EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 9.9.2020
COM(2020) 493 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
Strategische Vorausschau 2020
STRATEGISCHE VORAUSSCHAU - WEICHENSTELLUNG FÜR EIN RESILIENTERES EUROPA
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
1.Einbindung von strategischer Vorausschau in die Politikgestaltung der EU
2.Resilienz als neuer Kompass für die EU-Politik
3.Vier Dimensionen von Resilienz – eine Analyse
3.1.Die soziale und wirtschaftliche Dimension
3.2.The geopolitical dimension
3.3.Grüne Dimension
3.4.Die digitale Dimension
4. Agenda der strategischen Vorausschau
4.1 Überwachung der Resilienz
4.1.1 Prototypen von Dashboards zur Resilienz
4.1.2 Künftige Aufgaben für die Überwachung der Resilienz
4.2 Horizontale Vorausschautätigkeiten zur Förderung einer effektiv vom Wandel geleiteten EU-Politik
4.3 Themen der Agenda der strategischen Vorausschau
Zusammenfassung
Präsidentin von der Leyen hat in ihren politischen Leitlinien die Richtung vorgegeben, um den Wandel hin zu einem grünen, digitalen und gerechten Europa strategisch und langfristig zu bewältigen.
In den Leitlinien wird aufgezeigt, wie Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden, sich für das digitale Zeitalter rüsten und seine einzigartige soziale Marktwirtschaft und demokratische Ordnung wahren und pflegen kann.
Die Coronakrise war ein Schock für die Welt und hat innerhalb der EU sowohl Schwachstellen aufgedeckt als auch Kapazitäten deutlicher werden lassen. Weltweit sind bereits fast eine Million Menschen COVID-19 zum Opfer gefallen und hat die Pandemie auf wirtschaftlicher, sozialer und psychologischer Ebene für schwere Zeiten gesorgt. In der EU verschärfen sich die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten: Trotz verschiedener Sicherheitsnetze dürfte die Arbeitslosigkeit 2020 auf über 9 % steigen und das verfügbare Realeinkommen um 1 % sinken. Frauen und ärmere Haushalte sind dabei unverhältnismäßig stark betroffen.
Dass der Handel der EU stark diversifiziert ist, hat sich als Stärke erwiesen, auch wenn sich die Abhängigkeit von einer begrenzten Zahl von Anbietern aus Drittstaaten für einige unverzichtbare Waren und Dienstleistungen als Schwäche herausgestellt hat. Die EU und ihre Mitgliedstaaten konnten auch auf ihre soziale Marktwirtschaft, nachhaltige Ökosystem, solide Finanzsysteme und einen wirksamen Ordnungsrahmen bauen. Der Aufbauplan für Europa
zeigt nun den Weg voran: Mithilfe des Aufbauinstruments Next Generation EU soll durch umfangreiche finanzielle Unterstützung für Investitionen und Reformen ein widerstandsfähigeres, nachhaltigeres und gerechteres Europa geschaffen werden.
Strategische Vorausschau wird eine Schlüsselrolle dabei spielen, die Politik der EU zukunftsfest zu machen, indem kurzfristige Initiativen in eine langfristigere Perspektive eingebettet werden. Um das Potenzial strategischer Vorausschau voll zu nutzen, verfügt diese Kommission über ein starkes Mandat, sie zu einem Kernelement der EU-Politik zu machen.
Strategische Vorausschau kann dazu beitragen, kollektive Intelligenz strukturiert aufzubauen, die Weichen für den zweifachen Wandel, also die grüne und die digitale Wende, besser zu stellen und Verwerfungen zu bewältigen. Die Kommission legt in dieser Mitteilung dar, wie sie strategische Vorausschau in die EU-Politik einflechten wird, und skizziert damit zusammenhängende Prioritäten. Das ist wichtig, denn wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, in dem maßnahmenorientierte Vorausschau strategisches Denken stimulieren und politische Maßnahmen und Initiativen der EU prägen wird, so unter anderem künftige Arbeitsprogramme der Kommission.
Zentrales Thema dieser ersten Vorausschau ist Resilienz, die infolge der Coronakrise für die EU-Politik richtungweisend geworden ist. Widerstandsfähig zu sein, das bedeutet nicht nur, Herausforderungen standzuhalten und zu meistern, sondern auch, fälligen Wandel nachhaltig, gerecht und demokratisch zu gestalten. Resilienz ist in allen Politikbereichen nötig, um den ökologischen und digitalen Wandel zu meistern und dabei den Hauptzweck der EU und ihre Integrität in einem dynamischen, ja zeitweise turbulenten Umfeld zu bewahren. Ein widerstandsfähigeres Europa wird sich schneller erholen, aus der derzeitigen wie auch aus künftigen Krisen gestärkt hervorgehen und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen besser umsetzen.
In der ersten jährlichen strategischen Vorausschau wird skizziert, wie Vorausschau in die politischen Maßnahmen einfließen wird, um die Resilienz der EU in folgenden vier miteinander verflochtenen Dimensionen zu stärken: der sozialen und wirtschaftlichen, der geopolitischen, der ökologischen und der digitalen Dimension. In der Vorausschau wird untersucht, wie resilient die EU sich in der Coronakrise gezeigt hat und zeigt, und zwar vor dem Hintergrund sich verstärkender bzw. abschwächender relevanter Megatrends – langfristigen Triebkräften, die die Zukunft stark prägen dürften. Wie in dieser Mitteilung aufgezeigt, können mittels politischer Maßnahmen für mehr Resilienz durch die Behebung von Schwachstellen und den Ausbau von Kapazitäten in allen vier genannten Dimensionen neue Möglichkeiten eröffnet werden. Dazu gehören Überlegungen zur Zukunft des Wohlergehens, der Arbeit, von Arbeitsmärkten und Kompetenzen ebenso wie die Neukonfiguration globaler Wertschöpfungsketten, die Unterstützung der Demokratie, die Reform unseres regelbasierten Handelssystems, der Aufbau von Allianzen im Bereich der neuen Technologien sowie Investitionen in den ökologischen und digitalen Wandel.
Der neue Schwerpunkt auf Resilienz erfordert enge Überwachung. Die Kommission schlägt vor, Resilienz-Dashboards einzuführen: Wenn diese Übersichtstafeln im Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und anderen maßgeblichen Interessenträgern fertig entwickelt sind, sollten sie zur Bewertung der Schwachstellen und Kapazitäten der EU und ihrer Mitgliedstaaten in allen vier genannten Dimensionen genutzt werden. Solche Analysen helfen, die folgende Frage zu beantworten: Stärken wir durch unsere Politik und die Aufbaustrategie wirksam die Resilienz der EU?
Die Agenda für strategische Vorausschau umfasst horizontale sowie themen- und zukunftsorientierte Tätigkeiten. Für das kommende Jahr stehen auf der Agenda: offene strategische Autonomie, die Zukunft von Arbeitsplätzen und Kompetenzen für den und im grünen Wandel sowie die engere Verknüpfung von digitalem und ökologischem Wandel. Indem die Agenda eine dynamische Perspektive auf Synergien und Konflikte zwischen den politischen Zielen der EU eröffnet, wird die Politik der Union an Kohärenz gewinnen.
1.Einbindung von strategischer Vorausschau in die Politikgestaltung der EU
Die Kommission arbeitet seit vielen Jahren mit strategischer Vorausschau, will dieses Element jedoch nun standardmäßig in alle Bereiche der Politikgestaltung einbinden. Vorausschau – eine Disziplin der gedanklichen Auseinandersetzung mit der Zukunft, ihrer Antizipation und Gestaltung – erleichtert es, strukturiert und systematisch kollektive Intelligenz aufzubauen und zu nutzen, um Entwicklungen vorherzusehen und sich auf Veränderungen besser einzustellen. Strategische Früherkennung, die Bewertung von Megatrends, neuen Fragestellungen und ihrer Bedeutung für die Politik, das Ausloten alternativer Optionen, wie die Zukunft aussehen könnte, und die entsprechende Planung spielen bei politischen Entscheidungen eine Schlüsselrolle. Strategische Vorausschau als Hilfsmittel der Politikgestaltung der EU wurde erstmals im Rahmen der sogenannten „Cellule de Prospective“ von Präsident Delors entwickelt und hat seither, neben der ökonomischen Modellrechnung, viele Politikbereiche wie z. B. den Klimaschutz beeinflusst. Im Hinblick auf ihr langfristiges Ziel eines klimaneutralen Kontinents, der für das digitale Zeitalter gerüstet ist, möchte die Kommission von der Leyen strategische Vorausschau standardmäßig in die Vorbereitung wichtiger Initiativen einbinden. Dieser Prozess ist bereits im Gange – so wurde beispielsweise in der kürzlich angenommenen Mitteilung über kritische Rohstoffe in erheblichem Maße mit Vorausschau gearbeitet
. In den kommenden Jahren ist es für die Union sehr wichtig, in der Politikgestaltung eine zukunftsorientierte Kultur zu etablieren, um sich für eine zunehmend instabile und komplexe Welt besser zu wappnen und die zukunftsgerichtete politische Agenda der EU umzusetzen. Standardmäßige Einbindung von Vorausschau sorgt dafür, dass kurzfristige Maßnahmen auf langfristigen Zielen beruhen, und ermöglicht der EU eine führende Rolle beim Abstecken ihres eigenen Kurses und bei der Gestaltung der Welt, die sie umgibt.
Strategische Vorausschau sollte in wichtige politische Initiativen einfließen. Strategische Vorausschau wird fester Bestandteil des Instrumentariums der Kommission für eine bessere Rechtsetzung werden, beispielsweise in Ex-ante-Folgenabschätzungen. Sie kann gewährleisten, dass sich die EU-Politik insbesondere in Politikbereichen, die einem raschen Strukturwandel unterworfen sind, auf ein klares Verständnis möglicher künftiger Trends, Szenarien und Herausforderungen stützt. Strategische Vorausschau wird auch das Programm zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung
unterstützen, das Wege zu weniger Verwaltungsaufwand in Europa aufzeigt und bewertet, ob die bestehenden EU-Rechtsvorschriften weiterhin zukunftsfähig sind.
Regelmäßige Vorausschautätigkeiten werden die EU-Politikgestaltung unterstützen. Die jährliche strategische Vorausschau wird zu umfassenden Überlegungen auf dem Gebiet strategischer, für die Zukunft Europas relevanter Fragen beitragen. Neben der Analyse der wichtigsten Trends sollen entscheidende Themen für die EU festgelegt und Wege sondiert werden, wie wir unsere Ziele erreichen können (Abschnitt 4). Umfassende Vorausschauzyklen
, wozu auch eingehende partizipative Vorausschaumaßnahmen zu wichtigen Initiativen gehören, sollen künftig als Grundlage für die jährliche Vorausschau dienen. Die strategische Vorausschau soll in die jährliche Rede zur Lage der Union, die Arbeitsprogramme der Kommission und die mehrjährige Programmplanung einfließen. Die Kommission wird anhand von internen Ressourcen
, externem Fachwissen und durch Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, anderen maßgeblichen Interessenträgern und Bürgerinnen und Bürgern ihre Kapazität für strategische Vorausschau erhöhen, um Risiken und Chancen zu bewerten, Frühwarnung und Lagebeurteilung
zu unterstützen und alternative Möglichkeiten für unsere Zukunft zu erkunden.
Strategische Vorausschau wird partizipatives und zukunftsorientiertes politisches Handeln in Europa und darüber hinaus fördern. Die Kommission wird im Bereich der Vorausschau eine enge Zusammenarbeit und Allianzen mit anderen EU-Institutionen aufbauen, insbesondere im Rahmen des Europäischen Systems für strategische und politische Analysen (ESPAS)
, Kontakt mit internationalen Partnern herstellen und ein EU-weites Vorausschaunetz einrichten, um Partnerschaften zu entwickeln, die sich auf die einschlägigen öffentlichen Kapazitäten der Mitgliedstaaten, Denkfabriken, Hochschulen und die Zivilgesellschaft stützen. Vorausschau muss fortlaufend und systematisch in die Politikgestaltung integriert werden und auf bewährten Ansätzen aufbauen. Sie wird dazu beitragen, eine gemeinsame Vision für die Politikgestaltung auf höchster politischer Ebene zu entwickeln und die Verbreitung bewährter Verfahren ermöglichen, ohne den Weg für Experimente zu versperren.
2.Resilienz als neuer Kompass für die EU-Politik
Die Coronakrise hat eine Reihe von Schwachstellen in der EU und ihren Mitgliedstaaten zutage treten lassen. Eine Analyse der Folgen dieser Krise mit ihren verheerenden Opferzahlen offenbart schwere wirtschaftliche und gesellschaftliche Verwerfungen in ganz Europa. Bei Vorsorge und Prävention, Frühwarnsystemen und Koordinierungsstrukturen war ganz klar die Überforderung zu erkennen, was deutlich macht, dass wir auf EU-Ebene ein ehrgeizigeres Krisenmanagement für Notfälle großen Ausmaßes benötigen. In den ersten Monaten der Pandemie waren zahlreiche Krankenhäuser überfüllt, der freie Personen- und Warenverkehr wurde stark eingeschränkt und die Versorgung mit unentbehrlichen Arzneimitteln und Ausrüstungen war unzureichend. Weil COVID-19-Patienten behandelt werden mussten, reichten die Kapazitäten des Systems für andere Patienten nicht mehr aus, und stationäre Einrichtungen und grundlegende Unterstützungsdienste für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen standen ganz besonders unter Druck. Schulen und Universitäten mussten schließen, waren jedoch oft nicht darauf vorbereitet, digitale Lernalternativen zum Präsenzunterricht anzubieten, insbesondere für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen oder Menschen mit Behinderungen. Insgesamt haben die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 weit gravierendere wirtschaftliche Folgen gehabt als die Finanzkrise von 2008.
Nach einem holperigen Start haben die EU und ihre Mitgliedstaaten zur Krisenbewältigung die Kräfte gebündelt. Flexibilität und Führungsstärke auf allen Regierungsebenen haben bei der Krisenreaktion eine Schlüsselrolle gespielt. Nachdem zunächst ein reflexartiger Wettstreit um knappe medizinische Ressourcen sowie einseitige Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Binnenmarkt und im Schengen-Raum zu beobachten waren, entstand rasch eine bessere Zusammenarbeit und Koordinierung, was von der Kommission unterstützt wurde. Die EU hat innovative Lösungen entwickelt und ihre Resilienz unter Beweis gestellt. Hersteller und 3D-Druckunternehmen
in der EU haben ihre Fertigungslinien rasch auf Gesichtsmasken, Beatmungsgeräte und Handdesinfektionsmittel umgestellt.
Im Rahmen von rescEU richtete die Kommission die allererste gemeinsame strategische Reserve für medizinische Ausrüstung ein und unterstützte die Durchführung von mehr als 350 Flügen, um im Ausland festsitzende EU-Bürger nach Hause zu bringen. Nach anfänglichen Grenzbeschränkungen und daraus entstehenden Engpässen hat die Kommission die „Green Lanes“ eingerichtet und koordiniert, die einen ungehinderten Güterverkehr ermöglichen
. Fernunterricht wurde eingeführt, da Schulen und Hochschulen geschlossen waren, und in Unternehmen und Verwaltungen wurde nach Möglichkeit auf Telearbeit umgestellt. Die Verbraucher wandten sich dem elektronischen Handel zu und ließen sich Waren nach Hause liefern. Die Mitgliedstaaten richteten Sicherheitsnetze ein, um Unternehmen und Arbeitnehmer während des Lockdowns zu schützen. Im April und Mai 2020 nahm die Kommission ein Paket zur Schaffung eines Sicherheitsnetzes an und verabschiedete im Rahmen des Europäischen Semesters länderspezifische Empfehlungen, die für diese außergewöhnliche Situation größtmögliche Flexibilität vorsahen. Ferner legte sie eine koordinierte Strategie zur Aufhebung der Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 und einen umfassenden Aufbauplan
vor. Die Pandemie hat somit auch verdeutlicht, dass Europa in Notlagen handlungsfähig ist.
