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Judgment of the Court (Second Chamber) of 30 September 2004. # Serge Briheche v Ministre de l'Intérieur, Ministre de l'Éducation nationale and Ministre de la Justice. # Reference for a preliminary ruling: Tribunal administratif de Paris - France. # Social policy - Equal treatment of men and women - Article 141(4) EC - Directive 76/207/EEC - Conditions of access to public-sector employment - Provisions reserving to widows who have not remarried the benefit of the exemption from the age limit for obtaining access to that employment. # Case C-319/03.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 30. September 2004. Serge Briheche gegen Ministre de l'Intérieur, Ministre de l'Éducation nationale und Ministre de la Justice. Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal administratif de Paris - Frankreich. Sozialpolitik - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Artikel 141 Absatz 4 EG - Richtlinie 76/207/EWG - Voraussetzungen für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst - Bestimmungen, die die Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer solchen Beschäftigung nicht wiederverheirateten Witwen vorbehalten. Rechtssache C-319/03.
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 30. September 2004. Serge Briheche gegen Ministre de l'Intérieur, Ministre de l'Éducation nationale und Ministre de la Justice. Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal administratif de Paris - Frankreich. Sozialpolitik - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Artikel 141 Absatz 4 EG - Richtlinie 76/207/EWG - Voraussetzungen für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst - Bestimmungen, die die Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer solchen Beschäftigung nicht wiederverheirateten Witwen vorbehalten. Rechtssache C-319/03.
(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal administratif Paris)
„Sozialpolitik – Gleichbehandlung von Männern und Frauen – Artikel 141 Absatz 4 EG – Richtlinie 76/207/EWG – Voraussetzungen für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst – Bestimmungen, die die Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer solchen Beschäftigung nicht wiederverheirateten
Witwen vorbehalten“
Leitsätze des Urteils
Sozialpolitik – Männliche und weibliche Arbeitnehmer – Zugang zur Beschäftigung und Arbeitsbedingungen – Gleichbehandlung
– Ausnahmen – Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen – Befreiung von der Altersgrenze für den
Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst, die allein nicht wiederverheirateten Witwen vorbehalten ist – Unzulässigkeit
(Artikel 141 Absatz 4 EG; Richtlinie 76/207 des Rates, Artikel 2 Absatz 4 und Artikel 3 Absatz 1)
Die Artikel 3 Absatz 1 und 2 Absatz 4 der Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern
und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die
Arbeitsbedingungen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für die Zulassung zu externen
Auswahlverfahren für die Einstellung von Beamten vorsieht, dass nicht wiederverheiratete Witwen, die darauf angewiesen sind
zu arbeiten, von der Altersgrenze befreit sind, und die nicht wiederverheiratete Witwer, die sich in der gleichen Situation
befinden, ausschließt.
Zum einen läuft diese Regelung nämlich Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 76/207 zuwider, da sie eine Diskriminierung aufgrund
des Geschlechts bewirkt. Zum anderen kann sie nicht nach Artikel 2 Absatz 4 dieser Richtlinie zugelassen werden, der ausschließlich
Maßnahmen zulässt, die zwar dem Anschein nach diskriminierend sind, tatsächlich aber in der sozialen Wirklichkeit bestehende
faktische Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen. Eine solche Maßnahme, nach der weibliche Bewerberinnen in Bereichen
des öffentlichen Dienstes vorrangig befördert werden sollen, ist daher mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, wenn sie den
Bewerbungen bestimmter Kategorien von Frauen automatisch und unbedingt Vorrang einräumt und Männer, die sich in der gleichen
Situation befinden, ausschließt.
(vgl. Randnrn. 20, 22-23, 27, 32 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer) 30. September 2004(1)
In der Rechtssache C-319/03betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,eingereicht vom Tribunal administratif Paris (Frankreich), mit Entscheidung vom 3. Juli 2003, eingegangen am 24. Juli 2003, in dem Verfahren
Serge Briheche
gegen
Ministre de l'Intérieur, Ministre de l'Éducation nationale undMinistre de la Justice
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer),
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter C. Gulmann und R. Schintgen sowie der Richterinnen
F. Macken (Berichterstatterin) und N. Colneric,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro, Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,unter Berücksichtigung der Erklärungen
–
von Herrn Briheche,
–
der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und C. Bergeot-Nunes als Bevollmächtigte,
–
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M.‑J. Jonczy und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Juni 2004,
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung
und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40, im Folgenden: Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens zwischen Herrn Briheche und dem Ministre de l’Intérieur (Innenminister),
dem Ministre de l’Éducation nationale (Bildungsminister) sowie dem Ministre de la Justice (Justizminister) wegen der Ablehnung
der Bewerbung von Herrn Briheche auf mehrere Auswahlverfahren zur Besetzung von Stellen für Verwaltungsassistenten
oder -sekretäre durch diese Minister mit der Begründung, dass er nicht die in den französischen Regelungen vorgesehenen Altersvoraussetzungen
für die Teilnahme an diesen Auswahlverfahren erfülle.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften
3
Artikel 141 Absatz 4 EG bestimmt:
„Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben hindert der
Grundsatz der Gleichbehandlung die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten
Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen
beizubehalten oder zu beschließen.“
4
In Artikel 2 Absätze 1 und 4 der Richtlinie heißt es:
„(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare
Diskriminierung auf Grund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.
