Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62022CJ0363

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 11. Januar 2024.
Planistat Europe und Hervé-Patrick Charlot gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel – Art. 340 Abs. 2 AEUV – Außervertragliche Haftung der Europäischen Union – Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 – Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) – Externe Untersuchung des OLAF – Sache ‚Eurostat‘ – Übermittlung von Informationen über gegebenenfalls strafrechtlich zu ahndende Handlungen durch das OLAF an nationale Justizbehörden vor Abschluss der Untersuchung – Erstattung einer Strafanzeige durch die Europäische Kommission vor Abschluss der Untersuchung des OLAF – Nationales Strafverfahren – Endgültige Einstellung – Begriff ‚hinreichend qualifizierter Verstoß‘ gegen eine Unionsrechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen – Immaterielle und materielle Schäden, die den Rechtsmittelführern entstanden sein sollen – Schadensersatzklage.
Rechtssache C-363/22 P.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:20

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

11. Januar 2024 ( *1 )

„Rechtsmittel – Art. 340 Abs. 2 AEUV – Außervertragliche Haftung der Europäischen Union – Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 – Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) – Externe Untersuchung des OLAF – Sache ‚Eurostat‘ – Übermittlung von Informationen über gegebenenfalls strafrechtlich zu ahndende Handlungen durch das OLAF an nationale Justizbehörden vor Abschluss der Untersuchung – Erstattung einer Strafanzeige durch die Europäische Kommission vor Abschluss der Untersuchung des OLAF – Nationales Strafverfahren – Endgültige Einstellung – Begriff ‚hinreichend qualifizierter Verstoß‘ gegen eine Unionsrechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen – Immaterielle und materielle Schäden, die den Rechtsmittelführern entstanden sein sollen – Schadensersatzklage“

In der Rechtssache C‑363/22 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 6. Juni 2022,

Planistat Europe SARL mit Sitz in Paris (Frankreich),

Hervé-Patrick Charlot, wohnhaft in Paris,

vertreten durch F. Martin Laprade, Avocat,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und F. Blanc als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter Z. Csehi, M. Ilešič (Berichterstatter), I. Jarukaitis und D. Gratsias,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Juli 2023

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Planistat Europe SARL und Herr Hervé-Patrick Charlot die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 6. April 2022, Planistat Europe und Charlot/Kommission (T‑735/20, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2022:220), mit dem das Gericht ihre Schadensersatzklage abgewiesen hat. Die Klage war zum einen auf Ersatz des immateriellen Schadens, der Herrn Charlot durch die Übermittlung von Informationen über möglicherweise strafrechtlich relevante Handlungen durch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) an die nationalen Behörden sowie durch die von der Europäischen Kommission bei diesen Behörden erstattete Strafanzeige entstanden sein soll, und zum anderen auf Ersatz des materiellen Schadens gerichtet, der den Rechtsmittelführern durch die Kündigung der zwischen Planistat Europe und der Kommission geschlossenen Verträge entstanden sein soll.

I. Rechtlicher Rahmen

2

In den Erwägungsgründen 1, 5, 10 und 13 der in zeitlicher Hinsicht auf die vorliegende Rechtssache anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (ABl. 1999, L 136, S. 1) hieß es:

„(1)

Die Organe und die Mitgliedstaaten messen dem Schutz der finanziellen Interessen der [Europäischen] Gemeinschaften sowie der Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften große Bedeutung bei. …

(5)

Die Zuständigkeit des [OLAF], wie von der Kommission eingerichtet, erstreckt sich über den Schutz der finanziellen Interessen hinaus auf alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrung der gemeinschaftlichen Interessen gegenüber rechtswidrigen Handlungen, die verwaltungs- oder strafrechtlich geahndet werden könnten.

(10)

Bei diesen Untersuchungen, die gemäß dem Vertrag und insbesondere dem Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften und unter Wahrung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften … durchzuführen sind, müssen die Menschenrechte und die Grundfreiheiten in vollem Umfang gewahrt bleiben; dies gilt insbesondere für den Billigkeitsgrundsatz, das Recht der Beteiligten, zu den sie betreffenden Sachverhalten Stellung zu nehmen, und den Grundsatz, dass sich die Schlussfolgerungen aus einer Untersuchung nur auf beweiskräftige Tatsachen gründen dürfen. Zu diesem Zweck müssen die Organe, Einrichtungen sowie Ämter und Agenturen die Bedingungen und Modalitäten für die Durchführung der internen Untersuchungen festlegen. Die Rechte und Pflichten der Beamten und sonstigen Bediensteten im Zusammenhang mit internen Untersuchungen sind folglich [in diesem] Statut festzuschreiben.

(13)

Es obliegt den zuständigen einzelstaatlichen Behörden sowie gegebenenfalls den Organen, Einrichtungen sowie Ämtern und Agenturen, auf der Grundlage des von dem [OLAF] erstellten Berichts Folgemaßnahmen zu den abgeschlossenen Untersuchungen zu beschließen. Der Direktor des [OLAF] sollte verpflichtet werden, den Justizbehörden des betroffenen Mitgliedstaats unmittelbar alle Informationen zu übermitteln, die das [OLAF] bei internen Untersuchungen über strafrechtlich relevante Sachverhalte zusammengetragen hat.“

3

Art. 2 („Administrative Untersuchungen“) der Verordnung bestimmte:

„Im Sinne dieser Verordnung umfasst der Begriff ‚administrative Untersuchungen‘ … sämtliche Kontrollen, Überprüfungen und sonstige Maßnahmen, die die Bediensteten des [OLAF] in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß den Artikeln 3 und 4 durchführen, um die in Artikel 1 festgelegten Ziele zu erreichen und gegebenenfalls den Beweis für Unregelmäßigkeiten der von ihnen kontrollierten Handlungen zu erbringen. Diese Untersuchungen berühren nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Strafverfolgung.“

4

Art. 8 („Vertraulichkeit und Datenschutz“) der Verordnung sah vor:

„(1)   Informationen, die im Rahmen externer Untersuchungen eingeholt werden, sind, unabhängig davon, in welcher Form sie vorliegen, durch die Bestimmungen über diese Untersuchungen geschützt.

(2)   Informationen, die im Rahmen interner Untersuchungen mitgeteilt oder eingeholt werden, fallen, unabhängig davon, in welcher Form sie vorliegen, unter das Berufsgeheimnis und genießen den Schutz, der durch die für die Organe der Europäischen Gemeinschaften geltenden einschlägigen Bestimmungen gewährleistet ist.

Diese Informationen dürfen insbesondere nur Personen mitgeteilt werden, die in den Organen der Europäischen Gemeinschaften oder den Mitgliedstaaten aufgrund ihres Amtes davon Kenntnis erhalten dürfen; sie dürfen zu keinem anderen Zweck als der Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen rechtswidrigen Handlungen verwendet werden.

(3)   Der Direktor trägt dafür Sorge, dass die Bediensteten des [OLAF] und die anderen unter seiner Verantwortung handelnden Personen die gemeinschaftlichen und die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über den Schutz personenbezogener Daten einhalten; dies gilt insbesondere für die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr [(ABl. 1995, L 281, S. 31)].

