Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62023CJ0022

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 18. April 2024.
„Citadeles nekustamie īpašumi” SIA gegen Valsts ieņēmumu dienests.
Vorabentscheidungsersuchen der Administratīvā rajona tiesa.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung – Richtlinie (EU) 2015/849 – Geltungsbereich – Verpflichteter – Art. 3 Nr. 7 Buchst. c – Begriff ‚Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften‘ – Bereitstellung eines Sitzes – Eigentümer einer Immobilie, der mit juristischen Personen Mietverträge geschlossen hat – Registrierung dieser Immobilie als Sitz dieser juristischen Personen.
Rechtssache C-22/23.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:327

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

18. April 2024 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung – Richtlinie (EU) 2015/849 – Geltungsbereich – Verpflichteter – Art. 3 Nr. 7 Buchst. c – Begriff ‚Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften‘ – Bereitstellung eines Sitzes – Eigentümer einer Immobilie, der mit juristischen Personen Mietverträge geschlossen hat – Registrierung dieser Immobilie als Sitz dieser juristischen Personen“

In der Rechtssache C‑22/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) mit Entscheidung vom 18. Januar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Januar 2023, in dem Verfahren

„Citadeles nekustamie īpašumi“ SIA

gegen

Valsts ieņēmumu dienests

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin (Berichterstatter) sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der „Citadeles nekustamie īpašumi“ SIA, vertreten durch S. Bokta-Strautmane, Advokāte,

des Valsts ieņēmumu dienests, vertreten durch I. Jaunzeme, Ģenerāldirektore,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Goddin, I. Rubene und G. von Rintelen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Januar 2024

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission (ABl. 2015, L 141, S. 73) in der durch die Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 (ABl. 2018, L 156, S. 43) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2015/849).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Citadeles nekustamie īpašumi“ SIA (im Folgenden: Citadele) und dem Valsts ieņēmumu dienests (Staatliche Steuerverwaltung, Lettland) (im Folgenden: VID) wegen einer gegen Citadele aufgrund von Verstößen gegen die nationalen Vorschriften über die Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verhängten Geldbuße.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2015/849

3

Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/849 lautet:

„Ströme von illegalem Geld können die Integrität, Stabilität und das Ansehen des Finanzsektors schädigen und eine Bedrohung für den Binnenmarkt der [Europäischen] Union sowie die internationale Entwicklung darstellen. Geldwäsche, die Finanzierung des Terrorismus und organisierte Kriminalität sind nach wie vor bedeutende Probleme, die auf Ebene der Union angegangen werden sollten. Ergänzend zur Weiterentwicklung strafrechtlicher Maßnahmen auf Unionsebene sind zielgerichtete und verhältnismäßige Maßnahmen, die verhindern, dass das Finanzsystem zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung genutzt wird, unverzichtbar und können hier zu zusätzlichen Ergebnissen führen.“

4

Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2015/849 sieht vor:

„Ziel dieser Richtlinie ist die Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems der Union zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung.“

5

Art. 2 der Richtlinie 2015/849 bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie gilt für die folgenden Verpflichteten

3.

die folgenden natürlichen oder juristischen Personen bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit:

b)

Notare und andere selbständige Angehörige von rechtsberatenden Berufen, wenn sie im Namen und auf Rechnung ihres Klienten Finanz- oder Immobilientransaktionen durchführen oder für ihren Klienten an der Planung oder Durchführung von Transaktionen mitwirken, die Folgendes betreffen:

i)

den Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben,

c)

Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften, die nicht unter die Buchstaben a oder b fallen,

d)

Immobilienmakler, auch in ihrer Tätigkeit bei der Vermietung von Immobilien, aber nur in Bezug auf Transaktionen, bei denen sich die monatliche Miete auf 10000 EUR oder mehr beläuft,

(7)   Bei der Bewertung des Risikos der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung im Sinne dieses Artikels richten die Mitgliedstaaten ihr spezielles Augenmerk auf alle Finanztätigkeiten, die naturgemäß als besonders geeignet gelten, für Zwecke der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung genutzt oder missbraucht zu werden.

…“

6

In Art. 3 der Richtlinie 2015/849 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

7.

