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Document 52018IE1021

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Eine nachhaltige und inklusive Bioökonomie — neue Möglichkeiten für die europäische Wirtschaft“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2018/01021

ABl. C 110 vom 22.3.2019, p. 9–13 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

22.3.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 110/9


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Eine nachhaltige und inklusive Bioökonomie — neue Möglichkeiten für die europäische Wirtschaft“

(Initiativstellungnahme)

(2019/C 110/02)

Berichterstatter:

Mindaugas MACIULEVIČIUS

Ko-Berichterstatterin:

Estelle BRENTNALL

Beschluss des Plenums

15.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

 

 

Zuständig

Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI)

Annahme in der CCMI

25.9.2018

Verabschiedung im Plenum

12.12.2018

Plenartagung Nr.

539

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

205/3/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Schaffung eines langfristigen, kohärenten und transparenten politischen Rahmens mit Anreizen zur Förderung der Bioökonomie. Bei den zahlreichen bereichsübergreifenden gesellschaftlichen Herausforderungen ist starkes politisches Engagement gefragt, und das politische Umfeld in der EU könnte innovativen biobasierten Produkten und nachhaltig erzeugten Rohstoffen aus EU-Anbau gegenüber aufgeschlossener sein. Mit finanziellen oder steuerlichen Anreizen könnten nötige Investitionen gefördert werden, da die Mitgliedstaaten und Regionen auf diesem Gebiet über mehr Kompetenzen als die EU verfügen. Cluster-Organisationen für den Zusammenschluss von KMU und Primärerzeugern nachhaltiger Biomasse tragen wesentlich zum Aufbau von Beziehungen zwischen den Akteuren in der Lieferkette bei. Im Zuge einer fortlaufenden und aktualisierten Bestandsaufnahme (1), verbunden mit einer Messung der Auswirkungen der Bioökonomie, könnten bestehende Cluster im Bereich biobasierter Produkte ermittelt werden. Es sollten auch Maßnahmen zur Förderung neuer Cluster auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene ergriffen werden, wo entsprechender Bedarf besteht.

1.2.

Die Rolle der Land- und Forstwirte und ihrer Genossenschaften ist von entscheidender Bedeutung, um eine effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen zu gewährleisten und einen Beitrag zu einer Biokreislaufwirtschaft zu leisten. Ein solider mehrjähriger Finanzrahmen, eine tragfähige Gemeinsame Agrarpolitik und eine starke Europäische Forststrategie sind erforderlich, um die Beratungsdienste, die berufliche Ausbildung und den Wissensaustausch zu fördern und damit den Bedürfnissen der Landwirte und landwirtschaftlichen Genossenschaften besser gerecht zu werden. Durch die Förderung konkreter Beispiele sollen das Bewusstsein der Menschen geschärft und die Vorteile der Bioökonomie für die gesamte Wertschöpfungskette herausgestellt werden. Das wird Jung- und Neulandwirte dazu ermutigen, neue Unternehmen in diesem Bereich aufzubauen. Erzeugerorganisationen und Genossenschaften sollten ebenfalls gefördert werden, denn sie sind wichtig, um die Biomasse in der EU verstärkt zu mobilisieren und ihren Mehrwert zu erhöhen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Land- und Forstwirtschaft in der EU zu fördern und so für mehr Investitionen und mehr Innovation im Bereich der nachhaltigen Erzeugung von Biomasse zu sorgen.

1.3.

Neue Märkte erschließen sowie den Verbrauchern und der Öffentlichkeit ermöglichen, bestimmte Produkte und Industriezweige durch ihre täglichen Einkäufe bewusst zu unterstützen. Um bei den Verbrauchern das nötige Bewusstsein zu schaffen und einheitliche und korrekte Botschaften über biobasierte Produkte auszusenden, muss die Europäische Union eine Kommunikationsstrategie entwickeln, in die alle Partner der Wertschöpfungskette sowie alle weiteren Interessenträger einbezogen werden. In einem wichtigen ersten Schritt wurden klare EU-weite Standards für biobasierte Produkte festgelegt, die den Weg für Maßnahmen zur Erschließung neuer Märkte ebnen können, damit die Verbraucher und die öffentlichen Auftraggeber die in der EU hergestellten biobasierten Produkte besser annehmen.

