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Document 62022CJ0326

Urteil des Gerichtshofs (Zehnte Kammer) vom 12. Oktober 2023.
Z. sp. z o.o. gegen A. S.A.
Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Verbraucherkreditverträge – Richtlinie 2008/48/EG – Art. 16 Abs. 1 – Vertragliche Rechte und Pflichten – Vorzeitige Rückzahlung – Ermäßigung der Gesamtkosten des Verbraucherkredits – Verlust einer Ausfertigung des Vertrags – Recht, vom Kreditgeber eine Zweitausfertigung des Vertrags zu erhalten.
Rechtssache C-326/22.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:775

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

12. Oktober 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Verbraucherkreditverträge – Richtlinie 2008/48/EG – Art. 16 Abs. 1 – Vertragliche Rechte und Pflichten – Vorzeitige Rückzahlung – Ermäßigung der Gesamtkosten des Verbraucherkredits – Verlust einer Ausfertigung des Vertrags – Recht, vom Kreditgeber eine Zweitausfertigung des Vertrags zu erhalten“

In der Rechtssache C‑326/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau, Polen) mit Entscheidung vom 18. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 2022, in dem Verfahren

Z. sp. z o.o.

gegen

A. S.A.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten Z. Csehi (Berichterstatter) sowie der Richter I. Jarukaitis und D. Gratsias,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Z. sp. z o.o., vertreten durch M. Plichta und A. Tomaszewska, Radcowie prawni, sowie O. Wojciechowski,

der A. S.A., vertreten durch P. Bieżuński, Radca prawny, und K. Staszel, Adwokat,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, M. Kozak und S. Żyrek als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Goddin und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66) im Licht des Effektivitätsgrundsatzes.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Z. sp. z o.o., einer Gesellschaft polnischen Rechts, und der A. S.A., einer Bank (im Folgenden: Bank), wegen eines Antrags auf den Erhalt von Unterlagen und Auskünften zur Beitreibung einer Forderung, die Z. erworben hat, und deren Höhe dem Betrag entspricht, der von der Bank aufgrund der Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits geschuldet wird, die sich aus seiner vorzeitigen Rückzahlung ergibt.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Im 39. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/48 heißt es:

„Dem Verbraucher sollte gestattet werden, seine Verbindlichkeiten vor Ablauf der im Kreditvertrag vereinbarten Frist zu erfüllen. …“

4

Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)

‚Verbraucher‘ eine natürliche Person, die bei den von dieser Richtlinie erfassten Geschäften zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;

g)

‚Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher‘ sämtliche Kosten, einschließlich der Zinsen, Provisionen, Steuern und Kosten jeder Art – ausgenommen Notargebühren –, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind; Kosten für Nebenleistungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, insbesondere Versicherungsprämien, sind ebenfalls enthalten, wenn der Abschluss des Vertrags über diese Nebenleistung eine zusätzliche zwingende Voraussetzung dafür ist, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird;

m)

‚dauerhafter Datenträger‘ jedes Medium, das es dem Verbraucher gestattet, an ihn persönlich gerichtete Informationen derart zu speichern, dass er sie in der Folge für eine den Zwecken der Informationen angemessene Dauer einsehen kann, und das die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglicht;

…“

5

Art. 10 („Zwingende Angaben in Kreditverträgen“) Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 sieht vor:

„Kreditverträge werden auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger erstellt.

Alle Vertragsparteien erhalten eine Ausfertigung des Kreditvertrags. Innerstaatliche Vorschriften über die Gültigkeit des Abschlusses von Kreditverträgen, die mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehen, bleiben unberührt.“

6

Art. 16 („Vorzeitige Rückzahlung“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Der Verbraucher ist berechtigt, seine Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag jederzeit ganz oder teilweise zu erfüllen. In solchen Fällen hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet.“

Polnisches Recht

7

Mit der Ustawa o kredycie konsumenckim (Verbraucherkreditgesetz) vom 12. Mai 2011 (Dz. U. 2011, Nr. 126, Pos. 715) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Verbraucherkreditgesetz) wurde die Richtlinie 2008/48 in die polnische Rechtsordnung umgesetzt.

