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Document 62023CC0258

Schlussanträge der Generalanwältin L. Medina vom 20. Juni 2024.


ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:537

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

LAILA MEDINA

vom 20. Juni 2024(1)

Verbundene Rechtssachen C258/23 bis C260/23

IMI – Imagens Médicas Integradas SA (C258/23),

Synlabhealth II SA (C259/23),

SIBS – Sociedade Gestora de Participações Sociais SA,

SIBS, Cartões – Produção e Processamento de Cartões SA,

SIBS Processos – Serviços Interbancários de Processamento SA,

SIBS International SA,

SIBS Pagamentos SA,

SIBS Gest SA,

SIBS Forward Payment Solutions SA,

SIBS MB SA (C260/23)

gegen

Autoridade da Concorrência

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal da Concorrência, Regulação e Supervisão [Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht, Portugal])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln – Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV durch eine nationale Wettbewerbsbehörde – Beschlagnahme von E‑Mails – Von der Staatsanwaltschaft erlassene Anordnung – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 7 – Beeinträchtigung des Rechts auf Achtung der Kommunikation“






I.      Einleitung

1.        Mit seinen drei Vorabentscheidungsersuchen, die Gegenstand der vorliegenden verbundenen Rechtssachen sind, stellt das Tribunal da Concorrência, Regulação e Supervisão (Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht, Portugal) dem Gerichtshof drei Fragen nach der Auslegung von Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2.        Diese Fragen stellen sich in drei Verfahren zwischen IMI –Imagens Médicas Integradas SA (im Folgenden: IMI), mehreren Gesellschaften des SIBS-Konzerns (im Folgenden gemeinsam: SIBS) und der Synlabhealth II SA (im Folgenden: Synlabhealth) (im Folgenden gemeinsam: Klägerinnen der Ausgangsverfahren) auf der einen und der Autoridade da Concorrência (Wettbewerbsbehörde, Portugal, im Folgenden: AdC) auf der anderen Seite wegen der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme von E‑Mails von Angestellten der Klägerinnen der Ausgangsverfahren, die bei Durchsuchungen von deren Räumlichkeiten im Rahmen von Untersuchungen der AdC wegen mutmaßlicher Zuwiderhandlungen gegen die portugiesischen Wettbewerbsregeln und gegen die Art. 101 bzw. 102 AEUV durchgeführt wurde.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Charta

3.        Nach Art. 7 der Charta hat „[j]ede Person … das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation“.

4.        Art. 52 Abs. 1 und 3 der Charta bestimmt:

„(1)      Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

(3)      Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten [(im Folgenden: EMRK)] garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“

5.        Art. 53 („Schutzniveau“) der Charta sieht vor, dass „[k]eine Bestimmung dieser Charta … als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen [ist], die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch das Recht der Union und das Völkerrecht sowie durch die internationalen Übereinkünfte, bei denen die Union oder alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind, darunter insbesondere die [EMRK], sowie durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden“.

2.      Richtlinie (EU) 2019/1

6.        Mit der Richtlinie 2019/1(2) sollen bestimmte Regeln festgelegt werden, um zu gewährleisten, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden über die Garantien im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit, die Ressourcen und die Befugnisse im Bereich der Durchsetzung und der Verhängung von Geldbußen verfügen, die für die wirksame Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV erforderlich sind. Nach dem 31. Erwägungsgrund sollten „[d]ie … nationalen [Wettbewerbsbehörden] … in der Lage sein, alle erforderlichen Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen durchzuführen, wenn sie … nachweisen können, dass ein begründeter Verdacht auf eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 oder 102 AEUV besteht. Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, für solche Nachprüfungen eine vorherige Genehmigung durch ein nationales Justizorgan vorzuschreiben“. Im 32. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es am Ende, dass „[d]ie Befugnis zur Prüfung von Geschäftsbüchern und Aufzeichnungen … alle Formen der Korrespondenz umfassen [sollte], einschließlich elektronischer Nachrichten, unabhängig davon, ob sie ungelesen erscheinen oder gelöscht wurden“. Im 73. Erwägungsgrund dieser Richtlinie wird ausgeführt, dass „Beweismittel … ein wichtiges Element bei der Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV [sind]“ und „die nationalen Wettbewerbsbehörden elektronische Nachrichten als relevante Beweismittel betrachten können [sollten], unabhängig davon, ob diese Nachrichten ungelesen erscheinen oder gelöscht wurden“.

7.        Art. 6 („Befugnis zur Durchführung von Nachprüfungen in betrieblichen Räumlichkeiten“) Abs. 1 der Richtlinie 2019/1 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden in der Lage sind, alle für die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV erforderlichen unangekündigten Nachprüfungen bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen vorzunehmen, und sie u. a. befugt sind, „die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen, unabhängig davon, in welcher Form sie gespeichert sind, zu prüfen, und das Recht auf Zugang zu allen Informationen haben, die der Einheit, die Gegenstand der Nachprüfung ist, zugänglich sind“ sowie „Kopien oder Auszüge gleich welcher Art aus diesen Büchern und Unterlagen anzufertigen oder zu erlangen“. In Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie wird klargestellt, dass „[d]ie Anforderungen, die nach dem nationalen Recht für die vorherige Genehmigung solcher Nachprüfungen durch ein nationales Justizorgan gelten, … von diesem Artikel unberührt [bleiben]“.

8.        Art. 32 („Zulässigkeit von Beweismitteln vor nationalen Wettbewerbsbehörden“) dieser Richtlinie sieht vor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … [sicherstellen], dass … elektronische Nachrichten … als Beweismittel vor einer nationalen Wettbewerbsbehörde zulässig sind“.

B.      Portugiesisches Recht

9.        Art. 34 („Unverletzlichkeit der Wohnung und der Korrespondenz“) Abs. 1 der Verfassung der Portugiesischen Republik (im Folgenden: Verfassung) bestimmt, dass „[d]ie Wohnung und das Briefgeheimnis sowie die Vertraulichkeit der weiteren privaten Kommunikationsmittel … unverletzlich [sind]“. Abs. 4 dieses Artikels sieht vor, dass „[a]ußer in den im Strafprozessrecht vorgesehenen Fällen … jeder Eingriff der Behörden in das Brief- und Fernmeldegeheimnis sowie die Vertraulichkeit anderer Kommunikationsmittel unzulässig [ist]“.

10.      Die Lei n.o 19/2012 (novo regime jurídico da Concorrência) (Gesetz Nr. 19/2012 zur Genehmigung der Neuregelung des Wettbewerbs) vom 8. Mai 2012 (im Folgenden: Wettbewerbsgesetz) in der bis zum 15. September 2022 geltenden Fassung sah in Art. 18 Abs. 1 Buchst. c vor, dass die AdC bei der Ausübung ihrer Sanktionsbefugnisse befugt war, „in den Räumlichkeiten, auf den Grundstücken oder in den Transportmitteln von Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen Auszüge aus Schriftstücken und anderen Dokumenten, unabhängig von der Form, in der sie vorliegen, zu suchen, zu prüfen, zu sammeln und zu beschlagnahmen, wenn sich dies zur Erlangung von Beweisen als notwendig erweist“. Nach Art. 8 Abs. 2 bedurften diese Maßnahmen der „Genehmigung des zuständigen Justizorgans“(3).

11.      Art. 20 Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt, dass die Beschlagnahme von Dokumenten, unabhängig von ihrer Art oder der Form, in der sie vorliegen, durch eine Entscheidung des Justizorgans genehmigt, angeordnet oder bestätigt wird.

12.      Art. 21 des Wettbewerbsgesetzes in der bis zum 15. September 2022 geltenden Fassung sah vor, dass „[f]ür die Genehmigung der in Art. 18 Abs. 1 Buchst. c und d und Art. 20 vorgesehenen Maßnahmen … die Staatsanwaltschaft des Gerichts am Sitz der [AdC] oder, wenn dies ausdrücklich vorgesehen ist, der Ermittlungsrichter dieses Gerichts zuständig [ist]“(4).

13.      Das Wettbewerbsgesetz wurde mit Wirkung vom 16. September 2022 durch das Gesetz Nr. 17/2022 vom 17. August 2022 geändert, mit dem die Richtlinie 2019/1 umgesetzt wird. Mit diesem Gesetz wurde Art. 18 des Wettbewerbsgesetzes ein Abs. 4 hinzugefügt. Nach diesem Absatz kann gegen die Weigerung des zuständigen Justizorgans, der AdC die Genehmigung im Sinne dieses Artikels zu erteilen, „a) im Fall einer Entscheidung eines Bediensteten der Staatsanwaltschaft eine Beschwerde bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten eingelegt werden, b) im Fall einer Entscheidung des Ermittlungsrichters ein Rechtsbehelf beim Berufungsgericht eingelegt werden, das in letzter Instanz entscheidet“.

