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Document 62023CJ0076

    Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 21. März 2024.
    Cobult UG gegen TAP Air Portugal SA.
    Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Frankfurt am Main.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 7 Abs. 3 – Art. 8 Abs. 1 Buchst. a – Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten im Fall der Annullierung eines Fluges – Erstattung in Form von Reisegutscheinen – Begriff ‚mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts‘ – Erstattungsverfahren über ein auf der Website des ausführenden Luftfahrtunternehmens verfügbares Formular.
    Rechtssache C-76/23.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:253

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

    21. März 2024 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 7 Abs. 3 – Art. 8 Abs. 1 Buchst. a – Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten im Fall der Annullierung eines Fluges – Erstattung in Form von Reisegutscheinen – Begriff ‚mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts‘ – Erstattungsverfahren über ein auf der Website des ausführenden Luftfahrtunternehmens verfügbares Formular“

    In der Rechtssache C‑76/23

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. Januar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Februar 2023, in dem Verfahren

    Cobult UG

    gegen

    TAP Air Portugal SA

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer sowie der Richter N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),

    Generalanwalt: G. Pitruzzella,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der französischen Regierung, vertreten durch J.‑L. Carré, B. Herbaut und B. Travard als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, G. von Rintelen, G. Wilms und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 3 und Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Cobult UG als Zessionarin der Rechte eines Fluggasts und der TAP Air Portugal SA, einem Luftfahrtunternehmen, über die Erstattung der Flugscheinkosten dieses Fluggasts, dessen Flug annulliert wurde.

    Rechtlicher Rahmen

    3

    Die Erwägungsgründe 1, 2, 4 und 20 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:

    „(1)

    Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

    (2)

    Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.

    (4)

    Die Gemeinschaft sollte deshalb die mit der genannten Verordnung festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken und um sicherzustellen, dass die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterliegt.

    (20)

    Die Fluggäste sollten umfassend über ihre Rechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen informiert werden, damit sie diese Rechte wirksam wahrnehmen können.“

    4

    Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und c dieser Verordnung sieht vor:

    „Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

    a)

    vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,

    c)

    vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 eingeräumt …“

    5

    Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) dieser Verordnung bestimmt in den Abs. 1 und 3:

    „(1)   Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen …

    (3)   Die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 erfolgen durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen.“

    6

    Art. 8 („Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung“) der Verordnung sieht in Abs. 1 Buchst. a vor:

    „Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen

    a)

    der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist …“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

    7

    Ein von einem Fluggast bei TAP Air Portugal als ausführendem Luftfahrtunternehmen für den 1. Juli 2020 zu einem Preis von 1447,02 Euro gebuchter Flug mit Anschlussflug von Fortaleza (Brasilien) über Lissabon (Portugal) nach Frankfurt am Main (Deutschland) wurde von diesem Unternehmen annulliert.

    8

    Das Luftfahrtunternehmen hält seit dem 19. Mai 2020 auf der Homepage seiner Website u. a. für von ihm annullierte Flüge ein Verfahren zur Einleitung von Erstattungen bereit. Die Fluggäste haben dabei die Wahl zwischen einer sofortigen Erstattung in Form eines Reisegutscheins, wenn sie ein Online‑Formular ausfüllen, und anderen Formen der Erstattung, beispielsweise durch einen Geldbetrag, die aber voraussetzen, dass die Fluggäste zuvor mit dem „Contact-Center“ des Luftfahrtunternehmens Kontakt aufgenommen haben, damit es den Sachverhalt prüfen kann.

    9

    Nach den Erstattungsbedingungen, die ausschließlich in englischer Sprache verfügbar sind und denen der Fluggast zustimmen muss, nachdem er die erforderlichen Eingaben (Flugscheinnummer, Nachname, E‑Mail‑Adresse und Telefonnummer) gemacht hat, ist eine Rückerstattung der Flugscheinkosten in Geld ausgeschlossen, wenn der Fluggast die Erstattung in Form eines Reisegutscheins wählt.