8

Art. 49 des Verbraucherkreditgesetzes bestimmt:

„1.   Bei einer Rückzahlung des gesamten Kredits vor dem vertraglich bestimmten Zeitpunkt werden die Gesamtkosten des Kredits um die Kosten ermäßigt, die den Zeitraum betreffen, um den die Laufzeit des Vertrags verkürzt wurde, auch wenn der Verbraucher sie vor der Rückzahlung getragen hat.

2.   Wird ein Teil des Kredits vor dem vertraglich bestimmten Zeitpunkt zurückgezahlt, gilt Absatz 1 entsprechend.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9

Zwischen dem 14. November 2015 und dem 24. Juli 2018 schloss die Bank 15 Verbraucherkreditverträge (im Folgenden: fragliche Kreditverträge) mit sechs Privatpersonen (im Folgenden: Verbraucher). Die Verbraucher zahlten ihre Kredite vor dem in den fraglichen Verträgen festgelegten Fälligkeitszeitpunkt zurück und traten anschließend ihre Forderungen in Höhe der Beträge, die die Bank nach Art. 49 Abs. 1 und 2 des Verbraucherkreditgesetzes nach dieser vorzeitigen Rückzahlung schuldete, an Z. ab.

10

Die Verbraucher verfügen jedoch nicht mehr über ihre Exemplare der fraglichen Kreditverträge, so dass sie sie nicht an Z. übermitteln konnten.

11

Z. ließ sich jedoch das Bestehen der Forderungen der Verbraucher vom Biuro Informacji Kredytowej (Zentralstelle für Kreditinformation, Polen) bestätigen.

12

Unter diesen Umständen erhob Z. beim vorlegenden Gericht, dem Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau, Polen), Klage auf Herausgabe einer Zweitausfertigung der fraglichen Kreditverträge und der damit zusammenhängenden Verträge, insbesondere der Versicherungsverträge, durch die Bank, sowie auf Erteilung bestimmter Auskünfte zu diesen Kreditverträgen. Die Bank trägt vor, sie sei rechtlich nicht dazu verpflichtet, diese Informationen zur Verfügung zu stellen.

13

Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob Art. 16 der Richtlinie 2008/48 im Hinblick auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz das Recht verleiht, Unterlagen wie einen vorzeitig zurückgezahlten Verbraucherkreditvertrag sowie Auskünfte zu Zeitpunkt und Höhe der Rückzahlung zu fordern, wenn diese Auskünfte zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer Klageerhebung erforderlich sind, ohne sich gegebenenfalls der Gefahr auszusetzen, der gegnerischen Partei die Kosten erstatten zu müssen oder einen Teil der Forderung verjähren zu lassen.

14

Insoweit weist das vorlegende Gericht zum einen darauf hin, dass das Unionsrecht und die nationalen Vorschriften darauf abzielten, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, und vorsähen, dass die Verbraucher bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits hätten, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richte. Nach nationalem Recht müsse das Bestehen dieser Forderung jedoch vom Verbraucher nachgewiesen werden, was ohne Vorlage des Vertrags vor dem zuständigen Gericht und ohne genaue Bestimmung der Forderung zum Zeitpunkt der Rückzahlung des Kredits nicht möglich sei.

15

Dem Verbraucher das Recht zu versagen, eine Ausfertigung des Kreditvertrags zu erhalten, von dem er kein Original mehr habe, hat nach Ansicht des vorlegenden Gerichts zum anderen zur Folge, dass es dem Verbraucher nicht nur unmöglich sei, die Richtigkeit der vom Kreditgeber vorgenommenen Berechnung der durch letzteren zurückzuzahlenden Beträge zu überprüfen, sondern auch, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit einer eventuellen Klage auf Rückzahlung dieser Beträge zu beurteilen. Außerdem sei der Verbraucher die schwächere Vertragspartei und verfüge nicht über die Mittel, die Wirtschaftsteilnehmer wie Banken besäßen, um alle wichtigen Unterlagen in unversehrtem Zustand aufzubewahren.