Resilienz ist die Fähigkeit, nicht nur Herausforderungen standzuhalten und zu meistern, sondern auch fälligen Wandel in nachhaltiger, gerechter und demokratischer Weise zu gestalten. Angesichts der Coronakrise und der vom Wandel geleiteten politischen Agenda muss Europa seine Widerstandsfähigkeit ausbauen und proaktiv sein, d. h. sich nicht nur von der Krise erholen, sondern gestärkt daraus hervorgehen, indem der Wandel intensiviert wird. Die EU muss Lehren aus der Pandemie ziehen, künftige Entwicklungen frühzeitig erkennen und das richtige Gleichgewicht zwischen dem Wohlergehen der heutigen und künftiger Generationen herstellen
.
Die Schwachstellen und Resilienzkapazitäten der EU werden im Lichte relevanter Megatrends analysiert – langfristigen Triebkräften, die die Zukunft stark prägen dürften. Der Megatrends Hub
der Kommission hat vierzehn globale Megatrends ermittelt. Abschnitt 3 enthält eine vorläufige systematische Analyse der durch die Krise in der EU und ihren Mitgliedstaaten zutage getretenen Schwachstellen und Kapazitäten im Hinblick auf die mögliche Verstärkung oder Abschwächung dieser Megatrends infolge der Krise, wie in Abbildung 2.1 dargestellt. So hat COVID-19 beispielsweise die Ungleichheiten vertieft, die Hyperkonnektivität beschleunigt und demografische Ungleichgewichte verstärkt. In der Analyse werden auch wichtige Möglichkeiten aufgezeigt, um die Resilienz Europas durch entsprechende politische Maßnahmen zu verbessern.
Abbildung 2.1 – Potenzielle Auswirkungen von COVID-19 auf Megatrends
Zukunftsorientierte politische Maßnahmen, die durch Vorausschau unterstützt werden, stärken die Resilienz der EU. Vorausschau kann dazu beitragen, potenziell negative Entwicklungen vorherzusehen und die Widerstandskraft durch strukturelle Veränderungen zu stärken. Abbildung 2.2 zeigt über einen Zyklus hinweg, wie strategische Vorausschau im sozialen und wirtschaftlichen, geopolitischen, ökologischen und digitalen Bereich – unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Krise auf relevante Megatrends – in politische Maßnahmen für mehr Resilienz einfließen kann. Politische Maßnahmen, die sich auf strategische Vorausschau stützen, sind wirksamer, um die in der Krise zutage getretenen Schwachstellen zu beheben bzw. die Kapazitäten zu stärken, was neue Chancen eröffnet und Europa widerstandsfähiger werden lässt. Es handelt sich dabei um einen fortlaufenden Prozess, zu dem auch kontinuierliche Neubewertung und Rückmeldungsschleifen gehören.
Abbildung 2.2 – Zusammenhang zwischen strategischer Vorausschau und Resilienz
3.Vier Dimensionen von Resilienz – eine Analyse
3.1.Die soziale und wirtschaftliche Dimension
Die soziale und wirtschaftliche Dimension von Resilienz bezieht sich auf die Fähigkeit, ökonomische Schocks zu bewältigen und auf faire und inklusive Weise einen langfristigen Strukturwandel herbeizuführen. Dies erfordert, die sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen vom Wandel geleiteten Aufschwung zu schaffen, den sozialen und regionalen Zusammenhalt zu fördern und die Schwächsten in der Gesellschaft zu unterstützen. Dabei muss den demografischen Entwicklungen und der europäischen Säule sozialer Rechte Rechnung getragen werden.
Kapazitäten
Die soziale und wirtschaftliche Widerstandskraft Europas wird durch seine Menschen und seine einzigartige soziale Marktwirtschaft gewährleistet. Europa vereint hoch qualifizierte Erwerbstätige und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft mit Sozialsystemen, die darauf abzielen, Menschen bei Notlagen zu schützen und ihnen zu helfen, sich an Veränderungen anzupassen. Durch den sozialen Dialog tragen die Sozialpartner zu nachhaltigem und inklusivem Wachstum bei. EU-weit haben Menschen garantierten Zugang zu Bildung und Sozialschutzmaßnahmen wie Leistungen bei Krankheit und Arbeitslosigkeit, Urlaub aus familiären Gründen und flexiblen Arbeitsregelungen. Wenngleich dieses Modell unter Druck geraten ist, spielte es dennoch eine Schlüsselrolle dabei, die Folgen der Krise abzufedern – etwa, indem Arbeitsplätze geschützt und Unternehmen erhalten wurden.
Einige Mitgliedstaaten wurden von der Krise härter getroffen als andere, was vor allem auf Unterschiede bei der Wirtschaftsstruktur und ihrem haushaltspolitischen Spielraum zurückzuführen ist. Mitgliedstaaten mit höherer öffentlicher Verschuldung könnte es generell schwerer fallen, die Auswirkungen der Krise zu begrenzen. Die nationalen Maßnahmen wurden allerdings von Maßnahmen auf EU-Ebene flankiert, insbesondere durch die drei großen Sicherheitsnetze für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Unternehmen und Staaten im Umfang von 540 Mrd. EUR, die der Europäische Rat im April 2020 billigte
. Mit Blick auf die Zukunft trägt das starke öffentliche Bildungswesen der EU dazu bei, die für die Jobs von morgen relevanten Kompetenzen zu vermitteln – ein entscheidender Faktor, um einen gerechten Übergang hin zu einer grünen und digitalen Wirtschaft zu gewährleisten.
Europa kann zudem auf die Stärke seines Binnenmarkts vertrauen. Der Binnenmarkt verbessert die Mobilität, stellt sicher, dass innovative Geschäftsmodelle florieren können, erleichtert Einzelhändlern den grenzüberschreitenden Handel und optimiert den Zugang zu Waren und Dienstleistungen in der gesamten EU. Zu den wesentlichen Faktoren, die der ökonomischen Widerstandskraft förderlich sind, gehören die Verkehrsinfrastruktur, die einheitliche Währung und diversifizierte Wirtschaftszweige. Im Binnenmarkt verschafft die wirtschaftliche, regionale und soziale Vielfalt der Union einen einzigartigen Wettbewerbsvorteil auf globaler Ebene und stärkt ihre kollektive Resilienz.
Europas enge Handels- und Investitionsbeziehungen werden ihren Teil dazu tun, die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen. Da Prognosen zufolge 85 % des künftigen weltweiten Wachstums außerhalb der EU generiert werden und 35 Millionen Arbeitsplätze in Europa von den Ausfuhren sowie 16 Millionen von ausländischen Investitionen abhängen, werden Handel und Investitionen Schlüsselfaktoren sein, um Europa an externe Wachstumsquellen anzubinden. Dies gilt umso mehr, als die Nachfrage nach der Krise wahrscheinlich asymmetrisch ansteigen wird.
Hinsichtlich des Finanzsystems der EU wurden wichtige Lehren aus der Finanzkrise von 2008 gezogen. Zu Beginn der Pandemie erwies sich das Finanzsystem als widerstandsfähig, was zum Teil auch der EU-Finanzreformagenda und insbesondere der Schaffung der Bankenunion zuzuschreiben ist. Das Finanzsystem stellt sich heute wesentlich robuster dar, die Banken sind besser kapitalisiert als 2008 und können sich auf die Kreditvergabe an Privathaushalte und Unternehmen konzentrieren. Die Möglichkeiten für Unternehmen, sich Kapital am Markt zu beschaffen, haben sich ebenfalls verbessert.
Kooperativ ausgerichtete und gemeinnützige Organisationen stärken die soziale und wirtschaftliche Resilienz. Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften, gemeinnützige Vereine, Stiftungen und Sozialunternehmen haben durch die Erbringung öffentlicher Dienste in der Krise für Entlastung gesorgt. Sie haben unter Beweis gestellt, dass sie eine breite Palette von Produkten und Dienstleistungen im gesamten Binnenmarkt unter Bedingungen bereitstellen können, unter denen gewinnorientierte Unternehmen keine adäquate Rendite generieren würden, und trugen damit zur Schaffung und zum Erhalt von Millionen Arbeitsplätzen bei.
Sie sind zudem eine wesentliche Triebkraft für soziale Innovation.
Europäische Solidarität ist der Schlüssel zur Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen wie COVID-19. Die Kohäsionspolitik und der Solidaritätsfonds der Europäischen Union spielen bei der Investitionsinitiative zur Bewältigung der Coronakrise eine zentrale Rolle. Unterstützt werden besonders exponierte Bereiche wie das Gesundheitswesen, KMU und Arbeitsmärkte in den am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten und Regionen.
Das Soforthilfeinstrument – als finanzielle Komponente des gemeinsamen europäischen Fahrplans für die Aufhebung der Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 – ermöglicht es, die Pandemiefolgen auf EU-Ebene koordiniert abzufedern.
Schwachstellen
Die Krise hat in Europa Schwachstellen in den Bereichen Gesundheit und Soziales offengelegt. Heime und Unterstützungsdienste für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen waren strukturell anfällig und nicht dafür gerüstet, auf die coronabedingten Herausforderungen zu reagieren und die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Menschen mit chronischen Erkrankungen, insbesondere mit schwachem Immunsystem oder Atemwegsproblemen, waren besonders betroffen. Weder die Gesundheitssysteme verschiedener Mitgliedstaaten noch die pharmazeutische Industrie waren umfassend vorbereitet. Es kam zu Problemen wie Engpässen bei persönlicher Schutzausrüstung und bei Inhaltsstoffen zur Herstellung von Arzneimitteln. Insbesondere hatte Europa Schwierigkeiten, Vorbereitungen zu treffen und Maßnahmen zu koordinieren, als erste Warnungen aus China Europa erreichten. Gesundheitsgefahren müssen besser antizipiert und die Ausbreitung neuer Infektionskrankheiten und damit verbundener gesundheitlicher Störungen verhindert werden. Durch COVID-19 hat sich die Aufmerksamkeit von großen Herausforderungen im Gesundheitswesen wie etwa nicht übertragbaren Krankheiten – vor allem Krebs und Fettleibigkeit – weg verlagert.
Die Ausgangsbeschränkungen haben das allgemeine Wohlergehen beeinträchtigt. Zusammen mit der Lebenszufriedenheit ist es auf den niedrigsten Stand seit über 40 Jahren gesunken. Im ersten Halbjahr 2020 hat sich die Zahl der Menschen in Europa, die sich einsam fühlen, fast verdreifacht, wobei insbesondere junge und ältere Menschen betroffen sind; und die Herausforderungen im Bereich psychische Gesundheit haben zugenommen.
Wirtschaftliche, geschlechtsspezifische, kompetenzbezogene, regionale und ethnische Ungleichheiten haben zugenommen. Durch COVID-19 ist die Zahl der von Armut betroffenen oder bedrohten Menschen in Europa gestiegen.
Für einige Menschen, die unter den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu leiden hatten, war auch der Zugang zu Nahrungsmitteln erschwert. Statistisch gesehen sind ethnische Minderheiten stärker gefährdet, sich mit dem Virus anzustecken und in finanzielle Unsicherheit zu geraten. Auch der ungleiche Zugang zu digitalen Infrastrukturen und Dienstleistungen wurde durch die Krise – die die digitale Kluft vergrößert hat – offenkundig. Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Verhältnissen hatten weniger Chancen, vom Online-Lernen zu profitieren. Geringer qualifizierte Erwerbstätige arbeiten häufiger in Kontaktberufen und riskierten somit eine höhere Exposition gegenüber dem Virus – bei gleichzeitig schlechterem Zugang zur Gesundheitsversorgung. (Tele-)arbeitende Eltern, insbesondere Mütter, sahen sich ohne Zugang zu Kinderbetreuung mit zusätzlichen Belastungen konfrontiert. Bei den Beschäftigten in systemrelevanten Berufen handelte es sich in unverhältnismäßig großer Zahl um Frauen, die außerdem 70 % aller Arbeitskräfte im Gesundheits- und Sozialbereich ausmachen. Die häusliche Gewalt nahm erheblich zu.
Darüber hinaus hat die Krise die sozialen und wirtschaftlichen Risiken für Beschäftigte aus Drittstaaten deutlich gemacht – ebenso wie deren entscheidenden Beitrag zur Coronavirus-Krisenreaktion in Europa. Ökonomische Härten und eine Rezession könnten auch zunehmende organisierte Kriminalität und Korruption nach sich ziehen.
Wirtschaftszweige und Unternehmen sind von der Krise schwer getroffen worden. Im zweiten Quartal 2020, das in den meisten Mitgliedstaaten nach wie vor von coronabedingten Ausgangsbeschränkungen geprägt war, sank das saisonbereinigte BIP im Euro-Währungsgebiet im Vergleich zum vorherigen Quartal um 12,1 % und in der EU um 11,7 %.
Die kumulierten Nettoeinnahmeverluste von EU-Unternehmen werden auf 13-24 % des BIP der EU geschätzt. In einem fragilen Unternehmenssektor kann es zu Insolvenzen kommen, was sich in steigender Arbeitslosigkeit, Verschwendung von Kapital und der Vernichtung des Eigenkapitals der Eigentümer niederschlägt und dauerhaften wirtschaftlichen Schaden anrichten kann. Zudem verursachen Unternehmenspleiten Störungen wirtschaftlicher Netzwerke und unterbrechen internationale Lieferketten. Selbst für die überlebenden Unternehmen schrumpft die Investitionskapazität. Die Krise hat auch das Problem von Zahlungsverzögerungen bei Geschäftstransaktionen weiter verschärft.
Bei kleinen Unternehmen können verspätete Zahlungen zum entscheidenden Faktor für wirtschaftliches Überleben oder Insolvenz werden und ihre Möglichkeiten beschneiden, Mitarbeiter und Lieferanten zu bezahlen, den Betrieb aufrechtzuerhalten, zu produzieren und zu wachsen. Angesichts begrenzter Ressourcen und der bestehenden Hindernisse beim Zugang zu Kapital sind KMU möglicherweise weniger widerstandsfähig und flexibel, was die Bewältigung der mit Schocks wie der Coronakrise verbundenen Kosten angeht. Die öffentlichen Verwaltungen sind beim Erbringen von Dienstleistungen für Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger sehr stark unter Druck geraten.
An den Arbeitsmärkten kam es zu Störungen
mit massiven Arbeitsplatzverlusten, was langfristige Kaskadeneffekte nach sich ziehen könnte. Die Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Kapazitäten, um Sicherheitsnetze für Menschen und Unternehmen zu finanzieren, die die Folgen der Krise auffangen können; der regionale und soziale Zusammenhalt wird durch die daraus resultierenden Asymmetrien gefährdet. Anders als in früheren Krisen wurde die Beschäftigung im Dienstleistungssektor – in den vergangenen zehn Jahren der Motor für die Schaffung von Arbeitsplätzen – am härtesten getroffen.
Prognosen zufolge werden 2020 fast 8 % aller Arbeitsplätze in Europa verloren gehen – was 12 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen entspricht
; die verheerenden Auswirkungen auf atypische Beschäftigungsformen und projektbasierte Arbeit sind dabei noch nicht eingerechnet. Dadurch erhöht sich das Risiko struktureller Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit, was zu einer Dequalifizierung genau dem Zeitpunkt führt, zu dem digitale und andere Fachkenntnisse für die künftige Beschäftigung von entscheidender Bedeutung sind und es zwei von fünf Europäerinnen und Europäern an digitalen Kompetenzen mangelt.
Jungen Menschen, die in diesem Moment in den Arbeitsmarkt eintreten, wird es schwerer fallen, ihre erste Stelle zu finden. Darüber hinaus ist die Pandemie zu einem Zeitpunkt hereingebrochen, zu dem 21 % der in der EU lebenden Menschen bereits von Überschuldung bedroht waren.
