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Document 62022CJ0288

Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 21. Dezember 2023.
TP gegen Administration de l'enregistrement, des domaines et de la TVA.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal d'arrondissement de Luxembourg.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 9 – Steuerpflichtige – Wirtschaftliche Tätigkeit, die selbständig ausgeübt wird – Begriff der ‚wirtschaftlichen Tätigkeit‘ – Begriff der ‚selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit‘ – Tätigkeit eines Mitglieds des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft.
Rechtssache C-288/22.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:1024

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

21. Dezember 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 9 – Steuerpflichtige – Wirtschaftliche Tätigkeit, die selbständig ausgeübt wird – Begriff der ‚wirtschaftlichen Tätigkeit‘ – Begriff der ‚selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit‘ – Tätigkeit eines Mitglieds des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft“

In der Rechtssache C‑288/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal d’arrondissement de Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg, Luxemburg) mit Entscheidung vom 26. April 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 29. April 2022, in dem Verfahren

TP

gegen

Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Piçarra, M. Safjan (Berichterstatter), N. Jääskinen und M. Gavalec,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: K. Hötzel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von TP, vertreten durch E. Adam, N. Le Gouellec und K. Veranneman, Avocates,

der luxemburgischen Regierung, vertreten durch A. Germeaux und T. Schell als Bevollmächtigte im Beistand von F. Lerch, Avocate,

der tschechischen Regierung, vertreten durch O. Serdula, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia, M. Björkland und C. Ehrbar als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Juli 2023

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 9 und 10 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen TP und der Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA (Einregistrierungs‑, Domänen- und Mehrwertsteuerverwaltung, Luxemburg) über einen Mehrwertsteuerbescheid, den Letztere im Zusammenhang mit der Tätigkeit von TP als Mitglied des Verwaltungsrats mehrerer Aktiengesellschaften nach luxemburgischem Recht erlassen hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

c)

Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;

…“

4

Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

5

Art. 10 dieser Richtlinie lautet:

„Die selbständige Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des Artikels 9 Absatz 1 schließt Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung aus, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.“

6

Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:

„Als,Dienstleistung‘ gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.“

7

Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“

Luxemburgisches Recht

8

Art. 4 Abs. 1 der geänderten Loi du 12 février 1979 concernant la taxe sur la valeur ajoutée (Gesetz vom 12. Februar 1979 über die Mehrwertsteuer) (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) bestimmt:

„Steuerpflichtiger gemäß Art. 2 ist, wer im Rahmen einer beliebigen wirtschaftlichen Tätigkeit unabhängig von den Zwecken, den Ergebnissen und dem Ort dieser Tätigkeit selbständig und regelmäßig Umsätze bewirkt.

…“

9

In Art. 5 des Mehrwertsteuergesetzes heißt es:

„Als wirtschaftliche Tätigkeit gelten alle Tätigkeiten zur Erzielung von Einnahmen, insbesondere die Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte und der freien Berufe sowie die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

10

Art. 441-1 der geänderten Loi du 10 août 1915 concernant les sociétés commerciales (Gesetz vom 10. August 1915 über Handelsgesellschaften) (im Folgenden: Gesetz vom 10. August 1915) bestimmt:

„Aktiengesellschaften werden von auf Zeit bestellten Beauftragten – Gesellschafter oder Nichtgesellschafter – verwaltet, die abberufbar und angestellt oder unentgeltlich beschäftigt sind.“

11

In Art. 441-2 dieses Gesetzes heißt es:

„Die Zahl der Verwaltungsratsmitglieder muss mindestens drei betragen.

Sie werden für einen bestimmten Zeitraum von der Hauptversammlung der Aktionäre bestellt; sie können jedoch erstmals im Gründungsakt der Gesellschaft bestellt werden. …

Ihre Amtszeit darf sechs Jahre nicht überschreiten; sie können von der Hauptversammlung stets abberufen werden.

…“

12

In Art. 441-5 dieses Gesetzes heißt es:

„Der Verwaltungsrat ist befugt, alle Handlungen vorzunehmen, die für die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks erforderlich oder zweckmäßig sind; ausgenommen sind Handlungen, die durch Gesetz oder die Satzung der Hauptversammlung vorbehalten sind. …

Der Verwaltungsrat vertritt die Gesellschaft gegenüber Dritten und vor Gericht, sei es auf Kläger- oder auf Beklagtenseite. Leistungen für oder gegen die Gesellschaft werden wirksam allein im Namen der Gesellschaft vorgenommen.

Beschränkungen der dem Verwaltungsrat durch die vorstehenden Absätze übertragenen Befugnisse, die sich aus der Satzung oder aus einem Beschluss der zuständigen Organe ergeben, können Dritten nicht entgegengehalten werden, selbst wenn sie veröffentlicht werden.

Die Satzung kann jedoch einem oder mehreren Verwaltungsratsmitgliedern die Befugnis verleihen, die Gesellschaft in Handlungen oder Gerichtsverfahren entweder allein oder gemeinsam zu vertreten. Diese Klausel kann Dritten unter den in Titel I Kapitel Vbis des geänderten Gesetzes vom 19. Dezember 2002 über das Handels- und Firmenregister sowie die Buchführung und den Jahresabschluss von Unternehmen vorgesehenen Voraussetzungen entgegengehalten werden.

