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Document 52022AE5829

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2023“ (COM(2022) 780 final)

EESC 2022/05829

ABl. C 146 vom 27.4.2023, p. 59–64 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/59


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2023“

(COM(2022) 780 final)

(2023/C 146/10)

Hauptberichterstatter:

Gonçalo LOBO XAVIER

Befassung

Europäische Kommission, 19/12/2022

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Verabschiedung im Plenum

23/02/2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

196/2/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die wichtigsten politischen Prioritäten des Jahresberichts zum nachhaltigen Wachstum 2023, mit denen die vier Dimensionen wettbewerbsfähiger Nachhaltigkeit umgesetzt werden sollen. Es steht außer Frage, dass gefährdete Haushalte angesichts der derzeit bestehenden Lage und Szenarien kurzfristig unterstützt werden sollten, um sie vor den schlimmsten Auswirkungen der Energiekrise zu schützen. Gleichzeitig sollte die Energieeffizienz in der Europäischen Union insgesamt weiterhin gefördert werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass der digitale und der ökologische Wandel durch mittel- und langfristige Maßnahmen beschleunigt werden sollten. Seiner Ansicht nach sollte die Union zudem ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Energieangebot und -nachfrage schaffen und gleichzeitig Energie für den Winter sparen und höhere Kosten vermeiden. Es ist äußerst wichtig, Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz in allen Bereichen zu unterstützen. Dies muss unter Wahrung der Integrität des Binnenmarkts und unter Gewährleistung der makroökonomischen Finanzstabilität und einer kohärenten Finanz- und Geldpolitik geschehen.

1.2.

Der EWSA ist sich bewusst, dass der Zyklus des Europäischen Semesters 2023 von der effizienten Umsetzung der Aufbau- und Resilienzpläne geprägt sein wird. Bei diesen Plänen wird das Hauptaugenmerk auf den politischen Agenden der Mitgliedstaaten liegen, die eine Ankurbelung ihrer Volkswirtschaften ermöglichen müssen. Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, Anfang 2023 Dialoge mit den Mitgliedstaaten zu führen. Diese Dialoge können in eingehenden Gesprächen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten bestehen, um Einfluss auf die länderspezifischen Empfehlungen zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist der EWSA der Auffassung, dass diese Dialoge eine bessere Umsetzung der Aufbau- und Resilienzpläne fördern und dazu beitragen werden, im Rahmen der länderspezifischen Empfehlungen etwaige Bedenken besser zu berücksichtigen und zu ermitteln.

1.3.

Der EWSA fordert nachdrücklich faire Arbeitsbedingungen, einen wirksamen Wettbewerb und eine bessere Berücksichtigung der Anliegen der Zivilgesellschaft. Nur so kann die Funktionsweise des Binnenmarkts verbessert werden. Angesichts des Krieges und der Energiekrise ist dies umso wichtiger. Der EWSA unterstützt die Forderung nach Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarkts. Nach Ansicht des EWSA zeigen die jüngsten Schocks, worauf es ankommt: es gilt, solide fiskalpolitische Maßnahmen zu treffen und gut aufeinander abzustimmen, Haushaltspuffer in guten Zeiten aufzubauen, um bei Konjunkturabschwüngen auf sie zurückgreifen zu können, und gleichzeitig soziale Defizite abzubauen, die mittelfristig das Wirtschaftswachstum gefährden könnten. Ziel der finanzpolitischen Maßnahmen sollte es sein, mittelfristig eine vorsichtige Haushaltslage zu erreichen und durch schrittweise Konsolidierung und durch auf nachhaltiges Wachstum abstellende Investitionen und Reformen die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte sicherzustellen.

1.4.

Der EWSA fordert eine bessere Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten und mutige Entscheidungen, die Anreize schaffen, um die Energieabhängigkeit der EU, insbesondere von Russland, zu vermeiden. Diese Abhängigkeit könnte die Interessen der Union beeinträchtigen und muss entschieden angegangen werden.

1.5.