    10

    TAP Air Portugal behauptet, der betreffende Fluggast habe am 4. Juni 2020 die Erstattung durch Ausstellung eines Gutscheins beantragt und per E‑Mail einen Gutschein in Höhe von 1737,52 Euro – den Kosten des ursprünglichen Flugscheins nebst eines Zuschlags – zugesandt bekommen.

    11

    Am 30. Juli 2020 trat der Fluggast seine Ansprüche gegen TAP Air Portugal an Cobult ab, die dieses Unternehmen am gleichen Tag aufforderte, den Preis des annullierten Fluges in Geld binnen 14 Tagen zu erstatten.

    12

    Angesichts der Weigerung von TAP Air Portugal, die begehrte Erstattung vorzunehmen, erhob Cobult Klage beim zuständigen erstinstanzlichen Gericht, die mit der Begründung abgewiesen wurde, dass die vom Fluggast abgetretenen Ansprüche durch die Erstattung in Form eines Reisegutscheins erloschen seien.

    13

    Cobult legte gegen dieses Urteil beim Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.

    14

    Das vorlegende Gericht hegt Zweifel hinsichtlich der Auslegung von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004, wonach die Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins nur „mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts“ erfolgen kann. Es fragt insbesondere nach der Tragweite der Wendung „mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts“, um beurteilen zu können, ob die von TAP Air Portugal auf ihrer Website vorgegebenen Erstattungsmodalitäten mit dieser Bestimmung vereinbar sind. Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, das Erfordernis eines schriftlichen Einverständnisses des Fluggasts könne nach einem ersten Ansatz als zusätzliches Formerfordernis angesehen werden, mit dem der Fluggast davor gewarnt werden solle, vorschnell und unüberlegt einen Reisegutschein zu wählen, der eine Erstattungsform darstelle, die der Unionsgesetzgeber als für den Fluggast weniger günstig angesehen habe. Unter diesen Umständen stünde Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dem von TAP Air Portugal praktizierten Verfahren zur Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins entgegen.

    15

    Nach einem zweiten Ansatz würde das Erfordernis einer schriftlichen Zustimmung des Fluggasts in Form einer Zustimmung auf dem Postweg oder per E‑Mail den Erstattungszeitraum ausdehnen und zugleich den mit der Bearbeitung der Erstattungen verbundenen Verwaltungsaufwand für die Luftfahrtunternehmen erhöhen. Demnach könnte ein mehrstufiges Online-Erstattungsverfahren wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende als den Anforderungen von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 genügend eingestuft werden.

    16

    Unter diesen Umständen hat das Landgericht Frankfurt am Main beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Ist Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahingehend auszulegen, dass ein schriftliches Einverständnis des Fluggasts zur Erstattung der Flugscheinkosten im Sinne des Art. 8 Abs. 1 Buchst. a erster Spiegelstrich dieser Verordnung durch einen Reisegutschein schon dann vorliegt, wenn der Fluggast einen solchen Gutschein auf der Internetseite des ausführenden Luftfahrtunternehmens unter Ausschluss einer nachträglichen Auszahlung der Flugscheinkosten in Geld auswählt und per E‑Mail zugesandt erhält, während eine Erstattung der Flugscheinkosten in Geld nur nach vorheriger Kontaktaufnahme mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen möglich ist?

    Zur Vorlagefrage

    17

    Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit ihrem Art. 8 Abs. 1 Buchst. a dahin auszulegen ist, dass im Fall der Annullierung eines Fluges durch das ausführende Luftfahrtunternehmen davon auszugehen ist, dass der Fluggast sein „schriftliches Einverständnis“ mit einer Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins erteilt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Online-Formular ausgefüllt und darin diese Form der Erstattung unter Ausschluss der Auszahlung eines Geldbetrags gewählt hat, wobei die letztgenannte Erstattungsform von der Einhaltung eines Verfahrens abhing, das zusätzliche beim Kundendienst des Luftfahrtunternehmens zu unternehmende Schritte umfasste.

