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Document 52012AE1041

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1084/2006“ COM(2011) 612 final — 2011/0274 (COD)

    ABl. C 191 vom 29.6.2012, p. 38–43 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    29.6.2012   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 191/38


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1084/2006“

    COM(2011) 612 final — 2011/0274 (COD)

    2012/C 191/07

    Berichterstatter: Carmelo CEDRONE

    Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 25. bzw. am 27. Oktober 2011, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 177 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

    Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1084/2006

    COM(2011) 612 final — 2011/0274 (COD).

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. April 2012 an.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 480. Plenartagung am 25./26. April 2012 (Sitzung vom 25. April) mit 180 gegen 9 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Vorschläge

    1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt im Allgemeinen den Ansatz der Kommission bezüglich des neuen Vorschlags für eine Verordnung über den Kohäsionsfonds. Er begrüßt insbesondere die Anstrengungen, die für die verschiedenen Fonds geltenden Verfahren mit jenen zu vereinheitlichen, die in der allgemeinen Verordnung vorgesehen sind. Gleichwohl macht er auf einige (vorgenannte) problematische Punkte aufmerksam, die ausführlicher behandelt und optimiert werden sollten, insbesondere vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Lage der EU aufgrund der Finanzkrise und der Staatsverschuldung.

    1.2   Der EWSA hält es jedenfalls für begrüßenswert, dass der Fonds zur Förderung der Erzeugung und Verteilung von Energie aus erneuerbaren Energieträgern, zur Förderung der Energieeffizienz, des Umweltschutzes und der Anpassung an den Klimawandel sowie zur Wiederherstellung der Biodiversität und zur Stadterneuerung genutzt werden kann. Dies könnte positive Auswirkungen auf andere Sektoren wie z.B. den Tourismus haben. All dies sind Elemente, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.

    1.3   Nach Auffassung des EWSA ist es wichtig, dass die Kommission in diesen Krisenzeiten mithilfe thematischer Schwerpunkte eine Reduzierung der Anzahl der Maßnahmen anstrebt. Diese Vorgehensweise ist von ausschlaggebender Bedeutung, um Verschwendungen zu reduzieren, die Ressourcen gezielt auf spezifische Aktivitäten zu konzentrieren und die Hebel- und Förderwirkung zugunsten des Wachstums und der Beschäftigung zu erhöhen.

    1.4   Der EWSA stimmt dem Vorschlag zur Finanzierung der „Fazilität Connecting Europe“ zu, wobei jedoch die Einrichtung eines eigens dafür vorgesehenen Fonds vermieden werden sollte, da dies zu unnötigen Überschneidungen führen könnte.

    1.5   Große Sorgen und Bedenken äußert der EWSA in Bezug auf die derzeitigen Vorschläge zum Konditionalitätsprinzip (insbesondere zur makroökonomischen Konditionalität). Dieses sollte sich nicht als Bestrafung dienen und als Strafmittel eingesetzt werden, sondern vielmehr an die Verantwortung appellieren und als „Belohnung“ fungieren. Damit ließe sich vermeiden, dass das Ziel der „Konvergenz“ untergraben und in Frage gestellt wird.

    1.6   Nach Ansicht des EWSA ist es unabdingbar, die Koordinierung der verschiedenen Fonds und die Koordinierung der gesamten Kohäsionspolitik mit den anderen EU-Wirtschaftspolitiken, darunter auch der GAP, in einem solideren Rahmen einer gemeinsamen Haushaltspolitik zu stärken. Dadurch ließe sich eine Hebelwirkung erzielen und die Wirksamkeit der Investitionen stärken. Zweckmäßig wäre es, in der Wirtschaftspolitik, darunter auch der Kohäsionspolitik, zu einer verstärkten Zusammenarbeit zu gelangen, um eine gemeinsame wirtschaftspolitische Steuerung zumindest im Euro-Raum zu schaffen. Diese vom der EWSA mehrmals vorgebrachte Forderung wurde auf dem Gipfeltreffen vom Dezember 2011 jedoch bedauerlicherweise nicht gelöst.