14.      Art. 21 des Wettbewerbsgesetzes in der durch das Gesetz Nr. 17/2022 vom 17. August 2022 geänderten Fassung bestimmt, dass „[d]as zuständige Justizorgan des Gerichts am Sitz der [AdC] … befugt [ist], die in Art. 18 Abs. 1 Buchst. a bis d, Art. 19 und Art. 20 vorgesehenen Maßnahmen zu genehmigen“.

III. Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

15.      Aus den Vorlageentscheidungen geht hervor, dass die AdC in allen Untersuchungen gegen die Klägerinnen der Ausgangsverfahren(5) „Maßnahmen zur Suche, zur Prüfung, zum Sammeln und zur Beschlagnahme von Beweisen“ für erforderlich hielt. Zu diesem Zweck ersuchte sie das zuständige Justizorgan, in diesem Fall die Staatsanwaltschaft, um Genehmigung dieser Maßnahmen. Diesen Ersuchen wurde stattgegeben und gemäß den von der Staatsanwaltschaft erlassenen Anordnungen wurde u. a. die Beschlagnahme folgender Gegenstände genehmigt: „Kopien oder Auszüge von Buchungs- und anderen Unterlagen, die bereits geöffnet und archiviert sind oder geöffnet in den Dienststellen zirkulieren, insbesondere E‑Mails und interne Dokumente für den Informationsaustausch zwischen verschiedenen Hierarchieebenen und zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Geschäftspolitik der Unternehmen sowie Protokolle von Sitzungen der Unternehmensleitung oder der Aufsichts- und Leitungsorgane, unabhängig davon, ob sie an einem eingeschränkt zugänglichen oder der Öffentlichkeit nicht frei zugänglichen Ort aufbewahrt werden, einschließlich jeglicher Datenträger oder Computer, sowie die Prüfung und Kopien der darin enthaltenen Informationen, die direkt oder indirekt mit wettbewerbsbeschränkenden Praktiken im Zusammenhang stehen“.

16.      Aus den der Kanzlei des Gerichtshofs übermittelten Gerichtsakten geht hervor, dass die Vorgänge der Durchsuchung, Sammlung und Beschlagnahme von Januar 2021 bis März 2022(6) in den Räumlichkeiten der Klägerinnen der Ausgangsverfahren stattfanden. Bei diesen Vorgängen wurden nach der Durchsuchung der E‑Mails der Mitarbeiter der überprüften Gesellschaften mehrere Tausend Computerdateien beschlagnahmt, die für die Untersuchungen als relevant angesehen wurden. Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren beanstandeten die Beschlagnahmen jeweils mit der Begründung, dass sie rechtswidrig seien, weil sie ihr Recht auf Wahrung des Briefgeheimnisses verletzten und jedenfalls nicht vom Ermittlungsrichter genehmigt worden seien. Sie fochten daraufhin die Entscheidungen der AdC, mit denen ihre Beschwerden zurückgewiesen worden waren, vor dem vorlegenden Gericht an.

17.      Dieses Gericht führt aus, dass das Wettbewerbsgesetz eine Genehmigung des Ermittlungsrichters nur bei der Beschlagnahme von Schriftstücken in Bankinstituten, bei Hausdurchsuchungen und Durchsuchungen in Anwaltskanzleien oder Arztpraxen verlange. In den anderen Fällen sei eine Genehmigung der Staatsanwaltschaft als Justizorgan ausreichend. Zwar beträfen die Ausgangsverfahren eine Ordnungswidrigkeit, doch folgten die Bestimmungen des Wettbewerbsgesetzes der dem Strafrecht zugrunde liegenden Logik. Demnach sei in den Fällen, in denen die Mittel der Beweisaufnahme Grundrechte verletzen könnten, ein Ermittlungsrichter hinzuzuziehen, während in den anderen Fällen nur die – mit der Leitung der Untersuchung betraute – Staatsanwaltschaft tätig werden müsse. Daher stelle sich die Frage, ob, wie die Klägerinnen der Ausgangsverfahren geltend machten, der bloße Umstand, dass die von der AdC beschlagnahmten Dokumente aus der funktionalen elektronischen Post der Mitarbeiter der betroffenen Unternehmen stammten, ihre Einstufung als „Korrespondenz“ erlaube, deren Unverletzlichkeit als Grundrecht ein höheres Schutzniveau genieße. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es diese Frage in der Vergangenheit bereits verneint habe.

18.      Unter diesen Umständen hat das Tribunal da Concorrência, Regulação e Supervisão (Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht) beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof in jedem der Ausgangsverfahren folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen(7):

1.      Handelt es sich bei den in Rede stehenden Geschäftsunterlagen, die per elektronischer Post übermittelt wurden, um „Korrespondenz“ im Sinne von Art. 7 der Charta?

2.      Steht Art. 7 der Charta der Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen entgegen, die sich aus der Kommunikation zwischen Mitgliedern der Aufsichts- und Leitungsorgane sowie Mitarbeitern von Unternehmen über E‑Mail-Adressen ergeben, wenn es um die Untersuchung von nach Art. 101 AEUV (ex-Art. 81 EG) bzw. – in der Rechtssache C‑260/23 – nach Art. 102 AEUV (ex-Art. 82 EG) verbotenen Vereinbarungen und Verhaltensweisen geht?

3.      Steht Art. 7 der Charta der Beschlagnahme dieser Geschäftsunterlagen mit vorheriger Genehmigung eines Justizorgans, im vorliegenden Fall der Staatsanwaltschaft, entgegen, die nach der Verfassung mit der Vertretung des Staates, der Verteidigung der gesetzlich festgelegten Interessen, der Strafverfolgung nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und der Verteidigung der demokratischen Rechtsordnung betraut ist und die gegenüber den anderen Organen der zentralen, regionalen und lokalen Verwaltung autonom handelt?

19.      Durch Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs sind die Rechtssachen C‑258/23, C‑259/23 und C‑260/23 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden. Die Parteien der Ausgangsverfahren, die portugiesische, die tschechische und die griechische Regierung sowie die Kommission haben gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union schriftliche Erklärungen eingereicht.

IV.    Würdigung

20.      Entsprechend dem Ersuchen des Gerichtshofs werden sich die vorliegenden Schlussanträge nur mit der dritten Vorlagefrage befassen. Da jedoch die Antwort auf diese Frage denknotwendig von den Antworten auf die ersten beiden Fragen abhängt, sind diese in kurzer Form zu prüfen, bevor auf die dritte Frage eingegangen wird. Dieser Prüfung werden einige Vorbemerkungen vorangestellt, die sich auf die Vorabentscheidungsersuchen insgesamt beziehen.

A.      Vorbemerkungen

21.      Zunächst weise ich darauf hin, dass kein Zweifel daran besteht, dass die Charta auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbar ist, in denen es um die Frage der Wahrung der Grundrechte bei Nachprüfungen geht, die von einer nationalen Wettbewerbsbehörde im Rahmen von Untersuchungen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV durchgeführt werden(8).

22.      Sodann sind zwei Bemerkungen zum Rechtsrahmen der vorliegenden verbundenen Rechtssachen erforderlich.

23.      Was als Erstes den nationalen Rechtsrahmen betrifft, stelle ich fest, dass aus den von den Parteien des Ausgangsverfahrens und der Kommission eingereichten schriftlichen Erklärungen hervorgeht, dass das Tribunal Constitucional (Verfassungsgericht, Portugal) mit zwei Urteilen vom 16. März 2023(9) und vom 26. Mai 2023(10) die in Art. 18 Abs. 1 Buchst. c und Art. 20 Abs. 1 des Wettbewerbsgesetzes enthaltene Regel, auf deren Grundlage die AdC die Durchsuchung und Beschlagnahme „geöffneter“ E‑Mails, d. h. als „gelesen“ gekennzeichneter E‑Mails, mit einfacher Genehmigung der Staatsanwaltschaft vornahm, für verfassungswidrig erklärt hat (im Folgenden: Urteile von 2023). In diesen Urteilen hat das Tribunal Constitucional (Verfassungsgericht) zum einen die Unterscheidung verworfen, auf die sich die portugiesischen Gerichte gestützt hatten, um die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme von geöffneten/gelesenen E‑Mails durch die AdC mit einfacher Genehmigung der Staatsanwaltschaft zu rechtfertigen, nämlich die Unterscheidung zwischen geöffneten/gelesenen E‑Mails, die bloße „Dokumente“ darstellen, und geschlossenen/ungelesenen E‑Mails, die hingegen unter den Begriff „Korrespondenz“ fallen sollen(11). Das Tribunal Constitucional (Verfassungsgericht) hat die Auffassung vertreten, dass alle E‑Mails, ob geöffnet oder geschlossen, die in Art. 34 der Verfassung festgelegten Garantien genössen, solange sie nicht an einem Ort gespeichert würden, zu dem nur der Adressat Zugang habe(12). Zum anderen haben die portugiesischen Verfassungsrichter entschieden, dass die Durchsuchung und Beschlagnahme von E‑Mails bei Nachprüfungen, die die AdC zum Zweck der Beweiserhebung im Rahmen von Verfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen nationale und unionsrechtliche Wettbewerbsvorschriften durchführe, unter die Ausnahme von Art. 34 Abs. 4 a. E. der Verfassung fielen, aber nur von einem Ermittlungsrichter genehmigt werden könnten(13). Obwohl das vorlegende Gericht die genannten Urteile – von denen nur das erste vor dem Zeitpunkt der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen ergangen ist(14) – nicht erwähnt hat, ergibt sich insbesondere aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen der Parteien der Ausgangsverfahren, dass die vom Tribunal Constitucional (Verfassungsgericht) festgestellte Verfassungswidrigkeit Teil des rechtlichen und tatsächlichen Rahmens war, der das vorlegende Gericht veranlasst hat, den Gerichtshof anzurufen. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass das Tribunal da Concorrência, Regulação e Supervisão (Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht) im April 2024 zwei neue Vorabentscheidungsersuchen, die im Wesentlichen die gleichen Fragen aufwerfen, eingereicht hat, in denen die Urteile von 2023 sowie ihre Folgen in Bezug auf die Nachprüfungs- und Beschlagnahmebefugnisse der AdC im Einzelnen dargelegt werden(15).

