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Document 62022CJ0431

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 21. Dezember 2023.
Scuola europea di Varese gegen PD, in Ausübung der elterlichen Verantwortung für NG und LC, in Ausübung der elterlichen Verantwortung für NG.
Vorabentscheidungsersuchen der Corte suprema di cassazione.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen – Art. 27 Abs. 2 – Allgemeine Schulordnung der Europäischen Schulen – Art. 62, 66 und 67 – Anfechtung der Entscheidung einer Klassenkonferenz, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse der Sekundarstufe zu versetzen – Keine Zuständigkeit der nationalen Gerichte – Ausschließliche Zuständigkeit der Beschwerdekammer der Europäischen Schulen – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz.
Rechtssache C-431/22.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:1021

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

21. Dezember 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen – Art. 27 Abs. 2 – Allgemeine Schulordnung der Europäischen Schulen – Art. 62, 66 und 67 – Anfechtung der Entscheidung einer Klassenkonferenz, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse der Sekundarstufe zu versetzen – Keine Zuständigkeit der nationalen Gerichte – Ausschließliche Zuständigkeit der Beschwerdekammer der Europäischen Schulen – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz“

In der Rechtssache C‑431/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) mit Entscheidung vom 6. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juni 2022, in dem Verfahren

Scuola europea di Varese

gegen

PD in Ausübung der elterlichen Verantwortung für NG,

LC in Ausübung der elterlichen Verantwortung für NG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Scuola europea di Varese, vertreten durch A. De Peri Lozito, R. Invernizzi und M. Luciani, Avvocati,

von PD und LC, vertreten durch M. L. De Margheriti und R. Massaro, Avvocati,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Bruti Liberati, I. Melo Sampaio, A. Spina und L. Vernier als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Juli 2023

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 27 Abs. 2 der am 21. Juni 1994 in Luxemburg zwischen den Mitgliedstaaten und den Europäischen Gemeinschaften geschlossenen Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen (ABl. 1994, L 212, S. 3, im Folgenden: Vereinbarung über die Satzung).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Scuola europea di Varese (Europäische Schule Varese, Italien) auf der einen Seite und PD und LC als Personen in Ausübung ihrer elterlichen Verantwortung für ihren minderjährigen Sohn NG auf der anderen Seite über die Zuständigkeit der italienischen Gerichte für eine Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Klassenkonferenz, NG, der damals die fünfte Klasse der Sekundarstufe dieser Schule besuchte, nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen.

Rechtlicher Rahmen

Wiener Übereinkommen

3

Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331, im Folgenden: Wiener Übereinkommen) findet nach Art. 1 („Geltungsbereich dieses Übereinkommens“) „auf Verträge zwischen Staaten Anwendung“.

4

Art. 3 („Nicht in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallende internationale Übereinkünfte“) des Wiener Übereinkommens bestimmt:

„Der Umstand, dass dieses Übereinkommen weder auf die zwischen Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten oder zwischen solchen anderen Völkerrechtssubjekten geschlossenen internationalen Übereinkünfte noch auf nicht schriftliche internationale Übereinkünfte Anwendung findet, berührt nicht

b)

die Anwendung einer der in diesem Übereinkommen niedergelegten Regeln auf sie, denen sie auch unabhängig von diesem Übereinkommen auf Grund des Völkerrechts unterworfen wären;

…“

5

Art. 31 („Allgemeine Auslegungsregel“) des Wiener Übereinkommens sieht vor:

„(1)   Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen.

(3)   Außer dem Zusammenhang sind in gleicher Weise zu berücksichtigen

a)

jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen;

b)

jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht;

c)

jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz.

…“

Vereinbarung über die Satzung

6

Die Einrichtung der Europäische Schulen beruhte ursprünglich auf zwei Instrumenten, nämlich zum einen der am 12. April 1957 in Luxemburg unterzeichneten Satzung der Europäischen Schule (United Nations Treaty Series, Bd. 443, S. 129) und zum anderen dem am 13. April 1962 in Luxemburg unterzeichneten Protokoll über die Gründung Europäischer Schulen unter Bezugnahme auf die Satzung der Europäischen Schule (United Nations Treaty Series, Bd. 752, S. 267). Diese Instrumente wurden durch die am 1. Oktober 2002 in Kraft getretene Vereinbarung über die Satzung ersetzt.

7

Die Erwägungsgründe 3 und 4 des Beschlusses 94/557/EG, Euratom des Rates vom 17. Juni 1994 betreffend die Ermächtigung der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft zur Unterzeichnung und zum Abschluss der Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen (ABl. 1994, L 212, S. 1) sowie die Erwägungsgründe 3 und 4 der Entscheidung 94/558/EGKS der Kommission vom 17. Juni 1994 betreffend den Abschluss der Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen (ABl. 1994, L 212, S. 15) lauten:

„Die Beteiligung der Gemeinschaften an der Durchführung der [Vereinbarung über die Satzung] ist unerlässlich, damit die Ziele [der Gemeinschaften] erreicht werden.

[Die Gemeinschaften] werden sich an der Durchführung der [Vereinbarung über die Satzung] beteiligen, indem sie die Befugnisse wahrnehmen, die ihnen durch die Vereinbarung und durch künftige nach Maßgabe der Vereinbarung erlassene Rechtsakte übertragen werden.“

8

In den Erwägungsgründen 1 bis 4 der Vereinbarung über die Satzung heißt es:

„Für den gemeinsamen Unterricht der Kinder der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften wurden zur Sicherung des ordnungsgemäßen Funktionierens der europäischen Organe bereits 1957 Lehranstalten mit der Bezeichnung ‚Europäische Schule‘ eingerichtet.

Die Europäischen Gemeinschaften sind bestrebt, den gemeinsamen Unterricht dieser Kinder sicherzustellen, und leisten zu diesem Zweck einen Beitrag zum Haushalt der Europäischen Schulen.

Die Europäischen Schulen bilden ein Schulsystem besonderer Art. Bei diesem System wird eine Form der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und den Europäischen Gemeinschaften verwirklicht; gleichzeitig bleibt die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie die Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen in vollem Umfang erhalten.

Es empfiehlt sich,

die 1957 verabschiedete Satzung der Europäischen Schule zur Berücksichtigung sämtlicher von den Vertragsparteien verabschiedeten diesbezüglichen Texte zu konsolidieren;

sie unter Berücksichtigung der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften anzupassen;

das Beschlussfassungsverfahren in den Organen der Schulen zu ändern;

die im Betrieb der Schulen gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen;

einen angemessenen Rechtsschutz des Lehrpersonals und der sonstigen unter diese Satzung fallenden Personen gegenüber Entscheidungen des Obersten Rates oder der Verwaltungsräte zu gewährleisten und zu diesem Zweck eine Beschwerdekammer mit genau festgelegten Befugnissen einzurichten;

festzulegen, dass die Entscheidungen der Beschwerdekammer die Zuständigkeit der nationalen Gerichte in Zivil- und Strafsachen nicht berühren.“

9

Art. 1 Abs. 2 der Vereinbarung über die Satzung bestimmt:

„Ziel der Schulen ist es, die Kinder der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften gemeinsam zu unterrichten. …“

10

Art. 6 der Vereinbarung über die Satzung sieht vor:

„Jede Schule besitzt Rechtspersönlichkeit, soweit dies für die Erfüllung ihres Ziels im Sinne von Art. 1 erforderlich ist. … Sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden. …

Hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten gilt die Schule in den Mitgliedstaaten vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen dieser Vereinbarung als öffentlich-rechtliche Bildungseinrichtung.“

11

Art. 7 der Vereinbarung über die Satzung lautet:

„Alle Schulen haben folgende gemeinsame Organe:

1.

den Obersten Rat,

2.

den Generalsekretär,

3.

die Inspektionsausschüsse,

4.

die Beschwerdekammer.

Jede Schule wird vom Verwaltungsrat verwaltet und vom Direktor geleitet.“

12

Nach Art. 8 Abs. 1 der Vereinbarung über die Satzung

„… setzt sich der Oberste Rat aus folgenden Mitgliedern zusammen:

a)

dem bzw. den Vertreter(n) der einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf Ministerebene, der bzw. die befugt ist (sind), für den jeweiligen Mitgliedstaat verbindlich zu handeln, wobei jeder Mitgliedstaat nur eine Stimme hat;

b)

einem Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaften;

c)

einem vom Personalausschuss … benannten Vertreter (aus dem Lehrkörper);

d)

einem von den Elternvereinigungen … benannten Vertreter der Elternschaft“.