‚Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften‘ jede Person, die gewerbsmäßig eine der folgenden Dienstleistungen für Dritte erbringt:

a)

Gründung von Gesellschaften oder anderen juristischen Personen;

b)

Ausübung der Leitungs- oder Geschäftsführungsfunktion einer Gesellschaft, der Funktion eines Gesellschafters einer Personengesellschaft oder einer vergleichbaren Funktion bei einer anderen juristischen Person oder Bestellung einer anderen Person für die zuvor genannten Funktionen;

c)

Bereitstellung eines Sitzes, einer Geschäfts‑, Post- oder Verwaltungsadresse und anderer damit zusammenhängender Dienstleistungen für eine Gesellschaft, eine Personengesellschaft oder eine andere juristische Person oder Rechtsvereinbarung;

d)

Ausübung der Funktion eines Trustees eines Express Trusts oder einer ähnlichen Rechtsvereinbarung oder Bestellung einer anderen Person für die zuvor genannten Funktionen;

e)

Ausübung der Funktion eines nominellen Anteilseigners für eine andere Person, bei der es sich nicht um eine an einem geregelten Markt notierte Gesellschaft handelt, die dem Unionsrecht entsprechenden Offenlegungsanforderungen oder gleichwertigen internationalen Standards unterliegt, oder Bestellung einer anderen Person für die zuvor genannten Funktionen;

…“

7

Art. 4 der Richtlinie 2015/849 lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen in Übereinstimmung mit dem risikobasierten Ansatz dafür, dass der Geltungsbereich dieser Richtlinie ganz oder teilweise auf Berufe und Unternehmenskategorien ausgedehnt wird, die zwar keine Verpflichteten im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 sind, jedoch Tätigkeiten ausüben, bei denen es besonders wahrscheinlich ist, dass diese für Zwecke der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung genutzt werden.

(2)   Dehnt ein Mitgliedstaat den Geltungsbereich dieser Richtlinie auf andere als die in Artikel 2 Absatz 1 genannten Berufe oder Unternehmenskategorien aus, so teilt er dies der [Europäischen] Kommission mit.“

8

Art. 5 der Richtlinie 2015/849 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in den Grenzen des Unionsrechts strengere Vorschriften auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen oder beibehalten.“

Richtlinie (EU) 2017/1132

9

Art. 4 der Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (ABl. 2017, L 169, S. 46) sieht vor:

„Die Satzung, der Errichtungsakt oder ein gesondertes Schriftstück, das nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 16 vorgesehenen Verfahren offenzulegen ist, enthalten mindestens folgende Angaben:

a)

den Sitz der Gesellschaft;

…“

Lettisches Recht

10

Das Noziedzīgi iegūtu līdzekļu legalizācijas un terorisma un proliferācijas finansēšanas novēršanas likums (Gesetz zur Verhinderung der Geldwäsche sowie der Finanzierung von Terrorismus und Proliferation) vom 17. Juli 2008 (Latvijas Vēstnesis, 2008, Nr. 116) wurde u. a. geändert, um die Richtlinie 2015/849 in lettisches Recht umzusetzen.

11

In Art. 1 Abs. 1 dieses Gesetzes in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Präventionsgesetz) heißt es:

„In diesem Gesetz werden folgende Begriffe verwendet:

10.

‚Erbringer von Dienstleistungen zur Gewährleistung der Gründung und des Betriebs einer Rechtsvereinbarung oder einer juristischen Person‘: natürliche oder juristische Person, die eine Geschäftsbeziehung mit dem Kunden unterhält und folgende Dienstleistungen erbringt:

c)

Bereitstellung eines Sitzes, einer Anschrift für die Entgegennahme von Postsendungen oder einer Anschrift für den Ort der Transaktionen und Erbringung anderer ähnlicher Dienstleistungen an Rechtsvereinbarungen und juristische Personen.

…“

12

Art. 3 Abs. 1 des Präventionsgesetzes sieht vor:

„Verpflichtete sind Personen, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit ausüben:

5.

Erbringer von Dienstleistungen zur Gewährleistung der Gründung und des Betriebs einer Rechtsvereinbarung oder einer juristischen Person;

…“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

13

Citadele ist eine Handelsgesellschaft, deren Tätigkeit u. a. den Kauf und Verkauf von Immobilien auf eigene Rechnung sowie die Vermietung und Verwaltung dieser Immobilien umfasst. Zwischen September 2021 und Februar 2022 führte die zuständige Stelle des VID bei ihr eine Prüfung im Bereich der Bekämpfung der Geldwäsche durch.