Der EWSA fordert einen maßvollen, realistischen und ausgewogenen Ansatz bei der Bekämpfung der Inflation, um alle an der Suche nach einer Lösung zu beteiligen, die der gesamten Union zugutekommt. Die Wettbewerbsbehörden müssen konsequent für Preistransparenz sorgen und im Hinblick auf etwaiges Marktversagen wachsam sein. Die Regierungen müssen ihre Verlautbarungen auf solide empirische Analysen stützen und dabei unbegründete Kritik an Wirtschaftsakteuren vermeiden, da dies zu Konflikten zwischen Bürgern, Unternehmen und Sozialpartnern führen kann. Der EWSA ist ferner der Ansicht, dass das Problem nur gelöst werden kann, wenn Regierungen, Unternehmen und die organisierte Zivilgesellschaft zusammenarbeiten.

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die Mitgliedstaaten bei der Nutzung der verfügbaren finanziellen Mittel und sonstigen öffentlichen Ressourcen nachweislich und kompromisslos Effizienz und Fairness anstreben müssen. Dies ist von entscheidender Bedeutung für die Sicherstellung neuer und hochwertiger Investitionen.

1.6.

Der EWSA wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass der Konsultation der organisierten Zivilgesellschaft (Sozialpartner und Organisationen der Zivilgesellschaft), des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente während des gesamten Zyklus des Europäischen Semesters ein größerer Stellenwert eingeräumt wird, um die nationale Eigenverantwortung zu stärken. Der EWSA ist der Auffassung, dass eine bessere und stärker organisierte Einbeziehung der im EWSA vertretenen Organisationen sowohl dem Prozess des Europäischen Semesters als auch der Umsetzung der Aufbau- und Resilienzpläne nutzen würde. Wenn über die Umsetzung politischer Maßnahmen gesprochen wird, bedarf es eines „Hauchs von Realismus“.

1.7.

Der EWSA ist sich auch bewusst, dass Europa in Qualifikationen und die Industrieagenda investieren muss, um seine Trümpfe, vor allem Investitionen in Innovation und Wissenschaft, zum Nutzen der Bürger auszuspielen und wirklich gewinnbringend einzusetzen.

1.8.

Der EWSA fordert die Kommission auf, besser mit den Bürgern zu kommunizieren. Starke, verbindliche und einheitliche Aussagen über anstehende Herausforderungen und die Maßnahmen, mit denen die Union diese Aufgaben bewältigen will, sind für die Menschen in Europa von grundlegender Bedeutung und tragen dazu bei, Missverständnisse bei Europathemen zu vermeiden. Investitionen in eine bessere Kommunikation (der EWSA meint damit nicht Werbung) könnten einen interessanten Wandel in Bezug auf antieuropäische Rhetorik bewirken und sollten Vorrang haben. Der EWSA begrüßt in diesem Zusammenhang die Initiative der Kommission, dieses Jahr eine Mitteilung zur Stärkung des sozialen Dialogs in der EU und einen Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Rolle des sozialen Dialogs auf nationaler Ebene vorzulegen. Eine bessere Kommunikation mit der organisierten Zivilgesellschaft und deren Konsultation sind unerlässlich und gehen Hand in Hand.

2.   Hintergrund

2.1.

Es ist kein Geheimnis, dass sich Europa in der schwierigsten Phase der letzten 70 Jahre befindet. Europa steht angesichts des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, der die europäische Wirtschaft durch steigende Energiekosten, hohe Inflationsraten, Versorgungsengpässe, eine höhere Verschuldung und zunehmende Fremdkapitalkosten weiterhin schwächt, vor zahlreichen komplexen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Daher ist es an der Zeit, Entscheidungen über die Zukunft eines der weltweit erfolgreichsten Projekte für sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt zu treffen.

2.2.

Am 22. November 2022 nahm die Kommission das Herbstpaket des Europäischen Semesters 2023 an, in dem Möglichkeiten zur gemeinsamen Bewältigung dieser Herausforderungen und zur langfristigen Stärkung der europäischen Volkswirtschaften durch die Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz-, Arbeits- und Sozialpolitik vorgeschlagen werden. Ziel ist es, eine angemessene und erschwingliche Energieversorgung sicherzustellen, die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität zu wahren, schutzbedürftige Haushalte und Unternehmen zu unterstützen, das Wachstum und die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze zu fördern und den ökologischen und digitalen Wandel zu vollenden.

