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Vorabentscheidungsersuchen – Empfehlungen an die nationalen Gerichte

ZUSAMMENFASSUNG DER DOKUMENTE:

Empfehlungen an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen

Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Artikel 19 des Vertrags über die Europäische Union

WAS IST DER ZWECK VON ARTIKEL 267 DES VERTRAGS ÜBER DIE ARBEITSWEISE DER EUROPÄISCHEN UNION UND VON ARTIKEL 19 ABSATZ 3 DES VERTRAGS ÜBER DIE EUROPÄISCHE UNION?

Die Empfehlungen:

WICHTIGE ECKPUNKTE

Es ist zu beachten, dass der EuGH den Gerichtshof und das Gericht umfasst. Ihr Ziel ist die Gewährleistung der einheitlichen Auslegung und Anwendung des EU-Rechts.

Änderung der Satzung des EuGH

Mit der Verordnung (EU, Euratom) 2024/2019 zur Änderung wird das Protokoll (Nr. 3) angepasst. Ziel ist es, die große Arbeitsbelastung des Gerichtshofs im Bereich der Vorabentscheidungen zu verringern. Sie überträgt ab dem die Zuständigkeit vom Gerichtshof an das Gericht, in sechs klar definierten und getrennten Sachgebieten Vorabentscheidungen zu erlassen:

Bedeutung des Vorabentscheidungsersuchens

Dieses Verfahren kann sich dann als besonders nützlich erweisen, wenn vor einem nationalen Gericht eine neue Auslegungsfrage aufgeworfen wird, die von allgemeiner Bedeutung für die einheitliche Anwendung des EU-Rechts ist, oder wenn die vorhandene Rechtsprechung nicht die Hinweise zu bieten scheint, die in einer neuen rechtlichen Situation erforderlich sind.

Struktur der Empfehlungen

Eine Reihe von Empfehlungen gilt für alle Vorabentscheidungsersuchen, eine weitere Reihe von Empfehlungen gilt spezifisch für beschleunigte Verfahren2 oder Eilverfahren3.

Wer stellt den Antrag auf ein Vorabentscheidungsersuchen?

Das mit einem Rechtsstreit befasste nationale Gericht trägt die alleinige Verantwortung nicht nur bei der Beurteilung, ob ein Vorabentscheidungsersuchen für den Erlass seiner Entscheidung erforderlich ist, sondern auch bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Fragen, die es dem Gerichtshof der Europäischen Union vorlegt.

Gerichte, die ein Ersuchen vorlegen, müssen u. a.:

  • eine gesetzliche Grundlage haben und ständigen Charakter besitzen;
  • obligatorische Gerichtsbarkeit haben;
  • die Rechtsnormen anwenden und
  • unabhängig sein.

Gegenstand und Geltungsbereich

  • Ein Ersuchen muss sich auf die Auslegung oder Gültigkeit des EU-Rechts beziehen. Es darf sich nicht auf die Auslegung des nationalen Rechts oder auf Tatsachenfragen beziehen, die im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits aufgeworfen werden.
  • Der Gerichtshof entscheidet, ob der Antrag ausschließlich in einem oder mehreren der sechs oben aufgeführten spezifischen Bereiche fällt und entscheidet, ob der Antrag dem Gericht zu übermitteln ist.
  • Der Gerichtshof und das Gericht können über das Ersuchen nur entscheiden, wenn das EU-Recht auf den Fall im Ausgangsverfahren anwendbar ist.
  • Der Gerichtshof und das Gericht wenden das EU-Recht nicht selbst auf Streitigkeiten an, die von einem vorlegenden Gericht vorgebracht werden, da sie zur Beilegung dieses Rechtsstreits beitragen sollen. Die Aufgabe des nationalen Gerichts besteht darin, Schlussfolgerungen aus dem Urteil des Gerichtshofs oder des Gerichts zu ziehen.
  • Vorabentscheidungsersuche sind für die vorlegenden Gerichte und alle Gerichte in den Mitgliedstaaten rechtsverbindlich.
  • Das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union und die Europäische Zentralbank werden von allen Vorabentscheidungsersuchen unterrichtet, damit sie prüfen können, ob sie ein besonderes Interesse an der Angelegenheit haben und ob sie von ihrem Recht Gebrauch machen wollen, Schriftsätze einzureichen oder schriftliche Erklärungen abzugeben.

