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Document 62023CC0157
Opinion of Advocate General Campos Sánchez-Bordona delivered on 18 April 2024.###
Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 18. April 2024.
Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 18. April 2024.
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:332
Vorläufige Fassung
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA
vom 18. April 2024(1)
Rechtssache C‑157/23
Ford Italia SpA
gegen
ZP,
Stracciari SpA
(Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione [Kassationsgerichtshof, Italien])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Haftung für fehlerhafte Produkte – Richtlinie 85/374/EWG – Art. 3 Abs. 1 – Begriff des Herstellers – Ausdehnung der Haftung auf den Lieferanten – Namen, Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen des Lieferanten, der/das auf dem Produkt angebracht ist und der/das teilweise mit jenem des Herstellers übereinstimmt – Art. 3 Abs. 3 – Haftungsbefreiung des Lieferanten – Feststellung des Herstellers – Nationale Vorschrift, die dem Lieferanten die Pflicht zur Streitverkündung an den Hersteller in einem anhängigen Gerichtsverfahren auferlegt“
1. Dieses Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Haftung der Wirtschaftsteilnehmer (Hersteller und Lieferant) für Schäden, die durch einen Verkehrsunfall in Italien verursacht wurden, bei dem ein Airbag eines Fahrzeugs der Marke Ford nicht funktionierte.
2. Im Ausgangsverfahren ist streitig, ob diese Haftung gemäß Art. 3 der Richtlinie 85/374/EWG(2) den Hersteller des Fahrzeugs in Deutschland (Ford Werke Aktiengesellschaft, im Folgenden: Ford WAG) oder dessen Lieferanten in Italien (Ford Italia SpA, im Folgenden: Ford Italia) trifft.
I. Rechtsrahmen
A. Unionsrecht. Richtlinie 85/374
3. Art. 1 bestimmt:
„Der Hersteller eines Produkts haftet für den Schaden, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist.“
4. Art. 3 sieht vor:
„(1) ‚Hersteller‘ ist der Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie jede Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt.
…
(3) Kann der Hersteller des Produkts nicht festgestellt werden, so wird jeder Lieferant als dessen Hersteller behandelt, es sei denn, dass er dem Geschädigten innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat. …“
5. Art. 5 lautet:
„Haften aufgrund dieser Richtlinie mehrere Personen für denselben Schaden, so haften sie unbeschadet des einzelstaatlichen Rückgriffsrechts gesamtschuldnerisch.“
B. Italienisches Recht. Decreto del Presidente della Repubblica 24 maggio 1988, n. 224 (Dekret Nr. 224 des Präsidenten der Republik vom 24. Mai 1988)(3)
6. Art. 3 Abs. 1 bestimmt im Wesentlichen, dass Hersteller der Hersteller des Endprodukts oder eines Bestandteils davon sowie der Hersteller des Grundstoffs ist. Nach Art. 3 Abs. 3 gilt als Hersteller auch derjenige, der sich als solcher ausgibt, indem er seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt oder dessen Verpackung anbringt.
7. Art. 4 über die Haftung des Lieferanten bestimmt in Abs. 1, dass, wenn der Hersteller nicht festgestellt wird, der Lieferant, der das Produkt im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit vertrieben hat, in gleicher Weise haftet, wenn er es unterlassen hat, dem Geschädigten innerhalb von drei Monaten nach dem Ersuchen den Hersteller und dessen Anschrift oder die Person, die ihm das Produkt geliefert hat, zu benennen.
8. In diesem Art. 4 ist in Abs. 5 vorgesehen, dass dem als Hersteller oder Lieferanten angegebenen Dritten gemäß Art. 106 des Codice di procedura civile (Zivilprozessordnung) der Streit verkündet und der beklagte Lieferant von der Haftung befreit werden kann, wenn die angegebene Person erscheint und die Angabe nicht bestreitet.
II. Sachverhalt, Rechtsstreit und Vorlagefrage
9. Am 4. Juli 2001 erwarb ZP von dem in Italien ansässigen und als Vertragshändler für die Marke „Ford“ tätigen Unternehmen Stracciari einen „Ford Mondeo“.
10. Das Fahrzeug war von der Ford WAG, ein in Deutschland ansässiges Unternehmen, das seine Fahrzeuge in Italien über Ford Italia vertreibt, hergestellt worden. Das letztgenannte Unternehmen ist ein innergemeinschaftlicher Importeur und lieferte das Fahrzeug an den Vertragshändler der Marke Ford (Stracciari).
11. Die Ford WAG und Ford Italia gehören zur selben Unternehmensgruppe.
12. Am 27. Dezember 2001 erlitt ZP einen Verkehrsunfall, bei dem der Airbag des Fahrzeugs nicht funktionierte.
13. Am 8. Januar 2004 erhob ZP beim Tribunale di Bologna (Gericht Bologna, Italien) Klage auf Ersatz der erlittenen Schäden. Die Klage war gegen Stracciari in deren Eigenschaft als Verkäuferin und gegen Ford Italia gerichtet.
14. Ford Italia erschien vor Gericht und machte dabei geltend, dass sie das Fahrzeug nicht hergestellt habe, und gab die Ford WAG als Herstellerin an. Ford Italia argumentierte, dass sie als Lieferantin nicht für den angeblichen Fehler des Fahrzeugs hafte und dass ihre Haftung ausgeschlossen sei, wenn der Hersteller festgestellt sei.(4)
15. Am 5. November 2012 entschied das Tribunale di Bologna (Gericht Bologna), dass Ford Italia der außervertraglichen Haftung für die durch das fehlerhafte Produkt verursachten Schäden unterliege.
16. Gegen das erstinstanzliche Urteil legte Ford Italia bei der Corte d’appello di Bologna (Berufungsgericht Bologna, Italien) Berufung ein(5), die die Berufung am 21. Dezember 2018 zurückwies.
17. Ford Italia hat bei der Corte suprema di cassazione (Oberster Kassationsgerichtshof, Italien) Kassationsbeschwerde eingelegt, die dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:
Steht eine Auslegung, wonach die Haftung des Herstellers, auch wenn der Lieferant seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen nicht tatsächlich auf der Ware angebracht hat, auf den Lieferanten ausgedehnt wird, nur weil er einen Namen, ein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen hat, der bzw. das mit dem des Herstellers ganz oder teilweise übereinstimmt, mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG im Einklang – und wenn nicht, warum nicht?
