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Document 62002CC0225

Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 28. Oktober 2004.
Rosa García Blanco gegen Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) und Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS).
Ersuchen um Vorabentscheidung: Juzgado de lo Social nº 3 de Orense - Spanien.
Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Alter - Arbeitslosigkeit - Mindestversicherungszeiten - Versicherungszeiten, die bei der Berechnung des Betrages der Leistungen, jedoch nicht für die Eröffnung eines Anspruchs auf diese Leistungen berücksichtigt werden - Zeiten der Arbeitslosigkeit - Zusammenrechnung.
Rechtssache C-225/02.

Sammlung der Rechtsprechung 2005 I-00523

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2004:669

Conclusions

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 28. Oktober 2004(1)



Rechtssache C-225/02



Rosa García Blanco




(Vorabentscheidungsersuchen des spanischen Juzgado de lo Social Nr. 3 von Orense)

„Gesetzliche Altersrente – Wartezeit – Anrechnung von ausländischen und inländischen Versicherungszeiten – Versicherungszeiten mit lediglich anspruchserhöhender, aber ohne anspruchsbegründende Wirkung – Anrechnung von Zeiten des Bezugs einer besonderen Arbeitslosenhilfe für Arbeitslose über 52 Jahre – Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens“






I – Einleitung

1.        Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, Frau García Blanco, bezog in der Vergangenheit in Spanien eine besondere Form der Arbeitslosenhilfe. Während dieser Zeit entrichtete die staatliche Anstalt für Arbeit in ihrem Namen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Nunmehr, nach Vollendung ihres 65. Lebensjahres, begehrt Frau García Blanco eine gesetzliche Altersrente. Im Ausgangsverfahren war streitig, ob die während des Bezugs der besonderen Arbeitslosenhilfe entrichteten Rentenbeiträge bei der Berechnung der Wartezeit für die gesetzliche Altersrente mit zu berücksichtigen sind bzw. ob in ihrer etwaigen Nichtberücksichtigung eine Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit liegt.

2.        In diesem Zusammenhang stellte der Juzgado de lo Social Nr. 3 von Orense (im Folgenden auch: das vorlegende Gericht) dem Gerichtshof zwei Fragen zur Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) (2) . Inhaltlich stimmen diese Fragen mit jenen in der Rechtssache C-306/03 (Salgado Alonso) überein (3) .

3.        Während des Verfahrens vor dem Gerichtshof ist die gesetzliche Altersrente für Frau García Blanco allerdings bewilligt worden, so dass sich nunmehr die Frage der Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens stellt.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Gemeinschaftsrecht

4.        Der gemeinschaftsrechtliche Rahmen dieses Falles wird durch die Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt. Deren Artikel 1 Buchstabe r definiert den Begriff der Versicherungszeiten wie folgt:

„die Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer Selbständigentätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind; die Zeiten, die im Rahmen eines Sondersystems für Beamte zurückgelegt wurden, gelten für die Anwendung dieser Verordnung als Versicherungszeiten“.

5.        Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

„Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen.“

6.        In Artikel 45 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ist hinsichtlich der Berücksichtigung von Versicherungs- und Wohnzeiten Folgendes bestimmt:

„Ist nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Anspruchs auf die Leistungen eines Systems, das kein Sondersystem im Sinne des Absatzes 2 oder 3 ist, davon abhängig, dass Versicherungs- oder Wohnzeiten zurückgelegt worden sind, berücksichtigt der zuständige Träger dieses Mitgliedstaats, soweit erforderlich, die nach den Rechtsvorschriften jedes anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten; dabei ist unwesentlich, ob diese in einem allgemeinen oder in einem Sondersystem, in einem System für Arbeitnehmer oder in einem System für Selbständige zurückgelegt worden sind. Zu diesem Zweck berücksichtigt er diese Zeiten, als ob es sich um nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegte Zeiten handelte.“

7.        Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 enthält diese Bestimmung:

