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Document 52011AE0808

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine integrierte Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung — Vorrang für Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit“ KOM(2010) 614 endg.

ABl. C 218 vom 23.7.2011, p. 38–45 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

23.7.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 218/38


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine integrierte Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung — Vorrang für Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit“

KOM(2010) 614 endg.

2011/C 218/07

Berichterstatter: Joost VAN IERSEL

Ko-Berichterstatter: Enrico GIBELLIERI

Die Europäische Kommission beschloss am 28. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine integrierte Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung — Vorrang für Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit

KOM(2010) 614 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 4. April 2011 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 471. Plenartagung am 4./5. Mai 2011 (Sitzung vom 4. Mai) mit 119 gegen 1 Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung zur Industriepolitik als Leitinitiative der Europa-2020-Strategie. Er unterstützt nachdrücklich den ganzheitlichen Ansatz und eine verstärkte Verzahnung der EU-Politikbereiche sowie eine umfassendere industriepolitische Koordinierung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten. Das Ziel ist eine nachhaltige europäische Industrie, die in der Weltwirtschaft wettbewerbsfähig ist.

1.2

Der EWSA fordert den Rat und die Kommission auf, auf der Grundlage der Mitteilung und der entsprechenden Schlussfolgerungen (1) des Rates eine Prioritätenliste und Zeitpläne zu erstellen.

1.3

Diese verstärkte Verzahnung sollte nach Auffassung des EWSA zu integrierten Ansätzen in einem gänzlich funktionsfähigen Binnenmarkt im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft führen, und zwar durch intelligente Regulierung, FuE und Innovation, Zugang zu Finanzmitteln, energieeffiziente und CO2-arme Wirtschaft, Maßnahmen in den Bereichen Umwelt, Verkehr, Wettbewerb und Beschäftigung, Verbesserung von Qualifikationen und Kompetenzen, Handel und verwandte Themen sowie Zugang zu Rohstoffen.

1.4

Durch die Straffung der internen Planung und Koordinierung in den EU-Institutionen und die Konzentration auf eine engere Beziehung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten rückt die Verbesserung der Regierungsführung in den Mittelpunkt der künftigen Industriepolitik. Die Mitgliedstaaten sollten die Koordinierung untereinander verbessern. Auch Regionen und Ballungsräume sollten Verantwortung übernehmen. Kurzum: sowohl vertikale als auch horizontale Verbindungen sollten in ganz Europa ausgebaut werden, um mit anderen Kontinenten Schritt halten zu können.

1.5

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der jährlichen Kommissionsberichte über die nationalen Industriepolitiken, die auf gemeinsam vereinbarte Ziele ausgerichtet sein sollten. Diese Berichte müssen offen diskutiert werden, um die Koordinierung zu verbessern und bewährte Methoden zu fördern sowie zu gleichen Wettbewerbsbedingungen in Europa beizutragen.

1.6

Der EWSA fordert nachdrücklich ein angemessenes Niveau an privaten und öffentlichen Finanzressourcen für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zum Ausgleich schwindender Haushaltsmittel. Er begrüßt sehr die angekündigte Verbesserung der grenzüberschreitenden Bedingungen für Risikokapital sowie die Vorschläge für projektbezogene Euro-Anleihen, über die öffentliche und private Finanzmittel für vorrangige Investitionsvorhaben im Energie-, Verkehrs- und IKT-Bereich beschafft werden sollen (2). Projektbezogene Anleihen auch für andere Bereiche, z.B. Forschungs- und Demonstrationsprojekte, sollten geprüft werden. Die Struktur- und Kohäsionsfonds müssen ebenfalls auf industriepolitische Ziele ausgerichtet werden. Es bedarf neuer kreativer Ideen, um privates Kapital in den Industriesektor zu holen.

1.7

Die Industriepolitik betrifft alle Arten von miteinander verbundenen Verarbeitungs- und Dienstleistungsbranchen. Die Grenzen zwischen diesen Branchen verwischen sich mehr und mehr. Die KMU werden immer wichtiger, was die Wertschöpfung wie auch die Schaffung von Arbeitsplätzen betrifft. Diese Faktoren erfordern eine intelligente horizontale und sektorspezifische Gesetzgebung und/oder Regulierung sowie flankierende Maßnahmen. Dabei muss die Komplexität der internationalen Netze und integrierten Verarbeitungsprozesse berücksichtigt werden.

1.8

Wegen der komplexen Sachverhalte und zahlreichen Querverbindungen besteht nach Auffassung des EWSA die Notwendigkeit eines (gemeinsamen) Engagements der öffentlichen und privaten Interessenträger im Rahmen von hochrangigen Gruppen, Technologieplattformen, sozialen Dialogen und Bildungsprogrammen.

1.9

Der EWSA hebt folgende Prioritäten hervor:

Notwendigkeit einer intelligenten Regulierung, eines stabilen Regelungsrahmens, angemessener Beurteilungen und Ex-post-Evaluierungen;

Zugang zu Finanzmitteln auf EU-Ebene: 7./8. Rahmenprogramm, CIP (3), EIB und EIF, namentlich für KMU;

die Innovationsunion muss in engem Zusammenhang mit der Industriepolitik stehen, insbesondere bei Schlüsseltechnologien und energieintensiven Industriezweigen;

die Koordinierung innerhalb und zwischen Wissensketten – Forschungszentren, Hochschulen, Unternehmen - sollte gefördert werden;

das europäische Patent ist ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Industriepolitik;

Arbeitnehmer sollten einbezogen werden und aktiv mitwirken;

schulische und berufliche Bildung ist auf allen Ebenen erforderlich, neben der Förderung des Unternehmergeists, um eine hochwertige und stabile Beschäftigung mit angemessenem und solidem Lohnniveau zu gewährleisten; bewährte Methoden sollten verbreitet werden;

globale Entwicklungen benötigen eine aktive Handelspolitik und eine effiziente Marktkontrolle; sie machen es unumgänglich, dass die EU mit einer Stimme spricht, um weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu erreichen;

eine ressourceneffiziente und CO2-arme Wirtschaft in Europa sollte implizieren, dass die EU von ihren Handelspartnern die Einhaltung der gleichen Standards verlangt;

der Zugang zu Rohstoffen und diversifizierten Energiequellen sollte gewährleistet werden.

