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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 61982CC0011(01)

Schlussanträge des Generalanwalts vom 11. Oktober 1984.
SA Piraiki-Patraiki und andere gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Schutzmaßnahmen - Griechische Baumwollgarne.
Rechtssache 11/82.

Sammlung der Rechtsprechung 1985 -00207

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:1984:310

SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PIETER VERLOREN VAN THEMAAT

vom 11. Oktober 1984 ( *1 )

Herr Präsident,

meine Herren Richter!

1. Einleitung

1.1.

In meinen Schlußanträgen vom 14. Oktober 1982 habe ich mich bereits zu der von der Kommission erhobenen Einrede der Unzulässigkeit der Klage der S.A. Piraiki Patraiki u.a. geäußert, mit der die Nichtigerklärung der Entscheidung 81/988/EWG der Kommission vom 30. Oktober 1981 (ABl. 1981 L 362, S. 33) begehrt wird. Die Ausführungen zur Zulässigkeit, die die Parteien nach Ihrem Beschluß vom 6. Dezember 1982, mit dem die Entscheidung über die Einrede mit der Entscheidung in der Sache verbunden worden ist, noch gemacht haben, geben mir keinen Anlaß, meine früheren Schlußanträge insoweit zu ergänzen. Ich erinnere daran, daß ich damals zu dem Schluß kam, daß die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen ist, soweit die Klage die von den Klägerinnen bei Erlaß der Kommissionsentscheidung bereits geschlossenen Ausfuhrverträge betrifft. Die betroffenen Verträge liegen in Photokopie als Anhang zur Erwiderung der Klägerinnen bei. Die Kommission räumt ein, daß jedenfalls ein Teil dieser Verträge von den streitigen Schutzmaßnahmen betroffen wurde. Deshalb liegt die von mir beschriebene Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage jedenfalls für einen Teil der Klägerinnen vor. Im Rahmen dieser Schlußanträge werde ich mich deshalb allein der Begründetheit der Klage widmen. Allerdings weise ich schon jetzt darauf hin, daß die Kommission ihren letzten Ausführungen in der mündlichen Verhandlung zufolge, die sie unter anderem auf Ihre Fragen hin gemacht hat, die von mir vertretene Begründung der Zulässigkeit vor allem deswegen fürchtet, weil sie davon automatische unannehmbare Folgen für die Vorbereitung und den Inhalt solcher Schutzmaßnahmen erwartet, wie sie hier streitig sind. Zum einen meint die Kommission, mein Standpunkt habe zur Folge, daß sie in Zukunft folglich bei der Vorbereitung einer Genehmigung für Schutzmaßnahmen von Amts wegen der Frage nachgehen müßte, welche bestehenden Verträge dadurch betroffen würden. Zum anderen befürchtet sie offenbar, daß mein Standpunkt, wenn der Gerichtshof ihm folgen würde, Übergangsbestimmungen für bestehende Verträge mit der Gefahr betrügerischer Vordatierung erforderlich machen würde. Der Umstand, daß man den betroffenen Unternehmen die von mir vertretene Klagemöglichkeit zugesteht, muß aber an sich keine dieser von der Kommission befürchteten Folgen für die Vorbereitung von Schutzmaßnahmen oder deren Inhalt nach sich ziehen.

1.2. Der maßgebliche Sachverhalt

Die angefochtene Entscheidung beruht auf Artikel 130 der Akte über den Beitritt Griechenlands. Diese Bestimmung entspricht nahezu völlig Artikel 226 EWG-Vertrag. Im Unterschied zu Artikel 226 EWG-Vertrag können sich auf Artikel 130 der Beitrittsakte jedoch nur die Griechische Republik selbst und die anderen Mitgliedstaaten gegenüber der Griechischen Republik berufen.