Die Bankenunion war entscheidend, um die Herausforderungen kurzfristig zu bewältigen, die Wirtschafts- und Währungsunion aber ist nach wie vor nicht vollendet. Die langfristige Bedeutung einer Kapitalmarktunion wird uns in einer Zeit, in der die Marktfinanzierung für die Realwirtschaft unverzichtbar ist, mehr denn je bewusst. Während sich die Möglichkeiten für die Marktfinanzierung von Unternehmen im Allgemeinen verbessert haben, würden Maßnahmen für einen vereinfachten Zugang zu Beteiligungskapital sie widerstandsfähiger machen. Um eine nachhaltige Zukunft zu gestalten, braucht die EU daher eine widerstandsfähigere Finanzmarktinfrastruktur mit tiefen und umfassenden Kapitalmärkten, deren Vorteile in einer von strategischem Wettbewerb geprägten Welt ausgeschöpft werden können.
COVID-19 dürfte den anhaltenden Trend zum Bevölkerungsrückgang in Europa verstärken. Demografen rechnen wegen der Unsicherheit durch die Pandemie und die sich anschließende Rezession mit noch niedrigeren Geburtenraten in Europa.
Angesichts der alternden Bevölkerung in Europa sind ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen auch am stärksten von Armut und COVID-19 bedroht
und erfahren aufgrund der Maßnahmen zur räumlichen Distanzierung die stärkste soziale Isolation.
Darüber hinaus wirken sich demografische Trends auf die soziale und wirtschaftliche Resilienz insgesamt aus.
Chancen
Private und öffentliche Investitionen sind entscheidend für die soziale und wirtschaftliche Widerstandskraft und Erholung. Sie müssen im Einklang mit den strategischen EU-Zielen Inklusivität, Digitalisierung, Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit stehen. Die Vorausschau wird entscheidend dazu beitragen, eine Perspektive zu entwickeln, wie die entsprechenden Bedingungen dafür geschaffen werden können. Der Mehrjährige Finanzrahmen 2021-2027 und Next Generation EU werden – mit Sicherheitsgarantien für die Rechtsstaatlichkeit – substanzielle Investitionen, Innovation und wirtschaftliche Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten fördern. Auch das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts wird dadurch gewährleistet. Die Aufbau- und Resilienzfazilität wird durch die Unterstützung in Form von Investitionspaketen und Reformen die soziale und wirtschaftliche Widerstandskraft stärken.
Die Finanzierung von Unternehmen, insbesondere KMU, muss deren derzeitigen und den durch langfristigen Wandel entstehenden Bedürfnissen gerecht werden. Maßnahmen zur Stärkung des Bankensektors, der Kapitalmärkte und der Eigenfinanzierung, einschließlich der Förderung der Kapitalmarktunion und der Vollendung der Bankenunion, werden wichtig sein, um die Widerstandsfähigkeit der EU zu stärken. Die Beschäftigten werden von solchen Reformen profitieren, durch die Unternehmen besser Arbeitsplätze erhalten und schaffen können. Für den Erhalt von Arbeitsplätzen wird es relevant sein, die Sozialsysteme auf Arbeitsmärkte abzustimmen, die von der Mobilität der Beschäftigten zwischen Berufen und Ländern gekennzeichnet sind. Investitionen in Humankapital und Innovation, gut funktionierende Institutionen und ein attraktives Unternehmensumfeld sind von entscheidender Bedeutung.
COVID-19 hat für rasche Veränderungen an den Arbeitsmärkten gesorgt. Veränderungen, die Prognosen zufolge Jahrzehnte in Anspruch genommen hätten – wie etwa die Umstellung ganzer Organisationen, nationaler Verwaltungen und Unternehmen auf Telearbeit oder virtuelle Konferenzen und Veranstaltungen als Ersatz für persönliche Treffen – vollzogen sich wegen der Pandemie binnen Wochen.
Wenngleich diese Veränderungen zum Teil vorübergehender Natur sein dürften, eröffnen sich so neue Beschäftigungsmöglichkeiten und wird die Integration des europäischen Arbeitsmarkts gestärkt. Außerdem bietet sich damit die Chance, Beschäftigungs- und Karrieremodelle zu überdenken und anzupassen.
Schulen und Universitäten mussten beinahe über Nacht auf eine virtuelle Arbeitsweise umstellen, was neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung aufzeigte. Hyperkonnektivität und grenzübergreifende Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen, neue pädagogische Ansätze und Vermittlungsformen (z. B. virtuelles Lernen oder Mischformen), Fortschritte in den kognitiven Wissenschaften, die Verfügbarkeit von Informationen und ein stärkerer Akzent auf dem lebenslangen Lernen tragen allesamt zu einem Wandel bei Lernmodellen und beim Zugang zu Bildung bei.
Der Bruch mit etablierten Lebensweisen hat die Debatte darüber intensiviert, wie wir Fortschritt messen und was wir unter „Wohlergehen“ verstehen. Wie in der Jährlichen Strategie für nachhaltiges Wachstum 2020
betont, ist Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck. Im Dezember 2019 stellte die Kommission den europäischen Grünen Deal vor, die neue EU-Wachstumsstrategie, die darauf abzielt, die Union zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu machen, in der aus Herausforderungen in Klima- und Umweltfragen Chancen werden. Die Krise hat die Debatte darüber neu entfacht, welche Art von Wirtschaftswachstum erstrebenswert und was für das menschliche Wohlergehen in einer Welt mit begrenzten Ressourcen wichtig ist – und ob es neue Parameter braucht, um Fortschritt jenseits des BIP-Wachstums zu messen. Die EU ist gut aufgestellt, um eine internationale Führungsrolle zu übernehmen und inklusives Wachstum und Gleichheit zu fördern; sie stellt dabei die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ins Zentrum ihrer Wirtschaftspolitik. Mithilfe der Nachhaltigkeitsziele kann die Resilienz gestärkt werden. Durch strategische Vorausschau kann wiederum ermittelt werden, wie sich die Nachhaltigkeitsziele am besten erreichen lassen.
Strategische Vorausschau kann dazu beitragen, weitere soziale und wirtschaftliche Chancen und Wege zur Verwirklichung des grünen, digitalen und gerechten Wandels zu identifizieren. Dazu gehört die Konzipierung neuer sozialer und fiskalpolitischer Reformen und die Erprobung ihrer langfristigen Tragfähigkeit, um das europäische Modell der sozialen Marktwirtschaft neu zu beleben und gleichzeitig die weltwirtschaftliche Führungsrolle der EU sicherzustellen. Zudem ist strategische Vorausschau relevant für die Berufsbilder der Zukunft, zur Ermittlung neuer, für die grüne und digitale Wirtschaft relevanter Kompetenzen, Lernmuster und -partnerschaften und das Verständnis des damit verbundenen Zusammenspiels von neuen Technologien, Arbeitsplätzen, Bildung und maßgeblichen Interessenträgern. Angesichts allgemeiner demografischer Trends, die sich auf einige ländliche Gebiete auswirken, durch regionale und lokale Ungleichheiten verstärkte Herausforderungen sowie eine „Geografie der Unzufriedenheit“ ist auch eine langfristige Vision für die ländlichen Regionen vonnöten, bei der soziale und wirtschaftliche Entwicklungen, Infrastrukturbedarfe, der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und der territoriale Zusammenhalt berücksichtigt werden. Diese langfristige Vision sollte sich über verschiedene Politikbereiche erstrecken; das Vorgehen sollte auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene integriert und koordiniert erfolgen. Schlussendlich könnte strategische Vorausschau Reflexionen über eine neue Deutung von Fortschritt und Wohlergehen ebenso anregen wie das Nachdenken über die aussagekräftigsten Indikatoren, anhand deren sich die Erreichung dieser Ziele messen lässt (Abschnitt 4).
3.2.Die geopolitische Dimension
Ausschlaggebend für seine geopolitische Resilienz ist, dass Europa seine „offene strategische Autonomie“ und seine weltweite Führungsrolle stärkt. Dies basiert auf der Umsetzung der Werte der EU in einer von starken Abhängigkeiten geprägten Welt mit konkurrierenden Mächten, in der sich geopolitische Tendenzen und das Kräfteverhältnis unter dem Einfluss von COVID-19 verändert haben. Die Vereinigten Staaten, die nun in erster Linie nach innen blicken, hinterlassen auf der Weltbühne eine Lücke, die andere Akteure wie China gerne füllen würden. Durch die Mobilisierung strategischer Ressourcen für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit und ihren Einsatz für einen COVID-19-Impfstoff und Medikamente, die weltweit zur Verfügung stehen, spielt die EU mit dem Konzept „Team Europa“ eine führende Rolle
.
Kapazitäten
Die EU gilt als verlässlicher Partner, der seine Führungsrolle verantwortungsbewusst wahrnimmt. Angesichts der drohenden Erosion und Fragmentierung der Weltordnung kann die EU als Anker der Stabilität und Garant des Friedens fungieren. Die EU vermittelt in Krisensituationen und bei internationalen Vereinbarungen und nutzt ihre Fähigkeit, die Akteure an einen Tisch zu bringen, um globale Lösungen für globale Probleme zu erreichen. Die Pandemie hat gezeigt, dass globale Herausforderungen mehr denn je internationale Zusammenarbeit und gemeinsame Lösungen erfordern. Die EU gestaltet aktiv die Zusammenarbeit an den Strukturen der Weltordnungspolitik und stützt ihre Außen- und Sicherheitspolitik auf eine vielschichtige Diplomatie und strategische Partnerschaften mit wichtigen Akteuren und Regionen. Die außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten der EU sind in ihrer globalen Strategie verankert. Angesichts der Bedeutung der Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung hat die EU unter anderem einen Europäischen Verteidigungsfonds und die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ) eingerichtet sowie eine Initiative für militärische Mobilität ins Leben gerufen.
Europas umfassende Handelskapazität auf globaler Ebene bildet die Grundlage für seine geopolitische Stärke und Resilienz. Eine Analyse des Grades der Abhängigkeit des Handels von nur wenigen Lieferanten zeigt, dass es für fast alle in die EU eingeführten Produkte alternative Bezugsquellen gibt. Nur 1 % des Gesamtwerts der Einfuhren in die EU stammen von einem einzigen Lieferanten, während 10 % von nicht weniger als 67 alternativen Anbietern und die Hälfte aller Produkte von mehr als 25 Lieferanten weltweit stammen. Darüber hinaus handelt es sich bei mehr als zwei Dritteln der Einfuhren in die EU um Zwischenprodukte, die in ihren Produktionsprozessen verarbeitet werden. Die EU ist daher stets in der Lage, ihren wirtschaftlichen Einfluss und ihre Verhandlungsmacht zu nutzen, um internationale Abkommen zum Schutz ihrer Bürger zu schließen.
Die EU als Weltraummacht. Die EU hat entscheidende Raumfahrtfähigkeiten entwickelt, die als geopolitisches Instrument zur Stärkung ihrer globalen Rolle bei technologischer Entwicklung und Überwachung eingesetzt werden. Mehrere wichtige Wirtschaftszweige stützen sich auf Dienste, die von den weltraumgestützten Systemen Europas bereitgestellt werden.
Die EU stärkt die Resilienz in ihrer Nachbarschaft und darüber hinaus. Sie ist der weltweit größte Geber für Entwicklungsfinanzierung und humanitäre Hilfe und konzentriert sich dabei insbesondere auf ihre Nachbarschaft und Afrika. Europa unterstützt dabei Partnerländer mit Finanzmitteln, Schulungen und strukturellen Verbesserungen, um ihre Entwicklung und Resilienz zu fördern, sowie bei der Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung Darüber hinaus trägt die EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft dazu bei, Stabilität, Wohlstand und Resilienz ihrer Nachbarn zu erhöhen, indem sie ihre Fortschritte bei der grünen und digitalen Wende unterstützt.
Die EU verfügt seit Langem über entsprechende Kapazitäten und Erfahrungen, was die Gestaltung internationaler Standards und Normen betrifft. Sie muss nun zukunftsorientierte Allianzen stärken, um weiterhin internationale Normen und Standards so zu gestalten, dass sie die europäischen Werte und Interessen widerspiegeln. Trotz der Erfolgsbilanz der EU bei der proaktiven Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen in verschiedenen Foren sind solche Bündnisse angesichts des zunehmenden Drucks durch einflussreiche globale Akteure besonders wichtig.
Die EU kann ihre geopolitischen Kapazitäten und ihr internationales Gewicht jetzt und in Zukunft kohärent und wirksam einsetzen. Europa muss weiterhin ein strategisches Netz von Partnerschaften und Allianzen aufbauen, um Abhängigkeiten in kritischen Wertschöpfungsketten zu verringern, Frieden und Stabilität in seiner Nachbarschaft zu fördern, nach wirksamen Lösungen für globale Probleme zu suchen und eine regelbasierte multilaterale Weltordnung neu zu beleben sowie um seine finanziellen Mittel zur Unterstützung seiner politischen Ziele zu mobilisieren. Die EU befindet sich in einer einflussreichen Position, um das multilaterale System einer globalen wirtschaftspolitischen Governance zu gestalten, für alle Seiten vorteilhafte Beziehungen aufzubauen und so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, und globale Standards für den ökologischen und digitalen Wandel zu fördern und festzulegen. Gleichzeitig sollten ihre demokratischen Werte und die Kohärenz mit allgemeineren Prioritäten in den Bereichen Nachhaltigkeit, Klimawandel, digitale Wirtschaft und Sicherheit gewährleistet werden.
Schwachstellen
Der Multilateralismus und das globale Finanzsystem stehen zunehmend unter dem Druck rein nationaler Interessen. Die Wahrung eines entsprechenden Spielraums für Konsensbildung und gemeinsames Handeln zur Bewältigung globaler Herausforderungen und zum Schutz gemeinsamer öffentlicher Güter ist von zentraler Bedeutung für die geopolitische Resilienz.
Die Machtverlagerung nach Osten und Süden ist ein weltweiter Megatrend. Obwohl sich dieser Trend infolge der COVID-19-Krise vorübergehend verlangsamt hat, dürfte er weiterhin anhalten, vorangetrieben durch den wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einfluss aufstrebender Länder und gestärkt durch deren demografisches Potenzial. Da der Anteil der EU an der Weltbevölkerung und am weltweiten BIP abnimmt, könnte dies in vielen kritischen Bereichen den Einfluss der EU schmälern.
Das Sicherheitsumfeld verändert sich ständig. Maßgebliche Faktoren dafür sind die Verschiebung des Kräftegleichgewichts, die Zunahme von hybriden Bedrohungen, von Weltraum- und Cyberkriegsführung, Desinformation und die wachsende Bedeutung nichtstaatlicher Akteure. Die Krise hat außerdem den Druck noch weiter verschärft, was zu Konflikten führen kann. Die Auswirkungen wirtschaftlicher Maßnahmen, die aus politischen Erwägungen ergriffen werden, wie die extraterritoriale Wirkung von Sanktionen oder protektionistischen Maßnahmen, stellen die EU vor zusätzliche Herausforderungen. Die COVID-19-Pandemie hat die Fragilität wichtiger Infrastrukturen und die Notwendigkeit, sie vor physischen und digitalen Bedrohungen zu schützen, deutlich gemacht. Außerdem wurden bestehende Anfälligkeiten und Ungleichheiten in von Konflikten betroffenen und fragilen Ländern durch die Krise weiter verschärft. Um eine kohärente strategische Vision zu fördern, muss sich die EU auf ein gemeinsames Verständnis des Sicherheitsumfelds sowie gemeinsame Zielvorgaben stützen. Bis Ende 2020 wird die Hohe Vertreterin eine Analyse der Bedrohungen und Herausforderungen unterbreiten – als Grundlage für den strategischen Kompass für Sicherheit und Verteidigung, der bis 2022 vorgelegt werden soll. Damit wird ein entscheidender Beitrag zur Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungskultur geleistet, verschiedenen Verteidigungsinitiativen neue Impulse gegeben und deren Kohärenz gestärkt.