„Sind die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nur nach Anwendung des Artikels 45 und/oder des Artikels 40 Absatz 3 erfüllt, so gilt Folgendes:

a)
Der zuständige Träger berechnet den theoretischen Betrag der Leistung, auf die die betreffende Person Anspruch hätte, wenn alle nach den für den Arbeitnehmer oder Selbständigen geltenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- und/oder Wohnzeiten nur in dem betreffenden Staat und nach den für diesen Träger zum Zeitpunkt der Feststellung der Leistung geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Ist nach diesen Rechtsvorschriften der Betrag der Leistung von der Dauer der zurückgelegten Zeiten unabhängig, so gilt dieser Betrag als theoretischer Betrag.

b)
Der zuständige Träger ermittelt sodann den tatsächlich geschuldeten Betrag auf der Grundlage des unter Buchstabe a) genannten theoretischen Betrages nach dem Verhältnis zwischen den nach seinen Rechtsvorschriften vor Eintritt des Versicherungsfalles zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten und den gesamten nach den Rechtsvorschriften aller beteiligten Mitgliedstaaten vor Eintritt des Versicherungsfalles zurückgelegten Versicherungs- und Wohnzeiten.“

8.        In Bezug auf Versicherungs- oder Wohnzeiten von weniger als einem Jahr sieht Artikel 48 der Verordnung Nr. 1408/71 Folgendes vor:

„(1)
Der Träger eines Mitgliedstaats ist ungeachtet des Artikels 46 Absatz 2 nicht verpflichtet, Leistungen aus Zeiten zu gewähren, die nach den von ihm angewendeten Rechtsvorschriften zurückgelegt wurden und im Zeitpunkt des Versicherungsfalls zur berücksichtigen sind, wenn:

die Dauer dieser Zeiten weniger als ein Jahr beträgt

und

aufgrund allein dieser Zeiten kein Leistungsanspruch nach diesen Rechtsvorschriften erworben worden ist.

(2)
Die in Absatz 1 genannten Zeiten werden vom zuständigen Träger jedes anderen Mitgliedstaats bei der Anwendung von Artikel 46 Absatz 2 – mit Ausnahme des Buchstabens b) – berücksichtigt.

(3)
Führt die Anwendung von Absatz 1 zur Befreiung aller Träger der betreffenden Staaten von der Leistungspflicht, so werden die Leistungen ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des letzten dieser Staaten gewährt, dessen Voraussetzungen erfüllt sind; dabei gelten alle zurückgelegten und gemäß Artikel 45 Absätze 1 bis 4 angerechneten Versicherungs- und Wohnzeiten als nach den Rechtsvorschriften dieses Staates zurückgelegt.“

B – Nationales Recht

9.        Die Neufassung des allgemeinen spanischen Sozialversicherungsgesetzes ( Texto Refundido de la Ley General de la Seguridad Social (4) , im Folgenden: TRLGSS) sieht in Artikel 161 Absatz 1 Buchstabe b vor, dass für einen Anspruch auf Altersrente zweierlei Wartezeiten zurückzulegen sind:

eine allgemeine Wartezeit von mindestens 15 Beitragsjahren

und

eine besondere Wartezeit von zwei Beitragsjahren innerhalb der letzten 15 dem anspruchsbegründenden Ereignis unmittelbar vorausgehenden Jahre.

10.      Bereits vor Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters wird Arbeitslosen, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, gemäß Artikel 215 Absatz 1.3 TRLGSS eine besondere Form von Arbeitslosenhilfe ( subsidio por desempleo , im Folgenden: besondere Arbeitslosenhilfe) gewährt. Voraussetzung ist u. a., dass der Betroffene mindestens sechs Beitragsjahre zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung nachweisen kann und außerdem alle Voraussetzungen für die Gewährung einer gesetzlichen Altersrente erfüllt, mit Ausnahme des Renteneintrittsalters.