24.      Was als Zweites den unionsrechtlichen Rahmen anbelangt, weise ich darauf hin, dass nicht sicher ist, dass die Richtlinie 2019/1 auf alle Ausgangsverfahren anwendbar ist. Nach ihrem Art. 36 ist diese Richtlinie nämlich am 3. Februar 2019 in Kraft getreten, und die Mitgliedstaaten mussten, wie sich aus ihrem Art. 34 Abs. 1 ergibt, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, um der Richtlinie bis zum 4. Februar 2021 nachzukommen. Jedenfalls ist diese Richtlinie, wie ich im weiteren Verlauf meiner Würdigung darlegen werde, zumindest für die Beantwortung der dritten Vorlagefrage, auf die sich die vorliegenden Schlussanträge beziehen, nicht unmittelbar relevant.

25.      Nach dieser Klarstellung ist in kurzer Form zu den Argumenten Stellung zu nehmen, mit denen die Klägerinnen der Ausgangsverfahren die Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen in Abrede stellen.

26.      In der Rechtssache C‑258/23 macht IMI geltend, dass das Versäumnis des vorlegenden Gerichts, den Gerichtshof auf das Urteil Nr. 91/2023 hinzuweisen, bedeute, dass das Vorabentscheidungsersuchen keine Gewähr dafür biete, dass die Antwort des Gerichtshofs so vollständig und nützlich wie möglich ausfalle. Hierzu weise ich darauf hin, dass dieses Vorabentscheidungsersuchen darauf abzielt, vom Gerichtshof eine Klärung des Schutzumfangs zu erhalten, den Art. 7 der Charta gegen Maßnahmen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in einem Kontext gewährt, in dem das Unionsrecht anwendbar ist. Die Nützlichkeit einer solchen Auslegung für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens kann daher nicht in Frage gestellt werden, zumindest nicht, ohne die Grenzen einer bloßen Anfechtung der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens zu überschreiten und ohne zur Begründetheit der Rechtssache überzugehen.

27.      In der Rechtssache C‑259/23 macht Synlabhealth geltend, dass in den Vorlageentscheidungen mehrere für das Verständnis des Rechtsstreits wesentliche Tatsachen(16) sowie die anwendbaren Rechtsvorschriften nicht mitgeteilt worden seien. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung, die Ausdruck in Art. 94 Buchst. a und b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs gefunden hat, die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, es erforderlich macht, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen die Fragen beruhen(17). Das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑259/23 erfüllt meines Erachtens diese Anforderungen. Zum einen enthält es genügend Angaben, um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, sowohl den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits als auch den Sinn und die Tragweite der gestellten Vorlagefragen zu verstehen. Zum anderen betrifft die Frage, ob die AdC – wie Synlabhealth geltend macht – bei der Durchführung der Nachprüfungen und Beschlagnahmen in ihren Räumlichkeiten die Grenzen der staatsanwaltschaftlichen Genehmigung überschritten hat, in den Bereich der Tatsachenwürdigung, so dass sie in die alleinige Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt(18). Synlabhealth macht ferner geltend, dass sie unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des portugiesischen Rechts nicht zu den Vorlagefragen gehört worden sei und deshalb gegen die Vorlageentscheidung einen Rechtsbehelf eingelegt habe(19). Sie beantragt, der Gerichtshof möge das Verfahren bis zur Entscheidung über diesen Rechtsbehelf aussetzen. Insoweit weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV nach der Verteilung der Aufgaben zwischen ihm und den nationalen Gerichten nach ständiger Rechtsprechung nicht befugt ist, nachzuprüfen, ob die Vorlageentscheidung den nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das gerichtliche Verfahren entspricht. Er ist daher an die von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Vorlageentscheidung gebunden, solange diese nicht aufgrund eines im nationalen Recht eventuell vorgesehenen Rechtsbehelfs aufgehoben worden ist(20). Der Antrag von Synlabhealth ist daher zurückzuweisen. Der Vollständigkeit halber weise ich schließlich darauf hin, dass Synlabhealth in ihren schriftlichen Erklärungen eine Verletzung ihres Rechts auf Beteiligung am Verfahren vor dem Gerichtshof geltend macht, da ihr weder die Entscheidung des Präsidenten über die Verbindung der Rechtssache C‑259/23 mit den Rechtssachen C‑258/23 und C‑260/23 noch die Vorabentscheidungsersuchen in den beiden letztgenannten Rechtssachen mitgeteilt worden seien. Insoweit beschränke ich mich auf den Hinweis, dass Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 96 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eine abschließende Aufzählung der Beteiligten enthalten, die im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens Erklärungen abgeben können. Dieses Recht kann daher nicht auf natürliche oder juristische Personen ausgedehnt werden, die nicht ausdrücklich genannt sind(21). Außerdem werden die „Parteien des Ausgangsrechtsstreits“ nach Art. 97 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom vorlegenden Gericht gemäß den nationalen Verfahrensvorschriften als solche bezeichnet. Da Synlabhealth in den Rechtssachen C‑258/23 und C‑26023 jedoch nicht Partei der Rechtsstreitigkeiten ist, kann ihr nicht gestattet werden, in diesen Rechtssachen Erklärungen beim Gerichtshof einzureichen. Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Gerichtshof entschieden hat, mehrere Vorabentscheidungsersuchen wegen Zusammenhangs gemäß Art. 54 seiner Verfahrensordnung zu verbinden.

28.      In der Rechtssache C‑260/23 macht SIBS zum einen geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen zu einem Zeitpunkt eingereicht worden sei, zu dem der Sachverhalt noch nicht festgestellt oder erörtert worden sei, und zum anderen, dass die gestellten Fragen für den Gegenstand des Rechtsstreits, der eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit der fraglichen Maßnahmen nach portugiesischem Recht und nicht nach der Charta erfordere, nicht erheblich seien. Zum ersten Argument ist darauf hinzuweisen, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, darüber zu entscheiden, in welchem Verfahrensstadium es ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof richten soll(22). Dieses Argument ist daher zurückzuweisen. Gleiches gilt für das zweite Argument, das sich auf Behauptungen stützt, die eine materielle Prüfung der Vorlagefragen voraussetzen.

B.      Zu den ersten beiden Vorlagefragen

29.      Wie angekündigt werde ich in kurzer Form zu den ersten beiden Vorlagefragen Stellung nehmen, die denknotwendig eine Vorfrage zur dritten Vorlagefrage darstellen.

30.      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob geschäftliche E‑Mails, die zwischen Mitarbeitern und Mitgliedern der Aufsichts- und Leitungsorgane eines Unternehmens mittels dessen E‑Mail-Systems ausgetauscht werden, unter den Begriff „Kommunikation“(23) im Sinne von Art. 7 der Charta fallen. Diese Frage, die ich trotz des gegenteiligen Vorbringens von IMI(24) für zulässig halte, ist meines Erachtens zu bejahen.