2.3.

Im Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2023 werden die politischen Prioritäten für das kommende Jahr dargestellt und eine Agenda für die Verstärkung dieser Koordinierung festgelegt, um die nachteiligen Auswirkungen abzumildern, die derzeitigen Herausforderungen anzugehen und die soziale und wirtschaftliche Resilienz zu erhöhen und gleichzeitig nachhaltiges und integratives Wachstum im Einklang mit den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung zu fördern. Die vier Prioritäten bei der Förderung wettbewerbsfähiger Nachhaltigkeit lauten: Förderung von ökologischer Nachhaltigkeit, Produktivität, Gerechtigkeit und makroökonomischer Stabilität.

2.4.

Die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Agenda sollte darauf ausgerichtet sein, Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen bei der Bewältigung der Herausforderungen zu unterstützen, die sich aus den gestiegenen Energiekosten und der Energieversorgung ergeben Gleichzeitig sollen die Bemühungen um die Förderung eines nachhaltigen Wachstums und des ökologischen und digitalen Wandels sowie zur Stärkung der sozialen Gerechtigkeit und der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit fortgesetzt werden.

2.5.

Gemäß diesem Grundsatz werden Vorschläge für länderspezifische Empfehlungen im Frühjahr 2023 erwartet; der Schwerpunkt der Länderberichte wird dabei auf folgenden Punkten liegen:

kurzer, aber ganzheitlicher Überblick über die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen und die Herausforderungen, mit denen die Mitgliedstaaten konfrontiert sind;

Überblick über den Stand der Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne;

Weiterverfolgung eines maßvollen Ansatzes in Bezug auf die länderspezifischen Empfehlungen.

2.6.

Im Hinblick auf das Euro-Währungsgebiet hat die Kommission für 2023 fünf Empfehlungen ausgesprochen:

a)

Koordinierung der Haushaltspolitik;

b)

Aufrechterhaltung öffentlicher Investitionen;

c)

Überwachung der Lohn- und Sozialpolitik;

d)

Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen;

e)

Erhaltung makrofinanzieller Stabilität.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.   Das Europäische Semester und die Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft

3.1.1.

Das Europäische Semester ist nach wie vor der wichtigste bewährte Rahmen für eine wirksamere Koordinierung der Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Koordinierung hat sich bewährt, da die Erholung der EU von der COVID-19-Krise der schnellste Konjunkturaufschwung seit dem Nachkriegsboom war und sich die Arbeitsmärkte mit einem Beschäftigungsniveau auf Rekordhöhe als widerstandsfähig erwiesen haben. Im Rahmen des Europäischen Semesters und der Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität (einschließlich ihrer zusätzlichen Komponente REPowerEU) wird der EWSA weiterhin im Mittelpunkt des Transformationsprozesses stehen, um eine wettbewerbsfähige Nachhaltigkeit zu erreichen. Dementsprechend wird sich der EWSA weiterhin dafür einsetzen, dass die Konsultation der organisierten Zivilgesellschaft während des gesamten Zyklus des Europäischen Semesters eine größere Rolle spielt, um den verschiedenen gesellschaftlichen Interessen Rechnung zu tragen und die nationale Eigenverantwortung zu stärken.

3.1.2.

Der EWSA führt derzeit eine Konsultation der organisierten Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten durch, um deren diesbezügliche Empfehlungen einzuholen (1). Daher begrüßt er die im Juli 2022 angekündigte Initiative (2) der Kommission, dieses Jahr eine Mitteilung zur Stärkung des sozialen Dialogs in der EU und einen Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Rolle des sozialen Dialogs auf nationaler Ebene vorzulegen.