…
(4) Diese Richtlinie steht nicht den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch Beseitigung
der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Bereichen beeinträchtigen,
entgegen.“
5
Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie lautet:
„Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung beinhaltet, dass bei den Bedingungen des Zugangs – einschließlich der
Auswahlkriterien – zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen – unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig – und
zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts erfolgt.“
Nationale Vorschriften
6
Artikel 5 Absatz 1 des Dekrets Nr. 90‑713 vom 1. August 1990 über die auf Verwaltungsassistenten in der staatlichen Verwaltung
anwendbaren Rechtsvorschriften (décret n° 90‑713 relatif aux dispositions statutaires communes applicables aux corps d’adjoints
administratifs des administrations de l’État, JORF vom 11. August 1990, S. 9795) legt für die Einstellung von Beamten durch
externe Auswahlverfahren eine Altersgrenze von 45 Jahren fest.
7
Artikel 1 des Dekrets Nr. 75‑765 vom 14. August 1975 betreffend die Altersgrenzen für die Einstellung von Beamten der Kategorien
B, C und D durch Auswahlverfahren (décret n° 75‑765 relatif à la limite d’âge applicable au recrutement par concours des fonctionnaires
des corps classés en catégorie B, C et D, JORF vom 19. August 1975, S. 8444) legt für die Zulassung zum Auswahlverfahren ebenfalls
eine Altersgrenze von 45 Jahren fest, wenn keine spezifischen Regelungen eine höhere Altersgrenze vorsehen.
8
Nach Artikel 8 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 75‑3 vom 3. Januar 1975 über verschiedene Verbesserungen und Vereinfachungen hinsichtlich
der Renten oder Bezüge von hinterbliebenen Ehegatten, Müttern und alten Menschen (loi n° 75‑3 portant diverses améliorations
et simplifications en matière de pensions ou allocations des conjoints survivants, des mères de famille et des personnes âgées,
JORF vom 4. Januar 1975, S. 198) können „[d]ie Altersgrenzen für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst
… Müttern …, die nach dem Tod ihres Mannes darauf angewiesen sind zu arbeiten, nicht entgegengehalten werden“.
9
Diese Ausnahme wurde durch das Gesetz Nr. 79‑569 vom 7. Juli 1979 über die Abschaffung der Altersgrenzen für den Zugang zu
einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst für bestimmte Kategorien von Frauen (loi n° 79‑569 portant suppression des limites
d’âge d’accès aux emplois publics pour certaines catégories de femmes, JORF vom 8. Juli 1979) dahin geändert, dass sie auf
Mütter von drei oder mehr Kindern, nicht wiederverheiratete Witwen, nicht wiederverheiratete geschiedene Frauen, aufgrund
einer gerichtlichen Entscheidung getrennt lebende Frauen und unverheiratete Frauen mit mindestens einem unterhaltsberechtigten
Kind, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, anwendbar wurde.
10
Artikel 34 des Gesetzes Nr. 2001‑397 vom 9. Mai 2001 über die berufliche Gleichstellung von Frauen und Männern (loi n° 2001‑397
relative à l’égalité professionnelle entre les femmes et les hommes, JORF vom 10. Mai 2001, S. 7320) ergänzt diese Liste der
in der vorstehenden Randnummer aufgezählten Personen um unverheiratete Männer mit mindestens einem unterhaltsberechtigten
Kind, die darauf angewiesen sind zu arbeiten.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
11
Herr Briheche, 48 Jahre alt, Witwer, nicht wiederverheiratet, mit einem unterhaltsberechtigten Kind, bewarb sich bei mehreren
Auswahlverfahren der öffentlichen Verwaltung in Frankreich und u. a. im Jahr 2002 bei einem Auswahlverfahren des Ministère
de l’Intérieur (Innenministerium) zur Besetzung von Stellen für Verwaltungsassistenten der Zentralverwaltung.
12
Seine Bewerbung in diesem letztgenannten Auswahlverfahren wurde durch Entscheidung vom 28. Januar 2002 mit der Begründung
abgelehnt, dass er die Altersvoraussetzungen von Artikel 5 Absatz 1 des Dekrets Nr. 90‑713 für die Teilnahme an einem solchen
Auswahlverfahren nicht erfülle.
