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Document 62022CJ0496

    Urteil des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 5. Oktober 2023.
    EI gegen SC Brink’s Cash Solutions SRL.
    Vorabentscheidungsersuchen der Curtea de Apel Bucureşti.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen – Richtlinie 98/59/EG – Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b und Art. 6 – Verfahren zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer bei einer beabsichtigten Massenentlassung – Fehlende Benennung von Arbeitnehmervertretern – Nationale Regelung, die es dem Arbeitgeber erlaubt, die betroffenen Arbeitnehmer nicht einzeln zu informieren und zu konsultieren.
    Rechtssache C-496/22.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:741

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

    5. Oktober 2023 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen – Richtlinie 98/59/EG – Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b und Art. 6 – Verfahren zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer bei einer beabsichtigten Massenentlassung – Fehlende Benennung von Arbeitnehmervertretern – Nationale Regelung, die es dem Arbeitgeber erlaubt, die betroffenen Arbeitnehmer nicht einzeln zu informieren und zu konsultieren“

    In der Rechtssache C‑496/22

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Bucureşti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidung vom 22. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 2022, in dem Verfahren

    EI

    gegen

    SC Brink’s Cash Solutions SRL

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter) und J. Passer,

    Generalanwalt: P. Pikamäe,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Mai 2023,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    von EI, vertreten durch V. Stănilă, Avocat,

    der SC Brink’s Cash Solutions SRL, vertreten durch S. Şusnea und R. Zahanagiu, Avocaţi,

    der rumänischen Regierung, vertreten durch M. Chicu, E. Gane und O.‑C. Ichim als Bevollmächtigte,

    der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,

    der griechischen Regierung, vertreten durch V. Baroutas und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Gheorghiu, C. Hödlmayr und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b und Art. 6 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16) in der durch die Richtlinie (EU) 2015/1794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 2015 (ABl. 2015, L 263, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/59).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen EI und seinem ehemaligen Arbeitgeber, der SC Brink’s Cash Solutions SRL, über seine Entlassung.

    Rechtlicher Rahmen

    Richtlinie 98/59

    3

    Die Erwägungsgründe 2, 6 und 12 der Richtlinie 98/59 lauten:

    „(2)

    Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft ist es wichtig, den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken.

    (6)

    Die auf der Tagung des Europäischen Rates in Straßburg am 9. Dezember 1989 von den Staats- und Regierungschefs von elf Mitgliedstaaten angenommene Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer sieht unter Nummer 7 Unterabsatz 1 erster Satz und Unterabsatz 2, unter Nummer 17 Unterabsatz 1 und unter Nummer 18 dritter Gedankenstrich folgendes vor:

    ‚7.

    Die Verwirklichung des Binnenmarktes muss zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen […].

    Diese Verbesserung muss, soweit nötig, dazu führen, dass bestimmte Bereiche des Arbeitsrechts, wie die Verfahren bei Massenentlassungen oder bei Konkursen, ausgestaltet werden.

    […]

    17.

    Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung der Arbeitnehmer müssen in geeigneter Weise, unter Berücksichtigung der in den verschiedenen Mitgliedstaaten herrschenden Gepflogenheiten, weiterentwickelt werden.

    […]

    18.

    Unterrichtung, Anhörung und Mitwirkung sind rechtzeitig vor allem in folgenden Fällen vorzusehen:

    [– …]

    [– …]

    – bei Massenentlassungen;

    [– …]‘;

    (12)

    Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen.“

    4

    Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie sieht vor:

    „Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

    b)

    ‚Arbeitnehmervertreter‘ sind die Arbeitnehmervertreter nach den Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten.“

    5

    Art. 2 in Teil II („Information und Konsultation“) der Richtlinie bestimmt:

    „(1)   Beabsichtigt ein Arbeitgeber, Massenentlassungen vorzunehmen, so hat er die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen.

    (2)   Diese Konsultationen erstrecken sich zumindest auf die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, sowie auf die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen, die insbesondere Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben, zu mildern.