13

Art. 9 Abs. 1 der Vereinbarung über die Satzung sieht vor:

„Außer in den Fällen, in denen diese Vereinbarung Einstimmigkeit vorschreibt, werden die Beschlüsse des Obersten Rates … mit Zweidrittelmehrheit seiner Mitglieder gefasst.“

14

Art. 10 der Vereinbarung über die Satzung bestimmt:

„Der Oberste Rat sorgt für die Durchführung dieser Vereinbarung; er verfügt über die zu diesem Zweck erforderlichen Entscheidungsbefugnisse in pädagogischen Fragen und in Haushalts- und Verwaltungsangelegenheiten …

Er legt die allgemeine Schulordnung fest.

…“

15

In Art. 11 der Vereinbarung über die Satzung heißt es:

„Hinsichtlich der pädagogischen Fragen legt der Oberste Rat Richtlinien für den Unterricht und dessen Ausgestaltung fest. Im Einzelnen verfährt er nach Stellungnahme des zuständigen Inspektionsausschusses wie folgt:

3.

… Er legt die Regeln für die Versetzung der Schüler in die nächsthöhere Klasse bzw. für den Übergang in die Sekundarstufe fest …

4.

Er richtet Abschlussprüfungen für die an der Schule geleistete Arbeit ein; er erlässt die Prüfungsordnung, setzt die Prüfungsausschüsse ein und stellt die Abschlusszeugnisse aus. [Er setzt] [d]as Niveau der Prüfungsarbeiten … [fest].“

16

Art. 12 der Vereinbarung über die Satzung sieht vor:

„Hinsichtlich der Verwaltung hat der Oberste Rat folgende Aufgaben:

2. Er ernennt den Generalsekretär …

…“

17

Art. 14 der Vereinbarung über die Satzung bestimmt:

„Der Generalsekretär vertritt den Obersten Rat … Er vertritt die Schulen gerichtlich. Er ist dem Obersten Rat gegenüber verantwortlich.“

18

Art. 26 der Vereinbarung über die Satzung bestimmt:

„Für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung und Anwendung dieser Vereinbarung, die im Obersten Rat nicht beigelegt werden konnten, ist ausschließlich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zuständig.“

19

Art. 27 der Vereinbarung über die Satzung bestimmt:

„(1)   Es wird eine Beschwerdekammer eingesetzt.

(2)   Bei Streitigkeiten, die die Anwendung dieser Vereinbarung auf die darin genannten Personen – mit Ausnahme des Verwaltungs- und Dienstpersonals – betreffen und sich auf die Rechtmäßigkeit einer vom Obersten Rat oder vom Verwaltungsrat einer Schule in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß dieser Vereinbarung gegenüber jenen Personen getroffenen und sie beschwerenden Entscheidung beziehen, die auf dieser Vereinbarung oder den in ihrem Rahmen erlassenen Vorschriften beruht, besitzt die Beschwerdekammer, nach Ausschöpfung des Verwaltungsweges, erst- und letztinstanzlich ausschließliche Zuständigkeit. Handelt es sich um finanzielle Streitigkeiten, so hat die Beschwerdekammer Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung.

Die Voraussetzungen für ein Verfahren der Beschwerdekammer und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen sind in den Beschäftigungsbedingungen für das Lehrpersonal bzw. der Regelung für die Lehrbeauftragten oder der allgemeinen Schulordnung festgelegt.

(3)   Der Beschwerdekammer gehören Personen an, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und als fähige Juristen gelten.

Zu Mitgliedern der Beschwerdekammer können nur Personen ernannt werden, die in einer vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften dafür erstellten Liste aufgeführt sind.

(4)   Der Oberste Rat legt die Satzung der Beschwerdekammer einstimmig fest.

In der Satzung der Beschwerdekammer werden die Zahl ihrer Mitglieder, das Verfahren zur Ernennung der Mitglieder durch den Obersten Rat, die Amtsdauer der Mitglieder und die für diese geltende Besoldungsregelung festgelegt. Die Satzung regelt die Arbeitsweise der Beschwerdekammer.

(5)   Die Beschwerdekammer gibt sich eine Verfahrensordnung, die alle zur Anwendung ihrer Satzung erforderlichen Bestimmungen enthält.

Die Verfahrensordnung bedarf der einstimmigen Annahme durch den Obersten Rat.

(6)   Die Urteile der Beschwerdekammer sind für die Parteien verbindlich und, falls diese einem Urteil nicht nachkommen, von den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu vollstrecken.

(7)   Andere Streitigkeiten, bei denen die Schulen Partei sind, unterliegen der Zuständigkeit der nationalen Gerichte. Insbesondere berührt dieser Artikel nicht die Zuständigkeit der nationalen Gerichte in Zivil- und Strafsachen.“

20

Art. 31 Abs. 4 der Vereinbarung über die Satzung lautet:

„Jede Vertragspartei kann eine Änderung dieser Vereinbarung beantragen. Sie übermittelt ihren Antrag der luxemburgischen Regierung; diese leitet gemeinsam mit der Vertragspartei, die den Vorsitz im Rat der Europäischen Gemeinschaften wahrnimmt, die erforderlichen Maßnahmen zur Einberufung einer Regierungskonferenz ein.“

Allgemeine Schulordnung der Europäischen Schulen

21

Art. 61 A Abs. 1 der Allgemeinen Schulordnung der Europäischen Schulen in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung Nr. 2014-03-D-14-de-11 (im Folgenden: Schulordnung von 2014) sieht vor, dass in der Sekundarstufe die Entscheidung über die Versetzung in die nächsthöhere Klasse am Ende des Schuljahres von der zuständigen Klassenkonferenz getroffen wird.

22

In Art. 62 („Beschwerde gegen den Wiederholungsbeschluss“) der Schulordnung von 2014 heißt es:

„(1)   Gegen die Entscheidungen der Klassenkonferenz kann von Seiten der gesetzlichen Vertreter des Schülers keine Beschwerde eingelegt werden, außer wenn Formfehler oder neue Fakten vorliegen, die vom Generalsekretär aufgrund der ihm von der Schule und von den gesetzlichen Vertretern des Schülers vorgelegten Unterlagen und [Berichte] als solche anerkannt werden.

Unter Formfehler ist jedweder Verstoß gegen eine rechtliche Bestimmung über das zu befolgende Verfahren beim Übergang in die nächsthöhere Klasse zu verstehen, sodass in Ermangelung dieses Verstoßes der Beschluss der Klassenkonferenz anders ausgefallen wäre.

Fehlende Hilfe zur Integration des Schülers in das pädagogische Unterstützungsmaßnahmen-Programm bildet keinen Formfehler, es sei denn, es wird der Beweis erbracht, dass der Schüler oder seine gesetzlichen Vertreter diese Hilfe beantragt haben und diese willkürlich von der Schule abgelehnt wurde.

Die Modalitäten zur praktischen Organisation der Prüfungen obliegen den Schulen und können nicht als Formfehler betrachtet werden.

Unter neues Faktum ist jedwedes Element zu verstehen, das der Klassenkonferenz nicht zur Kenntnis gebracht wurde, weil es allen Akteuren – Lehrkräften, Eltern und Schülern – zum Zeitpunkt der Beratungen nicht bekannt war[,] und das möglicherweise die Richtung des Beschlusses hätte beeinflussen können. Ein zwar den Eltern bekannter, der Klassenkonferenz jedoch nicht mitgeteilter Fakt, kann nicht als neues Element im Sinne dieser Bestimmung betrachtet werden.

Die Beurteilung der Fähigkeiten des Schülers, die Erteilung einer Note für einen Aufsatz oder eine Arbeit im Laufe des Schuljahres sowie die Beurteilung der besonderen Umstände aus Artikel 61. B-5 obliegen der ausschließlichen Ermessensbefugnis der Klassenkonferenz. Sie können nicht Gegenstand einer Beschwerde sein.

