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Document 62022CJ0398

Urteil des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 21. Dezember 2023.
RQ.
Vorabentscheidungsersuchen des Kammergerichts Berlin.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss 2002/584/JI – Europäischer Haftbefehl – Art. 4a Abs. 1 – Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – Vollstreckungsvoraussetzungen – Gründe, aus denen die Vollstreckung abgelehnt werden kann – Ausnahmen – Pflicht zur Vollstreckung – In Abwesenheit verhängte Strafe – Wendung ‚Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat‘ – Betroffener, der weder im ersten Rechtszug noch im Berufungsverfahren persönlich erschienen ist – Nationale Regelung, die ein absolutes Verbot der Übergabe des Betroffenen im Fall einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung vorsieht – Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung.
Rechtssache C-398/22.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:1031

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

21. Dezember 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss 2002/584/JI – Europäischer Haftbefehl – Art. 4a Abs. 1 – Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – Vollstreckungsvoraussetzungen – Gründe, aus denen die Vollstreckung abgelehnt werden kann – Ausnahmen – Pflicht zur Vollstreckung – In Abwesenheit verhängte Strafe – Wendung ‚Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat‘ – Betroffener, der weder im ersten Rechtszug noch im Berufungsverfahren persönlich erschienen ist – Nationale Regelung, die ein absolutes Verbot der Übergabe des Betroffenen im Fall einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung vorsieht – Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung“

In der Rechtssache C‑398/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Kammergericht (Berlin, Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 2022, in dem Verfahren betreffend die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls gegen

RQ,

Beteiligte:

Generalstaatsanwaltschaft Berlin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter) sowie des Richters N. Wahl und der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, P. Busche, M. Hellmann und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und H. Leupold als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss 2002/584).

2

Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in Deutschland, der gegen einen tschechischen Staatsangehörigen ausgestellt wurde, um eine Freiheitsstrafe in der Tschechischen Republik zu vollstrecken.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 1 („Definition des Europäischen Haftbefehls und Verpflichtung zu seiner Vollstreckung“) des Rahmenbeschlusses 2002/584 bestimmt:

„(1)   Bei dem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.

(2)   Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses.

(3)   Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 [EU] niedergelegt sind, zu achten.“

4

In Art. 4a („Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die Person nicht persönlich erschienen ist“) Abs. 1 dieses Rahmenbeschlusses heißt es:

„Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls auch verweigern, wenn die Person nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, die zu der Entscheidung geführt hat, es sei denn, aus dem Europäischen Haftbefehl geht hervor, dass die Person im Einklang mit den weiteren verfahrensrechtlichen Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts des Ausstellungsmitgliedstaats

a)

rechtzeitig

i)

entweder persönlich vorgeladen wurde und dabei von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, die zu der Entscheidung geführt hat, oder auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort dieser Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, und zwar auf eine Weise, dass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte,

und

ii)

davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;

…“

Deutsches Recht

5

§ 83 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. Dezember 1982 (BGBl. 1982 I S. 2071) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl. 1994 I S. 1537) (im Folgenden: IRG) sieht vor:

„Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn

3.

bei Ersuchen zum Zweck der Strafvollstreckung die verurteilte Person zu der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung nicht persönlich erschienen ist …“

Tschechisches Recht

6

§ 64 des Zákon č. 141/1961 Sb. o trestním řízení soudním (trestní řád) (Gesetz Nr. 141/1961 über den Strafprozess [Strafprozessordnung]) vom 29. November 1961 sieht im Wesentlichen vor, dass der Adressat der Zustellung nach einem ersten Zustellversuch darüber in Kenntnis zu setzen ist, wo er sich das zuzustellende Schriftstück aushändigen lassen kann. Wird das Schriftstück nicht binnen einer Frist von zehn Tagen abgeholt, kann es in den Briefkasten des Adressaten eingeworfen werden, was als Zustellung des Schriftstücks gilt.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

7

Die tschechischen Behörden beantragten beim Kammergericht (Berlin, Deutschland), dem vorlegenden Gericht, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, der am 15. Juni 2021 vom Okresní soud v Ostravě (Bezirksgericht Ostrava, Tschechische Republik) gegen einen tschechischen Staatsangehörigen ausgestellt wurde. Dieser Europäische Haftbefehl ist auf die Festnahme und Übergabe des Betroffenen an die tschechischen Behörden zum Zweck der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten aus einem Urteil vom 19. Juni 2020 in der Fassung des Berufungsurteils des Krajský soud v Ostravě (Regionalgericht Ostrava, Tschechische Republik) vom 25. August 2020 (im Folgenden: Berufungsurteil) gerichtet.

