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Document 62023CJ0241

    Urteil des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 8. Mai 2024.
    P. sp. z o.o. gegen Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie.
    Vorabentscheidungsersuchen des Naczelny Sąd Administracyjny.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 73 – Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen – Sacheinlage von Grundstücken – Steuerbemessungsgrundlage – Gegenleistung – Aktien – Nennwert – Ausgabewert.
    Rechtssache C-241/23.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:392

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

    8. Mai 2024 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 73 – Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen – Sacheinlage von Grundstücken – Steuerbemessungsgrundlage – Gegenleistung – Aktien – Nennwert – Ausgabewert“

    In der Rechtssache C‑241/23

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) mit Entscheidung vom 24. Februar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 18. April 2023, in dem Verfahren

    P. sp. z o.o.

    gegen

    Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie,

    Beteiligter:

    Rzecznik Małych i Średnich Przedsiębiorców,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen, der Präsidentin der Zweiten Kammer A. Prechal (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Siebten Kammer und der Richterin M. L. Arastey Sahún,

    Generalanwältin: J. Kokott,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der P. sp. z o.o., vertreten durch J. Martini, Doradca podatkowy,

    des Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie, vertreten durch J. Kazimierczak, Radca prawny,

    des Rzecznik Małych i Średnich Przedsiębiorców, vertreten durch P. Chrupek, Radca prawny,

    der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Herold und U. Małecka als Bevollmächtigte,

    aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2012, L 112, S. 21) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der P. sp. z o.o. und dem Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie (Direktor der Finanzverwaltungskammer Warschau, Polen) (im Folgenden: Rechtsbehelfsbehörde) wegen der Weigerung dieser Behörde, den von P. vorgenommenen Vorsteuerabzug von Mehrwertsteuerbeträgen zu berücksichtigen, die in Rechnungen von W. und von B. für die Einbringung von Grundstücken durch diese Gesellschaften in das Kapital von P. ausgewiesen sind.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

    „Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“

    4

    Art. 74 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

    „Bei den in den Artikeln 16 und 18 genannten Umsätzen in Form der Entnahme oder der Zuordnung eines Gegenstands des Unternehmens durch einen Steuerpflichtigen oder beim Besitz von Gegenständen durch einen Steuerpflichtigen oder seine Rechtsnachfolger im Fall der Aufgabe seiner steuerbaren wirtschaftlichen Tätigkeit ist die Steuerbemessungsgrundlage der Einkaufspreis für diese oder gleichartige Gegenstände oder mangels eines Einkaufspreises der Selbstkostenpreis, und zwar jeweils zu den Preisen, die zum Zeitpunkt der Bewirkung dieser Umsätze festgestellt werden.“

    5

    In Art. 80 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

    „(1)   Zur Vorbeugung gegen Steuerhinterziehung oder ‑umgehung können die Mitgliedstaaten in jedem der folgenden Fälle Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die Steuerbemessungsgrundlage für die Lieferungen von Gegenständen oder für Dienstleistungen … an Empfänger, zu denen familiäre oder andere enge persönliche Bindungen, Bindungen aufgrund von Leitungsfunktionen oder Mitgliedschaften … sowie eigentumsrechtliche, finanzielle oder rechtliche Bindungen … gemäß der Definition des Mitgliedstaats … bestehen, der Normalwert ist:

    a)

    sofern die Gegenleistung niedriger als der Normalwert ist und der Erwerber oder Dienstleistungsempfänger nicht zum vollen Vorsteuerabzug gemäß den Artikeln 167 bis 171 sowie 173 bis 177 berechtigt ist;

    b)

    sofern die Gegenleistung niedriger als der Normalwert ist, der Lieferer oder Dienstleistungserbringer nicht zum vollen Vorsteuerabzug gemäß den Artikeln 167 bis 171 sowie 173 bis 177 berechtigt ist und der Umsatz einer Befreiung gemäß den Artikeln 132, 135, 136, 371, 375, 376, 377, … 378 Absatz 2, … 379 Absatz 2 sowie … 380 bis 390c unterliegt;

    c)

    sofern die Gegenleistung höher als der Normalwert ist und der Lieferer oder Dienstleistungserbringer nicht zum vollen Vorsteuerabzug gemäß den Artikeln 167 bis 171 sowie 173 bis 177 berechtigt ist.

    Für die Zwecke des Unterabsatzes 1 kann als rechtliche Bindung auch die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der Familie des Arbeitnehmers oder anderen diesem nahe stehenden Personen … gelten.