III. Verfahren vor dem Gerichtshof
18. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 13. März 2023 beim Gerichtshof eingegangen.
19. Stracciari(6), Ford Italia und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben und an der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2024 teilgenommen.
IV. Würdigung
A. Vorbemerkung
20. Die Zweifel des vorlegenden Gerichts konzentrieren sich auf die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 85/374, wobei eine Klärung der Haftung für Schäden aus fehlerhaftem Produkt herbeigeführt werden soll. Dieses Gericht will konkret wissen, ob diese Haftung von einem Lieferanten verlangt werden kann, der seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen nicht physisch auf der Ware angebracht hat, aber dessen Erkennungsdaten mit jenen des Herstellers ganz oder teilweise übereinstimmen.
21. Aufgrund dieser – gewiss beschränkten – Schwerpunktsetzung der Vorlagefrage ist unter Berücksichtigung der Umstände des Falles das Augenmerk vor allem auf den Begriff des Scheinherstellers (jener Hersteller, der sich als solcher ausgibt, indem er seinen Namen auf dem Produkt anbringt) zu richten.
22. Der Gerichtshof kann dem vorlegenden Gericht aber auch weitere Hinweise für die Auslegung der durch die Richtlinie 85/374 begründeten Haftungsregelung geben, wenn er es für zweckdienlich erachtet, gestützt auf einer Anwendung von Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie, zu dem von Ford Italia gesetzten Schwerpunkt Stellung zu nehmen.
23. Vor diesem Hintergrund ist der Blick nicht nur auf eine Abgrenzung des Begriffs „Hersteller“, sei es der tatsächliche Hersteller oder der Scheinhersteller (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374), zu richten, sondern auch auf die Frage der Haftungsbefreiung des Lieferanten, der den tatsächlichen Hersteller benannt hat (Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie).
B. Vollständige Harmonisierung der mit der Richtlinie 85/374 eingeführten Haftungsregelung
24. Nach ständiger Rechtsprechung „[wird] der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Regelung der Haftung für fehlerhafte Produkte zur Gänze von der Richtlinie [85/374] selbst festgelegt …“(7).
25. Nach Prüfung von Wortlaut, Zweck und Systematik der Richtlinie 85/374 „ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass die Richtlinie für die darin geregelten Punkte eine vollständige Harmonisierung der Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten bezweckt“(8).
26. Somit bedeutet das konkret: „Der Kreis der haftenden Personen, gegen die der Geschädigte eine Klage im Rahmen des in der Richtlinie 85/374 vorgesehenen Haftungssystems erheben kann, ist in den Art. 1 und 3 der Richtlinie festgelegt. Da die Richtlinie für die in ihr geregelten Punkte eine vollständige Harmonisierung bezweckt, ist die in den Art. 1 und 3 vorgenommene Festlegung des Kreises der haftenden Personen als erschöpfend anzusehen; sie kann nicht von der Festsetzung zusätzlicher Kriterien abhängig gemacht werden, die sich nicht aus dem Wortlaut der Art. 1 und 3 der Richtlinie 85/374 ergeben“(9).
27. Abgesehen von der Person, die ein Endprodukt herstellt, „[dürfen] nur in abschließend aufgezählten Fällen … andere Personen als Hersteller angesehen werden, nämlich die Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt (Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie), die Person, die ein Produkt in die Gemeinschaft einführt (Artikel 3 Absatz 2), und der Lieferant, der, falls der Hersteller des Produkts nicht festgestellt werden kann, dem Geschädigten nicht innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat (Artikel 3 Absatz 3)“(10).
C. Begriff des Scheinherstellers: Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374
28. Die Klage richtete sich in diesem Rechtsstreit gegen die Lieferantin des Fahrzeugs (Ford Italia) in deren Eigenschaft als Herstellerin. Der geltend gemachte Fehler betraf ein Fahrzeug der Marke Ford, das in Deutschland von der Ford WAG hergestellt und in Italien von Ford Italia, einer innergemeinschaftlichen Importeurin dieser Fahrzeuge, geliefert wurde.
29. Da Ford Italia keine Fahrzeuge herstellt, sondern diese aus einem anderen Mitgliedstaat importiert und in Italien vertreibt, könnte dieses Unternehmen nur dann als Hersteller im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 eingestuft werden, wenn es die Eigenschaft einer Scheinherstellerin, d. h. einer „Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt“, aufweisen würde.
30. Das vorlegende Gericht möchte wissen, wie mit einer Situation umzugehen ist, in der
– zum einen der Lieferant seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen nicht physisch auf der Ware angebracht hat,
– zum anderen aber der Name des Lieferanten und jener des Herstellers insoweit übereinstimmen, als beide das Erkennungszeichen „Ford“ verwenden, das auf dem Fahrzeug angebracht ist und im Namen der beiden Wirtschaftsteilnehmer vorkommt.
31. Für das vorlegende Gericht kann die Frage, die sich in einer solchen Situation stellt, entweder anhand einer engen oder einer weiteren Auslegung der Wortfolge „indem sie ihren Namen … anbringt“ beantwortet werden. Beide Alternativen scheinen grundsätzlich vertretbar zu sein(11):
– Die zweite – weitere – Auslegungsalternative würde im Licht der nationalen Rechtsprechung das Erfordernis des Verbraucherschutzes berücksichtigen.
– Im Rahmen der ersten – engen – Alternative wird das Augenmerk auf eine Gewichtung der Interessen der verschiedenen Personen gerichtet, die am Prozess der Herstellung und des Vertriebs des Produkts beteiligt sind.
32. Ich werde nachfolgend darstellen, weshalb ich der vom vorlegenden Gericht beschriebenen weiteren Auslegung zuneige. Dabei erkenne ich jedoch an, dass auch für die andere Lösung stichhaltige Argumente sprechen(12).
33. Die Erweiterung des Begriffs des Herstellers auf den Scheinhersteller folgt der im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 85/374 zum Ausdruck kommenden Zielsetzung: „Der Schutz des Verbrauchers erfordert es, dass … jede Person … zu haften [hat], die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen anbringt …“ Mit diesem Ziel „[wollte] der Unionsgesetzgeber …, dass der Begriff ‚Hersteller‘ zum Schutz des Verbrauchers weit verstanden wird“(13).