    (3)   Damit die Arbeitnehmervertreter konstruktive Vorschläge unterbreiten können, hat der Arbeitgeber ihnen rechtzeitig im Verlauf der Konsultationen

    a)

    die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und

    b)

    in jedem Fall schriftlich Folgendes mitzuteilen:

    i)

    die Gründe der geplanten Entlassung;

    ii)

    die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer;

    iii)

    die Zahl und die Kategorien der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer;

    iv)

    den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen;

    v)

    die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, soweit die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken dem Arbeitgeber die Zuständigkeit dafür zuerkennen;

    vi)

    die vorgesehene Methode für die Berechnung etwaiger Abfindungen, soweit sie sich nicht aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken ergeben.

    …“

    6

    Art. 3 Abs. 1 in Teil III („Massenentlassungsverfahren“) der Richtlinie sieht vor:

    „Der Arbeitgeber hat der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen.

    Die Anzeige muss alle zweckdienlichen Angaben über die beabsichtigte Massenentlassung und die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter gemäß Artikel 2 enthalten, insbesondere die Gründe der Entlassung, die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer und den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen.“

    7

    Art. 6 der Richtlinie 98/59 bestimmt:

    „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen.“

    Rumänisches Recht

    8

    Die Richtlinie 98/59 wurde durch die Legea nr. 53/2003 privind Codul muncii (Gesetz Nr. 53/2003 über das Arbeitsgesetzbuch) vom 24. Januar 2003 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 72 vom 5. Februar 2003) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren neu bekannt gemachten Fassung (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 345 vom 18. Mai 2011) (im Folgenden: Arbeitsgesetzbuch) in rumänisches Recht umgesetzt.

    9

    Art. 69 des Arbeitsgesetzbuchs sieht vor:

    „(1)   Beabsichtigt der Arbeitgeber, Massenentlassungen vorzunehmen, so ist er verpflichtet, rechtzeitig und um zu einer Einigung zu gelangen, Konsultationen mit der Gewerkschaft oder gegebenenfalls mit den Arbeitnehmervertretern unter den gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen einzuleiten, die sich zumindest auf Folgendes erstrecken:

    a)

    Methoden und Mittel, um Massenentlassungen zu vermeiden oder die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer zu beschränken;

    b)

    Milderung der Folgen der Entlassung durch soziale Maßnahmen, die insbesondere Hilfen für eine Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben.

    (2)   Damit die Gewerkschaft oder die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig Vorschläge unterbreiten können, hat der Arbeitgeber ihnen im Verlauf der Konsultationen gemäß Abs. 1 alle relevanten Informationen zu erteilen und schriftlich Folgendes anzuzeigen:

    a)

    die Gesamtzahl und die Kategorien der Arbeitnehmer;

    b)

    die Gründe der geplanten Entlassung;

    c)

    die Zahl und die Kategorien der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer;

    d)

    die Kriterien, die nach dem Gesetz und/oder den Tarifverträgen bei der Festlegung der Rangfolge der Entlassung berücksichtigt werden;

    e)

    die vorgesehenen Maßnahmen zur Begrenzung der Zahl der Entlassungen;

    f)

    die Maßnahmen, mit denen die Folgen der Entlassung gemildert werden sollen, und die Abfindungen, die entlassenen Arbeitnehmern nach dem anwendbaren Gesetz und/oder Tarifvertrag zu gewähren sind;

    g)

    der Zeitpunkt und der Zeitraum, ab bzw. in dem die Entlassungen erfolgen werden;

    h)

    die Frist, in der die Gewerkschaft oder gegebenenfalls die Arbeitnehmervertreter Vorschläge zur Vermeidung von Entlassungen oder zur Beschränkung der Zahl entlassener Arbeitnehmer machen können.

    (3)   Die in Abs. 2 Buchst. d genannten Kriterien gelten für die Auswahl der Arbeitnehmer nach der Bewertung der Erreichung von Leistungszielen.