(2)   Die Beschwerde ist innerhalb einer Frist von 7 Kalendertagen nach Schuljahresende beim Generalsekretär einzureichen. …

Der Generalsekretär (oder der stellv. Generalsekretär im Falle seiner Beauftragung) entscheidet vor dem 31. August über die Beschwerde. Die Artikel 66 und 67 der vorliegenden Ordnung sind anwendbar. Wird die Beschwerde als zulässig und begründet betrachtet, entscheidet die Klassenkonferenz noch einmal über den Fall.

Der neue Beschluss kann ebenfalls Gegenstand eines Widerspruchs beim Generalsekretär sein …“

23

Art. 66 („Beschwerde“) der Schulordnung von 2014 bestimmt:

„(1)   Gegen die [in Artikel 62] genannten Beschlüsse kann unter den in [diesem Artikel] genannten Bedingungen Beschwerde eingelegt werden. …

(5)   Der Bescheid des Generalsekretärs bezüglich einer Beschwerde wird dem/den Beschwerdeführer/n … zugestellt …“

24

Art. 67 („Klage vor der Beschwerdekammer“) der Schulordnung von 2014 sieht vor:

„(1)   Die auf dem Verwaltungswege implizit oder explizit getroffenen Beschlüsse über Beschwerden wie im vorangehenden Artikel definiert, können gemäß Artikel 27 der [Vereinbarung über die Satzung] Gegenstand einer Klage der direkt von dem Beschluss betroffenen gesetzlichen Vertreter eines Schülers vor der Beschwerdekammer sein.

(4)   Jede Klage muss innerhalb von zwei Wochen nach der Benachrichtigung oder der Bekanntmachung des angefochtenen Beschlusses … eingereicht werden, andernfalls ist sie unzulässig.

(5)   Die in diesem Artikel definierten Klagen werden nach den in der Verfahrensordnung der Beschwerdekammer vorgesehenen Regeln verhandelt und entschieden.

(6)   Die Beschwerdekammer entscheidet innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Empfang der Klage, unbeschadet der Anwendung der Artikel 16, 34 und 35 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammer der europäischen Schulen, die die Möglichkeit vorsehen, ein Eilverfahren einzuleiten.“

25

Die Möglichkeit, die Beschwerdekammer mit einer Klage gegen die Entscheidung des Generalsekretärs über eine Beschwerde gegen einen Wiederholungsbeschluss der Klassenkonferenz zu befassen, wurde durch die am 2. Februar 2005 in Kraft getretene Fassung Nr. 2004-D-6010-de-5 der Allgemeinen Schulordnung der Europäischen Schulen (im Folgenden: Schulordnung von 2005) eingeführt. Zuvor sah die Allgemeine Schulordnung der Europäischen Schulen eine solche Klage vor der Beschwerdekammer nicht vor, so dass für die gesetzlichen Vertreter des Schülers lediglich die Möglichkeit bestand, eine Beschwerde einzulegen.

Italienisches Recht

26

Art. 41 des Codice di procedura civile (im Folgenden: italienische Zivilprozessordnung) bestimmt:

„Solange der Rechtsstreit in erster Instanz in der Hauptsache nicht entschieden ist, kann jede Partei den Vereinigten Senat der [Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien)] ersuchen, die Zuständigkeitsfragen zu klären …“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

27

Am 25. Juni 2020 wurde PD und LC, deren Sohn NG damals die fünfte Klasse der Sekundarstufe der Europäischen Schule Varese besuchte, eine Entscheidung der zuständigen Klassenkonferenz zugestellt, NG nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen.

28

Am 20. Juli 2020 erhoben PD und LC beim Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Regionales Verwaltungsgericht Lombardei, Italien) Klage auf Aufhebung dieser Entscheidung.

29

Das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Regionales Verwaltungsgericht Lombardei) erklärte sich mit Beschluss vom 9. September 2020 für die Entscheidung über die Klage für zuständig, gab dem bei ihm eingereichten Antrag auf einstweilige Maßnahmen zum Zweck der bedingten Zulassung von NG zum Besuch der nächsthöheren Klasse statt und vertagte die Prüfung in der Hauptsache auf eine mündliche Verhandlung am 19. Oktober 2021.

30

Um feststellen zu lassen, dass die italienischen Gerichte für die Entscheidung der oben genannten Streitigkeit unzuständig seien, ersuchte die Europäische Schule Varese am 13. Oktober 2021 den Vereinigten Senat der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) nach Art. 41 der italienischen Zivilprozessordnung, vorab die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit zu klären. Der Europäischen Schule Varese zufolge fällt ein solche Streitigkeit nach Art. 27 der Vereinbarung über die Satzung in Verbindung mit Art. 67 Abs. 1 der Schulordnung von 2014 in die ausschließliche Zuständigkeit der Beschwerdekammer.

31

PD und LC sowie der Vertreter des öffentlichen Interesses sind dagegen der Auffassung, dass für die Entscheidung der Streitigkeit die italienischen Gerichte zuständig seien, insbesondere weil nach Art. 27 Abs. 2 der Vereinbarung über die Satzung die ausschließliche Zuständigkeit der Beschwerdekammer auf beschwerende Entscheidungen des Obersten Rates oder des Verwaltungsrats der Schule beschränkt sei. Eine Ausweitung der Zuständigkeit der Beschwerdekammer auf die Entscheidung einer Klassenkonferenz stelle daher eine Änderung der Vereinbarung über die Satzung dar, die nur im Einklang mit dem Verfahren nach Art. 31 Abs. 4 der Vereinbarung vorgenommen werden könne.

32

PD und LC sind ferner der Ansicht, dass Art. 62 Abs. 1, Art. 66 Abs. 1 und Art. 67 Abs. 1 der Schulordnung von 2014 den gesetzlichen Vertretern eines Schülers bloß die Möglichkeit einräumten, gegen die Entscheidung der Klassenkonferenz Beschwerde beim Generalsekretär einzulegen, an die sich gegebenenfalls eine Klage vor der Beschwerdekammer anschließe. Den gesetzlichen Vertretern bleibe es daher unbenommen, einem anderen Rechtsbehelf den Vorzug zu geben, indem sie die Entscheidung der Klassenkonferenz unmittelbar vor dem zuständigen nationalen Gericht anfechten.

33

Die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof), die über diese Vorfrage in Bezug auf die Zuständigkeit der italienischen Gerichte zu befinden hat, weist darauf hin, dass sie sich in einem Urteil vom 15. März 1999 (IT:CASS:1999:138CIV) unter ähnlichen Umständen wie denen, die der in Rn. 28 des vorliegenden Urteils genannten Streitigkeit zugrunde liegen, zugunsten einer solchen Zuständigkeit ausgesprochen habe. In diesem Urteil hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) entschieden, dass sich die ausschließliche Zuständigkeit der Beschwerdekammer nach Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1, 2 und 7 der Vereinbarung über die Satzung auf beschwerende Entscheidungen des Obersten Rates oder des Verwaltungsrats einer Europäischen Schule erstrecke, nicht aber auf Entscheidungen der Klassenkonferenz einer solchen Schule.

34

Als sie sich in diesem Sinne geäußert habe, habe die damals geltende Allgemeine Schulordnung der Europäischen Schulen gegen die Entscheidung einer Klassenkonferenz, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen, jedoch nur eine beschränkte schulinterne Beschwerde rein administrativer Natur vorgesehen; eine Möglichkeit, vor der Beschwerdekammer Klage gegen eine solche Entscheidung zu erheben, sei darin noch nicht verankert gewesen.

35

Dass die Möglichkeit eines solchen gerichtlichen Rechtsbehelfs inzwischen in der Schulordnung von 2005 verankert und sodann in Art. 67 der Schulordnung von 2014 bestätigt worden sei, könne als Beleg dafür gesehen werden, dass die ausschließliche Zuständigkeit der Beschwerdekammer für derartige Streitigkeiten nunmehr anerkannt sei.

36

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts scheint eine solches Ergebnis durch die Erkenntnisse gestützt zu werden, die sich aus dem Urteil vom 11. März 2015, Oberto und O’Leary (C‑464/13 und C‑465/13, im Folgenden: Urteil Oberto und O’Leary, EU:C:2015:163), ergäben, in dem der Gerichtshof unter Berufung auf die Regeln des Wiener Übereinkommens bereits anerkannt habe, dass der Beschwerdekammer eine ausschließliche Zuständigkeit für Klagen gegen eine Entscheidung des Direktors einer Europäischen Schule, die einen Lehrbeauftragten dieser Schule beschwere, wirksam habe übertragen werden können.

