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Document 52023IE1665

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Zugang zu Wasser: Bekämpfung von Wasserarmut und Auswirkungen auf die Sozialpolitik“ (Initiativstellungnahme)

    EESC 2023/01665

    ABl. C 349 vom 29.9.2023, p. 60–68 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    29.9.2023   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 349/60


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Zugang zu Wasser: Bekämpfung von Wasserarmut und Auswirkungen auf die Sozialpolitik“

    (Initiativstellungnahme)

    (2023/C 349/10)

    Berichterstatter:

    Kinga JOÓ und Carlos Manuel TRINDADE

    Beschluss des Plenums

    25.1.2023

    Rechtsgrundlage

    Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung

     

    Initiativstellungnahme

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

    Annahme in der Fachgruppe

    21.6.2023

    Verabschiedung im Plenum

    13.7.2023

    Plenartagung Nr.

    580

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    171/19/22

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt uneingeschränkt die Resolutionen der Vereinten Nationen, in denen bekräftigt wird, dass Wasser ein grundlegendes Menschenrecht (1) und für den vollen Genuss des Rechts auf Leben und aller Menschenrechte unverzichtbar (2) ist. Sowohl in den Nachhaltigkeitszielen (SDG 6) der Vereinten Nationen als auch in Grundsatz 20 der europäischen Säule sozialer Rechte der Europäischen Union sind die allgemeinen Grundsätze des Rechts auf Zugang zu Wasser festgelegt. Vor dem Hintergrund des Klimawandels gewinnt die Wasserarmut an Bedeutung und erfordert politisches Handeln zu ihrer Bekämpfung. Schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen sind bei Wasserknappheit stärker betroffen.

    1.2.

    Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, bei der Wasserpolitik und der Bekämpfung der Wasserarmut im Sinne der europäischen Säule sozialer Rechte einen menschenrechtsbasierten Ansatz zu verfolgen. Die Wasser- und Sanitärversorgung sollte nachhaltig, gerecht, effektiv, von hoher Qualität und für alle erschwinglich sein. Dabei sollte insbesondere benachteiligten Bevölkerungsgruppen besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden.

    1.3.

    Der allgemeine Zugang der Bevölkerung zu Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung von hoher Qualität und zu fairen Preisen ist nach Auffassung des EWSA als öffentliches Gut und nicht als reine Handelsware zu behandeln. Deshalb sollte dieser Zugang auch nicht über die Vorschriften des Binnenmarktes geregelt werden.

    1.4.

    Der EWSA fordert die Kommission auf, ein gemeinsames Verständnis von Wasserarmut auf EU-Ebene zu fördern und eine umfassende Definition von Wasserarmut aufzustellen, die einen konkreten und gemeinsamen Ansatz in puncto Wasserarmut ermöglicht (3). In diesem Rahmen kann jeder Mitgliedstaat seine eigene kontextabhängige Definition im Einklang mit der europäischen Definition entwickeln.

    1.5.

    Der EWSA fordert die Kommission auf, gemeinsame Leitlinien zu entwickeln, um den Zugang zu einer hochwertigen und erschwinglichen Wasser- und Sanitärversorgung (4) sowie die diesbezüglichen räumlichen, sozialen und geschlechtsspezifischen Unterschiede auf Ebene der Mitgliedstaaten und der EU zu überwachen, den aktuellen Zustand zu erfassen und die Entwicklung regelmäßig zu überwachen. Die Daten sollten zuverlässig, stichhaltig und öffentlich zugänglich sein. Dies ist auch erforderlich, um Artikel 16 Buchstabe a der Richtlinie (EU) 2020/2184 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2020 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (5) (im Folgenden „Trinkwasserrichtlinie“) nachzukommen, und der EWSA erwartet, dass der Vorschlag der Europäischen Kommission für die Überarbeitung der Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser (6), mit dem ein Artikel 19 über den Zugang zur Abwasserentsorgung eingeführt wird, angenommen wird.

    1.6.

    Der EWSA empfiehlt der Kommission, im Zuge der anstehenden Überarbeitung der Trinkwasserrichtlinie den allgemeinen Zugang zur Wasser- und Sanitärversorgung im Sinne von SDG 6 zu gewährleisten. Der EWSA legt der Kommission nahe, gemeinsame Leitlinien für die Preisgestaltung im Bereich der Wasser- und Sanitärversorgung anzunehmen, in deren Rahmen die Mitgliedstaaten ihre kontextabhängigen Regelungsrahmen entwickeln können. Bei solchen Leitlinien sollten das Menschenrecht auf Wasser und der Grundsatz des Verschlechterungsverbots geachtet werden, so wie es die Vereinten Nationen für die Menschenrechte und den Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung empfohlen haben.

    1.7.

    Der EWSA betont, dass andere soziale Bedürfnisse durch die Bezahlung von Diensten der Wasser- und Sanitärversorgung nicht leiden dürfen. Daher fordert der EWSA die Kommission auf, einen Überblick über die Maßnahmen in allen Mitgliedstaaten in Bezug auf die Erschwinglichkeit und insbesondere auf schutzbedürftige Verbraucher zu erstellen. Anhand dieses Überblicks sollte die Kommission gemeinsame Leitlinien für die Mitgliedstaaten erarbeiten. Diese können dann Haushalte mit finanziellen Schwierigkeiten, insbesondere schutzbedürftige Verbraucher, ermitteln und entsprechende Abhilfemaßnahmen konzipieren. Mit diesen Leitlinien sollte sichergestellt werden, dass keine Verbraucher, die sich in einer prekären Lage befinden, von der Wasserversorgung abgetrennt werden (7). Bei solchen Maßnahmen sollte die Situation der betroffenen Haushalte ganzheitlich betrachtet werden. Sozialpolitische Instrumente, wohnungspolitische Maßnahmen und spezifische Maßnahmen in Bezug die Wasser- und Sanitärversorgung sollten kontextspezifisch angewandt werden. Bei der Finanzierung solcher Maßnahmen sollte dem Grundsatz der Solidarität Rechnung getragen werden; neben der öffentlichen Finanzierung sollten innovative Finanzierungsformen eruiert werden, z. B. spezielle Fördermittel, die über die Wasserrechnung gewährt werden.

    1.8.