    …“

    10

    Art. 70 des Arbeitsgesetzbuchs bestimmt:

    „Der Arbeitgeber hat der örtlichen Arbeitsaufsichtsbehörde und der örtlichen Arbeitsagentur eine Abschrift der Anzeige nach Art. 69 Abs. 2 zu dem Zeitpunkt zu übermitteln, zu dem er diese der Gewerkschaft oder gegebenenfalls den Arbeitnehmervertretern übermittelt hat.“

    11

    Art. 71 Abs. 1 des Arbeitsgesetzbuchs lautet:

    „Die Gewerkschaft oder gegebenenfalls die Arbeitnehmervertreter können dem Arbeitgeber innerhalb von zehn Kalendertagen nach Zugang der Anzeige Maßnahmen vorschlagen, um Entlassungen zu vermeiden oder die Zahl entlassener Arbeitnehmer zu beschränken.“

    12

    In Art. 221 des Arbeitsgesetzbuchs heißt es:

    „(1)   Bei Arbeitgebern, bei denen mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt sind und bei denen keine gesetzlichen repräsentativen gewerkschaftlichen Organisationen gegründet worden sind, können die Interessen der Arbeitnehmer von deren Vertretern, die eigens hierfür gewählt und beauftragt sind, gefördert und verteidigt werden.

    (2)   Die Arbeitnehmervertreter werden in einer Vollversammlung der Arbeitnehmer mit den Stimmen von mindestens der Hälfte der Gesamtzahl der Arbeitnehmer gewählt.

    (3)   Arbeitnehmervertreter dürfen keine Tätigkeiten ausüben, die nach dem Gesetz ausschließlich den Gewerkschaften obliegen.“

    13

    Art. 222 des Arbeitsgesetzbuchs sieht vor:

    „(1)   Die Arbeitnehmervertreter werden aus dem Kreis der voll geschäftsfähigen Arbeitnehmer gewählt.

    (2)   Die Zahl der gewählten Vertreter der Arbeitnehmer wird im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber nach der Zahl der von ihm beschäftigten Arbeitnehmer festgelegt.

    (3)   Die Amtszeit der Arbeitnehmervertreter darf zwei Jahre nicht überschreiten.“

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

    14

    Am 14. August 2014 schloss der Kläger des Ausgangsverfahrens mit der Beklagten des Ausgangsverfahrens einen Arbeitsvertrag als Geldtransportmitarbeiter.

    15

    Im Zusammenhang mit der durch das Coronavirus verursachten SARS-CoV‑2-Pandemie und der Verhängung des Ausnahmezustands in Rumänien im Zeitraum zwischen dem 16. März 2020 und dem 15. Mai 2020 erfuhr die Tätigkeit der Beklagten des Ausgangsverfahrens auf nationaler Ebene erhebliche Rückgänge, was sich in ihrem Gewinn niederschlug. In diesem speziellen Kontext beschloss sie, ihr Unternehmen umzustrukturieren, und leitete ein Massenentlassungsverfahren zur Streichung von 128 Stellen auf nationaler Ebene ein. Am 12., 13. und 15. Mai 2020 zeigte sie den betreffenden Behörden, nämlich der Agenția Municipală pentru Ocuparea Forței de Muncă București (Arbeitsagentur des Munizipiums Bukarest, Rumänien), der Inspecția Muncii (Arbeitsaufsichtsbehörde, Rumänien) und dem Inspectoratul Teritorial de Muncă al Municipiului București (örtliche Arbeitsaufsichtsbehörde des Munizipiums Bukarest, Rumänien) ihre Absicht an, dieses Entlassungsverfahren einzuleiten. In dieser Anzeige wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Entlassungen der betroffenen Arbeitnehmer im Zeitraum zwischen dem 19. Mai und dem 2. Juli 2020 erfolgen würden. Da das Mandat der zuvor benannten Arbeitnehmervertreter am 23. April 2020 abgelaufen war, ohne dass neue Vertreter gewählt worden waren, wurde diesen die Anzeige nicht übermittelt. Die Anzeige wurde auch nicht jedem von dem Entlassungsverfahren betroffenen Arbeitnehmer einzeln übermittelt.