37

Relevant seien in diesem Zusammenhang möglicherweise auch der Beschluss des Gerichts der Europäischen Union vom 18. Juni 2020, JT/Generalsekretär der Europäischen Schulen und Beschwerdekammer der Europäischen Schulen (T‑42/20, EU:T:2020:278), und verschiedene Dokumente, die die Europäische Schule Varese vorgelegt habe; dies gelte insbesondere für die zahlreichen Entscheidungen der Beschwerdekammer in Streitigkeiten, die Entscheidungen von Klassenkonferenzen über die Nichtzulassung von Schülern zur Versetzung in die nächsthöhere Klasse beträfen, wodurch sich seit der Übertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung über solche Streitigkeiten durch die Schulordnung von 2005 eine ständige Rechtsprechungspraxis herausgebildet habe.

38

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass sich das Urteil Oberto und O’Leary auf eine Entscheidung des Direktors einer Europäischen Schule zur Befristung des Arbeitsverhältnisses in einem Arbeitsvertrag zwischen einer Europäischen Schule und einem Lehrbeauftragten bezogen habe, und dass sich die Zuständigkeit der Beschwerdekammer insoweit nicht aus der Allgemeinen Schulordnung der Europäischen Schulen, sondern aus den Dienstvorschriften der Ortslehrkräfte ergeben habe. Die somit zwischen der Rechtssache Oberto und O’Leary und der vorliegenden Rechtssache bestehenden Sachverhaltsunterschiede stünden daher der Annahme entgegen, dass es im vorliegenden Fall eine Auslegung von Art. 27 Abs. 2 der Vereinbarung über die Satzung gebe, die derart offenkundig sei, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibe.

39

Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 der Vereinbarung über die Satzung dahin auszulegen, dass die darin genannte Beschwerdekammer bei Streitigkeiten über den von der Klassenkonferenz gegenüber einem Schüler der Sekundarstufe getroffenen Wiederholungsbeschluss, nach Ausschöpfung des in der Schulordnung vorgesehenen Verwaltungswegs, erst- und letztinstanzlich ausschließliche Zuständigkeit besitzt?

Zum Antrag auf Anwendung des beschleunigten Verfahrens

40

Das vorlegende Gericht hat beantragt, die vorliegende Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Zur Begründung seines Antrags hat es ausgeführt, dass im Hinblick auf die Notwendigkeit, die schulische Situation des betreffenden Schülers so rasch wie möglich zu klären, und aufgrund der Bedeutung, die eine Klarstellung des Zuständigkeitsumfangs der Beschwerdekammer für Streitigkeiten wie die im Ausgangsverfahren für sämtliche Vertragsparteien der Vereinbarung über die Satzung habe, die Anwendung dieses Verfahrens gerechtfertigt sei.

41

Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs sieht vor, dass der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden kann, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

42

Ein solches beschleunigtes Verfahren ist ein Verfahrensinstrument, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll (Urteil vom 21. Dezember 2021, Randstad Italia,C‑497/20, EU:C:2021:1037, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs am 21. Juli 2022 entschieden, dem in Rn. 40 des vorliegenden Urteils genannten Antrag nicht stattzugeben.

44

Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass das bloße – wenn auch legitime – Interesse der Rechtsuchenden daran, den Umfang der ihnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte möglichst schnell zu klären, nicht geeignet ist, das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands im Sinne von Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu belegen (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 28. November 2013, Sähköalojen ammattiliitto, C‑396/13, EU:C:2013:811, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Im vorliegenden Fall ist speziell zur Situation des betreffenden Schülers zum einen festzustellen, dass das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Regionales Verwaltungsgericht Lombardei) den Ausführungen in der Vorlageentscheidung zufolge am 9. September 2020 angeordnet hat, diesen Schüler im Schuljahr 2020/2021 bedingt zum Besuch der nächsthöheren Klasse zuzulassen. Zum anderen ist der Gerichtshof mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen erst am 28. Juni 2022 befasst worden, so dass die vom Gerichtshof erwartete Antwort allenfalls im Laufe des Schuljahrs 2022/2023 etwaige konkrete Auswirkungen auf die Schullaufbahn des Schülers haben konnte. Unter diesen Umständen kann nicht auf das Vorliegen einer außergewöhnlichen Dringlichkeitssituation im Sinne der in Rn. 42 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung geschlossen werden.

46

Ferner ist nicht ersichtlich, dass das mutmaßliche Interesse der Vertragsparteien der Vereinbarung über die Satzung an einer möglichst raschen Klärung der im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfenen Auslegungsfrage – so legitim es auch sein mag – das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands im Sinne von Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs belegt.

Zur Vorlagefrage

47

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 27 Abs. 2 der Vereinbarung über die Satzung in Verbindung mit den Art. 61, 62, 66 und 67 der Schulordnung von 2014 dahin auszulegen ist, dass die Beschwerdekammer bei Streitigkeiten, die die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Klassenkonferenz einer Europäischen Schule betreffen, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse der Sekundarstufe zu versetzen, nach Ausschöpfung des in dieser Schulordnung vorgesehenen Verwaltungswegs erst- und letztinstanzlich ausschließliche Zuständigkeit besitzt.

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

48

In der mündlichen Verhandlung haben PD und LC Zweifel an der Zuständigkeit des Gerichtshofs geäußert, im Rahmen der vorliegenden Rechtssache im Wege der Vorabentscheidung zu entscheiden, und im Wesentlichen geltend gemacht, dass sich der Gerichtshof nach Art. 26 der Vereinbarung über die Satzung nur dann zu Fragen der Auslegung dieser Vereinbarung äußern könne, wenn er mit einer Streitigkeit über eine solche Auslegung oder über die Anwendung der Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien der Vereinbarung befasst sei, die im Obersten Rat nicht habe beigelegt werden können.

49

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 33 und 34 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann jedoch der Umstand, dass ein solcher besonderer gerichtlicher Mechanismus geschaffen wurde, um die Anrufung des Gerichtshofs mit solchen Rechtsstreitigkeiten zwischen Vertragsparteien der Vereinbarung über die Satzung zu ermöglichen, nicht den Umfang der Zuständigkeit berühren, die dem Gerichtshof im Übrigen nach den Verträgen selbst zukommt, um gemäß Art. 267 AEUV über die Auslegung dieser Verträge und der Handlungen der Organe zu entscheiden, wenn eine solche Frage, wie im Ausgangsverfahren, vor dem Gericht eines Mitgliedstaats aufgeworfen wird und dieses Gericht eine Entscheidung über diesen Punkt zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält und den Gerichtshof um eine Entscheidung über diese Frage ersucht.

50

Hierzu hat der Gerichtshof im Übrigen bereits entschieden, dass ein internationales Abkommen wie die Vereinbarung über die Satzung, die auf der Grundlage von Art. 235 des EG-Vertrags (danach Art. 308 EG, jetzt Art. 352 AEUV) von den hierzu durch die Beschlüsse 94/557 und 94/558 ermächtigten Europäischen Gemeinschaften abgeschlossen wurde, für die Europäische Union eine Handlung eines Unionsorgans im Sinne von Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV darstellt. Die Bestimmungen eines solchen Abkommens sind daher ab dessen Inkrafttreten Bestandteil der Unionsrechtsordnung, so dass der Gerichtshof für Vorabentscheidungen über die Auslegung dieser Vereinbarung sowie der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsakte zuständig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 29 bis 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung); zu diesen Rechtsakten gehört insbesondere die Schulordnung von 2014.

51

Der Gerichtshof ist daher für Vorabentscheidungen über die Auslegung der Vereinbarung über die Satzung und über die Auslegung der Schulordnung von 2014 zuständig.