11.      Gemäß Artikel 218 Absatz 2 TRLGSS führt dabei der Träger der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung ( Organismo Gestor del Seguro de Desempleo ) zusätzlich zur Auszahlung der besonderen Arbeitslosenhilfe an den Empfänger für jeden Kalendermonat, in dem ein Anspruch auf sie bestanden hat, im Namen des Empfängers Beiträge für die gesetzliche Altersrente an die Sozialversicherung ab.

12.      Die Wirkung der für Bezieher besonderer Arbeitslosenhilfe abgeführten Rentenbeiträge wird in der 28. Ergänzungsbestimmung zum TRLGSS (5) wie folgt eingeschränkt:

„Die gemäß Artikel 218 Absatz 2 [TRLGSS] von dem Versicherungsträger im Rahmen der Altersrentenversicherung entrichteten Beiträge werden bei der Berechnung des Grundbetrages der Altersrente und des auf diesen anwendbaren Prozentsatzes berücksichtigt. In keinem Fall haben diese Beiträge Gültigkeit und Rechtswirksamkeit für den Nachweis der nach Artikel 161 Absatz 1 Buchstabe b [TRLGSS] erforderlichen Mindestbeitragszeit, die gemäß Artikel 215 Absatz 1.3 bei Stellung des Antrags auf Gewährung der Unterstützung für Personen, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, nachgewiesen werden muss.“

13.      Allerdings werden in der Verwaltungspraxis die vom INEM namens der Bezieher von besonderer Arbeitslosenhilfe abgeführten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung im Zusammenhang mit Artikel 48 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 berücksichtigt; dies geht aus einer gemeinsamen Verwaltungsanweisung des INSS und des INEM aus dem Jahr 1999 hervor (6) .

III – Sachverhalt und Verfahren

Vorgeschichte

14.      Frau Rosa García Blanco, geboren am 9. Oktober 1935 und verstorben am 14. Mai 2002 (7) , war zwischen 1966 und 1984 als Arbeitnehmerin in Deutschland tätig. Dort blickt sie auf einen Beitragszeitraum von 209 Monaten (gut 17 Jahre) zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zurück.

15.      Vom 1. Juni 1984 bis 2. Dezember 1984 bezog Frau García Blanco in Spanien aufgrund eines deutsch-spanischen Übereinkommens beitragsabhängige Leistungen aus der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, die ihr von der staatlichen Anstalt für Arbeit ( Instituto Nacional de Empleo , im Folgenden: INEM) gewährt wurden. Während dieser Zeit leistete das INEM für sie auch Beiträge zu allen Abteilungen der gesetzlichen spanischen Sozialversicherung (darunter zur gesetzlichen Rentenversicherung), woraus sich ein Beitragszeitraum von 185 Tagen (ca. sechs Monate) ergibt.

16.      Von 1989 an bezog Frau García Blanco die besondere Arbeitslosenhilfe für Arbeitnehmer über 52 Jahre. In diesem Zusammenhang wurden vom INEM für sie während eines Zeitraums von 4 080 Tagen (gut 11 Jahre) Beiträge zur spanischen gesetzlichen Rentenversicherung gemäß Artikel 218 Absatz 2 TRLGSS entrichtet.

17.      Wie sich außerdem aus den Akten ergibt, erhielt Frau García Blanco vom 1. Dezember 1989 an infolge des Todes ihrer Mutter, mit der sie zuvor zusammen gelebt hatte, eine gesetzliche Rente für Familienangehörige.