2.   Einleitung

2.1

Die Industriepolitik „neuen Stils“ datiert vom April 2004 (4). Nach einem langwierigen Liberalisierungs- und Privatisierungsprozess bestand weiterhin ein breites Spektrum an nationalen industriepolitischen Konzepten.

2.2

Auf Unionsebene spielten Rahmenbedingungen zur Stärkung von Industriezweigen eine wichtige Rolle. Analysen wurden sektorweise durchgeführt.

2.3

Der EWSA beteiligte sich aktiv an dieser Entwicklung und äußerte sich in einer Reihe von Stellungnahme zu sektorspezifischen Interessen und Wesensmerkmalen auf EU-Ebene (5).

2.4

Gleichzeitig ändert sich das Umfeld ständig: Wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise wirken sich Meinungsunterschiede hinsichtlich des Regierens auf EU-Ebene und unterschiedliche Produktionsleistungen der Mitgliedstaaten auf das Vermögen Europas aus, auf Veränderungen entsprechend zu reagieren.

2.5

Gleichzeitig haben sich neue Fragestellungen und gesellschaftliche Herausforderungen ergeben, einschließlich der demografischen Alterung, des Klimaschutzes und der nachhaltigen Entwicklung, des Zugangs zu Energie, der verstärkten Globalisierung, der wissensbasierten und digitalisierten Gesellschaft sowie der Veränderungen auf den Arbeitsmärkten.

2.6

Innovation ist heute ein Muss, getrieben sowohl durch den ständigen Fortschritt in Forschung und Technologie als auch den verstärkten Wettbewerb auf in- und ausländischen Märkten.

2.7

In den letzten zehn Jahren wurde die schulische und berufliche Bildung auf allen Ebenen immer mehr zur Priorität.

2.8

Trotz eindeutiger Fortschritte bestehen die Zergliederung des Binnenmarkts und eine mangelnde Fokussierung fort, was teilweise auf divergierende Konzepte von Wirtschaft zurückzuführen ist. Der Bezug zwischen der Vollendung des Binnenmarkts und der Industriepolitik wird allzu häufig übersehen. Der EWSA hat mehrfach gefordert, angemessene Voraussetzungen zu schaffen, wobei maßgeschneiderte Regelungen für Sektoren und thematische Fragen nötig sind, die den weitverzweigten globalen value networks Rechnung tragen.

3.   Neue Aspekte der Mitteilung

3.1

In der Industriepolitik geht es darum, eine solide verarbeitende Industrie in Europa aufrechtzuerhalten und das allgemeine Bewusstsein in der Gesellschaft und bei den Interessenträgern zu stärken, dass Europa die Lage bewerten und angepasste Bedingungen schaffen muss, damit sich die (Verarbeitungs- und Dienstleistungs-) Industrie auf in- und ausländischen Märkten erfolgreich entwickeln kann.

3.2

Die Industriepolitik muss die Herausforderung in Form wachsender Unsicherheiten und Ungleichgewichte sowie eines harten Wettbewerbs und strenger Vorgaben seitens anderer globaler Akteure angehen, indem ein Rahmen für eine tragfähige industrielle Basis in Europa sowie für Investitionen und neue Arbeitsplätze geschaffen wird.

3.3

Die Industriepolitik ist eine Leitinitiative der Europa-2020-Strategie neben anderen Leitinitiativen und wichtigen Bereichen, wie Innovation, Kompetenzen, Handel und Binnenmarkt. Der ganzheitliche Ansatz unterstreicht die Notwendigkeit einer effizienten Koordinierung und Kohärenz aller EU-Politikbereiche. Koordinierung und Kohärenz - einschließlich der damit einhergehenden Transparenz und Sichtbarkeit der EU-Politikbereiche - müssen den technischen Fortschritt und die Innovation (namentlich Grundlagentechnologien), die Umstrukturierung, die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze (6) und die europäische Präsenz auf internationalen Märkten unterstützen.

3.4

Ein neues Instrument im Kommissionsvorschlag ist die „Prüfung auf Wettbewerbsfähigkeit“ durch ein Verfahren, bei dem die Wettbewerbsfähigkeit nicht nur unter dem Aspekt der Preise bzw. Kosten, sondern auch im Hinblick auf Investitions- und Innovationsfaktoren beurteilt wird.

3.5

Die vielfach vernachlässigte Außendimension der Industriepolitik erhält Priorität. Ebenso wird jetzt auch dem Zugang zu Rohstoffen als Grundvoraussetzung für jede Industriepolitik mehr Aufmerksamkeit gewidmet.

3.6

Das Augenmerk wird erneut auf einen integrierten horizontalen Ansatz in Verbindung mit sektoriellen Anwendungen und maßgeschneiderten Konzepten gerichtet, d.h. auf die Notwendigkeit der Untersuchung der Querverbindungen zwischen den Branchen und die Verknüpfung der Wertschöpfungs- und Lieferketten (entscheidend für KMU), Netzen und Clustern, der Wirkung unternehmensbezogener Dienstleistungen und des Zugangs zu Finanzmitteln.

3.7

Neben kontinuierlichen Veränderungs- und Umstrukturierungsprozessen in weiten Teilen der europäischen Industrie wird in der Mitteilung auf neue Branchen hingewiesen, in denen mehr und mehr Investitionen und Arbeitsplätze zu verzeichnen sind, z.B. Raumfahrt (7), neue Sicherheitsdienste und Kultur- und Kreativindustrie.