    Der EWSA empfiehlt, dass die EU Regelungsrahmen für Wasserkonzessionsverträge beschließen und stärken sollte, damit Wasser nicht als Handelsware behandelt, sondern als öffentliches Gut bewirtschaftet wird. Solche Regelungsrahmen sollten

    a)

    sich an den Menschenrechten orientieren;

    b)

    die Nachhaltigkeit aquatischer Ökosysteme fördern;

    c)

    transparent konzipiert und unter Beteiligung der Öffentlichkeit umgesetzt werden;

    d)

    den Rahmen für Konzessionsrechte dadurch ergänzen, dass öffentliche Einrichtungen Wassernutzungsrechte bei Dürrekrisen gegen eine angemessene Entschädigung einziehen und diese Rechte an Verbraucher in Notlagen neu vergeben können.

    1.9.

    Der EWSA verweist auf den grundlegenden Unterschied zwischen öffentlicher und privater Wasserbewirtschaftung. In beiden Bereichen finden sich sowohl gute als auch schlechte Beispiele. Da mit der privaten Bewirtschaftung jedoch Gewinne erzielt werden müssen, ist die flächendeckende Versorgung der gesamten Bevölkerung im Rahmen der Grundversorgung unter Umständen problematisch. Der EWSA ist der Auffassung, dass im Rahmen der öffentlichen Wasserbewirtschaftung sowohl der allgemeine Zugang zu Wasser und zu sanitärer Grundversorgung zu fairen Preisen und unter Einhaltung angemessener Qualitätsstandards als auch die Wiederherstellung und der Schutz von Ökosystemen besser gewährleistet werden kann als im Rahmen der privaten Wasserbewirtschaftung.

    1.10.

    Nach Ansicht des EWSA sollten die EU und alle Mitgliedstaaten umweltbewusst handeln und Programme zur Finanzierung von Wasserversorgern entwickeln, um Lecks und Verluste zu verringern, die zu den größten Problemen bei der Bewirtschaftung der Wasserressourcen gehören. Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, neue, innovative technische Lösungen zur Bekämpfung der Wasserknappheit zu prüfen und zu fördern, wie z. B. die verstärkte Nutzung von Grauwasser und von gereinigtem Abwasser sowie dezentrale, kleine Abwasseraufbereitungsanlagen.

    1.11.

    Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, öffentliche Mittel für den Infrastrukturausbau bereitzustellen, insbesondere im Hinblick auf finanziell schwächere Immobilieneigentümer und sozial benachteiligte städtische und ländliche Umgebungen mit längerfristigem Infrastrukturerneuerungsbedarf. Es sollte in Erwägung gezogen werden, im Rahmen der Initiative „Renovierungswelle“ die Infrastruktur in den Bereichen Wasser- und Sanitärversorgung auszubauen. Zudem sollte auf dem Gebiet der Raumplanung bei der Erbringung von Diensten der Wasser- und Sanitärversorgung die ökologische, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit berücksichtigt werden.

    1.12.

    Unter gebührender Berücksichtigung der Tatsache, dass in Europa zahlreiche Wassereinzugsgebiete auf mehrere Mitgliedstaaten aufgeteilt sind, empfiehlt der EWSA, für jedes der bestehenden Einzugsgebiete in der EU einen politisch-technischen Regulierungsrahmen festzulegen und die Zivilgesellschaft einzubinden (siehe Ziffer 6.4 und Ziffer 6.5). Der EWSA regt an, dass die Kommission bewerten sollte, mit welchem Erfolg die Einzugsgebiete bewirtschaftet werden, und politische, technische und partizipative Mechanismen für eine bessere Bewirtschaftung einführen sollte. Die Kommission sollte einen Rat für Wassereinzugsgebiete einrichten, in dem alle Interessenträger vertreten sind, der die für die Einzugsgebiete zuständige Behörde unterstützt und bei grenzüberschreitenden Konflikten als Vermittler fungiert.

    1.13.

    Der EWSA empfiehlt der Kommission,

    extrem wasserintensive Vorhaben in Landwirtschaft und Industrie angesichts der sich hieraus ergebenden Umwelt- und Sozialprobleme zu regulieren und für einige dieser Vorhaben eine Auslaufphase zu entwickeln, Lösungen für die beteiligten Unternehmen, Arbeitnehmer und Gebiete zu finden und die erforderlichen Mittel bereitzustellen, damit diese Lösung ausgewogen ist;

    Rechtsvorschriften auszuarbeiten, um eine Mindestmenge an Wasser vorzugeben, die ins Meer gelangen muss;

    dafür zu sorgen, dass die EU Notfallpläne annimmt, in denen der Zugang zu Wasser für den menschlichen Gebrauch bei Wasserknappheit Vorrang hat.

    1.14.

    Der EWSA regt an, dass die EU Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher ausarbeitet, um allen einen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu fairen Preisen und zu einer angemessenen Abwasserentsorgung zu sichern. Zu diesen Maßnahmen sollte unter anderem die Mitwirkung der verschiedenen betroffenen Interessenträger (Verbraucher, Arbeitnehmer, Unternehmen) an Beratungsgremien zählen.

    1.15.

    Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen zu ergreifen, um das Bewusstsein der EU-Bürger für den Wert von Wasser und dafür zu schärfen, wie wichtig der Zugang aller zur Wasser- und Sanitärversorgung ist. Das Potenzial von Kommunikation und Aufklärung für die Sensibilisierung sollte genutzt werden, um eine nachhaltigere Nutzung von Diensten der Wasser- und Sanitärversorgung zu fördern (8). Zwar sollten künftig verstärkt Kinder und Jugendliche als Schlüsselakteure im Bereich der nachhaltigen Nutzung von Diensten der Wasser- und Sanitärversorgung ins Visier genommen werden, generell sollten mit den Sensibilisierungsmaßnahmen jedoch alle Altersgruppen angesprochen werden. Im Falle von Haushalten, die von Wasserarmut betroffen sind, sollten die Maßnahmen zur Verbesserung des Zugangs der Haushalte zu einer hochwertigen und erschwinglichen Wasser- und Sanitärversorgung durch Sensibilisierung ergänzt werden.

    1.16.

    Der EWSA hebt hervor, dass die Wasserpolitik der EU und der Mitgliedstaaten mit systematischen Erhebungen über die Anforderungen an das Personal im Wassersektor, unter anderem über die erforderlichen Qualifikationen, die Personalentwicklung sowie die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, einhergehen sollte. Diese Erhebungen sollten in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern des Sektors durchgeführt werden.