Antrag auf gesetzliche Altersrente

18.      Nach Vollendung ihres 65. Lebensjahres im Jahr 2000 beantragte Frau García Blanco bei der spanischen Sozialversicherung eine gesetzliche Altersrente. Mit Bescheid vom 27. April 2001 lehnte der spanische Sozialversicherungsträger ( Instituto Nacional de Seguridad Social , im Folgenden: INSS) diesen Antrag ab. Zur Begründung führte das INSS aus, Frau García Blanco habe in Spanien nicht die nötige Mindestbeitragszeit abgeleistet. Der Zeitraum von 4 080 Tagen, in dem das INEM für Frau García Blanco als Bezieherin der besonderen Arbeitslosenhilfe Rentenbeiträge abgeführt habe, sei gemäß der 28. Ergänzungsbestimmung zum TRLGSS nicht berücksichtigungsfähig. Der verbleibende Zeitraum von 185 Tagen, in dem für Frau García Blanco als Bezieherin beitragsabhängiger Leistungen aus der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung in Spanien Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet wurden, könne gemäß Artikel 48 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht berücksichtigt werden, weil er kürzer als ein Jahr sei.

19.      Gegen diese Ablehnung suchte Frau García Blanco Rechtsschutz beim vorlegenden Gericht. Sie hat das INSS sowie die Tesorería General de la Seguridad Social (im Folgenden: TGSS) verklagt und argumentiert im Wesentlichen, dass man nunmehr zu ihren Gunsten nicht nur ihre ursprüngliche Rentenbeitragszeit in Spanien von 185 Tagen, sondern auch die vom INEM während des Bezugs der besonderen Arbeitslosenhilfe für sie entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigen müsse; dadurch komme sie nunmehr in Spanien auf insgesamt 4 265 Beitragstage (gut elf Jahre und acht Monate).

Vorabentscheidungsersuchen

20.      Mit Beschluss vom 30. März 2002 hat der Juzgado de lo Social Nr. 3 von Orense sein Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1)
Stehen Artikel 12 und die Artikel 39 bis 42 des Vertrages über die Europäische Union (Artikel 6 und 48 bis 52 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) sowie Artikel 45 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 einer Vorschrift des innerstaatlichen Rechts entgegen, nach der die Beiträge für eine Altersrente, die der Träger der Arbeitslosenversicherung im Namen eines Arbeitnehmers für den Zeitraum zahlt, in dem dieser bestimmte Arbeitslosenunterstützungsleistungen erhielt, nicht angerechnet werden können, um verschiedene in den nationalen Rechtsvorschriften festgelegte Wartezeiten zurückzulegen und um einen Anspruch auf die Leistung bei Alter zu begründen, wenn sich dadurch ergibt, dass es sich wegen der lange andauernden Arbeitslosigkeit, vor der geschützt werden soll, für diesen Arbeitnehmer als materiell unmöglich erweist, andere Altersrentenbeiträge nachzuweisen als die, die gesetzlich für unwirksam erklärt worden sind, so dass nur die Arbeitnehmer, die Gebrauch von dem Recht auf Freizügigkeit gemacht haben, durch diese innerstaatliche Rechtsvorschrift berührt werden und keinen Anspruch auf die innerstaatliche Altersrente begründen können, obwohl diese Wartezeiten gemäß Artikel 45 der genannten EWG‑Verordnung als zurückgelegt anzusehen wären?

2)
Stehen Artikel 12 und die Artikel 39 bis 42 des Vertrages über die Europäische Union (Artikel 6 und Artikel 48 bis 52 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) sowie Artikel 48 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 Vorschriften des innerstaatlichen Rechts entgegen, nach denen die Altersrentenbeiträge, die der Träger der Arbeitslosenversicherung im Namen eines Arbeitnehmers für den Zeitraum, in dem dieser bestimmte Arbeitslosenunterstützungsleistungen erhielt, nicht mit der Folge angerechnet werden können, dass angenommen wird, dass „die Gesamtdauer dieser nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungszeiten ein Jahr beträgt“, wenn es sich infolge der längeren Arbeitslosigkeit, gegen die geschützt werden soll, für diesen Arbeitnehmer als materiell unmöglich erweist, andere Altersrentenbeiträge als die während der Arbeitslosigkeit entrichteten und gezahlten nachzuweisen, so dass nur die Arbeitnehmer, die von dem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, durch diese innerstaatlichen Rechtsvorschriften berührt werden und keinen Anspruch auf die innerstaatliche Altersrente begründen können, obwohl der innerstaatliche Versicherungsträger gemäß Artikel 48 Absatz 1 der genannten EWG‑Verordnung nicht von der Verpflichtung befreit sein könnte, innerstaatliche Leistungen zu gewähren?