31.      Insoweit weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses(25) unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR bereits festgestellt hat, dass die Beschlagnahme von E‑Mails, die im Zuge von Durchsuchungen von beruflich genutzten Räumen bzw. Geschäftsräumen einer natürlichen Person oder von Räumen einer Handelsgesellschaft vorgenommen wird, einen Eingriff in die Ausübung des durch Art. 8 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts auf Schutz der Korrespondenz(26) und damit gemäß Art. 52 Abs. 3 der Charta auch einen Eingriff in die Ausübung des in Art. 7 der Charta verankerten entsprechenden Rechts darstellt(27). Dies gilt sowohl für Beschlagnahmen im Rahmen eines Strafverfahrens als auch für Beschlagnahmen im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens(28). Darüber hinaus ist die Einstufung von E‑Mails als „Korrespondenz“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK und als „Kommunikation“ im Sinne von Art. 7 der Charta unabhängig davon, ob diese E‑Mails bereits vom Empfänger empfangen, gelesen, nicht gelesen oder gelöscht wurden, davon, ob die Kommunikation von Geschäftsräumlichkeiten oder ‑einrichtungen aus(29) oder über ein geschäftliches E‑Mail-System(30) gesendet wurde oder ob es sich bei der Adresse des Absenders oder des Empfängers um die einer juristischen Person handelt(31) oder aber davon, ob der Inhalt privat ist oder nicht(32). Der Umstand, dass eine E‑Mail angesichts ihres Inhalts als „geschäftlich“ eingestuft werden kann, nimmt ihr mithin nicht den Schutz, den Art. 7 der Charta für Kommunikationen garantiert. Schließlich bezieht sich dieser Schutz nicht nur auf den Inhalt von E‑Mails, sondern auch auf personenbezogene Daten im Zusammenhang mit dem durch diese E‑Mails generierten Datenverkehr, die ebenfalls durch Art. 8 der Charta geschützt sind(33).

32.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 der Charta es einer nationalen Wettbewerbsbehörde verwehrt, bei einer Nachprüfung in den Geschäftsräumen von Unternehmen, die Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 bzw. 102 AEUV begangen haben sollen, geschäftliche E‑Mails zwischen Mitarbeitern und Mitgliedern der Aufsichts- und Leitungsorgane dieser Unternehmen zu beschlagnahmen. Meines Erachtens ist diese Frage zu verneinen.

33.      Ich weise darauf hin, dass nach Art. 52 Abs. 1 der Charta Einschränkungen der Ausübung des in Art. 7 der Charta verankerten Rechts auf Achtung der Kommunikation nur zulässig sind, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieses Rechts achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen(34).

34.      Im vorliegenden Fall ist erstens zur Voraussetzung der Beachtung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit festzustellen, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahmen auf die Art. 18 bis 21 des Wettbewerbsgesetzes gestützt sind.

35.      Was zweitens die Achtung des Wesensgehalts des Rechts auf Vertraulichkeit der Kommunikation betrifft, weise ich darauf hin, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Durchsuchungen und Beschlagnahmen zwar den Zugang zum Inhalt der Kommunikation als solchen mit sich bringen(35). Im vorliegenden Fall geht jedoch aus den Vorlageentscheidungen hervor, dass von diesen Maßnahmen grundsätzlich nur E‑Mails erfasst werden, die den Gegenstand der Untersuchung betreffen, und dies nur punktuell. Was außerdem den Eingriff in das Recht der betroffenen natürlichen Personen auf Achtung ihrer Kommunikation anbelangt, betreffen diese Maßnahmen offenbar nur Aspekte ihres Berufslebens und nicht ihre Intim- und Privatsphäre. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass das Vorliegen einer Beeinträchtigung des Wesensgehalts der in Art. 7 der Charta verankerten Rechte eher quantitativ zu beurteilen ist(36). Ich bin daher der Ansicht, dass im vorliegenden Fall vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht zu treffenden Feststellungen auch die zweite Voraussetzung von Art. 52 Abs. 1 der Charta erfüllt ist und dass die den Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Maßnahmen den Wesensgehalt des Rechts der betroffenen natürlichen oder juristischen Personen auf Achtung der Kommunikation nicht beeinträchtigen können.

36.      Was drittens die verfolgten Ziele betrifft, sollen mit den Eingriffen in die Ausübung der in Art. 7 der Charta verankerten Rechte, die sich aus den von den nationalen Wettbewerbsbehörden bei der Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV gemäß Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003(37) vorgenommenen Nachprüfungen und Beschlagnahmen ergeben, Verhaltensweisen aufgedeckt werden, die gegen diese Bestimmungen verstoßen. Der Gerichtshof hat jedoch bereits festgestellt, dass die Art. 101 und 102 AEUV der öffentlichen Ordnung zuzurechnende zwingende Bestimmungen sind, die Kartelle bzw. den Missbrauch beherrschender Stellungen verbieten und das für das Funktionieren des Binnenmarkts unerlässliche Ziel verfolgen, zu garantieren, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht wird(38).

37.      Was viertens die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit angeht, weise ich darauf hin, dass dieser Grundsatz verlangt, dass die Einschränkungen, die an den in der Charta niedergelegten Rechten und Freiheiten vorgenommen werden können, nicht über die Grenzen dessen hinausgehen, was zur Erreichung der verfolgten legitimen Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist. Außerdem kann eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung nicht verfolgt werden, ohne dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sie mit den von der Maßnahme betroffenen Grundrechten in Einklang gebracht werden muss, indem eine ausgewogene Gewichtung der dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung und der fraglichen Rechte vorgenommen wird, damit die durch diese Maßnahme bedingten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen. Daher ist die Möglichkeit, eine Einschränkung der durch Art. 7 der Charta garantierten Rechte zu rechtfertigen, zu beurteilen, indem die Schwere des mit einer solchen Einschränkung verbundenen Eingriffs bestimmt und geprüft wird, ob die mit ihr verfolgte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Eingriffs steht(39).

38.      Im vorliegenden Fall kann die Bedeutung, die dem Ziel des Schutzes eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt zukommt, meines Erachtens einen – auch schwerwiegenden – Eingriff in das Recht auf Achtung der Kommunikation von Unternehmen rechtfertigen, zumal der öffentliche Eingriff, wie der EGMR und der Gerichtshof anerkannt haben, weiter gehen kann, wenn er sich auf berufliche oder geschäftliche Räume oder Tätigkeiten bezieht(40). Wie die Kommission zu Recht betont, ist darüber hinaus im heutigen digitalen Kontext die elektronische Korrespondenz eines der Hauptkommunikationsmittel von Unternehmen. Daher sind die verschiedenen Formen dieser Korrespondenz, wie z. B. der Austausch von E‑Mails über geschäftliche E‑Mail-Systeme, zu einem oft unersetzlichen Beweismittel für die Aufdeckung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen geworden(41). Außerdem geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Durchsuchung und Beschlagnahme von E‑Mails durch die Kommission bei der Ausübung ihrer Befugnisse nach Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 zulässig sind(42), sofern nur die relevanten E‑Mails zu den Akten genommen werden(43). Ebenso geht aus der Rechtsprechung des EGMR hervor, dass solche Maßnahmen im Rahmen von Verwaltungsverfahren nicht von vornherein ausgeschlossen sind, wenn der Eingriff in das Recht auf Schutz der Korrespondenz in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung des verfolgten legitimen Ziels steht(44).

39.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass Art. 7 der Charta es einer nationalen Wettbewerbsbehörde nicht verwehrt, E‑Mails zu durchsuchen und zu beschlagnahmen, die über das interne E‑Mail-System eines Unternehmens ausgetauscht werden, dessen beruflich genutzte Räume bzw. Geschäftsräume im Rahmen einer Untersuchung wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften überprüft werden, sofern diese E‑Mails für den Gegenstand der Nachprüfung relevant sind.

C.      Zur dritten Vorlagefrage

40.      Mit seiner dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 der Charta dem entgegensteht, dass die von einer nationalen Wettbewerbsbehörde vorgenommene Beschlagnahme von E‑Mails zwischen Mitarbeitern und Mitgliedern der Aufsichts- und Leitungsorgane eines Unternehmens bei einer Nachprüfung in seinen beruflich genutzten Räumen bzw. Geschäftsräumen im Rahmen einer Untersuchung wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 bzw. 102 AEUV nach portugiesischem Recht von einer Einrichtung wie der Staatsanwaltschaft genehmigt wird, die nach der Verfassung mit der Vertretung des Staates, der Strafverfolgung im öffentlichen Interesse sowie der Verteidigung der demokratischen Rechtsordnung betraut ist und die unabhängig ist.

41.      Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst kurz auf die Rechtsprechung des EGMR und des Gerichtshofs im Bereich der Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Geschäftsräumen hinzuweisen, um die in Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 der Charta vorgesehenen Schutzstandards gegen solche Eingriffe in das Recht insbesondere auf Achtung der Geschäftskorrespondenz festzulegen.

