aus technischen Gründen eine Ausnahmegenehmigung erteilt wurde. Diese Bestimmungen sollen eindeutig den Nisinverbrauch der niederländischen Bevölkerung einschränken.
Zu fragen ist, ob derartige Bestimmungen im Sinne von Artikel 36 EWG-Vertrag „gerechtfertigt“ sind. Die vom Gerichtshof in den von mir zitierten Rechtssachen entwickelte Notwendigkeitsprüfung ist der vorliegenden Rechtssache meines Erach tens nicht angemessen. Ich halte es ebenfalls nicht für richtig, aus diesen Entscheidungen abzuleiten — wie dies sowohl Eyssen als auch die Kommission vertreten hatten, obwohl der Bevollmächtigte der Kommission von dieser Ansicht gegen Ende der mündlichen Verhandlung wieder Abstand nahm —, die niederländische Regierung müsse die Beweislast dafür tragen, daß Nisin schädlich sei, oder aber, diese Frage sei, wie von der Kommission vorgetragen, von Eyssen hingegen bestritten wurde, von den niederländischen Gerichten zu entscheiden.
Bei einer Rechtssache, in der es darum geht, ob ein Verwaltungsverfahren zum Schutze gegen eine eindeutige Gefährdung der Gesundheit im Sinne des Artikels 36 „gerechtfertigt“ ist, ist die Auffassung, wie sie der Gerichtshof vertreten hat, sinnvoll, daß nämlich das zuständige innerstaatliche Gericht zu entscheiden hat, ob im jeweiligen Einzelfall dieses Verfahren zum Erreichen des Zwecks erforderlich ist; und ebenso ist die Auffassung sinnvoll, daß die Beweislast für den Nachweis, daß das Verfahren erforderlich ist, demjenigen obliegt, der dies behauptet. In einer Rechtssache wie der vorliegenden jedoch, bei der es um einen Stoff geht, der bei Einnahme in übermäßigen Dosen möglicherweise schädlich ist, bei dem es jedoch keinen allgemein anerkannten Maßstab für die Menge gibt, die bei speziellen Lebensmitteln hingenommen werden kann, und bei dem es darum geht, ob die innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Einschränkung des Verbrauchs dieses Stoffes „gerechtfertigt“ sind, scheint mir diese Betrachtungsweise nicht angemessen zu sein. Sie ist deswegen nicht angemessen, weil niemand darlegen kann, was „erforderlich“ ist, und dies schon gar nicht nachweisen kann, und sie ist weiterhin nicht angemessen, weil es nahezu unausweichlich einen Verlust an Einheitlichkeit bei der Auslegung des Vertrages zur Folge hätte, den Artikel 177 gerade verhindern soll, wenn die Entscheidung derartiger Fälle innerstaatlichen Gerichten überlassen würde. Meines Erachtens hat daher der Gerechtshof zu Recht die Auffassung vertreten, daß in solchen Fällen der Gerichtshof entscheiden müsse. Für mich ist es in diesem Zusammenhang von gewisser Bedeutung, daß der Gerichtshof zumindest in zwei Fällen selbst festgestellt hat, daß ein bestimmtes Erzeugnis nicht als gesundheitsschädlich angesehen werden könne: in den Rechtssachen „Cassis de Dijon“ und „Gilli“.
Sollten Sie, meine Herren Richter, deswegen für Recht erkennen, daß Bestimmungen wie die hier fraglichen niederländischen Bestimmungen nicht durch den Schutz der Gesundheit von Menschen gerechtfertigt werden könnten? Meines Erachtens nicht. Soweit ich sehen kann, liegt kein Grund für die Annahme vor, diese Bestimmungen stellten „ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten dar“. Auch besteht meines Erachtens kein Anlaß, der Argumentation von Eyssen zu folgen, die in den niederländischen Rechtsvorschriften vorgesehenen Einschränkungen könnten nicht gerechtfertigt werden, weil die Verwendung von Nisin in Frankreich und im Vereinigten Königreich ohne Einschränkung zulässig sei und weil man annehmen könne, daß die französischen und britischen Behörden ebenso verantwortungsbewußt seien wie die niederländischen. Zumindest ist es möglich, daß die niederländischen Behörden über eine bessere Einsicht verfügen als die britischen und französischen. Auf jeden Fall handelt es sich hier um ein Sachgebiet, bei dem die Mitgliedstaaten bis zum Erlaß einer Harmonisierungsrichtlinie oder wenigstens bis zur Annahme eines allgemein anerkannten internationalen Maßstabs über einen gewissen Beurteilungsspielraum verfügen; ich glaube nicht, daß man den Niederlanden anlasten könnte, sie hätten die Grenzen dieses Beurteilungsspielraums im vorliegenden Fall überschritten. Noch weniger glaube ich, daß Sie, meine Herren Richter, der Argumentation der Kommission folgen sollten, die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, weiteren Harmonisierungsmaßnahmen zuzustimmen, würde nachlassen, wenn die niederländischen Bestimmungen als gerechtfertigt anerkannt würden. Ihre Aufgabe besteht darin, bei dem Gerichtshof anhängige Rechtssachen in Übereinstimmung mit dem zu entscheiden, was Sie für Recht halten, wobei derartige politische Erwägungen außer Betracht zu bleiben haben.
Meines Erachtens sollten Sie jedoch diese Rechtssache lediglich mit der engen Begründung entscheiden, im Lichte der dem Gerichtshof über Nisin vorgetragenen Tatsachen und im Hinblick auf die neutrale Haltung, die der Rat in bezug auf Nisin in Artikel 6 Buchstabe b der Richtlinie 64/54/EWG eingenommen hat, seien die niederländischen Bestimmungen über diesen Stoff mit dem Gemeinschaftsrecht bei dessen gegenwärtigem Stand vereinbar. Ich sage dies, weil uns die deutsche Regierung Ausführungen hat unterbreiten lassen, die meines Erachtens bezweckten, Sie zur Annahme einer erheblich weiter gehenden Vorstellung zu veranlassen, der Vorstellung nämlich, daß in Anbetracht der gegenwärtig allgemein verbreiteten Umweltverschmutzung und der Gefahren, die diese für die Gesundheit mit sich bringt, ein Mitgliedstaat im Hinblick auf Artikel 36 EWG-Vertrag als berechtigt anzusehen sei, bei auf seinem Hoheitsgebiet verkauften Erzeugnissen die Verwendung jeglichen Stoffes zu untersagen, von dem nicht nachgewiesen sei, daß er entweder allein oder in Verbindung mit anderen Stoffen keinen Schaden bewirken könne. Dies mag zutreffen, aber es ist meines Erachtens nicht erforderlich, im vorliegenden Fall so weit zu gehen. Auf alle Fälle bezweifle ich, daß eine Entscheidung über eine derart allgemeine These von einer Kammer des Gerichtshofes erlassen werden könnte.
Im Ergebnis vertrete ich die Auffassung, daß Sie, meine Herren Richter, als Antwort auf die dem Gerichtshof vom Gerechtshof Amsterdam vorgelegte Frage für Recht erkennen sollten, daß gegenwärtig eine Bestimmung im Recht eines Mitgliedstaats, die, von Ausnahmen abgesehen, den Zusatz von Nisin zu Schmelzkäse untersagt, mit den Bestimmungen des Vertrages über den freien Warenverkehr in Einklang steht.
( 1 ) Aus dem Englischen übersetzt.