Verfahren seit Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens

21.      Mit Schreiben vom 8. April 2003 hat das INSS den Gerichtshof darüber in Kenntnis gesetzt, dass der – inzwischen verstorbenen – Frau Rosa García Blanco durch Bescheid vom 3. April 2003 die von ihr beantragte gesetzliche Altersrente bewilligt worden sei. In dem Bescheid war im Übrigen eine Aufforderung enthalten, zwischen dieser Altersrente und der schon früher bewilligten Rente für Familienangehörige zu wählen (8) , weil beide nicht miteinander kompatibel seien, d. h. nicht gleichzeitig ausbezahlt werden könnten. Dieses Wahlrecht hat Frau Dolores García Blanco als Tochter und Rechtsnachfolgerin der Versicherten unverzüglich zugunsten der Rente für Familienangehörige ausgeübt.

22.      Vor diesem Hintergrund hat der Kanzler des Gerichtshofes das vorlegende Gericht mit Schreiben vom 10. April 2003 gebeten klarzustellen, ob es sein Vorabentscheidungsersuchen zurückziehe. Das vorlegende Gericht hat mit Schreiben vom 11. April 2003 geantwortet, es erhalte sein Ersuchen aufrecht, u. a. weil die Antwort des Gerichtshofes in anderen bei diesem nationalen Gericht anhängigen Verfahren Verwendung finden könne.

23.      Mit zwei Schreiben vom 7. Juli 2003 und vom 18. September 2003 hat die Kanzlei des Gerichtshofes erneut beim vorlegenden Gericht angefragt, ob der Ausgangsrechtsstreit bei diesem noch anhängig sei. Die Kanzlei hat auch darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof nur für ein Vorabentscheidungsersuchen in Bezug auf ein schwebendes Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht zuständig sei. Sie hat das vorlegende Gericht daran erinnert, dass es ihm frei stehe, dem Gerichtshof dieselben Fragen in einem anderen anhängigen Rechtsstreit zur Vorabentscheidung vorzulegen. In seinem Antwortschreiben vom 1. Oktober 2003 bekräftigt jedoch das vorlegende Gericht, dass der Ausgangsrechtsstreit weiterhin bei ihm anhängig sei; insbesondere habe die Klägerin ihre Klage nicht zurückgenommen, und die Beklagten hätten ihren ursprünglichen ablehnenden Rentenbescheid, welcher Gegenstand des Ausgangsverfahrens sei, nicht ausdrücklich aufgehoben.

24.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben Frau García Blanco, die Kommission sowie – gemeinsam – das INSS und die TGSS schriftliche und mündliche Erklärungen abgegeben. Die deutsche Regierung hat schriftlich, die spanische Regierung mündlich zum Verfahren Stellung genommen.

IV – Würdigung

25.      Der Verfahrensverlauf gibt Anlass zu Zweifeln, ob der Gerichtshof die ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen beantworten kann.

26.      Zwar ist es allein Sache des nationalen Gerichts, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und ihn zu entscheiden hat, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. Er kann die Entscheidung über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur dann ablehnen, wenn die von diesem erbetene Auslegung oder Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die erforderlichen tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, um die ihm vorgelegten Fragen sachdienlich beantworten zu können (9) .

27.      Der Gerichtshof hat jedoch auch entschieden, dass es ihm ausnahmsweise obliegt, die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird (10) . Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt, dass das vorlegende Gericht seinerseits die Aufgabe des Gerichtshofes beachtet, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben (11) .