    2.   Einleitung und Gegenstand der Stellungnahme

    2.1.

    Wasser ist für alle Lebensbereiche von elementarer Bedeutung. Auch im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung spielt es eine Schlüsselrolle. Für den Frieden ist Wasser ebenfalls unverzichtbar. Der Klimawandel hat die wasserbedingten Probleme bereits verschärft — diese Entwicklung wird sich in Zukunft noch verstärken. Eine unzureichende Trinkwasserversorgung stellt ein zunehmendes Problem für die Menschheit dar, insbesondere für schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen.

    2.2.

    2010 (9) hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Recht auf Wasser und Sanitärversorgung ausdrücklich als Menschenrecht anerkannt, was auf der UN-Wasserkonferenz 2023 (10) erneut bestätigt wurde. Die Vereinten Nationen erkennen ferner an, dass sauberes Trinkwasser und die Sanitärversorgung für die Verwirklichung aller Menschenrechte ganz entscheidend sind. SDG 6 der 17 international vereinbarten Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen lautet: „Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten“. Neben diesen globalen Verpflichtungen besagt Grundsatz 20 der europäischen Säule sozialer Rechte, dass jede Person das Recht auf den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Wasser- und Sanitärversorgung guter Qualität hat.

    2.3.

    Um die nachhaltige Bewirtschaftung ihrer Wasserressourcen sicherzustellen, hat die EU einen umfassenden Rechts- und Verwaltungsrahmen geschaffen, bei dessen Umsetzung inzwischen gute Fortschritte erzielt wurden (11) (12). In früheren Stellungnahmen hat sich der EWSA dafür ausgesprochen, die Herausforderungen in Verbindung mit der Ressource Wasser und der Bekämpfung und Beseitigung der Armut im Zusammenhang zu betrachten (13), die Bereitstellung der Wasser- und Sanitärversorgung als grundlegende öffentliche Dienste für die Allgemeinheit zu fördern (14) und den Trinkwasserzugang schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen oder Menschen, die in abgelegenen bzw. schwer zu erreichenden oder sich in Randlage befindlichen Orten leben, zu fördern (15).

    2.4.

    In dieser Initiativstellungnahme werden die aktuellen Herausforderungen in Bezug auf den Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung beleuchtet. Ferner werden die auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene zu ergreifenden Maßnahmen und die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft bei der Bekämpfung der Wasserarmut und ihrer Auswirkungen, insbesondere auf die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen, untersucht. Schließlich wird untersucht, wie die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Folgen der Wasserarmut und die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit abgemildert werden können.

    2.5.

    Auch wenn die EU im weltweiten Vergleich recht gut dasteht, ist Wasserarmut dennoch ein reales Problem. Wasserarmut lässt sich als fehlender Zugang zu hochwertigen und erschwinglichen Diensten der Wasser- und Sanitärversorgung beschreiben und ist für Millionen von Bürgerinnen und Bürgern in der EU ein alltägliches Problem. Anders ausgedrückt heißt das, dass Millionen von Europäerinnen und Europäern das Recht auf Zugang zu diesen Diensten verwehrt wird.

    2.6.

    Wasserarmut hat jedoch weitreichende soziale, wirtschaftliche und ökologische Folgen, etwa Gesundheitsrisiken für Einzelpersonen wie auch für die Gemeinschaft, geringere Beschäftigungsfähigkeit, Verschlechterung der lokalen Wirtschaftslage, soziale Ausgrenzung, Umweltverschmutzung, Wanderungsbewegungen/Migration und politische Instabilität. Diese Folgen stehen in keinem Verhältnis zum Anteil der Haushalte am Wasserverbrauch und an der Abwassermenge im Vergleich zu Industrie und Landwirtschaft. Dies zeigt sich im Gegenstand der ersten erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative: dem Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung, in der garantierte Dienste der Wasser- und Sanitärversorgung für alle in der EU gefordert werden. Ferner müssten die Menschenrechte über die Marktinteressen bei der Wasserversorgung gestellt und die Anstrengungen der EU zur Sicherstellung des allgemeinen Zugangs zur Wasser- und Sanitärversorgung verstärkt werden (16). Die Bekämpfung der Wasserarmut ist für die Verwirklichung der politischen Prioritäten der Kommission ein notwendiges Mittel, insbesondere im Hinblick auf den Grünen Deal und die Zusage, niemanden zurückzulassen.

    2.7.

    Mit der Trinkwasserrichtlinie werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um schutzbedürftigen Gruppen und Gruppen am Rand der Gesellschaft den Zugang zu Trinkwasser zu sichern. Das allgemeine Recht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung, wie es in den Nachhaltigkeitszielen verankert ist, wird darin jedoch nicht anerkannt. Der EWSA fordert die Kommission auf, diese Anerkennung bei der nächsten Überarbeitung der Trinkwasserrichtlinie zu berücksichtigen.

    2.8.

    Der EWSA stellt mit Bedauern fest, dass einschlägige Daten nur begrenzt und nicht zentral zur Verfügung stehen, was einen umfassenden Überblick über Umfang und Merkmale des Phänomens erschwert.

    3.   Zugang zu hochwertiger Wasser- und Sanitärversorgung

    3.1.

    2,2 % der EU-Bevölkerung, d. h. ca. 9,8 Mio. Menschen, beziehen kein einwandfreies Trinkwasser aus einer hochwertigen Trinkwasserquelle, das in ihrer Wohnstätte zugänglich ist (17). Weitere 2 %, ca. 9,4 Mio. Menschen, haben nur außerhalb ihrer Wohnstätte Zugang zur Trinkwassergrundversorgung (18). Rund 450 000 Menschen mit Wohnsitz in der EU (19) verfügen über keinerlei Zugang zur Trinkwassergrundversorgung. 6,7 Mio. Menschen in der EU (1,5 % der Bevölkerung) leben ohne sanitäre Einrichtungen, d. h. in einem Haushalt, in dem weder ein Bad noch eine Dusche oder eine Toilette mit Wasserspülung in der Wohnstätte vorhanden sind, während 84,5 Mio. Menschen (19 % der Bevölkerung) ohne Anschluss an eine Abwasserentsorgung mit zumindest einer Zweitbehandlungsstufe leben (20).