16

Hätte der Verbraucher nicht das Recht, vom Kreditgeber die Herausgabe einer Ausfertigung des Kreditvertrags zu verlangen, würde dies nach Ansicht des vorlegenden Gerichts schließlich dazu führen, dass der Verlust des bei Vertragsschluss erhaltenen Originals dieses Vertrags durch den Verbraucher faktisch zur Folge hätte, dass ihm die tatsächliche Möglichkeit genommen würde, die vom Kreditgeber nach Art. 49 Abs. 1 und 2 des Verbraucherkreditgesetzes geschuldeten Beträge einzutreiben. Diese Auslegung würde die Wirksamkeit des dem Verbraucher durch Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 zuerkannten Rechts auf Ermäßigung der Kosten des Kredits beeinträchtigen, indem sie ihn der Gefahr aussetzen würde, dass seine auf dieses Recht gestützte Klage abgewiesen würde, dass er Verfahrenskosten des Kreditgebers tragen müsste oder dass er mit der Verjährung seiner Forderung konfrontiert würde.

17

Unter diesen Umständen hat der Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 im Kontext des Grundsatzes der Effektivität des Unionsrechts dahin auszulegen, dass ein Verbraucher oder ein Unternehmer, auf den der Verbraucher seine Rechte aus dieser Bestimmung der Richtlinie übertragen hat, auf Grundlage dieser Bestimmung fordern kann, dass der Kreditgeber eine Ausfertigung des Vertrags (sowie die Geschäftsbedingungen, die Vertragsbestandteil sind) herausgibt und Auskünfte zur Rückzahlung des Kredits erteilt, die unentbehrlich sind, um zu überprüfen, ob die Beträge, die zur Teilerstattung der Gesamtkreditkosten wegen seiner vorzeitigen Rückzahlung an den Verbraucher gezahlt wurden, richtig berechnet wurden, und um eine Klage auf etwaige Erstattung der vorstehend angeführten Beträge zu erheben?

Zur Vorlagefrage

18

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Tatsache, dass sich in dem Ausgangsrechtsstreit zwei juristische Personen gegenüberstehen, der Anwendung der Richtlinie 2008/48 nicht entgegensteht. Wie sich aus Rn. 20 des Urteils vom 11. September 2019, Lexitor (C‑383/18, EU:C:2019:702), ergibt, hängt der Anwendungsbereich der Richtlinie nämlich nicht von der Identität der Parteien des Rechtsstreits, sondern von der Eigenschaft der Parteien des Kreditvertrags ab. Im vorliegenden Fall stammen die Forderungen, die Gegenstand der Ausgangsrechtsstreitigkeiten sind, aus den fraglichen, zwischen den Verbrauchern und der Bank geschlossenen Kreditverträgen und wurden nach der vorzeitigen Rückzahlung der Kredite an die Klägerin des Ausgangsverfahrens abgetreten.

19

Daraus folgt, dass der Ausgangsrechtsstreit in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48 fällt.

20

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 im Licht des Grundsatzes der Effektivität des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass ein Verbraucher im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Richtlinie vom Kreditgeber eine Ausfertigung dieses Vertrags sowie alle Informationen zur Rückzahlung des Kredits fordern kann, die nicht im Vertrag selbst enthalten sind, aber unentbehrlich sind, um zum einen die Berechnung des Betrags zu überprüfen, den der Kreditgeber aufgrund der Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits schuldet, die sich aus seiner vorzeitigen Rückzahlung ergibt, und zum anderen, um es diesem Verbraucher zu ermöglichen, eventuell eine Klage auf Rückzahlung dieses Betrags zu erheben.

21

Erstens ist darauf hinzuweisen, dass Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 in Verbindung mit ihrem 39. Erwägungsgrund für den Verbraucher das Recht vorsieht, den Kredit vorzeitig zurückzuzahlen und eine Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits zu erhalten, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet (Urteil vom 11. September 2019, Lexitor,C‑383/18, EU:C:2019:702, Rn. 22).