A – Ursprüngliche Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

28.      Ursprünglich erklärt sich das Vorabentscheidungsersuchen insbesondere aus der Tatsache, dass Frau García Blanco bei Antragstellung offenbar nur eine der beiden Wartezeiten gemäß Artikel 161 Absatz 1 Buchstabe b TRLGSS erfüllte: Die von ihr in Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten von über 17 Jahren, welche ihr gemäß Artikel 45 Absatz 1 der Verordnung Nr.1408/71 anzurechnen sind, reichten zwar für die allgemeine Wartezeit von 15 Jahren aus. Nach den vorliegenden Informationen schien Frau García Blanco jedoch nicht die besondere Wartezeit von zwei Beitragsjahren innerhalb der letzten 15 dem anspruchsbegründenden Ereignis unmittelbar vorausgehenden Jahre zu erfüllen. Zum Nachweis dieser besonderen Wartezeit hätte Frau García Blanco also auf die vom INEM für sie entrichteten Rentenbeiträge während des Bezugs der besonderen Arbeitslosenhilfe zurückgreifen müssen. Dem steht allerdings die 28. Ergänzungsbestimmung zum TRLGSS entgegen, wonach ein solcher Beitragszeitraum sich lediglich anspruchserhöhend, nicht aber anspruchsbegründend auswirken kann.

29.      Als die Vorlagefragen gestellt wurden, war es also im Ausgangsrechtsstreit noch entscheidungserheblich, ob die Artikel 45 und 48 der Verordnung Nr. 1408/71 sowie die Artikel 39 bis 42 EG einer nationalen Rechtsvorschrift wie der 28. Ergänzungsbestimmung zum TRLGSS entgegen stehen. Folglich war das Vorabentscheidungsersuchen zum damaligen Zeitpunkt ohne weiteres zulässig.

B – Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens

30.      Wie sich aber im schriftlichen und im mündlichen Verfahren herausstellte, haben sich zwischenzeitlich folgende beiden Veränderungen in Bezug auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ergeben: Erstens wurde für Frau García Blanco die beantragte gesetzliche Altersrente bewilligt. Und zweitens hat ihre Rechtsnachfolgerin sich entschieden, diese gesetzliche Altersrente – obwohl nunmehr bewilligt – nicht in Anspruch zu nehmen, sondern stattdessen weiter eine andere, betragsmäßig höhere Rente für Familienangehörige zu beziehen.

31.      Jede dieser beiden Veränderungen des Sachverhalts schließt seither die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen aus. Denn zum einen ist mit der zwischenzeitlichen Bewilligung der gesetzlichen Altersrente klargestellt, dass es zwischen den Parteien keinen Streit mehr über die Erfüllung von Wartezeiten gibt. Und zum anderen hat die Klägerin des Ausgangsverfahrens mit der Ausübung ihres Wahlrechts zugunsten der Rente für Familienangehörige dokumentiert, dass sie die ursprünglich beantragte gesetzliche Altersrente gar nicht mehr beziehen will.

32.      Auch etwaige Zahlungsrückstände scheinen zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens nicht streitig zu sein. So haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof die Beklagten auf eine entsprechende Bemerkung des Klägervertreters bestätigt, dass die gesetzliche Altersrente mit Vollendung des 65. Lebensjahres von Frau Rosa García Blanco bewilligt sei und es deshalb keinen Streit über etwaige Zahlungsrückstände gebe.

33.      Selbst wenn also, wie das vorlegende Gericht wiederholt betont hat, der Ausgangsrechtsstreit noch (formell) bei ihm anhängig sein sollte und sein Vorabentscheidungsersuchen nicht zurückgenommen wurde, sind jedenfalls die mit den beiden Vorlagefragen aufgeworfenen Probleme des Gemeinschaftsrechts nur noch hypothetischer Natur. Das Vorabentscheidungsersuchen hat sich erledigt.

34.      Sofern sich dieselben Rechtsfragen in anderen Verfahren erneut stellen sollten, bleibt es dem vorlegenden Gericht unbenommen, jene Verfahren erneut zum Anlass für Vorabentscheidungsersuchen zu nehmen. Im vorliegenden Fall wäre jedoch eine Antwort auf die Vorlagefragen kein Beitrag zur Lösung eines Ausgangsrechtsstreits, sondern lediglich ein gemeinschaftsrechtliches Gutachten, für das der Gerichtshof im Verfahren des Artikels 234 EG nicht zuständig ist.