13
Gegen diese Entscheidung, mit der seine Bewerbung abgelehnt wurde, legte er Widerspruch ein und führte darin aus, dass ihm
die Altersgrenze von 45 Jahren aufgrund des Inkrafttretens des Gesetzes Nr. 2001‑397 nicht mehr entgegengehalten werden könne.
14
Dieser Widerspruch wurde mit einer Entscheidung des Innenministers vom 8. März 2002 zurückgewiesen, in der dieser zum einen
den Wortlaut seiner Entscheidung vom 28. Januar 2002 wiederholte und zum anderen präzisierte, dass, abgesehen von bestimmten
Kategorien von Frauen, nur unverheiratete Männer mit mindestens einem unterhaltsberechtigten Kind, die darauf angewiesen seien
zu arbeiten, einen Anspruch auf die Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst
hätten.
15
Herr Briheche erhob am 28. März 2002 Klage beim Tribunal administratif Paris und beantragte u. a., die Entscheidungen vom
28. Januar und 8. März 2002, mit denen seine Bewerbungen zu den genannten Auswahlverfahren abgelehnt worden waren, aufzuheben.
Artikel 8 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 75‑3 in der durch das Gesetz Nr. 2001‑397 geänderten Fassung sei nicht mit den Zielen
der Richtlinie vereinbar, soweit er den Anspruch auf Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung
im öffentlichen Dienst auf „nicht wiederverheiratete Witwen“ beschränke. Die Richtlinie stehe zwar Maßnahmen zur Beseitigung
der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen beim Zugang zu einer Beschäftigung beeinträchtigten,
nicht entgegen, verpflichte aber die Mitgliedstaaten, die Bestimmungen zu überprüfen, für die der Schutzzweck, von dem sie
sich ursprünglich hätten leiten lassen, nicht mehr begründet sei.
16
Das Tribunal administratif Paris hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
Läuft es den Bestimmungen der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976 zuwider, wenn Frankreich die Vorschriften über nicht
wiederverheiratete Witwen des Artikels 8 des Gesetzes Nr. 75-3 vom 3. Januar 1975, geändert durch das Gesetz Nr. 79-569 vom
7. Juli 1979 und durch das Gesetz Nr. 2001-397 vom 9. Mai 2001, aufrechterhält?
Zur Vorlagefrage
17
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 3 Absatz 1 und 2 Absatz 4 der Richtlinie
dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die die
Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst nicht wiederverheirateten Witwen
vorbehält, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, und nicht wiederverheiratete Witwer, die sich in der gleichen Situation
befinden, davon ausschließt.
18
Nach ständiger Rechtsprechung hat der durch die Richtlinie aufgestellte Grundsatz der Gleichbehandlung allgemeine Geltung,
und die Richtlinie ist auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse anwendbar (vgl. u. a. Urteile vom 11. Januar 2000 in der
Rechtssache C‑285/98, Kreil, Slg. 2000, I‑69, Randnr. 18, und vom 19. März 2002 in der Rechtssache C‑476/99, Lommers, Slg.
2002, I‑2891, Randnr. 25).
19
Dieser Grundsatz beinhaltet nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie, „dass bei den Bedingungen des Zugangs – einschließlich
der Auswahlkriterien – zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen – unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig
– und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts erfolgt“.
20
Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die für die Zulassung zu externen Auswahlverfahren für die
Einstellung von Beamten vorsieht, dass nicht wiederverheiratete Witwen, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, von der Altersgrenze
befreit sind, führt bei nicht wiederverheirateten Witwern, die sich in der gleichen Situation befinden, zu einer Artikel 3
Absatz 1 der Richtlinie zuwiderlaufenden Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
21
Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob eine solche Regelung gleichwohl nach Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie zulässig sein
kann, wonach die Richtlinie „nicht den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit für Männer und Frauen, insbesondere durch
Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen in den in Artikel 1 Absatz 1 genannten
Bereichen beeinträchtigen, entgegen[steht]“.
22
Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, hat die letztgenannte Vorschrift den bestimmten und begrenzten Zweck, Maßnahmen
zuzulassen, die zwar dem Anschein nach diskriminierend sind, tatsächlich aber in der sozialen Wirklichkeit bestehende faktische
Ungleichheiten beseitigen oder verringern sollen (Urteil vom 11. November 1997 in der Rechtssache C‑409/95, Marschall, Slg.
1997, I‑6363, Randnr. 26).