    1.7   Darüber hinaus ist es unabdingbar, die derzeit unausgewogene institutionelle Partnerschaft zwischen der Kommission, den Mitgliedstaaten und den Regionen zu verbessern, bei der die Kommission wieder eine unterstützende und leitende Rolle übernehmen sollte. Diese Partnerschaft sollte in jeder Phase von der in Artikel 5 Absatz 1 der allgemeinen Verordnung festgelegten Partnerschaft begleitet werden, die heutzutage immer noch oft auf eine beratende bzw. informative Funktion beschränkt wird. Darüber hinaus sollten ein Verhaltenskodex für die gesamte EU und Parameter zur Bewertung des Mehrwerts der Partnerschaft aufgestellt werden.

    1.8   Von absolut vorrangiger Bedeutung ist für den EWSA die Frage der Vereinfachung in allen Phasen sowohl des Kohäsionsfonds als auch aller anderen Strukturfonds, insbesondere die Reduzierung des Verwaltungsaufwands, wobei für einige Projektkategorien eine Pauschalfinanzierung vorgesehen werden könnte. Auf alle Fälle sollte der Grundsatz der einmaligen Gewährung Anwendung finden.

    1.9   Für die durch die Krise am heftigsten betroffenen Staaten ist die Kohäsionspolitik eines der wichtigsten Instrumente der Mitgliedstaaten zur Verringerung des sozialen, wirtschaftlichen und räumlichen Ungleichgewichts sowie zur Wiederankurbelung des Wirtschaftswachstums und zur Förderung der Nachhaltigkeit.

    1.10   Kofinanzierung: Die Kofinanzierungskriterien müssen genauer geprüft und überarbeitet werden, so dass eine Verbindung zur tatsächlichen Haushaltslage der Gebietskörperschaften besteht. Ziel ist es zu vermeiden, dass die schwächsten Regionen womöglich gar keinen Zugang zu einer Finanzierungsmöglichkeit haben.

    1.11   Nach Auffassung des EWSA gibt es angesichts der heutigen Situation, die von Reformen und vom Schuldenabbau bestimmt und von der „Zwei-Phasen“-Politik geprägt ist (zunächst Kürzungen im Haushalt, als Drohung, dann Wachstum), keinen Spielraum für eine Investitions- und Wachstumspolitik. Dabei sollten Wachstum und Sparmaßnahmen Hand in Hand gehen. Aus diesem Grund wäre es zweckmäßig, die Kohäsionspolitik entsprechend auszurichten und beispielsweise jene Unternehmen zu unterstützen, die stärker auf Technologie setzen und einen großen Beitrag zur Jugendbeschäftigung leisten.

    1.12   Der EWSA ist der Auffassung, dass die derzeitige Wirtschaftspolitik in der EU (Sparmaßnahmen, Haushaltszwänge in den Mitgliedstaaten, Begrenzung des EU-Haushalts, Fiskalpakt, Beschränkungen für die EZB usw.) eine wirtschaftliche Rezession mit unvorhersehbarer Wirkung einleitet, während gerade das Gegenteil nötig ist, nämlich Maßnahmen, die anhand eines beherzteren, wirksameren Ansatzes gleichzeitig oder sogar vorauswirkend zur Unterstützung von Wachstum und Beschäftigung beitragen. Wie bereits auf der Tagung des Europäischen Rates am 30. Januar 2012 vorgeschlagen wurde, könnten die Strukturfonds (und zum Teil vorübergehend auch die Landwirtschaftsfonds) hierzu einen wichtigen Beitrag leisten, wenngleich in begrenzter Form.