C – Auswirkungen auf das Vorabentscheidungsverfahren

35.      Somit ist der Gerichtshof vorliegend mit dem eher seltenen Fall eines Vorabentscheidungsersuchens befasst, welches zwar ursprünglich zulässig war, sich jedoch infolge veränderter tatsächlicher Umstände zwischenzeitlich erledigt hat.

36.      Eine erste Lösungsmöglichkeit bestünde für den Gerichtshof darin, die Rechtssache von Amts wegen aus seinem Register zu streichen (12) . Eine solche Streichung ist in der Verfahrensordnung des Gerichtshofes (13) in den Artikeln 77 und 78 für die Fälle der außergerichtlichen Einigung und der Klagerücknahme vorgesehen. Wollte man diese Bestimmungen – wenigstens ihren Grundgedanken nach – für den vorliegenden Fall fruchtbar machen, so würde dies gemäß Artikel 103 § 1 der Verfahrensordnung jedenfalls eine Berücksichtigung der Eigenart des Vorabentscheidungsverfahrens erfordern, das ein Verfahren der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten ist. Eine den Artikeln 77 und 78 der Verfahrensordnung vergleichbare Verzichtserklärung müsste deshalb vom vorlegenden Gericht als Initiator des Vorabentscheidungsersuchens abgegeben werden. Im vorliegenden Fall hat aber das nationale Gericht gegenüber dem Gerichtshof niemals erklärt, dass es sein Vorabentscheidungsersuchen zurücknehme oder dass sich der bei ihm anhängige Ausgangsrechtsstreit erledigt habe. Im Gegenteil hat es auch auf mehrfache Nachfrage hin bekräftigt, dass es an seiner Vorlage festhalte. Damit wäre eine Streichung der Rechtssache aus dem Register, im Gegensatz zu den in Artikel 77 und 78 der Verfahrensordnung behandelten Fällen, keineswegs nur die bloße verfahrenstechnische Folge dessen, was zuvor dem Gerichtshof gegenüber erklärt wurde.

37.      Denkbar wäre es zweitens auch, dass der Gerichtshof das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig bzw. sich selbst für unzuständig erklärt. Diese Lösung wird jedoch der Entwicklung des Sachverhalts nicht ausreichend gerecht, wie sie sich nach Stellung der Vorlagefragen vollzogen hat: Die Vorlagefragen waren nicht von Anfang an unzulässig, sie sind vielmehr erst nach Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens gegenstandslos geworden. Das sollte in der Entscheidung des Gerichtshofes zum Ausdruck kommen.

38.      Vor diesem Hintergrund erscheint mir eine dritte Lösung vorzugswürdig zu sein. Der Gerichtshof sollte aussprechen, dass das Vorabentscheidungsersuchen nicht mehr beantwortet zu werden braucht . Auf diese Weise ist der Gerichtshof bereits in der Rechtssache Djabali (14) verfahren, welche deutliche Parallelen zum Sachverhalt des Ausgangsverfahrens aufweist. So hatte auch dort die zuständige staatliche Stelle der Klägerin eine Sozialleistung zunächst verweigert und sie ihr später – nach Klageerhebung und Vorabentscheidungsersuchen des angerufenen nationalen Gerichts – gewährt.

39.      Indem der Gerichtshof ausspricht, dass das Vorabentscheidungsersuchen nicht mehr beantwortet zu werden braucht, gibt er zu erkennen, dass die Vorlagefragen nicht von Anfang an unzulässig waren, dass aber aufgrund einer während des Verfahrens eingetretenen Entwicklung die Zuständigkeit des Gerichtshofes für ihre Beantwortung entfallen ist.