34. Der Gerichtshof hat im Urteil Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia zur „verschuldensunabhängigen Haftung“(14) des Scheinherstellers im Rahmen eines Rechtsstreits Stellung genommen, dessen Sachverhalt mit dem in diesem Vorabentscheidungsersuchen geschilderten eine gewisse Ähnlichkeit aufweist.(15)
35. In jenem Fall richtete sich die Schadensersatzklage wegen des fehlerhaften Produkts (eine in Finnland vertriebene Kaffeemaschine der Marke Phillips Saeco) gegen Koninklijke Philips, trotz des Umstands, dass das Produkt in Rumänien von der Saeco International Group SpA, einer Tochter von Koninklijke Philips, hergestellt worden war.
36. Es wurde daher geprüft, ob Koninklijke Philips die Eigenschaft einer Scheinherstellerin aufwies, und zwar in Anbetracht dessen, dass „[a]uf der Kaffeemaschine und ihrer Verpackung … die Zeichen Philips und Saeco angebracht [waren], bei denen es sich um für Koninklijke Philips eingetragene Marken handelt. Außerdem war die Kaffeemaschine mit der CE‑Kennzeichnung mit dem Zeichen Saeco, einer Adresse in Italien und dem Aufdruck ‚Made in Romania‘ versehen. Koninklijke Philips hat in Finnland eine Tochtergesellschaft, die Philips Oy, die dort mit der Marke Philips versehene Haushaltsgeräte, u. a. die in Rede stehende Kaffeemaschine, vertreibt.“(16)
37. Insoweit sei insbesondere auf die nachfolgend widergegebenen Feststellungen des Gerichtshofs in diesem Urteil hingewiesen, wonach
– „die Person, die sich als Hersteller ausgibt, dadurch, dass sie auf dem … Produkt ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen anbringt, den Eindruck erweckt, am Herstellungsprozess beteiligt zu sein oder dafür verantwortlich zu sein. Demnach läuft die Verwendung dieser Angaben darauf hinaus, dass diese Person ihre Bekanntheit nutzt, um das fragliche Produkt in den Augen der Verbraucher attraktiver zu machen. Das rechtfertigt es, dass sie als Gegenleistung wegen dieser Verwendung haftbar gemacht werden kann“(17);
– „die Suche nach einer einzigen verantwortlichen Person – der ‚am besten geeigneten‘ –, der gegenüber der Verbraucher seine Rechte geltend machen müsste, entgegen dem Vorbringen des vorlegenden Gerichts nicht relevant [ist], da zum einen mehrere Personen als Hersteller angesehen werden können und zum anderen der Verbraucher seinen Anspruch gegen jede beliebige dieser Personen geltend machen kann“(18).
38. Wie bereits ausgeführt worden ist, betrifft die Frage der Corte di cassazione (Kassationsgerichtshof) somit die Tragweite des Ausdrucks „indem sie ihren [eigenen] Namen …anbringt“. Dieses Gericht will insbesondere wissen, ob sich diese Wendung i) lediglich auf die physische Anbringung eines Erkennungszeichens durch eine vom Hersteller verschiedene Person bezieht, die in der Absicht vorgenommen wird, sich eine Mehrdeutigkeit zunutze zu machen, ii) oder ob damit auch die bloß nicht beabsichtigte Übereinstimmung der Erkennungsdaten erfasst werden soll.
39. Bei der Beantwortung dieser Frage ist darauf zu achten, wie das fehlerhafte Produkt dargeboten und verkauft wird. Insoweit deutet alles darauf hin, dass Ford Italia an die italienischen Verbraucher Fahrzeuge liefert, die mit einem Erkennungszeichen (Ford) versehen sind, dessen Ansehen und guter Ruf objektiv und begründeterweise beim Verbraucher ein besonderes Vertrauen weckt. Der Lieferant nützt so den guten Ruf der in seinen eigenen Firmennamen (Ford Italia) eingefügten Marke „Ford“ aus, um Fahrzeuge zu verkaufen.
40. Ebenso wie in der Rechtssache, über die im Urteil Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia entschieden wurde, rechtfertigt es meines Erachtens der Schutz der Öffentlichkeit, dass der Lieferant in Anbetracht der Übereinstimmung(19) seines Zeichens (Ford Italia) mit jenen des tatsächlichen Herstellers (Ford WAG) und mit jenem des Fahrzeugs (Ford Mondeo) im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 als Scheinhersteller eingestuft werden kann.
41. Es steht zwar fest, dass der Lieferant seinen Namen nicht physisch auf dem Produkt anbringt, da dieser bereits in der Fabrik Bestandteil des Produkts wurde. Ich bin aber der Auffassung, dass der Käufer aus der Sicht des Verbrauchers, wenn derselbe Name (Ford) auf dem Fahrzeug und in dem Firmennamen des Lieferanten steht, den Eindruck(20) gewinnen kann, dass der Lieferant die Position (und die Haftung) gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 übernimmt. Unter diesen Umständen kann vom Verbraucher nicht verlangt werden, dass er mit seinen eigenen Mitteln herausfindet, wer der (tatsächliche) Hersteller hinter dem Lieferanten ist, der sich mit diesen Merkmalen präsentiert.
42. Der entscheidende Umstand in Fällen wie diesem ist die dreifache Übereinstimmung zwischen dem Namen des Lieferanten (Ford Italia), dem auf dem Produkt stehenden Namen (Ford Mondeo) und dem Namen dessen, der das Produkt hergestellt hat (Ford WAG). Diese Übereinstimmung lässt den Verbraucher vermuten, dass für die Qualität des Fahrzeugs durch einen Lieferanten gebürgt wird, der sich, damit er „ihre Bekanntheit nutzt, um das fragliche Produkt in den Augen der Verbraucher attraktiver zu machen“(21), als (offenkundiger) Hersteller präsentiert und im Gegenzug die damit verbundene Haftung übernimmt.