3.1.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die bestehenden Foren im Rahmen des Europäischen Semesters zu erweitern und einen klaren Rahmen für sie zu schaffen, um die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft während des gesamten Zyklus des Europäischen Semesters zu informieren und einzubeziehen, damit sie tatsächlich zu maßgeblichen Akteuren bei der Koordinierung der Haushalts-, Wirtschafts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik auf EU-Ebene werden.

3.2.   Geopolitische Krise — Krieg in der Ukraine

3.2.1.

Durch die Folgen der russischen Invasion der Ukraine stehen die Wirtschaft und Gesellschaft der EU vor zahlreichen neuen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die ihre wirtschaftliche und soziale Stabilität und ihre Energieversorgung beeinträchtigen. Die EU muss weiterhin wettbewerbsfähige Nachhaltigkeit sowie soziale und wirtschaftliche Resilienz anstreben. In unmittelbarer Zukunft sind Unterstützungsmaßnahmen erforderlich, um die Auswirkungen der Aggression Russlands gegen die Ukraine auf europäische Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen, insbesondere auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen, abzufedern.

3.2.2.

Insbesondere die Energiekrise spielt eine entscheidende Rolle: In Verbindung mit einer sehr hohen Inflation wird sie langfristig erhebliche Auswirkungen haben. In diesem Zusammenhang betont der EWSA, dass unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden müssen, um kurz- und mittelfristig eine weitere Verschlechterung der Lage zu verhindern und gleichzeitig den ökologischen Wandel gerecht zu gestalten. In vielen Ländern bleibt die Energieerzeugung hinter dem Energieverbrauch zurück.

3.2.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass einige Regierungen, die noch keine Pläne zur Energieerzeugung aus eigenen Ressourcen aufgestellt haben, nun die Möglichkeit prüfen müssen, die Produktion zu steigern und die in einigen Ländern vorhandenen Bedingungen und Ressourcen wie Solar-, Wellen- und Windenergie zu nutzen. Einer der Gründe für die Untätigkeit sind die allzu komplexen oder unklaren Rechtsvorschriften und die in vielen Mitgliedstaaten nach wie vor bestehende übermäßige Bürokratie. Dadurch wird die Erzeugung grüner Energie nicht unterstützt, obwohl ein enormes Potenzial besteht. Wir müssen den Mut haben, die notwendigen gemeinsamen Anstrengungen zu unternehmen. Dies erfordert Investitionen, insbesondere aus dem Privatsektor. Öffentliche Investitionen werden jedoch weiterhin eine wichtige Rolle dabei spielen, die Ziele des Grünen Deals zu erreichen, unseren künftigen Wohlstand und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und die strategische Autonomie der EU zu stärken. Dies muss sich auch in der Kohäsionspolitik widerspiegeln.

3.3.   Inflation

3.3.1.

Die hohe Inflation, die insbesondere durch den drastischen Anstieg der Energiepreise ausgelöst wurde, hat erhebliche negative Auswirkungen auf Arbeitnehmer und Unternehmen, die Finanzstabilität, die Kaufkraftparität und die wirtschaftliche und soziale Stabilität. Die Inflation weltweit und in der EU ist ein komplexes Phänomen, sowohl was ihre Ursachen als auch ihre Lösungen betrifft. Die wichtigsten Faktoren, die hier unmittelbar eine Rolle spielen, sind die Versorgungsengpässe bei der raschen Erholung von der pandemiebedingten Rezession in Verbindung mit einer expansiven Geldpolitik sowie die Energiekrise, die durch die russische Invasion in die Ukraine ausgelöst wurde. Die Inflation betrifft alle Wirtschaftsakteure und gesellschaftlichen Gruppen, besonders aber die schwächsten und die am stärksten benachteiligten Gruppen. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer und Verbraucher geht zurück, und die Gewinnspannen vieler Unternehmen sinken. Nur Spekulanten und bestimmte Wirtschaftszweige, wie z. B. der Energiesektor, verzeichnen starke Gewinnzuwächse. Um die Inflation in den Griff zu bekommen, verfolgen die Mitgliedstaaten unterschiedliche Ansätze, z. B. Unterstützung zur Vermeidung von Preiserhöhungen im Lebensmittelsektor und Bemühungen, die Löhne im Gleichgewicht zu halten, in Kombination mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Wir sind noch weit davon entfernt, unsere Ziele zu erreichen und eine Lösung zu finden, die das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen sichert.