    3.2.

    Von Wasserarmut besonders betroffen sind benachteiligte Personen und Haushalte.

    Bei armutsbetroffenen Haushalten liegt die Wahrscheinlichkeit dreimal höher, dass sie nicht an eine Kläranlage angeschlossen sind (21).

    Der fehlende Zugang zu Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene („WASH“) wirkt sich in vielerlei Hinsicht unverhältnismäßig stark auf Frauen aus, u. a. aufgrund der ungleichen Rollenverteilung hinsichtlich der Hausarbeit und aufgrund von Schwierigkeiten betreffend die Menstruationshygiene.

    Kinder sind unverhältnismäßig stark betroffen, da sie anfälliger sind, was die Folgen mangelhafter Hygiene anbelangt.

    Auch Menschen mit Behinderungen oder besonderen Bedürfnissen sind stärker von den Folgen der Wasserarmut betroffen.

    Insbesondere Obdachlose leiden aufgrund ihrer extremen Wohnungsarmut besonders stark unter dem fehlenden Zugang zu Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene.

    Auch viele Angehörige der Roma, der größten ethnischen Minderheit Europas, verfügen über keinen Zugang zu einwandfreiem und erschwinglichem Trinkwasser bzw. zu einer angemessenen sanitären Grundversorgung. Jeder dritte Roma lebt in einer Wohnung ohne Leitungswasser (22), und nur etwas mehr als die Hälfte davon ist mit einer Toilette mit Wasserspülung oder einer Dusche ausgestattet (23). Einigen marginalisierten Gemeinschaften (die Roma sind hier übermäßig stark vertreten) wird selbst die grundlegende Trinkwasserversorgung verweigert, indem öffentliche Wasseranschlüsse stillgelegt werden (24). Sie leben in Gebieten, in denen das Grundwasser aufgrund wirtschaftlicher Tätigkeiten verunreinigt ist (25).

    Migranten, insbesondere Migranten ohne gültige Ausweispapiere in Notunterkünften und informellen Unterkünften, haben unter Umständen besonders schlecht Zugang zu Diensten der Wasser- und Sanitärversorgung.

    Der mangelnde Zugang zur Wasser- und Sanitärversorgung zu erschwinglichen Preisen kann sich auf Familienbetriebe schutzbedürftiger Haushalte auswirken und sie vor soziale und wirtschaftliche Probleme stellen.

    3.3.

    Räumliche Unterschiede in der Infrastruktur für die Wasser- und Sanitärversorgung sind ein wichtiger — wenn auch nicht der einzige — Faktor für den sozial ungleichen Zugang. In vielen Bereichen kommen Infrastrukturprobleme und soziale Probleme zusammen. Besonders schlecht kann die Lage in marginalisierten ländlichen Gemeinschaften sein. Darüber hinaus trägt eine mangelhafte Infrastruktur in finanziell schwächeren Stadtvierteln mit längerfristigem Erneuerungsbedarf zu Wasserarmut und Umweltproblemen bei.

    3.4.

    Inzwischen wirkt sich der demografische Wandel auf die räumliche Verteilung der Nachfrage im Bereich Wasser- und Sanitärversorgung aus. Aufgrund der Urbanisierung erhöht sich der Druck auf die Wasser- und Sanitärversorgung in vielen dicht besiedelten städtischen Gebieten. In anderen Teilen der EU, insbesondere — wenn auch nicht ausschließlich — in ländlichen Gebieten, stellt der Bevölkerungsrückgang eine Herausforderung für den Betrieb der Netze dar.

    3.5.

    Während die genannten Probleme hinsichtlich des fehlenden Zugangs zur Wasser- und Sanitärversorgung in erster Linie bestimmte gesellschaftliche Gruppen betreffen, hat ein weitaus höherer Anteil der EU-Bevölkerung — nämlich durchschnittlich 30 % — mit der einen oder anderen Form der Wasserknappheit zu kämpfen, d. h. mit einem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage an Wasser (26). In Südeuropa sind die Menschen ganzjährig mit schwerwiegenden Problemen des Wassermangels konfrontiert. In anderen Teilen Europas kommt es nur zu bestimmten Zeiten und nur in bestimmten Gegenden zu Wasserknappheit. Insgesamt leben 8 Mio. Europäerinnen und Europäer in Gebieten mit hoher Dürrehäufigkeit oder Wasserknappheit (27). Schätzungen zufolge wird der Klimawandel in den meisten Teilen Europas dazu führen, dass jahreszeitabhängig noch weniger Wasser verfügbar sein wird.

    3.6.

    Darüber hinaus ist der Klimawandel, der die Wasserkreisläufe und die Niederschlagsmuster verändert und die Temperaturen ansteigen lässt, ein wesentlicher Faktor, der den Wassermangel beeinflusst und sich in mehrfacher Hinsicht direkt auf den Bereich Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene auswirkt. Dürren, Temperaturanstiege und selbst extreme Regenfälle beeinträchtigen die Verfügbarkeit und die Qualität des Wassers und schaden der Infrastruktur, was die Beibehaltung des Hygieneverhaltens und der Nutzung sanitärer Anlagen erschwert. Durch den Anstieg des Meeresspiegels kann es zu Überschwemmungen kommen und Salzwasser in das Grundwasser eindringen, wodurch u. U. weniger Trinkwasser zur Verfügung steht. Konkret gibt es für Europa zwar nur wenige Belege, auf der Grundlage globaler Entwicklungen kann jedoch davon ausgegangen werden, dass der Klimawandel unverhältnismäßige Auswirkungen auf finanziell schwächere Einzelpersonen, Haushalte und Gemeinschaften hat (28).

    3.7.

    Der Wasserverbrauch der Haushalte ist in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich und schwankt zwischen 77 und 220 Litern pro Kopf und pro Tag (29). In den osteuropäischen Mitgliedstaaten ist der Verbrauch tendenziell niedriger als in den westeuropäischen Mitgliedstaaten. Abgesehen von wenigen Ausreißern sind einige Mitgliedstaaten in Südeuropa die größten Verbraucher (30).

    3.8.