    1.12.1   Ein europäischer Wachstumsplan - ein „New Deal“ (1) - sollte ins Leben gerufen werden, der umfangreiche, zielgerichtete Projekte umfasst und mehrere Schlüsselsektoren, die der Wirtschaft der EU in relativ kurzer Zeit wieder Auftrieb geben können, einbezieht. Dieser Plan sollte als Ergänzung zur Europa-2020-Strategie mit ihrer eher mittelfristigen Ausrichtung gesehen werden. Ein solcher Plan könnte

    mit unmittelbarer Wirkung über Restbeträge aus dem Zeitraum 2007-2013 und so bald wie möglich und für eine beschränkte Dauer auch teilweise aus den für 2014-2020 vorgesehenen Mitteln finanziert werden;

    zwecks rascher Umsetzung mithilfe sofort realisierbarer Projekte im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips bzw. einer „vorübergehenden“ radikalen Änderung der geltenden Bestimmungen durchgeführt werden;

    über die Ausgabe von Anleihen durch die EIB unterstützt und gefördert werden (Artikel 87 der neuen Verordnung). Dies hätte eine Multiplikatorwirkung auf Investitionen, denn es würde Kapital von außen anlocken und hätte einen positiven Effekt auf die Staatsverschuldung und damit auf den Euro, der gestärkt würde.

    1.12.2   Ein solcher Wachstumsplan sollte mindestens in den ersten drei Jahren des nächsten Programmplanungszeitraums nach denselben Kriterien angewandt werden.

    2.   Einleitung

    2.1   In seinen früheren Stellungnahmen hat der EWSA mehrmals auf die Grundsätze und die Bedeutung der Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und der Solidarität im Sinne des Vertrags hingewiesen, die auch immer wieder in den Kommissionsdokumenten erwähnt werden.

    2.1.1   Noch nie waren diese Grundsätze so aktuell wie heute und möglicherweise waren sie auch noch nie so gefährdet; nicht einmal im Zuge der Erweiterungspolitik, als die alten EU-Mitgliedstaaten mit Mitteleinbußen rechnen mussten und die neuen befürchteten, nicht ausreichend Mittel zu haben, um die Herausforderungen des Zusammenhalts bewältigen zu können.

    2.2   Dennoch ist es begrüßenswert, dass sich die Kommission darum bemüht, den verschiedenen äußeren Umständen der Verordnungsänderung Rechnung zu tragen, so z.B. dem Vorschlag für den künftigen EU-Haushalt, der Europa-2020-Strategie und der Staatsschuldenkrise infolge der Finanzkrise, die den Binnenmarkt und folglich auch die EU selbst auf eine harte Probe stellt.

    3.   Die neue Kohäsionspolitik: Kontext, Fragen, Bemerkungen und strategische Aspekte

    3.1   Im Juni 2011 hat die Kommission bekanntlich ein Vorschlagspaket für den mehrjährigen Finanzrahmen angenommen, das die Grundlagen für die künftige Finanzierung der EU im Zeitraum 2014-2020 legt. Mit diesem Rahmen sollen in erster Linie die Europa-2020-Strategie unterstützt und zusätzliche Haushaltsmittel vorgesehen werden, möglicherweise mithilfe der EIB (projektbezogene Anleihen und/oder Euro-Anleihen).

    3.2   Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass viele Mitgliedstaaten angesichts der Wirtschaftskrise gezwungen sind, drakonische Maßnahmen zur Haushaltssanierung zu ergreifen und öffentliche und private Infrastrukturinvestitionen - mit schwerwiegenden Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung - einzufrieren. Außerdem räumen die Mitgliedstaaten bei ihrer Planung tendenziell den „nationalen Projekten“ Priorität vor grenzüberschreitenden Vorhaben mit europäischer Tragweite ein.