14

In seinem Prüfungsbericht vertrat der VID die Auffassung, dass Citadele dadurch, dass sie Räumlichkeiten einer ihr gehörenden Immobilie an juristische Personen und Rechtsvereinbarungen vermietet habe, die diese Räumlichkeiten als ihren Sitz hätten registrieren lassen, eine Tätigkeit als „Erbringer von Dienstleistungen zur Gewährleistung der Gründung und des Betriebs einer Rechtsvereinbarung oder einer juristischen Person“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Nr. 10 des Präventionsgesetzes ausgeübt habe. Citadele habe diese Tätigkeit jedoch nicht beim VID gemeldet und sei damit auch nicht den Pflichten nachgekommen, die das Präventionsgesetz daran knüpfe.

15

Daher verhängte die zuständige Stelle des VID mit Bescheid vom 28. März 2022 gegen Citadele eine Geldbuße in Höhe von 1000 Euro.

16

Citadele legte gegen diesen Bescheid Beschwerde beim Generaldirektor des VID ein, der ihn mit Bescheid vom 15. Juni 2022 bestätigte.

17

Der Generaldirektor des VID stützte sich darauf, dass die Geschäftstätigkeit von Citadele eine Dienstleistung für die Gründung und den Betrieb einer Rechtsvereinbarung oder einer juristischen Person darstelle, da diese Gesellschaft den Mietern in den in Rede stehenden Mietverträgen die Genehmigung erteilt habe, die vermieteten Räumlichkeiten als Sitz registrieren zu lassen. Daher sei sie nach Art. 3 des Präventionsgesetzes als Verpflichtete anzusehen.

18

Mit Klageschrift vom 15. Juli 2022 erhob Citadele bei der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Aufhebung des Bescheids vom 15. Juni 2022 mit der Begründung, dass sie nicht die Eigenschaft einer Verpflichteten habe und daher die damit verbundenen rechtlichen Anforderungen nicht erfüllen müsse.

19

Im Einzelnen trägt sie vor, dass sie sich im Rahmen ihrer Tätigkeit um die Verwaltung und Vermietung von ihr gehörenden Immobilien kümmere, ohne den Mietern andere Dienstleistungen zu erbringen. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Mietverträge sähen lediglich als eines der Mieterrechte vor, die gemieteten Immobilien als Sitz eintragen zu lassen, wobei dies gegebenenfalls keine Auswirkung auf die Höhe der vereinbarten Miete habe.

20

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Definition des Begriffs „Erbringer von Dienstleistungen zur Gewährleistung der Gründung und des Betriebs einer Rechtsvereinbarung oder einer juristischen Person“ in Art. 1 Abs. 1 Nr. 10 des Präventionsgesetzes der Definition des Begriffs „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ in Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie 2015/849 entspreche.

21

Weder in dieser noch in einer sonstigen Vorschrift der Richtlinie 2015/849 werde jedoch präzisiert, ob der Begriff der Dienstleistung für Trusts oder Gesellschaften dahin auszulegen sei, dass damit eine eigenständige Dienstleistung gemeint sei, die sich nicht aus einem Geschäft ergebe, das in der Vermietung einer eigenen Immobilie bestehe, und nicht mit einem solchen Geschäft zusammenhänge.

22

Das vorlegende Gericht bezweifelt jedoch, dass der Vermieter einer Immobilie als „Dienstleister für Gesellschaften“ im Sinne von Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie 2015/849 angesehen werden kann.

23

Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach nationalem Recht eine juristische Person oder eine Rechtsvereinbarung, um in das Handelsregister eingetragen werden zu können, der zuständigen Behörde den Sitz angeben müsse, der in der Regel auch der Ort sei, an dem die Geschäftstätigkeit ausgeübt werde. Während bis zum 31. Juli 2021 die Angabe einer gemieteten Räumlichkeit als Sitz den Nachweis der Zustimmung des Eigentümers vorausgesetzt habe, sei eine solche Zustimmung seit dem 1. August 2021 nicht mehr erforderlich. Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Mietverträge vor diesem Zeitpunkt geschlossen worden seien, könne die darin enthaltene Zustimmung von Citadele nur als eine zwecks Einhaltung der nach nationalem Recht bestehenden Anforderungen erteilte Zustimmung und nicht als eigenständige Dienstleistung angesehen werden.