8

Das Berufungsurteil führte zu einer Herabsetzung der im ersten Rechtszug verhängten Strafe.

9

Es steht fest, dass der Betroffene zur Verhandlung im ersten Rechtszug persönlich erschienen ist. Am Berufungsverfahren hat der Betroffene hingegen nicht teilgenommen und war auch nicht anwaltlich vertreten.

10

Die Ladung zur Berufungsverhandlung wurde an die Anschrift versandt, die der Betroffene den zuständigen tschechischen Behörden als diejenige seines ständigen Wohnsitzes angegeben hatte und unter der er die Ladung zur erstinstanzlichen Verhandlung persönlich entgegengenommen hatte. Da er die Ladung zur Berufungsverhandlung nicht abholte, wozu er am 3. August 2020 aufgefordert worden war, wurde sie am 17. August 2020 in seinen Briefkasten eingeworfen. Obgleich es keinen Beleg dafür gibt, dass der Betroffene die Ladung zur Berufungsverhandlung tatsächlich erhalten hat, und er angab, im August 2020 nach Deutschland umgezogen zu sein, ohne dass er dies den zuständigen tschechischen Behörden mitgeteilt hätte, gilt die Ladung nach § 64 der tschechischen Strafprozessordnung am zehnten Tag nach der Aufforderung zur Abholung als zugestellt.

11

Am 10. Oktober 2021 wurde der Betroffene auf der Grundlage des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Europäischen Haftbefehls in Berlin (Deutschland) vorläufig festgenommen. Mit der Durchführung eines Verfahrens zur vereinfachten Auslieferung an die tschechischen Behörden erklärte er sich nicht einverstanden.

12

Am 14. Oktober 2021 ordnete das vorlegende Gericht Auslieferungshaft zur Überstellung an die tschechischen Behörden gegen den Betroffenen an.

13

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin (Deutschland) ordnete, nachdem sie von der betreffenden ausstellenden Justizbehörde weitere Informationen über die genauen Umstände der Ladung des Betroffenen erhalten hatte, dessen Entlassung aus der Haft an und beantragte beim vorlegenden Gericht, den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben und die Übergabe des Betroffenen mit der Begründung für unzulässig zu erklären, dass § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG, mit dem Art. 4a des Rahmenbeschlusses 2002/584 in deutsches Recht umgesetzt worden sei, einer solchen Übergabe entgegenstehe.

14

Mit Beschluss vom 4. November 2021 hob das vorlegende Gericht den Auslieferungshaftbefehl gegen den Betroffenen auf. Obgleich es davon ausging, dass die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit der Tat gegeben sei, unter der eine solche Übergabe stehe und die eine Prüfung zum Inhalt habe, ob die vorgeworfene Tat in beiden zur Zusammenarbeit aufgerufenen Mitgliedstaaten eine Straftat darstelle, beschloss es, die Entscheidung über den Antrag, die Übergabe des Betroffenen für unzulässig zu erklären, auszusetzen.

15

Das vorlegende Gericht wirft erstens die Frage auf, ob Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen ist, dass sich die Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ in dieser Bestimmung auf die Verhandlung bezieht, die zur erstinstanzlichen Entscheidung geführt hat, wenn diese Entscheidung im Berufungsverfahren zugunsten des Betroffenen abgeändert wurde.

16

Das vorlegende Gericht weist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs aus dem Urteil vom 10. August 2017, Tupikas (C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628), hin, nach der im Fall eines mehrere Rechtszüge umfassenden Strafverfahrens unter dieser Wendung diejenige Verhandlung zu verstehen sei, in der der Verfolgte nach einer erneuten Prüfung des Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht rechtskräftig für schuldig befunden und zu einer Strafe verurteilt worden sei, mithin die letzte Tatsacheninstanz.

17

Das vorlegende Gericht leitet daraus ab, dass im vorliegenden Fall für die Anwendung von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 auf die Verhandlung vor dem Berufungsgericht abzustellen sei, an der der Betroffene nicht teilgenommen habe. Da er zu dieser Verhandlung nicht persönlich erschienen sei, sei seine Übergabe für unzulässig zu erklären und die Vollstreckung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Europäischen Haftbefehls abzulehnen.