    18

    Nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit ihrem Art. 5 Abs. 1 Buchst. a hat der Fluggast bei Annullierung eines Fluges Anspruch auf eine binnen sieben Tagen zu leistende vollständige Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Art. 7 Abs. 3 der Verordnung genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde.

    19

    Die letztgenannte Bestimmung sieht vor, dass die Erstattung durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen erfolgt.

    20

    Aus Art. 7 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 ergibt sich, dass der Unionsgesetzgeber mit diesen Bestimmungen einen Rahmen für die Modalitäten der Erstattung der Flugscheinkosten bei Annullierung eines Fluges geschaffen hat. Dabei zeigt der Aufbau von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung, dass die Erstattung der Flugscheinkosten in erster Linie durch Zahlung eines Geldbetrags zu erfolgen hat. Demgegenüber stellt die Erstattung in Form von Reisegutscheinen eine subsidiäre Erstattungsmodalität dar, die nur mit „schriftlichem Einverständnis des Fluggasts“ zulässig ist.

    21

    In der Verordnung Nr. 261/2004 wird nicht definiert, was unter dem „schriftliche[n] Einverständnis des Fluggasts“ zu verstehen ist.

    22

    Hierzu ist zum einen festzustellen, dass unter dem Begriff „Einverständnis“ nach seinem üblichen Sinn eine nach Aufklärung freiwillig erteilte Zustimmung verstanden wird. Im Kontext von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung verlangt dieser Begriff daher, dass der Fluggast nach Aufklärung freiwillig zugestimmt hat, die Erstattung seiner Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins zu erhalten.

    23

    Zum anderen ist, soweit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung ein „schriftliches“ Einverständnis des Fluggasts verlangt, festzustellen, dass die verschiedenen Sprachfassungen dieser Bestimmung voneinander abweichen.

    24

    Während nämlich in der französischen Sprachfassung dieser Bestimmung („accord signé du passager“) und ihr entsprechend in der bulgarischen („с подписано съгласие на пътника“), spanischen („previo acuerdo firmado por el pasajero“), tschechischen („v případě dohody podepsané cestujícím“), griechischen („εφόσον συμφωνήσει ενυπογράφως ο επιβάτης“), englischen („with the signed agreement of the passenger“), italienischen („previo accordo firmato dal passeggero“), lettischen („saņemot pasažiera parakstītu piekrišanu“), litauischen („keleiviui savo parašu patvirtinus, kad jis su tuo sutinka“), maltesischen („bil-ftehim iffirmat tal-passiġġier“) und finnischen („matkustajan allekirjoitetulla suostumuksella“) Sprachfassung ein vom Fluggast unterzeichnetes Einverständnis verlangt wird, setzt nach ihrer dänischen („med passagerens skriftlige billigelse“), deutschen („mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts“), estnischen („kirjalikul kokkuleppel reisijaga“), kroatischen („uz pisanu suglasnost putnika“), ungarischen („az utas írásos beleegyezése esetén“), niederländischen („met de schriftelijke toestemming van de passagier“), polnischen („za pisemną zgodą pasażera“), portugiesischen („com o acordo escrito do passageiro“), rumänischen („cu acordul scris al pasagerului“), slowakischen („s písomným súhlasom cestujúceho“), slowenischen („s pisnim soglasjem potnika“) und schwedischen („med passagerarens skriftliga samtycke“) Sprachfassung die Erstattung in Form von Reisegutscheinen das schriftliche Einverständnis des Fluggasts voraus.