22

Aus dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 geht jedoch nicht ausdrücklich hervor, dass der Kreditgeber, um dem Verbraucher die Ausübung seines Rechts auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits zu ermöglichen, verpflichtet ist, ihm bei Verlust des Vertrags eine Ausfertigung des Vertrags zur Verfügung zu stellen und ihm nicht im Vertrag enthaltene Informationen zu übermitteln, die für die Berechnung des dem Verbraucher nach dieser Bestimmung geschuldeten Betrags erforderlich wären.

23

Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift aber nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteile vom 11. September 2019, Lexitor,C‑383/18, EU:C:2019:702, Rn. 26, und vom 22. Dezember 2022, Quadrant Amroq Beverages,C‑332/21, EU:C:2022:1031, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

Was daher zweitens das Ziel der Richtlinie 2008/48 angeht, soll sie nach ständiger Rechtsprechung einen hohen Schutz des Verbrauchers gewährleisten. Dieses Schutzsystem beruht auf der Vorstellung, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt (Urteil vom 11. September 2019, Lexitor,C‑383/18, EU:C:2019:702, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25

In Anbetracht dieses Ziels eines hohen Schutzes der Verbraucherinteressen ist es erforderlich, dass der Verbraucher über sämtliche Informationen zu den Kosten des Kredits verfügen kann, so dass er deren gesamten Umfang bestimmen kann, insbesondere um das ihm durch Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 verliehene Recht auszuüben, von einer Ermäßigung dieser Gesamtkosten zu profitieren. Daher spielen die durch die Richtlinie 2008/48 auferlegten Informationspflichten eine wesentliche Rolle bei der Verwirklichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels.

26

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 ergibt, dass der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits hat, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet, ohne einen anderen Nachweis als den der vorzeitigen Rückzahlung dieses Kredits erbringen zu müssen. Daraus folgt, dass es Sache des Kreditgebers ist, die Auskünfte zu erteilen, die erforderlich sind, um den Betrag der Ermäßigung der Gesamtkreditkosten, auf den der Verbraucher Anspruch hat, zu bestimmen.

27

Sollten die für die Berechnung dieses Betrags erforderlichen Informationen im Vertrag selbst nicht enthalten sein, verlangt die Verpflichtung zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 außerdem, dass der Verbraucher diese Informationen vom Kreditgeber erhält, wenn sie für die Berechnung dieses Betrags erforderlich sind. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies vorliegend der Fall war.

28

Im Übrigen hat, wie die polnische Regierung hervorgehoben hat, der Kreditgeber, der dem Verbraucher, obwohl er weiß, dass dieser nicht über die Vertragsunterlagen verfügt, das Recht auf eine anteilige Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits aufgrund seiner vollständigen vorzeitigen Rückzahlung versagt, kein berechtigtes Interesse daran, diese Unterlagen vor dem Verbraucher oder seinem Rechtsnachfolger zu verbergen.

29

Was drittens den Kontext betrifft, in den sich Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 einfügt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung sich in Kapitel IV („Information und Rechte aus Kreditverträgen“) dieser Richtlinie befindet. Daraus ist zu schließen, dass der Unionsgesetzgeber damit ausdrücklich seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen engen Zusammenhang herzustellen zwischen einerseits der Möglichkeit des Verbrauchers, die mit dem Kreditvertrag verbundenen Rechte auszuüben, und andererseits dem Zugang zu Informationen über diesen Vertrag.

30

Daraus folgt, dass die Informationspflicht, die sich aus dem Willen des Unionsgesetzgebers ergibt, mittels der Richtlinie 2008/48 ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, wie sich aus den Rn. 24 und 25 des vorliegenden Urteils ergibt, u. a. die Verpflichtung des Kreditgebers umfasst, dem Verbraucher eine Ausfertigung des Kreditvertrags sowie alle Informationen zur Rückzahlung des Kredits zu übermitteln, die nicht im Vertrag selbst enthalten sind, die aber unentbehrlich sind, um zum einen die Berechnung des Betrags zu überprüfen, der der Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits entspricht, die dieser Verbraucher nach der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits beanspruchen kann, und zum anderen, um es ihm zu ermöglichen, eventuell eine Klage auf Rückzahlung dieses Betrags zu erheben.