23
Eine Maßnahme, nach der weibliche Bewerberinnen in Bereichen des öffentlichen Dienstes vorrangig befördert werden sollen,
ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn sie weiblichen Bewerberinnen, die die gleiche Qualifikation wie ihre männlichen
Mitbewerber besitzen, keinen automatischen und unbedingten Vorrang einräumt und wenn die Bewerbungen Gegenstand einer objektiven
Beurteilung sind, bei der die besondere persönliche Lage aller Bewerber berücksichtigt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom
28. März 2000 in der Rechtssache C‑158/97, Badeck u. a., Slg. 2000, I‑1875, Randnr. 23).
24
Diesen Bedingungen liegt die Tatsache zugrunde, dass bei der Festlegung der Reichweite von Ausnahmen von einem Individualrecht
wie dem in der Richtlinie verankerten Recht von Männern und Frauen auf Gleichbehandlung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
zu beachten ist, wonach Ausnahmen nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung des verfolgten Zieles angemessen und
erforderlich ist, und der Grundsatz der Gleichbehandlung so weit wie möglich mit den Erfordernissen des auf diese Weise angestrebten
Zieles in Einklang gebracht werden muss (Urteil Lommers, Randnr. 39).
25
Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie lässt also nationale Maßnahmen im Bereich des Zugangs zur Beschäftigung zu, die Frauen spezifisch
begünstigen und ihre Fähigkeit verbessern sollen, im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen und unter den gleichen Bedingungen
wie Männer eine berufliche Laufbahn zu verfolgen. Diese Bestimmung soll eine materielle und nicht nur formale Gleichheit herbeiführen,
indem sie in der sozialen Wirklichkeit auftretende faktische Ungleichheiten verringert und so im Einklang mit Artikel 141
Absatz 4 EG Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn der betreffenden Personen verhindert oder ausgleicht (vgl. in diesem
Sinne Urteile vom 17. Oktober 1995 in der Rechtssache C‑450/93, Kalanke, Slg. 1995, I‑3051, Randnr. 19, und vom 6. Juli 2000
in der Rechtssache C‑407/98, Abrahamsson und Anderson, Slg. 2000, I‑5539, Randnr. 48).
26
Die französische Regierung führt in ihren Erklärungen aus, dass die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung erlassen
worden sei, um die tatsächlichen Ungleichheiten zu beschränken, die zwischen Männern und Frauen u. a. deshalb bestünden, weil
die Frauen den Großteil der Hausarbeit erledigten, insbesondere, wenn zur Familie Kinder gehörten, und um die Eingliederung
der Frauen ins Arbeitsleben zu erleichtern.
27
Eine solche Regelung räumt, wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, den Bewerbungen bestimmter Kategorien von Frauen,
zu denen auch die nicht wiederverheirateten Witwen gehören, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, dadurch absoluten und
unbedingten Vorrang ein, dass sie ihnen den Anspruch auf Befreiung von den Altersgrenzen für den Zugang zu einer Beschäftigung
im öffentlichen Dienst vorbehält und nicht wiederverheiratete Witwer davon ausschließt, die sich in der gleichen Situation
befinden.
28
Daraus folgt, dass eine solche Regelung, die bestimmte Kategorien von Frauen von der Altersgrenze für den Zugang zu einer
Beschäftigung im öffentlichen Dienst befreit, während dies nicht für Männer gilt, die sich in der gleichen Situation befinden,
nach Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie nicht zulässig ist.
29
Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche dennoch nach Artikel 141 Absatz
4 EG zulässig ist.
30
Nach dieser Vorschrift dürfen die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von
Männern und Frauen im Arbeitsleben u. a. zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn
spezifische Vergünstigungen beibehalten oder beschließen.
31
Unabhängig von der Frage, ob positive Maßnahmen, die nicht nach Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie zulässig sind, eventuell
nach Artikel 141 Absatz 4 EG zulässig sein könnten, genügt die Feststellung, dass die letztgenannte Bestimmung nicht zulässt,
dass die Mitgliedstaaten Voraussetzungen wie die im Ausgangsverfahren streitigen für den Zugang zu einer Beschäftigung im
öffentlichen Dienst festlegen, die jedenfalls zu dem verfolgten Ziel außer Verhältnis stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil
Abrahamsson und Anderson, Randnr. 55).
32
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Artikel 3 Absatz 1 und 2 Absatz 4 der Richtlinie 76/207 dahin
auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die die Befreiung
von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst nicht wiederverheirateten Witwen vorbehält,
die darauf angewiesen sind zu arbeiten, und nicht wiederverheiratete Witwer, die sich in der gleichen Situation befinden,
davon ausschließt.
Kosten
33
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von
Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Die Artikel 3 Absatz 1 und 2 Absatz 4 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes
der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen
Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren
fraglichen entgegenstehen, die die Befreiung von der Altersgrenze für den Zugang zu einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst
nicht wiederverheirateten Witwen vorbehält, die darauf angewiesen sind zu arbeiten, und nicht wiederverheiratete Witwer, die
sich in der gleichen Situation befinden, davon ausschließt. Unterschriften.