    Im Allgemeinen ist die Wasserqualität in der EU zwar gut, in einigen Bereichen bestehen jedoch nach wie vor Probleme mit der Qualität, wie die Vertragsverletzungsverfahren zeigen, die gegen einige Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Trinkwasserrichtlinie eingeleitet wurden. Darüber hinaus birgt der fehlende Zugang zu sicher bewirtschaftetem Trinkwasser, insbesondere zu einer grundlegenden Wasserversorgung, ein hohes Risiko für nicht einwandfreies Trinkwasser.

    3.9.

    Die Zufriedenheit mit der Trinkwasserqualität ist generell, wenn auch nicht überall, hoch. Laut Umfragedaten aus der Mitte der 2010er-Jahre halten 82 % der EU-Bürger die Qualität des Trinkwassers in dem Gebiet, in dem sie leben, für gut (31), während 7 % gegenteiliger Ansicht sind. Die generelle Einschätzung des Trinkwassers in der EU fiel weitaus weniger positiv aus: nur 27 % stimmten der Aussage zu, dass der Zugang zu einwandfreiem und sauberem Wasser in der EU insgesamt gut ist.

    3.10.

    Während die überwiegende Mehrheit der EU-Bürger Leitungswasser zum Waschen, für die Körperhygiene und zum Kochen verwendet, ist der Anteil der Menschen, die Leitungswasser auch trinken, etwas geringer. So gaben Mitte der 2010er-Jahre mehr als 90 % der Befragten an, Leitungswasser zum Kochen zu verwenden, während nur 55 % angaben, Leitungswasser zu trinken (weitere 10 % trinken gefiltertes Leitungswasser).

    3.11.

    In den letzten Jahrzehnten war eine Kommerzialisierung des Wassers zu beobachten, Dienste der Wasser- und Sanitärversorgung wurden privatisiert und finanzialisiert. Diese Praktiken werden seit einigen Jahren in Frage gestellt, sodass bereits einige Gemeinden wieder zu einer Rekommunalisierung der Wasserversorgung übergegangen sind. Wasser ist lebensnotwendig, ein Gemeingut und ein Menschenrecht. In diesem Zusammenhang ist der EWSA der Auffassung, dass die Dienste der Wasser- und Sanitärversorgung als gemeinwirtschaftliche Verpflichtung einer klaren Regelung unterliegen sollten, die eine allgemein zugängliche Bewirtschaftung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zu einem erschwinglichen Preis und mit einer ausreichenden Dienstleistungsqualität garantiert. Die Kommission sollte Ausnahmen für Wasser und Abwasser in der Richtlinie über Konzessionen (2014/23/EU) (32) beibehalten, die infolge der erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative „Right2Water“ gewährt wurden. Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Wasserversorgung von den Binnenmarktvorschriften auszunehmen.

    4.   Erschwinglichkeit

    4.1.

    Die Erschwinglichkeit von Diensten der Wasser- und Sanitärversorgung bereitet den EU-Bürgern u. a. aufgrund des jüngsten Anstiegs der Energiepreise schon jetzt zunehmend Sorgen. Aller Voraussicht nach werden die Kosten für diese Dienste jedoch noch weiter ansteigen. Im Allgemeinen stellen die Kosten für Dienste der Wasser- und Sanitärversorgung zwar keine übermäßige Belastung für Haushalte dar, in einkommensschwachen Haushalten sieht dies jedoch häufig anders aus. Die Zahl der betroffenen Haushalte dürfte weiter ansteigen. Ausgehend von einem Schwellenwert von 3 % sind Dienste der Wasser- und Sanitärversorgung in 13 EU-Ländern für die ärmsten 5 % der Bevölkerung kaum erschwinglich, während in einigen Ländern sogar die ärmsten 10 % betroffen sind (33). Ein solcher Ansatz zur Messung von Erschwinglichkeitsproblemen ist jedoch umstritten und gibt eventuell nicht das ganze Ausmaß des Problems wieder. Denn schließlich werden weder Haushalte mit unterdurchschnittlichem Verbrauch bzw. unterschiedlich hohe Wasserpreise (34) noch die relative Einkommenssituation der Haushalte berücksichtigt.

    4.2.

    Die räumlichen Unterschiede zwischen den Ländern und innerhalb der Länder hinsichtlich der Preise für die Wasser- und Sanitärversorgung sind beträchtlich (35). Aufgrund fehlender detaillierter Statistiken lässt sich kein umfassender Überblick erstellen. Die Verteilernetze in ländlichen Gebieten sind jedoch durch längere Netzdistanzen und höhere Betriebskosten gekennzeichnet, was mit höheren Tarifen einhergeht.

    4.3.

    Finanziell schwächere Haushalte verfügen nicht nur über ein geringeres Einkommen. Weitere Gründe dafür, dass die Dienste der Wasser- und Sanitärversorgung für sie weniger erschwinglich sind, können darin bestehen, dass ihre Geräte von geringerer Qualität und weniger effizient sind und sie mehr Zeit zu Hause verbringen. Marginalisierte Frauen, Kinder und Jugendliche sowie Arbeitslose sind unverhältnismäßig stark betroffen.

    4.4.

    Zwar erfordern die größten Probleme im Zusammenhang mit der Erschwinglichkeit gezielte und wirksame soziale Maßnahmen, doch kann derzeit kein umfassender Überblick über die Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten zur Bewältigung dieser Probleme, etwa Maßnahmen für schutzbedürftige Verbraucher, gegeben werden. Darüber hinaus gibt es keinen umfassenden Überblick über die Möglichkeit bzw. das Fehlen einer Möglichkeit zur Einstellung der Wasserversorgung oder über einen Mindestdienst. Für manche Länder liegen jedoch einige Informationen vor (36), denen zufolge eine Vielzahl solcher Maßnahmen zur Bewältigung dieser Probleme eingeführt wurde.

    4.5.

    Mit der Wasserrahmenrichtlinie wurde das Konzept des Verursacherprinzips weiter vertieft, indem eine vollständige Kostendeckung und damit gesunde Ökosysteme angestrebt werden. Die Anwendung dieses Grundsatzes verstößt jedoch gegen den Grundsatz des allgemeinen Zugangs zu hochwertigem Trinkwasser zu erschwinglichen Preisen und hat in der Praxis schwerwiegende soziale Folgen, die sich insbesondere in zunehmender Ungleichheit niederschlagen, da die ärmsten Bevölkerungsgruppen entweder im Verhältnis höhere Tarife zahlen müssen oder nicht dem oben dargelegten Grundsatz unterliegen. Nach Auffassung des EWSA sollte der Grundsatz des allgemeinen Zugangs zu hochwertigem Trinkwasser zu erschwinglichen Preisen unabdingbar sein und gemeinsam mit den Umweltbelangen betrachtet werden, die hinter dem Verursacherprinzip und dem Grundsatz der vollständigen Kostendeckung stehen.