3.3.2.

Die Wettbewerbsbehörden müssen konsequent für Preistransparenz sorgen und im Hinblick auf etwaiges Marktversagen wachsam sein. Die Regierungen müssen ihre Verlautbarungen auf solide empirische Analysen stützen und dabei unbegründete Kritik an Wirtschaftsakteuren vermeiden, da dies zu Konflikten zwischen Bürgern, Unternehmen und Sozialpartnern führen kann.

3.3.3.

Die Bekämpfung der Inflation muss in einer zwischen den EU-Organen und den nationalen Regierungen koordinierten europäischen Wirtschaftspolitik oberste Priorität haben. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken müssen beim Anziehen der geldpolitischen Zügel darauf achten, dass die Inflation nicht durch eine übermäßige Nachfrage angeheizt wird, und verhindern, dass ihre Entscheidungen zu einer neuen Rezession führen. Der EWSA fordert die EZB auf, die Kerninflation zu senken, ohne die wirtschaftliche Erholung der EU zu gefährden. Aufgrund der vorgenannten Risiken sollte die EZB bei der Normalisierung ihrer Geldpolitik behutsam vorgehen (3). Die EU und die nationalen Regierungen müssen Maßnahmen auf den Weg bringen, um den am besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppen und den am stärksten betroffenen Unternehmen zu helfen. Die dreiseitige Konsultation, der soziale Dialog und Tarifverhandlungen müssen zu Schlüsselinstrumenten werden, um die Inflationskrise durch eine gerechte Lastenverteilung zu bewältigen und Maßnahmen zur Überwindung dieser Krise in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen zu konzipieren. Der EWSA spricht sich daher für Maßnahmen wie eine Energiepreisbremse aus, um Inflationstendenzen einzudämmen.

3.4.   Umweltziele der EU/Energiekrise

3.4.1.

Der EWSA hält an den Standpunkten fest, die er in den letzten Monaten vertreten hat: Trotz der neuen Krisen dürfen die auf EU-Ebene festgelegten Ziele — Dekarbonisierung und ökologische Nachhaltigkeit — nicht aufgegeben werden. Unternehmen und Arbeitnehmer müssen gestärkt und alle Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzt werden, die Schwierigkeiten zu bewältigen, um die langfristigen Umweltziele zu erreichen.

3.4.2.

Der EWSA spricht sich daher für Maßnahmen zur Koordinierung der Energiepreise aus, um die Inflationstendenzen einzudämmen. Niedrigere Energiepreise sollten zu den Prioritäten der EU-Wirtschaftspolitik gehören. Der EWSA unterstützt die Deckelung der Strom- und Gaspreise und weist darauf hin, dass er in früheren Stellungnahmen und Entschließungen eine dringende Reform des von Natur aus inflationären Systems für Grenzauktionen auf dem Stromgroßhandelsmarkt gefordert hat. Um dieses Ziel zu erreichen, sind Investitionen in grüne Energie von grundlegender Bedeutung.

3.4.3.

Die Kommission hat den REPowerEU-Plan vorgelegt, um die EU unabhängig von Gas- und Erdölimporten aus Russland zu machen. Der EWSA hat dies begrüßt und dem Ansatz zugestimmt, der in die vier Bereiche Energieeinsparungen, Diversifizierung der Gaseinfuhren, Substitution fossiler Brennstoffe durch den beschleunigten Einsatz erneuerbarer Energien und Finanzierungslösungen gegliedert ist (4). Gleichzeitig fordert der EWSA, die Versorgungssicherheit zu „möglichst erschwinglichen“ Kosten sowohl für die Verbraucher als auch für die Industrie zu gewährleisten. Der EWSA weist darauf hin, dass die Änderung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne durch die Mitgliedstaaten zur Aufnahme eines speziellen Kapitels zu REPowerEU eine zusätzliche Gelegenheit für sie darstellt, die organisierte Zivilgesellschaft zu konsultieren und deren Ansichten zu berücksichtigen.