3.8

Sehr wichtig und ehrgeizig ist nach Auffassung des EWSA der auf Artikel 173 des Lissabon-Vertrags beruhende Vorschlag der Kommission, jährliche Berichte über Zustand und Entwicklung der nationalen Industriepolitik zu veröffentlichen, die die gemeinsamen Analysen und die gemeinsam vereinbarten Ansätze und Maßnahmen stärken sollen.

3.9

Der EWSA begrüßt, dass der Rat „Wettbewerbsfähigkeit“ den Rahmen für strategische Leitlinien für das Handeln der EU voll und ganz unterstützt, was eine gemeinsame Auffassung von den Prioritäten einfacher machen wird. Am wichtigsten ist jedoch, dass der Rat auch die Notwendigkeit der Koordinierung der Industriepolitik der Mitgliedstaaten unterstreicht.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Angesichts der derzeitigen Sachzwänge ist der EWSA der Auffassung, dass die Mitteilung zur Industriepolitik sowie die Schlussfolgerungen des Rates genau zur rechten Zeit kommen.

4.2

Die Tatsache, dass die Industriepolitik eine Leitinitiative der Europa-2020-Strategie ist, beweist, dass die Kommission entschlossen ist, eine koordinierte Strategie auf der Ebene der EU wie auch der Mitgliedstaaten zu konzipieren. Entscheidend und dringend erforderlich ist dabei das Engagement der Mitgliedstaaten.

4.3

Der EWSA betont die Bedeutung einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Verarbeitungsindustrie in Europa. Das erfordert eine starke industrielle Basis in Verbindung mit Dienstleistungen, die für die Industrie von grundlegender Bedeutung sind. In zuverlässigen Quellen wird der schrittweise Übergang im Beschäftigungsbereich vom verarbeitenden Gewerbe hin zu industriebezogenen Dienstleistungen hervorgehoben; dabei geht es nicht nur um Vorleistungen, sondern auch um Leistungen, die von den verarbeitenden Unternehmen selbst erbracht werden (8).

4.4

Zur Gestaltung der Zukunft ist eine beherzte Politik erforderlich: intelligente Energie, Nanotechnologie und Biowissenschaften, neue Materialien, Unternehmensdienstleistungen und soziale Medien, Notwendigkeit der Ausweitung der IKT. In Europa gibt es keine Unternehmen wie Apple oder Google. China holt schnell auf und überholt Europa sogar in einigen Bereichen.

4.5

Die EU benötigt dringend eine Vision und ein Programm zur Verbesserung der Anlageinvestitionen und der Produktivität. Genau definierte gemeinsame Handlungsgrundsätze in der EU und den Mitgliedstaaten müssen Anreize für ambitionierte Investitionsprogramme von Unternehmen und öffentlichen Stellen schaffen.

4.6

Die Industriepolitik erfordert ein angemessenes Niveau privater und öffentlicher Finanzmittel. Die gegenwärtig schwindenden Haushaltsmittel sollten durch andere, gemeinsam vereinbarte Finanzmittel ausgeglichen werden (9).

4.7

Folgende drei Hauptthemen sollten aus Sicht des EWSA in den nächsten Jahren vorangetrieben werden:

die Verknüpfung und Interaktion eines breiten Spektrums an horizontalen und sektoriellen EU-Politiken;

die komplexen internationalen Netze und integrierter Verarbeitungsprozesse (10) und

die Bewertung und verstärkte Koordinierung nationaler Maßnahmen auf der Ebene der EU und unter den Mitgliedstaaten.

4.8

Durch die Straffung der internen Planung und Koordinierung in den EU-Institutionen und durch die Konzentration auf eine engere Beziehung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten rückt die Verbesserung der Regierungsführung in den Mittelpunkt der künftigen Industriepolitik.

4.9

Die Mitgliedstaaten entwickeln ihre eigenen industriepolitischen Konzepte und Ziele. Für eine erfolgreiche EU-Industriepolitik „neuen Stils“ sollte der Rat die Schlussfolgerungen des Rates „Wettbewerbsfähigkeit“ als Grundlage für eine intensivere Zusammenarbeit weiter ausarbeiten.

4.10

Der EWSA teilt uneingeschränkt die Auffassung, dass ein ganzheitlicher, integrierter Ansatz erforderlich ist. Die verstärkte Verzahnung der Politikfelder ist ein wichtiges Konzept für eine nachhaltige soziale Marktwirtschaft in Europa. Es muss zu einem integrierten Ansatz für die Zukunft der europäischen Industrie in einem funktionsfähigen Binnenmarkt führen, und zwar durch intelligente Regulierung, FuE- und Innovationspolitik, Zugang zu Finanzierungsmitteln, Energie- und CO2-Reduktionspolitik, Umweltpolitik, Verkehrspolitik, Wettbewerbspolitik, Verbesserung von Qualifikationen und Kompetenzen, Handelspolitik und verwandte Themenkreise sowie Zugang zu Rohstoffen. Durch sektorspezifische Ansätze werden weitere Potenziale erschlossen. Diese Themen sind Gegenstand gesonderter Mitteilungen (11).

4.11

Der EWSA begrüßt die effektive „Prüfung auf Wettbewerbsfähigkeit“, die zunächst selektiv vorzunehmen ist.

4.12

Es ist äußerst wichtig, die Finanzmittel der EU in den Bereichen FuE und Innovation aufrechtzuerhalten oder sogar aufzustocken. Europäische Großprojekte, z.B. im Energiesektor und zur Verwirklichung einer gesamteuropäischen Infrastruktur, die von einem oder mehreren Mitgliedstaaten kofinanziert werden, sollten Hebelwirkungen erzielen.

4.13

Industrielle Cluster bilden sich üblicherweise in traditionellen Industriezentren heraus, die sich aufgrund von neuen Investitionen, Technologie und Innovation, Wertschöpfungsketten, Qualifikationen und Kompetenzen sowie regionaler und internationaler Vernetzung unaufhörlich weiterentwickeln (12). Fortgeschrittene Regionen sind Zugpferde für Europa.