Was den Inhalt der angefochtenen Entscheidung anbelangt, verweise ich im wesentlichen auf die bereits genannte Fundstelle im Amtsblatt. Für die Beurteilung der Begründetheit sind vor allem die folgenden Merkmale der Begründung von Bedeutung. Die französische Regierung beantragte die Genehmigung zur Anwendung von Schutzmaßnahmen gegenüber der Einfuhr sämtlicher aus Griechenland stammender Baumwollgarne (Kammgarne wie auch gekrempelte Garne). Die Begründung für die erheblichen und anhaltenden Schwierigkeiten in einem Zweig der französischen Wirtschaft und einem bestimmten Gebiet Frankreichs bezieht sich jedoch ausschließlich auf Kammgarne (dritte bis achte Begründungserwägung). Die in der neunten Begründungserwägung mitgeteilten Einfuhrstatistiken erfassen sowohl Kammgarne als auch gekrempelte Garne. In der zehnten Begründungserwägung wird festgestellt, daß nach diesen Einfuhrstatistiken die Einfuhren im ersten Halbjahr 1981 nur in Frankreich und Irland zugenommen haben. Für den in der elften Begründungserwägung gezogenen Schluß, daß die Zunahme der französischen Einfuhren aus Griechenland als Hauptursache für die Verschärfung der Schwierigkeiten der französischen Kammgarnhersteller angesehen werden muß, kann diese Feststellung nur insoweit als ausreichende Grundlage gelten, als in dieser Begründungserwägung zugleich festgestellt wird, daß die Kammgarneinfuhren ungefähr 75 % der Einfuhren von Baumwollgarnen aus Griechenland ausmachen. Aus der zwölften und dreizehnten Begründungserwägung der Entscheidung ergibt sich, daß Frankreich ungeachtet der Absicht, nur die französische Kammgarnindustrie vorübergehend zu schützen — aus zolltechnischen Gründen — ermächtigt wurde, die Einfuhr aller aus Griechenland stammender Baumwollgarne während der in der Entscheidung genannten Zeit auf die dort genannten Mengen zu beschränken. Artikel 3 der Entscheidung enthält eine Übergangsbestimmung, wonach die Entscheidung nicht für Baumwollgarnlieferungen galt, deren Einfuhr bereits erfolgt war, bevor die Entscheidung Frankreich und Griechenland mitgeteilt worden war.

1.3.

Hinsichtlich der sechs Klagegründe verweise ich im wesentlichen auf die Klageschrift. Mit dem ersten und wichtigsten Klagegrund wird geltend gemacht, daß die vier wichtigsten Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 130 der Beitrittsakte verletzt worden seien. Im zweiten Klagegrund werden Begründungsmängel hinsichtlich derselben Anwendungsvoraussetzungen gerügt. Mit dem dritten Klagegrund wird der Kommission vorgeworfen, den in Artikel 130 Absatz 3 aufgestellten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt zu haben, damit werden jedoch nur der dritte und der vierte Teil des ersten Klagegrundes näher ausgeführt. Die drei ersten Klagegründe sind deshalb am besten zusammen zu behandeln.

Mit dem vierten Klagegrund rügen die Klägerinnen, die Kommission habe das Diskriminierungsverbot dadurch verletzt, daß sie Frankreich nur gegenüber der Griechischen Republik zur Anwendung von Schutzmaßnahmen ermächtigt habe. Dieser Klagegrund ist ohne weiteres zurückzuweisen, da die Kommission weder nach Artikel 130 der Beitrittsakte noch nach Artikel 226 EWG-Vertrag Frankreich ermächtigen kann, in dem betreffenden Zeitraum auch gegenüber anderen Mitgliedstaaten Schutzmaßnahmen anzuwenden.

Mit dem fünften Klagegrund werfen die Klägerinnen der Kommission vor, den Grundsatz der Gemeinschaftspräferenz dadurch verletzt zu haben, daß sie ihre Untersuchungen und Maßnahmen auf die Einfuhren aus Griechenland beschränkt habe. Auch diesen Klagegrund werde ich zusammen mit den ersten drei Klagegründen untersuchen. In der vorliegenden Rechtssache ist die Bedeutung dieses Klagegrundes meiner Ansicht nach auf die Frage des Kausalzusammenhangs zwischen den Schwierigkeiten der französischen Kammgarnindustrie und den Kammgarneinfuhren aus Griechenland beschränkt.

Mit dem sechsten Klagegrund machen die Klägerinnen einen Verstoß gegen den Grundsatz des freien Wettbewerbs geltend, der sowohl dem EWG-Vertrag als auch der Beitrittsakte zugrunde liege. Da jeder Rückgriff auf Artikel 130 der Beitrittsakte definitionsgemäß die Wettbewerbsmöglichkeiten der davon betroffenen Exportindustrie einschränkt, ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.