    16

    Der Kläger des Ausgangsverfahrens, der zu den 128 entlassenen Arbeitnehmern gehört, erhob gegen seine Entlassung Klage, die im ersten Rechtszug abgewiesen wurde. Er legte beim vorlegenden Gericht Berufung ein und machte geltend, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens zwingend verpflichtet gewesen sei, die Arbeitnehmer einzeln zu informieren und zu konsultieren (im Folgenden: Phase der Information und Konsultation der Arbeitnehmer), auch wenn es keine Gewerkschaft oder zur Verteidigung der Interessen der Arbeitnehmer benannte Vertreter gebe. In einer speziellen Situation wie der des Ausgangsverfahrens hätte es der Beklagten des Ausgangsverfahrens oblegen, die betroffenen Arbeitnehmer über die Notwendigkeit der Benennung neuer Vertreter für das Entlassungsverfahren zu informieren.

    17

    Die Beklagte des Ausgangsverfahrens machte ihrerseits geltend, sie habe sich wegen der fehlenden Verlängerung der Mandate der Arbeitnehmervertreter in der atypischen Situation befunden, keinen Sozialpartner zu haben. Die mangelnde Koordination der Arbeitnehmer habe es nämlich unmöglich gemacht, während des Massenentlassungsverfahrens ordnungsgemäß bevollmächtigte Vertreter zu benennen. Die Information und die Konsultation der Arbeitnehmervertreter hätten somit nicht durchgeführt werden können, und sie sei, da die betreffenden nationalen Rechtsvorschriften vorsähen, dieses Verfahren mit der Gewerkschaft und/oder den Arbeitnehmervertretern und nicht mit den einzelnen Arbeitnehmern zu durchlaufen, davon befreit gewesen, die Arbeitnehmer einzeln zu informieren und zu konsultieren.

    18

    Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass weitere Arbeitnehmer die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten des Ausgangsverfahrens eingeleiteten Massenentlassungsverfahrens vor den rumänischen Gerichten in Frage gestellt hätten, die die Entlassungsentscheidungen als gesetzeskonform angesehen hätten. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 98/59 im Licht der Erwägungsgründe 2, 6 und 12 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die bei Nichtvorliegen eines verbindlichen nationalen Systems zur Benennung von Arbeitnehmervertretern die Pflicht zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ins Leere laufen ließen. Die Auslegung von Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 6 der Richtlinie 98/59 zeige, dass die Phase der Information und Konsultation der Arbeitnehmer bei einem Massenentlassungsverfahren auch ohne Arbeitnehmervertreter zwingend vorgeschrieben sei, und zwar ungeachtet dessen, dass sie keine Änderung des vom Arbeitgeber beabsichtigten Umstrukturierungsplans bewirken würde.

    19

    Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass andere nationale Berufungsgerichte, die sich mit der Auslegung und Anwendung dieser Bestimmungen der Richtlinie 98/59 zu befassen gehabt hätten, zum entgegengesetzten Ergebnis gelangt seien und sich dabei auf eine wörtliche Auslegung dieser Richtlinie berufen hätten, wonach die Arbeitnehmervertreter die einzigen Begünstigten der Pflicht zur Information und Konsultation seien. Nach Auffassung dieser Gerichte sei ein Arbeitgeber, wenn es keine Arbeitnehmervertreter gebe, somit nicht verpflichtet, die Phase der Information und der Konsultation der Arbeitnehmer zu beachten.

    20

    Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Stehen Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b und Art. 6 der Richtlinie 98/59 im Licht der Erwägungsgründe 2 und 6 dieser Richtlinie einer nationalen Regelung entgegen, die es dem Arbeitgeber erlaubt, die von einem Massenentlassungsverfahren betroffenen Arbeitnehmer nicht zu konsultieren, weil sie weder bereits benannte Vertreter haben noch gesetzlich verpflichtet sind, solche zu benennen?

    2.

    Sind Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b und Art. 6 der Richtlinie 98/59 im Licht der Erwägungsgründe 2 und 6 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass in der oben beschriebenen Situation der Arbeitgeber verpflichtet ist, alle von dem Massenentlassungsverfahren betroffenen Arbeitnehmer zu informieren und zu konsultieren?

    Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

    21

    Die Beklagte des Ausgangsverfahrens stellt die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens mit der Begründung in Abrede, dass die Fragen des vorlegenden Gerichts in Wirklichkeit die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts beträfen. Zunächst entscheide das vorlegende Gericht nämlich über das Fehlen einer gesetzlichen Pflicht zur Konsultation und Information der Arbeitgeber im nationalen Recht für den Fall, dass die Arbeitnehmer keine Vertreter benannt hätten, und zeige die in der nationalen Rechtsprechung insoweit bestehenden Abweichungen in der Auslegung auf. Sodann ziele das vorlegende Gericht auf die Feststellung ab, dass die Richtlinie 98/59 nicht ordnungsgemäß in rumänisches Recht umgesetzt worden sei. Eine solche Feststellung könne aber nicht im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens getroffen werden, sondern müsse Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage sein. Schließlich könne nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, so dass diesem gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich sei.

    22

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten ausschließlich Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Richters ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Solange diese Fragen die Auslegung des Unionsrechts betreffen, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, über sie zu befinden (Urteil vom 29. Juni 2023, International Protection Appeals Tribunal u. a. [Anschlag in Pakistan], C‑756/21, EU:C:2023:523, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    23

    Mithin spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in den rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt hat und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann das Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann ablehnen, wenn die Auslegung des Unionsrechts, um die er ersucht wird, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 29. Juni 2023, International Protection Appeals Tribunal u. a. [Anschlag in Pakistan], C‑756/21, EU:C:2023:523, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    24

    Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte nicht offensichtlich hervor, dass im Ausgangsverfahren eine dieser Fallgruppen vorliegt. Es steht nämlich fest, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens im Rahmen eines Massenentlassungsverfahrens entlassen wurde und dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen die Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 98/59, um deren Auslegung ersucht wird, in rumänisches Recht sicherstellen sollen.

    25

    Darüber hinaus ist zum einen festzustellen, dass das vorlegende Gericht die Bestimmungen des Unionsrechts, deren Auslegung es für erforderlich hält, und die Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuchs, die möglicherweise mit diesen Bestimmungen des Unionsrechts unvereinbar sein könnten, hinreichend bezeichnet. Zum anderen ermöglichen die im Vorabentscheidungsersuchen enthaltenen Angaben es, die Fragen des vorlegenden Gerichts sowie den Kontext, in dem diese vorgelegt werden, nachzuvollziehen.

    26

    Das Vorabentscheidungsersuchen steht daher im Einklang mit den in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführten, sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen.

    27

    Zu dem Vorbringen, eine Richtlinie könne nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, so dass diesem gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich sei, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof zwar wiederholt entschieden hat, dass selbst eine klare, genaue und unbedingte Bestimmung einer Richtlinie, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, als solche im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, keine Anwendung finden kann (Urteil vom 7. August 2018, Smith, C‑122/17, EU:C:2018:631, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung), und dass eine Richtlinie nicht in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeführt werden kann, um die Anwendung der Regelung eines Mitgliedstaats, die gegen die Richtlinie verstößt, auszuschließen (Urteil vom 7. August 2018, Smith, C‑122/17, EU:C:2018:631, Rn. 44), jedoch ergibt sich daraus nicht, dass ein im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privaten vorgelegtes Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung einer Richtlinie unzulässig ist.

    28

    Die Auslegung einer Richtlinie im Rahmen eines solchen Rechtsstreits kann nämlich erforderlich sein, um es einem nationalen Gericht, das sein nationales Recht anzuwenden hat, zu ermöglichen, die Auslegung dieses Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck dieser Richtlinie auszurichten, damit das von ihr festgelegte Ergebnis erreicht und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachgekommen wird (vgl. u. a. Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a., C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 113 und 114; vom 19. April 2016, DI, C‑441/14, EU:C:2016:278, Rn. 31, und vom 7. August 2018, Smith, C‑122/17, EU:C:2018:631, Rn. 39).

