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Document 62022CJ0660

    Urteil des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 22. Februar 2024.
    Ente Cambiano società cooperativa per azioni gegen Agenzia delle Entrate.
    Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 63 AEUV – Freier Kapitalverkehr – Richtlinie 2008/7/EG – Genossenschaftsbanken, deren Nettovermögen einen gewissen Schwellenwert übersteigt – Nationale Regelung, wonach die Übertragung des Bankgeschäfts dieser Banken auf eine Aktiengesellschaft im Austausch gegen Anteile an dieser voraussetzt, dass die Banken einen Betrag in Höhe von 20 % dieses Nettovermögens zahlen – Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Erfordernis der Angabe der Gründe, aus denen sich die Notwendigkeit einer Antwort des Gerichtshofs ergibt – Rein innerstaatlicher Sachverhalt – Unzulässigkeit.
    Rechtssache C-660/22.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:152

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

    22. Februar 2024 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 63 AEUV – Freier Kapitalverkehr – Richtlinie 2008/7/EG – Genossenschaftsbanken, deren Nettovermögen einen gewissen Schwellenwert übersteigt – Nationale Regelung, wonach die Übertragung des Bankgeschäfts dieser Banken auf eine Aktiengesellschaft im Austausch gegen Anteile an dieser voraussetzt, dass die Banken einen Betrag in Höhe von 20 % dieses Nettovermögens zahlen – Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Erfordernis der Angabe der Gründe, aus denen sich die Notwendigkeit einer Antwort des Gerichtshofs ergibt – Rein innerstaatlicher Sachverhalt – Unzulässigkeit“

    In der Rechtssache C‑660/22

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 11. Oktober 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Oktober 2022, in dem Verfahren

    Ente Cambiano società cooperativa per azioni

    gegen

    Agenzia delle Entrate

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter) sowie des Richters P. G. Xuereb und der Richterin I. Ziemele,

    Generalanwalt: A. M. Collins,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Ente Cambiano società cooperativa per azioni, vertreten durch A. Cevese, A. Dal Ferro, M. Miccinesi und F. Pistolesi, Avvocati,

    der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Cherubini und G. M. De Socio, Avvocati dello Stato,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia, M. Mataija und P. Messina als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 AEUV sowie der Art. 101, 102, 120 und 173 AEUV.

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ente Cambiano società cooperativa per azioni und der Agenzia delle Entrate (Finanzverwaltung, Italien) wegen der Erstattung eines Betrags in Höhe von 20 % des Nettovermögens von Ente Cambiano zum 31. Dezember 2015, den sie an die Finanzverwaltung entrichtet hatte, um die Rechtsform der Genossenschaft zu behalten, während sie ihre Banktätigkeit im Austausch gegen Anteile an einer Aktiengesellschaft auf diese übertrug.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Die Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. 2008, L 46, S. 11) hat gemäß ihrem Art. 16 die Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. 1969, L 249, S. 25) zum 1. Januar 2009 aufgehoben und ersetzt.

    4

    Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2008/7 sieht vor:

    „Diese Richtlinie regelt die Erhebung indirekter Steuern auf

    a)

    Kapitalzuführungen an Kapitalgesellschaften;

    b)

    Umstrukturierungen von Kapitalgesellschaften;

    c)

    die Ausgabe bestimmter Wertpapiere und Obligationen.“

    5

    In Art. 2 („Kapitalgesellschaft“) dieser Richtlinie heißt es:

    „(1)   Kapitalgesellschaften im Sinne dieser Richtlinie sind

    a)

    jede Gesellschaft, die eine der im Anhang [I] aufgeführten Formen aufweist;

    b)

    jede Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person, deren Kapital- oder Vermögensanteile in einem der Mitgliedstaaten börsenfähig sind;

    c)

    jede Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck, deren Mitglieder berechtigt sind, ihre Anteile ohne vorherige Genehmigung an Dritte zu veräußern, und deren Mitglieder für Schulden der Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristischen Person nur bis zur Höhe ihrer Beteiligung haften.