Zusammenspiel zwischen Vorlage zur Vorabentscheidung und nationalem Verfahren

  • Ein Ersuchen sollte eingereicht werden, sobald ein nationales Gericht feststellt, dass eine Vorabentscheidung erforderlich ist und es in der Lage ist, den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits und die rechtlichen Fragen, die dieser aufwirft, mit hinreichender Genauigkeit zu bestimmen.
  • Die nationalen Verfahren müssen bis zur Entscheidung des Gerichtshofs oder des Gerichts ausgesetzt werden.
  • Das vorlegende Gericht muss den Gerichtshof oder das Gericht über alle Verfahrensereignisse unterrichten, die sich auf die Vorlage auswirken können, insbesondere über eine Klage- oder Antragsrücknahme oder eine gütliche Beilegung des Ausgangsrechtsstreits sowie jedes andere Ereignis, das die Erledigung des Verfahrens zur Folge hat. Es hat den Gerichtshof oder das Gericht außerdem über den etwaigen Erlass einer Entscheidung zu informieren, die im Rahmen eines Rechtsbehelfs ergeht, der gegen die Vorlageentscheidung gerichtet ist, sowie über die Folgen, die diese Entscheidung für das Vorabentscheidungsersuchen hat.

Form und Inhalt des Ersuchens

  • Das Ersuchen wird einfach, klar und präzise abgefasst und ist zu übersetzen, damit alle Mitgliedstaaten ihre Erklärungen abgeben können.
  • Die inhaltlichen Vorgaben für das Ersuchen, das die vom Gericht vorgelegten Fragen begleitet, werden in Artikel 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und in Artikel 199 der Verfahrensordnung des Gerichts dargelegt. Im Anhang der Empfehlungen werden die wesentlichen Punkte nochmals zusammenfassend dargestellt. Sind eine oder mehrere dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist es möglich, dass die entsprechenden Gerichte sich für unzuständig erklären, über die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu entscheiden, oder das Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig zurückweisen.
  • Das vorlegende Gericht kann die Hauptargumente der Parteien des Ausgangsrechtsstreits anführen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nur das Vorabentscheidungsersuchen übersetzt wird, nicht aber eventuelle Anlagen zu dem Ersuchen.
  • Das vorlegende Gericht kann auch knapp darlegen, wie die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen seines Erachtens beantwortet werden sollten. Dies kann sich für den Gerichtshof oder das Gericht insbesondere dann als nützlich erweisen, wenn er im beschleunigten Verfahren oder im Eilverfahren über das Ersuchen entscheiden soll.
  • Die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen müssen in einem gesonderten und klar kenntlich gemachten Teil der Vorlageentscheidung, vorzugsweise an deren Anfang oder Ende, aufgeführt sein. Sie müssen aus sich heraus verständlich sein, ohne dass eine Bezugnahme auf die Begründung des Ersuchens erforderlich ist.
  • Das Vorabentscheidungsersuchen muss maschinengeschrieben beim Gerichtshof eingehen und die einzelnen Seiten und Absätze der Vorlageentscheidung müssen nummeriert sein.

Schutz personenbezogener Daten und Anonymisierung des Vorabentscheidungsersuchens

  • Zur Gewährleistung eines optimalen Schutzes personenbezogener Daten im Rahmen der Behandlung der Rechtssache durch den Gerichtshof oder das Gericht wird das vorlegende Gericht gebeten, die Rechtssache zu anonymisieren, indem es die Namen der in dem Ersuchen genannten natürlichen Personen beispielsweise durch Initialen oder eine Buchstabenkombination ersetzt und die Angaben, die die Identifizierung dieser Personen ermöglichen könnten, unkenntlich macht.

Übermittlung des Vorabentscheidungsersuchens und der Akten des nationalen Verfahrens an den Gerichtshof

  • Alle Ersuchen sind zu datieren und zu unterzeichnen und elektronisch oder per Post an die Kanzlei des Gerichtshofs in Luxemburg zu senden.
  • Der Gerichtshof und das Gericht empfehlen, dass nationale Gerichte die Anwendung e-Curia nutzen.
  • Das Vorabentscheidungsersuchen muss bei der Kanzlei mit allen relevanten und der Behandlung der Rechtssache durch die Gerichte dienlichen Unterlagen sowie insbesondere den genauen Kontaktdaten der Parteien des Ausgangsrechtsstreits und von deren etwaigen Vertretern sowie den Akten des Ausgangsverfahrens oder Kopien davon eingehen.