    29

    Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher zulässig.

    Zu den Vorlagefragen

    30

    Wie aus Rn. 18 des vorliegenden Urteils hervorgeht, beschränken sich die Fragen des vorlegenden Gerichts nicht auf die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b und Art. 6 der Richtlinie 98/59, sondern erstrecken sich auch auf die Auslegung von Art. 2 Abs. 3 dieser Richtlinie. Die beiden Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, sind daher so zu verstehen, dass mit ihnen im Wesentlichen geklärt werden soll, ob Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b, Art. 2 Abs. 3 und Art. 6 der Richtlinie 98/59 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für den Arbeitgeber keine Verpflichtung vorsieht, die von einer beabsichtigten Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer einzeln zu konsultieren, wenn diese keine Arbeitnehmervertreter benannt haben, und die die betroffenen Arbeitnehmer nicht zu einer solchen Benennung verpflichtet.

    31

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Hauptziel der Richtlinie 98/59 darin besteht, dass vor Massenentlassungen eine Konsultation der Vertreter der betroffenen Arbeitnehmer durchgeführt und die zuständige Behörde informiert wird (Urteil vom 17. März 2021, Consulmarketing, C‑652/19, EU:C:2021:208, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    32

    Der Gerichtshof hat außerdem wiederholt entschieden, dass das in der Richtlinie 98/59 vorgesehene Recht auf Information und Konsultation den Arbeitnehmervertretern zukommt und nicht dem einzelnen Arbeitnehmer (Urteil vom 16. Juli 2009, Mono Car Styling, C‑12/08, EU:C:2009:466, Rn. 38). Er hat hinzugefügt, dass Art. 2 Abs. 3 dieser Richtlinie den betroffenen Arbeitnehmern einen kollektiven und keinen individuellen Schutz gewährt (Urteil vom 13. Juli 2023, G GmbH, C‑134/22, EU:C:2023:567, Rn. 37).

    33

    Ferner ergibt sich aus Art. 3 der Richtlinie 98/59, der die Pflicht vorsieht, der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen anzuzeigen und alle zweckdienlichen Angaben hierüber und über die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter zu machen, dass nur den Arbeitnehmervertretern eine Abschrift der betreffenden Anzeige übermittelt werden muss und diese ihre etwaigen Bemerkungen an die zuständige Behörde richten können, während den einzelnen Arbeitnehmern eine solche Möglichkeit nicht eröffnet ist.

    34

    Daher ist festzustellen, dass die Bestimmungen der Richtlinie 98/59 keine Verpflichtung für den Arbeitgeber vorsehen, die von einer beabsichtigten Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer einzeln zu informieren und zu konsultieren.

    35

    Diese Feststellung wird durch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 98/59 bestätigt, mit der nämlich die Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1975, L 48, S. 29) neu gefasst wurde. Aus den Vorarbeiten zur Richtlinie 98/59 geht hervor, dass die Aufnahme einer Bestimmung vorgesehen war, wonach die Arbeitgeber in Betrieben ohne Arbeitnehmervertreter mit in der Regel weniger als 50 Arbeitnehmern verpflichtet wären, den von der beabsichtigten Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmern rechtzeitig die gleichen Informationen wie die den Arbeitnehmervertretern zu übermittelnden bereitzustellen. Diese Bestimmung wurde jedoch nicht angenommen.

    36

    Die Feststellung steht im Einklang mit dem in Art. 2 der Richtlinie 98/59 genannten Ziel, Arbeitgeber, die beabsichtigen, Massenentlassungen vorzunehmen, zu verpflichten, Konsultationen mit den Arbeitnehmervertretern durchzuführen, die sich auf die Möglichkeit erstrecken, Massenentlassungen zu vermeiden, ihren Umfang zu beschränken oder ihre Folgen zu mildern. Jeden betroffenen Arbeitnehmer einzeln zu informieren oder zu konsultieren ist nämlich offensichtlich nicht dazu geeignet, die Erreichung dieses Ziels sicherzustellen, da zum einen die Interessen der einzelnen Arbeitnehmer möglicherweise nicht mit den Interessen aller Arbeitnehmer übereinstimmen und zum anderen einzelne Arbeitnehmer nicht berechtigt sind, im Namen aller Arbeitnehmer tätig zu werden. Daher kann entgegen dem Vorbringen der griechischen Regierung in der mündlichen Verhandlung das Informieren jedes einzelnen Arbeitnehmers nicht als eine in der Richtlinie 98/59 vorgesehene Mindestverpflichtung angesehen werden.