Im Ergebnis sind deshalb im wesentlichen die ersten drei Klagegründe von Bedeutung, wobei jedoch auch der fünfte Klagegrund, wie angegeben, zu berücksichtigen ist. In Anbetracht der — im Sitzungsbericht herausgearbeiteten — Schwerpunkte in den Schriftsätzen der Parteien sowie angesichts der in der mündlichen Verhandlung von den Parteien vorgebrachten Argumente, sind meiner Ansicht nach für den Gerichtshof die nachstehenden Fragen ausschlaggebend:

1)

Ist hinreichend erwiesen, daß die Schwierigkeiten der französischen Kammgarnindustrie während des betreffenden Zeitraums erheblich und zudem in beträchtlichem Umfang durch die Einfuhr von Kammgarnen aus Griechenland verursacht waren?

2)

Bildet der Kammgarnsektor einen „Wirtschaftszweig“ im Sinne von Artikel 130 der Beitrittsakte?

3)

Sind die in Artikel 130 der Beitrittsakte genannten Kriterien der erheblichen Schwierigkeiten eines Wirtschaftszweiges und der beträchtlichen regionalen Schwierigkeiten kumulativ oder alternativ zu verstehen?

4)

Hat die Kommission in ihrer Entscheidung das in Artikel 130 Absatz 3 der Beitrittsakte aufgestellte Tatbestandsmerkmal der „unbedingten Erforderlichkeit“ der genehmigten Maßnahmen und den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz namentlich dadurch verletzt, daß sie die Interessen der griechischen und der französischen Hersteller unzureichend gegeneinander abgewogen und diese Maßnahmen auf andere Garne als Kammgarne ausgedehnt hat?

Im zweiten Teil meiner Schlußanträge werde ich diese meiner Ansicht nach entscheidenden Punkte nacheinander behandeln. Wie bereits bemerkt, entsprechen sie im wesentlichen den ersten drei Klagegründen der Klägerinnen. Die übrigen Klagegründe habe ich bereits als unbegründet erachtet.

2. Würdigung der genannten Punkte

2.1. Die Schwierigkeiten der französischen Kammgarnindustrie und ihre Ursachen

Die Klägerinnen räumen in ihrer Klageschrift und in ihrer Erwiderung ein, daß die Kammgarnherstellung in Frankreich im Jahr 1981 um 11,2 % gesunken sei, daß die Einfuhr von Kammgarn aus Griechenland nach Frankreich zwischen 1980 und 1981 zugenommen habe und daß ihr Marktanteil in Frankreich in diesem Zeitraum von 17,5 % auf 24,5 % gestiegen sei. Sie räumen ebenfalls ein, daß der Anteil der griechischen Einfuhren an den Gesamteinfuhren Frankreichs in diesem Zeitraum von 55,3 % auf 59,9 % gestiegen sei. Sie bestreiten auch die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung nicht, daß von den griechischen Ausfuhren in die Mitgliedstaaten der EWG im ersten Halbjahr 1981 allein diejenigen nach Frankreich und Irland gestiegen seien. Angesichts dieser von den Klägerinnen eingeräumten und den sonstigen, an sich unstreitigen Tatsachen, die in der Entscheidung genannt sind, hat die Kommission meiner Ansicht nach ausreichend dargelegt, daß sich die französische Kammgarnindustrie tatsächlich in erheblichen Schwierigkeiten befand. Obwohl die Kommission ausdrücklich eingeräumt hat, daß diese erheblichen Schwierigkeiten auch interne Ursachen hatten, halte ich es ferner aufgrund der von den Klägerinnen eingeräumten und oben genannten Tatsachen für hinreichend erwiesen, daß die Einfuhr von Kammgarnen aus Griechenland beträchtlich zu diesen Schwierigkeiten beigetragen hat. Die Kommission geht in ihren Schriftsätzen selbst davon aus, daß Artikel 130 der Beitrittsakte ihr insoweit kaum Handlungsfreiheit läßt. Für eine restriktive Auslegung des Artikels 130 spricht ferner, daß seine Anwendung einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundlagen der Gemeinschaft darstellt, wie die Klägerinnen zu Recht ausgeführt haben. Auch der entsprechende Artikel 226 EWG-Vertrag ist seinerzeit nur mit größter Zurückhaltung von der Kommission angewandt worden. Obwohl Generalanwalt Dutheillet de Lamothe in der Rechtssache 37/70 (Rewe-Zentrale, Slg. 1971, 39, 42 f.) bei Schutzmaßnahmen wie den vorliegenden zu Recht für einen gewissen Handlungsspielraum der Kommission plädiert hat, wird dieser natürlich nicht so weit gehen dürfen, daß der Gerichtshof gehindert wird, die Einhaltung der sehr strengen Anwendungsvoraussetzungen von Artikel 130 der Beitrittsakte zu gewährleisten. Im vorliegenden Fall halte ich jedoch die Schwierigkeiten der französischen Kammgarnindustrie und den erheblichen Beitrag der griechischen Einfuhren zu diesen Schwierigkeiten, wie schon gesagt, tatsächlich für hinreichend erwiesen.