    (2)   Machen die Mitgliedstaaten von der in Absatz 1 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, können sie festlegen, für welche Kategorien von Lieferern und Dienstleistungserbringern sowie von Erwerbern oder Dienstleistungsempfängern sie von diesen Maßnahmen Gebrauch machen.

    …“

    Polnisches Recht

    6

    Art. 29a Abs. 1 der Ustawa o podatku od towarów i usług (Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen) vom 11. März 2004 (Dz. U. 2011, Nr. 177, Pos. 1054) in geänderter Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) sieht vor:

    „Als Bemessungsgrundlage gilt vorbehaltlich der Abs. 2 bis 5, der Art. 30a bis 30c, des Art. 32, des Art. 119 und des Art. 120 Abs. 4 und 5 alles, was die Gegenleistung darstellt, die der Lieferer bzw. Dienstleistungserbringer aufgrund des Verkaufs vom Erwerber, vom Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhalten hat bzw. erhalten soll, einschließlich der erhaltenen Zuschüsse, Subventionen und anderen Zuzahlungen ähnlicher Art, die einen unmittelbaren Einfluss auf den Preis der durch den Steuerpflichtigen gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen haben.“

    7

    Art. 86 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes bestimmt:

    „Soweit Gegenstände und Dienstleistungen zur Ausführung steuerbarer Umsätze verwendet werden, sind in Art. 15 genannte Steuerpflichtige vorbehaltlich des Art. 114, des Art. 119 Abs. 4, des Art. 120 Abs. 17 und 19 sowie des Art. 124 berechtigt, den Betrag der Vorsteuer vom Betrag der geschuldeten Steuer abzuziehen.“

    8

    In Art. 88 des Mehrwertsteuergesetzes heißt es:

    „(3a)   Rechnungen und Zolldokumente stellen keine Grundlage für die Kürzung der Ausgangssteuer und die Erstattung der Steuerdifferenz oder die Erstattung der Vorsteuer dar, wenn

    4. in ausgestellten Rechnungen, Berichtigungsrechnungen oder Zolldokumenten

    b) Beträge angegeben sind, die nicht der Wirklichkeit entsprechen, und zwar in dem Ausmaß, in dem die Posten betroffen sind, für die nicht der Wirklichkeit entsprechende Beträge angegeben worden sind,

    …“

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    9

    P. ist eine mehrwertsteuerpflichtige Gesellschaft, deren Gesellschaftskapital in Aktien zerlegt ist.

    10

    Zwischen Ende 2014 und Anfang 2015 nahm P. eine Erhöhung des Gesellschaftskapitals durch Sacheinlagen vor, die von W. und von B. stammten. Genauer schlossen diese beiden Gesellschaften mit P. mehrere Verträge über die Übertragung von ihnen gehörenden Grundstücken und eine Bareinlage im Austausch gegen Aktien von P. So schloss P. mit W. am 3. Oktober, 28. November und 29. Dezember 2014 Verträge, aufgrund deren W. ihr 23 Grundstücke und einen bestimmten Geldbetrag im Austausch gegen 4767, 1164 bzw. 7745 von P. ausgegebene Aktien übereignete. Darüber hinaus schloss P. am 3. Oktober und 28. November 2014 Verträge mit B., aufgrund deren diese ihr zwei Grundstücke und einen bestimmten Geldbetrag im Austausch gegen 2100 bzw. 133 von P. ausgegebene Aktien übereignete. Diese Verträge sehen vor, dass die Gegenleistung für die Sacheinlagen auf das Kapital von P. in Aktien von P. zum Wert ihres Ausgabepreises besteht. Dieser Preis beträgt 35287,19 Zloty (PLN), d. h. etwa 8123 Euro, je Aktie. Bei der Preisfestsetzung stützten sich die Parteien auf den Wert der eingebrachten Grundstücke, wie er von einem Dritten anhand der Marktpreise ermittelt worden war.

    11

    In ihre Mehrwertsteuererklärungen für das vierte Quartal 2014 und für das erste Quartal 2015 nahm P. den Betrag der Mehrwertsteuer und den Nettobetrag auf, wie sie in den von W. und von B. ausgestellten Rechnungen für die Grundstückseinbringungen in das Kapital von P. ausgewiesen waren. Diese Beträge waren auf der Grundlage des Ausgabewerts der Aktien von P. berechnet, die als Gegenleistung für diese Einlagen empfangen worden waren.