(4)   Der Direktor des [OLAF] und die Mitglieder des in Artikel 11 genannten Überwachungsausschusses sorgen für die Anwendung der Bestimmungen dieses Artikels sowie der Artikel 286 und 287 des EG‑Vertrags.“

5

Art. 9 („Untersuchungsberichte und Folgemaßnahmen“) der Verordnung bestimmte:

„(1)   Das [OLAF] erstellt nach einer von ihm durchgeführten Untersuchung unter der Verantwortung des Direktors einen Bericht, aus dem insbesondere der festgestellte Sachverhalt, gegebenenfalls die ermittelte Schadenshöhe und die Ergebnisse der Untersuchung, einschließlich der Empfehlungen des Direktors des [OLAF] zu den zweckmäßigen Folgemaßnahmen, hervorgehen.

(2)   Bei der Erstellung dieser Berichte werden die im Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahrenserfordernisse berücksichtigt. Die so erstellten Berichte stellen in der gleichen Weise und unter denselben Bedingungen wie die Verwaltungsberichte der Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen zulässige Beweismittel in den Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren des Mitgliedstaats dar, in dem sich ihre Verwendung als erforderlich erweist. Sie werden nach denselben Maßstäben beurteilt wie die Verwaltungsberichte der einzelstaatlichen Kontrolleure und sind als diesen gleichwertig zu betrachten.

(3)   Der nach Abschluss einer externen Untersuchung erstellte Bericht wird mit allen zweckdienlichen Schriftstücken gemäß der für die externen Untersuchungen geltenden Regelung den zuständigen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten übermittelt.

(4)   Der nach Abschluss einer internen Untersuchung erstellte Bericht wird mit allen zweckdienlichen Schriftstücken dem betreffenden Organ, der betreffenden Einrichtung oder dem betreffenden Amt oder der betreffenden Agentur übermittelt. Die Organe, Einrichtungen sowie Ämter und Agenturen ergreifen die gemäß den Ergebnissen der internen Untersuchungen erforderlichen Folgemaßnahmen, insbesondere die disziplinarrechtlichen und justiziellen Maßnahmen, und unterrichten den Direktor des [OLAF] innerhalb der von ihm in den Schlussfolgerungen seines Berichts gesetzten Frist über die Folgemaßnahmen der Untersuchungen.“

6

Art. 10 („Übermittlung von Informationen durch das [OLAF]“) der Verordnung Nr. 1073/1999 lautete:

„(1)   Unbeschadet der Artikel 8, 9 und 11 dieser Verordnung und der Bestimmungen der Verordnung (Euratom, EG) Nr. 2185/96 [des Rates vom 11. November 1996 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten (ABl. 1996, L 292, S. 2)] kann das [OLAF] den zuständigen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten jederzeit Informationen übermitteln, die es im Laufe externer Untersuchungen erlangt hat.

(2)   Unbeschadet der Artikel 8, 9 und 11 übermittelt der Direktor des [OLAF] den Justizbehörden des betreffenden Mitgliedstaats die bei internen Untersuchungen vom [OLAF] eingeholten Informationen über gegebenenfalls strafrechtlich zu ahndende Handlungen. Vorbehaltlich der Untersuchungserfordernisse unterrichtet er gleichzeitig den betreffenden Mitgliedstaat.

(3)   Unbeschadet der Artikel 8 und 9 kann das [OLAF] dem betreffenden Organ, der betreffenden Einrichtung oder dem betreffenden Amt oder der betreffenden Agentur jederzeit Informationen übermitteln, die es im Laufe interner Untersuchungen erlangt hat.“

II. Vorgeschichte des Rechtsstreits

7

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits wurde vom Gericht in den Rn. 2 bis 18 des angefochtenen Urteils dargelegt und lässt sich für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens wie folgt zusammenfassen.

8

Im Laufe des Jahres 1996 richtete das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaften (Eurostat) ein Netz von Verkaufsstellen für statistische Informationen („Datashops“) ein. In den Mitgliedstaaten waren diese „Datashops“, die keine Rechtspersönlichkeit besaßen, grundsätzlich in die nationalen statistischen Ämter integriert, mit Ausnahme von Belgien, Spanien und Luxemburg, wo sie von kommerziellen Unternehmen betrieben wurden. Zu diesem Zweck wurden dreiseitige Vereinbarungen zwischen Eurostat, dem Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften (OPOCE) und der Einrichtung, die den „Datashop“ beherbergte, geschlossen.

9

Von 1996 bis 1999 profitierte Planistat Europe, die von Herrn Charlot geleitet wurde, von den mit Eurostat unterzeichneten Rahmenverträgen, die verschiedene Dienstleistungen, u. a. die Bereitstellung von Personal in den „Datashops“, umfassten.

10

Ab dem 1. Januar 2000 wurde die Leitung der „Datashops“ in Brüssel (Belgien), Madrid (Spanien) und Luxemburg (Luxemburg) Planistat Europe übertragen. Sie musste den gesamten in diesen drei „Datashops“ erzielten Umsatz an die Kommission abführen.

11

Im September 1999 erstellte der interne Prüfdienst von Eurostat einen Bericht, in dem Unregelmäßigkeiten bei der von Planistat Europe wahrgenommenen Leitung der „Datashops“ festgestellt wurden.

12

Am 17. März 2000 leitete die Generaldirektion Finanzkontrolle der Kommission diesen Bericht an das OLAF weiter.

13

Am 18. März 2003 beschloss das OLAF nach einer internen Untersuchung (IO/2000/4097), die die Modalitäten der Einrichtung des „Datashop“-Netzwerks, die Rechnungsstellungsabläufe, die Verwendung des Finanzrahmens und die mögliche Beteiligung von Beamten der Europäischen Union zum Gegenstand hatte, die Einleitung der externen Untersuchung OF/2002/0510 gegen Planistat Europe.

14

Am 19. März 2003 übermittelte das OLAF im Rahmen der laufenden Untersuchung den französischen Justizbehörden Informationen über seiner Auffassung nach möglicherweise strafrechtlich relevante Handlungen (im Folgenden: Vermerk vom 19. März 2003). Auf dieser Grundlage leitete der Procureur de la République de Paris (Staatsanwaltschaft Paris, Frankreich) am 4. April 2003 vor dem Juge d’instruction du tribunal de grande instance de Paris (Untersuchungsrichter des Großinstanzgerichts Paris, Frankreich) ein richterliches Ermittlungsverfahren wegen Hehlerei und Beihilfe zur Untreue ein.

15

Am 16. Mai 2003 wurde diese Übermittlung in der Presse erwähnt und war Gegenstand schriftlicher Anfragen von Mitgliedern des Europäischen Parlaments an die Kommission.