42.      Zu Art. 8 EMRK ist zunächst darauf hinzuweisen, dass aus der Rechtsprechung des EGMR hervorgeht, dass sich der in diesem Artikel vorgesehene Schutz auf bestimmte Geschäftsräume erstrecken kann und dass Durchsuchungen und Beschlagnahmen in diesen Räumlichkeiten Eingriffe in das Recht der betroffenen Unternehmen auf Achtung der „Wohnung“ und der „Korrespondenz“ darstellen(45). Gleichwohl hat der EGMR klargestellt, dass der öffentliche Eingriff im Fall beruflicher oder geschäftlicher Räume oder Tätigkeiten weiter gehen kann als in anderen Fällen(46). Außerdem ist der Wertungsspielraum des Staates bei der Feststellung der Notwendigkeit eines Eingriffs größer, wenn die Maßnahme juristische Personen und nicht Einzelpersonen betrifft(47). Sodann ergibt sich aus einer Analyse der einschlägigen Urteile des EGMR, dass dieser die Vereinbarkeit der Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Geschäftsräumen mit Art. 8 EMRK auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller relevanten rechtlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls prüft, wie u. a. des Umfangs der Befugnisse der zuständigen Behörde, der Begleitumstände des Eingriffs in das Grundrecht und der verschiedenen, von dem betreffenden Rechtssystem gebotenen Garantien(48), einschließlich insbesondere der Möglichkeit eines effektiven nachträglichen gerichtlichen Rechtsschutzes(49), die nach Ansicht des EGMR eine grundlegende Garantie bildet(50). Der EGMR hat auch die Notwendigkeit einer Abwägung der Eingriffe gegen die Bedeutung des geschützten öffentlichen Interesses hervorgehoben(51). In seinem Urteil vom 2. Oktober 2014, Delta Pekárny a.s./Tschechische Republik(52), in dem es um Nachprüfungen in Räumlichkeiten im Zusammenhang mit wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen ging, hat der EGMR ausdrücklich festgestellt, dass bei Hausdurchsuchungen in den Räumlichkeiten eines Unternehmens das Fehlen einer zuvor durch einen Richter erteilten Genehmigung der Nachprüfung durch eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit einer solchen Ermittlungsmaßnahme ausgeglichen werden kann, sofern diese Kontrolle unter den besonderen Umständen der jeweiligen Rechtssache wirksam ist. Dies bedeutet, dass die betroffenen Personen eine wirksame gerichtliche Kontrolle der streitigen Maßnahme und ihres Ablaufs in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erwirken können, und dass, wenn eine für rechtswidrig befundene Handlung bereits stattgefunden hat, der oder die verfügbaren Rechtsbehelfe dem Betroffenen eine angemessene Wiedergutmachung verschaffen können. Allgemein ergibt sich aus der Rechtsprechung des EGMR, soweit für den vorliegenden Fall relevant, dass das durch Art. 8 EMRK geschützte Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung bei Nachprüfungen in Räumlichkeiten von Unternehmen nicht allein deshalb verletzt wird, weil eine vorherige richterliche Genehmigung fehlt, sofern angemessene und ausreichende Garantien gegen Missbrauch, insbesondere eine vollständige nachträgliche gerichtliche Kontrolle der in Rede stehenden Maßnahmen, vorgesehen sind. Dasselbe gilt für das durch diesen Artikel garantierte Recht auf Schutz der Korrespondenz, da die Frage der Beschlagnahme der Kommunikation von Unternehmen in der Rechtsprechung des EGMR eng mit der Frage der Durchsuchung ihrer Räumlichkeiten verbunden ist(53).

43.      Dieselben Grundsätze finden sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 7 der Charta. So hat der Gerichtshof im Urteil WebMindLicences in Bezug auf die Beschlagnahme von E‑Mails im Rahmen eines Strafverfahrens festgestellt, dass bei Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung der Schutz des Einzelnen vor willkürlichen Eingriffen der Staatsgewalt in die durch diesen Artikel garantierten Rechte für eine solche Beschlagnahme einen engen rechtlichen Rahmen und eine strikte Begrenzung verlangt. Er hat zum einen klargestellt, dass diese Beschlagnahme nur dann mit Art. 7 der Charta vereinbar sein kann, wenn die nationalen Rechtsvorschriften und die nationale Praxis angemessene und wirksame Garantien gegen Missbrauch und Willkür bieten, und zum anderen, dass das Fehlen einer vorherigen richterlichen Anordnung bis zu einem gewissen Grad dadurch ausgeglichen werden kann, dass die von der Beschlagnahme betroffene Person die Möglichkeit hatte, im Nachhinein einen Antrag auf gerichtliche Nachprüfung sowohl der Rechtmäßigkeit als auch der Notwendigkeit der Beschlagnahme zu stellen, wobei eine solche Nachprüfung unter den besonderen Umständen der jeweiligen Rechtssache wirksam sein muss(54). Was insbesondere die Nachprüfungsbefugnisse der Kommission betrifft, hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass das in der Europäischen Union geschaffene System den Anforderungen von Art. 8 EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR sowie von Art. 7 der Charta genügt und dass das Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung als solches nicht geeignet ist, zur Rechtswidrigkeit einer von der Kommission beschlossenen Nachprüfungsmaßnahme zu führen. Der Gerichtshof hat insbesondere hervorgehoben, dass Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 sowohl einen rechtlichen Rahmen für diese Befugnisse als auch strikte Grenzen für ihre Ausübung vorsieht und in seinem Abs. 8 ausdrücklich bestimmt, dass der Gerichtshof für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des von der Kommission erlassenen Nachprüfungsbeschlusses zuständig ist, wobei sich diese Prüfung sowohl auf die Rechts- als auch auf die Tatsachenfragen erstreckt und daher umfassend ist(55).

44.      Das durch Art. 7 der Charta in der Auslegung des Gerichtshofs gewährte Schutzniveau ist eindeutig auf die Ausübung der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefugnisse der nationalen Wettbewerbsbehörden bei ihrer Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV anwendbar(56).

45.      Somit ist im Licht der Ausführungen in den Nrn. 42 und 43 der vorliegenden Schlussanträge festzustellen, dass Art. 7 der Charta Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach denen die nationale Wettbewerbsbehörde im Rahmen einer Untersuchung wegen einer mutmaßlichen Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 bzw. 102 AEUV ohne vorherige richterliche Genehmigung E‑Mails durchsuchen und beschlagnahmen kann, deren Inhalt im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Nachprüfung steht, sofern ein strikter rechtlicher Rahmen für die Befugnisse dieser Behörde und angemessene und wirksame Garantien gegen Missbrauch und Willkür, insbesondere eine vollständige nachträgliche gerichtliche Kontrolle der in Rede stehenden Maßnahmen, vorgesehen sind.

46.      Diese Schlussfolgerung genügt jedoch nicht, um die vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Fragen vollständig zu beantworten. Es ist nämlich erforderlich, diese Frage auch unter einem anderen Blickwinkel zu behandeln und zu prüfen, ob das Unionsrecht es einem Mitgliedstaat verwehrt, unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren ein höheres nationales Schutzniveau für das durch Art. 7 der Charta garantierte Grundrecht auf Achtung der Kommunikation anzuwenden, als es diese Bestimmung in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof vorsieht, insbesondere dadurch, dass die nationale Wettbewerbsbehörde eine vorherige richterliche Genehmigung einholen muss, um Nachprüfungen und Beschlagnahmen in den Räumlichkeiten eines Unternehmens durchführen zu können.

47.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Charta Teil eines parallelen mehrstufigen Systems zum Schutz der Grundrechte in der Europäischen Union ist, das zum einen aus den Regeln und Übereinkommen des Völkerrechts – zu denen auch die EMRK gehört – und zum anderen aus den nationalen Verfassungen besteht. In diesem Zusammenhang soll Art. 53 der Charta klarstellen, dass die Charta nicht als Rechtfertigung für eine Absenkung des durch das Völkerrecht, das Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten gewährten Grundrechtsschutzes dienen kann. Der durch das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten gewährte Grundrechtsschutz kann daher grundsätzlich neben dem durch die Charta garantierten Schutz bestehen und diesen ergänzen(57).

48.      Der Gerichtshof hat nämlich wiederholt entschieden, dass, wenn in einer Situation, in der das Handeln eines Mitgliedstaats nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird, eine nationale Vorschrift oder Maßnahme das Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführt, es den nationalen Behörden und Gerichten weiterhin freisteht, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden(58).

49.      Die Anwendung nationaler Schutzstandards für die Grundrechte ist somit in Bereichen, die in den Anwendungsbereich der Charta fallen, in dreierlei Hinsicht beschränkt.

50.      Erstens setzt eine solche Anwendung voraus, dass der betreffende Sachverhalt im Unionsrecht nicht abschließend geregelt ist. Was insbesondere die Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie durch die Mitgliedstaaten betrifft, so kommt eine Anwendung nur in Betracht, wenn die Richtlinie keine vollständige Harmonisierung bewirkt(59).

51.      Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, dass Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 ausschließlich die Ermittlungsbefugnisse der Kommission regeln soll und dass sich weder aus seinem Wortlaut noch aus dem Kontext, in den er sich einfügt, noch aus seiner Zielsetzung ergibt, dass er auch auf die nationalen Wettbewerbsbehörden Anwendung finden soll(60). Zum anderen zielt die Richtlinie 2019/1, sofern sie auf den Sachverhalt der Ausgangsverfahren anwendbar sein sollte, nicht auf eine vollständige Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Befugnisse der Wettbewerbsbehörden im Zusammenhang mit Nachprüfungen in Geschäftsräumen und Beschlagnahmen ab, insbesondere was die Voraussetzungen für die Gültigkeit von Entscheidungen über die Durchführung solcher Maßnahmen angeht. Diese Voraussetzungen fallen daher in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, denen es grundsätzlich freisteht, die in ihrer eigenen Rechtsordnung vorgesehenen verfassungsrechtlichen Garantien – einschließlich des Erfordernisses einer vorherigen richterlichen Genehmigung – auf die sich aus diesen Maßnahmen ergebenden Eingriffe anzuwenden, sofern das Unionsrecht beachtet wird. Darüber hinaus sieht Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2019/1 im Licht ihres 31. Erwägungsgrundes ausdrücklich vor, dass die Anforderungen, die nach dem nationalen Recht für die vorherige Genehmigung solcher Nachprüfungen durch ein nationales Justizorgan gelten, von diesem Artikel unberührt bleiben(61).