    12

    Mit Bescheid vom 28. März 2017 befand der Naczelnik Pierwszego Urzędu Skarbowego Warszawa-Śródmieście w Warszawie (Vorsteher des Ersten Finanzamts Warschau-Śródmieście, Warschau, Polen) als erstinstanzliche Behörde, dass die Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage für die von W. und von B. im Rahmen der Kapitalerhöhung von P. geleisteten Einlagen unter Berücksichtigung des Nennwerts der Aktien von P. zu berechnen sei, der 50 PLN, d. h. etwa 11,50 Euro, je Aktie entspreche, und nicht unter Berücksichtigung ihres Ausgabewerts von 35287,19 PLN, also ungefähr 8123 Euro, je Aktie. Die erstinstanzliche Behörde sprach P. damit das Recht auf Vorsteuerabzug der Mehrwertsteuer auf die betreffenden Einlagen bezogen auf den Betrag ab, der den auf der Grundlage des Nennwerts der Aktien berechneten Betrag überstieg.

    13

    Mit Bescheid vom 30. Juni 2017 bestätigte die Rechtsbehelfsbehörde den Bescheid der erstinstanzlichen Behörde, nachdem sie befunden hatte, dass die Beträge, die in den Rechnungen von W. und von B. für die im Austausch gegen Aktien von P. erfolgten Grundstückseinbringungen in das Kapital von P. ausgewiesen waren, nicht vollständig der Wirklichkeit entsprächen und dass sie daher P. nach Art. 86 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes kein Recht auf Vorsteuerabzug eröffneten. Die Gegenleistung, die W. und B. für die Sacheinlagen auf das Kapital von P. erhalten hätten, sei auf der Grundlage des Nennwerts der Aktien zu bewerten.

    14

    Die Klage von P. gegen den Bescheid der Rechtsbehelfsbehörde wurde vom Wojewódzki Sąd Administracyjny w Warszawie (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Warschau, Polen) mit Urteil vom 29. Mai 2018 abgewiesen. Unter Bezugnahme u. a. auf Art. 29a Abs. 1 und Art. 88 Abs. 3a Nr. 4 Buchst. b des Mehrwertsteuergesetzes entschied dieses Gericht, dass die Gegenleistung, die einem Wirtschaftsteilnehmer geschuldet werde, der eine Sacheinlage in eine Gesellschaft in einer anderen Form als in Gestalt eines Unternehmens oder eines selbständig organisierten Unternehmensteils leiste, dem Nennwert der Aktien entspreche, die die Gesellschaft dem Wirtschaftsteilnehmer als Vergütung für diese Einlage übertragen habe.

    15

    Gegen dieses Urteil legte P. Kassationsbeschwerde beim Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen), dem vorlegenden Gericht, ein. Sie ist insbesondere der Ansicht, dass Art. 29a Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes dahin falsch ausgelegt worden sei, dass danach für einen Umsatz in Gestalt einer Sacheinlage die Steuerbemessungsgrundlage zu bestimmen sei, indem auf den Nennwert der im Gegenzug erhaltenen Aktien abgestellt werde. Bei zutreffender Auslegung dieser Bestimmung sei bei der Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage für die in Rede stehende Einlage der Ausgabepreis der Aktien heranzuziehen. Diese Bemessungsgrundlage müsse gegebenenfalls um den Wert der Bareinlage verringert werden, die P. im Rahmen des mit der Einbringung verbundenen Umsatzes zugeflossen sei.

    16

    Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass bei einer Sacheinlage im Austausch gegen Aktien erstens der Marktwert des Gegenstands der Einbringung nicht zur Bestimmung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage für die Einlage dienen könne und zweitens die Gegenleistung in den Aktien der betreffenden Gesellschaft bestehe.

    17

    Ob demgegenüber bei der Bestimmung der fraglichen Steuerbemessungsgrundlage in einem solchen Fall der Nennwert der Aktien oder vielmehr ihr Ausgabewert entsprechend der Vereinbarung der Parteien heranzuziehen sei, sei vom Gerichtshof noch nicht erörtert worden.