1.4.

Mithilfe eines One-Stop-Shop-Fonds eine nachhaltige Investitionsrendite bieten. Der intelligenten Regulierung und der konsequenten Umsetzung auf den verschiedenen Ebenen der EU sollte Vorrang eingeräumt werden, um Hemmnisse abzubauen, den Verwaltungsaufwand zu senken und zugleich Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Beispielsweise könnte ein Online-Instrument verfügbare Finanzmittel aufzeigen und darüber Aufschluss geben, ob der Antragsteller die Förderkriterien für diesen Mechanismus erfüllt. In dem System gäbe es außerdem die notwendigen Links und Mittel, um die finanzielle Förderung direkt zu beantragen. Es könnte als Marktplatz dienen und so über Fördermittel informieren und den Kontakt zwischen Kapitalsuchenden und möglichen Förderern herstellen (wie z. B. eine Crowdfunding-Seite). Ferner ist die Fortführung des Gemeinsamen Unternehmens „Biobasierte Industriezweige“ (BBI JU 2.0) über den derzeitigen mehrjährigen Finanzrahmen hinaus entscheidend, um neue und bestehende Wertschöpfungsketten für biobasierte Produkte zu fördern, bestehende Produktionsstätten wettbewerbsfähiger zu machen und einen Beitrag zur ländlichen Entwicklung, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Förderung der Wirtschaft zu leisten.

1.5.

Die EU sollte im Rahmen ihrer Regionalentwicklungspolitik nach 2020 ausreichende Mittel für die weitere Entwicklung der ländlichen Gebiete bereitstellen. Der Schwerpunkt sollte in erster Linie auf der Förderung von Investitionen in die Infrastruktureinrichtungen und Dienstleistungen liegen, die für eine effiziente und nachhaltige Biowirtschaft im ländlichen Raum erforderlich sind.

1.6.

Wissenschaftliche Möglichkeiten ausschöpfen und die Verbreitung von Innovationen mithilfe eines flexiblen, angemessenen und soliden Rechtsrahmens fördern. Forschung ist entscheidend, um Innovationen in der Bioökonomie zu ermöglichen, durchzusetzen und zu bewerten. Die kommerzielle Nutzung hängt nicht nur von exzellenter Forschung ab, sondern auch von angemessenen strategischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zur Gewährleistung eines schnellen Wissenstransfers von der Forschung zur Industrie. Die Vorreiter sollten den nötigen Spielraum und die Unterstützung erhalten, um Innovationen zu entwickeln und innerhalb des regulatorischen Rahmens voranzutreiben. In Fällen, in denen die Entwicklung der gesamten Bioökonomie durch Regulierungen besser unterstützt werden könnte und kreative Lösungen gefragt sind, sollten „Innovation Deals“ und „Green Deals“ mit den Interessenträgern vereinbart werden. Darüber hinaus ist Innovation auch von ausschlaggebender Bedeutung, um die Nachhaltigkeit bei der Erzeugung von Biomasse in der EU zu erhöhen.

1.7.

Bildungs-, Schulungs- und Kompetenzprogramme für den Nachwuchs und bereits Beschäftigte ausbauen. Durch Ausschöpfung des Potenzials der Bioökonomie könnten neue Arbeitsplätze entstehen. Allerdings bringt die Einführung neuer Technologien auch große Herausforderungen im Hinblick auf die Arbeitsorganisation und den Kompetenzbedarf der Arbeitnehmer mit sich. Daher ist es dringend notwendig, die Kompetenzen des Einzelnen ein Leben lang weiterzuentwickeln und anzupassen. Es ist entscheidend, dass sich alle relevanten Interessenträger — Erzeuger von Biomasse, Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Gewerkschaften, öffentliche Arbeitsverwaltungen und Regierungen — für die Verbesserung der Qualität und der Anpassungsfähigkeit von Bildungs- und Schulungsangeboten einsetzen, um das Missverhältnis zwischen Kompetenzangebot und -nachfrage durch eine bessere Abstimmung zwischen den Bildungssystemen und den Arbeitsmärkten auszugleichen. Allerdings sollten sich die Entwicklung allgemeiner Kompetenzen und die einschlägigen Strategien in ein größeres Maßnahmenpaket einfügen, das Maßnahmen in den Bereichen Beschäftigung, Industrie, Investitionen, Innovationen und Umwelt umfasst.