    (2)   Für die Zwecke dieser Richtlinie werden den Kapitalgesellschaften alle anderen Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen gleichgestellt, die einen Erwerbszweck verfolgen.“

    6

    Art. 3 („Kapitalzuführungen“) der Richtlinie bestimmt:

    „Für die Zwecke dieser Richtlinie und vorbehaltlich von Artikel 4 gelten die nachstehenden Vorgänge als ‚Kapitalzuführungen‘:

    a)

    die Gründung einer Kapitalgesellschaft;

    b)

    die Umwandlung einer Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristischen Person, die keine Kapitalgesellschaft ist, in eine Kapitalgesellschaft;

    c)

    die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art;

    …“

    7

    Art. 4 („Umstrukturierungen“) Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

    „Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten die folgenden Umstrukturierungen nicht als Kapitalzuführungen:

    a)

    Einbringung des gesamten Gesellschaftsvermögens einer oder mehrerer Kapitalgesellschaften oder eines oder mehrerer ihrer Teilbetriebe in eine oder mehrere Kapitalgesellschaften, die gegründet werden oder bereits bestehen, sofern für die Einbringung zumindest teilweise das Kapital der übernehmenden Gesellschaft repräsentierende Wertpapiere gewährt werden;

    …“

    8

    Art. 5 („Keinen indirekten Steuern unterliegende Vorgänge“) Abs. 1 der Richtlinie 2008/7 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten erheben von Kapitalgesellschaften keinerlei indirekte Steuern auf

    d)

    Änderungen des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung einer Kapitalgesellschaft und insbesondere

    iii) die Änderung des Gesellschaftsgegenstands einer Kapitalgesellschaft;

    e)

    die Umstrukturierungen gemäß Artikel 4.“

    9

    Art. 6 („Abgaben und Mehrwertsteuer“) Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:

    „Unbeschadet von Artikel 5 dürfen die Mitgliedstaaten folgende Abgaben und Steuern erheben:

    a)

    pauschal oder nicht pauschal erhobene Steuern auf die Übertragung von Wertpapieren;

    b)

    Besitzwechselsteuern, einschließlich der Katastersteuern, auf die Einbringung von in ihrem Hoheitsgebiet gelegenen Liegenschaften oder ‚fonds de commerce‘ in eine Kapitalgesellschaft;

    c)

    Besitzwechselsteuern auf Einlagen jeder Art in eine Kapitalgesellschaft, sofern die Übertragung dieser Einlagen durch andere Werte als Gesellschaftsanteile abgegolten wird;

    d)

    Abgaben auf die Bestellung, Eintragung oder Löschung von Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden;

    e)

    Abgaben mit Gebührencharakter;

    f)

    die Mehrwertsteuer.“

    Italienisches Recht

    10

    Art. 2 Abs. 3-bis bis 3-quater des Decreto-legge n. 18 – Misure urgenti concernenti la riforma delle banche di credito cooperativo, la garanzia sulla cartolarizzazione delle sofferenze, il regime fiscale relativo alle procedure di crisi e la gestione collettiva del risparmio (Decreto-legge Nr. 18 – Dringlichkeitsmaßnahmen für die Reform der Genossenschaftsbanken, die Garantie für die Verbriefung notleidender Kredite, die Steuerregelung für Krisenverfahren und die gemeinsame Vermögensverwaltung) vom 14. Februar 2016 (GURI Nr. 37 vom 15. Februar 2016), durch die Legge n. 49 (Gesetz Nr. 49) vom 8. April 2016 (GURI Nr. 87 vom 14. April 2016) mit Änderungen in ein Gesetz umgewandelt (im Folgenden: Decreto-legge Nr. 18/2016), bestimmt in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung:

    „3-bis   Abweichend von Art. 150-bis Abs. 5 des [Decreto legislativo n. 385 – Testo unico delle leggi in materia bancaria e creditizia (gesetzesvertretendes Dekret Nr. 385 – Kodifizierte Fassung der Gesetze über das Bank- und Kreditwesen) vom 1. September 1993 (GURI Nr. 230 vom 30. September 1993, Supplemento ordinario Nr. 92)] findet die Übertragung nicht statt, wenn die Genossenschaftsbanken innerhalb von 60 Tagen ab Inkrafttreten des Gesetzes zur Umwandlung des vorliegenden Decreto bei der Banca d’Italia nach Art. 58 des [Decreto legislativo Nr. 385 vom 1. September 1993] einen, auch gemeinsamen, Antrag auf Übertragung ihrer jeweiligen Bankgeschäfte auf dieselbe, auch neu gegründete, Aktiengesellschaft stellen, die zur Ausübung von Bankgeschäften zugelassen ist, sofern die antragstellende Bank oder, im Fall eines gemeinsamen Antrags, mindestens eine der antragstellenden Banken zum 31. Dezember 2015 über ein Nettovermögen von mehr als 200 Mio. Euro verfügt, wie es aus dem Jahresabschluss für diesen Zeitpunkt hervorgeht, zu dem der Abschlussprüfer einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt hat.