Die geordnete Migrationssteuerung wird weiterhin eine Priorität darstellen. Die Ursachen der Migration, einschließlich lokaler Konflikte, Armut und Ungleichheiten, die durch die COVID-19-Krise und den Klimawandel noch verschärft wurden, bleiben bestehen
,
. Die Bewältigung dieser Herausforderungen
erfordert verstärkte Aufmerksamkeit, Agilität, Ressourcen und diplomatische Bemühungen, einhergehend mit Hilfeleistungen, sowie strategische, ausgewogene und maßgeschneiderte Partnerschaften mit wichtigen Drittländern, um nachhaltige und wirksame Lösungen für die Migrationssteuerung zu finden.
Mangelnde Einigkeit in bestimmten außen- und sicherheitspolitischen Bereichen fördert die Fragilität. Die gegenüber Drittstaaten bewiesene Stärke und Glaubwürdigkeit der EU steht in direktem Zusammenhang mit der auf ihre Vielfalt gestützten Einigkeit und Zusammengehörigkeit der Mitgliedstaaten. Mangelnde Einigkeit und mangelnde Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten können mitunter die Wirksamkeit und Schnelligkeit des Handelns auf EU-Ebene einschränken, und so ausländischen Mächten ermöglichen, die EU durch Spaltung zu schwächen.
Die COVID-19-Krise hat gezeigt, dass Europa bei kritischen Rohstoffen zu stark von Lieferanten aus Drittländern abhängig ist
, und deutlich gemacht, wie sich Versorgungsstörungen auf industrielle Ökosysteme und andere produktive Sektoren auswirken können. Während es für die meisten Produkte alternative Bezugsquellen gibt, ist Europa bei einigen kritischen Gütern, Komponenten und Rohstoffen (Kasten 3.1 ) sowie bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen immer stärker auf eine begrenzte Zahl externer Lieferanten angewiesen. Die Schließung von Produktionsstätten in COVID-19-Hotspots in China und Norditalien führte zu einem europaweiten Stillstand in den Automobilwerken und zu Verlusten in Höhe von 12,5 % der Gesamtproduktion im Jahr 2019
. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Arzneimittellieferungen aus Indien, deren Verknappung zu Engpässen bei Generika führt
. Im April 2020 lag die Industrieproduktion in Europa um 27 % niedriger als im Vorjahreszeitraum
. Darüber hinaus ist Europa bei technisch hochentwickelten Komponenten für die Datenverarbeitung, insbesondere Mikroprozessoren, stark von Drittländern abhängig, da nur etwa 10 % der weltweiten Produktion auf die EU entfallen
. Durch die Zunahme weltweiter Spannungen werden die europäischen Lieferketten immer anfälliger.
Kasten 3.1: FALLSTUDIE – Kritische Rohstoffe
Ungeachtet der Versorgungsengpässe während der COVID-19-Krise ist die EU in hohem Maße von Drittländern abhängig, wenn es um kritische Rohstoffe geht, die unerlässlich sind, um im globalen Wettbewerb an vorderster Front zu bleiben – sei es in wirtschaftlicher Hinsicht oder im Verteidigungsbereich (Abbildung 3.1). Die Bekämpfung der übermäßigen Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen wie Graphit, Kobalt, Lithium und Seltenen Erden von Drittländern ist daher eines der entscheidenden Elemente, um Europas offene strategische Autonomie bei den Schlüsseltechnologien zu stärken, die für eine kohlenstoffneutrale und digitale Gesellschaft erforderlich sind. Dazu gehören Batterien, Brennstoffzellen, Solar- und Windenergie sowie Wasserstoff. Da diese Technologien verstärkt eingesetzt werden, läuft die EU Gefahr, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen durch die Abhängigkeit von anderen Rohstoffen zu ersetzen, die zum Großteil aus dem Ausland bezogen werden. Bei einem Szenario mit hoher Nachfrage würde die EU bis 2030 die 18fache und bis 2050 die 60fache Menge an Lithium benötigen. Abbildung 3.2 ist zu entnehmen, dass sich die weltweite Rohstoffgewinnung, einschließlich kritischer Rohstoffe, bis 2050 voraussichtlich mehr als verdoppeln wird.
Hohe Abhängigkeit erfordert größere Widerstandsfähigkeit und Diversifizierung der Versorgung, insbesondere durch eine verstärkte Rohstoffbeschaffung innerhalb der EU, die Förderung des Rohstoffkreislaufs oder die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten – mit Schwerpunkt auf Wiederverwendung, Reparatur und Recycling, sowie durch unsere strategische Handelspolitik und Handelsdiplomatie.
Die Nutzung des Potenzials urbaner Minen, d. h. die Rückgewinnung von Rohstoffen aus städtischen Abfällen durch Recycling, könnte letztlich einen großen Teil der Nachfrage der EU nach kritischen Rohstoffen decken
. Europa ist weltweit führend in seiner Infrastruktur für das Recycling von Metallen, und die europäische Industrie produziert mehr als die Hälfte seiner Grundmetalle aus Recyclingquellen – gegenüber 19 % in der übrigen Welt. Es muss jedoch noch mehr getan werden, wenn die EU sicherstellen will, dass sie über die erforderlichen Ressourcen für den grünen und digitalen Wandel verfügt.
Europas eigene mineralische Ressourcen werden nicht ausreichend genutzt, und die Kapazitäten der EU für Verarbeitung, Recycling, Raffination und Trennung sind unzureichend
. Dies ist auf die im Vergleich zu den Weltmarktpreisen hohen Produktionskosten, hohe Umweltstandards und die derzeit geringe öffentliche Akzeptanz zurückzuführen. Investitionen in die Produktion von Primär- und Sekundärrohstoffen würden der Beschäftigung in allen Branchen des verarbeitenden Gewerbes zugutekommen. In den Bereichen Bergbau und Raffination sind in der EU bereits 3,4 Millionen Arbeitskräfte beschäftigt, das zugehörige verarbeitende Gewerbe bietet weitere 25 Millionen Arbeitsplätze. Auf Reparatur- und Materialrückgewinnung entfallen 2,2 Millionen Arbeitsplätze, wobei die Zahl zunimmt. Diese Investitionen könnten dazu beitragen, vorhandene geologische und metallurgische High-Tech-Kompetenzen zu erhalten und neue zu entwickeln, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU in einem Sektor zu steigern, der im 21. Jahrhundert über ein solides Wachstumspotenzial verfügt. Investitionen in die Mineraliengewinnung in der EU sollten jedoch nicht zulasten von Umweltnormen gehen.
Abbildung 3.1 Versorgungsrisiko bei Rohstoffen für Schlüsseltechnologien
Abbildung 3.2 Weltweite Materialgewinnung nach Ressourcenart
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Handel und Investitionen sind stark zurückgegangen, mit negativen Folgen für Wohlstand und Stabilität weltweit. Schätzungen zufolge wird das Welthandelsvolumen im Jahr 2020 um 9 % (laut IWF) bis 32 % (laut WTO) zurückgehen; die ausländischen Direktinvestitionen sind im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019 um 28,2 % zurückgegangen.
Die wirtschaftliche Souveränität Europas steht auf dem Spiel. Andere Weltmächte verknüpfen geopolitische mit wirtschaftlichen Interessen, um ihren Einfluss in der Welt zu stärken. Dazu gehören Protektionismus, Ausfuhrkontrolle und die internationale Rolle der Währungen. Der Euro gewinnt zwar international an Bedeutung, ist aber noch weit davon entfernt, die Dominanz des US-Dollars infrage zu stellen. COVID-19 hat die Vermögenswerte der Industrie und der Unternehmen in Europa unter Druck gesetzt, sodass es notwendig ist, die wirtschaftliche Souveränität Europas durch eine integrierte Strategie zu schützen. Durch Insolvenzen infolge der Pandemie besteht in strategischen Wirtschaftszweigen der EU die Gefahr feindlicher Übernahmen durch ausländische Unternehmen. Dies erhöht die Chancen von Investoren aus Drittländern, strategische europäische Vermögenswerte zu erwerben, insbesondere was die Lieferketten in den Bereichen Gesundheit, Verteidigung und Raumfahrt sowie kritische Infrastrukturen angeht. Um EU-Unternehmen und kritische Vermögenswerte zu schützen, muss die Offenheit der EU für Investitionen aus Drittländern durch geeignete Instrumente ausgeglichen werden
. Die Verordnung über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen wird dazu beitragen, die Sicherheit und die öffentliche Ordnung Europas durch einen Mechanismus der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten zu erhalten und so Bedenken hinsichtlich eingehender ausländischer Direktinvestitionen auszuräumen. Subventionen aus Drittländern sollten ebenfalls berücksichtigt werden, da sie den EU-Binnenmarkt verzerren und die Wettbewerbsbedingungen beeinträchtigen können
.
Die Krise hat zu einer erheblichen Zunahme der Angriffe autoritärer Regime auf demokratische Systeme durch irreführende Narrative geführt. Die Verbreitung von Fehl- und Desinformation sowie von Verschwörungstheorien stellt eine Bedrohung für die Demokratie dar
. Die Verschwörungstheorien über COVID-19 und die Verbreitung allgemeiner Impfskepsis gefährden weiterhin das Leben der Menschen
. Solche „Infodemien“
sind sowohl Ursache als auch Folge des zunehmenden Misstrauens gegenüber Regierungen und Medien
und erhöhen den Druck auf die EU, die Werte, auf denen sie beruht, energischer zu schützen und die Bemühungen zur Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verstärken. Die EU-Organe tragen zur Bekämpfung von Fehl- und Desinformation
bei und stärken damit die demokratische Resilienz, die im Mittelpunkt des anstehenden Europäischen Aktionsplans für Demokratie steht.
Chancen
Der Übergang zu einer zunehmend multipolaren Welt bietet Europa eine neue Chance, seine Rolle in der Weltordnung zu stärken und bei der Wiederbelebung multilateraler Regierungsstrukturen eine Vorreiterrolle einzunehmen. Der Globalisierungsprozess, der sich vorübergehend verlangsamt hat, dürfte nach dem Ende der Krise wieder in Gang kommen. Gleichzeitig bietet die globalisation, die globale Geschäftsmodelle mit einer stärkeren Berücksichtigung der Lokalisierung von Produktion, Verbrauch und Besteuerung kombiniert, der EU neue Möglichkeiten, sich als Vorreiter und Vorbild für die Welt zu positionieren, sofern die richtigen Bedingungen gegeben sind (z. B. hinsichtlich Besteuerung, Verfügbarkeit von Finanzmitteln, Standards).
Eine enge Zusammenarbeit mit gleich gesinnten Demokratien gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die EU muss die Offenheit und den demokratischen Charakter ihres Modells schützen und bei diesen Bemühungen ihre Partner einbeziehen und ihre Grundwerte vor drittstaatlicher Einflussnahme schützen. Die Wahrung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit muss zu Hause beginnen und sollte auch weiterhin das Leitprinzip in den Außenbeziehungen der EU sein, auch im Hinblick auf digitale Technologien. Themenbezogene Zusammenarbeit und Partnerschaften mit gleich gesinnten und sofern möglich mit weiteren Ländern ist eine Investition in multilaterale Governance und multilaterale Initiativen. Aufgrund ihrer integrativen Kraft ist die EU ein Partner der ersten Wahl für Länder in der ganzen Welt.
Die Stärkung der offenen strategischen Autonomie Europas ist unerlässlich. Die Krise bietet eine wirtschaftliche, soziale und ökologische Chance, die Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber künftigen Schocks zu stärken und ihren Platz in globalen Wertschöpfungsketten der nächsten Generation zu sichern. Wie im Europäischen Aufbauplan dargelegt, beinhaltet dies die Entwicklung einer globalen wirtschaftspolitischen Governance und den Ausbau für alle Seiten vorteilhafter bilateraler Beziehungen, wobei wir uns vor unfairen und missbräuchlichen Praktiken schützen müssen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um die EU dabei zu unterstützen, die globalen Lieferketten in kritischen Sektoren zu diversifizieren und robuster zu machen, die Beziehungen zu Partnern, auch in Afrika, zu intensivieren, Produktionsstandorte gegebenenfalls rückzuverlagern, durch Innovation Ersatzprodukte zu entwickeln und unsere strategischen Reserven auszubauen
.
Auch eine zuverlässige Lebensmittelversorgung muss in der gesamten EU sichergestellt werden. Die Kommission wird daher weiterhin die Ernährungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit überwachen. Sie wird die Resilienz des Lebensmittelsystems weiter bewerten und die Koordinierung einer gemeinsamen europäischen Reaktion auf Krisen in diesem Bereich verstärken. Als größter Importeur und Exporteur von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen wird die EU den weltweiten Übergang zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen weiter fördern.
Ein strategischerer Ansatz in Bezug auf Rohstoffe ist grundlegend. Die EU muss eine nachhaltige Versorgung mit kritischen Rohstoffen sicherstellen. Dies erfordert den Aufbau diversifizierter Wertschöpfungsketten, die Senkung der Rohstoffabhängigkeit, die Stärkung der Kreislaufwirtschaft, die Förderung von Innovationen für Alternativen sowie die Gewährleistung umweltgerechter und sozial verantwortlicher gleicher Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt und darüber hinaus. Zu den wichtigsten Foren, in denen diese Fragen gemeinsam mit der Industrie und anderen maßgeblichen Interessenträgern erörtert werden können, zählen die neue Europäische Rohstoffallianz
und die Informationsstrukturen für Rohstoffe auf europäischer Ebene
.
Ein stabiles regelbasiertes Handelssystem und gleiche Wettbewerbsbedingungen sind zentrale Ziele der EU. Nur eine starke Handels- und Investitionspolitik kann die wirtschaftliche Erholung im Anschluss an die Coronakrise unterstützen, Arbeitsplätze schaffen, europäische Unternehmen vor unlauteren Praktiken inner- und außerhalb der EU schützen und die Kohärenz mit allgemeineren Prioritäten in den Bereichen Nachhaltigkeit, Klimawandel, digitale Wirtschaft und Sicherheit gewährleisten. Die derzeitige Krise könnte eine Gelegenheit bieten, sinnvolle Reformen der Welthandelsorganisation (WTO) voranzutreiben und wettbewerbsfähigere, nachhaltigere und widerstandsfähigere Volkswirtschaften aufzubauen. Die EU hat bereits im Rahmen der WTO eine Gesundheitsinitiative gestartet, um die weltweite Verfügbarkeit und Bereitstellung grundlegender Gesundheitsprodukte stärker zu fördern. Die EU überprüft derzeit ihre Handelspolitik, um ihre offene strategische Autonomie zu festigen.
Industrieallianzen können bei diesem Wandel eine Vorreiterrolle einnehmen und Investoren, öffentliche Einrichtungen und Partner aus der Industrie zusammenbringen, um die Industrie bei der Entwicklung strategischer Technologien zu unterstützen. Dieser Ansatz zeigt bereits Ergebnisse in den Bereichen Batterien und Wasserstoff. In diesem Zusammenhang werden eine Reihe bestehender und künftiger Allianzen dazu beitragen, Europa beim grünen und digitalen Wandel zu unterstützen, seine führende Rolle in der Industrie zu gewährleisten, den Unternehmen und Menschen in der EU Vorteile zu verschaffen und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit Europas zu stärken.
Die strategische Vorausschau kann genutzt werden, um mögliche Szenarien für den Platz der EU in der künftigen Weltordnung zu ermitteln und den besten Weg in die gewünschte Zukunft zu zeichnen. Sie kann dazu beitragen, eine vorausschauende Analyse der Möglichkeiten zu erstellen, über die die EU verfügt, um ihre Kooperations- und Partnerschaftsstrategien zu stärken. Sie trägt auch dazu bei, mögliche Allianzen zu ermitteln, verschiedene Ökosysteme zu analysieren und Risiken, Chancen und künftigen Bedarf von strategischen Industriezweigen zu bewerten. Darüber hinaus soll die Vorausschau dabei helfen, strategische Optionen für eine optimale Kombination von Konzepten für eine offene strategische Autonomie zu ermitteln – von der Diversifizierung der Handelspartner bis hin zur Stärkung der eigenen Kapazitäten der EU.