    25

    Nach ständiger Rechtsprechung kann die in einer der Sprachfassungen einer Bestimmung des Unionsrechts verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Bestimmung herangezogen werden oder Vorrang vor den anderen Sprachfassungen beanspruchen. Die Bestimmungen des Unionsrechts müssen nämlich im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden. Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Rechtstexts der Union voneinander ab, ist die fragliche Bestimmung anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung auszulegen, zu der sie gehört (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 2. Dezember 2022, Compania Naţională de Transporturi Aeriene Tarom, C‑229/22, EU:C:2022:978, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    26

    Insoweit ergibt sich zum einen aus den Erwägungsgründen 1, 2 und 4 der Verordnung Nr. 261/2004, dass sie ein hohes Schutzniveau für Fluggäste und Verbraucher sicherstellen soll, indem ihre Rechte in einer Reihe von Situationen, die für sie ein Ärgernis sind und ihnen große Unannehmlichkeiten verursachen, gestärkt werden und ihnen standardisiert und sofort Ersatz geleistet wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. April 2021, Austrian Airlines, C‑826/19, EU:C:2021:318, Rn. 26).

    27

    Zum anderen folgt aus dem 20. Erwägungsgrund dieser Verordnung, dass Fluggäste, deren Flug annulliert wurde, umfassend über ihre Rechte informiert werden sollten, damit sie diese Rechte wirksam wahrnehmen können.

    28

    Wie der Gerichtshof unter Verweis auf den 20. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 entschieden hat, muss das ausführende Luftfahrtunternehmen den Fluggästen die Informationen liefern, die erforderlich sind, damit sie eine zweckdienliche und informierte Wahl in Bezug auf die Geltendmachung des in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung vorgesehenen Anspruchs auf Erstattung treffen können, ohne dass dessen Zuerkennung eine aktive Mitwirkung des Fluggasts erfordert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Rusu, C‑354/18, EU:C:2019:637, Rn. 50 bis 55).

    29

    In diesem Rahmen ist im Licht des Ziels, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, und der dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegenden Informationspflicht davon auszugehen, dass die Wendung „mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts“ in Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 erstens voraussetzt, dass der Fluggast in der Lage war, eine zweckdienliche und informierte Wahl zu treffen und somit nach Aufklärung freiwillig der Erstattung seiner Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins anstelle eines Geldbetrags zuzustimmen.

    30

    Dabei obliegt es dem Luftfahrtunternehmen, dem Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, in lauterer Weise klare und umfassende Informationen über die verschiedenen Erstattungsmodalitäten seiner Flugscheinkosten zu geben, die er nach Art. 7 Abs. 3 der Verordnung hat.

    31

    Stehen dem Fluggast solche Informationen nicht zur Verfügung, kann hingegen nicht davon ausgegangen werden, dass er in der Lage ist, eine zweckdienliche und informierte Wahl zu treffen und somit nach Aufklärung freiwillig einer Erstattung in Form eines Reisegutscheins zuzustimmen.

    32

    Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Fluggast sein „Einverständnis“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 erteilt hat, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen, etwa auf seiner Website, Informationen über die Erstattungsmodalitäten von Flugscheinkosten bereitstellt, die mehrdeutig oder unvollständig oder in einer Sprache abgefasst sind, deren Beherrschung durch den Fluggast bei vernünftiger Betrachtung nicht erwartet werden kann, oder die in unlauterer Weise erteilt werden, etwa wenn die Erstattung der Flugscheinkosten durch einen Geldbetrag einem Verfahren unterliegt, das gegenüber der Erstattung in Form eines Reisegutscheins zusätzliche Schritte umfasst.

    33

    Eine solche Schlussfolgerung ist umso mehr geboten, als die Hinzufügung solcher zusätzlichen Schritte geeignet ist, die Erlangung einer Erstattung in Form eines Geldbetrags zu erschweren und somit das vom Unionsgesetzgeber vorgesehene, in Rn. 20 des vorliegenden Urteils dargelegte Verhältnis zwischen den beiden Erstattungsmodalitäten umzukehren, im Widerspruch zu dem mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgten Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.