    3.3   Der Kontext der Debatte über die neuen kohäsionspolitischen Verordnungen ist folglich ganz speziell, ja geradezu außergewöhnlich und sollte auch so behandelt werden. Es gilt beispielsweise zu überlegen, ob eine derart fragmentierte Kohäsionspolitik weiterhin tragbar ist, und ob die Frage der Konditionalität tatsächlich ausreicht und zweckmäßig ist, um den Zusammenhalt zu stärken und den am meisten von der Krise betroffenen Mitgliedstaaten zu helfen.

    3.4   Angesichts der heutigen extremen Schwierigkeiten der Union, die für die Wachstumsförderung nur wenige Mittel bereitstellen kann, wäre es stattdessen vielleicht sinnvoller, von weiteren Verordnungen und Kontrollen abzusehen, deren Anzahl ohnehin erheblich reduziert werden sollte, um die Fertigstellung der bereits laufenden Projekte zu ermöglichen. Die Ressourcen sollten mithilfe eines außerordentlichen europäischen Wachstumsplans, eines europäischen „New Deals“  (2), aufgewertet und rationalisiert werden.

    3.5   Wenn es im Rahmen der derzeitigen EU-Strategie zu keinen radikalen Veränderungen kommt - und diese Frage wurde auf dem Gipfel vom 8./9. Dezember 2011 nicht behandelt -, wird auch die Kohäsionspolitik einem grundlegenden Wandel unterworfen sein. Am meisten beunruhigt jedoch, dass die Kohäsionspolitik nicht mehr in der Lage sein wird, ihre ursprüngliche Aufgabe zu erfüllen, nämlich die wirtschaftliche und soziale Kluft zwischen den EU-Regionen und Gebieten zu schließen. Aufgrund der negativen konjunkturellen Auswirkungen, der Politik der Eindämmung öffentlicher Defizite wird sich diese Kluft hingegen weiter vertiefen. Deshalb sind in der EU ein radikaler Wandel und eine einheitliche „Wirtschaftsregierung“ erforderlich.

    3.6   In Bezug auf das Verfahren, das die Kommission für eine Reform der Verordnungen zur Steuerung der Kohäsionspolitik im Zeitraum 2014-2020 vorschlägt, und insbesondere in Bezug auf die gemeinsamen Bestimmungen für alle GSR-Fonds, macht der EWSA folgende zentralen Bemerkungen:

    3.6.1   Festlegung des Gemeinsamen Strategischen Rahmens (GSR): Der EWSA ist bereit, den neuen GSR-Vorschlag, den die Kommission 2012 vorlegen wird, zu prüfen. Es gilt jedoch noch festzulegen (auch auf der Grundlage der auf der Tagung des Europäischen Rates vom 7. Dezember 2011 angestellten Überlegungen zur Kohäsionspolitik), auf welche Art und Weise die Kommission die „Ziele und Vorsätze im Rahmen der EU-Prioritäten zur Verwirklichung eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums in zentrale Aktionen für den EFRE, den KF, den ESF, den ELER und den EMFF [zu] übertragen“ (3) gedenkt.

    3.6.1.1   In früheren Stellungnahmen machte der EWSA darauf aufmerksam, dass die Kohäsionspolitik zwar den Zielen der Europa-2020-Strategie entsprechen und mit ihnen unbedingt im Einklang stehen muss, gleichzeitig aber auch ihre Funktion als Politik zur Stärkung des sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalts der EU-Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden darf.

    3.6.1.2   Die Verbindung zwischen diesen Zielen ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der Europa-2020-Strategie. Die Kommission hat jedoch bislang nicht dargelegt, „wie“ eine solche Verbindung zwischen den GSR-Strategien und den nationalen Reformprogrammen auf eine funktionale, koordinierte und finanziell tragfähige Weise gewährleistet werden kann.

    3.6.2   Die Partnerschaftsvereinbarung: Der EWSA teilt die Auffassung des Europäischen Parlaments und des Ausschusses der Regionen, wonach die Vereinbarung zunächst zwischen den Mitgliedstaaten und den Regionen ausgehandelt und erst anschließend von den Staaten und der Kommission erörtert werden muss.