3.3.Grüne Dimension
Bei der ökologischen Resilienz geht es darum, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und gleichzeitig den Klimawandel einzudämmen und sich daran anzupassen, die Umweltverschmutzung zu verringern und die Kapazitäten der Ökosysteme wiederherzustellen, damit wir innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten weiterhin gut leben können. Dafür müssen wir unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und unsere Auswirkungen auf die natürlichen Ressourcen verringern, die biologische Vielfalt erhalten, eine saubere Kreislaufwirtschaft entwickeln, eine schadstofffreie Umwelt schaffen, unsere Lebensweise sowie Produktions- und Verbrauchsmuster ändern, Infrastruktur klimasicher machen, neue Möglichkeiten für ein gesundes Leben und für umweltfreundliche Unternehmen und Arbeitsplätze fördern und uns aktiv für die Wiederherstellung von Ökosystemen sowie für die Rettung unserer Meere und Ozeane einsetzen.
Kapazitäten
Mit dem europäischen Grünen Deal soll das Ziel einer klimaneutralen Gesellschaft bis 2050 erreicht und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit gestärkt werden, um die Auswirkungen des Klimawandels zu mindern und sich daran anzupassen und um der Umweltzerstörung und dem Verlust an biologischer Vielfalt Einhalt zu gebieten. Der Grüne Deal ist ein wesentlicher Bestandteil der Strategie der Kommission zur Umsetzung der Agenda 2030 der UN und der Nachhaltigkeitsziele. Er sieht vor, den Energiesektor vollständig zu dekarbonisieren und den Energiebedarf umfassend zu elektrifizieren. Überdies müssen die durch Landnutzung bedingten Emissionen auf Null reduziert werden und ist es erforderlich, die Senkenwirkung der Landnutzung durch Umweltsanierung und Anpassungen der Landwirtschaft zu erhöhen. Auf kosteneffiziente Weise muss eine höhere Lebensqualität für alle Menschen in der EU sichergestellt werden, damit das Wirtschaftswachstum weiter angekurbelt und Europa für den Rest der Welt zum Wegweiser des Wandels wird. Zu diesem Zweck sollten die Kapazitäten der EU gestärkt werden, damit sie sich von der Krise erholt und in langfristige Nachhaltigkeit investieren kann (Kasten 3.2).
Kasten 3.2: Vorausschau anhand von Szenarien für die EU-Klimastrategie für 2050 und Bedeutung für den Grünen Deal
In den vergangenen beiden Jahrzehnten wurden die 18 wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen beobachtet. Wenn die Temperaturen jedes Jahrzehnt um nur 0,2 °C weiter ansteigen, könnten bis zum Ende des Jahrhunderts die jährlichen Kosten für Schäden durch Flusshochwasser in Europa von 5 Mrd. EUR auf 112 Mrd. EUR klettern und 16 % der Gebiete, in denen zurzeit Mittelmeerklima herrscht, aride und landwirtschaftlich ertraglos werden. Bis 2050 würden möglicherweise mehr als 140 Millionen Menschen in Afrika, Südasien und Lateinamerika durch den Klimawandel, den Verlust biologischer Vielfalt sowie überschwemmte Küstengebiete in die Binnenmigration getrieben.
Die Strategie der EU zur Verringerung der Treibhausgasemissionen, die den Partnern des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) vorgelegt wurde, stützt sich auf acht Szenarien, die verschiedene Dimensionen aus vorausschauender Perspektive berücksichtigen. Der Schwerpunkt der ersten fünf Szenarien lag auf dem Ziel, den Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen und die Treibhausgasemissionen bis 2050 gegenüber dem Stand von 1990 um etwa 80 % zu senken. Hierbei wurden verschiedene Optionen für die Dekarbonisierung zugrunde gelegt und Zielkonflikte festgestellt: So erfordern Ansätze, die stärker auf die Elektrifizierung der Endnutzersektoren setzen, umfangreichere Speicherkapazitäten (das Sechsfache der heutigen Kapazitäten), um die Produktionsschwankungen im Elektrizitätssystem abfangen zu können, und bei Ansätzen, die eine stärkere Nutzung von Wasserstoff vorsehen, steigt der Stromverbrauch, da die Wasserstofferzeugung energieintensiv ist. Im sechsten Szenario (COMBO) wurden die Maßnahmen und Technologien der ersten fünf Szenarien zusammengeführt. Dieses Szenario legt nahe, dass bis 2050 eine Verringerung der Netto-Treibhausgasemissionen um fast 90 % gegenüber 1990 möglich ist, wobei kaum auf Technologien für negative Emissionen zurückgegriffen wird und auch keine Änderungen der Verbraucherpräferenzen zugrunde gelegt werden.
Anhand der beiden letzten Szenarien wurde untersucht, wie die EU bis 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen auf Null senken und damit ihren Beitrag zu den weltweiten Bemühungen zur Verwirklichung des im Übereinkommen von Paris festgelegten Ziels leisten kann, die Anstrengungen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau fortzusetzen. So steht im Mittelpunkt des siebten Szenarios die CO2-Abscheidung und -Speicherung, und das achte Szenario legt eine von Geschäfts- und Verbrauchsmustern in der EU getriebene Entwicklung zu einer stärker kreislauforientierten Wirtschaft zugrunde. Darüber hinaus wird im achten Szenario eine Fortsetzung des Trends hin zu einer weniger CO2-intensiven Ernährungsweise, zu einer Wirtschaft des Teilens im Verkehrssektor, zur Nutzung nachhaltigerer Verkehrsträger und zu einer rationelleren Energienutzung für Heizung und Kühlung berücksichtigt.
Mit den Szenarien werden Optionen zur Mobilisierung bestehender und neuer Technologien in sämtlichen Wirtschaftssektoren aufgezeigt, die ermöglichen, dass Europa bis 2050 klimaneutral wird. Die Arbeit an den Zukunftsszenarien wird fortgeführt, um die Klimapolitik weiterzuentwickeln. Der grüne Wandel erfordert jedoch bereits heute das Engagement aller Akteure, sodass vor dem Hintergrund des europäischen Grünen Deals eine Transformationsagenda aufgestellt wurde, um das Thema Nachhaltigkeit in allen Politikbereichen der EU durchgängig zu berücksichtigen und einen gerechten Übergang zu gewährleisten. Grundlage der Transformationsagenda sind folgende Elemente:
1.ambitioniertere Klimaschutzziele der EU für 2030 und 2050
2.Versorgung mit sauberer, erschwinglicher und sicherer Energie
3.Mobilisierung der Industrie für eine saubere und kreislauforientierte Wirtschaft
4.energie- und ressourcenschonendes Bauen und Renovieren
5.raschere Umstellung auf nachhaltige und intelligente Mobilität
6.„Vom Hof auf den Tisch“: ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem
7.Erhalt bzw. Wiederherstellung von Ökosystemen und Biodiversität
8.Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstofffreie Umwelt.
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Durch die Regelungsbefugnisse der EU, insbesondere im Umweltbereich, können höchste Standards herangezogen werden, um die wettbewerbsfähige Nachhaltigkeit zu unterstützen. In den letzten Jahrzehnten haben EU-Maßnahmen nicht nur die Umweltqualität in Europa, sondern auch die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger erheblich verbessert. Infolgedessen wurden in vielen Bereichen EU-Umweltnormen von anderen Ländern übernommen. Die EU war weltweit die erste Region, die verbindliche Rechtsvorschriften verabschiedet hat, um Klima- und Energieziele fest zu verankern und zu einer klimaneutralen Wirtschaft mit hoher Energieeffizienz zu finden.
Beim Übergang zu einer sauberen Kreislaufwirtschaft ist die EU weltweit führend. Die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher sind hier eine wichtige Triebkraft. Nach dem Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft
sollte die EU-Unterstützung auf prioritäre Wertschöpfungsketten ausgerichtet sein und berücksichtigen, welche Sektoren und Geschäftsmodelle Chancen für die Schaffung von Arbeitsplätzen bieten.
Investitionen in die Kreislaufwirtschaft und politische Instrumente (z. B. Ökodesign, Energieverbrauchskennzeichnung, umweltgerechtes öffentliches Beschaffungswesen, digital gestützte kreislauforientierte Geschäftsmodelle und das System für Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung (EMAS)) werden dazu beitragen, den ökologischen und klimatischen Fußabdruck insgesamt zu verringern.
Vorreiter in der EU-Industrie zeigen, dass saubere, biobasierte und kreislauforientierte Produktion und Dienstleistungen wichtige Motoren für Wettbewerb und Wachstum sind. Durch die Verbesserung der Ressourceneffizienz, die Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung, Gewässerschutz, die Einführung neuer kreislauforientierter Geschäftsmodelle, eine sauberere Produktion, Öko-Innovationen und die Entwicklung grüner Märkte werden viele europäische Industriezweige weltweit eine Führungsrolle übernehmen. Die Kommission will eine kohärente Gestaltung der Umwelt-, Klima-, Energie- und Industriepolitik gewährleisten und für Synergien sorgen.
Dazu muss ein Rahmen geschaffen werden, der über das Verursacherprinzip hinausgeht und auf die Vermeidung von Umweltverschmutzung und größere Energie- und Materialeffizienz abstellt. Ferner zielt die EU-Unterstützung für eine nachhaltige Bioökonomie darauf ab, die landwirtschaftliche und industrielle Basis der EU zu transformieren, indem neue biobasierte Wertschöpfungsketten sowie umweltfreundlichere und kosteneffizientere Industrieverfahren entwickelt werden. Sie trägt außerdem zur Verbesserung des Allgemeinzustands unserer natürlichen Ressourcen und Ökosysteme bei. In biobasierten Industriezweigen könnten bis 2030 eine Million neuer Arbeitsplätze entstehen.
Die umfangreichen Investitionen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung werden den grünen Wandel vorantreiben. Um den Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft und einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft zu meistern, müssen auf allen Ebenen Finanzierungsquellen gebündelt werden. Mithilfe des EU-Haushalts und des Aufbaupakets, das unter anderem spezifische Instrumente wie den Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa
und den Innovationsfonds umfasst, sollen in den nächsten zehn Jahren private und öffentliche Mittel mobilisiert werden, um Klima- und Umweltinvestitionen sowie Sozialinvestitionen mit Bezug zur Nachhaltigkeitswende anzustoßen.
Darüber hinaus bereitet die Kommission eine neue Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen vor, um nachhaltige Investitionsmöglichkeiten zu schaffen und das nachhaltigkeitsbezogene Risikomanagement zu verbessern. Wie der Europäische Rat festgestellt hat, werden 30 % der im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 und von Next Generation EU vereinbarten Mittel in Höhe von 1,82 Billionen EUR für die Klimaschutzziele verwendet. In allen Bereichen muss die Förderung auf dem Grundsatz der Schadensvermeidung basieren. Der Mechanismus für einen gerechten Übergang, einschließlich des Fonds für einen gerechten Übergang, wird die Mitgliedstaaten und Regionen unterstützen, die am stärksten vom Übergang zur Klimaneutralität betroffen sind.
Europas blaue Wirtschaft spielt eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Resilienz. Die Erhaltung der Meeresökosysteme ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der maritimen Wirtschaftszweige. Die Ozeane und Meere Europas sind jedoch weit mehr als nur eine natürliche Ressource für die Wirtschaft – sie sind ein Lebensraum für die marine Tier- und Pflanzenwelt, ermöglichen die Bindung von Kohlendioxid, dienen als Quelle erneuerbarer Energien und bieten Küstenschutz vor den Folgen des Klimawandels.
Schwachstellen
Auch in Europa treten infolge des Klimawandels immer häufiger extreme Wetterereignisse auf, die an Intensität zunehmen. Hinter dem durchschnittlichen weltweiten Temperaturanstieg verbergen sich für manche Regionen extreme Folgen. Sie reichen von beispiellosen Waldbränden über Hitzewellen nördlich des Polarkreises bis zu immer verheerenderen Dürren im Mittelmeerraum und von der Beschleunigung der Küstenerosion an der Atlantikküste bis zu immer gravierenderen Überschwemmungen und Waldschäden in Mittel- und Osteuropa. Die Rechnung dafür ist hoch – nach neueren Projektionen würde eine globale Erwärmung um 3 °C der derzeitigen EU-Wirtschaft zusätzliche jährliche Verluste von mindestens 170 Mrd. EUR (1,36 % des BIP) bescheren und Zehntausende Menschenleben kosten.
Durch unser derzeitiges Produktions- und Konsummodell sind Mensch und Umwelt zunehmend den Auswirkungen gefährlicher Stoffe ausgesetzt. Die chemische Verschmutzung beeinträchtigt die Gesundheit und die Antikörperreaktion nach Impfungen, wodurch Morbidität und Mortalität durch übertragbare Krankheiten steigen. Das global vereinbarte Ziel eines umweltverträglichen Umgangs mit Chemikalien und Abfällen dürfte kaum mehr erreicht werden, die chemische Produktion wird sich bis 2030 weltweit wohl verdoppeln, und die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt werden weiter zunehmen, falls angemessene politische Maßnahmen ausbleiben. Im Rahmen des europäischen Grünen Deals hat sich die Kommission verpflichtet, auf eine schadstofffreie Umwelt hinzuarbeiten. Dieses wichtige Ziel kann jedoch nur erreicht werden, wenn alle gesellschaftlichen Akteure daran mitarbeiten, einen echten Wandel hin zu sicheren und nachhaltigen Chemikalien zu erreichen, und wenn ein erneuertes globales Engagement auf den Weg gebracht wird.
Wenn in Drittländern laxere Umweltschutzstandards gelten und die entsprechenden Kosten niedriger sind, werden umweltbelastende Tätigkeiten und Abfälle möglicherweise aus der EU in solche Länder verlagert. Somit wächst das Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen. Überdies mangelt es mitunter an wirksamen Maßnahmen, um die Ausfuhr giftiger und schadstoffhaltiger Abfälle in Nicht-EU-Länder zu verhindern. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass solche Vorgehensweisen infolge der durch COVID-19 verursachten Wirtschaftskrise zunehmen, da die betreffenden Länder um jeden Preis ihr Wachstum ankurbeln wollen. Die EU sollte sich international für ihre Werte und Standards einsetzen, da dies für den Schutz ihrer Umweltnormen, der Industrie, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Verbraucherinnen und Verbraucher von entscheidender Bedeutung ist. Andernfalls dürfte die EU weiter an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen und kein Rückgang der Handelsausfuhren in umweltschädlichen Sektoren zu verzeichnen sein, während in weniger umweltschädlichen Industriezweigen weitere komparative Vorteile erzielt werden.
Die zunehmende Ausbeutung erneuerbarer und nicht erneuerbarer natürlicher Ressourcen ist nicht tragfähig, da sie die Möglichkeiten für eine nachhaltige Entwicklung in der Zukunft schmälert. Das Artensterben an Land und auf See, die steigenden Kosten für die Gewinnung von Mineralien, die Verschmutzung von Böden, Wasser und Luft
sowie die nach wie vor hohen, auf den nicht nachhaltigen Verbrauch von Rohstoffen, Energie, Wasser, Lebensmitteln sowie die Landnutzung zurückzuführenden Treibhausgasemissionen bedrohen die langfristige Lebensgrundlage von Millionen von Menschen, auch in Europa. Wenngleich die Umweltbelastung infolge des durch die Lockdown-Maßnahmen bedingten Wirtschaftsabschwungs vorübergehend abgenommen hat, wird die Herausforderung in Zukunft darin bestehen, Wachstum und Wohlergehen langfristig vom Verbrauch natürlicher Ressourcen und den entsprechenden Umweltauswirkungen abzukoppeln.