18

Es sei jedoch zweifelhaft, ob die Rechtsprechung aus dem genannten Urteil auch in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anwendung finde, in der der Betroffene im ersten Rechtszug persönlich erschienen sei, aber seine Ladung zur Berufungsverhandlung vereitelt habe.

19

Hierzu weist das vorlegende Gericht zum einen darauf hin, dass es Unterschiede in der Organisation des Berufungsverfahrens in den verschiedenen Mitgliedstaaten gebe, u. a. hinsichtlich der Verpflichtung des nationalen Gerichts, eine Prüfung in der Sache durchzuführen, wenn der Betroffene der Verhandlung fernbleibe. Im tschechischen Recht bestehe zwar eine solche Verpflichtung, und diese Prüfung könne wie im vorliegenden Fall zu einer Entscheidung führen, die das erstinstanzliche Urteil zugunsten des Betroffenen abändere. Sei eine derartige Verpflichtung allerdings wie im anwendbaren deutschen Recht nicht vorgesehen, falle das ergangene Urteil nicht unter den Begriff „Verhandlung“ im Sinne von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584.

20

Zum anderen erwachse das erstinstanzliche Urteil in Rechtskraft, wenn die Berufung ohne Prüfung in der Sache verworfen werde, und sei daher vollstreckbar, was bedeute, dass die Übergabe des Betroffenen in Wirklichkeit in Vollstreckung dieses Urteils beantragt werde. Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 sei somit dahin auszulegen, dass sich der Begriff „Verhandlung“ im Sinne dieser Bestimmung auf die zu vollstreckende Entscheidung beziehe. Diese Auslegung gelte auch dann, wenn die erstinstanzliche Entscheidung, wie im vorliegenden Fall, im Berufungsverfahren zugunsten des Betroffenen abgeändert worden sei, obgleich die erstinstanzliche Entscheidung dann – im Gegensatz zu einem ohne Prüfung in der Sache ergangenen Berufungsurteil – nicht allein die zu vollstreckende Entscheidung darstelle, sondern nur in Verbindung mit dem Berufungsurteil, durch das sie abgeändert worden sei.

21

Zweitens wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts einer nationalen Regelung wie § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG entgegenstehe, die eine Verurteilung in Abwesenheit als „absolutes Übergabehindernis“ zugunsten der Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl ergangen sei, statuiere, wohingegen Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584, der mit dieser nationalen Regelung in deutsches Recht umgesetzt worden sei, insoweit nur einen fakultativen Verweigerungsgrund vorsehe.

22

Die zuletzt genannte Bestimmung sei nicht vollständig in deutsches Recht umgesetzt worden, da § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG im Fall einer Verurteilung in Abwesenheit keine Möglichkeit zur Ermessensausübung durch die vollstreckende Justizbehörde vorsehe.

23

Im Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 69, 72, 73 und 76), habe der Gerichtshof entschieden, dass eine unmittelbare Anwendung des Rahmenbeschlusses 2002/584 zwar ausgeschlossen sei, da er keine unmittelbare Wirkung entfalte. Eine vollstreckende Justizbehörde sei jedoch verpflichtet, das nationale Recht rahmenbeschlusskonform auszulegen, um das in dem Rahmenbeschluss festgelegte Ziel zu erreichen, wobei aber eine Auslegung contra legem ausscheide.

24

Das vorlegende Gericht meint, § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG nicht dahin auslegen zu können, dass er ihm im Rahmen der Prüfung eines Hindernisses für die Übergabe des Betroffenen ein Ermessen zugestehe, das es ihm ermöglichen würde, die Übergabe trotz der in § 83 Abs. 2 bis 4 IRG vorgesehenen Ausnahmen für zulässig zu erklären. Bei Anwendung von Art. 4a Abs. 1 Buchst. a bis d des Rahmenbeschlusses 2002/584 sowie des Ermessens, über das es insoweit verfügen müsste, würde das vorlegende Gericht in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falls davon ausgehen, dass dem Betroffenen – obgleich er im Rahmen des Berufungsverfahrens nicht persönlich erschienen sei – rechtliches Gehör gewährt worden sei und seine Übergabe daher zulässig sei. Der Betroffene habe nämlich seine Beteiligung am Berufungsverfahren selbst vereitelt, da er nach Einlegung der Berufung nicht erreichbar gewesen sei und die Ladung zur Berufungsverhandlung, die an die Anschrift gerichtet gewesen sei, die er den zuständigen tschechischen Behörden angegeben habe, trotz Kenntnis von ihrer Hinterlegung nicht abgeholt habe.