24

Außerdem gelte die Richtlinie 2015/849 in Bezug auf Immobilientransaktionen für Notare und andere selbständige Angehörige von rechtsberatenden Berufen sowie für Immobilienmakler. Hingegen würden Dienstleister für Gesellschaften in dieser Richtlinie als eigenständige Verpflichtete angesehen, ohne Bezug zu Immobilientransaktionen.

25

Allerdings weist das vorlegende Gericht auf Art. 2 Abs. 7 der Richtlinie 2015/849 hin, wonach die Mitgliedstaaten bei der Bewertung des Risikos der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung ihr spezielles Augenmerk auf alle Finanztätigkeiten richten, die naturgemäß als besonders geeignet gelten, für Zwecke der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung genutzt oder missbraucht zu werden.

26

Das vorlegende Gericht hält es somit angesichts dessen, dass ein Mitgliedstaat die von Personen ausgeübten Tätigkeiten, die zur Verfolgung eines rechtswidrigen Ziels führen könnten, weit fassen könne, auch für möglich, dass der Vermieter einer Immobilie, um die Wahrscheinlichkeit seiner Beteiligung an Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung zu verringern, in den Fällen, in denen er eine ihm gehörende Immobilie an einen Mieter vermiete, der diese als Sitz registrieren lasse und dort eine Geschäftstätigkeit ausübe, als Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften anzusehen sei.

27

Schließlich stelle sich auch die Frage, ob alle Personen, die ihnen gehörende Immobilien vermieteten – also auch natürliche Personen – als „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ im Sinne von Art. 3 Nr. 7 der Richtlinie 2015/849 angesehen werden sollten, so dass für natürliche Personen dieselben Anforderungen gelten müssten wie für juristische Personen oder Rechtsvereinbarungen.

28

Unter diesen Umständen hat die Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist der Begriff „Dienstleister für Gesellschaften“ in Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 dahin auszulegen, dass damit eine eigenständige Dienstleistung gemeint ist, die sich nicht aus einem Geschäft ergibt, das in der Vermietung einer eigenen Immobilie besteht, und nicht mit einem solchen Geschäft zusammenhängt, unabhängig davon, ob der Vermieter seine Zustimmung dazu erteilt hat, dass der Mieter die vermietete Immobilie als Sitz registrieren lässt und dort Transaktionen tätigt?

2.

Für den Fall der Verneinung der ersten Frage: Ist der Begriff „Dienstleister für Gesellschaften“ in Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 dahin auszulegen, dass in den Fällen, in denen die Immobilie von einer natürlichen Person vermietet wird, für diese Person dieselben Anforderungen gelten müssen wie für eine juristische Person oder eine Rechtsvereinbarung, unabhängig von den tatsächlichen Umständen, z. B. der Anzahl der der natürlichen Person gehörenden und der von ihr vermieteten Immobilien, dem Umstand, dass die Vermietung der Immobilie nicht mit der Geschäftstätigkeit verbunden ist, oder sonstigen Umständen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

29

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 dahin auszulegen ist, dass unter den Begriff „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ im Sinne dieser Bestimmung der Eigentümer und Vermieter einer Immobilie fällt, die der Mieter mit dessen Zustimmung als Sitz registrieren lässt und in der der Mieter Transaktionen tätigt.

30

Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 17. November 2022, Rodl & Partner, C‑562/20, EU:C:2022:883, Rn. 81 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Der Hauptzweck der Richtlinie 2015/849 besteht, wie aus ihrem Titel und aus ihrem Art. 1 Abs. 1 und 2 hervorgeht, in der Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (Urteil vom 17. November 2022, Rodl & Partner, C‑562/20, EU:C:2022:883, Rn. 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Konkret zielen die Bestimmungen der Richtlinie 2015/849, die einen präventiven Charakter aufweisen, gemäß einem risikobasierten Ansatz darauf ab, eine Gesamtheit von Vorbeugungs- und Abschreckungsmaßnahmen vorzusehen, die es ermöglichen, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung effizient zu bekämpfen, um, wie aus dem ersten Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervorgeht, zu verhindern, dass Ströme von illegalem Geld die Integrität, Stabilität und das Ansehen des Finanzsektors der Union schädigen und eine Bedrohung für deren Binnenmarkt sowie die internationale Entwicklung darstellen können (Urteil vom 17. November 2022, Rodl & Partner, C‑562/20, EU:C:2022:883, Rn. 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

33

In Art. 2 der Richtlinie 2015/849 sind die Verpflichteten aufgeführt, auf die diese Richtlinie aufgrund ihrer Beteiligung an der Durchführung einer Transaktion oder einer Tätigkeit finanzieller Art anwendbar ist.