    4.6.

    Die Wassertarifstruktur bietet einen wichtigen Hebel für Erschwinglichkeit, Effizienz, Gerechtigkeit und den Schutz von Trinkwasserressourcen, um so das Menschenrecht auf Wasser und den Schutz der Ökosysteme zu wahren und gleichzeitig sozialen Anliegen gerecht zu werden. Zu diesem Zweck gibt es verschiedene Tarifstrukturen, darunter den Vorschlag des Sonderberichterstatters (37) für das Menschenrecht auf einwandfreies Trinkwasser und auf Sanitärversorgung auf der 76. Generalversammlung der Vereinten Nationen (38).

    5.   Nachhaltigkeit

    5.1.

    In dieser Stellungnahme wird nicht auf Umweltprobleme wie das Eindringen von Salz oder Verunreinigungen in das Grundwasser eingegangen, die letztlich soziale Probleme hervorrufen können. Vielmehr wird der Schwerpunkt auf die menschlichen Tätigkeiten gelegt, die eine Übernutzung und Nutzungskonflikte zur Folge haben. Das bekannteste diesbezügliche Problem ist, wenn anderen durch die eigene Wassernutzung der Zugang zu Wasser verwehrt wird. Die EU und die Mitgliedstaaten versuchen, dieses Problem durch die Bewirtschaftung der Wassereinzugsgebiete rechtlich zu lösen (39). Umsetzung und Erfolg fallen in den einzelnen europäischen Ländern unterschiedlich aus.

    5.2.

    Übernutzung verschlimmert die Wasserknappheit und führt zu einer Verschlechterung der Wasserqualität und der Qualität der Dienste. Die Verschlechterung der Wasserqualität führt wiederum zu einer größeren Knappheit. Allerdings nicht in Bezug auf die Wassermenge, sondern weil weniger Wasser zur Verfügung steht, das für jeden Zweck geeignet ist, bzw. weil die Aufbereitung entsprechend kostspieliger ist. Mit Blick auf die Übernutzung sollten nicht die Auswirkungen, die in der vorstehenden Ziffer erörtert wurden, sondern die Ursachen in den Fokus genommen werden. Übernutzung verursacht Umweltprobleme, die für soziale Probleme verantwortlich sind, denn wir Menschen sind mit unseren Tätigkeiten auf insbesondere auf gesunde Ökosysteme angewiesen.

    5.3.

    Ein spezielles Problem zeigt sich inzwischen vor allem bei extrem wasserintensiven Vorhaben in Landwirtschaft und Industrie in wasserarmen Gebieten, die nur durch die Wasserumleitung aus anderen Einzugsgebieten und durch die Übernutzung von Oberflächengewässern möglich sind und somit ökologische und soziale Probleme hervorrufen. So führt beispielsweise die Übernutzung eines Flusses dazu, dass weniger Sedimente und Nährstoffe ins Meer gelangen, was eine zunehmende Zerstörung der Küstengebiete und einen Rückgang der Fischbestände zur Folge hat. Insgesamt zieht die Übernutzung eine Erschöpfung der Ökosysteme nach sich, wovon die am stärksten benachteiligen Bevölkerungsgruppen am stärksten betroffen sind.

    5.4.

    Soziale Probleme ergeben sich aus dem Niedergang der Fischereiwirtschaft und einem möglichen Rückgang des Tourismus am Meer. Die Probleme der Zerstörung der Küstengebiete können zwar durch umfangreiche Investitionen in den Tourismus abgemildert werden, bei der Aufstockung der Fischbestände hilft dieser Ansatz jedoch wenig. Erlässt die EU hingegen Rechtsvorschriften, die auf die Einstellung der für die Übernutzung verantwortlichen Projekte abzielen, muss sie sich mit der Arbeitslosigkeit der betroffenen Arbeitnehmer auseinandersetzen.

    5.5.

    Lecks und Verluste (40) stehen zwar nicht mit einer Übernutzung im Zusammenhang, stellen aber eine ineffiziente und inakzeptable Nutzung von Wasser dar. Für diese Thematik ist jedoch eine einheitliche Herangehensweise erforderlich. Die Wasserversorger gehen Lecks und Verluste hauptsächlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten an (41). Lecks und Verluste werden nur insoweit behoben, bis es teurer wäre, sie weiter zu beheben, als sich mit ihnen abzufinden. Der Schwellenwert hierfür liegt in der Regel bei etwa 15 % Lecks und Verlusten (42). Eine andere Herangehensweise ist möglich und — angesichts der immer weiter zunehmenden Wasserknappheit — auch dringend erforderlich, um einen Wert unterhalb der 15 % zu erreichen.

    6.   Bewirtschaftung und Verwaltung

    6.1.

    Der EWSA weist darauf hin, dass die Wasser- und Sanitärversorgung weltweit in den Aufgabenbereich der Kommunen fällt. Dabei sind verschiedene Arten von Versorgungsunternehmen (Unternehmen oder kommunale Einrichtungen) für eine oder mehrere Kommunen zuständig. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in der Europäischen Union und weltweit werden von öffentlichen Wasserversorgungsunternehmen versorgt. Neben den möglichen unterschiedlichen Formen der Wasserversorger besteht ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen der öffentlichen und der privaten Bewirtschaftung. In beiden Bereichen gibt es wiederum verschiedene Arten der Bewirtschaftung. Und in beiden Bereichen finden sich sowohl gute als auch schlechte Beispiele. Dennoch gelingt es mit der privaten, gewinnorientierten Bewirtschaftung eventuell weniger gut, die Anforderungen an einen Universaldienst zu erfüllen. Diesem Anspruch kann die öffentliche Bewirtschaftung zu einem erschwinglichen Preis und mit einer ausreichenden Qualität der Dienste besser gerecht werden. Der EWSA verweist darauf, dass diese These durch Beispiele für eine Rekommunalisierung der Wasser- und Sanitärversorgung in den letzten 20 Jahren untermauert wird.