    3.6.2.1   Der EWSA betont, dass der von der Kommission vorgeschlagene Ansatz der Multi-Level-Governance im Rahmen der mit den Mitgliedstaaten zu führenden Verhandlungen wichtig ist, fordert gleichzeitig aber eine genauere Festlegung der institutionellen Akteure (auf nationaler und lokaler Ebene), die mit der Kommission die Partnerschaftsvereinbarung festlegen und unterzeichnen sollen, sowie eine umfassende Beteiligung von Vertretern der Zivilgesellschaft an der Erarbeitung dieser Dokumente.

    3.6.3   Die thematische Konzentration: Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, die Zahl der im Rahmen der Kohäsionspolitik finanzierten Vorhaben zu reduzieren, indem die Finanzmittel auf strategische Projekte konzentriert werden, die für die Nachhaltigkeit des Zusammenhalts und die Förderung der Wirtschaftsentwicklung in den weniger entwickelten Regionen, den Übergangsregionen und den entwickelten Regionen als unabdingbar erachtet werden.

    3.6.3.1   Die Wahl der thematischen Bereiche, die im kommenden Programmplanungszeitraum über sieben Jahre finanziell unterstützt werden sollen, muss den Mitgliedstaaten überlassen werden, wobei sie jedoch in Absprache mit der Kommission erfolgen sollte, und zwar nach einer eingehenden Bewertung der Übereinstimmung der Vorschläge mit der Europa-2020-Strategie.

    3.7   Die Konditionalität: Der EWSA weiß durchaus, dass dies eines der Themen ist, bei dem sich die europäischen Institutionen (Parlament, Rat, Ausschuss der Regionen usw.) in Bezug auf den Kommissionsvorschlag sehr uneinig sind; er ist der Auffassung, dass die Bedeutung, die Ziele und die Umsetzungsmodalitäten der Konzepts der Konditionalität nicht ausreichend geklärt worden sind. Während einige Ex-ante-Vorschläge, die um die soziale Konditionalität ergänzt werden sollten, durchaus zweckmäßig sind, kann der EWSA der makroökonomischen Konditionalität in der jetzigen Form nicht zustimmen.

    3.7.1   Unbeschadet der Notwendigkeit, der Kommission die Verwendung der Strukturfondsressourcen im Einklang mit den in den gemeinschaftlichen Verordnungen festgelegten Grundsätzen, Zielen und Zeitvorgaben zu gewährleisten, muss die Kommission nach Auffassung des EWSA ihren Vorschlag vor dem Hintergrund der folgenden Überlegungen prüfen:

    Die Konditionalität ist ein Instrument, das in methodischer Hinsicht so konzipiert und gestaltet werden muss, dass es den Mitgliedstaaten dabei hilft, die Ressourcen nach den von der Kommission vorgesehenen Modalitäten zu nutzen, und das nicht als Mittel zur Bestrafung der Mitgliedstaaten eingesetzt wird;

    In Bezug auf die Grundsätze der Konditionalität (Ex-ante-, makroökonomische Konditionalität) gilt die Aufmerksamkeit jenen Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten dazu bewegen können, die Mittel besser (d.h. effizienter und effektiver) und schneller auszugeben, die den vom EU-Durchschnitt am meisten abweichenden Regionen zugewiesen wurden;

    Mehr Aufmerksamkeit muss die Kommission insbesondere der Vorbereitungsphase der Programme widmen – der strategischen Programmplanungsphase also, in der die Prioritäten und Zuständigkeiten der nationalen und regionalen Institutionen bei der Verwirklichung der Ziele der territorialen Entwicklung festgelegt werden. Die Kommission sollte eine aktivere Rolle spielen und die Länder und Regionen bei der Verwendung der Fonds unterstützen;