1.8.

Anwendungen für Biomasse erforschen. Eine effizientere Nutzung des verfügbaren Biomasseangebots muss vorrangige Bedeutung haben, wenn es darum geht, die wachsende Nachfrage nach Rohstoffen zu decken. Auch die Qualität und Quantität der Anbauflächen für die Landwirtschaft müssen verbessert werden, und es sollten Anreize geschaffen werden, damit aufgegebene Ländereien, Grenzertragsflächen und unzureichend genutzte Anbauflächen genutzt werden. Rohstofferzeuger, in erster Linie Landwirte und Waldbesitzer, spielen bei der Entwicklung der Biowirtschaft eine entscheidende Rolle. Dafür ist es notwendig, auf neue Möglichkeiten (unter Einsatz verschiedener Kulturpflanzen) aufmerksam zu machen und Infrastruktur für die Ernte, die Lagerung und den Transport von Biomasse zu entwickeln. Ein wesentlicher Beitrag kann auch durch eine Vereinfachung der Berichterstattungssysteme zu Nachhaltigkeit, eine verstärkte Erzeugung vielfältig einsetzbarer Biomasse und den Ausbau der Verarbeitungskapazitäten geleistet werden. Abfälle und Reststoffe als alternative Biomassequellen sowie die nachhaltige Bewirtschaftung der europäischen Wälder bieten weitere Möglichkeiten für die Bioökonomie und die Bioenergie. Nachhaltige Abfallströme müssen bewertet werden, und vonnöten sind auch weitere Investitionen in die Mobilisierung von Holz und Reststoffen. Darüber hinaus müssen Technologien entwickelt werden, die den Umgang mit diesen naturgemäß sehr unterschiedlichen Produkten ermöglichen. In manchen Fällen müssen nationale politische Maßnahmen möglicherweise an die Verwendung von Abfällen in biobasierten Produkten angepasst werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Die Bioökonomie umfasst die Produktion erneuerbarer biologischer Ressourcen und deren Umwandlung in Lebensmittel, Futtermittel, biobasierte Produkte und Bioenergie. Beteiligt sind daran die Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Nahrungsmittelerzeugung, Zellstoff- und Papierherstellung sowie Teile der Chemie-, Biotechnologie- und Energieindustrie. Im Rahmen dieser Stellungnahme werden Forschungsarbeiten über Genome, Zellprozesse und Bioinformatik nicht speziell berücksichtigt. Die Bioökonomie-Strategie der EU von 2012 sollte „den Weg bereiten für eine innovativere, ressourceneffizientere und wettbewerbsfähigere Gesellschaft, die in der Lage ist, Ernährungssicherheit und nachhaltige Nutzung erneuerbarer Ressourcen für industrielle Zwecke miteinander zu vereinbaren und gleichzeitig dem Umweltschutz Genüge zu tun“. Im Jahr 2017 überprüfte die Kommission die Bioökonomie-Strategie der EU von 2012 und gelangte zu dem Schluss, dass die Strategie gezeigt hat, dass ihre Ziele wichtig sind und die Bedeutung der Möglichkeiten der Bioökonomie innerhalb und außerhalb Europas zunehmend anerkannt wird.

2.2.