52.      Zweitens darf die Anwendung nationaler Schutzstandards für die Grundrechte das Schutzniveau der Charta nicht beeinträchtigen. In der Unionsrechtsordnung legt die Charta das Mindestschutzniveau für die in ihr anerkannten Rechte und Freiheiten fest, so dass weder die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union noch die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union ein niedrigeres Schutzniveau bieten dürfen.

53.      Im vorliegenden Fall steht es einem Mitgliedstaat daher frei, in Übereinstimmung mit den nationalen Verfassungsbestimmungen, die das Grundrecht auf Schutz der Korrespondenz garantieren, vorzusehen, dass die Durchsuchung und die Beschlagnahme von E‑Mails durch die nationale Wettbewerbsbehörde bei Nachprüfungen in den Geschäftsräumen eines Unternehmens im Rahmen einer Ermittlung wegen Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 oder 102 AEUV zuvor von einem Justizorgan genehmigt werden muss, sei es von der Staatsanwaltschaft, die mit der Strafverfolgung im öffentlichen Interesse betraut ist, oder von einem Ermittlungsrichter, vorausgesetzt, dass die Garantien, die mit den Eingriffen in dieses Grundrecht, die sich aus solchen Maßnahmen ergeben, verbunden sind, einschließlich der den Betroffenen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe, insgesamt gesehen ein Schutzniveau für dieses Recht erreichen, das dem durch Art. 7 der Charta in seiner Auslegung durch den Gerichtshof garantierten Niveau zumindest gleichwertig ist.

54.      Drittens darf die Anwendung nationaler Schutzstandards für die Grundrechte nicht den Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen(62). Insoweit hat der Gerichtshof jede Auslegung von Art. 53 der Charta zurückgewiesen, wonach dieser es einem Mitgliedstaat generell gestatte, das in seiner Verfassung garantierte höhere Schutzniveau für diese Rechte anzuwenden und gegebenenfalls der Anwendung unionsrechtlicher Vorschriften entgegenzuhalten(63). Die Möglichkeit eines Mitgliedstaats, seine eigenen verfassungsrechtlichen Garantien im Bereich der Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Rahmen von Ermittlungen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV anzuwenden, die ein höheres Schutzniveau des Grundrechts auf Schutz der Korrespondenz gewährleisten als das durch die Charta garantierte, hängt daher u. a. von der Frage ab, ob eine solche Anwendung geeignet ist, die Wirksamkeit der Bekämpfung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen in der Union zu beeinträchtigen. Insoweit weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass die Wettbewerbsbehörden und die Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Art. 101 AEUV und 102 AEUV anzuwenden, wenn der Sachverhalt unter das Unionsrecht fällt, und ihre wirksame Anwendung im öffentlichen Interesse sicherzustellen(64).

55.      Der Umstand, dass nach der Verfassung eines Mitgliedstaats in der Auslegung durch das Verfassungsgericht dieses Staates die Durchsuchung und Beschlagnahme von – selbst geöffneten/gelesenen – E‑Mails durch die nationale Wettbewerbsbehörde bei Nachprüfungen in den Geschäftsräumen eines Unternehmens, das wettbewerbswidriger Verhaltensweisen verdächtigt wird, zuvor von einem Ermittlungsrichter genehmigt werden müssen, ist für sich genommen nicht geeignet, die wirksame Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV in Frage zu stellen. Wie ich bereits in Nr. 51 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, geht nämlich aus der Richtlinie 2019/1 klar hervor, dass die Einführung eines Mechanismus der vorherigen Genehmigung, bevor eine nationale Wettbewerbsbehörde ihre Nachprüfungsbefugnisse ausüben kann, nach der Vorstellung des Unionsgesetzgebers in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, und dass diese Richtlinie in ihrem Art. 6 Abs. 3 den Mitgliedstaaten im Übrigen ausdrücklich die Möglichkeit einräumt, eine solche Genehmigung vorzusehen.

56.      Die AdC macht geltend, die Auslegung des Tribunal Constitucional (Verfassungsgericht) laufe nicht nur darauf hinaus, dass die Möglichkeit, die bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Durchsuchungen beschlagnahmten E‑Mails als Beweismittel zu verwenden, in Frage gestellt werde, sondern bringe auch die Gefahr mit sich, dass endgültige Entscheidungen, mit denen Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV festgestellt worden seien, wegen der rechtswidrigen Beweisaufnahme, auf die sich diese Behörde gestützt habe, und zwar für einen die letzten zehn Jahre umfassenden Zeitraum, für ungültig erklärt würden. Diese Auslegung stehe daher einer wirksamen Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union entgegen.

57.      Insoweit weise ich darauf hin, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof zu diesem Punkt nicht nur nicht befragt hat, sondern ihm auch nicht die Angaben übermittelt hat, die erforderlich sind, um die Tragweite der Urteile von 2023 und ihre zeitliche Anwendbarkeit sowie ihre etwaigen Auswirkungen auf endgültige Entscheidungen der AdC, mit denen ein Verstoß gegen die Art. 101 und 102 AEUV festgestellt wird, beurteilen zu können.

58.      Daher beschränke ich mich auf folgende Bemerkungen.

59.      Die Regeln über die Voraussetzungen der Beweisaufnahme und die Verwendung von Beweisen in nationalen Verwaltungsverfahren zur Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV fallen mangels einschlägiger unionsrechtlicher Bestimmungen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten(65). Somit steht es einem Mitgliedstaat frei, unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren vorzusehen, dass Beweismittel, die bei Nachprüfungen durch die Wettbewerbsbehörde erhoben wurden, ohne dass die nach der Verfassung dieses Mitgliedstaats – wie sie von seinem Verfassungsgericht nach der Durchführung dieser Maßnahmen ausgelegt wurde – erforderliche vorherige richterliche Genehmigung vorlag, in einem solchen Verfahren nicht verwertet werden(66).

60.      Auch wenn der Erlass und die Anwendung dieser Vorschriften in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegt, müssen diese jedoch bei deren Ausübung das Unionsrecht und insbesondere den Grundsatz der Effektivität beachten. Daher dürfen sie die Verwirklichung des Unionsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren und müssen, speziell im Bereich des Wettbewerbsrechts, dafür sorgen, dass die Vorschriften, die sie erlassen oder anwenden, die wirksame Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV, die die nationalen Wettbewerbsbehörden im öffentlichen Interesse sicherzustellen haben, nicht beeinträchtigen(67).

61.      Im vorliegenden Fall ist es meines Erachtens zum einen Sache des vorlegenden Gerichts, bei der Beurteilung der aus den Urteilen von 2023 zu ziehenden Konsequenzen die Notwendigkeit zu berücksichtigen, eine wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union zu gewährleisten, indem es von allen Möglichkeiten Gebrauch macht, die das nationale Recht bietet – einschließlich gegebenenfalls der Möglichkeit, unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren dem Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung durch eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle abzuhelfen –, um sicherzustellen, dass die Nichteinhaltung dieser Regeln sanktioniert wird.

62.      Zum anderen könnten sich die portugiesischen Gerichte, um den Art. 101 und 102 AEUV volle Wirksamkeit zu verschaffen, veranlasst sehen, eine nationale Vorschrift unangewendet zu lassen, die es ermöglichen würde, die in den Urteilen von 2023 vorgenommene Auslegung rückwirkend anzuwenden, was zur Folge hätte, dass die Verantwortlichkeit der betroffenen Unternehmen in Fällen, in denen die AdC eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union endgültig festgestellt hat, in Frage gestellt würde, was eine systemische Gefahr der Straflosigkeit für solche Zuwiderhandlungen mit sich brächte(68).

V.      Ergebnis

63.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Tribunal da Concorrência, Regulação e Supervisão (Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht, Portugal) in jeder der verbundenen Rechtssachen C‑258/23 bis C‑260/23 gestellte jeweils dritte Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:

Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach denen die nationale Wettbewerbsbehörde bei einer im Rahmen einer Untersuchung wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 bzw. 102 AEUV durchgeführten Nachprüfung in den Räumlichkeiten eines Unternehmens ohne vorherige richterliche Genehmigung E‑Mails durchsuchen und beschlagnahmen kann, deren Inhalt im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Nachprüfung steht, sofern ein strikter rechtlicher Rahmen für die Befugnisse dieser Behörde und angemessene und wirksame Garantien gegen Missbrauch und Willkür, insbesondere eine vollständige nachträgliche gerichtliche Kontrolle der in Rede stehenden Maßnahmen, vorgesehen sind.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts (ABl. 2019, L 11, S. 3).