43. Von daher vertrete ich die Auffassung, dass es nicht so sehr darauf ankommt, ob der Lieferant versucht, sich eine angebliche Mehrdeutigkeit zunutze zu machen, oder ob er die Bezeichnung absichtlich gewählt hat, um das Ansehen des Erkennungszeichens des tatsächlichen Herstellers auszunutzen (zu dem von seiner Seite im Übrigen gesellschaftsrechtliche Verbindungen bestehen).
44. Wie bereits dargestellt worden ist, ist vielmehr maßgeblich, dass, wenn das vom Lieferanten vertriebene Fahrzeug das charakteristische Erkennungszeichen der Bezeichnung beider („Ford“) trägt, beim Käufer (und allgemein bei den Verkehrskreisen) dasselbe Vertrauen geweckt wird, als hätte der Hersteller, dessen Name mit dem des Lieferanten übereinstimmt, das Fahrzeug unmittelbar und ohne Vermittlung durch einen anderen Wirtschaftsteilnehmer verkauft.
45. Vor diesem Hintergrund kann der Verbraucher, ohne dass er größere Ermittlungen vornehmen muss, vernünftigerweise annehmen, dass er sein Fahrzeug von einem Lieferanten erwirbt, der sich als (offenkundiger) Hersteller ausgibt. Infolgedessen ist festzustellen, dass er „von der Last befreit werden soll, den tatsächlichen Hersteller ermitteln zu müssen, um seinen Antrag auf Schadensersatz gegen jemanden richten zu können“(22).
46. Dagegen ließe sich einwenden, dass es ich dabei um eine übermäßig weite Auslegung handelt, die weit über das Ziel von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 hinausgeht, die Haftung für ein fehlerhaftes Produkt dessen Hersteller und nicht dessen Lieferanten aufzubürden. Ich bin jedoch nicht der Auffassung, dass dieser Einwand, auch wenn sich Argumente zu seiner Stützung vorbringen lassen, gegenüber einem „entmaterialisierten“ Verständnis der Vorschrift Bestand haben kann, die ich auf den Begriff des Scheinherstellers im Sinne dieser Vorschrift stütze.
47. Ich stimme deshalb der Auffassung der Kommission zu, wonach die Eigenschaft des Scheinherstellers nicht auf denjenigen beschränkt werden könne, der sein Erkennungszeichen physisch auf dem Produkt „anbringt“: Diese Eigenschaft „kann auch bei einer bloßen Übereinstimmung des Namens des Lieferanten mit dem Namen des Produkts angenommen werden, besonders dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, diese Entsprechung keine zufällige ist, sondern darauf beruht, dass der Lieferant die Fahrzeuge der Marke Ford in Italien weiterverkauft, die er beim Hersteller Ford WAG erwirbt“(23).
48. Von daher kann derjenige, der als Folge eines fehlerhaften Produkts einen Schaden erlitten hat, sowohl vom Scheinhersteller als auch vom tatsächlichen Hersteller Schadensersatz verlangen, da beide gesamtschuldnerisch haften.
49. Denn aus Art. 5 und dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 85/374 ergibt sich, dass „sich die Haftung der Person, die sich als Hersteller ausgibt, auf der gleichen Ebene wie diejenige des tatsächlichen Herstellers befindet und dass der Verbraucher die freie Wahl hat, jeden von ihnen unterschiedslos für den vollen Ersatz des Schadens in Anspruch zu nehmen, da es sich um eine gesamtschuldnerische Haftung handelt“(24).
50. Die vorstehenden Erwägungen haben umso größere Gültigkeit, wenn man berücksichtigt, dass in dieser Rechtssache der Lieferant und der tatsächliche Hersteller derselben Unternehmensgruppe angehören, so dass das erstgenannte Unternehmen ein Glied der Vertriebskette der vom zweitgenannten Unternehmen hergestellten Fahrzeuge ist und beide das Zeichen Ford verwenden.
51. Ich möchte daran erinnern, dass der Lieferant des Fahrzeugs (Ford Italia) an den Hersteller (Ford WAG) gebunden ist. Ford Italia deckt einen territorialen Teilbereich des Herstellungs- und Vertriebsnetzwerks der Fahrzeuge Ford ab und ist der Leitung und Koordination durch eine Muttergesellschaft unterstellt.
52. In diesem Kontext entscheidet sich der Verbraucher gerade für den Kauf eines Fahrzeugs von Ford Italia aufgrund der Sicherheit, die er mit dessen Herkunft verbindet, d. h. deshalb, weil es sich um ein von einem Vertragshändler angebotenes Fahrzeug handelt, der sich ihm gegenüber als eine Person ausgibt, die für die Qualität des Produkts einsteht (oder zumindest in seinen Augen diesen Eindruck erweckt). Der Käufer wendet sich an einen Lieferanten des Vertriebsnetzes Ford, das genau unter diesem Namen (Ford Italia) betrieben wird.
53. Zur Bedeutung dieser Art von Verbindungen zwischen dem Hersteller und dem Lieferanten führte der Gerichtshof im Urteil O’Byrne – wenn auch in einem anders gelagerten Kontext – Folgendes aus:
– „Ist … eines der Glieder der Vertriebskette eng mit dem Hersteller verbunden, wie etwa eine 100%ige Tochtergesellschaft des Herstellers, so ist zu prüfen, ob diese Verbindung zur Folge hat, dass die fragliche Einrichtung in Wirklichkeit in den Prozess der Herstellung des betreffenden Produkts einbezogen ist.“(25)
– „Bei der Beurteilung einer solchen engen Verbindung darf nicht darauf abgestellt werden, ob es sich um unterschiedliche juristische Personen handelt oder nicht. Dagegen ist erheblich, ob es sich um Unternehmen handelt, die unterschiedlichen Herstellungstätigkeiten nachgehen, oder aber um Unternehmen, von denen eines, die Tochtergesellschaft, nur als Vertriebshändler oder Verwahrer des von der Muttergesellschaft hergestellten Produkts auftritt. Es ist Sache der nationalen Gerichte … festzustellen, ob die Verbindungen zwischen dem Hersteller und einer anderen Einrichtung so eng sind, dass der Begriff des Herstellers … auch diese andere Einrichtung umfasst …“(26)
54. In dieser Rechtssache O’Byrne wurde erörtert, ob das „Inverkehrbringen“ des Produkts gemäß Art. 11 der Richtlinie 85/374 ab dem Zeitpunkt stattgefunden hat, ab dem die Frist (zehn Jahre) zu laufen beginnt, innerhalb der der Geschädigte seine Rechte ausüben kann.