2.2. Der Begriff „Wirtschaftszweig“

Wie ich bereits in meinen einleitenden Bemerkungen angedeutet habe, sind die dritte bis elfte Begründungserwägung der Entscheidung hinsichtlich der angeblich erheblichen Schwierigkeiten völlig auf die französische Kammgarnindustrie zugeschnitten. Angesichts der in der zwölften Begründungserwägung genannten Schwierigkeiten, Kammgarne und gekrempelte Garne zu unterscheiden, haben die Klägerinnen zu Recht die Frage aufgeworfen, ob damit die Feststellung in der dritten Begründungserwägung der Entscheidung zu vereinbaren sei, daß Kammgarne eine Ware seien, die sich eindeutig von den anderen ähnlichen Erzeugnissen unterscheide und daher einen Wirtschaftszweig im Sinne von Artikel 130 der Beitrittsakte darstelle.

Teil a des ersten Klagegrundes, mit dem die Klägerinnen in Abrede stellen, daß die Kammgarnherstellung ein Wirtschaftszweig sei, muß jedoch auch abgesehen von diesen einander widersprechenden Begründungserwägungen als begründet angesehen werden. Der Begriff „Wirtschaftszweig“ oder „Gewerbezweig“ ist an sich kein absoluter, sondern ein relativer Begriff, dessen Inhalt vom Ziel der Marktregelung abhängt, in deren Rahmen er eine Rolle spielt. So gelten Tarifverträge und andere Arbeitsmarktregelungen meistens für sehr weit gefaßte Wirtschaftszweige, z. B. die gesamte Metallindustrie, die gesamte Textilindustrie oder die gesamte Chemie- oder Lebensmittelbranche. Hingegen gelten privat- oder öffentlichrechtliche Marktordnungen in der Regel für viel beschränktere Wirtschaftszweige. Die Marktordnungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie Preisabsprachen und sonstige Kartellabreden zwischen Unternehmen bieten reichhaltiges Anschauungsmaterial für diesen gewöhnlich weniger umfassenden Begriff des Wirtschaftszweiges im Wirtschaftsverwaltungsrecht. An sich hat die Kommission sicher recht mit ihrer Behauptung, der Kammgarnbereich weise auf Angebots- und Nachfrageseite eigene Merkmale auf. Wendet man den in Ihrer Rechtsprechung zu den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag verwendeten Begriff des „relevanten Marktes“ auf die vorliegende Problematik an, dann könnte die Kammgarnherstellung auch sicher als ein gesonderter „Wirtschaftszweig“ angesehen werden. Meiner Ansicht nach sprechen zwei zwingende Gründe dagegen, den Begriff „relevanter Markt“ mit dem Begriff „Wirtschaftszweig“ in Artikel 130 der Beitrittsakte gleichzustellen. Der erste Grund ist sprachlicher Art. Es widerspräche dem Sprachgebrauch, eine Gruppe von Unternehmen, die in wesentlichen Bereichen ihrer Organisation miteinander verbunden sind, allein aus dem Grund nicht als einen, sondern mehrere Wirtschaftszweige anzusehen, weil diese Unternehmen verschiedene Arten von Erzeugnissen mit jeweils einem eigenen relevanten Markt herstellen (z. B. die Autoreifenindustrie in der Rechtssache 322/81, Michelin, Slg. 1983, 3461). Wichtiger ist jedoch ein zweiter Grund. Es wäre mit der restriktiven Absicht, die mit den Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 130 verfolgt wird, nicht zu vereinbaren, den Begriff „Wirtschaftszweig“ so auszulegen, daß die Anwendung von Schutzmaßnahmen aus praktischtechnischen Gründen nicht auf den betroffenen Wirtschaftszweig beschränkt werden könnte, ohne also zugleich Handelshemmnisse für nicht zu diesem Wirtschaftszweig gehörende Erzeugnisse hervorzurufen. Der Begriff „Wirtschaftszweig“ ist, wie gesagt, ein relativer Begriff, der im Licht der Ziele der betroffenen Regelung auszulegen ist.