    37

    Da die Bestimmungen der Richtlinie 98/59 keine Verpflichtung für den Arbeitgeber vorsehen, die von einer beabsichtigten Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer einzeln zu informieren und zu konsultieren, sind diese Bestimmungen dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, die den Arbeitgeber nicht verpflichten, jeden von einer solchen Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer einzeln zu informieren und zu konsultieren, wenn es keine Arbeitnehmervertreter gibt.

    38

    Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass nationale Rechtsvorschriften, durch die der den Arbeitnehmern von einer Richtlinie uneingeschränkt gewährte Schutz verhindert werden kann, gegen das Unionsrecht verstoßen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 1994, Kommission/Vereinigtes Königreich,C‑383/92, EU:C:1994:234, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    39

    Zur Richtlinie 75/129, die durch die Richtlinie 98/59 ersetzt wurde, in deren Art. 1, 2 und 3 im Wesentlichen die Art. 1, 2 und 3 der Richtlinie 75/129 übernommen wurden, hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinie 75/129 zwar keine Bestimmung enthält, die den Fall ausdrücklich regelt, in dem es aufgrund des nationalen Rechts in einem Unternehmen, das Massenentlassungen beabsichtigt, keine Arbeitnehmervertreter gibt, die Bestimmungen der Richtlinie die Mitgliedstaaten aber gleichwohl verpflichten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Arbeitnehmer im Falle von Massenentlassungen über ihre Vertreter informiert und konsultiert werden und dazu Stellung nehmen können (Urteil vom 8. Juni 1994, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑383/92, EU:C:1994:234, Rn. 23).

    40

    Die Begrenztheit der teilweisen Harmonisierung, die die Richtlinie 75/129 in Bezug auf die Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen insbesondere durch den Verweis in Art. 1 Abs. 1 Buchst. b auf die Arbeitnehmervertreter „nach den Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten“ vornimmt, kann den Bestimmungen dieser Richtlinie nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen und befreit die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung, die Maßnahmen zu treffen, die für die Benennung von Arbeitnehmervertretern im Hinblick auf die Erfüllung der Verpflichtungen aus den Art. 2 und 3 der Richtlinie zweckmäßig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 1994, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑383/92, EU:C:1994:234, Rn. 25).

    41

    Nationale Rechtsvorschriften, die es einem Arbeitgeber ermöglichen, den Schutz der den Arbeitnehmern durch die Richtlinie 98/59 garantierten Rechte zu umgehen oder zu vereiteln, insbesondere indem er sich der Einrichtung oder der Anerkennung einer Vertretung der Arbeitnehmer in seinem Unternehmen widersetzt, genügen diesen Anforderungen offensichtlich nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 1994, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑383/92, EU:C:1994:234, Rn. 26 und 27).

    42

    Im vorliegenden Fall ergibt sich zum einen aus den in der dem Gerichtshof vorliegenden Akte enthaltenen Informationen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften, insbesondere das Arbeitsgesetzbuch, den Arbeitnehmern das Recht einräumen, Vertreter zu benennen, und dass sich ein Arbeitgeber nach diesen Rechtsvorschriften, anders als in der Rechtssache, in der das Urteil vom 8. Juni 1994, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑383/92, EU:C:1994:234), ergangen ist, einer Vertretung der Arbeitnehmer nicht widersetzen kann.