55. Zwar wollte der Gerichtshof im Urteil O’Byrne mit seinen Erwägungen zum Verhältnis zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft klären, zu welchem Zeitpunkt das fehlerhafte Produkt in Verkehr gebracht wurde. Jedoch ist es meines Erachtens im Zusammenhang mit diesem Vorabentscheidungsersuchen von Bedeutung, dass im Urteil O’Byrne eine weite Auslegung des Begriffs des Herstellers befürwortet wird, die auch miteinander verbundene Unternehmen erfasst, die in einem Vertriebsnetz eines Produkts agieren, unabhängig davon, ob es sich bei diesen um jeweils verschiedene juristische Personen handelt oder nicht.(27)
56. Diese weite Auslegung darf jedoch nicht dazu führen, dass die Haftung für durch ein fehlerhaftes Produkt verursachte Schäden unterschiedslos jeder Person aufgebürdet wird, die am Herstellungs- und Vertriebsprozess des Produkts beteiligt ist. Eine solche undifferenzierte Ausweitung wurde vom Gerichtshof in Bezug auf das dänische Recht in den Urteilen Skov und Bilka(28) und Kommission/Dänemark zurückgewiesen(29).
57. Aus diesem Blickwinkel lässt sich im Rahmen einer – vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden – Beurteilung der Verbindungen zwischen der Ford WAG und Ford Italia ein besonders enges Verhältnis feststellen, das – zusammen mit der übereinstimmenden Verwendung eines gemeinsamen Namens (Ford) bei der Benennung der beiden Unternehmen und beim fehlerhaften Produkt selbst – im Rahmen einer Abwägung für eine Anwendung von Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 85/374 spricht.
58. Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts unter Übernahme der von ihm verwendeten Formulierung zu antworten: In diesem Rechtsstreit sollte es sich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 um einen Scheinhersteller (Ford Italia) handeln, gegen den der Geschädigte Haftungsansprüche wegen von einem fehlerhaften Produkt verursachter Schäden geltend machen kann.
D. Auswirkung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374
59. Nachdem ich in den vorstehenden Nummern die Probleme bei einer Auslegung des Begriffs des Scheinherstellers behandelt habe, werde ich mich nun den Vorbringen von Ford Italia zur Anwendung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 auf den Rechtsstreit zuwenden, aus dessen Wortlaut diese Gesellschaft einen Ausschluss ihrer Haftung ableitet.(30)
60. Vor dem Gerichtshof betont Ford Italia, das vorlegende Gericht habe nicht berücksichtigt, dass „der Verbraucher rechtzeitig über die Identität und die Anschrift des Herstellers informiert wurde und dass er dennoch nicht gegen diesen vorging“(31).
61. Ford Italia folgert aus diesem Umstand, dass es sich nicht darum gehandelt habe, „einen schuldlos desorientierten Verbraucher vor einer nicht genau zuordenbaren Verwendung von Erkennungszeichen durch Personen zu schützen, die innerhalb derselben Unternehmensgruppe tätig werden, sondern um einen Verbraucher, der es ablehnt, beim Gericht zu beantragen, dass der innergemeinschaftliche Hersteller, dessen Identität und Sitz ihm vollständig bekannt sind, vor Gericht geladen werde …“(32).
62. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 betreffe den Fall, dass „der Hersteller des Produkts nicht festgestellt werden [kann]“. In einer solchen Situation „wird jeder Lieferant als Hersteller behandelt, es sei denn, dass er dem Geschädigten innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat“.
63. Nach meiner Auffassung liegen die Voraussetzungen für eine Anwendung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 in dieser Rechtssache nicht vor: Es handelt sich nicht um einen „unbekannten Hersteller“, wenn man davon ausgeht, dass Ford Italia ein Scheinhersteller im vorgenannten Sinne war. Zudem ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof an keiner Stelle um eine Auslegung dieser Vorschrift, was deutlich macht, dass es dieser im Rechtsstreit keine Bedeutung beimisst.(33)
64. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, geht Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 von der Prämisse aus, dass der Hersteller (sei es der tatsächliche Hersteller oder der Scheinhersteller) nicht festgestellt werden kann. Der Begriff des Herstellers in Art. 3 Abs. 3 umfasst sowohl den tatsächlichen Hersteller als auch den Scheinhersteller: Lässt sich die Identität eines der beiden ermitteln, ist die Vorschrift nicht anwendbar.
65. Hilfsweise werde ich nun zur Auswirkung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 auf die Beantwortung der Vorlagefrage Stellung nehmen.
66. Der Gerichtshof hat diese Vorschrift u. a. im Urteil vom 2. Dezember 2009(34) wie folgt ausgelegt:
– „[D]iese Vorschrift [betrifft] den Fall, dass der durch das als fehlerhaft angesehene Produkt Geschädigte bei verständiger Betrachtung der konkreten Umstände den Hersteller dieses Produkts nicht feststellen konnte, bevor er seine Ansprüche gegenüber seinem Lieferanten geltend machte …“(35)
– „In einem solchen Fall ist der Lieferant nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 als ‚Hersteller‘ zu behandeln, wenn er dem Geschädigten nicht innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder seinen eigenen Lieferanten benannt hat.“(36)
– Es handelt sich dabei nicht um eine bedingungslose Informationsübermittlung, da „die Tatsache, dass der Lieferant des fraglichen Produkts bestreitet, dessen Hersteller zu sein, aber nicht den Hersteller … benannt hat, … allein nicht aus[reicht], um annehmen zu können, dass dieser Lieferant dem Geschädigten den in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 vorgesehenen Hinweis gegeben hat, und um dementsprechend ausschließen zu können, dass er gemäß dieser Vorschrift als ‚Hersteller‘ behandelt werden kann“(37).