Die Begründung des in der dritten Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung verwendeten Begriffes „Wirtschaftszweig“ ist offenbar von der Definition und der Anwendung dieses Begriffes in der Rechtssache 13/63 (Italien/Kommission, Slg. 1963, 357) abgeleitet. Der Gerichtshof hat dort (S. 381) ausgeführt: „Die Erzeugung einer Ware kann jedoch einen solchen ‚Wirtschaftszweig‘ darstellen, wenn diese Ware sich nach allgemeiner Auffassung deutlich von verwandten Waren unterscheidet.“ Die damals streitige Herstellung von Kühlschränken konnte für die Anwendung des mit Artikel 130 der Beitrittsakte vergleichbaren Artikels 226 EWG-Vertrag sicher als ein innerhalb des umfassenderen Wirtschaftszweigs der elektrischen Haushaltsgeräte klar unterscheidbarer Wirtschaftszweig angesehen werden. Die Beschränkung der Schutzmaßnahmen auf dieses Erzeugnis, die völlig den restriktiven Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 226 entsprach, stellte keine praktischen oder technischen Probleme dar. Im vorliegenden Fall ist die Beschrankung der Schutzmaßnahmen auf den in der dritten Begründungserwägung der Entscheidung für relevant gehaltenen „Wirtschaftszweig“ jedoch offenbar aus praktischen Gründen sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Die in der Entscheidung verwendete Auslegung des Begriffes „Wirtschaftszweig“ ist in diesem Fall mit der Zielsetzung des Artikels 130 der Beitrittsakte unvereinbar.

2.3. Anwendbarkeit des Tatbestandsmerkmals der beträchtlichen regionalen Schwierigkeiten

Die Parteien sind sich darüber einig, daß die Tatbestandsmerkmale der Schwierigkeiten eines Wirtschaftszweiges und eines Gebietes in Artikel 130 der Beitrittsakte nicht kumulativ, sondern alternativ zu verstehen sind. Da die Auswirkungen von Schutzmaßnahmen der hier in Rede stehenden Art nicht auf bestimmte Gebiete des Einfuhrlandes beschränkt werden können, werden Einfuhrbeschränkungen aufgrund von „Schwierigkeiten, ... welche die wirtschaftliche Lage eines bestimmten Gebietes beträchtlich verschlechtern können“, in der Regel nur begründet sein, wenn die Herstellung des fraglichen Erzeugnisses ganz überwiegend in diesem Gebiet erfolgt. Nach der fünften und siebten Begründungserwägung der Entscheidung ist dies hier nicht der Fall, da nur 47 % der betroffenen Arbeitnehmer in dem maßgeblichen Gebiet tätig sind und die Herstellung nur zu 54 % erfolgt. In einem solchen Fall sind meiner Meinung nach allenfalls andere Schutzmaßnahmen, wie z. B. Beihilfen, als mit den Zielen des Artikels 130 vereinbar anzusehen. Ferner sieht die Kommission in ihrer Klagebeantwortung das auf die regionalen Schwierigkeiten gestützte Argument ausschließlich als ein Argument an, das den auf die sektoriellen Schwierigkeiten gestützten Argumenten Nachdruck verleiben soll. Als solches steht und fällt es dann selbstverständlich mit den letztgenannten Argumenten. Das Tatbestandsmerkmal der regionalen Schwierigkeiten kann die Entscheidung deshalb allein nicht rechtfertigen.

2.4. Die „Erforderlichkeit“ nach Artikel 130 Absatz 3 und der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Artikel 130 Absatz 3 der Beitrittsakte bestimmt: „Die nach Absatz 2 genehmigten Maßnahmen können von den Vorschriften des EWG-Vertrags und dieser Akte abweichen, soweit und solange dies unbedingt erforderlich ist, um die in Absatz 1 genannten Ziele zu erreichen“. Außer auf dieses Tatbestandsmerkmal der „unbedingten Erforderlichkeit“ der genehmigten Maßnahmen (Teil c des ersten Klagegrundes) berufen sich die Klägerinnen in ihrer Klageschrift auch auf den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den Sie in Ihrer Rechtsprechung entwickelt haben (Teil a und Teil b des dritten Klagegrundes). Der im Ergebnis schwerwiegendste Vorwurf, den die Klägerinnen der Kommission hinsichtlich dieser Anwendungsvoraussetzungen machen, geht dahin, daß sich die Begründung für das Vorliegen der Voraussetzungen des Artikels 130 Absatz 1 ausschließlich auf Kammgarne beziehe, während die genehmigten französischen Maßnahmen auch gekämmte Baumwollgarne erfaßten.