4.14

Der EWSA ist der Auffassung, dass verzahnte Politikfelder und Maßnahmen auf EU-Ebene in Verbindung mit transparenteren und aktuellen ständigen Informationen über nationale Entwicklungen maßgeblich dazu beitragen werden, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen und ein solider Binnenmarkt, das Herzstück der europäischen Integration, Wirklichkeit werden.

4.15

Daten und Analysen haben eine Schlüsselfunktion. Der EWSA würdigt die ausführlichen Analysen der Kommission. Eingehende Untersuchungen und präzise, vergleichbare Daten auf EU-Ebene sind für jede Politik unerlässlich. Für eine genauere und vorausschauende Kontrolle und Bewertung sind verlässliche Daten über dynamische aktuelle Tendenzen erforderlich (13). Trotz aller Fortschritte bleibt noch viel zu tun.

4.16

Neben nationalen Statistiken spielen die Statistiken von Eurostat eine wichtige Rolle. Eurostat sollte hinreichend ausgestattet werden, um entsprechende Daten zu sammeln und europäische und weltweite Tendenzen und Entwicklungen zeitnah zu analysieren, und mehr Mittel für den Datenzugriff erhalten. Informationen sollten so schnell und vollständig wie möglich zur Verfügung stehen.

5.   Regieren auf EU-Ebene; horizontale und sektorielle Ansätze: Sektoren und value networks

5.1

Die Schaffung eines einzigen Rahmens für die Tätigkeiten der Kommission unterstreicht die Notwendigkeit, die Segmentierung zu überwinden sowie die Sichtbarkeit und Effizienz zu verstärken.

5.2

Die Industriepolitik bleibt bis zu einem gewissen Grad eine nationale Aufgabe. Die Liste der in der Mitteilung erwähnten Bereiche, in denen die EU (Kommission, Rat, EP) für Maßnahmen zuständig ist oder intervenieren könnte, ist ebenfalls beeindruckend. Vor diesem Hintergrund eröffnet der kohärente Rahmen der Europa-2020-Strategie vielversprechende Möglichkeiten.

5.3

Der EWSA ist mit den politischen Absichten der Kommission einverstanden. Die Rolle der Kommission ist jedoch nicht immer klar definiert, was teilweise auf fehlende formelle Befugnisse in einigen Bereichen zurückzuführen ist. In bestimmten Sektoren (z.B. Energie) sind nach wie vor nationale Zielsetzungen und Verfahren maßgeblich, wobei die Befugnisse der Kommission und der Mitgliedstaaten nicht kohärent wahrgenommen werden.

5.4

Verbesserungsbedürftig sind dementsprechend die Befugnisse und Effizienz des Rates „Wettbewerbsfähigkeit“, der gemeinsam mit der Kommission Ziele festlegt und für die Regulierung in einer Vielzahl von Themenbereichen zuständig ist.

5.5

Der EWSA fordert den Rat und die Kommission auf, eine praxistaugliche Prioritätenliste und einen entsprechenden Zeitplan zu erstellen. Diese Prioritäten müssen die wirtschaftliche Infrastruktur umfassen, wie z.B. fortschrittliche Verkehrsnetze, diversifizierte Energiequellen und Zugang zu diesen, die digitale Agenda und IKT.

5.6

Die Außendimension des Binnenmarkts und das Ziel weltweit gleicher Wettbewerbsbedingungen machen zunehmend eine aktive Handelspolitik und einen effektiven europäischen diplomatischen Dienst erforderlich.

5.7

Die Industrie unterliegt einmal mehr grundlegenden Umgestaltungsprozessen, ausgelöst durch FuE und Innovation, geänderte Regulierung und internationale Industrie- und Dienstleistungsmärkte. Diese Entwicklungen betreffen alle Branchen. Die in aufeinanderfolgenden Arbeitsprogrammen der EU festgelegten Prioritäten sollten diese Tendenzen widerspiegeln um angemessene Rahmenbedingungen sicherzustellen, und eine konkrete Agenda umfassen, die als Orientierungshilfe und Sicherheit für industrielle Investitionen dienen kann. Notwendig ist ein stabiler langfristiger Rechtsrahmen.

5.8

Die Beziehung zwischen Industriepolitik und Binnenmarkt ist von entscheidender Bedeutung. Der EWSA betont, dass der Beschlussfassungsprozess bezüglich der Binnenmarktakte neben gezielteren industriepolitischen Maßnahmen die Rolle der Kommission und der EU sowie die Notwendigkeit europaweit gleicher Wettbewerbsbedingungen eindeutig bekräftigen wird.

5.9

Der EWSA betont erneut, dass an dem Ziel von 3 % des BIP für FuE-Ausgaben festgehalten werden muss. Schwindende Finanzmittel dürfen nicht zulasten entscheidender innovativer Kräfte gehen.

5.10

Im Hinblick auf die Effizienz und den Mehrwert der Maßnahmen und Finanzierungsinstrumente hat der EWSA bereits in mehreren Stellungnahmen branchenspezifische hochrangige Gruppen, Technologieplattformen, die Anregung innovativer Cluster und der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Forschungsgremien und -zentren, die alle mit EU-Mittel finanziert werden, begrüßt. Es sollten Vorzeige- und Vorbildprojekte entwickelt werden.

5.11

Ein erfolgreiches Projekt ist die Leitmarktinitiative (LMI) für sechs wichtige Branchen mit dem Ziel des Abbaus von Hemmnissen für Erzeugnisse und Dienstleistungen (14). In diesem Sinne sollte die EU neue Industrieprojekte in Angriff nehmen, z.B. umweltfreundliche und energieeffiziente Fahrzeuge, CO2-Abscheidung und –Speicherung, europaweite Netze, Weltraumunternehmungen und Schlüsseltechnologien.