Auch wenn die Ziele der Bioökonomie-Strategie der EU von 2012 für die Bewältigung der Herausforderungen im Bereich der Lebensmittel- und Ernährungssicherheit weiterhin relevant sind und die angestrebten Ziele mithilfe des dazugehörigen Aktionsplans erfolgreich umgesetzt wurden, sind angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen sowie der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und des Pariser Klimaschutzübereinkommens (COP 21) eine Neuausrichtung der Maßnahmen und eine Beurteilung der Reichweite der Strategie erforderlich. Die Weltbevölkerung wird bis 2050 voraussichtlich auf 10 Mrd. Menschen anwachsen, und die biologischen Ressourcen müssen effizienter genutzt werden, damit es für mehr Menschen sichere, nahrhafte, hochwertige und bezahlbare Lebensmittel bei gleichzeitig geringeren Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima pro produzierter Einheit sowie genügend erneuerbares biologisches Material gibt, um einen erheblichen Teil dessen zu produzieren, wozu wir derzeit fossiles Rohöl in Verbindung mit Wind- und Solarenergie sowie anderen erneuerbaren Energieträgern verwenden.

2.3.

So gesehen ist die nachhaltige Bioökonomie ein bereichsübergreifender Wirtschaftssektor, der für nachhaltige Wirtschaftsstrategien weltweit von wesentlicher Bedeutung ist. Die Bioökonomie kann eine Schlüsselrolle für die europäische Wettbewerbsfähigkeit spielen, und es ist jetzt wichtig, die Chancen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler und regionaler Ebene zu erkennen und zu nutzen. In anderen Drittländern wie den USA wurde z. B. durch eine Top-Down-Führung eine Bioökonomie mit einem Wirtschaftsvolumen von fast 400 Mrd. USD und über vier Millionen Arbeitsplätzen infolge direkter, indirekter und induzierter Effekte aufgebaut (2).

2.4.

Die Bioökonomie eröffnet die Möglichkeit, die CO2-Emissionen und die Abhängigkeit von importierten fossilen Ressourcen zu verringern. Die Wälder in der EU beispielsweise binden Kohlenstoff in einer Menge, die 10 % der jährlichen Emissionen in der EU entspricht, und gleichzeitig bieten sie eine nachhaltige und konstante Versorgung mit Biomasse für erneuerbare Energie. Des Weiteren können Schätzungen zufolge theoretisch 100 000 derzeit produzierte Chemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Das bedeutet nicht, dass alle auf diese Weise erzeugt werden sollten. Doch theoretisch ist das möglich. Dadurch können nicht nur unsere alltäglichen Haushaltsgeräte lokal und nachhaltig hergestellt, sondern auch Arbeitsplätze geschaffen und das Wachstum in Europa, das noch immer einen großen technologischen Vorsprung hat, vorangetrieben werden.

2.5.

Allerdings gibt es noch immer große Hemmnisse auf dem Weg zu mehr Innovation in der EU-Bioökonomie. Ein wesentliches Hemmnis ist die Kostenwettbewerbsfähigkeit von Produkten im Vergleich zu fossilen Alternativen und vergleichbaren Produkten aus anderen Teilen der Welt. Die Kostenwettbewerbsfähigkeit hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von der TRL-Einstufung (auf der Skala der technologischen Reife), den Arbeitskosten, den Subventionen für fossile Brennstoffe und deren Amortisierung sowie von der geringen Marktstützung für biobasierte Produkte. Das Problem der Wettbewerbsfähigkeit wird verschärft durch den schwierigen Zugang zu Finanzmitteln für innovative Projekte und Produktionsstätten sowie häufig durch das anhaltend geringe Bewusstsein der Endnutzer für biobasierte Produkte, einen Kompetenzmangel und fehlende Geschäftsbeziehungen, mit denen der Sektor vorangebracht werden könnte. Darüber hinaus werden die Zulassungsverfahren für neue biobasierte Projekte immer langwieriger und beschwerlicher, was zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit für die Wirtschaftsakteure führt und entsprechende finanzielle Risiken mit sich bringt.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.