3.4.4.

Der EWSA betont, dass möglicherweise weitere Initiativen erforderlich sind, damit privates und öffentliches Kapital in ausreichender Höhe für den ökologischen Wandel mobilisiert wird. Darüber hinaus hält es der EWSA für ausgesprochen wichtig, die Verwendung der vorhandenen Finanzmittel besser zu koordinieren. Durch die öffentliche Kommunikation über dieses Thema können die Bürgerinnen und Bürger für ein gemeinsames Ziel gewonnen werden.

3.5.   Soziale und wirtschaftliche Krise/Mangel an Kompetenzen und Fachkräften

3.5.1.

Obwohl die Arbeitslosenquote in der EU nur 6 % beträgt, ist es weiterhin schwierig, Personen zu finden, die über die erforderlichen Kompetenzen verfügen, um den Konjunkturaufschwung und die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft sicherzustellen und die Ziele des digitalen und ökologischen Wandels zu verwirklichen. In einigen Ländern besteht ein erheblicher Mangel an Fachkräften in vielen wichtigen Arbeitsbereichen, nicht zuletzt, weil zahlreiche junge Menschen ihr Land verlassen, um anderenorts zu arbeiten. Wichtige Ausbildungsmaßnahmen müssen gefördert werden, doch ein erheblicher Teil der Fachkräfte geht nach Abschluss der Ausbildung verloren. Um die autonome Strategie der EU zu stärken, sollen einige Produktionslinien nach Europa zurückgeholt werden, es fehlt jedoch an Fachkräften, die in diesen Fabriken in Europa arbeiten könnten. Hier besteht kontinuierlicher Handlungsbedarf.

3.5.2.

Der EWSA betont, dass die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze eine der besten Möglichkeiten ist, hochqualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen. Darüber hinaus sind angemessene, existenzsichernde Löhne, formelle Arbeitsverhältnisse zur Vermeidung prekärer Arbeitsbedingungen, umfassende Weiterbildungsprogramme, hervorragende Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen und das Streben nach einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis in Verbindung mit einem angemessenen Sozialschutz auf nationaler Ebene nicht nur Ziele an sich, sondern auch die Grundlage für eine günstige wirtschaftliche und politische Entwicklung. Darüber hinaus fordert der EWSA im Rahmen der Aus- und Weiterbildung den verantwortungsvollen Einsatz ausgewogener und miteinander verknüpfter Maßnahmen (zwischen öffentlichen und privaten Ausbildungssystemen, um die verfügbaren Finanzmittel besser zu nutzen).

3.6.   Öffentliche und private Verschuldung und Investitionen

3.6.1.

Die EU benötigt dringend mehr öffentliche und private Investitionen, um die Ziele des Grünen Deals und des digitalen Wandels zu erreichen, die Energiewende zu beschleunigen und die neuen Herausforderungen der strategischen Autonomie zu bewältigen. Einerseits muss die Union das Investitionsdefizit der letzten zehn Jahre überwinden, und andererseits müssen die meisten Mitgliedstaaten ihr öffentliches Defizit und ihre Verschuldung abbauen. Dazu ist ein sehr ausgewogenes, aber entschlossenes Vorgehen erforderlich.

3.6.2.

Gleichzeitig müssen nach Ansicht des EWSA vor einer etwaigen außerordentlichen Aufstockung der EU-Mittel für öffentliche Investitionen und die Förderung privater Investitionen nach Ansicht des EWSA unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel der verschiedenen Programme — Struktur- und Kohäsionsfonds, ARF, InvestEU usw. — voll ausgeschöpft werden. Zu diesem Zweck sollte ein möglichst hohes Maß an Flexibilität bei ihrer Verwendung — sowohl in Bezug auf die Ziele als auch auf die Umsetzungsfristen — gelten, wobei dies stets mit einer strengen Überwachung ihrer ordnungsgemäßen Umsetzung einhergehen muss. Der EWSA ist der Auffassung, dass gemeinsame Projekte mehrerer Mitgliedstaaten ein interessanter Ansatz sein könnten, um Investitionen und Strukturreformen anzuregen.