– Zum Fristerfordernis führt der Gerichtshof aus: „[D]ie Voraussetzung, dass dieser Hinweis nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 ‚innerhalb angemessener Zeit‘ gegeben wird, [umfasst] die Verpflichtung des verklagten Lieferanten, dem Geschädigten von sich aus ohne Säumen den Hersteller … zu benennen.“(38)
67. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 sieht daher – für den Fall, dass der Hersteller nicht festgestellt werden kann – einen Haftungsausschluss des Lieferanten nur dann vor, wenn dieser dem Geschädigten innerhalb angemessener Zeit den Hersteller benennt.
68. Die Richtlinie 85/374 erläutert jedoch nicht, welche Mechanismen (prozessualer oder anderer Art) praktisch zur Bereitstellung dieser Information in die Wege geleitet werden müssen. Grundsätzlich ist daher der Lieferant von der Haftung befreit, wenn die Mitteilung der Identität des tatsächlichen Herstellers an den Geschädigten innerhalb angemessener Zeit erfolgt.
69. Dennoch steht die Richtlinie 85/374 nicht dem entgegen, dass im Fall der Informationsübermittlung in einem bereits laufenden Gerichtsverfahren(39) das nationale Recht einer der Parteien die Pflicht auferlegt, der Person, die als der tatsächliche Hersteller festgestellt wird, den Streit zu verkünden.
70. Wie ich bereits ausgeführt habe, handelt es sich dabei um einen von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 nicht berücksichtigten Gesichtspunkt, der aber von einem Mitgliedstaat geregelt werden kann, um sicherzustellen, dass sich die Feststellung des tatsächlichen Herstellers als zuverlässig erweist. Diese prozessuale Pflicht wird vom Bereich der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten erfasst und muss nicht zur Richtlinie 85/374 in Widerspruch stehen.
71. Diese prozessuale Pflicht kann ihre Grundlage in dem Ziel des Schutzes der Verbraucherinteressen finden, wobei konkret festzulegen ist, wem der Status des Herstellers zukommt. Die automatische Befreiung des Lieferanten von seiner Haftung, wenn er nur den tatsächlichen Hersteller benennt, könnte den Verbraucher in eine unsichere Lage versetzen: Das Gerichtsverfahren, in dessen Rahmen diese Benennung erfolgt, könnte abgeschlossen werden (mangels Passivlegitimation des Beklagten), so dass der Geschädigte ein neues Verfahren gegen den benannten Hersteller anstrengen müsste und Gefahr liefe, dass dieser seinerseits verneint, der Hersteller zu sein.
72. Um dem Verbraucher einen solchen doppelten Prozessweg zu ersparen(40), erscheint es sachgerecht, dass der nationale Gesetzgeber regelt, dass über den gesamten Gegenstand in ein und demselben Verfahren entschieden wird und dass er zu diesem Zweck eine Streitverkündung als statthaften Mechanismus betrachtet. Auch insoweit gilt, dass die Regelung der Art und Weise einer solchen Streitverkündung Sache des jeweiligen Mitgliedstaats ist(41).
73. Für den Fall, dass der beklagte Lieferant im Lauf des Gerichtsverfahrens den Hersteller benennt, kann im nationalen Recht wahlweise geregelt werden, dass entweder a) dem Kläger die Pflicht auferlegt wird, z. B. mittels einer Erweiterung oder Ergänzung seiner Klage, dem Hersteller den Streit zu verkünden, oder b) dem Beklagten diese Pflicht in der Weise aufgebürdet wird, dass er derjenige ist, der darauf hinzuwirken hat, dass der Hersteller zum Prozess geladen wird.
74. Logischerweise obliegt es dem vorlegenden Gericht, im Wege einer Auslegung seines innerstaatlichen Rechts zu beurteilen, für welche Lösung sich der italienische Gesetzgeber entschieden hat, ob für eine der beiden genannten Alternativen oder für eine andere Lösung. Wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, legte das Berufungsgericht Art. 4 Abs. 5 des Dekrets Nr. 224 des Präsidenten vom 24. Mai 1988 (in dem auf Art. 106 der Zivilprozessordnung Bezug genommen wird) auf andere Weise aus als die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof)(42).
75. Für den Fall, dass die nationalen Regelungen vorschreiben, dass auf eine – in einem bereits anhängigen Verfahren zulässige – Mitteilung des Lieferanten an den Geschädigten eine vorgeschriebene Streitverkündung an den tatsächlichen Hersteller folgen muss, vertrete ich die Auffassung, dass darin weder ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 noch eine Beeinträchtigung der Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz zu sehen ist:
– Die Effektivität der von der Richtlinie 85/374 gewährten Rechte wird durch diese Lösung – sie trägt ja gerade dazu bei, einen angemessenen Interessenausgleich zu sichern – nicht gemindert. Das Recht des Geschädigten und das Recht des Lieferanten werden gewährleistet, da demselben Gericht in einem einzigen Verfahren die Gesamtheit der Rechtsbeziehungen zwischen allen Beteiligten zur Entscheidung vorliegt. Auf dieser Grundlage kann es, wenn die Information den Tatsachen entspricht, den Lieferanten von seiner Haftung befreien und diese dem tatsächlichen Hersteller aufbürden (der dann prozessual an die Stelle des ursprünglich beklagten Lieferanten rücken würde).
– Zum Äquivalenzgrundsatz ist festzustellen, dass die Lösung, die nach italienischem Prozessrecht für die Haftung des Herstellers fehlerhafter Produkte vorgesehen ist, offensichtlich der Regelung anderer Fälle einer Streitverkündung im Sinne von Art. 106 der italienischen Zivilprozessordnung entspricht(43) und auf alle Streitbeteiligten in Rechtsstreitigkeiten dieser Art anwendbar ist.
76. Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine Entscheidung, nach der Ford Italia die negativen Folgen der Nichterfüllung ihrer möglichen prozessualen Pflichten zu tragen hat, wenn diese Pflichten nach innerstaatlichem Recht auferlegt werden, nicht im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 stehen würde.(44)
V. Ergebnis
77. Nach alledem schlage ich vor, der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) wie folgt zu antworten:
Art 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte
ist dahin auszulegen, dass
ein Lieferant eines Fahrzeugs als Hersteller angesehen werden kann, der sich, auch wenn er seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen nicht physisch auf der Ware angebracht hat, gegenüber den Verbrauchern als ein solcher Hersteller ausgibt, unter Berücksichtigung dessen, dass die Bezeichnung des Lieferanten – in dessen wichtigstem Namensbestandteil – mit dem Namen, dem Warenzeichen oder einem anderen Erkennungszeichen des tatsächlichen Herstellers übereinstimmt, beide derselben Unternehmensgruppe angehören und das angeblich fehlerhafte Fahrzeug den für beide charakteristischen Markennamen trägt.