    Eine ebenso große Aufmerksamkeit muss der Phase gewidmet werden, in der die Ex-ante-Konditionalitäten geprüft werden und in es festzustellen gilt, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Bedingungen erfüllen, um bei der Umsetzung der Kohäsionspolitik die Wahrung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität zu gewährleisten. Auch in diesem Fall verweist der EWSA darauf, dass der Grundsatz der Konditionalität dazu dienen muss, die Mitgliedstaaten zu einer ordnungsgemäßen Anwendung der Strukturfondsvorschriften zu bewegen. Nur in absoluten Ausnahmefällen und bei offensichtlich vorsätzlichen und wiederholten Verzögerungen bei der Durchführung der von der Kommission geforderten Reformen durch den Mitgliedstaat sollte die Anwendung von Strafmaßnahmen möglich sein.

    3.7.2   In Bezug auf die makroökonomische Konditionalität teilt der EWSA die vom EP und von einigen Mitgliedstaaten geäußerten Befürchtungen, dass die Regionen und Empfänger von Mitteln aus den Gemeinschaftsprogrammen für Verstöße bzw. Ineffizienz der Zentralregierungen bei der Durchführung von politischen Maßnahmen zur Senkung der Staatsverschuldung bestraft werden können. Es müssen Alternativlösungen erarbeitet werden, um zu vermeiden, dass regionale Institutionen und Akteure für die nationale Haushaltspolitik verantwortlich gemacht werden, obgleich sie auf derartige Entscheidungen keinen Einfluss haben. In diesem Zusammenhang wäre eine stärkere Koordinierung zwischen den und innerhalb der Mitgliedstaaten zweckmäßig.

    3.8   Aus diesem Grund müssen im Rahmen der Kohäsionspolitik neben der Konditionalität auch einige Kernfragen angegangen werden, die sich auf alle Fonds beziehen. Dabei geht es insbesondere um:

    die Koordinierung und die Komplementarität der Fonds und die Koordinierung zwischen den Fonds und den anderen europäischen Wirtschaftspolitiken;

    die institutionelle Koordinierung der Kohäsionspolitiken im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit;

    eine radikale Vereinfachung der derzeit komplizierten Verfahren und Verordnungen in allen Phasen;

    eine echte und maßgebliche wirtschaftliche und soziale Partnerschaft (neben der institutionellen Partnerschaft);

    die Anpassung der Kofinanzierung an die Bedingungen in den Gebietskörperschaften;

    die Neubelegung der Rolle der Kommission und Vorrang für Projekte von europäischer bzw. makroregionaler Tragweite;

    die leistungsgebundene Reserve (Prämie), die zu einem zusätzlichen Verwaltungsaufwand und zu einer Verzögerung bei der Bereitstellung von Finanzmitteln für wichtige kohäsionspolitische Projekte führen kann;

    die Anwendbarkeit der Mehrwertsteuer.

    4.   Kernziele des Kohäsionsfonds

    4.1   Der Kohäsionsfonds wurde 1993 für diejenigen Mitgliedstaaten eingerichtet, deren Bruttonationaleinkommen (BNE) unter 90 % des europäischen Durchschnitts liegt, und ist insbesondere für Verkehrs- und Umweltinfrastrukturen, Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger bestimmt. Deshalb fließen die Investitionen in den Aufbau transeuropäischer Verkehrs- und Energienetze, in die Unterstützung der Energieeffizienz und der Verwendung erneuerbarer Energiequellen sowie in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs.

    4.2   Der Kohäsionsfonds macht rund 18 % aller kohäsionspolitischen Ausgaben aus und trägt zur Umsetzung der Kohäsionspolitik im Einklang mit dem Vertrag bei. Die Ergebnisse gingen jedoch über das Ziel hinaus: Der Kohäsionsfonds brachte in Bezug auf die Investitionen einen Mehrwert mit sich und trug in jenen Regionen, in denen er zum Einsatz kam, zur Förderung des Wachstums und der Beschäftigung bei, auch wenn aufgrund einer übermäßigen Zahl an geförderten Projekten (1.192 in den Jahren 2000-2006) ein hohes Maß an Zersplitterung festzustellen ist.