COVID-19 scheint sich in dicht besiedelten städtischen Gebieten und ärmeren Wohnvierteln rascher ausgebreitet zu haben. Über 70 % der europäischen Bevölkerung lebt in Städten – ein Anteil, der bis 2050 auf über 80 % steigen dürfte.
36 Millionen neue Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner werden demnach Wohnraum, Beschäftigung und Pflege benötigen, was den Druck auf die städtische Infrastruktur erhöht. Krankheiten können sich in städtischen Gebieten aufgrund der Bevölkerungsdichte schneller verbreiten, doch verfügen diese Gebiete auch über Kapazitäten, an denen es in einigen ländlichen Gebieten nach wie vor mangelt, wie nahe Gesundheitseinrichtungen und eine digitale Infrastruktur.
COVID-19 verdeutlicht den engen Zusammenhang zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. Aktuelle Pandemien wie COVID-19 und frühere Epidemien wie AIDS oder Ebola gehen auf den Eingriff des Menschen in natürliche Lebensräume und die Zerstörung von Ökosystemen zurück. Umweltkriminalität (z. B. illegaler Holzeinschlag und Handel mit exotischen Arten), einige Formen der Landwirtschaft, Bergbau und die Urbanisierung, die von ressourcenintensiven Lebensweisen ausgelöst werden, sind die Triebkräfte dieser Entwicklung.
Chancen
Der Umstand, dass einige Umweltparameter sich infolge der Lockdown-Maßnahmen rasch verbessert haben, verdeutlicht, wie widerstandsfähig die Natur sein kann. Naturbasierte Lösungen
wie Stadtgrün-Initiativen und Renaturierungsvorhaben können zu einer kosteneffizienten Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2030 beitragen und bergen gleichzeitig zahlreiche weitere Vorteile, da sie z. B. Hochwasserschutz und Kühlung bei Hitzewellen bieten und Freizeitwert haben. Eine verringerte Umweltbelastung wirkt sich außerdem deutlich positiv auf den Gesundheitszustand der Menschen aus.
Zum ersten Mal seit den 1970er Jahren hat sich der jährliche Erdüberlastungstag, an dem der menschliche Ressourcenverbrauch die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen überschreitet, nach hinten verschoben. Wenngleich die im Zusammenhang mit den Lockdown-Maßnahmen in vielen Bereichen beobachtete geringere Umweltverschmutzung nicht von Dauer sein dürfte, bietet sich hier ein Anknüpfungspunkt, um langfristigere, wirtschaftlich nachhaltige ökologische Veränderungen und nachhaltigere Konsumgewohnheiten herbeizuführen, die Wohlstand und Gesundheit gewährleisten.
Ein sparsamerer Einsatz von Primärressourcen in einer Kreislaufwirtschaft kommt Umwelt und Wirtschaft zugute. Hierzu sind Maßnahmen für mehr Ressourceneffizienz, die nachhaltige Nutzung erneuerbarer Ressourcen, kreislauforientierte Geschäftsmodelle und eine entsprechende Produktpolitik vonnöten. Im neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft wird hervorgehoben, wie wichtig diese Faktoren sind, um unsere Klimaschutzziele durch die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks, der Treibhausgas- und Schadstoffemissionen sowie durch den Stopp des Verlusts an biologischer Vielfalt zu verwirklichen. So können Geschäftsmöglichkeiten für die EU geschaffen, der Marktzugang erleichtert und unsere Rohstoffabhängigkeit von Drittländern verringert werden.
COVID-19 hat deutlich gemacht, wie wichtig größere Resilienz in städtischen Gebieten ist. Bei diesen Gebieten handelt es sich um wichtige Innovationszentren. Sie spielen eine entscheidende Rolle dabei, den grünen Wandel durch verstärkte partizipative Governance und ein gemeinsames Engagement für eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft bestmöglich zu gestalten. Die Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen und Städten sowie mit Partnerstädten auf der ganzen Welt kann Europa ermöglichen, bei der Ermittlung, Erprobung und Anwendung von Lösungen für aktuelle und künftige Herausforderungen, denen Städte – auch wegen des Klimawandels – gegenüberstehen werden, eine Vorbildfunktion zu übernehmen. Die Umwidmung von Bürogebäuden oder Brachflächen bietet beispielsweise zahlreiche Möglichkeiten, der Natur wieder mehr Raum in unseren Städten zu geben und das Wohlergehen der Menschen im städtischen Umfeld zu verbessern; auch Änderungen bei Mobilität und Konsumverhalten tragen dazu bei. Strategische Vorausschau kann genutzt werden, um potenzielle Bereiche für Bottom-up-Innovationen und Lösungen für städtische Probleme zu analysieren und zu ermitteln und auf diese Weise direkt Betroffene mit Innovatoren, Investoren und Start-up-Unternehmen zusammenzubringen.
Kasten 3.3: FALLSTUDIE – Grüne Arbeitsplätze
Die Erhaltung oder Wiederherstellung der Umweltqualität wird im Mittelpunkt vieler zukünftiger Arbeitsplätze stehen. Einschlägige Arbeitsplätze werden in den Sektoren Landwirtschaft, (Wieder-)Aufarbeitung, Bau, Forschung und Entwicklung, Verwaltung und Dienstleistungen entstehen, etwa in den Bereichen nachhaltige Lebensmittelerzeugung und -verteilung, umweltfreundliches und effizientes Bauen, Wasserqualität und -aufbereitung, grünes Design, Forstwirtschaft, Rückgewinnung nützlicher Stoffe aus Siedlungs- und Deponieabfällen, Reparatur und Recycling von Rohstoffen, Arzneimittel, emissionsarme Mobilität und Verkehr, erneuerbare Energien, Säuregehalt der Meere und CO2-Fußabdruck-Management. Angesichts von Ressourcenknappheit und der notwendigen Effizienzsteigerungen werden viele Berufe einen Wandel durchlaufen, was neue Geschäftsmodelle mit sich bringen und neue Kompetenzen erfordern wird.
Unsere Umweltpolitik befördert einen strukturellen Wandel auf dem Arbeitsmarkt. Einigen Untersuchungen zufolge könnte sich ein hoher Anteil der Arbeitsplätze in der EU wandeln und künftig zur Verringerung der Treibhausgasemissionen und zur Bekämpfung der Umweltzerstörung beitragen. Nur ein Bruchteil der Beschäftigung in der EU entfällt auf Arbeitsplätze in stark umweltschädlichen Industriezweigen, während im Bereich der Verringerung dieser Umweltschäden ein signifikantes Beschäftigungspotenzial besteht. So tun sich in der Umweltindustrie, die unmittelbar bei der Abmilderung von Umweltschäden ansetzt, wesentliche Beschäftigungsmöglichkeiten auf.
Darüber hinaus wirkt sich steigende Materialproduktivität (d. h. Ressourceneffizienz) positiv auf die Arbeitsintensität und die Wertschöpfung bei Produkten aus, wodurch sich weiteres Beschäftigungspotenzial ergibt. Europa ist bereits führend bei Innovationen zur Verbesserung der Materialproduktivität, doch auf Unternehmensebene bestehen nach wie vor systemische Ineffizienzen.
Im grünen Sektor können Millionen von Arbeitsplätzen geschaffen werden. Die Umweltindustrie ist seit 2000 um 20 % gewachsen, bietet in Europa rund 4,2 Millionen Arbeitsplätze und erwirtschaftet mehr als 700 Mrd. EUR. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) könnten durch eine Umstellung auf eine grünere Wirtschaft bis 2030 weltweit 24 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen.
Allerdings werden den ILO-Prognosen zufolge bis 2030 auch 72 Millionen Vollzeitarbeitsplätze aufgrund von Hitzestress und Temperaturanstiegen verloren gehen.
Die Erholung von der Coronakrise deutet darauf hin, dass die Auswirkungen einer grünen Arbeitsmarktpolitik erheblich größer sein könnten. Angesichts der Arbeitslosenzahlen könnte die Ausrichtung von Konjunkturprogrammen auf den grünen Wandel zu weit mehr grünen Arbeitsplätzen führen als bislang angenommen.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen durch Klimaschutzmaßnahmen wird zu einem inklusiveren Beschäftigungswachstum beitragen und Trends entgegenwirken, die zu größeren Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt führen können, etwa Automatisierung, Robotik und künstliche Intelligenz. Bis 2050 dürfte die Beschäftigung in der Stromwirtschaft um 25 % zulegen, da die Sektoren Industrie und Verkehr sowie andere Dienstleistungen zunehmend elektrifiziert werden. So dürften bis 2050 1,3 % der Beschäftigung in der EU (2,7 Millionen Arbeitsplätze) auf den Bereich der erneuerbaren Energien entfallen.
Durch die wirksame ökologisch ausgerichtete Neuqualifizierung von Arbeitnehmern, insbesondere in den Bereichen bauliche Umwelt und Dienstleistungen, können Arbeitsplätze in der Mittelschicht geschützt werden. Dies gilt auch für die Bereiche Wiederaufarbeitung (Remanufacturing), Wiederverwendung (Reuse), Reparatur (Repair) und Wiederaufbereitung (Recycling). Die Energieerzeugung und energieintensive Sektoren wie Stahl, Zement, Automobilherstellung, Maschinenbau und Chemikalien müssen im Zuge des Wandels auf neue Produktionsprozesse umstellen, was ebenfalls neue Fähigkeiten erforderlich macht.
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Strategische Vorausschau kann dabei helfen, die Triebkräfte des Wandels sowie individuelle und kollektive Verhaltensweisen zu analysieren und auf partizipative Weise Annahmen über die Zukunft zu treffen. Konkret kann strategische Vorausschau dazu beitragen, künftige strukturelle Veränderungen zu erfassen, die sich im Rahmen des Übergangs zu einer klimaneutralen Gesellschaft bis 2050 auf dem Arbeitsmarkt vollziehen. So können Umschulungsbedürfnisse von Menschen, die während der Coronakrise ihren Arbeitsplatz verloren haben oder aufgrund des beschleunigten technologischen Wandels und der Automatisierung wohl ihren Arbeitsplatz verlieren werden, besser ermittelt werden. Vorausschau kann zudem dazu beitragen, neue Entwicklungen zu sondieren, einschließlich neuer Technologien, die den ökologischen Wandel beschleunigen oder bremsen könnten. Damit der europäische Grüne Deal und ein gerechter Übergang Realität werden, ist ein aktiver und koordinierter Beitrag aller Mitglieder der Gesellschaft vonnöten.
3.4.Die digitale Dimension
Digitale Resilienz bedeutet dafür zu sorgen, dass Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Sicherheit, Demokratie und andere europäische Grundrechte und -werte durch die Art und Weise, wie wir in diesem digitalen Zeitalter leben, arbeiten, lernen, interagieren und denken, bewahrt und gestärkt werden. Dies ist umso wichtiger, als die Hyperkonnektivität weiter rasant zunimmt – mit der physikalisch-digitalen Integration, dem Internet der Dinge, der Gebäudeautomation, der Nutzung von Big Data, der erweiterten und virtuellen Realität, dem maschinellem Lernen und anderen zunehmend leistungsfähigeren KI-Technologien. Digitale Technologien verwischen die Grenzen zwischen physischer und virtueller Welt sowie zwischen Menschen, Maschinen und Natur, was Auswirkungen auf uns und die politischen Rahmenbedingungen hat
. Zugleich haben diese Technologien entscheidend dazu beigetragen, dass unsere Volkswirtschaften und Gesellschaften während der Pandemie weiter funktioniert haben.
Kapazitäten
Europa kann auf eine lange und erfolgreiche Geschichte der technologischen und gesellschaftlichen Innovation und Zusammenarbeit zurückblicken. Die EU ist stärker, wenn sie mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeitet und Regionen und Kommunen, Hochschulen, Zivilgesellschaft, Finanzinstitute, Unternehmen und Sozialunternehmen eingebunden werden. Dies hat sich bei den jüngsten Vereinbarungen in Bereichen wie Hochleistungsrechnen und Mikroelektronik wieder einmal gezeigt. Um diesen Prozess zu unterstützen, muss der digitale Wandel in öffentlichen Verwaltungen und Justizsystemen in ganz Europa auch weiterhin gefördert werden.
Europa verfügt über einzigartige Kapazitäten, um internationale Standards in den Bereichen Datenschutz und Datenverkehr maßgeblich zu gestalten. Mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wurden Datenschutzvorschriften für alle Unternehmen und Akteure festgelegt, die Daten natürlicher Personen in der EU verarbeiten; dadurch haben die Menschen mehr Kontrolle über ihre personenbezogenen Daten, und die Unternehmen profitieren von gleichen Wettbewerbsbedingungen. Die Rolle der EU als Regelsetzer im digitalen Bereich wird durch die Zusammenarbeit mit Drittländern gestärkt, die derzeit Datenschutzvorschriften erlassen oder ihre Datenschutzvorschriften modernisieren. Indien hat sich bei seinem Entwurf für ein Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten an der DSGVO der EU orientiert.
Der kalifornische Consumer Privacy Act ging in eine ähnliche Richtung. Europa muss nun weiterhin Bündnisse schmieden und seine Regelungsbefugnisse, seine Unterstützung für Strukturverbesserungen, seine diplomatischen Bemühungen und seine und Finanzmittel ausweiten, um das europäische Digitalmodell zu fördern.
Schwachstellen
Komplexe hybride Angriffe durch staatliche und nichtstaatliche Akteure bedrohen unsere Cybersicherheit und unsere Demokratie. Durch eine Kombination aus Cyberangriffen und Cyberkriminalität wurden Schwachstellen innerhalb der EU genutzt, um Schäden an kritischen Infrastrukturen anzurichten.
Die Zahl der gemeldeten Cyberangriffe auf Supercomputer, Gesundheits- und Finanzsysteme
, etwa durch Hacking sensibler Forschungsdaten von medizinischen Organisationen und Pharmaunternehmen, ist erheblich gestiegen.
IKT-Bedrohungen wurden auch als wichtige Ursache von Systemrisiken für Wahlverfahren und das Finanzsystem der EU eingestuft.
Solche Ereignisse zeigen, dass die asymmetrische virtuelle Kriminalität in besorgniserregender Weise zugenommen hat. Cyberkriminalität, zum Beispiel die Verbreitung von Material über sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet, hat ein nie da gewesenes Ausmaß erreicht.
Die rasante Eskalation der technologischen Konfrontation zwischen den USA und China führt zu Störungen der globalen digitalen Lieferketten. Dies wird sich unmittelbar auf den Binnenmarkt auswirken und die Notwendigkeit verstärken, dass die EU ihre Agenda für technologische Souveränität weiterverfolgt und ihre wichtigsten digitalen Kapazitäten stärkt.
Die digitale Kluft zwischen städtischen und ländlichen Gebieten gibt Anlass zur Sorge. Im Jahr 2019 stieg die Versorgung mit Zugangsnetzen der nächsten Generation (NGA), die Downloadgeschwindigkeiten von mindestens 30 Mbit/s bieten können, auf 86 % der Haushalte. 44 % der Haushalte hatten Zugang zu Festnetzen mit sehr hoher Kapazität (VHCN), die zumindest Gigabit-Anbindung bieten. In ländlichen Gebieten lag die Versorgung mit NGA im Jahr 2019 jedoch nur bei 59 %, VHCN gab es in nur 20 % der Haushalte. Dies zeigt, dass mehr Investitionen in ländlichen Gebieten erforderlich sind, um diese Lücke zu schließen. Der Ausbau digitaler Kapazitäten in ländlichen Gebieten wird die Attraktivität dieser Gebiete erheblich steigern.