5.12

Der EWSA sieht in der Annahme eines europäischen Patents einen Testfall für die Glaubwürdigkeit der EU-Industriepolitik. Wenn ein europäisches Patent zum jetzigen Zeitpunkt nicht für die gesamte EU erreicht werden kann, dann sollte eine begrenzte Zahl von Ländern den Anfang damit machen.

5.13

Grundsätzlich hat der Schutz des geistigen Eigentums in der heutigen Welt einen hohen Stellenwert.

5.14

Auf einzelne Sektoren zugeschnittene Konzepte sind wichtig, um zu besseren und angemesseneren Regelungen zu gelangen und die erforderlichen Instrumente und Maßnahmen zu entwickeln.

5.15

Dennoch verliert eine traditionelle sektorspezifische Untersuchung der Industrie aus der Sicht der Politik wegen der Globalisierung, der Zergliederung der Lieferketten über Grenzen hinweg und der starken gegenseitigen Abhängigkeit der verschiedenen Akteure an Bedeutung. Damit soll aber nicht die Existenz einer Reihe sektorspezifischer Probleme in Abrede gestellt werden; diese sollten aber im Einzelfall aus europäischer Sicht untersucht werden.

5.16

Ein flexibler sektorieller Ansatz ermöglicht einen erfolgreichen Meinungsaustausch und ist eine gute Grundlage für das Engagement öffentlicher und privater Interessenträger. Dazu zählen neben Kommissions- und Regierungsbeamten Vertreter von Unternehmen, Forschungsinstituten, (Hoch-)Schulen, Sozialpartnern, Nichtregierungsorganisationen und Regionen.

6.   Spezielle Kernfragen

6.1

Die Industriepolitik ist ein übergeordnetes Konzept mit einer Reihe von anverwandten und miteinander verwobenen Bereichen.

6.2

Der Zugang zur Finanzierung und die Mittelbeschaffung sind ernste Problembereiche, die umgehend angegangen werden müssen. Der EWSA begrüßt nachdrücklich die angekündigte Verbesserung der grenzüberschreitenden Bedingungen für Risikokapital und die Vorschläge für projektbezogene Euro-Anleihen, über die öffentliche und private Finanzmittel für Investitionsvorhaben im Energie-, Verkehrs- und IKT-Bereich beschafft werden sollen (15). Projektbezogene Anleihen auch für andere Bereiche, z.B. Forschung, sollten geprüft werden. Es bedarf neuer kreativer Ideen, um privates Kapital in den Industriesektor zu holen.

6.3

Von der Finanzkrise sind insbesondere KMU betroffen. Innovative Ideen müssen entwickelt werden, um privates Kapital zu mobilisieren, z.B. die Fremdfinanzierung durch eine anonyme Masse von Kapitalgebern (crowd funding). Der EWSA schlägt vor, dass die Kommission Diskussionsforen mit externen Interessenträgern veranstaltet, um Mittel und Wege zur Mobilisierung privaten Kapitals für industrielle Zwecke zu untersuchen. Weltweit gängige Verfahren sollten berücksichtigt werden. Erfolgversprechende Ideen und Methoden sollten verbreitet werden.

6.4

Der EWSA empfiehlt, dass auch die EIB - zusammen mit dem EIF - ermutigt werden sollte, ihre Anstrengungen zur Entwicklung gezielter Förderinstrumente für europäische KMU fortzusetzen.

6.5

Die Rolle der EIB ist umso wichtiger, als sie ein Vorbild für andere private Investoren sowie ein Katalysator für die Anziehung zusätzlicher Finanzmittel ist. Das schließt auch die Förderung langfristiger Investitionen ein, die für die Entwicklung innovativer Prozesse erforderlich sind. Soziale und ökologische Kriterien sollten für EIB-Darlehen herangezogen werden, einschließlich Ex-post-Evaluierungen der Auswirkungen der EIB-Ausgaben für die europäische Industrie insgesamt und für die Verwirklichung von Zielen der EU.

6.6

In Bezug auf das RP7 und das RP8 begrüßt der EWSA, dass die Kommission ihr Augenmerk zunehmend auf innovative Industrieprojekte und (grenzüberschreitende) Zusammenarbeit legt.

6.7

Derzeit stehen die Verbreitung und Vertiefung von Wissen im Mittelpunkt jedweder EU-Mittelbereitstellung für FuE. Projekte, die im Einklang mit den Positionen der EU-Technologieplattformen stehen, müssen unterstützt werden, ebenso wie das Europäische Institut für Innovation und Technologie (EIT) (16). Der EWSA plädiert für weitere Vereinfachungen bei der Umsetzung. Die EU-Finanzmittel sollten zielgerichtet investiert werden, um einen Multiplikatoreffekt der öffentlichen und/oder privaten Investitionen zu erzeugen.

6.8

Das bedeutet, dass das RP8 neben der Grundlagenforschung auch an industriepolitischen Zielen ausgerichtet sein muss. In jedem Falle ist für industrielle Großprojekte eine effiziente Koordinierung zwischen der (zentralisierten) EU-Finanzierung und der nationalen Finanzierung notwendig.

6.9

Dasselbe gilt für das Wettbewerbsfähigkeits- und Innovationsprogramm (CIP) für KMU in den Bereichen Energie, IKT und Unternehmergeist.

6.10

Die Entwicklungen in monoindustriellen Regionen sollten ganz neu betrachtet werden, um die industrielle Diversifizierung erfolgreicher anzuregen. Die EU-Finanzierung von CO2-Reduzierungs- und Umweltschutzprojekten ist im Interesse der nachhaltigen Entwicklung.

6.11

Die Beziehung zwischen Innovation und Industriepolitik liegt auf der Hand. Innovation ist ein sehr großer Themenbereich, der auch nichttechnische Aspekte umfasst. Richtigerweise haben die innovations- und industriepolitischen Leitinitiativen weitgehend dieselben Schwerpunkte und Ziele wie Innovationspartnerschaften. Dies wird die Wirksamkeit und Sichtbarkeit erhöhen.