16

Die Kommission und das OLAF gaben mehrere Pressemitteilungen heraus, von denen nur zwei Planistat Europe erwähnten. So wurde Planistat Europe in der Pressemitteilung der Kommission vom 9. Juli 2003 zum ersten Mal erwähnt, während die Kommission in der Pressemitteilung vom 23. Juli 2003 ihren Entschluss bestätigte, die Verträge mit Planistat Europe zu kündigen.

17

Am 10. Juli 2003 erstattete die Kommission beim Procureur de la République de Paris (Staatsanwaltschaft Paris) Strafanzeige, verbunden mit einem Adhäsionsantrag, gegen Unbekannt wegen Untreue und aller weiteren Straftatbestände, die durch die in der Strafanzeige genannten Handlungen möglicherweise verwirklicht worden waren.

18

Am 10. September 2003 wurde in Bezug auf Herrn Charlot eine richterliche Voruntersuchung wegen Untreue und Hehlerei veruntreuter Sachen eröffnet.

19

Am 23. Juli 2003 kündigte die Kommission die fraglichen Verträge mit Planistat Europe.

20

Am 25. September 2003 schloss das OLAF sowohl die interne Untersuchung IO/2000/4097 als auch die externe Untersuchung OF/2002/0510.

21

Am 9. September 2013 stellte der Juge d’instruction du tribunal de grande instance de Paris (Untersuchungsrichter des Großinstanzgerichts Paris) die Verfahren gegen alle Personen, die im Rahmen des vor den französischen Justizbehörden eingeleiteten Strafverfahrens beschuldigt worden waren, ein. Die Kommission legte Berufung dagegen ein.

22

Mit Urteil vom 23. Juni 2014 wies die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) die Berufung der Kommission zurück und bestätigte den Einstellungsbeschluss.

23

Mit Urteil vom 15. Juni 2016 wies die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) das von der Kommission gegen das Urteil vom 23. Juni 2014 eingelegte Rechtsmittel zurück und beendete damit das Gerichtsverfahren.

24

Am 10. September 2020 richteten die Rechtsmittelführer ein Aufforderungsschreiben an die Kommission, mit dem sie beantragten, ihnen 11,6 Mio. Euro als Ersatz des Schadens zu zahlen, der ihnen u. a. durch die Anzeige der Kommission und durch die hierzu veröffentlichten Pressemitteilungen entstanden sein soll.

25

Am 15. Oktober 2020 lehnte die Kommission den Antrag der Rechtsmittelführer mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für eine außervertragliche Haftung der Union nicht erfüllt seien.

III. Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

26

Mit am 15. Dezember 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhoben Planistat Europe und Herr Charlot eine auf Art. 268 AEUV gestützte Klage, und zwar zum einen auf Ersatz des immateriellen Schadens, der Herrn Charlot dadurch entstanden sein soll, dass das OLAF den nationalen Behörden Informationen über möglicherweise strafrechtlich relevante Handlungen übermittelt und die Kommission vor dem Abschluss der Untersuchung des OLAF bei diesen Behörden Strafanzeige erstattet habe, und zum anderen auf Ersatz des materiellen Schadens, der ihnen durch die Auflösung der zwischen Planistat Europe und der Kommission geschlossenen Verträge entstanden sein soll.

27

Zur Begründung dieser Klage brachten die Rechtsmittelführer vor, dass das OLAF und die Kommission die Fürsorgepflicht, die Grundsätze der guten Verwaltung und der Unschuldsvermutung sowie die Verteidigungsrechte, die allesamt in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankert seien, verkannt hätten. Im Wesentlichen machten sie geltend, dass das OLAF und die Kommission Rechtsverstöße begangen hätten, indem sie zum einen den französischen Justizbehörden Informationen über möglicherweise strafrechtlich relevante Handlungen übermittelt sowie zum anderen eine Strafanzeige gegen Unbekannt, die zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen sie geführt habe, erstattet und dieses Verfahren ungerechtfertigterweise weiterverfolgt hätten. Nach Ansicht der Rechtsmittelführer bestand zwischen diesen vom OLAF und von der Kommission begangenen Rechtsverstößen und den immateriellen und materiellen Schäden, deren Ersatz die Rechtsmittelführer begehren, ein unmittelbarer Kausalzusammenhang.

28

Das Gericht hat die Klage als teilweise unzulässig – aufgrund der Verjährung in fünf Jahren gemäß Art. 46 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union – und teilweise unbegründet abgewiesen.

IV. Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof

29

Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Rechtsmittelführer,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit ein Teil ihrer Ansprüche für verjährt erklärt und die Klage auf außervertragliche Haftung der Kommission abgewiesen wurde;

ihren im ersten Rechtszug gestellten Anträgen stattzugeben;

die Kommission zu verurteilen, öffentlich anzuerkennen, dass sie ihnen gegenüber einen Beurteilungsfehler begangen hat;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

30

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen und

den Rechtsmittelführern die Kosten aufzuerlegen.

V. Zum Rechtsmittel

31

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 169 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs „[d]ie Rechtsmittelanträge … auf die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entscheidung des Gerichts in der Gestalt der Entscheidungsformel gerichtet sein [müssen]“. Außerdem müssen nach Art. 170 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Rechtsmittelanträge für den Fall, dass das Rechtsmittel für begründet erklärt werden sollte, darauf gerichtet sein, dass den erstinstanzlichen Anträgen vollständig oder teilweise stattgegeben wird; neue Anträge sind nicht zulässig.

32

Der dritte Antrag der Rechtsmittelführer, die Kommission zu verurteilen, öffentlich anzuerkennen, dass sie ihnen gegenüber einen Beurteilungsfehler begangen habe, ist jedoch weder auf die Aufhebung der Entscheidung des Gerichts noch darauf gerichtet, dass den erstinstanzlichen Anträgen stattgegeben wird. Die Rechtsmittelführer hatten nämlich im ersten Rechtszug keinen solchen Antrag gestellt, wie aus dem angefochtenen Urteil hervorgeht und durch die Klageschrift bestätigt wird, die in den dem Gerichtshof gemäß Art. 167 Abs. 2 der Verfahrensordnung übermittelten erstinstanzlichen Akten enthalten ist. Daraus folgt, dass der dritte Antrag der Rechtsmittelführer einen neuen Antrag darstellt und als unzulässig zurückzuweisen ist.

33

Im Übrigen machen die Rechtsmittelführer drei Rechtsmittelgründe geltend. Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund werfen sie dem Gericht vor, einen Fehler begangen zu haben, indem es das schadensbegründende Ereignis für die geltend gemachten Schäden falsch interpretiert habe. Mit ihrem zweiten, hilfsweise vorgebrachten Rechtsmittelgrund machen sie geltend, dem Gericht seien in Bezug auf die Auslösung der außervertraglichen Haftung der Union Fehler unterlaufen. Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund werfen sie dem Gericht vor, zu Unrecht davon ausgegangen zu sein, dass das tatsächliche Vorliegen der behaupteten Schäden und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs nicht geprüft zu werden brauchten.