3      Text von der Kommission zur Verfügung gestellt.


4      Text von der Kommission zur Verfügung gestellt.


5      Die Untersuchungen betrafen Folgendes: in Bezug auf IMI das Bestehen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise auf dem Markt für Teleradiologie, mit dem Ziel, den Wettbewerb auszuschalten, was zu einer Erhöhung des vom Staat gezahlten Preises für die Erbringung von Dienstleistungen in diesem Bereich führt; in Bezug auf SIBS einen möglichen Missbrauch einer beherrschenden Stellung, indem Dritten missbräuchliche Bedingungen für den Zugang zum Multibanco-Netz mit dem Ziel auferlegt werden, den Wettbewerb insbesondere im Bereich der Zahlungsabwicklung zu beschränken; in Bezug auf Synlabhealth eine mutmaßliche wettbewerbswidrige Praxis des Austauschs sensibler Informationen zwischen Wettbewerbern und Absprachen im Rahmen der Aushandlung von Preisen für Covid‑19-Tests mit den portugiesischen Gesundheitsbehörden.


6      Im Januar und Februar 2021 in den Räumlichkeiten von SIBS, im September und Oktober 2021 in den Räumlichkeiten von IMI und im März 2022 in den Räumlichkeiten von Synlabhealth.


7      Mit Ausnahme davon, dass in der zweiten Frage auf Art. 101 bzw. auf Art. 102 AEUV verwiesen wird, sind die Fragen in den drei Vorabentscheidungsersuchen gleichlautend formuliert.


8      Vgl. z. B. Urteil vom 3. April 2019, Powszechny Zakład Ubezpieczeń na Życie (C‑617/17, EU:C:2019:283, Rn. 36).


9      Urteil Nr. 91/2023, Rechtssache Nr. 559/2020 (im Folgenden: Urteil Nr. 91/2023).


10      Urteil Nr. 314/2023, Rechtssache Nr. 145/2021.


11      Wie insbesondere die portugiesische Regierung ausführt, hat die unterschiedliche Natur von geöffneten und geschlossenen E‑Mails in der portugiesischen Rechtsprechung und Lehre offenbar zu zahlreichen Diskussionen geführt. Die portugiesische Regierung weist insbesondere darauf hin, dass die portugiesischen Gerichte bis vor Kurzem davon ausgegangen seien, dass die AdC bei der Beschlagnahme geöffneter/gelesener E‑Mails nicht in den Vorgang der Kommunikation und der „Korrespondenz“ eingreife und dass solche E‑Mails daher unter den Begriff „Dokument“ fielen.


12      Vgl. Urteil Nr. 91/2023, Rn. 15 bis 18 der Urteilsbegründung.


13      Vgl. Urteil Nr. 91/2023, Rn. 19 ff. der Urteilsbegründung.


14      Das erste dieser Urteile ist jedoch zu den Akten der Ausgangsverfahren genommen worden, die der Kanzlei des Gerichtshofs übermittelt worden sind.


15      Diese Vorlagen sind Gegenstand der Rechtssachen C‑132/24 Apap u. a., und C‑195/24, Blueotter u. a.


16      Dasselbe Argument wird von SIBS in der Rechtssache C‑260/23 vorgebracht.


17      Vgl. Urteil vom 21. Dezember 2023, European Superleague Company (C‑333/21, EU:C:2023:1011, Rn. 59).


18      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Januar 2024, Global Ink Trade (C‑537/22, EU:C:2024:6, Rn. 40).


19      Ich weise darauf hin, dass ein solches Rechtsmittel auch von SIBS eingelegt wurde.


20      Vgl. Urteil vom 21. Dezember 2023, Krajowa Rada Sądownictwa (Verbleib eines Richters im Amt) (C‑718/21, EU:C:2023:1015, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).


21      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2015, Orizzonte Salute (C‑61/14, EU:C:2015:655, Rn. 31).


22      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juli 2008, Coleman (C‑303/06, EU:C:2008:415, Rn. 29).


23      Ich weise darauf hin, dass der in der ersten Vorlagefrage verwendete und im ursprünglichen Wortlaut von Art. 7 der Charta enthaltene Begriff „Korrespondenz“ 2007 durch den Begriff „Kommunikation“ ersetzt wurde, um dem technologischen Fortschritt Rechnung zu tragen. Vgl. Erläuterungen zur Charta (ABl. 2007, C 303, S. 17).


24      Was erstens das Vorbringen von IMI betrifft, die erste Vorlagefrage sei unzulässig, weil das vorlegende Gericht das Urteil Nr. 91/2023 nicht erwähnt habe, verweise ich auf die Ausführungen in Nr. 26 der vorliegenden Schlussanträge. Was zweitens das Argument betrifft, dass diese Frage keinen Raum für „vernünftige Zweifel“ lasse, beschränke ich mich auf den Hinweis, dass ein solcher Umstand nach ständiger Rechtsprechung ein in letzter Instanz entscheidendes nationales Gericht allenfalls von seiner Verpflichtung zur Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 AEUV befreien kann, aber nicht geeignet ist, die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens darzutun; vgl. Urteil vom 7. Februar 2023, Confédération paysanne u. a. (In-vitro-Zufallsmutagenese) (C‑688/21, EU:C:2023:75, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 25. Januar 2024, Croce Rossa Italiana u. a. (C‑389/22, nicht veröffentlicht, EU:C:2024:77, Rn. 52).


25      C‑419/14, im Folgenden: Urteil WebMindLicenses, EU:C:2015:832.


26      Art. 8 Abs. 1 EMRK lautet: „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“


27      Vgl. Urteil WebMindLicences (Rn. 70 bis 73). Der Gerichtshof stützte sich auf die Urteile des EGMR vom 16. Dezember 1992, Niemietz/Deutschland (CE:ECHR:1992:1216JUD001371088, §§ 29 bis 31), vom 16. April 2002, Société Colas Est u. a./Frankreich (CE:ECHR:2002:0416JUD003797197, §§ 40 bis 41), und vom 2. April 2015, Vinci Construction und GTM Génie Civil et Services/Frankreich, (CE:ECHR:2015:0402JUD006362910, § 63); vgl. aus jüngerer Zeit Urteil des EGMR vom 4. April 2023, UAB Kesko Senukai Lettland/Lettland (CE:ECHR:2023:0404JUD001916219, § 109).


28      Zwar ging es in der Rechtssache, in der das Urteil WebMindLicenses ergangen ist, um im Lauf eines Strafverfahrens beschlagnahmte E‑Mails, doch hat der Gerichtshof in diesem Urteil klargestellt, dass ihre „Verwendung“ im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens als solche auch als eine Beschränkung der Ausübung des durch Art. 7 der Charta garantierten Rechts anzusehen ist (vgl. Rn. 80).


29      Vgl. EGMR, Urteil vom 11. Januar 2024, Arregui/Spanien (CE:ECHR:2024:0111JUD004254118, § 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). In seinem Urteil vom 5. September 2017, Bărbulescu/Rumänien (CE:ECHR:2017:0905JUD006149608, § 74), in dem es um von einem Arbeitsplatzcomputer aus versandte private Nachrichten ging, hat der EGMR klargestellt, dass eine vom Arbeitgeber aufgestellte Regel, die den Arbeitnehmern vorschreibt, jegliche persönliche Aktivität am Arbeitsplatz zu unterlassen, und ihnen die persönliche Verwendung von Unternehmensressourcen untersagt, für die Einstufung als „Korrespondenz“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK unerheblich ist.


30      Vgl. EGMR, Urteil vom 3. April 2007, Copland/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2007:0403JUD006261700), §§ 41 und 42.


31      Vgl. EGMR, Urteil vom 14. März 2013, Bernh Larsen Holding AS u. a./Norwegen (CE:ECHR:2013:0314JUD002411708, § 106).


32      Vgl. EGMR, Urteile vom 5. September 2017, Bărbulescu/Rumänien (CE:ECHR:2017:0905JUD006149608, §§ 72 und 73), und vom 16. Dezember 1992, Niemietz/Deutschland (CE:ECHR:1992:1216JUD001371088, § 32 a. E.).


33      Vgl. EGMR, Urteil vom 16. Oktober 2007, Wieser und Bicos Beteiligungen GmbH (CE:ECHR:2007:1016JUD007433601, § 45).