6.12

Eine mögliche Deindustrialisierung muss vermieden werden, indem die Verbindungen zwischen Innovation und Industrie gestärkt werden (17), u.a. durch die Herausstellung von „Grundlagentechnologien“. Die Bedingungen für wissensbasierte Industriezweige sollten verbessert werden.

6.13

Die Forschungs- und Innovationspolitik auf nationaler und EU-Ebene ist mit der Industriepolitik eng verknüpft, insbesondere aufgrund des Drucks schwindender Haushaltsmittel und der Anstrengungen auf anderen Kontinenten. Die Reduzierung und/oder die Auslandsverlagerung (offshoring) von Forschungsausgaben von Unternehmen ist ebenfalls besorgniserregend.

6.14

Die Umwandlung von Forschungs- und Wissenschaftsergebnissen in Produkte mittels angewandter Technologie bleibt ein Schwachpunkt in ganz Europa. Auch wenn die Grundlagenforschung von entscheidender Bedeutung bleibt, betont der EWSA die Notwendigkeit eines effizienten, nachhaltigen und schnelleren Übergangs vom „Labor“ in die Realwirtschaft.

6.15

Die Ziele im Rahmen des Übergangs hin zu einer energieeffizienten und CO2-armen Wirtschaft eröffnen zusätzliche Chancen für bahnbrechende Innovationen.

6.16

Eine bessere Koordinierung innerhalb und zwischen Wissensketten muss Priorität haben. Dies sollte von allen Interessenträgern im öffentlichen und privaten Sektor diskutiert werden, um Lücken zu schließen sowie Mehrwert und Effizienz zu fördern.

6.17

Die Universitäten werden ihrer Rolle als Bestandteil des Wissensdreiecks immer noch nicht voll gerecht. Mehr Aufmerksamkeit verdienen offene und grenzüberschreitende Netze zwischen Hochschulen und Industrie. Die EU sollte sich auf die Förderung entsprechender Entwicklungen konzentrieren.

6.18

Das Sozialkapitel von Europa 2020 umfasst mehrere Elemente. Die Schaffung von Arbeitsplätzen durch private Investitionen und durch Liefer- und Wertschöpfungsketten und KMU ist von zentraler Bedeutung. Dieses Ziel sollte die öffentliche Akzeptanz der Strategie verstärken.

6.19

Arbeitnehmer sollten einbezogen werden und aktiv mitwirken. Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit eines wirkungsvollen sozialen Dialogs und die Förderung gemeinsamer Ziele und Verpflichtungen in dieser Ära dynamischer Veränderungen. Der soziale Dialog ist auch nötig für sozialverträgliche Lösungen und für die Schaffung von Vertrauen in die wirtschaftliche Umgestaltung; darüber hinaus sollte er die öffentliche Sensibilität und Akzeptanz verstärken.

6.20

Die Mitgliedstaaten haben auf diesem Gebiet ihre eigenen Traditionen. Nach Auffassung des EWSA sollten die Einbeziehung und Beteiligung von Arbeitnehmern auf der Ebene von Unternehmen, Regionen, Ländern und der EU stattfinden, um Veränderungen besser voraussehen und gestalten zu können. Auf EU-Ebene sind branchenspezifische soziale Dialoge sehr nützliche Instrumente, die die Kommission weiterhin unterstützen und dort, wo es sie noch nicht gibt, anregen sollte.

6.21

Schulische und berufliche Bildung auf allen Ebenen hat oberste Priorität. Arbeitsmarktanalysen (auf Branchenebene) sollten als Grundlage für Leitlinien zur Aufstellung von Lehrplänen dienen, um mittel- und langfristigen Kompetenzerfordernissen Rechnung zu tragen. Geschlechtsspezifische Unterschiede müssen beseitigt werden. In einigen Bereichen wie Ingenieurs- und Technikberufen ist das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt besorgniserregend. Der Unternehmergeist ist zu fördern.

6.22

Leitlinien und die Verbreitung bewährter Vorgehensweisen sind nötig, um (Hoch-) Schulcurricula entsprechend zu gestalten (18). Der EWSA fordert die Kommission auf, ihr Engagement auf diesem Gebiet zu verstärken.

6.23

Globale Entwicklungen machen eine aktive europäische Handelspolitik erforderlich. Die arbeitsbezogene Unterscheidung zwischen Ländern mit „hohem“ und mit „niedrigem“ Wert verschwimmt immer mehr. Es finden rasante wirtschaftliche und soziale Umwälzungen statt, insbesondere in Asien. Gleiche globale Wettbewerbsbedingungen in Bezug auf ökologische und soziale Standards, die Wechselseitigkeit des Marktzugangs, das geistige Eigentum usw. sind daher umso wichtiger (19).

6.24

Der EWSA betont, dass im EU-Beschlussfassungsprozess und bei der Beurteilung künftiger Rechtsvorschriften stets dem Aspekt der weltweiten Bedingungsgleichheit Rechnung zu tragen ist. Darüber hinaus bedarf es eines besseren Monitorings und einer strengeren und wirksameren Marktüberwachung in der EU. Die Befugnisse im Bereich der Zollkontrolle sollten ausgeweitet werden.

6.25

Die Bedeutung der Standardisierung als wichtiges Binnenmarktinstrument kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Amerikanische und chinesische Unternehmen übernehmen diese Normen häufig spontan, weil sie eine weltweite Wegbereiterfunktion haben.

6.26

Der EWSA unterstreicht die Beziehungen zwischen Industrie- und Handelspolitik und damit zusammenhängenden Themenbereichen. Künstlichen Handels- und Investitionshemmnissen in anderen Weltregionen muss entgegengewirkt werden. Diesbezügliche Verhandlungen können über den Rahmen der WTO hinausgehen und müssen in bi- oder multilateralen Kontexten angegangen werden. Die Außendimension der Industriepolitik impliziert, dass die EU auf jedwedem internationalen Wirtschaftsforum mit einer Stimme sprechen muss (20).