V – Ergebnis

40.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, über die ihm vom Juzgado de lo Social Nr. 3 von Orense zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu entscheiden:

„Das Vorabentscheidungsersuchen braucht nicht mehr beantwortet zu werden.“


1
Originalsprache: Deutsch.


2
ABl. L 149, S. 2. In den Artikeln 90 und 91 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, berichtigt in ABl. L 200, S. 1) ist die Aufhebung und Ersetzung der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehen. Aus zeitlichen Gründen bleibt jedoch die Verordnung Nr. 1408/71 auf den vorliegenden Fall anwendbar; die hier maßgebliche Fassung des Artikels 1 Buchstabe r ergibt sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1606/98 des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. L 209, S. 1), alle anderen zitierten Bestimmungen sind in der geänderten und aktualisierten Fassung der Verordnung Nr. 1408/71 gemäß Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) enthalten.


3
Vgl. dazu meine Schlussanträge vom heutigen Tage in der Rechtssache C-306/03 (noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).


4
In der Fassung des Real Decreto Legislativo 1/1994 vom 20. Juni 2004 ( Boletín Oficial del Estado [B.O.E.] Nr. 154 vom 29. Juni 2004), geändert durch das Gesetz Nr. 50/1998 vom 30. Dezember 1998 (B.O.E. vom 30. Dezember 1998, in Kraft getreten am 1. Januar 1999).


5
Eingefügt durch die 21. Ergänzungsbestimmung zum Gesetz Nr. 50/1998 (zitiert in Fußnote 4).


6
Rundschreiben Nr. 3/99 vom 16. April 1999 (Circular conjunta sobre modificación de los criterios de reconocimiento del subsidio por desempleo establecido en el artículo 215.1.3 del TRLGSS para mayores de 52 años, que afectan a trabajadores emigrantes retornados de la Unión Europea/Espacio Económico Europeo); in der dritten Dienstanweisung dieses Rundschreibens heißt es: „ Las cotizaciones efectuadas por el INEM durante la percepción del subsidio para mayores de 52 años por la contingencia de jubilación … deberán tenerse en cuenta, a efectos de lo dispuesto en el artículo 48.1 del Reglamento CEE 1408/71 cuando el interesado solicite la pensión contributiva de jubilación española que le corresponda.


7
So die Angaben ihres Vertreters in der mündlichen Verhandlung.


8
Vgl. dazu Nr. 17 dieser Schlussanträge.


9
Vgl. nur die Urteile vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93 (Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59), vom 13. März 2001 in der Rechtssache C-379/98 (PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 38), vom 10. Dezember 2002 in der Rechtssache C-153/00 (Der Weduwe, Slg. 2002, I-11319, Randnr. 31), vom 4. Dezember 2003 in der Rechtssache C-448/01 (EVN AG und Wienstrom, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 74) und vom 25. März 2004 in den verbundenen Rechtssachen C-480/00, C-481/00, C-482/00, C-484/00, C-489/00, C-490/00, C-491/00, C-497/00, C-498/00 und C-499/00 (Ribaldi, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 72).


10
Urteile PreussenElektra (Randnr. 39) und EVN AG und Wienstrom (Randnr. 75), beide zitiert in Fußnote 9.


11
Urteile Bosman (Randnr. 60), Der Weduwe (Randnr. 32) und EVN AG und Wienstrom (Randnr. 75), jeweils zitiert in Fußnote 9.


12
So Generalanwalt Jacobs in Nr. 23 seiner Schlussanträge vom 15. Mai 1997 in der Rechtssache C-314/96 (Djabali, Slg. 1998, I-1149, I-1151).


13
Verfahrensordnung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Juni 1991 (ABl. L 176, S. 7, berichtigt in ABl. 1992, L 383; zuletzt geändert durch Beschluss vom 19. April 2004, ABl. L 132, S. 2).


14
Urteil vom 12. März 1998 in der Rechtssache C-314/96 (Djabali, Slg. 1998, I-1149).

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