31

Diese Auslegung wird außerdem durch Art. 10 der Richtlinie 2008/48 bestätigt, der zwingende Angaben in einem Kreditvertrag betrifft und Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 vorausgeht, wobei sich diese beiden Bestimmungen in Kapitel IV („Information und Rechte aus Kreditverträgen“) dieser Richtlinie befinden. Nach Art. 10 Abs. 1 werden Kreditverträge auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger erstellt.

32

Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs u. a. aus der Definition des „dauerhaften Datenträgers“ in Art. 3 Buchst. m der Richtlinie 2008/48 ergibt, dass dieser Datenträger dem Verbraucher in derselben Art und Weise wie eine Unterlage auf Papier den Besitz der betreffenden Informationen garantieren muss, damit er gegebenenfalls seine Rechte geltend machen kann. Entscheidend ist in dieser Hinsicht für den Verbraucher, dass er diese an ihn persönlich gerichteten Informationen speichern kann, dass er sich sicher sein kann, dass ihr Inhalt nicht verändert wird und sie während einer angemessenen Dauer zugänglich bleiben, und dass ihm die Möglichkeit ihrer originalgetreuen Wiedergabe eröffnet wird. Ein solcher Datenträger muss es zum einen dem Verbraucher gestatten, an ihn persönlich gerichtete Informationen in der Folge für eine den Zwecken der Informationen angemessene Dauer leicht einzusehen, und zum anderen die unveränderte Wiedergabe der gespeicherten Informationen ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 2016, Home Credit Slovakia,C‑42/15, EU:C:2016:842, Rn. 35 und 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Soweit der tatsächliche Besitz dieser Unterlagen und der darin enthaltenen Informationen zu diesem Zweck unerlässlich ist, ist die Herausgabe einer Ausfertigung dieser Unterlagen durch den Kreditgeber an den Verbraucher, der nicht mehr über sie verfügt, in gleicher Weise als Verpflichtung anzusehen.

34

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, um die Wirksamkeit sämtlicher Bestimmungen des Unionsrechts zu gewährleisten, u. a. den nationalen Gerichten auferlegt, ihr nationales Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen (Urteil vom 4. Mai 2023, ALD Automotive,C‑78/22, EU:C:2023:379, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Daraus folgt insbesondere, dass ein nationales Gericht, bei dem wie hier ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privatpersonen anhängig ist, bei der Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung einer Richtlinie erlassen worden sind, diese Bestimmungen anhand von Wortlaut und Zweck der Richtlinie auslegen muss, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem Ziel der Richtlinie vereinbar ist, unbeschadet bestimmter Grenzen wie u. a. dem Verbot einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts (Urteil vom 4. Mai 2023, ALD Automotive,C‑78/22, EU:C:2023:379, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 dahin auszulegen ist, dass ein Verbraucher im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Richtlinie vom Kreditgeber eine Ausfertigung dieses Vertrags sowie alle Informationen zur Rückzahlung des Kredits fordern kann, die nicht im Vertrag selbst enthalten sind, aber unentbehrlich sind, um zum einen die Berechnung des Betrags zu überprüfen, den der Kreditgeber aufgrund der Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits schuldet, die sich aus seiner vorzeitigen Rückzahlung ergibt, und zum anderen, um es diesem Verbraucher zu ermöglichen, eventuell eine Klage auf Rückzahlung dieses Betrags zu erheben.

Kosten

37

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates

 

ist dahin auszulegen, dass

 

ein Verbraucher im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Richtlinie vom Kreditgeber eine Ausfertigung dieses Vertrags sowie alle Informationen zur Rückzahlung des Kredits fordern kann, die nicht im Vertrag selbst enthalten sind, aber unentbehrlich sind, um zum einen die Berechnung des Betrags zu überprüfen, den der Kreditgeber aufgrund der Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits schuldet, die sich aus seiner vorzeitigen Rückzahlung ergibt, und zum anderen, um es diesem Verbraucher zu ermöglichen, eventuell eine Klage auf Rückzahlung dieses Betrags zu erheben.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.

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