    4.3   Die neue Verordnung bringt keine besonderen Neuerungen mit sich: In Artikel 2 wird lediglich der Interventionsbereich des Kohäsionsfonds umrissen. In zwei Unterpunkten wird festgelegt, was der Kohäsionsfonds unterstützt, und seltsamerweise auch, was für eine Förderung nicht in Frage kommt, so z.B. die Stilllegung von Kernkraftwerken und der Wohnungsbau. Artikel 3 enthält die Investitionsprioritäten: vier Interventionsbereiche mit weiteren Unterkategorien, wobei jedoch nicht geklärt ist, ob diese nur als Richtvorgabe dienen oder verbindlich sind. Dabei würde eine solche Spezifizierung eine flexiblere und einfachere Nutzung der Fonds ermöglichen. Gegenstand von Artikel 4 und des entsprechenden Anhangs sind die Indikatoren.

    4.4   Für die durch die Krise am heftigsten betroffenen Staaten ist die Kohäsionspolitik eines der wichtigsten Instrumente der Mitgliedstaaten zur Verringerung des sozialen, wirtschaftlichen und räumlichen Ungleichgewichts sowie zur Wiederankurbelung des Wirtschaftswachstums und zur Förderung der Nachhaltigkeit.

    5.   Der neue Verordnungsvorschlag: Bemerkungen

    5.1   Abgesehen von den Ausführungen in Ziffer 3.3 beziehen sich diese Bemerkungen insbesondere auf die Kriterien für die Auswahl von Vorhaben, die für die Fazilität „Connecting Europe“ bereitgestellten Mittel zur Finanzierung der wichtigsten Verkehrsnetze und die Indikatoren.

    5.2   In Bezug auf die Wahl der zu finanzierenden Projekte, die mit den vom Parlament und vom Rat in diesem Bereich angenommenen Leitlinien (transeuropäische Verkehrsnetze sowie Projekte in den Bereichen Umwelt und Energie) im Einklang stehen und vereinbar sind, muss die Kommission nach Ansicht des EWSA die spezifischen Kategorien der mit den Mitteln des Kohäsionsfonds finanzierbaren Maßnahmen aufführen bzw. Kriterien festlegen, auf die sich die Empfängerstaaten bei der Wahl der Projekte stützen können, die sich zur Erreichung der Kohäsionsfondsziele am besten eignen (wobei es insgesamt zu viele Ziele gibt – elf!).

    5.3   Insbesondere ist der EWSA der Auffassung, dass die Kohäsionsfondsmittel in den früheren Programmplanungsphasen auf zu viele Projekte verteilt wurden, weshalb die angestrebte Gesamtwirkung in puncto Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen verringert wurde. In Bezug auf eine sorgfältigere und gezielte Wahl der Projekte mit mehr Tragweite und stärkerer Wirkung, sowohl im Verkehrs- als auch im Umwelt und Energiesektor wäre es zweckmäßig, die Besonderheiten der jeweiligen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Dadurch ließen sich die Unterschiede bei den Infrastrukturen, die zwischen den Regionen in der EU nach wie vor bestehen, wirkungsvoller abbauen.