34

So gilt diese Richtlinie nach ihrem Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c u. a. für Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften, die nicht unter Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a oder b fallen.

35

Nach Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 bezeichnet der Ausdruck „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ im Sinne dieser Richtlinie jede Person, die gewerbsmäßig für Dritte folgende Dienstleistung erbringt: „Bereitstellung eines Sitzes, einer Geschäfts‑, Post- oder Verwaltungsadresse und anderer damit zusammenhängender Dienstleistungen für eine Gesellschaft, eine Personengesellschaft oder eine andere juristische Person oder Rechtsvereinbarung“.

36

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2015/849 keine Definition der Dienstleistung enthält, die in der Bereitstellung eines „Sitzes, einer Geschäfts‑, Post- oder Verwaltungsadresse“ im Sinne dieser Bestimmung besteht.

37

Der Begriff „Sitz“ bezeichnet gewöhnlich den Sitz einer juristischen Person, wie er in ihrer Satzung oder in einem anderen gleichwertigen Schriftstück definiert ist. Die Gründung einer juristischen Person erfordert in der Regel die Festlegung eines solchen Sitzes, wie sich z. B. Art. 4 Buchst. a der Richtlinie 2017/1132 für juristische Personen, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, entnehmen lässt. Nach dieser Bestimmung muss in der Satzung, im Errichtungsakt oder in einem gesonderten Schriftstück, das offenzulegen ist, der Sitz der Gesellschaft angegeben werden.

38

Soweit die Festlegung des Sitzes nicht nur die Angabe eines Ortes, sondern vielmehr eine genaue Adresse erfordert, wie dies im hier anwendbaren lettischen Recht der Fall zu sein scheint, bietet der so angegebene Sitz, wie der Generalanwalt in Nr. 36 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, außerdem eine Kontaktstelle für geschäftliche und administrative Zwecke wie eine Geschäfts‑, Post- oder Verwaltungsadresse, die insbesondere zur Zustellung von Korrespondenz dienen kann.

39

Die Dienstleistung der Bereitstellung eines „Sitzes, einer Geschäfts‑, Post- oder Verwaltungsadresse“ im Sinne von Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 beinhaltet somit, wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 37 und 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Bereitstellung einer solchen Kontaktstelle, die sich von der Dienstleistung der bloßen Vermietung einer Immobilie unterscheidet.

40

Denn zum einen beschränkt sich der Gegenstand der Vermietung einer Immobilie grundsätzlich auf die Verpflichtung, diese gegen Zahlung eines Mietzinses zur Verfügung zu stellen. Zum anderen kann die Dienstleistung der Bereitstellung eines Sitzes oder einer Geschäfts‑, Post- oder Verwaltungsadresse durchaus ohne den Abschluss eines Mietvertrags über eine Immobilie in Anspruch genommen werden und beinhaltet in der Regel zusätzliche Dienstleistungen wie die Weiterleitung von Verwaltungsdokumenten.

41

Die Verwendung der beiordnenden Konjunktion „und“ im Wortlaut von Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie 2015/849, die sich auf die Bereitstellung „anderer damit zusammenhängender Dienstleistungen“ bezieht, bestätigt die Auslegung, dass die bloße Bereitstellung einer Immobilie, selbst wenn sie die Funktion eines „Sitzes, einer Geschäfts‑, Post- oder Verwaltungsadresse“ erfüllt, nicht ausreicht, um den Vermieter als „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ im Sinne dieser Bestimmung einstufen zu können.

42

Im Übrigen kann der bloße Umstand, dass sich der Vermieter im Mietvertrag damit einverstanden erklärt, dass der Mieter die betreffende Immobilie als seinen Sitz registrieren lässt, nicht als „damit zusammenhängende Dienstleistung“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden.