    18

    Das vorlegende Gericht hat daher Zweifel, wie die Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage im vorliegenden Fall zu bestimmen ist. Es stellt hierzu klar, dass der von den handelnden Steuerbehörden als Steuerbemessungsgrundlage herangezogene Nennwert der Aktien offensichtlich nicht dem Wert der in P. eingebrachten Grundstücke entspreche und dass die beteiligten Parteien aufgrund dieses Missverhältnisses in den Verträgen über die Sacheinlagen vereinbart hätten, dass die Gegenleistung für diese Einlagen in Aktien von P. zum Wert ihres Ausgabepreises bestehen solle. Diese Herangehensweise ermögliche es, den in Rede stehenden Umsätzen synallagmatischen Charakter zu verleihen.

    19

    Vor diesem Hintergrund hat der Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Ist unter der Gegenleistung, die der Lieferer für die Lieferung von Gegenständen erhält oder erhalten soll, von der in Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Rede ist, der Nennwert der gezeichneten Aktien oder ihr Ausgabewert zu verstehen, wenn die Parteien vereinbart haben, dass die Gegenleistung der Ausgabewert der Aktien ist?

    Zur Vorlagefrage

    20

    Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Steuerbemessungsgrundlage für eine Einbringung von Grundstücken durch eine erste Gesellschaft in das Kapital einer zweiten Gesellschaft im Austausch gegen Aktien dieser zweiten Gesellschaft anhand des Nennwerts dieser Aktien zu bestimmen ist, wenn die Gesellschaften vereinbart haben, dass die Gegenleistung für diese Einbringung in das Kapital im Ausgabewert dieser Aktien besteht.

    21

    Hierzu ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass die Steuerbemessungsgrundlage alles umfasst, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für die Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen erhält oder erhalten soll.

    22

    Diese Gegenleistung muss nicht notwendigerweise in Geld bestehen. Bei Tauschverträgen, bei denen die Gegenleistung definitionsgemäß in einer Sachleistung besteht, und Umsätzen, bei denen die Gegenleistung in Geld erbracht wird, handelt es sich nämlich unter wirtschaftlichen und geschäftlichen Gesichtspunkten um zwei Situationen, die im Hinblick auf die Mehrwertsteuerrichtlinie gleichartig sind. So kann eine Dienstleistung oder eine Lieferung von Gegenständen die Gegenleistung für eine Dienstleistung oder eine Lieferung von Gegenständen darstellen und deren Steuerbemessungsgrundlage im Sinne von Art. 73 dieser Richtlinie bilden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Januar 2019, A, C‑410/17, EU:C:2019:12, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    23

    Die Lieferung von Gegenständen oder die Dienstleistung muss jedoch gegen Entgelt erfolgen, d. h., es muss ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den ausgetauschten Gegenständen oder Dienstleistungen bestehen, und der Wert des Gegenstands oder der Dienstleistung, der bzw. die im Gegenzug geleistet wird, muss in Geld ausgedrückt werden können. Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang ist gegeben, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Januar 2019, A, C‑410/17, EU:C:2019:12, Rn. 31 und 35 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    24

    Im vorliegenden Fall nahm P. mehrere Erhöhungen ihres Kapitals vor, indem sie das Eigentum an W. und B. gehörenden Grundstücken erwarb. Die Gegenleistung, die diese Gesellschaften für die Einbringungen ihrer Grundstücke in das Kapital von P. erhielten, erfolgte in Form von Aktien von P., die P. zu diesem Zweck ausgab.

    25

    Es besteht daher ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Übertragung dieser Grundstücke durch W. und durch B. und der Zuteilung von Aktien von P. an diese Gesellschaften. Außerdem kann der Wert der an diese Gesellschaften übertragenen Aktien in Geld ausgedrückt werden.

    26

    Zur Bewertung dieser Aktien in Geld geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass der Nennwert der Aktien einer Handelsgesellschaft im polnischen Recht im Wesentlichen als der Wert der von den Gründungsgesellschaftern geleisteten Geld- und Sacheinlagen pro Aktie, wie er in der Satzung der Gesellschaft festgelegt ist, definiert wird. Bei diesem Wert handelt es sich somit um den Wert jeder Aktie einer Gesellschaft, der von den Aktionären der Gesellschaft zum Zeitpunkt ihrer Gründung zugrunde gelegt wird und sich nach den Einlagen der Aktionäre in die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bestimmt. Der Ausgabewert einer Aktie entspricht seinerseits dem Wert der Aktie bei ihrer Ausgabe. Bei der Gründung einer Gesellschaft kommt also der Ausgabewert einer Aktie grundsätzlich ihrem Nennwert gleich. Der Wert einer Gesellschaft kann jedoch während ihres Bestehens unter Berücksichtigung namentlich ihrer Tätigkeit steigen – wie er auch sinken kann –, so dass der Wert jeder einzelnen Aktie dieser Gesellschaft dann höher – oder aber niedriger – ist als der Nennwert. Wenn eine Gesellschaft, deren Aktienwert seit ihrer Gründung gestiegen ist, neue Aktien ausgibt, ist der Ausgabepreis der neuen Aktien in der Regel höher als der Nennwert der bestehenden Aktien, um eine Verwässerung des Wertes der bestehenden Aktien zu verhindern.