Sowohl in der zwölften Begründungserwägung der Entscheidung als in dem gesamten Verfahren vor dem Gerichtshof haben die Kommission und die sie unterstützende französische Regierung vorgetragen, daß diese Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Schutzmaßnahmen aus technischen und praktischen Gründen unvermeidlich gewesen sei und auch insoweit im Interesse der griechischen Garnindustrie gelegen habe, als allein auf diese Weise schwierige und langwierige Kontrollen bei der Einfuhr aller Garne aus Griechenland hätten verhindert werden können.

Dieses Vorbringen ist meiner Ansicht nach nicht stichhaltig. Wie sich bereits aus meinen Ausführungen zum Begriff des Wirtschaftszweigs ergibt, hätte diese Auffassung zum einen logisch dazu führen müssen, die Herstellung von Kammgarnen und gekämmten Garnen zusammen als relevanten „Wirtschaftszweig“ anzusehen. Zum anderen hätte in der Entscheidung bei der Prüfung der Voraussetzungen des Artikels 130 Absatz 1 entweder begründet werden müssen, daß in dem gesamten betroffenen französischen Wirtschaftszweig erhebliche und voraussichtlich anhaltende Schwierigkeiten bestanden, oder daß die Herstellung von Kammgarnen den ganz überwiegenden Teil der französischen Herstellung ausmachte. Jedoch ist weder das eine noch das andere geschehen. Daß die Herstellung von Kammgarnen im Gegenteil nur einen kleinen Teil (14 %) der französischen Baumwollgarnindustrie ausmacht, ergibt sich aus der vierten Begründungserwägung der Entscheidung. Schließlich ist weder in der Entscheidung noch im Verfahren begründet worden, warum sich wegen der erwähnten technischen Überwachungsprobleme nicht habe ausschließen lassen, daß die über die genehmigten Kontingente hinausgehende Einfuhr von gekämmten Garnen ohne weiteres von den Auswirkungen der Schutzmaßnahmen ausgenommen gewesen wäre. Dies hätte zum Beispiel so geschehen können, daß als gekämmte Garne deklarierte Einfuhren bei Überschreitung der Kontingente einer Stichprobe in einem Labor unterzogen worden wären, ohne jedoch mengenmäßigen Beschränkungen unterworfen zu sein.

Die Klage ist deshalb, jedenfalls soweit es um die hier in Rede stehenden Klagegründe geht, begründet. Meiner Meinung nach braucht daher auch nicht auf den — zudem nicht unstreitigen — Vorwurf eingegangen zu werden, die Kommission habe den Belangen der griechischen Industrie nicht ausreichend Rechnung getragen.

2.5. Die angeblichen Begründungsmängel

Die von den Klägerinnen behaupteten Begründungsmängel habe ich, soweit sie von Bedeutung sind, bereits im Zusammenhang mit ihren anderen Klagegründen behandelt. Ich gehe deshalb nicht mehr gesondert darauf ein.

3. Ergebnis

Ich gelange zu folgender Beurteilung:

1)

Die Kommission ist bei ihrer Begründung, warum Artikel 130 Absatz 1 anwendbar ist, von einer nicht haltbaren Auslegung des Begriffes „Wirtschaftszweig“ ausgegangen.

2)

Infolge dieser nicht haltbaren Auslegung ist nicht nachgewiesen worden, daß für den umfassenderen Wirtschaftszweig, für den Schutzmaßnahmen genehmigt worden sind, erhebliche Schwierigkeiten bestanden, die die Anwendung dieser Maßnahmen rechtfertigen konnten.

3)

Es sind keine regionalen Schwierigkeiten im Sinne von Artikel 130 Absatz 1 nachgewiesen worden, die allein die Anwendung der genehmigten Schutzmaßnahmen rechtfertigen könnten.

4)

Durch die in der Entscheidung genannten technischen Gründe ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, daß es unbedingt erforderlich gewesen ist, die Schutzmaßnahmen einfach auf Erzeugnisse auszudehnen, für die in der Entscheidung nicht angegeben und schon gar nicht nachgewiesen worden ist, daß ihre unbegrenzte Einfuhr die Schwierigkeiten der französischen Baumwollgarnindustrie weiter vergrößern würde.

Unter Aufrechterhaltung meiner früheren Schlußanträge, wonach die Klage zulässig ist, komme ich aus den genannten Gründen zum Ergebnis, daß die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist und daß die Kommission die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten zu tragen hat, die der Französischen Republik entstanden sind und die diese selbst zu tragen hat.


( *1 ) Aus dem Niederländischen übersetzt.

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