    6.2.

    Um die Qualität, die Erschwinglichkeit und den Universaldienst zu gewährleisten, ist die Beteiligung aller Interessenträger auf Managementebene und in Regulierungsbehörden das beste Mittel, damit die Wasser- und Sanitärversorgung auch bei zunehmender Knappheit und steigenden Preisen im Einklang mit SDG 6 auf Kurs gehalten werden kann. In Bezug auf die Wasserversorgung kann die spanische Stadt Córdoba eine Erfolgsgeschichte vorweisen: Das kommunale Unternehmen EMACSA, in dessen Aufsichtsrat verschiedene Interessenträger sitzen, gilt als Beispiel für eine partizipative Bewirtschaftung (43). Die Regulierungsbehörden sollten nicht von einer einzigen Person geleitet werden, sondern über einen Ausschuss verfügen, an dem Interessenträger beteiligt sind, um so eine wirksamere Regulierung sicherzustellen.

    6.3.

    Selbst innerhalb der EU können internationale Flüsse und Gewässer zu Spannungen und letztlich zu Konflikten zwischen Staaten führen. Nach Auffassung des EWSA sollte die EU an der Bewirtschaftung derjenigen Wassereinzugsgebiete mitwirken, die sich über mehrere Mitgliedstaaten verteilen, und allgemeine Grundsätze, konkrete Ziele und eine qualifizierte Überwachung festlegen. Denn dies ist der beste Weg, um in Zeiten der Wasserknappheit, die verschiedenste Krisen auslöst, einen Beitrag zur Wasserbewirtschaftung zu leisten.

    6.4.

    Das aktuelle Modell der Wasserbewirtschaftung (verstreut, ohne hierarchische Aufsichtsgremien und bürokratisch undurchsichtig) ist ineffizient. Ein neues Modell für die Bewirtschaftung aquatischer Ökosysteme wird dringend gebraucht, insbesondere für solche Ökosysteme, die sich über mehrere Mitgliedstaaten erstrecken. An der Wasserwirtschaft sind zahlreiche Behörden beteiligt, die in verschiedenen Phasen des Wasserkreislaufs über gelegentlich überlappende Zuständigkeiten verfügen und mitunter widersprüchliche Vorstellungen und Ziele haben. Der EWSA schlägt der Kommission vor, einen Rahmen für die Bewirtschaftung der Wassereinzugsgebiete mit politischen und fachlichen Gremien auf Ebene der Einzugsgebiete einzurichten, um generelle politische Vorgaben und technisches Management sowie die Einbeziehung aller Interessenträger durch wirksame Beteiligungsmechanismen so effizient wie möglich zu gewährleisten.

    6.5.

    Insbesondere schlägt der EWSA ein politisches, technisches, demokratisches und offenes Bewirtschaftungsmodell vor, das darauf ausgerichtet ist, den Grundsatz des allgemeinen Zugangs zu hochwertigem Trinkwasser zu erschwinglichen Preisen in die Praxis umzusetzen. Der EWSA schlägt vor, Leitungsgremien einzurichten, die sich aus Mitgliedern aus allen betroffenen Ländern zusammensetzen und mit der politischen Steuerung und der Lösung von Interessenskonflikten zwischen den Ländern betraut sind. Diese Gremien für die Bewirtschaftung von Wassereinzugsgebieten sollten von einem fachlichen Beirat unterstützt werden und die technische Verwaltung der Einzugsgebiete übernehmen. Das Leitungsgremium sollte eine ausführliche hierarchische Aufstellung erarbeiten und veröffentlichen, aus der die eigenen Zuständigkeiten hervorgehen und die der verschiedenen Stellen in den Ländern, auf die sich das jeweilige Einzugsgebiet verteilt, damit es keine Unvereinbarkeiten oder Unklarheiten in Bezug auf die Verantwortlichkeiten gibt. Neben dem Leitungsgremium für Wassereinzugsgebiete sollte auch ein Beirat eingesetzt werden. In diesem Beirat wären Organisationen der Zivilgesellschaft, insbesondere Umwelt-, Klima- und Verbraucherorganisationen, sowie die Sozialpartner vertreten. Er würde einen strukturierten zivilen Dialog mit dem Leitungsgremium führen und an der Lösung möglicher Interessenskonflikte mitwirken.

    Brüssel, den 13. Juli 2023

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Oliver RÖPKE


    (1)  https://www.ohchr.org/en/water-and-sanitation.

    (2)  https://digitallibrary.un.org/record/687002.

    (3)  Siehe auch Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bekämpfung der Energiearmut und Resilienz der EU: Herausforderungen aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht“ (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes) (ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 88).

    (4)  Ergänzend zu der in der Trinkwasserrichtlinie (Richtlinie (EU) 2020/2184) vorgesehenen Überwachung.

    (5)   ABl. L 435 vom 23.12.2020, S. 1, „[…] ermitteln die Mitgliedstaaten Menschen, einschließlich benachteiligte Gruppen und Gruppen am Rand der Gesellschaft, ohne oder mit begrenztem Zugang zu Wasser für den menschlichen Gebrauch und die Gründe hierfür“ https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32020L2184.

    (6)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Behandlung von kommunalem Abwasser, COM(2022) 541 final, 2022/0345 (COD).

    (7)  Siehe auch: https://www.aquapublica.eu/article/news/access-water-and-sanitation-must-be-priority-commission-action-plan-implement-pillar.

    (8)  Dies wurde unter anderem auch in den Botschaften und politischen Empfehlungen des Gipfels „Budapest Water Summit 2016“ https://www.budapestwatersummit.hu/hu/Vilagtalalkozo/Letoltheto_dokumentumok und im Appell von Budapest zum „Budapest Water Summit 2019“: https://www.budapestwatersummit.hu/en/Summit/Budapest_Appeal hervorgehoben.

    (9)  Resolution 64/292: Das Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung (2010), https://www.un.org/waterforlifedecade/human_right_to_water.shtml.

    (10)  https://sdgs.un.org/sites/default/files/2023-03/Closing%20press%20release_waterconference_FINAL_24Mar.pdf.

    (11)  Neufassung der Trinkwasserrichtlinie (2018).

    (12)  Vorschlag für eine Neufassung der Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser (2022).