3.6.3.

Der EWSA betont, dass Fortschritte bei der Vollendung der Kapitalmarktunion und der Bankenunion erreicht werden müssen, um einen gut funktionierenden Finanzsektor und gut funktionierende Finanzmärkte zu gewährleisten, die für die Finanzierung der für den ökologischen und den digitalen Wandel erforderlichen massiven Investitionen unerlässlich sind. Eine Vertiefung der Kapitalmarktunion und der Bankenunion bei gleichzeitiger Festlegung der Agenda für ein nachhaltiges Finanzwesen würde die Finanzierungskanäle konsolidieren, die Investitionsanstrengungen fördern und die Resilienz erhöhen.

3.6.4.

Sowohl die COVID-19-Krise als auch die russische Invasion haben sich sehr nachteilig auf die Außenbilanz ausgewirkt. Der EWSA fordert eine Erhöhung der Investitionen als wichtigste Triebkraft für die Wettbewerbsfähigkeit der EU.

3.6.5.

Nach Ansicht des EWSA sollten die Mitgliedstaaten die bereits verfügbaren Ressourcen effizienter nutzen, bevor sie neue fordern. Darüber hinaus fordert der EWSA mehr Flexibilität bei der Verwendung der EU-Finanzmittel, so für Umschichtungen von Mitteln, wenn diese nicht für die ursprünglich vorgesehenen Zwecke verwendet werden können oder wenn aufgrund sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer oder verteidigungspolitischer Herausforderungen Anpassungen nötig sind. Erforderlichenfalls sollte die EU auch geeignete Bedingungen und Instrumente schaffen, um die öffentlichen Investitionen zu erhöhen und private Investitionen in stärkerem Maße zu mobilisieren. Dabei müssen die gemeinsamen strategischen und Autonomieziele der EU verfolgt werden und es muss dafür gesorgt werden, dass der EU-Binnenmarkt in seiner Funktionsweise nicht untergraben wird oder in eine Schieflage gerät. Darüber hinaus betont der EWSA, dass die zugewiesenen Finanzmittel effizienter eingesetzt werden müssen: Die Mitgliedstaaten müssen sich verpflichten, Bestimmung und Art der Ausgaben zu erläutern. Der EWSA weist auch darauf hin, dass mit Blick auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen für eine effiziente Erhebung von Einnahmen Sorge getragen werden muss. So schaden beispielsweise aggressive Steuerplanung und Betrug den öffentlichen Haushalten erheblich. Insgesamt ist ein nachhaltiges und integratives Wachstum die beste Grundlage für die Stabilität der öffentlichen Haushalte. Dessen ungeachtet werden zusätzliche EU-Mittel nötig sein, um den Industrieplan für den Grünen Deal umzusetzen und das Ziel einer strategischen Energie- und Industrieautonomie unter Wahrung der Grundprinzipien des Binnenmarkts zu erreichen, wie der EWSA in einer Entschließung vom Mai 2022 (5) vorgeschlagen hat.

Brüssel, den 23. Februar 2023.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  In einer Initiativstellungnahme, die dem Plenum im April 2023 vorgelegt werden soll, werden die Ergebnisse zusammengefasst und klare Empfehlungen abgegeben.

Initiativstellungnahme des EWSA — Empfehlungen des EWSA für eine gründliche Reform des Europäischen Semesters (ECO/600), die im April 2023 zur Verabschiedung ansteht.

(2)  Überprüfungsbericht über die Durchführung der Aufbau- und Resilienzfazilität — 29.7.2022.

(3)  Stellungnahme des EWSA „Ergänzende Überlegungen zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2022“ (ABl. C 75 vom 28.2.2023, S.43).

(4)  Stellungnahme des EWSA — REPowerEU-Plan, verabschiedet am 21. September 2022 (ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 185).

(5)  ABl. C 323 vom 26.8.2022, S. 1.


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