    5.4   In Bezug auf die Mittel der Fazilität „Connecting Europe“ zur Finanzierung von Projekten in den Bereichen Verkehr, Energie und Kommunikation, die sich insgesamt auf 50 Mrd. EUR belaufen, wovon 10 Mrd. aus dem Kohäsionsfonds stammen, in dessen Rahmen wiederum diese Ziele bereits verfolgt werden (Verhältnismäßigkeitsprinzip), ist der EWSA der Auffassung, dass diese Entscheidung weiterer Klärung bedarf, da erläutert werden muss, was die Kommission dazu veranlasst hat,

    einen weiteren von einer Exekutivagentur zentral verwalteten Fonds einzurichten, der mit allen anderen strategischen sektorspezifischen Programmen (sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene) sowie mit dem Gemeinsamen Strategischen Rahmen der Kohäsionspolitik und den Partnerschaftsvereinbarungen mit den Mitgliedstaaten koordiniert werden muss. Dies führt zu einer unnötigen Überschneidung der Aufgaben und der Zuständigkeiten;

    diesen Fonds mit recht umfassenden Mitteln auszustatten, auch wenn sie relativ bescheiden ausfallen, verglichen mit den von der Kommission veranschlagten und für die Deckung des künftigen Bedarfs in den folgenden Bereichen erforderlichen Mitteln: Personen– und Güterverkehr (500 Mrd. EUR bis 2020), Energie (1,5 Billionen EUR für 2010-2030) und Kommunikation (250 Mrd. EUR). Diese Mittel würden entweder dem Strukturfonds oder – wenn auch in einem geringeren Maße – dem Kohäsionsfonds entnommen. Dadurch stünden für die Verkehrs- und Umweltinfrastrukturen weniger Mittel zur Verfügung, was mit unnötigen Komplikationen einhergehen würde. Da zu dieser Finanzierungsmöglichkeit zahlreiche Regionen Zugang haben können, scheint es unwahrscheinlich, dass sie die von der Kommission gewünschte Multiplikatorwirkung haben wird (neue Projekte und neue Finanzierungsmöglichkeiten, auch aus dem privaten Sektor). Das Ergebnis wäre hingegen eine weitere Fragmentierung der Fonds. Um die erhoffte Wirkung zu erzielen, spricht sich der Ausschuss ferner dafür aus, Mittel aus dem Privatsektor einzubeziehen und eine Fragmentierung zu vermeiden.

    5.5   Der EWSA begrüßt die Einführung der Indikatoren durch die Kommission, ist jedoch der Auffassung, dass sie zu allgemein und unzureichend sind. So bleiben z.B. die Umweltauswirkungen unerwähnt und es wird lediglich auf quantitative Werte (Indikatoren) verwiesen. Dies gilt sowohl für die Abfälle als auch für die Anzahl der fertiggestellten Straßenkilometer usw.

    Brüssel, den 25. April 2012

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Staffan NILSSON


    (1)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Wachstum und Staatsverschuldung in der EU: zwei innovative Vorschläge“ (ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10).

    (2)  Ebenda.

    (3)  COM(2011) 615 final - 2011/0276 (COD).


    ANHANG

    zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Der folgende abgelehnte Änderungsantrag erhielt mindestens ein Viertel der Stimmen:

    Änderungsantrag 1 von Reet TEDER

    Ziffer 1.11

    Ändern:

    „Der EWSA ist der Auffassung, dass anhand eines beherzteren, wirksameren Ansatzes Wachstum und Beschäftigung . Wie bereits auf der Tagung des Europäischen Rates am 30. Januar 2012 vorgeschlagen wurde, könnten die Strukturfonds (und zum Teil vorübergehend auch die Landwirtschaftsfonds) hierzu einen wichtigen Beitrag leisten, wenngleich in begrenzter Form.“

    Begründung

    Der Auffassung, dass die Forderung nach einer korrekten und ordnungsgemäßen Haushaltsführung in den Mitgliedstaaten zu einer wirtschaftlichen Rezension führen würde, kann nicht zugestimmt werden. Der Ausschuss sollte sich in seiner Stellungnahme nicht negativ über Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Sanierung ihrer öffentlichen Haushalte äußern.

    Abstimmungsergebnis

    Ja-Stimmen

    :

    78

    Nein-Stimmen

    :

    98

    Enthaltungen

    :

    18


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