A. Zum ersten Rechtsmittelgrund

34

Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund, der sich in zwei Teile betreffend den immateriellen und den materiellen Schaden gliedert, machen die Rechtsmittelführer geltend, dass das Gericht ihr Vorbringen verfälscht habe, indem es in Rn. 36 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass sie der Kommission vorgeworfen hätten, Herrn Charlot durch die Beschuldigung im Strafverfahren vor den französischen Strafverfolgungsbehörden einen immateriellen Schaden und durch die Kündigung aller mit Planistat Europe geschlossenen Verträge einen materiellen Schaden zugefügt zu haben. Diese Verfälschung habe dazu geführt, dass das Gericht einen Fehler bei der Bestimmung der Rechtsverstöße begangen habe, die das schadensbegründende Ereignis für die Schäden darstellten, deren Ersatz die Rechtsmittelführer begehrten, was seine gesamte Analyse fehlerhaft mache, insbesondere Rn. 116 des angefochtenen Urteils, in der das Gericht ihre Klage als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet abgewiesen habe.

1.   Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

a)   Vorbringen der Parteien

35

Mit dem ersten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes werfen die Rechtsmittelführer dem Gericht vor, einen Fehler begangen zu haben, indem es das schadensbegründende Ereignis für den behaupteten immateriellen Schaden falsch bestimmt habe.

36

Hierzu machen sie geltend, dass das Gericht mit der Annahme, ihre Klage beziehe sich nur auf den immateriellen Schaden, der ihnen durch die Übermittlung des Vermerks vom 19. März 2003 durch das OLAF entstanden sei, und nicht auf den immateriellen Schaden, der sich aus der„weiten medialen Verbreitung“ dieser Übermittlung ergebe, ihr Vorbringen verfälscht habe. Das Gericht habe sich bei der Bestimmung der Rechtsverstöße, die das schadensbegründende Ereignis für die Schäden darstellten, deren Ersatz sie begehrten, geirrt.

37

Insoweit gehe aus der Klageschrift hervor, dass das OLAF und die Kommission nach Ansicht der Rechtsmittelführer mehrere Rechtsverstöße begangen hätten, nämlich indem sie zum einen mit dem an die französischen Justizbehörden gerichteten Vermerk vom 19. März 2003 eine „falsche Verdächtigung“ begangen und zum anderen die in Rn. 17 des vorliegenden Urteils erwähnte, mit einem Adhäsionsantrag verbundene Strafanzeige erstattet hätten, die von einer weiten medialen Verbreitung sowie einer Pressemitteilung begleitet worden sei, in der sie absichtlich Informationen über diesen Vermerk hätten „durchsickern“ lassen und „diffamierende“ Äußerungen getätigt hätten. Es sei die Kombination dieser Rechtsverstöße gewesen, die die Ehre und den Ruf von Herrn Charlot, dem Geschäftsführer von Planistat Europe, verletzt bzw. geschädigt habe.

38

Nach Ansicht der Kommission beruht das Vorbringen der Rechtsmittelführer auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Urteils.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

39

Zunächst ist festzustellen, dass das Gericht entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführer nicht außer Acht gelassen hat, dass sie einen immateriellen Schaden geltend gemacht hatten, der sich aus der medialen Verbreitung der Übermittlung des Vermerks vom 19. März 2003 durch das OLAF ergeben habe. Aus Rn. 47 des angefochtenen Urteils geht nämlich hervor, dass sich das Gericht mit diesem behaupteten immateriellen Schaden befasst hat, wobei es aber davon ausgegangen ist, dass dieser Schaden sofort eingetreten und der entsprechende Anspruch auf Schadensersatz daher gemäß Art. 46 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und nach den in den Rn. 34 und 35 des angefochtenen Urteils dargelegten Rechtsprechungsgrundsätzen verjährt sei. Soweit die Rechtsmittelführer mit dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes dem Gericht vorwerfen, es habe ihre Klageschrift verfälscht, indem es den angeblich durch die mediale Verbreitung des Vermerks entstandenen immateriellen Schaden außer Acht gelassen habe, beruht dieser erste Teil folglich auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Urteils und ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

40

Soweit dieser erste Teil dahin zu verstehen ist, dass mit ihm insofern eine Verfälschung des Vorbringens der Rechtsmittelführer geltend gemacht wird, als das Gericht außer Acht gelassen habe, dass sich der behauptete Schaden aus der Kombination der Übermittlung dieses Vermerks und seiner medialen Verbreitung ergebe, so geht nach ständiger Rechtsprechung aus Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV, Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie Art. 168 Abs. 1 Buchst. d und Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung hervor, dass in der Rechtsmittelschrift die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die konkreten rechtlichen Argumente, die diesen Antrag stützen, genau bezeichnet werden müssen; andernfalls ist das Rechtsmittel oder der betreffende Rechtsmittelgrund unzulässig (Urteil vom 21. September 2023, China Chamber of Commerce for Import and Export of Machinery and Electronic Products u. a./Kommission, C‑478/21 P, EU:C:2023:685, Rn. 162 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Ein Rechtsmittel, das nur die bereits vor dem Gericht geltend gemachten Klagegründe und Argumente einschließlich derjenigen, die auf ein vom Gericht ausdrücklich zurückgewiesenes Tatsachenvorbringen gestützt waren, wiederholt oder wörtlich wiedergibt, aber überhaupt keine Ausführungen speziell zur Bezeichnung des Rechtsfehlers enthält, mit dem das angefochtene Urteil oder der angefochtene Beschluss behaftet sein soll, genügt nicht den Begründungserfordernissen, die sich aus den genannten Vorschriften ergeben. Ein solches Rechtsmittel zielt nämlich in Wirklichkeit nur auf eine erneute Prüfung der beim Gericht eingereichten Klage ab, was nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2023, PL/Kommission, C‑537/21 P, EU:C:2023:363, Rn. 125 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Hierzu ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführer zwar geltend machen, das Gericht habe ihre Argumentation im angefochtenen Urteil fehlerhaft dargestellt, aber keinen Rechtsfehler benennen, der sich aus dieser dem angefochtenen Urteil ihres Erachtens anhaftenden fehlerhaften Darstellung ergeben soll (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2015, Andechser Molkerei Scheitz/Kommission, C‑682/13 P, EU:C:2015:356, Rn. 59).

43

Insbesondere tragen die Rechtsmittelführer, wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, nichts vor, um die in Rn. 47 des angefochtenen Urteils enthaltene und in Rn. 39 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Erwägung des Gerichts oder die in den Rn. 34 und 35 des angefochtenen Urteils angeführten Rechtsprechungsgrundsätze in Frage zu stellen.

44

Folglich ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als teils unzulässig, teils unbegründet zurückzuweisen.