    3-ter   Zum Zeitpunkt der Übertragung zahlt die übertragende Genossenschaftsbank einen Betrag in Höhe von 20 % ihres Nettovermögens zum 31. Dezember 2015 an den Staatshaushalt, wie es aus dem Jahresabschluss für diesen Zeitpunkt hervorgeht, zu dem der Abschlussprüfer einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt hat.

    3-quater   Nach der Übertragung ändert die übertragende Genossenschaftsbank, die die unteilbaren Rücklagen abzüglich der in Abs. 3-ter angeführten Zahlung behält, ihren Gesellschaftszweck, um die Ausübung einer Banktätigkeit auszuschließen, und verpflichtet sich, die in Art. 2514 des Codice civile vorgesehenen Gegenseitigkeitsklauseln beizubehalten sowie sicherzustellen, dass die Gesellschafter Dienstleistungen erhalten, die der Aufrechterhaltung der Beziehung zur übernehmenden Aktiengesellschaft, der Ausbildung und Information über Fragen des Sparens und der Förderung von Unterstützungsprogrammen dienen. … Bei Nichteinhaltung der in diesem Absatz sowie in den Absätzen 3-bis und 3-ter genannten Verpflichtungen wird das Vermögen der übertragenden Gesellschaft oder, je nach Fall, der Genossenschaftsbank nach Art. 17 des Gesetzes Nr. 388 vom 23. Dezember 2000 übertragen. …“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    11

    Ente Cambiano, vormals Banca di Credito Cooperativo di Cambiano società cooperativa per azioni, eine Genossenschaftsbank, die am 31. Dezember 2015 ein Nettovermögen von mehr als 200 Mio. Euro hatte, zahlte 54208740 Euro – was 20 % ihres Nettovermögens zu jenem Zeitpunkt entsprach – an den italienischen Fiskus und übte die „Way-out“-Option im Sinne von Art. 2 Abs. 3-bis des Decreto-legge Nr. 18/2016 aus.

    12

    Danach beantragte Ente Cambiano die Rückerstattung dieses Betrags, weil sie die Verpflichtung zu dessen Entrichtung für unvereinbar mit der italienischen Verfassung und dem Unionsrecht hielt. Gegen die stillschweigende Zurückweisung ihres Rückerstattungsantrags erhob Ente Cambiano Klage bei der Commissione tributaria provinciale di Firenze (Finanzgericht der Provinz Florenz, Italien). Nach Abweisung der Klage legte Ente Cambiano Berufung bei der Commissione tributaria regionale della Toskana (Finanzgericht der Region Toskana, Italien) ein, die diese Berufung mit Urteil vom 15. November 2018 zurückwies.

    13

    Ente Cambiano legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht, der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien), Kassationsbeschwerde ein und machte sowohl die Verfassungswidrigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung als auch deren Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht geltend.

    14

    Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass es die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof, Italien) mit Fragen nach der Verfassungsmäßigkeit von Art. 2 Abs. 3-ter und Abs. 3-quater des Decreto-legge Nr. 18/2016 befasst und dieses die Fragen mit dem Urteil Nr. 149/2021 vom 9. Juli 2021 für unbegründet erklärt habe.

    15

    Sodann erläutert das vorlegende Gericht, dass diese Bestimmungen sich in den Rahmen einer Reform der Genossenschaftsbanken einfügten, mit der die strukturellen Schwächen, die sich aus dem Wirtschafts- und Führungsmodell dieser Banken sowie der geringen Größe der meisten von ihnen ergäben, überwunden werden sollten, indem ihr Vermögen gestärkt werde, damit sie etwaigen Krisen standhielten. Das vom italienischen Gesetzgeber vorgesehene Hauptmodell sei der Beitritt der Genossenschaftsbanken zu einer genossenschaftlichen Bankengruppe mit einer Holdinggesellschaft in Form einer Aktiengesellschaft mit einem Aktienkapital von mindestens 1 Mrd. Euro an der Spitze, die mehrheitlich von diesen Genossenschaftsbanken gehalten werde und gegenüber diesen mit Leitungs- und Koordinierungsbefugnissen ausgestattet sei. Dieser Beitritt habe jedoch keine Auswirkungen auf das Vermögen dieser Banken. Nur die Genossenschaftsbanken mit einem über dem festgelegten Schwellenwert liegenden Nettovermögen könnten den Beitritt zu einer solchen Bankengruppe vermeiden, indem sie den Verpflichtungen aus Art. 2 Abs. 3-bis bis 3-quater des Decreto-legge Nr. 18/2016 nachkämen; andernfalls werde ihr Vermögen an Fonds auf Gegenseitigkeit zur Förderung und Weiterentwicklung des Genossenschaftsgedankens übertragen.