Kosten und Prozesskostenhilfe

  • Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof und dem Gericht sind kostenlos.
  • Die Kosten der Parteien des anhängigen Rechtsstreits sind Sache des vorlegenden Gerichts.
  • Verfügt eine Partei des Ausgangsrechtsstreits nicht über ausreichende Mittel, so kann ihr das zuständige Gericht Prozesskostenhilfe für die im Verfahren vor dem Gericht entstehenden Kosten, insbesondere die Kosten der Vertretung, bewilligen. Diese Prozesskostenhilfe kann jedoch nur bewilligt werden, wenn die Partei nicht bereits auf nationaler Ebene Hilfe erhält oder diese die im Verfahren vor dem Gericht entstehenden Kosten nicht, oder nur teilweise, abdeckt.

Aufgabe der Kanzlei des Gerichtshofs

  • Die Kanzlei bleibt während des Verfahrens mit dem vorlegenden Gericht in Verbindung und übermittelt ihm Kopien von allen Verfahrensunterlagen sowie gegebenenfalls die Ersuchen um Klarstellung.
  • Nach Abschluss des Verfahrens übermittelt die Kanzlei dem vorlegenden Gericht die Entscheidung des Gerichtshofs oder Gerichts. Das vorlegende Gericht informiert die Kanzlei über Folgen dieser Entscheidung und über seine Endentscheidung im Ausgangsverfahren.

Beschleunigtes Verfahren und Eilverfahren

  • Wie in der Satzung und in der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und des Gerichts vorgesehen, kann beschlossen werden, dass einige Ersuchen im beschleunigten Verfahren oder Eilverfahren bearbeitet werden sollten.
  • Die Fristen sind kürzer. Beispielsweise die den Mitgliedstaaten zugestandene Zeit, in beschleunigten Verfahren Erklärungen abzugeben.
  • Das vorlegende Gericht muss die Dringlichkeit begründen und die Gefahren darlegen, die bei Anwendung des gewöhnlichen Verfahrens drohen.
  • Anträge auf Anwendung des beschleunigten Verfahrens oder Eilverfahrens sollten über die Anwendung e-Curia oder per E-Mail gesendet werden.

WANN TRETEN DIE EMPFEHLUNGEN IN KRAFT?

Sie sind am in Kraft getreten.

HINTERGRUND

Weiterführende Informationen:

SCHLÜSSELBEGRIFFE

  1. Vorabentscheidung. Dieses Verfahren wird in Rechtssachen genutzt, bei denen Fragen zur Auslegung oder Gültigkeit des EU-Rechts vorgelegt werden und für die Entscheidung eines nationales Gerichts eine Entscheidung des Gerichtshofs erforderlich ist oder keine Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts mehr möglich sind.
  2. Beschleunigtes Verfahren. Ein Verfahren, bei dem die Art der Rechtssache und außergewöhnliche Umstände eine rasche Erledigung erfordern. Ein beschleunigtes Verfahren kann nur dann beantragt werden, wenn besondere Umstände eine Dringlichkeitssituation begründen, die es rechtfertigt, dass zügig über die Vorlagefragen entscheidet. Dies kann beispielsweise der Fall sein bei großen, unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Gesundheit oder die Umwelt, zu deren Abwendung eine zügige Entscheidung des Gerichtshofs oder Gerichts beitragen kann, oder dann, wenn besondere Umstände es gebieten, innerhalb kürzester Frist Ungewissheiten auszuräumen, die grundlegende Fragen des nationalen Verfassungsrechts oder des EU-Rechts betreffen.
  3. Eilverfahren. Ein Verfahren, das nur in Rechtssachen statthaft ist, die Fragen der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffen. Bei dieser Art des Verfahrens ist insbesondere die Anzahl an Parteien beschränkt, die Schriftsätze einreichen oder schriftliche Erklärungen abgeben können, und es besteht in Fällen äußerster Dringlichkeit die Möglichkeit, das Entfallen des schriftlichen Verfahrens vorzusehen.

HAUPTDOKUMENTE

Empfehlungen an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. C., C/2024/6008 vom )

Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – Sechster Teil – Institutionelle Bestimmungen und Finanzvorschriften – Titel I – Institutionelle Bestimmungen – Kapitel 1 – Die Organe – Abschnitt 5 – Der Gerichtshof der Europäischen Union – Artikel 267 (ex-Artikel 234 EGV) (ABl. C 202 vom , S. 164).

Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union – Titel III – Bestimmungen über die Organe – Artikel 19 (ABl. C 202 vom , S. 27).

Letzte Aktualisierung:

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