Schätzungen zufolge liegt der Jahresumsatz der Bioökonomie in der EU bei ungefähr 2 Billionen EUR und die Zahl der Beschäftigten bei etwa 19,5 Mio. (3), von denen der Großteil in ländlichen und Küstengebieten ansässig ist, was ungefähr 8,5 % der erwerbstätigen Bevölkerung der EU28 entspricht. Voraussichtlich werden die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft und die ländliche Bevölkerung in der gesamten EU von dem aufstrebenden biobasierten Sektor profitieren, durch den Arbeitsplätze und neue Einkommensquellen geschaffen werden. Die Verarbeitung von Biomasse und die Herstellung biobasierter Produkte eröffnen neue Geschäftsmöglichkeiten durch den Anbau und die Vermarktung unterschiedlicher Kulturpflanzen. Es wird davon ausgegangen, dass neben konventionellen Kulturpflanzen wie Getreide, Ölsaaten, Kartoffeln und Zuckerrüben auch neue Kulturpflanzen wie Gräser, Waldpflanzen, Seetang und Mikroalgen künftig zur Schaffung neuer Einkommensquellen in ländlichen und Küstengebieten beitragen können.

3.2.

Die bestehenden Bioraffinerien bieten bereits jetzt Familien und Gemeinden im ländlichen Raum eine Existenzgrundlage sowie eine stärkere wirtschaftliche Teilhabe. Bioraffinerien — Fabriken, die nachwachsende Rohstoffe (z. B. Biomasse, Nebenprodukte und Folgeerzeugnisse sowie Abfälle) statt fossiler Rohstoffe nutzen — sind das Herz der Bioökonomie: Sie sind in ländlichen und Küstengebieten, nahe den von ihnen verarbeiteten nachwachsenden Rohstoffen ansässig und bilden den Kern der Lebensmittel-, Futtermittel-, Industrie-, Holz- und Energieerzeugung.

3.3.

In Bioraffinerien wird jeder Bestandteil der zu verarbeitenden Pflanze verwertet, wodurch Abfälle auf ein Minimum reduziert werden. Aufgrund effizienter und/oder innovativer Technologien ist es möglich, in Bioraffinerien in der EU eine große Bandbreite von Produkten, u. a. Lebensmittel, Futtermittel, Chemikalien, Fasern und Kraftstoffe, herzustellen, die erneuerbar, wiederverwendbar, wiederverwertbar sowie kompostierbar bzw. biologisch abbaubar sind. Dank ihrer Vielseitigkeit sind biobasierte Produkte und Bestandteile für vielfältige Anwendungen geeignet, wie z. B. Futtermittel für Aquakulturen, das Bauwesen, Kosmetika, Kartons, Reinigungsmittel, Kraftstoffe, Schmiermittel, Farbe, Papier, Arzneimittel, Kunststoffe und andere Industrieerzeugnisse. So können fossile durch nachwachsende Bestandteile ersetzt werden.

3.4.

Der Aufbau neuer sowie der Ausbau und die Erweiterung bestehender Bioraffinerien sind eine Investition in einen neuartigen Anlagentyp. Bioraffinerien sind kapitalintensiv, haben lange Amortisationszeiten und sind Technologie- und Marktrisiken ausgesetzt. Deshalb bedarf es für die Förderung dieser Investitionen in Europa eines klaren, soliden und unterstützenden rechtlichen und finanziellen Rahmens. Heutzutage steht eine Reihe unterschiedlicher Instrumente zur Verfügung. Dazu gehören u. a. Horizont 2020 (die neu vorgeschlagenen Rechtsvorschriften machen Horizont Europa zu einem begrüßenswerten und ehrgeizigen Innovations- und Forschungsprogramm) und das Gemeinsame Unternehmen „Biobasierte Industriezweige“, die europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds), der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER), InnovFin, der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) und nicht zuletzt die Europäische Investitionsbank (EIB) mit Darlehen und Garantien. Doch diese Mittel können schwer zugänglich sein. Eine einzige Anlaufstelle, an der Unternehmen umfassende und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Informationen erhalten, kann hier Abhilfe schaffen.

3.5.