    16

    Weiter führt das vorlegende Gericht aus, dass die auf eine Verletzung des Unionsrechts gestützten Rechtsmittelgründe u. a. die in den Art. 101, 102, 120 und 173 AEUV verankerten Grundsätze des freien Wettbewerbs und des Schutzes des Marktes sowie den in Art. 63 AEUV verankerten und in der Richtlinie 2008/7 konkretisierten Grundsatz des freien Kapitalverkehrs beträfen.

    17

    Ente Cambiano trage vor, dass die in Rede stehende Zahlungspflicht gegen die Richtlinie 2008/7 verstoße, da diese mit Ausnahme der hier nicht einschlägigen Fälle ihres Art. 6 den Grundsatz der steuerlichen Neutralität von Kapitalzuführungen vorsehe.

    18

    Vor diesem Hintergrund möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 3-ter und Abs. 3-quater des Decreto-legge Nr. 18/2016 mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wobei es die Zweifel von Ente Cambiano in Bezug auf die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit den unionsrechtlich anerkannten Grundsätzen des freien Kapitalverkehrs, des freien Wettbewerbs und des Schutzes der Märkte teilt, eine unionsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung aber für nicht möglich hält.

    19

    Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Stehen die Art. 63 ff., 101, 102, 120 und 173 AEUV einer nationalen Regelung wie Art. 2 Abs. 3-ter und 3-quater des Decreto-legge Nr. 18/2016 entgegen, nach der die Möglichkeit für die Genossenschaftsbanken, die zum 31. Dezember 2015 über ein Nettovermögen von mehr als 200 Mio. Euro verfügen, anstelle des Beitritts zu einer Gruppe das Bankgeschäft auf eine, auch neu gegründete, Aktiengesellschaft zu übertragen, die zur Ausübung von Bankgeschäften zugelassen ist, wobei sie ihre Satzung dahin ändern, dass die Ausübung der Banktätigkeit ausgeschlossen ist, und gleichzeitig die in Art. 2514 des Codice civile vorgesehenen Gegenseitigkeitsklauseln beibehalten sowie sicherstellen, dass die Gesellschafter Dienstleistungen erhalten, die der Aufrechterhaltung der Beziehung zur übernehmenden Aktiengesellschaft, der Ausbildung und Information über Fragen des Sparens und der Förderung von Unterstützungsprogrammen dienen, von der Zahlung eines Betrags in Höhe von 20 % ihres Nettovermögens zum 31. Dezember 2015 abhängt?

    Zur Vorlagefrage

    20

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das durch Art. 267 AEUV geschaffene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    21

    Da die Vorlageentscheidung als Grundlage dieses Verfahrens dient, hat das nationale Gericht in dieser Entscheidung selbst den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsrechtsstreits darzulegen und die erforderlichen Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Vorschriften des Unionsrechts, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang zu geben, den es zwischen diesen Vorschriften und der auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwendenden nationalen Regelung herstellt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 4. Juni 2020, C. F. [Steuerprüfung], C‑430/19, EU:C:2020:429, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    22

    Insoweit ist außerdem hervorzuheben, dass die Informationen in den Vorlageentscheidungen zum einen dazu dienen, den Gerichtshof in die Lage zu versetzen, sachdienliche Antworten zu geben, und zum anderen dazu, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Ausübung des ihnen durch Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union verliehenen Rechts zur Abgabe von Erklärungen zu ermöglichen. Der Gerichtshof hat darauf zu achten, dass dieses Recht gewahrt wird; dabei ist zu berücksichtigen, dass den Beteiligten nach dieser Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen zugestellt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. September 2021, Irish Ferries, C‑570/19, EU:C:2021:664, Rn. 134 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    23