Zur Beantwortung der Vorlagefrage

52

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es sich beim System der Europäischen Schulen um ein System besonderer Art handelt, das durch ein internationales Abkommen eine Form der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und der Union verwirklicht (Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Aus der Rechtsprechung geht ferner hervor, dass die Europäischen Schulen eine internationale Organisation darstellen, die trotz ihrer funktionellen Beziehungen, die sie zur Union unterhält, von dieser und ihren Mitgliedstaaten formell getrennt bleibt (Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54

Die Vereinbarung über die Satzung unterliegt daher auch dem Völkerrecht und in Bezug auf ihre Auslegung insbesondere dem Völkervertragsrecht, obgleich sie, wie in Rn. 50 des vorliegenden Urteils ausgeführt, für die Union eine Handlung eines Unionsorgans im Sinne von Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV darstellt (Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55

Das Völkervertragsrecht wurde im Wesentlichen durch das Wiener Übereinkommen kodifiziert. Dieses Übereinkommen findet nach seinem Art. 1 auf Verträge zwischen Staaten Anwendung. Jedoch berührt nach Art. 3 Buchst. b des Übereinkommens der Umstand, dass es nicht auf die zwischen Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten geschlossenen internationalen Übereinkünfte Anwendung findet, nicht die Anwendung der in ihm niedergelegten Regeln auf diese Übereinkünfte, denen sie auch unabhängig von diesem Übereinkommen aufgrund des Völkerrechts unterworfen wären (Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 35).

56

Folglich sind die Bestimmungen des Wiener Übereinkommens auf ein zwischen einem Staat und einer internationalen Organisation geschlossenes Abkommen wie die Vereinbarung über die Satzung anzuwenden, soweit diese Bestimmungen eine Ausprägung des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts sind. Die Vereinbarung über die Satzung ist daher anhand dieser Bestimmungen auszulegen, und zwar insbesondere im Einklang mit den Bestimmungen in Art. 31 des Wiener Übereinkommens, der Ausdruck des Völkergewohnheitsrechts ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 36 und 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass zum einen die Beschwerdekammer nach Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 der Vereinbarung über die Satzung bei Streitigkeiten, die die Anwendung dieser Vereinbarung auf die darin genannten Personen – mit Ausnahme des Verwaltungs- und Dienstpersonals – betreffen und sich auf die Rechtmäßigkeit einer vom Obersten Rat oder vom Verwaltungsrat einer Schule in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß dieser Vereinbarung gegenüber jenen Personen getroffenen und sie beschwerenden Entscheidung beziehen, die auf dieser Vereinbarung oder den in ihrem Rahmen erlassenen Vorschriften beruht, nach Ausschöpfung des Verwaltungswegs erst- und letztinstanzlich ausschließliche Zuständigkeit besitzt. Insoweit stellt Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 der Vereinbarung über die Satzung außerdem klar, dass die Voraussetzungen für ein Verfahren der Beschwerdekammer und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen in den Beschäftigungsbedingungen für das Lehrpersonal bzw. der Regelung für die Lehrbeauftragten oder der Allgemeinen Schulordnung der Europäischen Schulen festgelegt sind.

58

Zum anderen ergibt sich aus Art. 61 A Abs. 1 in Verbindung mit Art. 62 Abs. 1 und 2, Art. 66 Abs. 1 und 5 sowie Art. 67 Abs. 1 der Schulordnung von 2014, dass gegen die Entscheidung der zuständigen Klassenkonferenz einer Europäischen Schule über die Versetzung in die nächsthöhere Klasse der Sekundarstufe von Seiten der gesetzlichen Vertreter des Schülers keine Beschwerde eingelegt werden kann, außer wenn Formfehler oder neue Fakten vorliegen, die vom Generalsekretär als solche anerkannt werden, und dass der ablehnende Beschluss im Fall der Zurückweisung einer solchen Beschwerde durch den Generalsekretär Gegenstand einer Klage vor der Beschwerdekammer sein kann.

59

Was die Bedeutung der Bestimmungen der Schulordnung von 2014 anbelangt, so können diese entgegen dem Vorbringen von PD und LC nicht dahingehend verstanden werden, dass nebeneinander die darin vorgesehene Beschwerde, an die sich gegebenenfalls eine Klage vor der Beschwerdekammer anschließt, und ein weiterer verfügbarer Rechtsweg bestehen, der darin bestünde, dass die gesetzlichen Vertreter des betreffenden Schülers unmittelbar bei den nationalen Gerichten Klage gegen die Entscheidung einer Klassenkonferenz über die Nichtversetzung dieses Schülers in eine nächsthöhere Klasse der Sekundarstufe erheben.

60

Nach dem Wortlaut von Art. 62 Abs. 1 der Schulordnung von 2014 kann gegen die betreffenden Entscheidungen nämlich „keine Beschwerde eingelegt werden“, „außer wenn Formfehler oder neue Fakten vorliegen, die vom Generalsekretär … als solche anerkannt werden“, was belegt, dass die einzige Möglichkeit für die gesetzlichen Vertreter eines Schülers, eine solche Entscheidung anzufechten, in einem ersten Schritt darin besteht, beim Generalsekretär die insoweit vorgesehene Beschwerde einzulegen, und eine unmittelbar gegen diese Entscheidung gerichtete Klage in diesem Stadium ausgeschlossen ist.

61

Wie sich im Übrigen aus Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 der Vereinbarung über die Satzung in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 und 5 und Art. 67 Abs. 1 der Schulordnung 2014 ergibt, ist die Entscheidung, die der Generalsekretär auf eine solche Beschwerde hin getroffen hat, ihrerseits nur mit einer Klage vor der Beschwerdekammer anfechtbar, die in einem solchen Fall für die Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung und der Entscheidung der Klassenkonferenz, den betreffenden Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen, erst- und letztinstanzlich ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit besitzt. Insoweit präzisiert Art. 27 Abs. 6 der Vereinbarung über die Satzung auch, dass die Urteile der Beschwerdekammer für die Parteien verbindlich und erforderlichenfalls von den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten zu vollstrecken sind, was ebenfalls bestätigt, dass diese Stellen den grundsätzlich ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Beschwerdekammer zu akzeptieren haben.

62

In Anbetracht dieser Vorbemerkungen und zu der Frage, ob Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 der Vereinbarung über die Satzung dahin auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, der Beschwerdekammer eine ausschließliche Zuständigkeit zu übertragen, wie sie sich insoweit aus den in Rn. 58 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen der Schulordnung von 2014 ergibt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die in Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 vorgesehene Voraussetzung, dass die bei der Beschwerdekammer anhängigen Streitigkeiten die Anwendung der Vereinbarung über die Satzung auf die „darin genannten Personen“ betreffen müssen, vorliegend erfüllt ist.

63

Es steht nämlich außer Zweifel, dass zu einer solchen Personengruppe insbesondere die Schüler der Europäischen Schulen gehören, die die Hauptbegünstigten des Bildungswesens bzw. der Bildungsinfrastruktur sind, die durch die Vereinbarung über die Satzung geschaffen wurden. Im ersten Erwägungsgrund dieser Vereinbarung wird insoweit hervorgehoben, dass die Europäischen Schulen für den gemeinsamen Unterricht der Kinder der Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften im Hinblick auf das ordnungsgemäße Funktionieren der europäischen Organe errichtet wurden. Die Schüler werden im Übrigen in zahlreichen Bestimmungen der Vereinbarung über die Satzung ausdrücklich genannt, insbesondere in Art. 11 Nr. 3 dieser Vereinbarung, wonach es Sache des Obersten Rates ist, die Regeln für die Versetzung der Schüler in die nächsthöhere Klasse bzw. für den Übergang in die Sekundarstufe festzulegen.

64

Was sodann die ebenfalls in Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 der Vereinbarung über die Satzung vorgesehene Voraussetzung betrifft, wonach die Klage sich auf eine „beschwerende Entscheidung beziehen [muss], die auf dieser Vereinbarung oder den in ihrem Rahmen erlassenen Vorschriften beruht“, ergibt sich zum einen aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Begriff der „beschwerenden Entscheidung“ weit auszulegen und dahin zu verstehen ist, dass darunter alle Maßnahmen fallen, die geeignet sind, unmittelbar eine bestimmte Rechtsstellung zu beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 49 und 53). Dies ist aber bei einer Entscheidung, einem Schüler den Besuch der nächsthöheren Klasse zu verweigern, offensichtlich der Fall.

65

Zum anderen steht fest, dass die Entscheidung über die Versetzung in die nächsthöhere Klasse der Sekundarstufe von der zuständigen Klassenkonferenz nach Art. 61 A Abs. 1 der Schulordnung von 2014 getroffen wird, d. h. einer vom Obersten Rat gemäß Art. 10 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 11 Nrn. 3 und 4 der Vereinbarung über die Satzung erlassenen Bestimmung. Die Entscheidung einer Klassenkonferenz über eine solche Nichtversetzung stellt daher eine Entscheidung im Sinne von Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 dieser Vereinbarung dar, die „auf der [Vereinbarung über die Satzung] oder den in ihrem Rahmen erlassenen Vorschriften beruht“.