Vor diesem Hintergrund ist die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, mit Landwirten, Waldbesitzern und der Industrie dringend notwendig, um eine Debatte über die Gestaltung einer wettbewerbsfähigeren Bioökonomie für Europa zugunsten aller anzustoßen. Die Vorteile der Bioökonomie müssen bekannt gemacht werden, um den Paradigmenwechsel hin zu einer Niedrigemissionswirtschaft auf Grundlage erneuerbarer Energien zu vollziehen. In diesem Zusammenhang könnten glaubwürdige Zertifizierungs- und Kennzeichnungssysteme wichtige Instrumente sein, um eine nachhaltige und zuverlässige Bioökonomie-Industrie zu schaffen sowie das Vertrauen von Industriekunden, öffentlichen Auftraggebern und Verbrauchern zu gewinnen.

3.6.

Die EU, die Mitgliedstaaten und die regionalen Gebietskörperschaften können zum Wachstum der Bioökonomie wesentlich beitragen, indem sie die Marktnachfrage nach erneuerbaren, intelligenten und ressourcenschonenden Produkten und Dienstleistungen stimulieren. Die Mitgliedstaaten sollten in ihre künftigen GAP-Strategiepläne konkrete Maßnahmen aufnehmen, um die Investitionstätigkeit auszubauen und/oder weiter zu unterstützen sowie nachhaltige Lösungen für die Land- und Forstwirte und ihre Genossenschaften zu fördern und so deren Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz zu steigern. Wo biobasierte Produkte Alternativen aus fossilen Kohlenstoffen nachhaltig ablösen können, könnte durch die Entwicklung neuer Rechtsvorschriften, wie des Pakets zur Kreislaufwirtschaft, sowie eine mögliche Überarbeitung anderer einschlägiger Rechtsvorschriften erreicht werden, dass lokal erzeugte biobasierte Alternativen traditionelle Produkte aus fossilen Kohlenstoffen ersetzen. Darüber hinaus kann auch auf bestehende Normungstätigkeiten, wie die CEN/TC411 und Zertifizierungssysteme und/oder neue freiwillige Kennzeichnungssysteme wie biobased%, zurückgegriffen werden.

3.7.

Öffentliche Auftraggeber auf nationaler und regionaler Ebene sollten sich verstärkt auf derartige aussagekräftige Zertifizierungen und Kennzeichnungen des biobasierten Gehalts beziehen. So gab beispielsweise das niederländische Normungsgremium NEN 2016 das neue biobasierte Zertifizierungssystem biobased% (http://www.biobasedcontent.eu/) heraus. Mithilfe dieses Zertifizierungssystems kann der Biomassegehalt eines Produkts angegeben werden. Für Unternehmen wird es so einfacher, transparent und zweifelsfrei über den biobasierten Gehalt eines Produkts zu informieren — sowohl in der B2B- als auch in der B2C-Kommunikation. Diese Zertifizierung geht auf die europäische Norm EN 16785-1:2015 zurück, die eine Methode zur Bestimmung des biobasierten Gehalts fester, flüssiger und gasförmiger Produkte unter Verwendung der Radiokarbon- und Elementaranalyse vorsieht. Konformitätsbewertungen werden von Bewertungsstellen durchgeführt, die eine Vereinbarung mit NEN geschlossen haben. Nach Einführung dieser Zertifizierung kommt es nun darauf an, in den derzeitigen und künftigen EU-Rechtsvorschriften ein Bewusstsein und Anreize für die Verwendung nachwachsender Rohstoffe zu schaffen.

3.8.

In der Forstwirtschaft sind Zertifizierungssysteme wichtig, um eine nachhaltige Mobilisierung von Biomasse zu gewährleisten. So sind beispielsweise 60 % der Wälder in der EU gemäß dem Programm für die Anerkennung von Forstzertifizierungssystemen (PEFC) und/oder dem Forest Stewardship Council (FSC) zertifiziert. Darüber hinaus gelten für die forstwirtschaftliche Erzeugung in der EU die höchsten Umweltstandards weltweit, die auf Rechtsvorschriften wie der EU-Holzverordnung, den Vorschriften über Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF), der Vogelschutz- und Habitat-Richtlinie sowie dem Paket zur Kreislaufwirtschaft beruhen.