25

Unter diesen Umständen hat das Kammergericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist bei durchgeführtem Berufungsverfahren der Begriff der „Verhandlung“ in Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen, dass er sich auf die der erstinstanzlichen Entscheidung vorangegangene Verhandlung bezieht, wenn nur der Verfolgte Berufung eingelegt hat und entweder die Berufung verworfen oder das erstinstanzliche Urteil zu seinen Gunsten abgeändert worden ist?

2.

Ist es mit dem Vorrang des Unionsrechts vereinbar, dass der deutsche Gesetzgeber in § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG den Fall der Abwesenheitsverurteilung als absolutes Übergabehindernis ausgestaltet hat, obwohl Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 insoweit nur einen fakultativen Verweigerungsgrund vorsieht?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

26

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen ist, dass sich die Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ in dieser Bestimmung auf die Verhandlung bezieht, die zur erstinstanzlichen Entscheidung geführt hat, wenn diese Entscheidung im Berufungsverfahren zugunsten des Betroffenen abgeändert wurde.

27

Das vorlegende Gericht wirft mit anderen Worten die Frage auf, ob das Berufungsverfahren bei einer Fallgestaltung, in der der Betroffene wie im vorliegenden Fall im Rahmen dieses Verfahrens, in dem die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert wurde, nicht persönlich erschienen ist, unter die Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ im Sinne von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 fällt.

28

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ im Sinne von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs als autonomer Begriff des Unionsrechts anzusehen und – unabhängig von den Wertungen in den Mitgliedstaaten – im Gebiet der Union einheitlich auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. August 2017, Tupikas, C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 67, und vom 22. Dezember 2017, Ardic, C‑571/17 PPU, EU:C:2017:1026, Rn. 63).

29

Diese Wendung ist so zu verstehen, dass sie sich auf das Verfahren bezieht, das zu der justiziellen Entscheidung geführt hat, durch die die Person, um deren Übergabe im Rahmen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ersucht wird, rechtskräftig verurteilt wurde (Urteile vom 10. August 2017, Tupikas, C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 74, und vom 23. März 2023, Minister for Justice and Equality [Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung], C‑514/21 und C‑515/21, EU:C:2023:235, Rn. 52).

30

Ausschlaggebend für den Betroffenen ist die justizielle Entscheidung, durch die endgültig über den Sachverhalt entschieden wird und gegen die kein ordentliches Rechtsmittel mehr gegeben ist, denn unter dem Gesichtspunkt des Schuldspruchs und gegebenenfalls der Festsetzung der von ihm zu verbüßenden Freiheitsstrafe betrifft sie seine persönliche Situation unmittelbar (Urteil vom 10. August 2017, Tupikas, C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 83).

31

Dies ist also das Verfahrensstadium, in dem der Betroffene in der Lage sein muss, seine Verteidigungsrechte uneingeschränkt auszuüben, um seinen Standpunkt wirksam darzulegen und so die endgültige Entscheidung, durch die ihm möglicherweise seine persönliche Freiheit entzogen wird, zu beeinflussen. Der Ausgang dieses Verfahrens ist insoweit unerheblich (Urteil vom 10. August 2017, Tupikas, C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 84).

32

Konkret hat der Gerichtshof für eine Fallgestaltung wie die des Ausgangsverfahrens, in dem das Verfahren zwei aufeinanderfolgende Rechtszüge umfasst, nämlich eine erste Instanz und ein Rechtsmittelverfahren, entschieden, dass es für die Anwendung von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 allein auf das Verfahren ankommt, das zu der Entscheidung über das Rechtsmittel geführt hat, sofern gegen diese Entscheidung kein ordentliches Rechtsmittel mehr gegeben ist, so dass sie eine endgültige Beurteilung des Sachverhalts enthält (Urteil vom 10. August 2017, Tupikas, C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 90).

33

Demnach liegt der ausschlaggebende Gesichtspunkt, um ein Verfahren unter die Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ im Sinne von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 zu fassen, darin, dass dieses Verfahren zu einer Entscheidung geführt hat, die eine rechtskräftige Verurteilung darstellt und die Rechtssache folglich endgültig in der Sache entscheidet.

34

Daher fällt ein Berufungsverfahren wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in dem ein Urteil ergangen ist, mit dem die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und die betreffende Rechtssache somit endgültig entschieden wurde – was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird – unter diese Wendung.