2.   Zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

a)   Vorbringen der Parteien

45

Mit dem zweiten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes werfen die Rechtsmittelführer dem Gericht vor, einen Fehler begangen zu haben, indem es zu dem Ergebnis gelangt sei, das schadensbegründende Ereignis für den behaupteten materiellen Schaden ergebe sich aus der Kündigung der zwischen Planistat Europe und der Kommission im Jahr 2003 geschlossenen Verträge, obwohl aus der Klageschrift klar hervorgegangen sei, dass dieser Schaden in einem Wertverlust der Anteile an dieser Gesellschaft sowie in einer „Lähmung“ und einem „Beinaheverschwinden einer florierenden Gesellschaft“ bestehe, was Folge des diffamierenden Verhalten des OLAF und der Kommission gewesen sei. Dieser Schaden sei im Gegensatz zu dem sofort eingetretenen Schaden, der sich aus der Kündigung dieser Verträge ergeben habe, sukzessive eingetreten. Nachdem die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) am 15. Juni 2016 den Einstellungsbeschluss des Juge d’instruction du tribunal de grande instance de Paris (Untersuchungsrichter des Großinstanzgerichts Paris), mit dem die Unschuld von Herrn Charlot bestätigt worden sei, aufrechterhalten habe, könne dieses diffamierende Verhalten nachträglich als „rechtswidrig“ eingestuft werden. Daher hätte das Gericht den in Rn. 24 des vorliegenden Urteils erwähnten Schadensersatzantrag der Rechtsmittelführer, insbesondere im Hinblick auf die Verjährung ihres aus außervertraglicher Haftung der Union hergeleiteten Anspruchs, völlig anders prüfen müssen.

46

Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

47

Es trifft zwar zu, dass die Rechtsmittelführer in ihrer Klageschrift geltend gemacht haben, der materielle Schaden, der ihnen entstanden sei, bestehe in einem Wertverlust der Anteile an Planistat Europe sowie in einer „Lähmung“ und einem „Beinaheverschwinden einer florierenden Gesellschaft“, was Folge des diffamierenden Verhaltens des OLAF und der Kommission gewesen sei. Allerdings heißt es in der Klageschrift auch, dieser Wertverlust habe sich zum einen aus der Aussetzung und anschließenden Kündigung der zwischen der Gesellschaft und der Kommission geschlossenen Verträge und zum anderen aus der Kündigung der mit anderen Kunden geschlossenen Verträge ergeben. Es ist daher nicht ersichtlich, dass das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführer zu diesem Punkt verfälscht hätte, so dass der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, soweit damit eine Verfälschung ihres Vorbringens geltend gemacht wird, als unbegründet zurückzuweisen ist.

48

Außerdem ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführer in Bezug auf die Kündigung der zwischen der Gesellschaft und der Kommission geschlossenen Verträge dem Gericht lediglich vorwerfen, in den Rn. 58 bis 61 des angefochtenen Urteils befunden zu haben, dass der materielle Schaden sofort eingetreten sei, so dass der Anspruch auf Ersatz dieses Schadens verjährt sei. Dabei führen sie jedoch – unter Missachtung der in den Rn. 40 und 41 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung – nicht aus, inwiefern diese Erwägung rechtsfehlerhaft sein soll. Somit zielt dieser Teil ihres Rechtsmittels darauf ab, durch eine Wiederholung des Vorbringens aus dem ersten Rechtszug eine erneute Prüfung ihrer Klage vor dem Gericht zu erreichen, und ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

49

Hinsichtlich des materiellen Schadens, der sich aus der Kündigung der mit anderen Kunden geschlossenen Verträge ergeben haben soll, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in Rn. 62 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, dass die Rechtsmittelführer keinen Beweis insbesondere für den genauen Zeitpunkt, zu dem sich ein solcher Schaden konkretisiert habe, vorgelegt hätten.

50

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof jedoch, wenn das Gericht die Tatsachen festgestellt oder gewürdigt hat, gemäß Art. 256 AEUV lediglich zur Kontrolle ihrer rechtlichen Qualifizierung und der daraus gezogenen rechtlichen Konsequenzen befugt (Urteil vom 14. Oktober 2021, NRW.Bank/SRB, C‑662/19 P, EU:C:2021:846, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Würdigung der Tatsachen ist, sofern die dem Gericht vorgelegten Beweise nicht verfälscht wurden, daher keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt (Urteil vom 25. März 2021, Deutsche Telekom/Kommission, C‑152/19 P, EU:C:2021:238, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51

Da die Rechtsmittelführer keine Verfälschung von Tatsachen oder Beweisen geltend machen, ist ihr Vorbringen auch in diesem Punkt als unzulässig zurückzuweisen.

52

Daher ist der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als teilweise unbegründet und teilweise unzulässig zurückzuweisen.

53

Folglich ist der erste Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.

B. Zum zweiten Rechtsmittelgrund

54

Der zweite Rechtsmittelgrund, mit dem die Rechtsmittelführer einen Rechtsfehler in Bezug auf die Auslösung der außervertraglichen Haftung der Union geltend machen, gliedert sich in drei Teile, mit denen im Wesentlichen erstens ein Fehler des Gerichts in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des diffamierenden Verhaltens des OLAF und der Kommission gegenüber den Rechtsmittelführern, zweitens ein Fehler in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des OLAF, soweit es trotz fehlender hinreichender Anhaltspunkte den französischen Behörden Informationen über möglicherweise strafrechtlich relevante Handlungen übermittelt habe, und drittens ein Fehler in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Kommission gerügt wird.

1.   Zur ersten Rüge des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes

a)   Vorbringen der Parteien

55

Mit der ersten Rüge des zweiten Teils ihres zweiten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es festgestellt habe, dass das OLAF mit der Übermittlung von Informationen über möglicherweise strafrechtlich relevante Handlungen an die französischen Justizbehörden keinen Rechtsverstoß begangen habe.

56

Im Übrigen machen die Rechtsmittelführer im Wesentlichen geltend, dass die in Rede stehende Rechtswidrigkeit die Folge eines Verstoßes des OLAF gegen seine Sorgfaltspflicht sei und dass es ihm oblegen habe, die von ihm an die nationalen Behörden übermittelten Informationen zu überprüfen.

57

Das Gericht habe in den Rn. 82 bis 92 des angefochtenen Urteils einen Fehler begangen, indem es festgestellt habe, dass sich aus Art. 10 und dem 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1073/1999 ergebe, dass das OLAF berechtigt sei, auch vor Abschluss der externen Untersuchung die Justizbehörde einzuschalten, wenn es der Ansicht sei, über Informationen oder Anhaltspunkte zu verfügen, die die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigen oder für ein solches Verfahren nützliche Beweise darstellen könnten. Hierzu habe das Gericht in Rn. 88 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass das OLAF bereits am 19. März 2003 im Besitz von Informationen oder Anhaltspunkten gewesen sei, die die Annahme erlaubt hätten, dass die in Rede stehenden Handlungen möglicherweise strafrechtlich relevant seien. Das Gericht sei in den Rn. 90 und 91 des angefochtenen Urteils zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass das OLAF keinen Rechtsverstoß begangen habe und insbesondere weder gegen den Grundsatz der guten Verwaltung noch gegen den Grundsatz der Einhaltung einer angemessenen Frist verstoßen habe.

58

Indem das OLAF den französischen Behörden falsche Informationen übermittelt habe, habe es keine angemessene Sorgfalt walten lassen, was einen Verstoß gegen die Pflicht zur Überprüfung der Daten und damit gegen den Grundsatz der guten Verwaltung darstelle.