    Diese kumulativen Anforderungen an den Inhalt einer Vorlageentscheidung sind ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgeführt, von dem das vorlegende Gericht im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Zusammenarbeit Kenntnis haben sollte und den es sorgfältig zu beachten hat (Beschluss vom 3. Juli 2014, Talasca, C‑19/14, EU:C:2014:2049, Rn. 21, und Urteil vom 9. September 2021, Toplofikatsia Sofia u. a., C‑208/20 und C‑256/20, EU:C:2021:719, Rn. 20 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Auf diese Anforderungen wird auch in den Nrn. 13, 15 und 16 der Empfehlungen des Gerichtshofs der Europäischen Union an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2019, C 380, S. 1) hingewiesen.

    24

    Das vorlegende Gericht möchte im vorliegenden Fall mit seiner Frage im Wesentlichen wissen, ob die Art. 63, 101, 102, 120 und 173 AEUV einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach die Möglichkeit für Genossenschaftsbanken, die zu einem bestimmten Zeitpunkt über ein Nettovermögen von mehr als 200 Mio. Euro verfügten, ihr Bankgeschäft im Austausch gegen Anteile an einer Aktiengesellschaft auf diese zu übertragen statt einer genossenschaftlichen Bankengruppe beizutreten, von der Zahlung eines Betrags abhängt, der 20 % ihres Nettovermögens zu diesem Zeitpunkt entspricht. Zudem geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass Ente Cambiano sich im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits auf die Richtlinie 2008/7, die die Richtlinie 69/335 aufgehoben und ersetzt hat, in Verbindung mit dem vom vorlegenden Gericht angesprochenen freien Kapitalverkehr beruft.

    25

    Was die Art. 101, 102, 120 und 173 AEUV betrifft, legt das vorlegende Gericht entgegen den Anforderungen von Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs weder die Gründe dar, aus denen es um Auslegung dieser Vorschriften ersucht, noch den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt. Daher ist die Vorlagefrage unzulässig, soweit sie diese Bestimmungen des AEU-Vertrags betrifft.

    26

    In Bezug auf Art. 63 AEUV ist, wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen zu entnehmen, dass die Merkmale des Ausgangsrechtsstreits, in dem sich eine in Italien ansässige Gesellschaft und die italienische Finanzverwaltung gegenüberstehen, sämtlich nicht über die Grenzen dieses Mitgliedstaats hinausweisen.

    27

    Nach ständiger Rechtsprechung finden die Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Kapitalverkehr aber keine Anwendung auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen. In einer solchen Situation ist es Sache des vorlegenden Gerichts, dem Gerichtshof den Anforderungen von Art. 94 der Verfahrensordnung entsprechend anzugeben, inwieweit der bei ihm anhängige Rechtsstreit trotz seines rein innerstaatlichen Charakters einen Anknüpfungspunkt bezüglich der unionsrechtlichen Vorschriften über die Grundfreiheiten aufweist, der die Auslegung im Wege der Vorabentscheidung, um die ersucht wird, für die Entscheidung dieses Rechtsstreits erforderlich macht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 47 und 55 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    28

    Konkret folgt aus diesen Anforderungen, dass für die Annahme einer solchen Verbindung aus dem Vorabentscheidungsersuchen die konkreten Umstände hervorgehen müssen, d. h. nicht hypothetische, sondern sichere Indizien, die die positive Bestimmung dieser Verbindung ermöglichen, wobei das vorlegende Gericht sich nicht darauf beschränken kann, dem Gerichtshof Angaben vorzulegen, anhand deren sich eine solche Verbindung nicht ausschließen lässt oder die – abstrakt betrachtet – dafür sprechen könnten, sondern vielmehr objektive und übereinstimmende Angaben vorlegen muss, die es dem Gerichtshof ermöglichen, das Bestehen dieser Verbindung zu überprüfen (Urteil vom 2. März 2023, Bursa Română de Mărfuri, C‑394/21, EU:C:2023:146, Rn. 51 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    29