43

Denn zum einen ist, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, im Rahmen eines Mietvertrags über eine Immobilie das Recht, die Adresse dieser Immobilie als Sitz zu verwenden, nur ein damit verbundenes Recht, das sich aus der Hauptleistung ergibt. Dies gilt auch für das Recht, diese Adresse als Geschäfts‑, Post- oder Verwaltungsadresse zu verwenden. Zum anderen lässt sich, wie im vorliegenden Fall, die Aufnahme einer Klausel in einen Mietvertrag, der zufolge der Vermieter der Nutzung der Immobilie für diesen besonderen Zweck zustimmt, durch eine gesetzliche Verpflichtung zum Nachweis einer solchen Zustimmung erklären.

44

Was den Kontext betrifft, in den sich Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 einfügt, gilt diese Richtlinie, wie oben in Rn. 34 ausgeführt, gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c u. a. für Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften als Verpflichtete.

45

Wie sich aus Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b Ziff. i und Buchst. d der Richtlinie 2015/849 ergibt, gehören zu den Verpflichteten auch Notare und andere selbständige Angehörige von rechtsberatenden Berufen, wenn sie Immobilientransaktionen durchführen oder für ihren Klienten an der Planung oder Durchführung von Transaktionen mitwirken, die den Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben, betreffen, sowie Immobilienmakler, auch in ihrer Tätigkeit bei der Vermietung von Immobilien.

46

Anders als bei den letztgenannten Arten von Verpflichteten knüpft die Richtlinie 2015/849 die Eigenschaft als „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ jedoch nicht an Immobilientransaktionen. Außerdem hat der Unionsgesetzgeber davon abgesehen, Vermieter von Immobilien – sei dies allgemein oder unter bestimmten Voraussetzungen – in den Kreis der in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Verpflichteten aufzunehmen.

47

Im Übrigen beziehen sich auch die anderen in Art. 3 Nr. 7 Buchst. a bis e dieser Richtlinie aufgeführten Dienstleistungen, die von einem „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ erbracht werden, nicht auf Immobilientransaktionen.

48

Allerdings ist hinzuzufügen, dass die Richtlinie 2015/849 nur eine Mindestharmonisierung vornimmt, da ihr Art. 5 den Mitgliedstaaten gestattet, in den Grenzen des Unionsrechts strengere Vorschriften zu erlassen oder beizubehalten, wenn diese der Verstärkung der Bekämpfung der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung dienen (Urteil vom 17. November 2022, Rodl & Partner, C‑562/20, EU:C:2022:883, Rn. 46).

49

Außerdem haben die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2015/849 in Übereinstimmung mit dem risikobasierten Ansatz dafür zu sorgen, dass der Geltungsbereich dieser Richtlinie ganz oder teilweise auf Berufe und Unternehmenskategorien ausgedehnt wird, die zwar keine Verpflichteten im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie sind, jedoch Tätigkeiten ausüben, bei denen es besonders wahrscheinlich ist, dass diese für Zwecke der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung genutzt werden. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2015/849 sieht in diesem Zusammenhang vor, dass ein Mitgliedstaat es der Kommission mitteilt, wenn der den Geltungsbereich dieser Richtlinie auf andere als die in ihrem Art. 2 Abs. 1 genannten Berufe oder Unternehmenskategorien ausdehnt.

50

Im vorliegenden Fall hat es unter Berücksichtigung der dem Gerichtshof vorliegenden Informationen den Anschein, dass der lettische Gesetzgeber in Bezug auf Eigentümer und Vermieter von Immobilien, deren Mieter diese mit Zustimmung des Eigentümers als Sitz registrieren lassen und dort Transaktionen tätigen, weder strengere Vorschriften im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 2015/849 erlassen noch den Geltungsbereich dieser Richtlinie auf der Grundlage ihres Art. 4 Abs. 1 erweitert hat. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu überprüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist.

51

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie 2015/849 dahin auszulegen ist, dass der Eigentümer und Vermieter einer Immobilie, die der Mieter mit dessen Zustimmung als Sitz registrieren lässt und in der der Mieter Transaktionen tätigt, nicht allein aus diesem Grund unter den Begriff „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

Zur zweiten Frage

52

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu prüfen.

Kosten

53

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 3 Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission in der durch die Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 geänderten Fassung

 

ist dahin auszulegen, dass

 

der Eigentümer und Vermieter einer Immobilie, die der Mieter mit dessen Zustimmung als Sitz registrieren lässt und in der der Mieter Transaktionen tätigt, nicht allein aus diesem Grund unter den Begriff „Dienstleister für Trusts oder Gesellschaften“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Lettisch.

Top