59

Die Kommission macht geltend, dass die erste Rüge des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes als teilweise offensichtlich unzulässig und teilweise unbegründet zurückzuweisen sei.

60

Ihrer Ansicht nach möchten die Rechtsmittelführer eine erneute Tatsachenprüfung erreichen, ohne jedoch eine Verfälschung der Tatsachen geltend zu machen oder den Rechtsfehler zu bestimmen, den das Gericht begangen haben soll.

61

In der Sache hält die Kommission das Vorbringen der Rechtmittelführer für unbegründet. Was die Feststellung des Gerichts betreffe, dass das OLAF zum Zeitpunkt der Übermittlung des Vermerks vom 19. März 2003 über ausreichende Informationen verfügt habe, um diese Übermittlung vorzunehmen, habe das Gericht in den Rn. 87 und 89 des angefochtenen Urteils zu Recht berücksichtigt, dass zum einen die in diesem Vermerk enthaltenen Informationen das Ergebnis einer Untersuchung seien, die im Laufe des Jahres 1999 auf der Grundlage eines von Eurostat erstellten Prüfberichts begonnen worden sei, und zum anderen, dass die Untersuchung OF/2002/0510 den externen Teil der internen Untersuchung IO/2000/4097 darstelle.

62

Darüber hinaus könne die Tatsache, dass die französischen Gerichte zu einem anderen Ergebnis gelangt seien als das OLAF, die Untersuchung des OLAF nicht in Frage stellen und für sich genommen nicht beweisen, dass das OLAF gegenüber den Rechtsmittelführern einen Fehler begangen habe, der einen Verstoß gegen den Grundsatz der guten Verwaltung darstelle.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

1) Zur Zulässigkeit

63

Auch wenn die Darstellung einiger der zur Stützung der ersten Rüge des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes vorgebrachten Argumente klarer hätte sein können, ändert dies nichts daran, dass mit diesen Argumenten im Wesentlichen nicht die Würdigung der Tatsachen durch das Gericht als solche in Frage gestellt werden soll, sondern die Schlussfolgerung des Gerichts, dass die festgestellten Tatsachen nicht den Schluss zuließen, dass das OLAF mit der Übermittlung von Informationen an die französischen Justizbehörden einen Rechtsverstoß begangen habe. Mit anderen Worten wird die rechtliche Qualifizierung dieser Tatsachen durch das Gericht beanstandet. Nach der in Rn. 50 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist die rechtliche Qualifizierung von Tatsachen eine Rechtsfrage, die im Rahmen eines Rechtsmittels aufgeworfen werden kann und der Kontrollbefugnis des Gerichtshofs unterliegt.

64

Folglich ist die erste Rüge des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes zulässig.

2) Zur Begründetheit

65

Mit der ersten Rüge des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführer im Wesentlichen geltend, dass das Gericht mit der Feststellung, das OLAF habe mit der Benachrichtigung der französischen Justizbehörden vor Abschluss des im Anschluss an die externe Untersuchung erstellten Berichts nicht gegen den Grundsatz der guten Verwaltung verstoßen, einen Rechtsfehler begangen habe.

66

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass zu den Voraussetzungen für die außervertragliche Haftung der Union gemäß Art. 340 Abs. 2 AEUV das Erfordernis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen eine Rechtsnorm gehört, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen (Urteil vom 30. Mai 2017, Safa Nicu Sepahan/Rat, C‑45/15 P, EU:C:2017:402, Rn. 29).

67

Ein solcher Verstoß liegt vor, wenn das betreffende Organ die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat. Zu den insoweit zu berücksichtigenden Gesichtspunkten gehören das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift sowie der Umfang des Ermessensspielraums, den die verletzte Vorschrift der Unionsbehörde belässt (Urteil vom 30. Mai 2017, Safa Nicu Sepahan/Rat, C‑45/15 P, EU:C:2017:402, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68

Wie die Generalanwältin in Nr. 42 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, umfasst das in Art. 41 der Charta verankerte Recht auf eine gute Verwaltung eine Sorgfaltspflicht der Unionsverwaltung, die mit Sorgfalt und Umsicht handeln muss, wobei die Missachtung dieser Pflicht eine Verletzung einer Rechtsnorm darstellt, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2008, Masdar [UK]/Kommission, C‑47/07 P, EU:C:2008:726, Rn. 91 bis 93).

69

Was insbesondere die Auswirkungen des Grundsatzes der guten Verwaltung und der ihm inhärenten Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Möglichkeit des OLAF betrifft, den nationalen Justizbehörden Informationen zu übermitteln, ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1073/1999, dass „das [OLAF] den zuständigen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten jederzeit Informationen übermitteln [kann], die es im Laufe externer Untersuchungen erlangt hat“.

70

Dem ersten Erwägungsgrund dieser Verordnung ist ferner zu entnehmen, dass diese Befugnis im Licht der Ziele des Schutzes der finanziellen Interessen der Union und der Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union auszuüben ist.

71

Außerdem erstreckt sich gemäß dem fünften Erwägungsgrund dieser Verordnung die Zuständigkeit des OLAF über den Schutz der finanziellen Interessen hinaus auf alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrung der Interessen der Union gegenüber rechtswidrigen Handlungen, die verwaltungs- oder strafrechtlich geahndet werden könnten. Um diese Ziele zu erreichen, führt das OLAF daher interne und externe Untersuchungen durch, deren Ergebnisse gemäß Art. 9 der Verordnung in einem Untersuchungsbericht dargestellt werden, der im Fall einer externen Untersuchung den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und im Fall einer internen Untersuchung dem betreffenden Organ, der betreffenden Einrichtung oder dem betreffenden Amt oder der betreffenden Agentur gemäß Art. 9 Abs. 3 bzw. 4 übermittelt wird.

72

Insoweit ergibt sich aus Abs. 2 dieses Artikels, dass die vom OLAF erstellten Berichte „in der gleichen Weise und unter denselben Bedingungen wie die Verwaltungsberichte der Kontrolleure der einzelstaatlichen Verwaltungen zulässige Beweismittel in den Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren des Mitgliedstaats dar[stellen], in dem sich ihre Verwendung als erforderlich erweist“.

73

Daraus folgt, wie der 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1073/1999 bestätigt, dass die in einem Abschlussbericht enthaltenen Ergebnisse einer Untersuchung des OLAF nicht automatisch zur Einleitung von Gerichtsverfahren führen können, da es Sache der zuständigen Behörden ist, über die Behandlung dieses Berichts zu entscheiden, und somit allein sie Entscheidungen erlassen können, die möglicherweise die Rechtsstellung der Personen beeinträchtigen, bezüglich derer im Bericht die Einleitung solcher Verfahren empfohlen wurde.

74

Wie die Generalanwältin in Nr. 45 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, können die vom OLAF vorgelegten Informationen von den nationalen Behörden, die über ein breiteres Spektrum an Ermittlungsbefugnissen verfügen als das OLAF, ergänzt und überprüft werden.