    27

    Im Übrigen bildet nach gefestigter Rechtsprechung bei einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt die vom Steuerpflichtigen dafür tatsächlich erhaltene Gegenleistung die Steuerbemessungsgrundlage. Diese Gegenleistung ist der subjektive, nämlich der tatsächlich erhaltene Wert, und nicht ein nach objektiven Kriterien geschätzter Wert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2012, Orfey, C‑549/11, EU:C:2012:832, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    28

    Wenn dieser Wert nicht aus einem zwischen den Beteiligten vereinbarten Geldbetrag besteht, muss er als subjektiver Wert derjenige Wert sein, den der Empfänger der Lieferung von Gegenständen, die die Gegenleistung für eine andere Lieferung von Gegenständen darstellt, den Gegenständen beimisst, die er sich verschaffen will, und dem Betrag entsprechen, den er zu diesem Zweck aufzuwenden bereit ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2012, Orfey, C‑549/11, EU:C:2012:832, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    29

    Im vorliegenden Fall entspricht der subjektive Wert der Gegenleistung für die Grundstückseinbringungen dem Geldwert, den W. und B. den Aktien von P. beimaßen, als sie diese im Austausch gegen diese Einbringungen in das Kapital von P. annahmen.

    30

    Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht ergibt sich aus den zwischen W. und B. einerseits und P. andererseits geschlossenen Verträgen, dass die Gegenleistung für die Einbringung der bis dahin W. und B. gehörenden Grundstücke in das Kapital von P. in der Zuteilung einer Anzahl von Aktien besteht, deren Stückwert sich nach ihrem Ausgabewert richtet. Daraus folgt, dass der subjektive Wert jeder dieser Aktien, die W. und B. anlässlich dieser Kapitalerhöhung zeichneten, dem Ausgabepreis der Aktien entspricht.

    31

    Dieser Ausgabepreis, der sich auf 35287,19 PLN, also etwa 8123 Euro, beläuft, entspricht somit dem vereinbarten und tatsächlich von W. und von B. für jede der Aktien von P. erhaltenen Geldwert.

    32

    Da zum einen die Steuerbemessungsgrundlage für die Grundstücksübertragung auf P. gemäß Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie anhand der dafür vereinbarten und von W. und von B. tatsächlich erhaltenen Gegenleistung zu bestimmen ist und zum anderen P. und diese Gesellschaften übereinkamen, dass diese Gegenleistung in der Zuteilung von Aktien von P. zu einem Ausgabepreis von 35287,19 PLN, also etwa 8123 Euro, je Aktie besteht, ist somit dieser Ausgabepreis und nicht der Nennwert dieser Aktien, d. h. 50 PLN, also ungefähr 11,50 Euro, bei der Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage für die Übertragung dieser Grundstücke heranzuziehen.

    33

    Diese Beurteilung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass im vorliegenden Fall der Ausgabewert der Aktien von den Parteien festgelegt wurde, nachdem ein Dritter den Marktwert der einzubringenden Grundstücke ermittelt hatte. Wie nämlich der Rzecznik Małych i Średnich Przedsiębiorców (Ombudsmann für kleine und mittlere Unternehmen, Polen) in seinen Erklärungen ausführt, zeugt diese Bewertung nur davon, dass die Parteien ähnliche Bedingungen vereinbarten, wie sie andere Parteien für den Verkauf solcher Grundstücke auf dem Markt hätten vereinbaren können. Sie berührt nicht die Feststellung, dass die Parteien, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, übereinkamen, dass der Wert der in Rede stehenden Aktien ihrem Ausgabewert entspricht.

    34

    Somit belegt der Umstand, dass der vereinbarte Preis dem Marktpreis entspricht, nicht, dass die Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage anhand eines objektiven Wertes anstelle des von den Parteien tatsächlich vereinbarten subjektiven Wertes bestimmt wird. Infolgedessen bestimmt sich die tatsächlich vereinbarte Gegenleistung für die in Rede stehenden Grundstücke, die gemäß Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage bildet, unter Berücksichtigung der Anzahl der nach ihrem Ausgabepreis bewerteten Aktien von P., die W. und B. zeichnen konnten.