35

Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen ist, dass ein Berufungsverfahren, in dem ein Urteil ergangen ist, mit dem die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und die betreffende Rechtssache somit endgültig entschieden wurde, unter die Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

Zur zweiten Frage

36

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts einer nationalen Regelung zur Umsetzung von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die es einer vollstreckenden Justizbehörde generell verwehrt, einen zur Vollstreckung einer Strafe ausgestellten Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken, wenn der Betroffene in der Verhandlung, die zu der betreffenden Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen ist.

37

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Rahmenbeschluss 2002/584 in seinem Art. 1 Abs. 2 die Regel aufstellt, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses zu vollstrecken. Die vollstreckenden Justizbehörden können also die Vollstreckung eines solchen Haftbefehls – abgesehen von außergewöhnlichen Umständen – nur in den in diesem Rahmenbeschluss abschließend aufgezählten Fällen ablehnen. Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls kann nur an eine der Bedingungen geknüpft werden, die dort erschöpfend aufgeführt sind. Folglich stellt die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls den Grundsatz dar, während die Ablehnung seiner Vollstreckung als Ausnahme ausgestaltet und eng auszulegen ist (Urteil vom 10. August 2017, Tupikas, C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 50).

38

So nennt der Rahmenbeschluss 2002/584 explizit einerseits die Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen ist (Art. 3 des Rahmenbeschlusses), und andererseits die Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden kann (Art. 4 und 4a des Rahmenbeschlusses). Insbesondere durch Art. 4a des Rahmenbeschlusses wird die Möglichkeit, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen, eingeschränkt, indem darin genau und einheitlich die Bedingungen angegeben werden, unter denen Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen ist, zu der der Betroffene nicht persönlich erschienen ist, nicht verweigert werden dürfen (Urteil vom 10. August 2017, Tupikas, C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 53).

39

Aus dem Wortlaut von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 ergibt sich, dass diese Bestimmung einen Grund vorsieht, aus dem die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden kann, wenn der Betroffene nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, die zu seiner Verurteilung geführt hat. Von dieser Möglichkeit bestehen jedoch vier, in den Buchst. a bis d dieser Bestimmung aufgezählte Ausnahmen, bei denen die betreffende vollstreckende Justizbehörde nicht die Wahl hat, die Vollstreckung des ihr übermittelten Europäischen Haftbefehls abzulehnen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C‑399/11, EU:C:2013:107, Rn. 40).

40

Eine vollstreckende Justizbehörde kann somit die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls verweigern, wenn der Betroffene nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, die zu der betreffenden Entscheidung geführt hat, es sei denn, aus dem Europäischen Haftbefehl geht hervor, dass die in Art. 4a Abs. 1 Buchst. a bis d des Rahmenbeschlusses 2002/584 genannten Voraussetzungen erfüllt sind (Urteil vom 10. August 2017, Tupikas, C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 54).

41

Folglich ist eine vollstreckende Justizbehörde verpflichtet, einen Europäischen Haftbefehl ungeachtet der Abwesenheit des Betroffenen in der Verhandlung, die zu der betreffenden Entscheidung geführt hat, zu vollstrecken, wenn nachweislich einer der in Art. 4a Abs. 1 Buchst. a bis d dieses Rahmenbeschlusses genannten Fälle vorliegt (Urteil vom 10. August 2017, Tupikas, C‑270/17 PPU, EU:C:2017:628, Rn. 55).

42

Der Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass eine vollstreckende Justizbehörde, da Art. 4a des Rahmenbeschlusses 2002/584 einen Fall der fakultativen Nichtvollstreckung eines Europäischen Haftbefehls vorsieht, auch dann, wenn sie feststellt, dass die Situation der Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl erlassen wurde, unter keinen der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführten Tatbestände fällt, jedenfalls andere Umstände berücksichtigen kann, die es ihr erlauben, sich zu vergewissern, dass die Übergabe des Betroffenen nicht zu einer Verletzung seiner Verteidigungsrechte führt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. August 2017, Zdziaszek, C‑271/17 PPU, EU:C:2017:629, Rn. 107, und vom 17. Dezember 2020, Generalstaatsanwaltschaft Hamburg, C‑416/20 PPU, EU:C:2020:1042, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Im Rahmen einer solchen Beurteilung kann eine vollstreckende Justizbehörde somit das Verhalten des Betroffenen berücksichtigen. In diesem Stadium des Übergabeverfahrens könnte nämlich besonderes Augenmerk u. a. darauf gerichtet werden, dass der Betroffene versucht hat, sich der Zustellung der an ihn gerichteten Informationen zu entziehen (Urteil vom 17. Dezember 2020, Generalstaatsanwaltschaft Hamburg, C‑416/20 PPU, EU:C:2020:1042, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Daraus ergibt sich, dass eine vollstreckende Justizbehörde bei der Prüfung, ob eine der in Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt ist, nicht daran gehindert werden kann, sich der Achtung der Verteidigungsrechte der betroffenen Person zu vergewissern und dabei alle Umstände des Falles, mit dem sie befasst ist, einschließlich der Informationen, über die sie möglicherweise selbst verfügt, gebührend zu berücksichtigen.