    34

    Zweitens ist in Bezug auf die Form des Einverständnisses des Fluggasts zu ergänzen, dass, sofern er klare und umfassende Informationen erhalten hat, sein „schriftliche[s] Einverständnis“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung, wie sich im Wesentlichen aus den Erklärungen der französischen Regierung ergibt, insbesondere seine ausdrücklich erklärte, endgültige und eindeutige Annahme einer Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins umfassen kann, die dadurch erfolgt, dass er ein auf der Website des ausführenden Luftfahrtunternehmens ausgefülltes Formular versendet, ohne dass dieses seine handschriftliche oder digitalisierte Unterschrift enthält.

    35

    Diese Auslegung von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 wahrt den Ausgleich zwischen den jeweiligen Interessen der Fluggäste und der ausführenden Luftfahrtunternehmen, den der Unionsgesetzgeber durch den Erlass der Verordnung Nr. 261/2004 schaffen wollte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 67, und vom 23. Oktober 2012, Nelson u. a., C‑581/10 und C‑629/10, EU:C:2012:657, Rn. 39).

    36

    Würde man ausschließen, dass das „schriftliche Einverständnis des Fluggasts“ mit einer Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins mittels eines vom Fluggast auf der Website des ausführenden Luftfahrtunternehmens auszufüllenden Formulars erteilt werden kann, erschiene dies nämlich nicht nur überzogen, sondern auch unangemessen, da ein solcher Ausschluss den mit der Bearbeitung der Erstattungen verbundenen Verwaltungsaufwand für das Luftfahrtunternehmen erhöhen würde und geeignet wäre, das Erstattungsverfahren für den Fluggast zu verzögern, was seinen Interessen letztlich zuwiderlaufen könnte.

    37

    Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit ihrem Art. 8 Abs. 1 Buchst. a und im Licht ihres 20. Erwägungsgrundes dahin auszulegen ist, dass im Fall der Annullierung eines Fluges durch das ausführende Luftfahrtunternehmen davon auszugehen ist, dass der Fluggast sein „schriftliches Einverständnis“ mit einer Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins erteilt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Online-Formular ausgefüllt und darin diese Erstattungsmodalität unter Ausschluss der Auszahlung eines Geldbetrags gewählt hat, sofern er in der Lage war, eine zweckdienliche und informierte Wahl zu treffen und somit der Erstattung seiner Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins anstelle eines Geldbetrags nach Aufklärung zuzustimmen; dies setzt voraus, dass das Luftfahrtunternehmen dem Fluggast in lauterer Weise klare und umfassende Informationen über die verschiedenen ihm zur Verfügung stehenden Erstattungsmodalitäten gegeben hat.

    Kosten

    38

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 7 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist in Verbindung mit ihrem Art. 8 Abs. 1 Buchst. a und im Licht ihres 20. Erwägungsgrundes

     

    dahin auszulegen, dass

     

    im Fall der Annullierung eines Fluges durch das ausführende Luftfahrtunternehmen davon auszugehen ist, dass der Fluggast sein „schriftliches Einverständnis “ mit einer Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins erteilt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Online-Formular ausgefüllt und darin diese Erstattungsmodalität unter Ausschluss der Auszahlung eines Geldbetrags gewählt hat, sofern er in der Lage war, eine zweckdienliche und informierte Wahl zu treffen und somit der Erstattung seiner Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins anstelle eines Geldbetrags nach Aufklärung zuzustimmen; dies setzt voraus, dass das Luftfahrtunternehmen dem Fluggast in lauterer Weise klare und umfassende Informationen über die verschiedenen ihm zur Verfügung stehenden Erstattungsmodalitäten gegeben hat.

     

    Jürimäe

    Leanerts

    Piçarra

    Jääskinen

    Gavalec

    Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. März 2024.

    Der Kanzler

    A. Calot Escobar

    Die Kammerpräsidentin

    K. Jürimäe


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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