    (13)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Integration der Wasserpolitik in andere relevante Politikfelder der EU“ (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des ungarischen Ratsvorsitzes) (ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 43).

    (14)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission über die Europäische Bürgerinitiative „Wasser und sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht! Wasser ist ein öffentliches Gut, keine Handelsware“ (COM(2014) 177 final) (Initiativstellungnahme) (ABl. C 12 vom 15.1.2015, S. 33).

    (15)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Neufassung)“ (COM(2017) 753 final — 2017/0332 (COD)) (ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 107).

    (16)  https://right2water.eu/.

    (17)  https://data.worldbank.org/indicator/SH.H2O.SMDW.ZS?locations=EU (Bezugsjahr: 2020). Dies ist der Anteil der Personen, die kein Trinkwasser aus einer hochwertigen, in ihrer Wohnstätte zugänglichen Trinkwasserquelle verwenden, die bei Bedarf verfügbar ist und keine Verunreinigungen durch Fäkalien und prioritäre chemische Stoffe aufweist. Als hochwertige Trinkwasserquellen gelten unter anderem Wasserleitungen, Bohr- oder Rohrbrunnen, geschützte Schachtbrunnen, geschützte Quellen sowie abgefülltes oder geliefertes Wasser.

    (18)  https://data.worldbank.org/indicator/SH.H2O.BASW.ZS?locations=EU (Bezugsjahr: 2020). Dieser Indikator umfasst sowohl Personen, die eine grundlegende Wasserversorgung nutzen, als auch Personen, die eine sicher bewirtschaftete Wasserversorgung nutzen. Als grundlegende Trinkwasserversorgung gilt die Versorgung mit Trinkwasser, das aus einer hochwertigen Quelle stammt, sofern für die Heranschaffung (einschließlich Hin- und Rückweg) nicht mehr als 30 Minuten benötigt werden. Als hochwertige Trinkwasserquellen gelten unter anderem Wasserleitungen, Bohr- oder Rohrbrunnen, geschützte Schachtbrunnen, geschützte Quellen sowie abgefülltes oder geliefertes Wasser.

    (19)  Eurostat, https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_06_10/default/table?lang=de. https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/demo_pjan/default/table?lang=de.

    (20)  Eurostat, https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/sdg_06_20/default/table?lang=de. https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/demo_pjan/default/table?lang=de.

    (21)  https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/ilc_mdho05/default/table?lang=de.

    (22)  https://fra.europa.eu/en/content/fra-opinions-eu-midis-ii-roma.

    (23)  https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20200918STO87401/welcher-diskriminierung-sind-die-roma-ausgesetzt-und-wie-reagiert-die-eu.

    (24)  http://www.errc.org/uploads/upload_en/file/thirsting-for-justice-march-2017.pdf.

    (25)  https://eeb.org/wp-content/uploads/2020/04/Pushed-to-the-Wastelands.pdf.

    (26)  https://www.eea.europa.eu/publications/water-resources-across-europe-confronting.

    (27)  Erste Anhörung zum Thema „Zeit für einen Blauen Deal“, 27. Februar 2023.

    (28)  https://www.preventionweb.net/understanding-disaster-risk/risk-drivers/poverty-inequality.

    (29)  Union der Wasserversorgungsvereinigungen von Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaften (EUREAU): The governance of water services in Europe, 2020. https://www.eureau.org/resources/publications/5268-the-governance-of-water-services-in-europe-2020-edition-2/file.

    (30)  https://smartwatermagazine.com/news/locken/water-ranking-europe-2020.

    (31)  https://circabc.europa.eu/sd/a/0070b535-5a6c-4ee4-84ba-6f6eb1682556/Public%20Consultation%20Report.pdf.

    (32)  Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 1).

    (33)  https://www.eesc.europa.eu/sites/default/files/files/blue_deal_fiasconaro.pdf.

    (34)  https://www.oecd-ilibrary.org/sites/e1b8a4b6-en/index.html?itemId=/content/component/e1b8a4b6-en.

    (35)  https://www.eureau.org/resources/publications/eureau-publications/5824-europe-s-water-in-figures-2021/file.

    (36)  https://www.wareg.org/documents/affordability-in-european-water-systems/, https://www.oecd.org/env/resources/15425332.pdf.

    (37)  Er schlägt einen gestaffelten Tarif vor, bei dem die erste Stufe erschwinglich und unter bestimmten Umständen sogar kostenlos sein und das Menschenrecht auf Wasser achten sollte. Eine zweite Stufe sollte ein Kostendeckungstarif sein. Die dritte Stufe sollte deutlich teurer sein, was zu einer Quersubventionierung der Verwendung im Basisbereich aus den Einnahmen im Luxusbereich führen und eine Übernutzung vermeiden würde. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Werte für jede Stufe von jedem Mitgliedstaat bzw. sogar von jedem Wasserversorger festgelegt werden sollten.

    (38)   „Risks and impacts of the commodification and financialization of water on the human rights to safe drinking water and sanitation“– Bericht des Sonderberichterstatters für das Menschenrecht auf einwandfreies Trinkwasser und auf Sanitärversorgung, Pedro Arrojo-Agudo, für die 76. Generalversammlung der Vereinten Nationen, A/76/159.

    (39)  Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. L 327 vom 22.12.2000, S. 1) (Wasser-Rahmenrichtlinie).

    (40)  Insgesamt beziehen sich Lecks und Verluste auf physische Wasserverluste und nicht abgerechnetes Wasser, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass ein Teil des nicht abgerechneten Wassers einen zulässigen Verbrauch betrifft. Weitere Einzelheiten hierzu können einer Wasserbilanz entnommen werden.

    (41)  In diesem Absatz ist bei Verwendung des Begriffs „Verluste“ der nicht abgerechnete Verbrauch, der zulässig ist, ausgenommen.

    (42)  Dies ist der typische Zielwert, der in Portugal angesetzt wird. Möglicherweise legen andere EU-Länder abweichende Zielwerte zugrunde. Der Wert an sich ist für diese Stellungnahme jedoch nicht relevant.

    (43)  Enrique Ortega de Miguel und Andrés Sanz Mulas: „Water Management in Córdoba (Spain): A Participative, Efficient and Effective Public Model“, in Reclaiming Public Water, TNI ed., 2005.


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