45

Im vorliegenden Fall lässt sich den Angaben des vorlegenden Gerichts entnehmen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende deutsche Regelung die betreffende vollstreckende Justizbehörde generell verpflichtet, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls im Fall einer Verurteilung in Abwesenheit abzulehnen. Diese Regelung lässt der vollstreckenden Justizbehörde bei der Prüfung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls, ob eine der in Art. 4a Buchst. a bis d des Rahmenbeschlusses 2002/584 angeführten Tatbestände erfüllt ist, hinsichtlich der Frage, ob die Verteidigungsrechte des Betroffenen als gewahrt angesehen werden können, und folglich auch hinsichtlich der Entscheidung, den betreffenden Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken, keinerlei Entscheidungsspielraum.

46

Daher ist festzustellen, dass eine solche nationale Regelung gegen Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 verstößt.

47

Der Gerichtshof hat entschieden, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er ein nationales Gericht nicht verpflichtet, eine Bestimmung des nationalen Rechts, die mit den Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/584 unvereinbar ist, unangewendet zu lassen, da diese Bestimmungen keine unmittelbare Wirkung haben. Allerdings sind die Behörden der Mitgliedstaaten, einschließlich der Gerichte, verpflichtet, ihrem nationalen Recht so weit wie möglich eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung beizumessen, die es ihnen ermöglicht, ein Ergebnis zu gewährleisten, das mit dem Zweck vereinbar ist, der mit diesem Rahmenbeschluss verfolgt wird (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 109).

48

Die Rahmenbeschlüsse können zwar keine unmittelbare Wirkung haben, ihr zwingender Charakter hat für die nationalen Behörden aber gleichwohl eine Verpflichtung zu rahmenbeschlusskonformer Auslegung ihres innerstaatlichen Rechts ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für die Umsetzung dieser Rahmenbeschlüsse zur Folge. Diese Behörden müssen ihr nationales Recht bei seiner Anwendung daher so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks des betreffenden Rahmenbeschlusses auslegen, um das darin festgelegte Ziel zu erreichen, wobei eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem allerdings ausgeschlossen ist. Somit gebietet der Grundsatz der rahmenbeschlusskonformen Auslegung die Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und die Anwendung der nach diesem anerkannten Auslegungsmethoden, um die volle Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das im Einklang mit dem mit ihm verfolgten Zweck steht (Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 72 bis 77).

49

Daraus folgt, dass es dem vorlegenden Gericht obliegt, unter Berücksichtigung seines gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der nach diesem anerkannten Auslegungsmethoden die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks des Rahmenbeschlusses 2002/584 auszulegen.

50

Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung zur Umsetzung dieser Bestimmung, die es einer vollstreckenden Justizbehörde generell verwehrt, einen zur Vollstreckung einer Strafe ausgestellten Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken, wenn der Betroffene in der Verhandlung, die zu der betreffenden Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen ist, gegen die genannte Bestimmung verstößt. Ein nationales Gericht ist verpflichtet, diese nationale Regelung unter Berücksichtigung seines gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der nach diesem Recht anerkannten Auslegungsmethoden so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks dieses Rahmenbeschlusses auszulegen.

Kosten

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Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass ein Berufungsverfahren, in dem ein Urteil ergangen ist, mit dem die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und die betreffende Rechtssache somit endgültig entschieden wurde, unter die Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

 

2.

Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung zur Umsetzung dieser Bestimmung, die es einer vollstreckenden Justizbehörde generell verwehrt, einen zur Vollstreckung einer Strafe ausgestellten Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken, wenn der Betroffene in der Verhandlung, die zu der betreffenden Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen ist, gegen die genannte Bestimmung verstößt. Ein nationales Gericht ist verpflichtet, diese nationale Regelung unter Berücksichtigung seines gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der nach diesem Recht anerkannten Auslegungsmethoden so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks dieses Rahmenbeschlusses auszulegen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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