34      Vgl. Urteil WebMindLicences (Rn. 73).


35      Ich weise darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 8. April 2014, Digital Rights Ireland u. a. (C‑293/12 und C‑594/12, EU:C:2014:238), im Wesentlichen festgestellt hat, dass die durch die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl. 2006, L 105, S. 54) auferlegte Verpflichtung zur Vorratsspeicherung keinen Schweregrad erreichte, der geeignet war, den Wesensgehalt des Rechts auf Achtung des Privatlebens anzutasten, da sie nicht die „Kenntnisnahme des Inhalts elektronischer Kommunikation als solchen“ gestattete; vgl. auch – in Bezug auf die Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37) – Urteil vom 12. Juli 2002, Tele2 Sverige und Watson u. a. (C‑203/15 und C‑698/15, EU:C:2016:970, Rn. 101).


36      Vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/15 (PNR-Abkommen EU-Kanada) vom 26. Juli 2017 (EU:C:2017:592, Rn. 150) und Urteil vom 21. Juni 2022, Ligue des droits humains (C‑817/19, EU:C:2022:491, Rn. 120), sowie Schlussanträge des Generalanwalts Pitruzzella in dieser Rechtssache (EU:C:2022:65, Nr. 93).


37      Verordnung des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).


38      Vgl. zu Art. 101 AEUV Urteil vom 22. März 2022, Nordzucker u. a. (C‑151/20, EU:C:2022:203, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung), und zu Art. 102 AEUV Urteil vom 22. März 2022, bpost (C‑117/20, EU:C:2022:202, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).


39      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2022, Orde van Vlaamse Balies u. a. (C‑694/20, EU:C:2022:963, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).


40      Vgl. EGMR, Urteil Niemitz/Deutschland, 16. Dezember 1992, (CE:ECHR:1992:1216JUD001371088, § 31); vgl. auch Urteil vom 18. Juni 2015, Deutsche Bahn u. a./Kommission (C‑583/13 P, EU:C:2015:404, Rn. 20).


41      Vgl. in diesem Sinne Richtlinie 2019/1, 32. Erwägungsgrund und Art. 32, in denen elektronische Nachrichten als Beweismittel eingestuft werden, die vor einer nationalen Wettbewerbsbehörde als zulässig zu betrachten sind.


42      Vgl. Urteil vom 16. Juli 2020, Nexans France und Nexans/Kommission (C‑606/18 P, EU:C:2020:571, Rn. 56 bis 64), Urteil vom 30. Januar 2020, České dráhy/Kommission (C‑538/18 P und C‑539/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:53, Rn. 101 bis 104).


43      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. September 2020, Prysmian und Prysmian Cavi e Sistemi/Kommission (C‑601/18 P, EU:C:2020:751, Rn. 58 und 59), und vom 30. Januar 2020, České dráhy/Kommission (C‑538/18 P und C‑539/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:53, Rn. 99 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


44      Vgl. EGMR, Urteil vom 14. März 2013, Bernh Larsen Holding AS u. a./Norwegen (CE:ECHR:2013:0314JUD002411708, §§ 172 bis 175), in dem es um Überprüfungen ging, die zum Zweck der Steuerprüfung durchgeführt wurden.


45      Vgl. EGMR, Urteil vom 4. April 2023, Uab Kesko Senukai/Litauen (ECLI:CE:ECHR:2023:0404JUD001916219, § 109 und die dort angeführte Rechtsprechung).


46      Vgl. EGMR, Urteil vom 16. Dezember 1992, Niemietz/Deutschland (CE:ECHR:1992:1216JUD001371088, § 31).


47      Vgl. EGMR, Urteil vom 2. Oktober 2014, Delta Pekárny A.S./Tschechische Republik (CE:ECHR:2014:1002JUD000009711, § 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).


48      Vgl. EGMR, Urteil vom 16. April 2002, Cola Est u. a./Frankreich (CE:ECHR:2002:0416JUD003797197, §§ 48 und 49), sowie insbesondere zur Geschäftskorrespondenz Urteile vom 14. März 2013, Bernh Larsen Holding AS u. a./Norwegen (CE:ECHR:2013:0314JUD002411708, §§ 172 bis 174), vom 23. Juni 2022, Naumenco und Sia Rix Shippinc/Lettland (CE:ECHR:2022:0623JUD005080514, § 62) und vom 4. April 2023, Uab Kesko Senukai/Litauen (CE:ECHR:2023:0404JUD001916219, §§ 113 und 118 und die dort angeführte Rechtsprechung).


49      Vgl. EGMR, Urteil vom 4. April 2023, Uab Kesko Senukai/Litauen (CE:ECHR:2023:0404JUD001916219, §§ 113 und 117 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


50      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juni 2015, Deutsche Bahn u. a./Kommission (C‑583/13 P, EU:C:2015:404, Rn. 32).


51      Vgl. EGMR, Urteil vom 14. März 2013, Bernh Larsen Holding AS u. a./Norwegen (CE:ECHR:2013:0314JUD002411708, § 174).


52      CE:ECHR:2014:1002JUD000009711, §§ 86 und 87 und die dort angeführte Rechtsprechung. Vgl. in diesem Sinne auch EGMR, Urteil vom 19. Januar 2017, Posevini/Bulgarien (CE:ECHR:2017:0119JUD006363814, § 84).


53      Vgl. Leitfaden zu Art. 8 EMRK, „Right to respect for private and family life, home and correspondence“, 2022, Nr. 602.


54      Vgl. Rn. 77 und 78 dieses Urteils.


55      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juni 2015, Deutsche Bahn u. a./Kommission (C‑583/13 P, EU:C:2015:404, Rn. 29 bis 36); vgl. auch Urteil vom 6. September 2013, Deutsche Bahn u. a./Kommission (T‑289/11, T‑290/11 und T‑521/11, EU:T:2013:404, Rn. 74 bis 100); zur Möglichkeit, dass das Fehlen einer vorherigen gerichtlichen Kontrolle durch die Gesamtheit aller gegen die Nachprüfungsmaßnahmen der Kommission eröffneten Rechtsbehelfe ausgeglichen werden kann, vgl. auch Urteil vom 9. März 2023, Les Mousquetaires und ITM Entreprises/Kommission (C‑682/20 P, EU:C:2023:170, Rn. 57 ff.).


56      Die Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union beruht auf einem System paralleler Zuständigkeiten, in dessen Rahmen sowohl die Kommission als auch die nationalen Wettbewerbsbehörden die Art. 101 und 102 AEUV anwenden können (vgl. Urteil vom 23. November 2017, Gasorba u. a. (C‑547/16, EU:C:2017:891, Rn. 23). Bei der Ausübung dieser Befugnisse haben diese Behörden die Charta und insbesondere – im Hinblick auf die Nachprüfungsbefugnisse – ihren Art. 7 zu beachten.


57      Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 24. Juli 2023, Lin (C‑107/23 PPU, EU:C:2023:606, Rn. 115).


58      Vgl. Urteil vom 29. Juli 2019, Spiegel Online (C‑516/17, EU:C:2019:625, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 24. Juli 2023, Lin (C‑107/23 PPU, EU:C:2023:606, Rn. 110), und zuletzt Beschluss vom 9. Januar 2024, Unitatea Administrativ Teritorială Judeţul Braşov (C‑131/23, EU:C:2024:42, Rn. 81).


59      Vgl. Urteil vom 29. Juli 2019, Funke Medien NRW (C‑469/17, EU:C:2019:623, Rn. 33).


60      Vgl. entsprechend Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export (C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 35 bis 38).


61      Ich stelle fest, dass den Mitgliedstaaten auch in Fällen, in denen die Richtlinie 2019/1 eine vorherige Genehmigung vorschreibt, über ein Ermessen verfügen: vgl. Art. 7 Abs. 2 in Verbindung mit dem 34. Erwägungsgrund dieser Richtlinie.


62      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni (C‑399/11, EU:C:2013:107, Rn. 60).


63      Vgl. Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni (C‑399/11, EU:C:2013:107, Rn. 56).


64      Vgl. Urteil vom 14. Juni 2011, Pfleiderer (C‑360/09, EU:C:2011:389, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung); vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 18. Januar 2024, Lietuvos notarų rūmai u. a. (C‑128/21, EU:C:2024:49, Rn. 108 und die dort angeführte Rechtsprechung).


65      Weder die Verordnung Nr. 1/2003 noch die Richtlinie Nr. 2019/1 – mit Ausnahme ihres Art. 32, der die Arten von Beweismitteln regelt, die vor einer nationalen Wettbewerbsbehörde zulässig sind – enthalten diesbezügliche Bestimmungen.


66      Eine solche Regel würde im Übrigen nur die Anforderungen widerspiegeln, die sich aus der Beachtung der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Rechtsstaatlichkeit sowie der Grundrechte ergeben, vgl. entsprechend Urteil vom 17. Januar 2019, Dzivev u. a. (C‑310/16, EU:C:2019:30, Rn. 38); vgl. auch Urteil WebMindLicences (Rn. 80 bis 89).


67      Vgl. Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export (C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 46).


68      Vgl. entsprechend Urteil vom 24. Juli 2023, Lin (C‑107/23 PPU, EU:C:2023:606, Rn. 111 bis 124 und Nr. 1 des Tenors). Vgl. ebenfalls entsprechend Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export (C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 53).

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