1 Originalsprache: Spanisch.
2 Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. 1985, L 210, S. 29; SA 13/19, S. 8).
3 Decreto del Presidente della Repubblica 24 maggio 1988, n. 224. Attuazione della direttiva CEE n. 85/374 relativa al ravvicinamento delle disposizioni legislative, regolamentari e amministrative degli Stati membri in materia di responsabilità per danno da prodotti difettosi, ai sensi dell’Art. 15 della legge 16 aprile 1987, n. 183 (Dekret Nr. 224 des Präsidenten vom 24. Mai 1988 – Umsetzung der Richtlinie 85/374 gemäß Art. 15 des Gesetzes Nr. 183 vom 16. April 1987), (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 146 vom 23. Juni 1988). Diese Vorschriften sind enthalten im Verbrauchergesetzbuch (Decreto legislativo n. 206, Codice del consumo, a norma dell’articolo 7 della legge 29 luglio 2003, n. 229 [Gesetzesvertretendes Dekret Nr.º 206 über die Annahme des Verbrauchergesetzbuchs gemäß Art. 7 des Gesetzes Nr. 229 vom 29. Juli 2003], vom 6. September 2005 [Supplemento ordinario zur GURI Nr. 235 vom 8. Oktober 2005]): Art. 3 Abs. 1 Buchst. d und Art. 116 des Verbrauchergesetzbuchs übernahmen die in den Art. 3 und 4 des Dekrets Nr. 224 des Präsidenten enthaltene Regelung.
4 Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, stützte sich Ford Italia bei ihrer Verteidigung im Wesentlichen darauf, dass der Lieferant nicht für den Fehler haftet, wenn, wie vorliegend der Fall, der Hersteller festgestellt wurde und seine Identität dem Verbraucher mitgeteilt wird.
5 In ihrer Berufung vor dem Berufungsgericht machte Ford Italia geltend, dass es keine – dem Unternehmen vom Gericht des ersten Rechtszugs aufgebürdete – Pflicht gebe, dem Hersteller den Streit zu verkünden, sondern dass es genüge, dessen ermittelte Daten anzugeben. Ford Italia trug daneben vor, dass das Gericht des ersten Rechtszugs im Rahmen eines ultra petita entschieden habe, soweit es Ford Italia als Lieferantin verurteilt habe, da die Klägerin deren Verurteilung als Herstellerin beantragt habe.
6 Dieses Unternehmen beschränkte sich in seinen schriftlichen Erklärungen auf das Vorbringen, dass es mit endgültigem Urteil, das Rechtskraft habe, vom Kreis der möglichen haftenden Personen ausgeschlossen worden sei und dass es sich deshalb nicht zum Vorabentscheidungsersuchen geäußert habe. In der mündlichen Verhandlung nahm es jedoch auch zu den materiell-rechtlichen Fragen des Rechtsstreits Stellung.
7 Urteil vom 10. Januar 2006, Skov und Bilka (C‑402/03, EU:C:2006:6, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Folgenden: Urteil Skov und Bilka.
8 Ebd. (Rn. 23), mit Verweis auf die Urteile vom 25. April 2002, Kommission/Frankreich (C‑52/00, EU:C:2002:252, Rn. 24), und vom 25. April 2002, Kommission/Griechenland (C‑154/00, EU:C:2002:254, Rn. 20).
9 Urteile vom 24. November 2022, Cafpi und Aviva assurances (C‑691/21, EU:C:2022:926, Rn. 35), mit Verweis auf die Urteile Skov und Bilka (Rn. 32 und 33), und vom 7. Juli 2022, Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia (C‑264/21, EU:C:2022:536, Rn. 29, im Folgenden: Urteil Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia).
10 Urteil vom 9. Februar 2006, O’Byrne (C‑127/04, EU:C:2006:93, Rn. 37). Im Folgenden: Urteil O’Byrne.
11 Vorlageentscheidung, Rn. 8 und 9.
12 In Urteilen, die vor diesem Vorabentscheidungsersuchen ergingen (vom 29. Oktober 2019, n.º 27596, Sez. III, und vom 30. August 2019, n.º 21841, Sez. III), entschied die Corte suprema di cassazione (Oberster Kassationsgerichtshof), dass die „Porsche Italia S.p.A.“ und die „General Motors Italia S.r.l“, Vertriebsunternehmen von angeblich fehlerhaften Fahrzeugen (ein Porsche 911 Carrera im erstgennannten und ein Opel Tigra im zweitgenannten Fall), als Scheinhersteller für die durch die Fehler dieser Fahrzeuge verursachten Schäden hafteten.
13 Urteil Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia (Rn. 31).
14 Urteil Skov und Bilka (Rn. 45 und Tenor, erster Gedankenstrich).
15 Das Urteil wurde im Schrifttum mehrfach kommentiert. Siehe u. a., Van Gool, E., „ECJ Case Fennia v. Koninklijke Philips NV (C‑264/21): Towards a Broader Interpretation of the ‚Apparent Producer‘, ‚Quasi-Producer‘ or ‚Self-Brander‘ Subject to EU Product Liability“, Revue Européenne de Droit de la Consommation/European Journal of Consumer Law (REDC), Nr. 3, 2022, S. 287, und Verhoeven, D., „Het begrip ‚schijnproducent‘ uit de Richtlijn Productaansprakelijkheid verduidelijkt (?) door het Hof van Justitie“, Droit de la consommation/Consumentenrecht, Bd. 139, Nr. 2, 2023.
16 Urteil Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia (Rn. 9).
17 Ebd. (Rn. 34).
18 Ebd. (Rn. 35).
19 Die Übereinstimmung, auch wenn sie nur teilweiser Natur ist, betrifft gerade die am ehesten charakteristische Angabe, nämlich den Begriff Ford.