3.9.

Die B2B- und die B2C-Kommunikation zu verbessern, ist daher entscheidend. Die Schärfung des Bewusstseins der Öffentlichkeit mithilfe korrekter, relevanter und zugänglicher Informationen ist für die Entwicklung einer intelligenten, nachhaltigen und inklusiven Bioökonomie, die Schaffung eines Markts für nachhaltige biobasierte Produkte und die Förderung der Nachhaltigkeit bei Verbrauch und Produktion von besonderer Bedeutung. Sensibilisierungsmaßnahmen sind insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene gefragt, u. a. in Form von Preisen oder Auszeichnungen sowie Ausstellungen zur Rolle von Technologie und Wissenschaft in der Bioökonomie.

3.10.

Daher ist es sehr wichtig, klare und korrekte Botschaften an die Öffentlichkeit zu richten. Da die Bioökonomie mehrere Möglichkeiten zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen bietet, ist zu ihrer Messung eine umfassende wirtschaftliche Bewertung erforderlich. Dadurch werden Informationen über die Größe der bereichsübergreifenden Bioökonomie und ihren Beitrag zum Wirtschaftswachstum sowie über die damit verbundenen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ermittelt. In diesem Zusammenhang kommt der Wissenschaft eine zentrale Rolle zu. Daher ist es auch so wichtig, die Investitionen in die interdisziplinäre und Grundlagenforschung aufrecht zu erhalten, damit die EU in der Lage ist, ihr Potenzial für einen Beitrag zur weltweiten Forschung und Innovation im Bereich Lebensmittel- und Ernährungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und wissensgestützte Biowirtschaft voll auszuschöpfen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass der legislative Standpunkt der EU den weltweit ständig fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesammelten Erfahrungen in vollem Umfang Rechnung trägt und dass die Beschlussfassungsprozesse bezüglich der Regulierungsaufsicht transparent sind.

3.11.

Nur über die Bildung von Schülerinnen und Schülern an Grund- und Sekundarschulen kann eine Generation heranwachsen, welche die Herausforderungen versteht und die Chancen der Bioökonomie ergreift. Durch die Vermittlung des Kreislaufprinzips und des Grundsatzes, zugleich global und lokal („glokal“) zu handeln, sowie die Förderung des Forschungsinteresses würde die neue Generation besser auf ihren Weg vorbereitet. An Universitäten sind bereits neue Lehrpläne erarbeitet worden, in denen u. a. Biowissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Marketing miteinander kombiniert werden. Durch solche Querverbindungen zwischen verschiedenen Disziplinen und günstige Rahmenbedingungen für Start-ups wird Studierenden der Weg in das bioökonomische Unternehmertum erleichtert. Berufliche Bildung muss auf die Kompetenzanforderungen in der Primärproduktion, dem verarbeitenden Gewerbe, dem Transport und anderen einschlägigen Sektoren abgestimmt werden. Auch im späteren Leben müssen Arbeitnehmer ihre Fertigkeiten und Kompetenzen weiter ausbilden. Programme für lebenslanges Lernen, die Bildungseinrichtungen, Hersteller, Unternehmer und Arbeitnehmer, Forscher und Innovatoren miteinander verbinden, können dies unterstützen.

Brüssel, den 12. Dezember 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  https://biconsortium.eu/news/mapping-european-biorefineries.

(2)  Siehe das Merkblatt der USDA: An Economic Impact Analysis of the U.S. Biobased Products Industry: Aktualisierung 2016: https://www.biopreferred.gov/BPResources/files/BiobasedProductsEconomicAnalysis2016FS.pdf.

(3)  Alle genannten Zahlen stammen aus dem „JRC science for policy report: Bioeconomy Report 2016“ (Bericht Wissenschaft für Politik der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission: Bioökonomie-Bericht 2016), abrufbar unter http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstream/JRC103138/kjna28468enn.pdf.


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