6.27

Die EU muss den von ihren Handelspartnern auferlegten Einschränkungen des Zugangs zu Rohstoffen energisch entgegentreten. Der EWSA begrüßt die Empfehlungen für Maßnahmen in Bezug auf Rohstoffpreise und die Marktkonsolidierung im Bergbausektor. Spekulationen auf Rohstoffmärkten sollten auch Gegenstand des Interesses sein.

6.28

Unbeschadet vereinbarter Energie- und Klimaziele und -normen der EU müssen politische Instrumente im Hinblick auf das Ausmaß ihrer Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sorgfältig geprüft und gestaltet werden (21). Eine ressourceneffiziente und kohlenstoffarme Wirtschaft in Europa impliziert, dass die EU von ihren Handelspartnern die Erreichung derselben Normen verlangt (22). Multilaterale Abkommen sind hier die beste Lösung. Handelssanktionen sollten hingegen vermieden werden.

6.29

In Bezug auf Sozialstandards verweist der EWSA auf die Erklärungen der ILO über Kernarbeitsnormen von 1998 zu Diskriminierung, Kinderarbeit und Zwangsarbeit sowie die Freiheit von Gewerkschaften und Tarifverhandlungen (23). Die ILO-Konventionen sind konkreter, doch werden sie von einer Reihe von Ländern nicht unterzeichnet bzw. umgesetzt.

6.30

Die soziale Verantwortung der Unternehmen (engl. CSR) muss eine international gängige Praxis sein, die auf den Erklärungen der ILO und den OECD-Leitlinien sowie auf anderen allgemein anerkannten internationalen Instrumenten beruht (24). Unternehmen benutzen CSR bereits als Gütezeichen zur Imagepflege.

7.   Verhältnis zwischen der nationalen Industriepolitik und der EU

7.1

Trotz der Unterschiede zwischen den Bundesstaaten funktioniert die US-Wirtschaft mit einem Markt und einer Zentralregierung. Dies gilt auch für China und andere Länder.

7.2

In Europa hingegen haben die Mitgliedstaaten jeweils eine eigene Form der Industriepolitik (25). Die Vielfalt dieser Form ist auch auf die unterschiedlichen einzelstaatlichen Entscheidungsstrukturen und -traditionen, besondere Beziehungen zwischen öffentlichen und privaten Sektoren und divergierende Wirtschaftssysteme und komparative Vorteile zurückzuführen. Außerdem mag die derzeitige Krise zu einem versteckten Protektionismus verleiten.

7.3

Aufgrund all dieser Disparitäten gibt es in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Fortschritte in den Bereichen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Der Rat hält jährliche Berichte über die Entwicklung der nationalen Industriepolitik für wünschenswert. Angesichts der begrenzten Befugnisse der Kommission in diesem Bereich ist dies keineswegs ein leichtes Unterfangen.

7.4

Ein Hauptziel der Europa-2020-Strategie besteht darin, die EU und die Mitgliedstaaten einander anzunähern. Die Kommissionsberichte können ein Zusatzaspekt des Regierens auf EU-Ebene sein. Transparenz, Erfolgsbeispiele und bewährte Methoden können zu einer positiven Übereinstimmung zwischen den Positionen der Regierungen führen. Sie sollten Anlass zur Diskussion im Rat über verschiedene Konzepte und ihren praktischen Ergebnissen sein.

7.5

Natürlich ist es jedem Mitgliedstaat überlassen, seine eigenen Stärken zu definieren sowie Kenntnisse und andere Infrastrukturen zu schaffen, wenn die Maßnahmen in Einklang mit den EU-Bestimmungen stehen. Foren für die Diskussion über Erfahrungen können die Zusammenarbeit zwischen Gruppen von Mitgliedstaaten verstärken.

7.6

Die Überwachung und Bewertung einzelstaatlicher Leistungen kann neue Chancen für Regierungen, Regierungen und Kommission und selbstverständlich für Unternehmen (insbesondere die zahlreichen international operierenden KMU) eröffnen.

7.7

Mehrere Länder haben eigene Innovationsplattformen mit nationalen Zielsetzungen. Diese nützen nur selten den gemeinsamen europäischen Zielen. Der EWSA spricht sich dafür aus, zu untersuchen, wie grenzüberschreitende Konzepte die Effizienz steigern könnten. Bewährte Methoden sollten verbreitet und erörtert werden.

7.8

In den Jahresberichten sollte die Kohärenz zwischen der EU-Industriepolitik und der nationalen Politik analysiert werden. Seit kurzem veröffentlichen Mitgliedstaaten – z.B. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und die Niederlande – Strategiepapiere zu ihrer nationalen Politik (26). Die Verknüpfung mit europäischen Zielen und Maßnahmen ist jedoch weiterhin nicht sehr ausgeprägt. Der EWSA empfiehlt der Kommission, diese nationalen Berichte in ihrem nächsten Jahresbericht aus europäischer Perspektive zu analysieren.

7.9

Die Mitgliedstaaten intensivieren auch ihren Meinungsaustausch über wünschenswerte industriepolitische Maßnahmen. Derartige Methoden sollten ebenso wie operative Ergebnisse eine EU-weite Verbreitung finden, um den nationalen Tunnelblick zu überwinden und den Horizont zu erweitern.

7.10

Auch die Regionen und Ballungsräume müssen Verantwortung übernehmen. Sie sollten in die Lage versetzt werden, Cluster zu entwickeln und die Zusammenarbeit mit Schulen, Wissenszentren und der Industrie auszubauen (z.B. durch die Entwicklung regional-sektorialer Netze).