Die Krise hat gezeigt, dass die Datenwirtschaft nicht vorbereitet war. Es fehlte an fast allen Arten von Daten, auf denen Modelle aufbauen (z. B. Daten über Beschäftigung, Verbrauchervertrauen und Produktion), und es kam zu Verzögerungen bei der Erhebung von Daten
. Daten zu Lagerbeständen, Produktionskapazität und Nachfrage nach wichtigen Versorgungsgütern wie persönlicher Schutzausrüstung lagen nicht vor, Daten zu COVID-19-Infektionen wurden innerhalb von Europa unterschiedlich erfasst. Dies hat gezeigt, dass wir im Hinblick auf die Datenerhebung und die Daten-Governance zum Nutzen von Wirtschaft und Gesellschaft noch erheblichen Nachholbedarf haben. Dies wiederum erfordert einen „europäischen Weg“ zur Regelung der Datennutzung, nicht zuletzt, um Datenmonopole zu vermeiden.
Digitale Technologien und damit verbundene Geschäftsmodelle, einschließlich künstlicher Intelligenz (KI) und Plattformwirtschaft, werden Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Auch wenn der Zusammenhang zwischen potenzieller Arbeitsplatzobsoleszenz und der Schaffung von Arbeitsplätzen durch KI und Robotik noch unklar ist, liegt es auf der Hand, dass diese und andere digitale Technologien sowie die damit verbundenen Geschäftsmodelle unsere Arbeitsweise verändern werden. Dies betrifft Bereiche wie Gesundheit, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie Sicherheit am Arbeitsplatz. Die Nachfrage nach Kompetenzen im Bereich neuer Technologien wie KI, Hochleistungsrechnen und gesellschaftsumspannende Cybersicherheit ist sehr hoch und verschärft sich zunehmend, da das Angebot hinter der Marktnachfrage zurückbleibt. Auch der Grad der Vorbereitung und Sensibilisierung ist in der EU unterschiedlich stark ausgeprägt.
Chancen
Die COVID-19-Pandemie hat die Hyperkonnektivität beschleunigt. Diese Echtzeit-Erfahrung bietet die Möglichkeit, Lehren zu ziehen und in der Zukunft ein ausgewogenes Verhältnis zwischen physischen und digitalen Interaktionen zu erreichen, das den Erwartungen der Öffentlichkeit gerecht wird. Während der COVID-19-Krise hat mehr als ein Drittel der Arbeitskräfte in der EU vorübergehend auf Telearbeitsregelungen zurückgegriffen.
Die Konnektivität ist in allen Bereichen gestiegen
, und der spektakuläre – weltweit auf 10 % bis 30 % geschätzte – Anstieg des Datenverkehrs ging nicht wieder zurück, nachdem die Länder ihre Ausgangsbeschränkungen lockerten. Die weltweit generierten Daten werden Schätzungen zufolge bis 2025 auf rund 175 Mrd. Terabyte anwachsen.
Digitale Technologien könnten zu weiteren Fortschritten im Gesundheitswesen beitragen. KI und Hochleistungsrechnen könnten dazu beitragen, die Entwicklung von Therapien, Impfstoffen und Diagnoseverfahren zu beschleunigen, die Ausbreitung von Krankheiten vorherzusagen und die Verteilung medizinischer Ressourcen zu planen
. Derartige Innovationen könnten auch bei der Analyse individueller Gesundheitsrisiken in der präventiven Medizin eingesetzt werden. Die Nutzung der KI bietet außerdem Möglichkeiten dafür, Cyberangriffe, insbesondere gegen kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser, besser abzuwehren.
Digitale Technologien haben in der Zeit, in der die Schulen krisenbedingt geschlossen waren, eine gewisse Kontinuität in der allgemeinen und beruflichen Bildung ermöglicht. Sinnvoll eingesetzt können digitale Technologien die Wirksamkeit, Effizienz und Inklusivität unserer Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung verbessern. Hierfür ist es wichtig, die digitalen Kapazitäten der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung zu stärken und die digitale Kluft bei Ausstattung und Konnektivität zu schließen.
Die Bewältigung der Herausforderungen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Datenstrategie der EU wird Europa weitreichende Möglichkeiten eröffnen. Dazu gehören die Förderung des Datenschutzmodells der EU, die Möglichkeit, Verfügbarkeit, Wiederverwendung, Interoperabilität und Governance von Daten zu verbessern, die Fähigkeit, ungeeignete Dateninfrastrukturen zu vermeiden, sowie die Verfügbarkeit geeigneter Instrumente, die den Einzelnen dazu befähigen können, seine Rechte wahrzunehmen.
Die offene strategische Autonomie ist der Schlüssel zur Entwicklung der europäischen digitalen Wirtschaft. 5G-Konnektivität könnte in Kombination mit dem Internet der Dinge die Digitalisierung von Dienstleistungen (z. B. Energie, Verkehr, Bankwesen und Gesundheit) und Prozessen fördern, Kosten senken und die Effizienz steigern. Der Aufbau einer Cloud-Infrastruktur wäre der erste Schritt, um die in Europa generierten Daten optimal zu nutzen
. Eine konzertierte legislative und finanzielle Unterstützung für die Schaffung eines Binnenmarkts für Daten auf der Grundlage der Einrichtung gemeinsamer europäischer Datenräume wird einen besseren Zugang zu Daten gewährleisten und Vorteile für die Öffentlichkeit und das Wachstum der europäischen Datenwirtschaft bringen.
Digitale Technologien können zur Gestaltung einer umweltfreundlicheren Wirtschaft beitragen. Sie können den Betrieb von Versorgungsunternehmen, die Mobilität und den Verkehr, Produkte, industrielle Prozesse und Gebäude sowie andere Anlagen optimieren und dadurch zu Energieeinsparungen, einer Verringerung der Umweltverschmutzung und einer höheren Ressourceneffizienz beitragen, indem sie den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Darüber hinaus können sie das Umwelt- und Risikomanagement durch Frühwarnsysteme für extreme Wetterereignisse verbessern, z. B. auf der Grundlage von Erdbeobachtungsdaten und Big-Data-Technologien. Dabei dürfen jedoch der Energieverbrauch von Datentechnologien und die Kurzlebigkeit digitaler Geräte, die Elektronikabfälle, einschließlich kritischer Rohstoffe, zu der am schnellsten wachsenden Abfallkategorie macht, nicht aus dem Blick verloren werden. Edge- und Fog-Computing bewirken in Verbindung mit der Einführung und Verbreitung neuer Generationen von Mobilfunktechnologien (z. B. 5G und künftig 6G) und Niedrigenergieprozessoren, die den steigenden Energieverbrauch digitaler Technologien verringern können, eine maßgebliche Verschiebung hin zu dezentralen Datenverarbeitungssystemen; dabei werden die Daten – durch Anwendungen auf Ebene des Internets der Dinge – näher beim Nutzer verarbeitet, und die Netzlatenz wird verringert.
Strategische Vorausschau kann die auf den Menschen ausgerichtete Gestaltung und die Aneignung digitaler Technologien sowie deren Beitrag zu Förderung der Nachhaltigkeit insgesamt unterstützen. Dazu gehört es zu antizipieren, wie sich Technologien entwickeln und wie zugrunde liegende und künftigen Chancen genutzt werden könnten. Es geht auch darum zu untersuchen, wie sich digitale Technologien auf alle Lebensbereiche auswirken und welche neuen Herausforderungen sie mit sich bringen, z. B. wie mit dem zunehmenden Informationsfluss und künstlichen Ablenkungen umgegangen wird. Strategische Vorausschau kann die EU dabei unterstützen zu ermitteln, wie globale digitale Standards und Vorschriften zum Nutzen der Menschen und Unternehmen gestaltet werden können und die Wirtschaft gleichzeitig umweltfreundlicher werden kann. Im Hinblick auf die Achtung der Grundrechte und der Werte der EU sowie die Schaffung des für die Einführung von KI-Technologien notwendigen Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger ist ein horizontaler Rahmen für KI erforderlich. Durch Vorausschau und Antizipation kann erforscht werden, wie digitale Technologien Regierungen in die Lage versetzen können, einen universellen Zugang zu hochwertigen Basisdiensten zu gewährleisten, und wie Institutionen voll rechenschaftspflichtig gemacht werden können. Es können Möglichkeiten erkundet werden, wie sichere digitale Infrastrukturen (Hochgeschwindigkeitsnetze einschließlich des künftigen 6G-Netzes, Cloud- und Dateninfrastrukturen) eingeführt werden können, um eine digitale Kluft zwischen Regionen und Menschen zu vermeiden.
Kasten 3.4: FALLSTUDIE – Grüne IKT
Ergänzen sich die ökologischen und digitalen Ambitionen der EU immer? Die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) können zwar einen nicht nachhaltigen Verbrauch anheizen, bergen jedoch unter geeigneten politischen Rahmenbedingungen auch ein großes Potenzial für die Verringerung des Energieverbrauchs und die Optimierung des Einsatzes von Ressourcen, Produkten und Vermögenswerten. Digitale Technologien könnten dazu beitragen, die weltweiten Emissionen durch innovative Lösungen in Bereichen wie Energie, verarbeitendes Gewerbe, Landwirtschaft und Landnutzung, Gebäude, Dienstleistungen, Verkehr und Verkehrssteuerung um bis zu 15 % zu senken.
So werden beispielsweise bei der Übertragung und Speicherung eines Gigabytes Daten über das Internet zwischen 3,1 kWh und 7 kWh verbraucht – im Vergleich zu 0,000005 kWh bei der lokalen Speicherung
. Dies erfordert den Aufbau interoperabler europäischer Cloud- und Edge-Infrastrukturen, die großmaßstäbliche digitale Lösungen in Europa ermöglichen und gleichzeitig die technologische Souveränität der EU gewährleisten.
Die Digitalisierung könnte sich jedoch negativ auf die Umwelt, das Klima und die menschliche Gesundheit auswirken, da mehr elektronische Geräte hergestellt, genutzt und entsorgt und mehr Datenzentren
betrieben werden. So entfallen schätzungsweise 0,3 % des weltweiten Energieverbrauchs auf das Bitcoin-Mining. Das hört sich vielleicht nach wenig an, aber 68,11 TWh pro Jahr sind mehr als der jährliche Verbrauch Österreichs (64,60 TWh) und Tschechiens (62,34 TWh).
Die Materialeffizienz ist eine wichtige Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Jedes Jahr landen Gold, Platin und andere Edelmetalle im Wert von 10 Mrd. USD auf dem wachsenden Berg an Elektronikabfällen. Die Materialeffizienz von digitalen Technologien könnte sich noch stärker auf die Umwelt auswirken als die Energieeffizienz.
Der Energieverbrauch der Datenverarbeitung wächst mit einer nicht nachhaltigen Geschwindigkeit. Neuere Generationen drahtloser Technologien verbrauchen weniger Energie als frühere Generationen (z. B. ist der Energieverbrauch von 5G-Antennen geringer als der von 4G-Antennen
). Da 5G jedoch zu dichteren Netzen und einer steigenden Zahl von via 5G verbundenen Geräten (z. B. beim vernetzten und autonomen Fahren)
führen wird, könnte der Energieverbrauch insgesamt steigen, vor allem in den ersten Jahren nach der Einführung. Der geschätzte globale Fußabdruck des Technologiesektors im Jahr 2020 ist mit dem der Luftfahrtindustrie vergleichbar
.
Dies macht deutlich, dass die Bemühungen um eine umweltfreundliche Gestaltung der IKT immer wichtiger werden. Daher muss weiter geprüft werden, wie der Anstieg des Energie- und Materialverbrauchs durch digitale Technologien und Infrastrukturen in Europa rasch umgekehrt und gleichzeitig sichergestellt werden kann, dass Technologien und Infrastrukturen für Anwendungen zur Verfügung stehen, die für Klimaschutz, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Resilienz benötigt werden.
Die umweltfreundliche Gestaltung der IKT sollte im Rahmen der Kreislaufwirtschaft erfolgen, z. B. durch die Verwendung lokal vorhandenen Materials und digitaler Ökosysteme, die innovative Produktkonzepte und Geschäftsmodelle ermöglichen.
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4. Agenda der strategischen Vorausschau
4.1 Überwachung der Resilienz
Da sich die Politik der EU künftig auch an dem Aspekt der Resilienz ausrichten wird, sind geeignete Überwachungsinstrumente erforderlich. In dieser Mitteilung wird angeregt, zu Dashboards (Übersichtstafeln) zur Resilienz überzugehen, die in Sondierungsgesprächen mit den Mitgliedstaaten und maßgeblichen Interessenträgern gemeinsam erarbeitet werden. Dafür werden hier Prototypen vorgeschlagen. Anhand dieser provisorischen Übersichtstafeln sollen mit Blick auf eine detailliertere Analyse Schwachstellen und Resilienzkapazitäten in der EU und deren Mitgliedstaaten aufgezeigt werden. An diesen Dashboards wird weiter gearbeitet werden müssen, indem man auf vorhandenen Konzepten und kollektiver Intelligenz aufbaut. Die in diesen Dashboard-Prototypen aufgeführten Indikatoren sind nicht endgültig festgeschrieben. Sie werden im Zuge eines partizipativen Prozesses ausgewählt, an dem die Mitgliedstaaten und maßgebliche Interessenträger beteiligt sind, wobei auf hochwertige und zeitlich über alle Mitgliedstaaten hinweg vergleichbare Daten zurückgegriffen wird.
Die Resilienz-Dashboards werden andere Überwachungsinstrumente ergänzen und deren Nutzen erhöhen. Sie werden sich auf bestehende sektorale Indikatoren und Überwachungstools stützen, beispielsweise auf das sozialpolitische Scoreboard und den Monitoring-Bericht zu den Fortschritten bei der Verwirklichung der SDG im EU-Kontext
. Die Dashboards bringen einen klaren Mehrwert, weil sie folgende Besonderheiten aufweisen: i) In die Dashboards fließt strategische Vorausschau ein, mit der aufkommende Fragen und Herausforderungen leichter erkannt und neue prospektive Indikatoren für Schwachstellen oder Resilienzkapazitäten vorgeschlagen werden können; ii) während bestehende Tools darauf abzielen, den jeweiligen Fortschritt in der EU und deren Mitgliedstaaten beispielsweise bei Übergangsprozessen oder in bestimmten sektoralen Politikbereichen zu bewerten, sind die Dashboards an dem Kriterium der Resilienz, also der Fähigkeit, Fortschritte zu erzielen und politische Vorgaben zu erreichen, ausgerichtet; und iii) konzentrieren sich viele bestehende Tools auf bestimmte Sektoren, Einzelthemen oder Politikbereiche. Bei den Dashboards hingegen liegt der Schwerpunkt auf den vielfältigen Dimensionen der Resilienz und ihren Verknüpfungen, wodurch ein ganzheitliches Bild entsteht.
4.1.1 Prototypen von Dashboards zur Resilienz
In dieser Mitteilung wird vorgeschlagen, Prototypen für solche Übersichtstafeln zur sozioökonomischen, geopolitischen, ökologischen und digitalen Dimension der Resilienz zu entwickeln. Die nachstehende Darstellung ist als Beispiel zu verstehen. Es handelt sich um eine vorläufige und noch abzuschließende Reihe von Indikatoren für Schwachstellen und Resilienzkapazitäten auf der Ebene der EU und der Mitgliedstaaten, die auf öffentlich zugänglichen Daten basieren.
Diese Prototypen dienen der Veranschaulichung des Eindrucks, den ein solches Dashboard vermitteln kann. Für jede Variable ist auf einer Skala von drei Farben abzulesen, wie sich die relative Situation der Länder im letzten Jahr, für das Daten vorliegen, gegenüber den aggregierten Werten der seit 2007 verfügbaren Daten
darstellt. Die Farben werden anhand der Entfernung vom Mittel der zugrunde liegenden Verteilung zugewiesen.