66

Was schließlich die Voraussetzung in Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 der Vereinbarung über die Satzung betrifft, wonach beschwerende Entscheidungen, gegen die vor der Beschwerdekammer Beschwerde eingelegt werden kann, „vom Obersten Rat oder vom Verwaltungsrat einer Schule“ getroffen werden müssen, hat der Gerichtshof, gestützt auf die Auslegungsregeln in Art. 31 des Wiener Übereinkommens, in Rn. 58 des Urteils Oberto und O’Leary bereits klargestellt, dass die bloße Tatsache, dass die Entscheidungen des Direktors einer Europäischen Schule in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich erwähnt werden, nicht zur Folge haben kann, dass sie vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung ausgeschlossen sind.

67

Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob sich Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 der Vereinbarung über die Satzung entsprechend den Feststellungen des Gerichtshofs im Urteil Oberto und O’Leary zu Entscheidungen des Direktors einer Europäischen Schule nach den in Art. 31 des Wiener Übereinkommens aufgeführten Regeln dahin auslegen lässt, dass er dem nicht entgegensteht, dass die Beschwerdekammer nach den in Rn. 58 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen der Schulordnung von 2014 auch dann ausschließliche Zuständigkeit besitzt, um über die Entscheidung zu befinden, den Schüler einer Europäischen Schule nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen, wenn diese Entscheidung nicht auf den Obersten Rat oder den Verwaltungsrat dieser Schule, sondern auf eine Klassenkonferenz zurückgeht.

68

Insoweit ist zu Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens darauf hinzuweisen, dass nach dieser Bestimmung ein Vertrag in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Licht seines Ziels und Zwecks auszulegen ist.

69

Was als Erstes den Regelungszusammenhang betrifft, zu dem die Wendung „vom Obersten Rat oder vom Verwaltungsrat einer Schule … getroffenen … Entscheidung“ in Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 der Vereinbarung über die Satzung gehört, ist erstens zu berücksichtigen, dass nach Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Vereinbarung die Voraussetzungen für ein Verfahren vor der Beschwerdekammer und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen u. a. in der Allgemeinen Schulordnung der Europäischen Schulen festgelegt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 59). Im vorliegenden Fall sind die Bestimmungen, die der Beschwerdekammer für Klagen in Bezug auf die Entscheidungen einer Klassenkonferenz, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen, nach vorheriger Ausschöpfung des vorgesehenen Beschwerdeverfahrens eine ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit übertragen, und die Bestimmungen, die die Modalitäten dieser Klagen präzisieren, in der Allgemeinen Schulordnung, nämlich in der Schulordnung von 2014, enthalten.

70

Zweitens sind, wie in Rn. 65 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Regeln, die der Klassenkonferenz die Befugnis übertragen, über die Versetzung der Schüler in die nächsthöhere Klasse zu entscheiden, und die für eine solche Versetzung maßgebend sind, in der Schulordnung von 2014 enthalten; sie wurden somit vom Obersten Rat aufgrund der Befugnisse erlassen, die ihm nach Art. 10 Abs. 1 und 2 sowie Art. 11 Nrn. 3 und 4 der Vereinbarung über die Satzung übertragen wurden. Demnach wurde die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entscheidung insofern, als sie auf eine Klassenkonferenz zurückgeht, zwar nicht unmittelbar vom Obersten Rat getroffen, jedoch zumindest von der Klassenkonferenz aufgrund der begrenzten Befugnisse erlassen, die ihr durch einen vom Obersten Rat erlassenen Rechtsakt übertragen wurden.

71

Drittens bezieht sich die ausschließliche Zuständigkeit der Beschwerdekammer nach Art. 67 der Schulordnung von 2014 in erster Linie auf die Entscheidung des Generalsekretärs über die Beschwerde der gesetzlichen Vertreter des betroffenen Schülers gegen die Entscheidung der Klassenkonferenz, den Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen. Wie sich aus Art. 7 Abs. 1 Nr. 2, Art. 12 Nr. 2 und Art. 14 der Vereinbarung über die Satzung ergibt, ist der Generalsekretär ein gemeinsames Organ aller Europäischer Schulen, das vom Obersten Rat ernannt wird, diesen vertritt und ihm gegenüber verantwortlich ist. Folglich können die Entscheidungen des Generalsekretärs letztlich dem Obersten Rat zugerechnet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie vom Generalsekretär aufgrund einer Ermächtigung durch den Obersten Rat erlassen wurden, wie sie sich aus Art. 62 der Schulordnung von 2014 ergibt.

72

Was als Zweites die mit der Vereinbarung über die Satzung verfolgten Ziele betrifft, wurden die Europäischen Schulen, wie aus dem ersten Erwägungsgrund dieser Vereinbarung hervorgeht, eingerichtet, um „den gemeinsamen Unterricht der Kinder der Bediensteten“ der Union sicherzustellen, und zwar im Hinblick auf das „ordnungsgemäße Funktionieren der … Organe“ der Union.

73

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 73 und 75 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann der Umstand, dass die gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen der Klassenkonferenzen, die die Versetzung der Schüler dieser Schulen in die nächsthöhere Klasse betreffen, bei einem einzigen spezialisierten Rechtsprechungsorgan liegt, das Teil der internationalen Organisation ist, um die es sich bei den Europäischen Schulen handelt, zu einer Verfahrens- und Rechtsprechungskohärenz beitragen und dem Zweck des gemeinsamen, qualitativ gleichwertigen Unterrichts unter gleichartigen Voraussetzungen in sämtlichen Europäischen Schulen dienlich sein.

74

Auch wenn die Entscheidungen der Klassenkonferenzen in Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 der Vereinbarung über die Satzung nicht ausdrücklich erwähnt sind, ergibt sich daher aus den Erwägungen in den Rn. 69 bis 73 des vorliegenden Urteils, dass der Regelungszusammenhang, zu dem diese Bestimmung gehört, und die mit der Vereinbarung über die Satzung verfolgten Ziele darauf schließen lassen, dass die Erweiterung der Zuständigkeit der Beschwerdekammer durch die in Rn. 58 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen der Schulordnung von 2014 nicht gegen diese Bestimmung der Vereinbarung über die Satzung verstößt.

75

Aus Art. 31 Abs. 3 Buchst. a und b des Wiener Übereinkommens ergibt sich, dass bei der Auslegung eines Vertrags außer dem Zusammenhang in gleicher Weise jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen und jede spätere Übung bei der Anwendung dieses Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht, zu berücksichtigen sind.

76

Insoweit hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass es im Völkerrecht weder verboten noch ungewöhnlich ist, dass für die Parteien einer internationalen Übereinkunft die Möglichkeit vorgesehen wird, die Auslegung der Übereinkunft, so wie sich ihr gemeinsamer Wille hinsichtlich der Tragweite der Übereinkunft weiterentwickelt, zu präzisieren. Solche Präzisierungen können von den Parteien selbst vorgenommen werden oder von einem von ihnen eingerichteten Gremium, dem sie die Befugnis übertragen, sie bindende Entscheidungen zu erlassen. Solche Entscheidungen haben die Rechtswirkungen gemäß Art. 31 Abs. 3 Buchst. a des Wiener Übereinkommens (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/17 [CETA EU-Kanada] vom 30. April 2019, EU:C:2019:341, Rn. 233 und 234).

77

Der Gerichtshof hat zudem bereits entschieden, dass zur Bestimmung der Bedeutung der Wendung „vom Obersten Rat oder vom Verwaltungsrat einer Schule … [getroffene] Entscheidung“ in Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 der Vereinbarung über die Satzung gemäß Art. 31 Abs. 3 Buchst. b des Wiener Übereinkommens u. a. jede spätere Übung bei der Anwendung dieser Vereinbarung heranzuziehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 60 und 62).