75

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass das OLAF zwar nicht nur die Befugnis, sondern auch die Pflicht hat, den zuständigen nationalen Behörden, einschließlich der Justizbehörden, selbst vor Abschluss seiner Untersuchung und der Erstellung des Abschlussberichts alle relevanten Informationen zu übermitteln, die den Erlass von Maßnahmen durch diese Behörden, einschließlich der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, rechtfertigen können. Allerdings muss das OLAF, wie die Generalanwältin in Nr. 47 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, bei der Entscheidung, eine solche Übermittlung vorzunehmen, seiner in Rn. 68 des vorliegenden Urteils erwähnten Sorgfaltspflicht Rechnung tragen und eine gewisse Vorsicht walten lassen, da es nicht als „beliebiger Hinweisgeber“, sondern als mit Untersuchungsbefugnissen ausgestattetes Amt handelt und eine solche Übermittlung von Informationen zwischen zwei mit solchen Befugnissen ausgestatteten Behörden erfolgt. Dies gilt umso mehr, als die Befassung nationaler Behörden als Grundlage für die Einleitung zivil- und strafrechtlicher Gerichtsverfahren dienen kann.

76

Um seiner Sorgfaltspflicht nachzukommen, muss das OLAF folglich, bevor es gemäß der Verordnung Nr. 1073/1999 Informationen an nationale Behörden übermittelt, nach Maßgabe des zehnten Erwägungsgrundes dieser Verordnung sicherstellen, dass diese Informationen einen hinreichenden Grad an Plausibilität und Wahrscheinlichkeit aufweisen, um zu rechtfertigen, dass die betreffenden Behörden Maßnahmen ergreifen, die in ihre Zuständigkeit fallen, darunter gegebenenfalls die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.

77

Daraus folgt, wie die Generalanwältin in Nr. 49 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, dass das Gericht, wenn es wie im vorliegenden Fall festzustellen hat, ob das OLAF bei der Übermittlung von Informationen an die nationalen Behörden seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist, prüfen muss, ob das OLAF zum Zeitpunkt dieser Übermittlung über mehr Anhaltspunkte als nur einen Zweifel verfügte, ohne jedoch einen qualifizierten Beweis zu verlangen, der keine weiteren Untersuchungshandlungen erfordert.

78

Daher oblag es dem Gericht im vorliegenden Fall, zum einen die Glaubhaftigkeit und den Inhalt der im Vermerk vom 19. März 2003 enthaltenen Informationen oder Anhaltspunkte sowie die Absicht zu prüfen, in der die Übermittlung dieser Informationen oder Anhaltspunkte an die französischen Justizbehörden erfolgte, und zum anderen festzustellen, ob diese Informationen oder Anhaltspunkte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigen oder für ein solches Verfahren nützliche Beweise darstellen konnten. Zu diesem Zweck oblag dem Gericht die Feststellung, ob das OLAF über hinreichend präzise materielle Indizien verfügte, aus denen sich ergibt, dass es plausible Gründe für die Annahme gab, dass die übermittelten Informationen möglicherweise strafrechtlich relevante Handlungen umfassten.

79

Das Gericht hat in Rn. 87 des angefochtenen Urteils zum einen festgestellt, dass aus dem Vermerk vom 19. März 2003 hervorgehe, dass die darin enthaltenen Informationen das Ergebnis einer Untersuchung seien, die auf der Grundlage eines internen Prüfberichts von Eurostat vom September 1999, d. h. fast dreieinhalb Jahre zuvor, begonnen habe, und zum anderen, dass dieser Vermerk den institutionellen Rahmen der Untersuchung darlege, den Hintergrund des von der Untersuchung erfassten Sachverhalts ausgehend von der Schaffung des „Datashop“-Netzwerks im Laufe der Jahre 1995 und 1996 beschreibe, die finanziellen Beziehungen innerhalb dieses Netzwerks erläutere und die im Zuge der Untersuchung getroffenen Feststellungen im Einzelnen darlege. In Rn. 88 des Urteils ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das OLAF bereits am 19. März 2003 über Informationen oder Anhaltspunkte verfügt habe, die den Schluss zuließen, dass die in Rede stehenden Handlungen möglicherweise strafrechtlich relevant seien.

80

Damit hat das Gericht weder die Glaubhaftigkeit und den Inhalt der im Vermerk vom 19. März 2003 enthaltenen Informationen oder Anhaltspunkte noch die Absicht geprüft, in der die Übermittlung dieser Informationen oder Anhaltspunkte an die französischen Justizbehörden erfolgte, und auch nicht, ob diese Informationen oder Anhaltspunkte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigen oder für ein solches Verfahren nützliche Beweise darstellen konnten. Insoweit hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen.

81

Folglich ist der ersten Rüge des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes stattzugeben.

2.   Zum ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes

a)   Vorbringen der Parteien

82

Mit dem ersten Teil ihres zweiten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführer geltend, dass das Gericht die vom OLAF und der Kommission begangene falsche Verdächtigung hätte erkennen müssen, die unter den Begriff der Diffamierung falle und in 25 der 27 Mitgliedstaaten der Union eine Straftat und gleichzeitig auch ein zivilrechtliches Delikt darstelle. Das Gericht habe einen Fehler begangen, indem es in den Rn. 74 und 76 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass sich die Rechtsmittelführer für das Vorliegen einer falschen Verdächtigung auf Bestimmungen des französischen Strafrechts, die Rechtsprechung der französischen Gerichte sowie auf die französische Lehre gestützt hätten. Nach Ansicht der Rechtsmittelführer hätte das Gericht ihr Vorbringen im Licht des Rechts auf Privatleben und des Rechts auf eine gute Verwaltung, die in Art. 7 bzw. Art. 41 der Charta verankert seien, prüfen müssen. Insoweit sei die französische Rechtsprechung zur falschen Verdächtigung nur als Beispiel angeführt worden, um darzutun, dass ein solches Fehlverhalten gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze verstoße, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam seien.

83

Die Kommission führt aus, dass dieses Vorbringen unzulässig sei, da es nicht im ersten Rechtszug geltend gemacht worden sei. Die Rechtsmittelführer hätten in ihrer Klageschrift an das Gericht das Vorliegen einer falschen Verdächtigung behauptet und dabei ausdrücklich auf das französische Strafgesetzbuch und die dazu ergangene nationale Rechtsprechung Bezug genommen. Die Klageschrift enthalte keine Ausführungen zum Vorliegen einer Diffamierung, die gegen einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts verstoßen hätte. Außerdem lasse die Klageschrift kein Vorbringen zum Vorliegen einer Diffamierung unter Verstoß gegen eine Bestimmung oder einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts erkennen. Jedenfalls sei dieses Vorbringen unbegründet, da die falsche Verdächtigung voraussetze, dass Tatsachen, deren Unwahrheit dem Täter bekannt sei, in Schädigungsabsicht offenbart würden, was die Rechtsmittelführer im vorliegenden Fall nicht dargetan hätten.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

84

Was die Zulässigkeit des ersten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Partei, wenn sie ein vor dem Gericht nicht vorgebrachtes Angriffs- oder Verteidigungsmittel erstmals vor dem Gerichtshof vorbringen könnte, dessen Befugnisse im Rechtsmittelverfahren beschränkt sind, diesen letztlich mit einem weiter reichenden Rechtsstreit befassen könnte, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte. Im Rahmen eines Rechtsmittels sind die Befugnisse des Gerichtshofs nämlich auf die Beurteilung der rechtlichen Entscheidung über das vor dem Gericht erörterte Vorbringen beschränkt (Urteil vom 27. April 2023, Casa Regina Apostolorum della Pia Società delle Figlie di San Paolo/Kommission, C‑492/21 P, EU:C:2023:354, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).