20 Auf den Eindruck wird in dem Urteil Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia (Rn. 34) Bezug genommen.
21 Urteil Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia (Rn. 34).
22 Urteil Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia (Rn. 37).
23 Schriftliche Erklärungen der Kommission, Rn. 24 und 25. Nachfolgend nuanciert die Kommission (Rn. 32 und 33 ihrer Erklärungen) ihre Ausführungen dahin gehend, dass ein möglicher Missbrauch verhindert werden soll, wenn es sich um Lieferanten handelt, die nicht am Vertriebsprozess beteiligt sind.
24 Urteil Keskinäinen Vakuutusyhtiö Fennia (Rn. 32).
25 Urteil O’Byrne (Rn. 29).
26 Ebd. (Rn. 30).
27 Schon im Explanatory memorandum zum Vorschlag der Kommission vom 9. September 1976 zur späteren Richtlinie 85/374 wurde auf diese Frage Bezug genommen. In dem Teil dieses Memorandums, in dem der Begriff des Scheinherstellers behandelt wird – es handelte sich zu diesem Zeitpunkt um Art. 2 der künftigen Richtlinie –, bekräftigte die Kommission, dass zwischen „the actual producer and the bulk buyer who represents himself to the public as the sole producer must result in liability on the part of the dealer in this case“ eine enge wirtschaftliche Verbindung bestehe. Siehe das Dokument im Bulletin of the European Communities, Supplement 11/76, Product liability, abrufbar unter http://aei.pitt.edu/4573/1/4573.pdf.
28 „[N]ach Abwägung der jeweiligen Rollen der verschiedenen in den Herstellungs‑ und Vertriebsketten tätig werdenden Wirtschaftsteilnehmer [wurde] die Entscheidung getroffen …, die Haftung für durch fehlerhafte Produkte verursachte Schäden in der durch die Richtlinie [85/374] geschaffenen rechtlichen Regelung grundsätzlich dem Hersteller und nur in einigen beschränkten Fällen dem Importeur und dem Lieferanten aufzubürden“ (Rn. 29). „[D]ie Artikel 1 und 3 der Richtlinie [beschränken] sich also nicht darauf, die Haftung des Herstellers eines fehlerhaften Produktes zu regeln, sondern bestimmen unter den an den Herstellungs‑ und Vertriebsvorgängen berufsmäßig Beteiligten denjenigen, der die durch die Richtlinie eingeführte Haftung wird übernehmen müssen“ (Rn. 30).
29 Urteil vom 5. Juli 2007 (C‑327/05, EU:C:2007:409). Der Gerichtshof stellte fest, dass die dänischen Bestimmungen, nach denen die Zwischenhändler in der Vertriebskette in gleicher Weise wie die Hersteller haften, gegen Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 85/374 verstoßen.
30 Ford Italia schlägt eine Antwort auf die Vorlagefrage vor, die sich an deren Inhalt hält, stellt aber auch Erwägungen zu der Mitteilung an, die sie als Beklagte an den Geschädigten richtete, um ihn darüber zu informieren, wer der tatsächliche Hersteller sei.
31 Schriftliche Erklärungen von Ford Italia, Nr. 13.
32 Ebd. (Nr. 14). Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass Ford Italia als „Hersteller“ verklagt wurde und dieses Unternehmen bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm im Verfahren vor dem Tribunale di Bologna (Gericht Bologna) bot, den Käufer über die Identität des „tatsächlichen Herstellers“ des Fahrzeugs informierte.
33 Das wird von der Kommission in Rn. 16 ihrer schriftlichen Erklärungen hervorgehoben, wobei sie aber unmittelbar nachfolgend (Rn. 17) hinzufügt, dass sie zu diesem Aspekt des Ausgangsverfahrens nicht Stellung nehmen werde.
34 Rechtssache Aventis Pasteur (C‑358/08, EU:C:2009:744).
35 Ebd. (Rn. 55).
36 Ebd. (Rn. 56).
37 Ebd. (Rn. 57).
38 Ebd. (Rn. 58).
39 Ich bin nicht der Auffassung, dass die Voraussetzung der Übermittlung dieser Information so verstanden werden kann, dass diese schon dann erfüllt ist, wenn in den Vertragsunterlagen des Fahrzeugverkaufs in Verbindung mit der Fahrzeugidentifikationsnummer auf die Ford WAG verwiesen wird.
40 Im Urteil Skov und Bilka (Rn. 36) warnt der Gerichtshof vor „[einer] Kette von Inanspruchnahmen …, die durch die Möglichkeit des Geschädigten, den Hersteller unter den Voraussetzungen des Artikels 3 der Richtlinie unmittelbar zu belangen, gerade vermieden werden soll (siehe Urteil [vom 25. April 2002,] Kommission/Frankreich, [C‑52/00, EU:C:2002:252,] Randnr. 40, und Randnr. 28 des vorliegenden Urteils)“.
41 Urteil O’Byrne (Rn. 34): „[D]ie Richtlinie [enthält] keine Aussage darüber …, welche verfahrensrechtlichen Regeln anzuwenden sind, wenn ein Geschädigter wegen eines fehlerhaften Produkts Klage erhebt und einen Irrtum über die Person des Herstellers begeht. Daher bestimmen sich die Voraussetzungen, unter denen im Rahmen einer solchen Klage ein Parteiwechsel zulässig ist, nach dem nationalen Verfahrensrecht.“
42 Vorlagebeschluss, Rn. 5.1. Jedenfalls erstreckt das vorlegende Gericht, wie bereits ausgeführt worden ist, seine Vorlagefrage nicht auf diese Frage, wofür meines Erachtens sachgerechte Gründe sprechen, da es sich um ein rein innerstaatliches Problem handelt.
43 Dieser Artikel regelt die Streithilfe auf Antrag einer Partei und sieht vor, dass jede Partei einem Dritten den Streit verkünden kann, wenn ein ihrer Ansicht nach gemeinsames Anliegen oder ein Sicherungsverhältnis besteht.
44 Der Umstand, dass die Ford WAG und Ford Italia zu derselben Unternehmensgruppe gehören, darf meines Erachtens nicht den Umfang des Schutzes des Geschädigten gemäß der Richtlinie 85/374 beeinträchtigen.