    Das vorlegende Gericht beschränkt sich in seinem Vorabentscheidungsersuchen darauf, das Vorbringen von Ente Cambiano wiederzugeben, wonach die Zahlungen der Genossenschaftsbanken, deren Nettovermögen zum 31. Dezember 2015 den Schwellenwert von 200 Mio. Euro überstieg, in Höhe von 20 % dieses Nettovermögens zu jenem Zeitpunkt die stabileren Genossenschaftsbanken benachteilige, die in der Lage seien, Investoren aus anderen Mitgliedstaaten anzuziehen. Das vorlegende Gericht macht jedoch keine konkreten Angaben, die die Feststellung eines Interesses von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten an der Inanspruchnahme des Rechts auf den freien Kapitalverkehr in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situation ermöglichen würde (vgl. entsprechend Urteil vom 20. September 2018, Fremoluc, C‑343/17, EU:C:2018:754, Rn. 30). Da dieses Ersuchen nicht die Anforderungen der in den Rn. 27 und 28 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung erfüllt, ist die Vorlagefrage auch unzulässig, soweit sie Art. 63 AEUV betrifft.

    30

    Was die im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits von Ente Cambiano angeführte Richtlinie 2008/7 angeht, erfolgt gemäß den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 2 Abs. 3-bis bis 3-quater des Decreto-legge Nr. 18/2016 die von Ente Cambiano beanstandete Zahlung an den Fiskus, die ebenso wie deren Satz und deren nicht an einen Gewinn oder ein Einkommen dieser Gesellschaft, sondern an ihr Nettovermögen in ihrem Jahresabschluss zum 31. Dezember 2015 anknüpfende Bemessungsgrundlage in diesem Decreto-legge geregelt ist, im Zusammenhang mit der Übertragung der Banktätigkeit auf eine Kapitalgesellschaft im Austausch gegen Anteile an dieser. Rechtsgrund für diese Zahlung sei damit die Vornahme dieser konkreten Übertragung und nicht die Ausübung einer Tätigkeit, während ihr zwingender Charakter sich aus der ebenfalls in dieser Bestimmung vorgesehenen Sanktion für das Unterbleiben der Zahlung ergebe.

    31

    Zwar könnte anhand dieser Merkmale die sachliche Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/7 auf den Ausgangsrechtsstreit ermittelt werden, so dass zu prüfen wäre, ob diese Zahlung als „indirekte Steuer“ im Sinne dieser Richtlinie einzustufen ist, die auf eine Umstrukturierung nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erhoben wird, auf den Art. 5 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie verweist, soweit die Einbringung der betreffenden Tätigkeit durch eine Kapitalgesellschaft erfolgte, doch kann aus diesen Angaben nicht auf die persönliche Anwendbarkeit der Richtlinie auf diesen Rechtsstreit geschlossen werden. Das vorlegende Gericht hat sich nämlich nicht mit der Frage befasst, ob Genossenschaftsbanken, zu denen die Klägerin des Ausgangsverfahrens vor ihrer Umstrukturierung und der Änderung ihrer Satzung nach der Inanspruchnahme der in Art. 2 Abs. 3-bis des Decreto-Legge Nr. 18/2016 vorgesehenen Option zählte, unter den Begriff der „Kapitalgesellschaft“ im Sinne der Richtlinie 2008/7, wie er in deren Art. 2 definiert ist, fallen.

    32

    Ebenso wenig hat das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen Angaben dazu gemacht, ob die Ausnahmen von Art. 5 dieser Richtlinie, die sich aus deren Art. 6 ergeben, hier anwendbar sein können.

    33

    Angesichts dieser Unsicherheiten in Bezug auf die Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/7 auf den Ausgangsrechtsstreit sowie des Fehlens jeglicher Klarstellungen zur etwaigen Einstufung als „indirekte Steuer“ im Sinne dieser Richtlinie ist festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen nicht die erforderlichen Angaben enthält, um von der Anwendbarkeit dieser Richtlinie auf den Rechtsstreit auszugehen, so dass der Gerichtshof nicht beurteilen kann, inwieweit eine Antwort auf die vorgelegte Frage erforderlich ist, um dem vorlegenden Gericht seine Entscheidung zu ermöglichen.

    34

    Somit ist das Vorabentscheidungsersuchen auch unzulässig, soweit es diese Richtlinie betrifft.

    35

    Es bleibt dem vorlegenden Gericht jedoch unbenommen, ein neues Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen und dem Gerichtshof dabei alle Angaben zu liefern, die ihm eine Entscheidung ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2019, Călin, C‑676/17, EU:C:2019:700, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    36

    Unter diesen Umständen ist das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig zu erklären.

    Kosten

    37

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

     

    Das von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 11. Oktober 2022 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist unzulässig.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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