85

Im vorliegenden Fall ist jedoch festzustellen, dass die Rechtsmittelführer entgegen dem Vorbringen der Kommission in ihrer Klageschrift geltend gemacht haben, dass mit der falschen Verdächtigung, die sich aus der Übermittlung der in Rede stehenden Informationen an die französischen Justizbehörden ergeben habe, eine diffamierende Kommunikation aufgrund von Indiskretionen bezüglich dieser Übermittlung gegenüber der Presse einhergegangen sei, und dass sie sich insoweit ausdrücklich auf eine Verletzung insbesondere des in Art. 41 der Charta verankerten Rechts auf eine gute Verwaltung sowie der Verteidigungsrechte, des Rechts auf Unschuldsvermutung und der Pflicht zur Vertraulichkeit, die allesamt ebenfalls in der Charta verankert seien, berufen haben.

86

Daher ist das Vorbringen der Kommission zur Zulässigkeit des ersten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

87

In Bezug auf die Begründetheit dieses Teils ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in Rn. 74 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, dass sich die Rechtsmittelführer auf Bestimmungen des französischen Strafrechts, auf die Rechtsprechung der französischen Gerichte und auf die einschlägige französische Lehre gestützt hätten. Es hat jedoch in Rn. 75 des Urteils ausgeführt, dass die Unionsgerichte zwar eine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über Klagen auf Ersatz eines den Unionsorganen zurechenbaren Schadens hätten, die Auslegung und rechtliche Einordnung der von den Rechtsmittelführern behaupteten Tatsachen im französischen Strafrecht aber nicht in ihre Zuständigkeit falle. Daher hat das Gericht in Rn. 76 des Urteils das Vorbringen der Rechtsmittelführer zum Vorliegen einer falschen Verdächtigung als ins Leere gehend zurückgewiesen.

88

Wie die Generalanwältin in Nr. 83 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, beruhen diese Erwägungen des Gerichts auf einem offensichtlich fehlerhaften Verständnis der Klageschrift. Wie bereits in Rn. 85 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, geht aus dieser nämlich hervor, dass sich die Rechtsmittelführer zur Stützung ihres Vorbringens bezüglich der Rechtswidrigkeit des Verhaltens des OLAF und der Kommission aufgrund einer falschen Verdächtigung auf allgemeine Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere das in Art. 41 der Charta verankerte Recht auf eine gute Verwaltung, berufen haben. Soweit sie sich zur Stützung dieses Vorbringens auf das französische Recht berufen haben, war dies eindeutig nur als Beispiel zu verstehen.

89

Daraus folgt, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es dieses Vorbringen der Rechtsmittelführer als ins Leere gehend zurückgewiesen hat.

90

Daher ist dem ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes stattzugeben.

91

Folglich ist, ohne dass es einer Prüfung der zweiten Rüge des zweiten Teils dieses Rechtsmittelgrundes und des dritten Teils dieses Rechtsmittelgrundes sowie des dritten Rechtsmittelgrundes bedarf, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht mit diesem Urteil die Klage insoweit abgewiesen hat, als sie auf Ersatz des immateriellen Schadens gerichtet war, der Herrn Charlot durch das vor den französischen Justizbehörden gegen ihn eingeleitete Strafverfahren entstanden sein soll. Im Übrigen ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

VI. Zur Zurückverweisung der Sache an das Gericht

92

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hebt der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

93

Im vorliegenden Fall hat das Gericht, wie im Rahmen der Prüfung der ersten Rüge des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes festgestellt wurde, in den Rn. 82 bis 92 und 104 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen, indem es weder die Glaubhaftigkeit und den Inhalt der in dem Vermerk vom 19. März 2003 enthaltenen Informationen und Anhaltspunkte noch die Absicht, in der die Übermittlung dieser Informationen oder Anhaltspunkte an die französischen Justizbehörden erfolgte, noch geprüft hat, ob diese Informationen oder Anhaltspunkte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigen oder für ein solches Verfahren nützliche Beweise darstellen konnten. Im Übrigen ergibt sich aus der Prüfung des ersten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes, dass das Gericht in den Rn. 74 bis 76 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen hat, indem es das Vorbringen der Rechtsmittelführer, mit dem dem OLAF und der Kommission eine falsche Verdächtigung vorgeworfen wurde, als ins Leere gehend zurückgewiesen hat.

94

Im angefochtenen Urteil ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass kein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Unionsrechtsnorm vorliege, allerdings ohne die übrigen Voraussetzungen geprüft zu haben, die kumulativ erfüllt sein müssen, um die außervertragliche Haftung der Union auszulösen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. April 2007, Holcim [Deutschland]/Kommission, C‑282/05 P, EU:C:2007:226, Rn. 57, und vom 10. September 2019, HTTS/Rat, C‑123/18 P, EU:C:2019:694, Rn. 108).

95

Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof der Auffassung, dass der vorliegende Rechtsstreit im Hinblick auf den Antrag auf Ersatz des immateriellen Schadens, der Herrn Charlot durch das vor den französischen Justizbehörden gegen ihn eingeleitete Strafverfahren entstanden sein soll, nicht zur Entscheidung reif ist; die Sache ist daher an das Gericht zurückzuverweisen, damit dieses erneut prüfen kann, ob möglicherweise ein für die Auslösung der außervertraglichen Haftung der Union hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Unionsrechtsnorm vorliegt. Sollte diese Prüfung ergeben, dass ein solcher Verstoß vorliegt, wird das Gericht weiter zu prüfen haben, ob auch die übrigen Voraussetzungen für die Auslösung der außervertraglichen Haftung der Union erfüllt sind.

VII. Kosten

96

Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens vorzubehalten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 6. April 2022, Planistat Europe und Charlot/Kommission (T‑735/20, EU:T:2022:220), wird aufgehoben, soweit das Gericht mit diesem Urteil die Klage insoweit abgewiesen hat, als sie auf Ersatz des immateriellen Schadens gerichtet war, der Herrn Hervé-Patrick Charlot durch das vor den französischen Justizbehörden gegen ihn eingeleitete Strafverfahren entstanden sein soll.

 

2.

Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

 

3.

Die Sache wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

 

4.

Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

 

Regan

Csehi

Ilešič

Jarukaitis

Gratsias

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. Januar 2024.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident der Fünften Kammer

E. Regan


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

Top