7.11

Die Bewertung der Kommission sollte auf Leistungen und Verfahren in spezifischen Bereichen abheben, z.B. im öffentlichen Auftragswesen (17 % des BIP), wo - laut Analysen und im Widerspruch zu EU-Richtlinien - einzelstaatliche Industrieziele weiterhin vorherrschen.

7.12

Ein häufig übersehener Sonderfall sind Militärgüter. Schwindende Haushaltsmittel gehen häufig auf Kosten von Rüstungsausgaben. Unabhängige Untersuchungen sollten die Grundlage für ein günstigeres Kosten-Nutzen-Verhältnis schaffen.

7.13

In diesem Bereich unterstreicht der EWSA die Notwendigkeit, innerhalb der EU Hürden zu beseitigen und gleichzeitig wettbewerbsfähige grenzüberschreitende Lieferketten zu entwickeln. Übertragungs- und Nebeneffekte zwischen militärischer und ziviler Produktion sollten gefördert werden. Parallel dazu sollte eine europäische Harmonisierung von Ausfuhrgenehmigungen erwogen werden.

7.14

Ein weiterer interessanter Bereich ist die Versorgungswirtschaft. Auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme der Kommission sollte auf mehr Offenheit bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und/oder bewährten Methoden hingewirkt werden.

7.15

EU-Analysen können aufschlussreiche Informationen über die Qualität eines breiten Spektrums von Bedingungen in den Mitgliedstaaten zutage fördern. Es sollten Anreize für die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren (ohne Beeinträchtigung der Produktsicherheit und des Verbraucherschutzes) und die Verringerung der finanziellen Belastungen geschaffen werden (27). Entsprechende Schritte wurden in einigen Bereichen und Ländern bereits eingeleitet.

Brüssel, den 4. Mai 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Vom Rat (Wettbewerbsfähigkeit) am 10. Dezember 2010 angenommene Schlussfolgerungen des Rates (Ref. 17838/10). Die ersten Schritte des Europäischen Rates am 4. Februar 2011 in Bezug auf Energie und Innovationsförderung sind zu begrüßen.

(2)  Siehe Jahreswachstumsbericht, Abschnitt 9 (KOM(2011) 11 endg.).

(3)  Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation.

(4)  KOM(2004) 274 endg.

(5)  Relevante EWSA-Stellungnahmen können unter http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.enterprises-and-industry abgerufen werden.

(6)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Innovative Arbeitsplätze als Grundlage für Produktivität und hochwertige Beschäftigung“, verabschiedet am 18.3.2011 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht), insbesondere Ziffer 2.6.

(7)  Der EWSA betont die besondere Bedeutung der Raumfahrtindustrie für die Entwicklung entlegener und ländlicher Gebiete.

(8)  Siehe u.a.: Les secteurs créateurs d'emploi à court-moyen terme après la crise, Veröffentlichung des dem französischen Premierminister unterstellten Centre d'analyse stratégique vom November 2010.

(9)  Beispielsweise hat Deutschland seinen Innovationsetat um 20 % erhöht.

(10)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Entwicklung der Wertschöpfungs- und Lieferketten: europäische und globale Tendenzen“ (ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 1).

(11)  Das erste Beispiel für die Anwendung dieser Methode findet sich in der 2005 initiierten Strategie „LeaderSHIP 2015“ für den europäischen Schiffbausektor.

(12)  Veranschaulicht wird dies durch zunehmende Tendenzen in einer Reihe von Regionen und Ballungsräumen in Europa, in denen veraltete industrielle Strukturen durch zukunftsorientierte Investitionen ersetzt werden und eine neue Dynamik vorherrscht.

(13)  Diese Ansicht vertrat der EWSA bereits in dem Informationsbericht „Branchenspezifische Untersuchung von Betriebsverlagerungen“ (2006), in dem Fehler bei der Vergleichbarkeit von Daten, die die Kommission verwendet, nachgewiesen wurden.

(14)  Hier werden folgende Märkte herausgestellt: Elektronische Gesundheitsdienste („eHealth“), Schutztextilien, nachhaltiges Bauen, Recycling, biobasierte Produkte und erneuerbare Energie.

(15)  Siehe Fußnote 2.

(16)  Die ersten drei sog. Wissens- und Innovationsgemeinschaften wurden bereits auf den Weg gebracht.

(17)  Siehe u.a. „The de-industrialisation of Europe. There is no more time to lose!“, Académie Royale de Belgique, 2010.

(18)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Universitäten für Europa“ (ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 48).

(19)  Siehe die Mitteilung zur Handelspolitik SEK(2010) 1268.

(20)  Siehe die Stellungnahmen des EWSA zum Thema „Auswärtige Dimension der EU-Industriepolitik: Trägt die EU-Handelspolitik den Interessen der europäischen Industrie gebührend Rechnung?“ (Siehe Seite 25 dieses Amtsblatts) und ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 41.

(21)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Auswirkungen der aktuellen Entwicklung auf den Energiemärkten auf die industriellen Wertschöpfungsketten in Europa“ (ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 88), insbesondere Ziffer 1.6.

(22)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Auswirkungen internationaler Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen auf den industriellen Wandel in Europa“ (ABl. C 185 vom 8.8.2006, S. 62).

(23)  Siehe die Erklärung der ILO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit (1998).

(24)  Z.B. „UN Global Compact“ und „International Financial Reporting Standards“ (IFRS, einschließlich „International Accounting Standards“). Erwähnenswert sind die von John Ruggie erarbeiteten UN-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte.

(25)  Überspitzt formuliert, macht das 27 Industrie- und Innovationspolitiken.

(26)  Im Fokus: Industrieland Deutschland (Deutschland), Feuilles de route des comités stratégiques de filière (Frankreich), The Growth Agenda (Großbritannien; darauf folgt bald ein detailliertes Programm), Plan Integral de Política Industrial 2020 (Spanien), Naar de top: de hoofdlijnen van het nieuwe bedrijfslevenbeleid (Niederlande).

(27)  Stoiber-Gruppe.


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