    35

    Die Beurteilung in Rn. 32 des vorliegenden Urteils wird auch nicht durch das Vorbringen der polnischen Regierung in ihren Erklärungen und das Vorbringen der Rechtsbehelfsbehörde, wie es aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, in Frage gestellt, wonach der Nennwert der Aktien den Umfang der materiellen und immateriellen Rechte und Pflichten der Aktionäre einer Gesellschaft bestimme. Denn selbst wenn dies der Fall ist, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass der Nennwert der Gegenleistung entspricht, die zwischen den Parteien vereinbart wurde, da die von den Parteien im Umfeld der in Rede stehenden Kapitalerhöhung geschlossenen Verträge bestimmen, dass die neuen Aktien, die im Austausch gegen die Sacheinlage der Grundstücke ausgegeben werden, zu ihrem Ausgabewert gezeichnet werden.

    36

    Diese Bestimmung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage hindert das vorlegende Gericht jedoch, wie die Europäische Kommission ausgeführt hat, nicht daran, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu überprüfen, ob der von den Parteien vereinbarte Wert tatsächlich die wirtschaftliche und geschäftliche Realität widerspiegelt und nicht das Ergebnis einer missbräuchlichen Vorgehensweise ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Januar 2019, A, C‑410/17, EU:C:2019:12, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    37

    Darüber hinaus gestattet Art. 80 der Mehrwertsteuerrichtlinie den Mitgliedstaaten ausdrücklich, zur Vorbeugung gegen Steuerhinterziehung oder ‑umgehung in bestimmten Fällen für die Lieferungen von Gegenständen oder für Dienstleistungen an Empfänger, zu denen familiäre oder andere enge persönliche Bindungen, Bindungen aufgrund von Leitungsfunktionen oder Mitgliedschaften sowie eigentumsrechtliche, finanzielle oder rechtliche Bindungen gemäß der Definition des Mitgliedstaats bestehen, als Steuerbemessungsgrundlage den Normalwert heranzuziehen.

    38

    Da diese Bestimmung jedoch von der Regel abweicht, dass die Steuerbemessungsgrundlage durch die Gegenleistung gebildet wird, die der Steuerpflichtige für die Lieferung eines Gegenstands oder die Erbringung einer Dienstleistung tatsächlich erhalten hat, ist sie eng auszulegen. So ist entschieden worden, dass die darin aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen erschöpfend sind, so dass nationale Rechtsvorschriften nicht auf der Grundlage dieser Bestimmung vorsehen können, dass die Steuerbemessungsgrundlage in anderen als den in ihr aufgezählten Fällen der Normalwert des Umsatzes ist (Urteil vom 19. Dezember 2012, Orfey, C‑549/11, EU:C:2012:832, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    39

    Im vorliegenden Fall enthält die dem Gerichtshof vorliegende Akte allerdings keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Ausgabewert der in Rede stehenden Aktien auf eine missbräuchliche Vorgehensweise zurückzuführen wäre oder dass von der Republik Polen gemäß Art. 80 der Mehrwertsteuerrichtlinie Maßnahmen ergriffen worden wären und diese Anwendung fänden.

    40

    Nach alledem ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Steuerbemessungsgrundlage für eine Einbringung von Grundstücken durch eine erste Gesellschaft in das Kapital einer zweiten Gesellschaft im Austausch gegen Aktien dieser zweiten Gesellschaft anhand des Ausgabewerts dieser Aktien zu bestimmen ist, wenn die Gesellschaften vereinbart haben, dass die Gegenleistung für diese Einbringung in das Kapital in diesem Ausgabewert besteht.

    Kosten

    41

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft geänderten Fassung

     

    ist dahin auszulegen, dass

     

    die Steuerbemessungsgrundlage für eine Einbringung von Grundstücken durch eine erste Gesellschaft in das Kapital einer zweiten Gesellschaft im Austausch gegen Aktien dieser zweiten Gesellschaft anhand des Ausgabewerts dieser Aktien zu bestimmen ist, wenn die Gesellschaften vereinbart haben, dass die Gegenleistung für diese Einbringung in das Kapital in diesem Ausgabewert besteht.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.

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