78

Im vorliegenden Fall ist erstens hervorzuheben, dass sich der Oberste Rat, wie sich aus Art. 8 Abs. 1 der Vereinbarung über die Satzung ergibt, u. a. aus „dem bzw. den Vertreter(n) der einzelnen Mitgliedstaaten der [Union], der bzw. die befugt ist (sind), für den jeweiligen Mitgliedstaat verbindlich zu handeln“, sowie einem Mitglied der Europäischen Kommission zusammensetzt.

79

Daraus folgt, dass die Bestimmungen der Schulordnung von 2014, insbesondere die Art. 62, 66 und 67, durch die zum einen die Möglichkeit geschaffen wurde, beim Generalsekretär gegen die Entscheidung einer Klassenkonferenz, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen, Beschwerde einzulegen, und durch die zum anderen der Beschwerdekammer eine ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit für die Entscheidung über eine Klage gegen die vom Generalsekretär auf eine solche Beschwerde erlassene Entscheidung übertragen wurde, von hierzu ordnungsgemäß ermächtigten Vertretern dieser Mitgliedstaaten und der Union erlassen wurden.

80

Trotz Art. 26 der Vereinbarung über die Satzung, der dem Gerichtshof die Zuständigkeit für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung und Anwendung dieser Vereinbarung überträgt, die im Obersten Rat nicht beigelegt werden konnten, haben zweitens der Erlass der Art. 62, 66 und 67 der Schulordnung von 2014 und zuvor der Erlass der entsprechenden Bestimmungen der Schulordnung von 2005 nicht dazu geführt, dass diese Vertragsparteien den Gerichtshof angerufen haben, um solche Erlasse zu verhindern oder in Frage zu stellen. Somit dürfte bereits der Erlass der Bestimmungen der Schulordnung von 2014 durch die im Obersten Rat vertretenen Vertragsparteien der Vereinbarung über die Satzung einen Konsens zwischen diesen Parteien belegen, was die Anwendung und Auslegung der Bestimmungen der Vereinbarung über die Satzung beim Erlass der genannten Bestimmungen der Schulordnung von 2014 angeht.

81

Die spätere systematische Anwendung der Art. 62, 66 und 67 der Schulordnung von 2014 bzw. der entsprechenden Vorgängerbestimmungen der Schulordnung von 2005 zum einen durch den Generalsekretär, der über Beschwerden gegen die Entscheidungen der Klassenkonferenzen, Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse der Sekundarstufe zu versetzen, zu entscheiden hatte, und zum anderen durch die Beschwerdekammer, die über Klagen gegen die Entscheidungen des Generalsekretärs zu entscheiden hatte und systematisch die ihr durch Art. 67 der Schulordnung von 2014 übertragene gerichtliche Zuständigkeit ausgeübt hat, haben die im Obersten Rat vertretenen Vertragsparteien zudem, etwa unter Rückgriff auf den in Art. 26 der Vereinbarung über die Satzung vorgesehenen Mechanismus, auch weder bestritten noch in Frage gestellt.

82

Vor diesem Hintergrund sind der Erlass der Art. 62, 66 und 67 der Schulordnung von 2014 und zuvor der entsprechenden Bestimmungen der Schulordnung von 2005 durch den Obersten Rat sowie die seither ununterbrochene Anwendung dieser Bestimmungen sowohl durch den Generalsekretär als auch durch die Beschwerdekammer, ohne dass die Vertragsparteien der Vereinbarung über die Satzung dies beanstandet hätten, geeignet, zu belegen, dass zumindest eine Übung besteht, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über eine solche Auslegung im Sinne von Art. 31 Abs. 3 Buchst. b des Wiener Übereinkommens hervorgeht, wenn nicht gar, dass zwischen diesen Parteien eine spätere Übereinkunft über die Auslegung der Vereinbarung und die Anwendung ihrer Bestimmungen im Sinne von Art. 31 Abs. 3 Buchst. a des Wiener Übereinkommens besteht. Die fehlende Beanstandung einer solchen ununterbrochenen Anwendung durch die Vertragsparteien der Vereinbarung über die Satzung ist nämlich als ein Verhalten dieser Parteien, das ihre stillschweigende Zustimmung zu dieser Anwendung zum Ausdruck bringt, und somit als eine solche Übung anzusehen.

83

Ein solches Abkommen und/oder eine solche Übung können jedoch Vorrang vor dem Wortlaut von Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 der Vereinbarung über die Satzung haben. Daraus folgt, dass diese Bestimmung dahin zu verstehen ist, dass sie dem nicht entgegensteht, die Entscheidung der Klassenkonferenz einer Europäischen Schule, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen, grundsätzlich als unter diese Bestimmung fallend anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 65 bis 67).

84

Aus alledem ergibt sich, dass die Beschwerdekammer nach Art. 67 Abs. 1 der Schulordnung von 2014 bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Entscheidung der Klassenkonferenz einer Europäischen Schule, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse der Sekundarstufe zu versetzen, nach Ausschöpfung des durch Art. 62 Abs. 1 dieser Schulordnung geschaffenen Verwaltungswegs erst- und letztinstanzlich ausschließliche Zuständigkeit besitzt, und dass eine solche ausschließliche Zuständigkeit nicht gegen Art. 27 Abs. 2 der Vereinbarung über die Satzung verstößt.

85

Entgegen dem Vorbringen von PD und LC beeinträchtigt eine solche Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Vereinbarung über die Satzung und der Schulordnung von 2014 nicht das Recht der Betroffenen auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.

86

Insoweit ergibt sich aus den Rn. 52 und 72 des vorliegenden Urteils, dass das System der Europäischen Schulen ein System besonderer Art ist, das durch ein internationales Abkommen eingeführt wurde, das das Ergebnis eingegangener Verpflichtungen zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten ist und seine Daseinsberechtigung aus dem Willen dieser Parteien ableitet, das ordnungsgemäße Funktionieren der Unionsorgane zu gewährleisten. Obwohl das System der Europäischen Schulen eine von der Union getrennte internationale Organisation bildet, ist es somit, wie in Rn. 53 des vorliegenden Urteils ausgeführt, in funktioneller Hinsicht sehr eng mit der Union verbunden. Im dritten und im vierten Erwägungsgrund der Beschlüsse 94/557 und 94/558 wird im Übrigen hervorgehoben, dass der Abschluss der Vereinbarung über die Satzung durch die Union u. a. von dem Umstand geleitet war, dass sich die Beteiligung der Union an der Durchführung der Vereinbarung, indem sie die Befugnisse wahrnimmt, die ihr durch die Vereinbarung und durch künftige nach Maßgabe der Vereinbarung erlassene Rechtsakte übertragen werden, als unerlässlich erwiesen hat, damit die Ziele der Union erreicht werden.

87

Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht und der Generalanwalt in Nr. 97 seiner Schlussanträge ausgeführt haben, verkörpert die durch die Verträge zur Gründung der Union geschaffene Rechtsordnung somit eine Gesamtheit von Regeln des Völkervertragsrechts, die, wie sich aus Art. 31 Abs. 3 Buchst. c des Wiener Übereinkommens ergibt, für die Auslegung der Vereinbarung über die Satzung relevant sein können. Art. 31 Abs. 3 Buchst. c des Wiener Übereinkommens, der das Völkergewohnheitsrecht kodifiziert, sieht nämlich vor, dass außer dem Zusammenhang die in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbaren einschlägigen Völkerrechtssätze zu berücksichtigen sind, zu denen insbesondere die weiteren von den Vertragsparteien des in Rede stehenden Vertrags abgeschlossenen Verträge gehören, die in dieser Weise ausgelegt werden (vgl. IGH, Sache „Certain Questions of Mutual Assistance in Criminal Matters [Djibouti v. France]“ [Bestimmte Fragen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Djibouti/Frankreich)], Urteil vom 4. Juni 2008, I.C.J. Reports 2008, S. 219, Rn. 112 bis 114). Im vorliegenden Fall wurde die Vereinbarung über die Satzung von den Mitgliedstaaten der Union und der Union geschlossen, wobei die Mitgliedstaaten Parteien der Verträge zur Gründung der Europäischen Union sind und die Union ihr Bestehen, ihre Rechtspersönlichkeit und ihre Zuständigkeiten aus diesen Verträgen ableitet.