    43

    Zum anderen sehen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften, wie aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, keine Verpflichtung für die Arbeitnehmer vor, Vertreter zu benennen. Aber auch wenn die Richtlinie 98/59, die nicht darauf abzielt, die Modalitäten und Verfahren für die Benennung einer Vertretung der Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten zu harmonisieren, den Arbeitnehmern keine solche Verpflichtung auferlegt, haben die Mitgliedstaaten die praktische Wirksamkeit der Bestimmungen dieser Richtlinie sicherzustellen. Somit sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Maßnahmen zu treffen, die für die Benennung von Arbeitnehmervertretern zweckmäßig sind, und sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer nicht in eine Situation geraten, in der sie aus Gründen, die sich ihrem Einfluss entziehen, daran gehindert sind, diese Vertreter zu benennen.

    44

    Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, das allein für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, zu beurteilen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen insoweit ausreichend sind. Im vorliegenden Fall wird es insbesondere zu prüfen haben, ob die Bestimmungen des rumänischen Rechts, die die Benennung von Arbeitnehmervertretern regeln und deren Mandat auf zwei Jahre begrenzen, im Fall einer von den Arbeitnehmern nicht zu vertretenden praktischen Unmöglichkeit, neue Vertreter zu benennen, dahin ausgelegt werden können, dass sie die volle Wirksamkeit der Art. 2 und 3 der Richtlinie 98/59 gewährleisten.

    45

    Hierzu ist zum einen hinzuzufügen, dass Art. 6 der Richtlinie 98/59, wonach die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen haben, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen, im vorliegenden Fall, anders als das vorlegende Gericht offenbar nahelegt, nicht einschlägig ist. Art. 6 schreibt den Mitgliedstaaten nämlich im Fall eines Verstoßes gegen die in der Richtlinie festgelegten Verpflichtungen keine bestimmte Maßnahme vor, sondern lässt ihnen die Freiheit, unter den verschiedenen Lösungen, die zur Verwirklichung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels geeignet sind, nach Maßgabe der unterschiedlichen denkbaren Sachverhalte zu wählen, wobei diese Maßnahmen jedoch einen effektiven und wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleisten und eine tatsächliche abschreckende Wirkung haben müssen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 4. Juni 2020, Balga,C‑32/20, EU:C:2020:441, Rn. 33, und Urteil vom 17. März 2021, Consulmarketing, C‑652/19, EU:C:2021:208, Rn. 43).

    46

    Zum anderen wird das vorlegende Gericht, sollte es zu dem Schluss gelangen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften nicht so ausgelegt werden können, dass sie mit der Richtlinie 98/59 im Einklang stehen, und in Anbetracht dessen, dass sich im Ausgangsrechtsstreit ausschließlich Private gegenüberstehen, gegebenenfalls die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen haben, nach der die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigte Partei von dem betreffenden Mitgliedstaat den entstandenen Schaden ersetzt verlangen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. August 2018, Smith, C‑122/17, EU:C:2018:631, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    47

    Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b, Art. 2 Abs. 3 und Art. 6 der Richtlinie 98/59 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung, die für den Arbeitgeber keine Verpflichtung vorsieht, die von einer beabsichtigten Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer einzeln zu konsultieren, wenn diese keine Arbeitnehmervertreter benannt haben, und die die betroffenen Arbeitnehmer nicht zu einer solchen Benennung verpflichtet, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung es ermöglicht, unter Umständen, die sich dem Einfluss der Arbeitnehmer entziehen, die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen der Richtlinie zu gewährleisten.

    Kosten

    48

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b, Art. 2 Abs. 3 und Art. 6 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen in der durch die Richtlinie (EU) 2015/1794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 2015 geänderten Fassung

     

    sind dahin auszulegen, dass

     

    sie einer nationalen Regelung, die für den Arbeitgeber keine Verpflichtung vorsieht, die von einer beabsichtigten Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer einzeln zu konsultieren, wenn diese keine Arbeitnehmervertreter benannt haben, und die die betroffenen Arbeitnehmer nicht zu einer solchen Benennung verpflichtet, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung es ermöglicht, unter Umständen, die sich dem Einfluss der Arbeitnehmer entziehen, die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen der Richtlinie 98/59 in geänderter Fassung zu gewährleisten.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Rumänisch.

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