Im Prototyp des Dashboards zur sozioökonomischen Resilienz werden soziale, wirtschaftliche und Gesundheitsaspekte im Zusammenhang mit der Coronakrise betrachtet. Abbildung 4.1
vermittelt einen Eindruck von den relativen Schwachstellen, Resilienzkapazitäten und gemeinsamen Mustern in der EU und ihren Mitgliedstaaten. In dieser vorläufigen Darstellung erscheinen zum Beispiel die Bevölkerungsalterung und der (im Zeitraum vor der Krise) zunehmende Reiseverkehr als gemeinsame Schwachstellen.
Abbildung 4.1 – Prototyp des Dashboards zur sozioökonomischen Resilienz im Zusammenhang mit der Coronakrise
Im Prototyp-Dashboard für die geopolitische Dimension der Resilienz liegt der Schwerpunkt auf den Rohstoffen. Versorgungssicherheit bei Rohstoffen ist eine Vorbedingung für eine widerstandsfähige Volkswirtschaft. Zur Darstellung der relativen Schwachstellen und Kapazitäten im Hinblick auf die Rohstoffversorgung wurde der im oberen Teil der Abbildung 4.2 vorgelegte Prototyp eines Dashboards
entwickelt. Derzeit ist es nicht möglich, die Wirtschaftsstruktur einzelner Mitgliedstaaten in diesem Prototyp darzustellen, was eine erhebliche Einschränkung bedeutet. Gleichwohl wird aus dem Dashboard beispielsweise ersichtlich, dass viele Länder in Bezug auf die Importabhängigkeit bei unedlen Metallen relativ gesehen gut dastehen, in Bezug auf die Importabhängigkeit bei nichtmetallischen Mineralstoffen für das Baugewerbe jedoch weniger gut.
Was die Kapazitäten angeht, stellen die Ausgaben für Innovationen im Werkstoffbereich in vielen Ländern eine Stärke dar.
Abbildung 4.2 – Prototyp-Dashboard der geopolitischen, ökologischen und digitalen Dimension der Resilienz
Im Prototyp-Dashboard für die ökologische Dimension der Resilienz liegt das Hauptaugenmerk auf dem Klimawandel und der Umwelt. Diese Dimension wird im mittleren Teil der Abbildung 4.2
dargestellt. In dieser als Beispiel dienenden Darstellung vermitteln Indikatoren wie der Anteil der Bevölkerung, der vom Konvent der Bürgermeister erfasst wird, und die Größe der als Natura-2000-Schutzgebiet ausgewiesenen Flächen für viele Länder ein relativ positives Bild. Hingegen weisen Wasserverbrauch, Verlust an Biodiversität, Absorption von Treibhausgasen durch Ökosysteme, öffentliche Ausgaben für den Umweltschutz sowie Häufigkeit und Schwere von Überflutungen, Stürmen und Waldbränden auf mögliche Schwachstellen hin.
Ein Dashboard zur digitalen Resilienz ließe sich ausgehend vom Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (Digital Economy and Society Index – DESI) weiterentwickeln. Im unteren Teil der Abbildung 4.2 wird eine Reihe von DESI-Indikatoren für Kapazitäten digitaler Resilienz vorgestellt, etwa elektronische Behördendienste und digitale Kompetenzen. Diese Indikatoren werden ergänzt um andere, deren Bedeutung durch die Coronakrise hervorgehoben wurde, beispielsweise Telearbeit und elektronische Gesundheitsdienste. Diesen Indikatoren zufolge weisen viele Länder erhebliche Kapazitäten in den Bereichen elektronische Behördendienste und digitale Wirtschaft insgesamt auf. Darin spiegeln sich eine verstärkte Übernahme neuer Technologien und die zunehmende Durchdringung damit. Gleichzeitig ergibt sich bei digitalen Kompetenzen, Telearbeitskapazitäten und Inanspruchnahme elektronischer Gesundheitsdienste ein kontrastreicheres Bild.
4.1.2 Künftige Aufgaben für die Überwachung der Resilienz
Die Dashboard-Prototypen dienen hier als Beispiele. Die Kommission wird die Resilienz-Dashboards in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und anderen maßgeblichen Interessenträgern zukunftsorientiert weiterentwickeln. In die Dashboards fließt strategische Vorausschau ein, mit der aufkommende Herausforderungen leichter erkannt und neue zukunftsgerichtete Indikatoren für Schwachstellen oder Kapazitäten vorgeschlagen werden können. Da es sich bei Resilienz um ein Merkmal handelt, das im Laufe der Zeit verbessert werden muss, werden diese Arbeiten schwerpunktmäßig auf die mittlere bis lange Frist ausgerichtet sein. Auf diese Weise sollen bestmögliche Voraussetzungen für eine gut informierte, vorausschauende Politik geschaffen werden, die Schwachstellen ab- und Kapazitäten ausbaut. Dabei werden die Auswirkungen von Megatrends und antizipierten Risiken berücksichtigt. Beispielsweise würde das Dashboard zur sozioökonomischen Resilienz in enger Verknüpfung mit dem sozialpolitischen Scoreboard über den Kontext der Coronakrise hinaus erweitert. Ferner könnten für eine umfassendere geopolitische Übersicht breitere Aspekte wie Handel einschließlich Wertschöpfungsketten, Sicherheit und weitere Belange des auswärtigen Handelns wie internationale Zusammenarbeit erwogen werden. Hinsichtlich des Dashboards zur ökologischen Resilienz könnte man darüber hinaus Fragen, die über den Klimawandel hinausgehen, wie die Erhaltung der natürlichen Ressourcen, die Auswirkungen der Umweltverschmutzung, die Wasser- und Bodenqualität, die Rolle von Ökosystemleistungen oder die vom ökologischen Wandel ausgelöste Verlagerung von Arbeitsplätzen und Innovation in Betracht ziehen. Es wird sehr darauf geachtet werden, Konsistenz und Kohärenz mit EU-Überwachungssystemen, die derzeit im Zusammenhang mit dem europäischen Grünen Deal entwickelt werden, sicherzustellen. Mit einem digitalen Resilienz-Dashboard sollten sich Bereiche der digitalen Technik ermitteln lassen, in denen die strategische Autonomie der EU gefährdet ist und in die investiert werden sollte. Darüber hinaus könnte man die strategische Vorausschau heranziehen, um die Liste der Indikatoren anzupassen; beispielsweise könnten darin die erforderlichen Kompetenzen oder die Schwachstellen im Zusammenhang mit der verbreiteten Verwendung von Zukunftstechnologien wie KI
, die Zahl der infolge zunehmender Automatisierung gefährdeten Arbeitsplätze oder neue Arbeitsplätze, die möglicherweise durch die damit einhergehende Verschiebung hin zu personenbezogenen Dienstleistungen entstehen, aufgenommen werden.
Ferner könnte man Gesamtindikatoren auf EU-Ebene und einen synthetischen Index der Resilienz ins Auge fassen. Bei den künftigen Erörterungen mit maßgeblichen Interessenträgern sollen – aufbauend auf den Resilienz-Dashboards, vorhandenem Wissen und bestehenden Indikatoren – diese Indikatoren auf EU-Ebene entwickelt werden. Außerdem soll die Machbarkeit eines synthetischen Index der Resilienz ausgelotet werden. Dem läge eine ähnliche Logik zugrunde wie die, auf der die Arbeiten an einem künftigen Transition Performance Index (Index für Leistungen beim Übergang zur Nachhaltigkeit) fußen. Diese Sondierungen könnten im Rahmen eines partizipativen Prozesses vorgenommen werden. Ein EU-weiter Ansatz in Kombination mit der durch den Index vermittelten Momentaufnahme könnte die umfassendere Perspektive ergänzen, die sich aus den zugrunde liegenden Resilienz-Dashboards ergibt.
Dieser umfassende Ansatz zur Messung und Überwachung der Resilienz sollte in ein integriertes Konzept der Messung des Wohlergehens der Bevölkerung einfließen. Durch die Coronakrise wurde die Reihenfolge unserer Prioritäten infrage gestellt. Die öffentliche Diskussion über die Bedeutung vieler Aspekte der Qualität und Nachhaltigkeit menschlichen Lebens, wie der Bildung, des Einkommens, der Arbeitsplätze und der Gesundheit, wurde neu entfacht. Seit der Erklärung von Istanbul zur Messung des sozialen Fortschritts im Jahr 2007 und dem Bericht der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission von 2009 besteht große Einigkeit in der Völkergemeinschaft, dass über die konventionellen wirtschaftlichen Messgrößen wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hinausgeblickt werden muss, damit das Wohlergehen ein politisches Ziel sowohl für die heute lebende Generation als auch die von morgen wird.
Die Initiative „Über das BIP hinaus“ hat zur Schaffung bedeutender internationaler Messrahmen
geführt und Länder dazu veranlasst, ähnliche, teils sehr differenzierte Konzepte für nationale Zielsetzungen, Vorgaben und Messsysteme auszuarbeiten. Die Kommission unterstützt diesen Paradigmenwechsel und verfolgt einen ähnlich umfassenden Ansatz, wobei sie die komplexen Wechselwirkungen zwischen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Systemen, die die Resilienz beeinflussen, und die Bedeutung Letzterer für die Messung von Wohlergehen und Nachhaltigkeit anerkennt.
4.2 Horizontale Vorausschautätigkeiten zur Förderung einer effektiv vom Wandel geleiteten EU-Politik
Mithilfe der strategischen Vorausschau soll eine dynamische, zukunftsorientierte Perspektive auf Synergien und Zielkonflikte zwischen verschiedenen Zielen und Maßnahmen der EU-Politik bewirkt werden, die zu einem kohärenten strategischen Konzept führt. Dadurch können wichtige Daten in Überwachungs- und Steuerungsprozesse einfließen; dies gilt insbesondere für multidisziplinäre und regelmäßige Prozesse wie das Europäische Semester und das SDG-Monitoring. Da die strategische Vorausschau ein systemisches Verständnis der strategischen Ziele in allen Politikbereichen unterstützt, kann sie zu einer dynamischen Analyse der Synergien und Zielkonflikte zwischen diesen Bereichen und über Zeithorizonte hinweg verwendet werden. Die strategische Vorausschau dürfte zur Erprobung und Stärkung der Kohärenz der Überwachungs-, Prognose- und Modellierungskapazitäten der Kommission beitragen. Derzeit werden überall in der Kommission verschiedene Indikatoren und Scoreboards herangezogen, mit denen unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Außerdem stützt sich die Kommission auf Prognosen von Experten und ein breites Spektrum von Modellen. Durch eine Überprüfung und Bewertung bestehender Überwachungstools ließe sich ermitteln, wo und wie die Kohärenz verbessert werden kann.
Strategische Vorausschau wird zu größerer Resilienz beitragen. In dieser Mitteilung wird erstmals aufgezeigt, wie die Auswirkungen von COVID-19 auf Megatrends eine neue dynamische Sichtweise auf die sich entwickelnde Widerstandsfähigkeit Europas ermöglichen. Die Arbeit an dieser zukunftsorientierten Aufgabe wird fortgesetzt. Im Zuge dieser Arbeiten schlägt die Kommission vor, eine Reihe gemeinsamer Referenzszenarien für die Vorausschau als einen robusten zukunftsorientierten Rahmen zu entwickeln. Diese Szenarien werden dazu beitragen, mögliche Pfade für den zweifachen grünen und digitalen Wandel zu ermitteln. Sie werden i) einen Bezugsrahmen für führende Politiker darstellen, wenn diese gemeinsamen oder alternativen Visionen einer erwünschten Zukunft erörtern; ii) dazu beitragen, Kohärenz zwischen Politikbereichen zu gewährleisten, und iii) als ein gemeinsamer zukunftsorientierter Rahmen dienen, wenn es darum geht, Vorschläge für Maßnahmen einem Stresstest zu unterziehen oder Ex-ante-Folgenabschätzungen einzuleiten. Dabei können auch Impulse für die Konferenz zur Zukunft Europas entstehen.
4.3 Themen der Agenda der strategischen Vorausschau
In der Agenda der strategischen Vorausschau geht es um bereichsübergreifende Themen, bei denen strategische Vorausschau ein besseres Verständnis der Dynamik zwischen den jeweiligen Politikbereichen ermöglicht. Folgende Themen, bei denen starke Auswirkungen ermittelt wurden, wird die Kommission als Nächstes untersuchen:
-Offene strategische Autonomie: Um Europas Wettbewerbsfähigkeit und globale Führungsrolle in Zukunft zu sichern und seine Widerstandsfähigkeit zu stärken, könnten im Rahmen der strategischen Vorausschau Szenarien für eine neue Weltordnung erkundet werden. Des Weiteren ließe sich sondieren, welchen Platz die EU in einer solchen Weltordnung einnehmen könnte und welche Kapazitäten erforderlich wären, um den Ambitionen der EU gerecht zu werden. Dazu könnten beispielsweise Pfade festgelegt werden, auf denen der zweifache grüne und digitale Wandel zu erreichen ist, und der Zeitplan dafür. Dazu würden kritische aufkommende Technologien, Sektoren und Produkte bezeichnet und Optionen für neue Industrieallianzen und die Diversifizierung von Handelspartnern aufgezeigt. In diesem Zusammenhang könnte die Vorausschau u. a. eine strategische Früherkennung (Horizon Scanning) beispielsweise im Hinblick auf internationale Normung ermöglichen, was von der EU als strategischer Hebel eingesetzt werden könnte. Etwaige künftige Arbeiten zu diesem Thema müssten auch unter dem Blickwinkel der kommenden Überprüfung der EU-Handelspolitik betrachtet werden; bei dieser Überprüfung soll ermittelt werden, welchen Beitrag die Handelspolitik zur offenen strategischen Autonomie leistet.
-Zukunft von Arbeitsplätzen und Kompetenzen für den ökologischen Wandel: Wie in der europäischen Kompetenzagenda anerkannt wurde, erfordert die grüne Wende eine erhebliche Verlagerung und Umwidmung von Arbeitsplätzen und Kompetenzen in einem breiten Spektrum von Sektoren und öffentlichen Dienstleistungen. Eine systembezogene Sichtweise der vom ökologischen Wandel vorangetriebenen Veränderungen am Arbeitsmarkt fehlt nach wie vor. Mithilfe der Vorausschau ließe sich untersuchen, wie eine solche systembezogene Sichtweise entwickelt werden könnte, wobei Erkenntnisse aus früheren wirtschaftlichen Übergangsprozessen berücksichtigt werden könnten. Diese Sichtweise wird in die Strategien zur Umschulung und Begleitung von Menschen einfließen, deren Arbeitsplätze aufgrund des industriellen Wandels transformiert werden oder verloren gehen. An dieser Sichtweise sollten sich auch die künftigen Prioritäten der EU im Hinblick auf Pfade der Bildung, des lebenslangen Lernens und der legalen Zuwanderung sowie hinsichtlich der Gewährleistung eines fairen Übergangs orientieren.
-Stärkere Verknüpfung des digitalen mit dem ökologischen Wandel: Die Digitalisierung unserer Gesellschaft und die grüne Wende geschehen gleichzeitig und hängen eng miteinander zusammen. Ihre Wechselwirkungen müssen jedoch besser verstanden und genutzt werden. Mithilfe strategischer Vorausschau wird ausgelotet, wie sich mit aufkommenden Technologien aus beiden Übergangsprozessen die meisten Vorteile ziehen lassen, wie beide zusammenhängen und wie beispielsweise die ökologischen Auswirkungen des digitalen Wandels verringert werden können. Mit strategischer Vorausschau wird ferner untersucht, welche Kompetenzen nötig sind, um aus den Technologien der Zukunft Nutzen zu ziehen, wie KI zur Transformierung unserer digitalen Wirtschaft und zur Erleichterung des ökologischen Wandels eingesetzt werden kann und welche Auswirkungen für die Akteure und Wertschöpfungsketten in Europa damit verbunden sind. Darüber hinaus wird in der strategischen Vorausschau analysiert, wie Investitionen in strategische Projekte, auch im Zuge der wirtschaftlichen Erholung, sowohl vom grünen als auch vom digitalen Wandel profitieren können.