88

Insoweit ist außerdem festzustellen, dass von der Union geschlossene internationale Übereinkünfte mit den Verträgen und den Verfassungsgrundsätzen, die sich aus ihnen ableiten lassen, darunter insbesondere den in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankerten Garantien, in Einklang stehen müssen (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/17 [CETA EU-Kanada] vom 30. April 2019, EU:C:2019:341, Rn. 165 und 167 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

89

In Bezug auf die Vereinbarung über die Satzung ergibt sich insbesondere aus den Erwägungen in den Rn. 86 bis 88 des vorliegenden Urteils, dass die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts zugleich der Auslegung dieser Vereinbarung zugrunde zu legen sind und von den durch diese Vereinbarung eingerichteten Organen gebührend zu berücksichtigen und zu beachten sind, wenn sie Befugnisse ausüben, die sich aus den durch die Vereinbarung geschaffenen Regeln ergeben, sowie Entscheidungen gemäß diesen Bestimmungen treffen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juni 2011, Miles u. a.,C‑196/09, EU:C:2011:388, Rn. 43, sowie Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 74).

90

Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, um den es hier geht, ist nach ständiger Rechtsprechung ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt; er ist in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und nun auch in Art. 47 der Charta verankert (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a.,C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 190 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91

Ferner geht aus dem fünften Gedankenstrich des vierten Erwägungsgrundes der Vereinbarung über die Satzung hervor, dass es zu den Zielen dieser Vereinbarung gehört, einen angemessenen Rechtsschutz gegenüber Entscheidungen des Obersten Rates oder der Verwaltungsräte der Europäischen Schulen zu gewährleisten, und dass dieses Ziel für die Einrichtung der Beschwerdekammer maßgebend war (vgl. in diesem Sinne Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 48).

92

Insoweit hat der Gerichtshof zunächst in Bezug auf die Beschwerdekammer als solche bereits entschieden, dass sie mit Ausnahme des Merkmals, zu einem der Mitgliedstaaten zu gehören, alle Merkmale erfüllt, anhand deren eine Einrichtung als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV beurteilt werden kann, nämlich u. a. ihre gesetzliche Grundlage, ihr ständiger Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit (Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

93

Was sodann den Umstand betrifft, dass die Beschwerdekammer erst- und letztinstanzlich entscheidet, ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 47 der Charta nicht das Recht auf Zugang zu zwei Gerichtsinstanzen umfasst, sondern nur zu einem Gericht (Urteil Oberto und O’Leary, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

94

Schließlich geht in Bezug auf den Umfang der der Beschwerdekammer übertragenen gerichtlichen Zuständigkeit für die Entscheidung der Klassenkonferenz einer Europäischen Schule, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen, aus Art. 62 Abs. 1 der Schulordnung von 2014 hervor, dass gegen solche Entscheidungen einer Klassenkonferenz von Seiten der gesetzlichen Vertreter des Schülers keine Beschwerde eingelegt werden kann, außer wenn Formfehler oder neue Fakten vorliegen, die vom Generalsekretär aufgrund der ihm von der Schule und den gesetzlichen Vertretern der Schüler vorgelegten Unterlagen und Berichte als solche anerkannt werden.

95

Nach Art. 62 Abs. 1 der Schulordnung von 2014 ist unter „Formfehler“ jedweder Verstoß gegen eine rechtliche Bestimmung über das zu befolgende Verfahren beim Übergang in die nächsthöhere Klasse zu verstehen, so dass in Ermangelung dieses Verstoßes der Beschluss der Klassenkonferenz anders ausgefallen wäre, wobei insbesondere insoweit klargestellt wird, dass die Modalitäten der praktischen Organisation der Prüfungen den Schulen obliegen und nicht als Formfehler angesehen werden können. Unter „neues Faktum“ ist jedwedes Element zu verstehen, das der Klassenkonferenz nicht zur Kenntnis gebracht wurde, weil es allen Akteuren – Lehrkräften, Eltern und Schülern – zum Zeitpunkt der Beratungen nicht bekannt war, und das möglicherweise die Richtung des Beschlusses hätte beeinflussen können; ein zwar den Eltern bekannter, der Klassenkonferenz jedoch nicht mitgeteilter Fakt, kann nicht als neues Element im Sinne dieser Bestimmung betrachtet werden.

96

Art. 62 Abs. 1 Unterabs. 5 der Schulordnung von 2014 stellt außerdem klar, dass die Beurteilung der Fähigkeiten der Schüler und die Erteilung einer Note für einen Aufsatz oder eine Arbeit im Laufe des Schuljahres der ausschließlichen Ermessensbefugnis der Klassenkonferenz obliegen und nicht Gegenstand einer Beschwerde sein können.

97

Wie sich aus den von der Europäischen Schule Varese vorgelegten Entscheidungen der Beschwerdekammer ergibt, sind die Bestimmungen von Art. 62 Abs. 1 der Schulordnung von 2014, auch wenn sie die beim Generalsekretär eingereichten Beschwerden regeln, demnach auch maßgeblich für den Umfang der gerichtlichen Zuständigkeit der Beschwerdekammer im Fall einer Klage der gesetzlichen Vertreter des Schülers gegen eine Entscheidung des Generalsekretärs, mit der eine ursprünglich beim Generalsekretär eingereichte Beschwerde zurückgewiesen worden ist.

98

Auch wenn ein gerichtlicher Rechtsbehelf auf diese Weise begrenzt ist, um insbesondere den pädagogischen Entscheidungsspielraum zu wahren, der zwingend dem Kollegium der Lehrer zustehen muss, die dem Schüler, dessen Versetzung in die höhere Klasse von diesem Kollegium geprüft und entschieden wird, Unterricht erteilt haben, verstößt er jedoch nicht gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, sofern man „Verstoß gegen eine rechtliche Bestimmung über das zu befolgende Verfahren beim Übergang in die nächsthöhere Klasse“ im Sinne von Art. 62 Abs. 1 der Schulordnung von 2014 weit versteht, und zwar als Verstoß gegen Bestimmungen, die rein verfahrensrechtlich oder auch materiell-rechtlich sein können und denen entscheidende Bedeutung für die Beratungen der Klassenkonferenz beizumessen ist. Wie sich aus Rn. 89 des vorliegenden Urteils ergibt, gehören zu diesen Bestimmungen u. a. die anwendbaren allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, deren Beachtung die Beschwerdekammer folglich zu gewährleisten hat, wenn sie mit einer Beschwerde befasst ist, die sich auf die Entscheidung einer Klassenkonferenz bezieht, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse zu versetzen.

99

Was den Umfang der von der Beschwerdekammer ausgeübten Kontrolle in Bezug auf die Begründung einer solchen Entscheidung der Klassenkonferenz betrifft, erfordert der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes insofern u. a., dass sich eine solche Kontrolle unbeschadet des oben genannten weiten Entscheidungsspielraums, der der Beratungsfunktion der Klassenkonferenz inhärent ist, wenigstens auf die Prüfung erstreckt, ob sie frei von Befugnisüberschreitung, Ermessensmissbrauch, Rechtsfehlern oder offensichtlichen Beurteilungsfehlern ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 145, sowie vom 15. April 2021, FV/Rat,C‑875/19 P, EU:C:2021:283, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

100

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 27 Abs. 2 der Vereinbarung über die Satzung in Verbindung mit den Art. 61, 62, 66 und 67 der Schulordnung von 2014 dahin auszulegen ist, dass die Beschwerdekammer bei Streitigkeiten, die die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Klassenkonferenz einer Europäischen Schule betreffen, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse der Sekundarstufe zu versetzen, nach Ausschöpfung des in dieser Schulordnung vorgesehenen Verwaltungswegs erst- und letztinstanzlich ausschließliche Zuständigkeit besitzt.

Kosten

101

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 27 Abs. 2 der am 21. Juni 1994 zwischen den Mitgliedstaaten und den Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg geschlossenen Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen in Verbindung mit den Art. 61, 62, 66 und 67 der Allgemeinen Schulordnung der Europäischen Schulen in ihrer Fassung Nr. 2014-03-D-14-de-11 ist dahin auszulegen, dass die Beschwerdekammer bei Streitigkeiten, die die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Klassenkonferenz einer Europäischen Schule betreffen, einen Schüler nicht in die nächsthöhere Klasse der Sekundarstufe zu versetzen, nach Ausschöpfung des in dieser Schulordnung vorgesehenen Verwaltungswegs erst- und letztinstanzlich ausschließliche Zuständigkeit besitzt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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