…“

13

Art. 441-8 dieses Gesetzes bestimmt:

„Die Verwaltungsratsmitglieder gehen keine persönlichen Verpflichtungen in Bezug auf die Verbindlichkeiten der Gesellschaft ein.“

14

Art. 441-9 des Gesetzes vom 10. August 1915 lautet:

„Die Verwaltungsratsmitglieder, die Mitglieder des Geschäftsführungsausschusses und der Generaldirektor haften gegenüber der Gesellschaft nach allgemeinem Recht für die Ausführung des ihnen erteilten Auftrags und für Pflichtverletzungen bei ihrer Geschäftsführung.

Die Verwaltungsratsmitglieder und die Mitglieder des Geschäftsführungsausschusses haften gegenüber der Gesellschaft oder Dritten gesamtschuldnerisch für alle Schäden, die sich aus Verstößen gegen dieses Gesetz oder die Satzung ergeben.

Die Verwaltungsratsmitglieder und die Mitglieder des Geschäftsführungsausschusses werden von dieser Haftung für Verstöße, an denen sie nicht beteiligt waren, nur dann befreit, wenn ihnen keine Pflichtverletzung anzulasten ist und wenn sie diese Verstöße in Bezug auf die Verwaltungsratsmitglieder in der nächsten Hauptversammlung und in Bezug auf die Mitglieder des Geschäftsführungsausschusses in der ersten Sitzung des Verwaltungsrats angezeigt haben, nachdem sie davon Kenntnis erlangt haben.“

15

Art. 441-10 dieses Gesetzes sieht vor:

„Die laufende Führung der Geschäfte der Gesellschaft sowie die Vertretung der Gesellschaft in Bezug auf diese Geschäftsführung können einem oder mehreren Verwaltungsratsmitgliedern, Direktoren, Geschäftsführern und anderen Beauftragten – Gesellschafter oder Nichtgesellschafter –, die einzeln oder gemeinsam handeln, übertragen werden.

Ihre Ernennung, ihre Abberufung und ihre Befugnisse richten sich nach der Satzung oder einem Beschluss der zuständigen Organe, ohne dass jedoch die Beschränkungen ihrer Vertretungsbefugnisse für die Zwecke der laufenden Geschäftsführung Dritten entgegengehalten werden können, selbst wenn sie veröffentlicht werden.

Die Klausel, wonach die laufende Geschäftsführung einer oder mehreren Personen übertragen wird, die allein oder gemeinsam handeln, kann Dritten unter den in Titel I Kapitel Vbis des geänderten Gesetzes vom 19. Dezember 2002 über das Handels- und Firmenregister sowie die Buchführung und den Jahresabschluss von Unternehmen vorgesehenen Voraussetzungen entgegengehalten werden.

Die Übertragung auf ein Verwaltungsratsmitglied verpflichtet den Verwaltungsrat, der ordentlichen Generalversammlung jährlich über die Gehälter, Bezüge und Vorteile des Beauftragten Bericht zu erstatten.

Die Haftung der mit der laufenden Geschäftsführung beauftragten Personen aufgrund dieser Geschäftsführung richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen des Auftrags.

…“

16

Art. 441-11 des genannten Gesetzes bestimmt:

„Die Satzung kann den Verwaltungsrat ermächtigen, seine Geschäftsführungsbefugnisse an einen Geschäftsführungsausschuss oder einen Generaldirektor zu übertragen, wobei sich diese Übertragung nicht auf die allgemeine Geschäftspolitik der Gesellschaft oder auf alle Handlungen erstrecken darf, die dem Verwaltungsrat aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen vorbehalten sind. Wird ein Geschäftsführungsausschuss eingesetzt oder ein Generaldirektor ernannt, so ist der Verwaltungsrat für dessen Überwachung zuständig.

Der Geschäftsführungsausschuss besteht aus mehreren Personen, die Verwaltungsratsmitglieder sein können, aber nicht müssen.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17

TP ist Mitglied des Verwaltungsrats mehrerer Aktiengesellschaften nach luxemburgischem Recht und nimmt in diesem Rahmen mehrere Aufgaben wahr.

18

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Tätigkeit von TP nach den von ihm vorgelegten Erläuterungen insbesondere darin besteht, Berichte von Führungskräften oder Vertretern der betreffenden Gesellschaften entgegenzunehmen, strategische Vorschläge, Entscheidungen der operativen Führungskräfte, Probleme im Zusammenhang mit der Rechnungslegung dieser Gesellschaften und ihrer Tochtergesellschaften sowie die für sie bestehenden Risiken zu erörtern. Gegebenenfalls arbeite er an der Ausarbeitung der Entscheidungen mit, die die Vertreter der betreffenden Gesellschaften auf der Ebene der Verwaltungsräte der Tochtergesellschaften der Gesellschaften treffen müssten. Er sei auch an der Ausarbeitung der Entscheidungen über die Rechnungslegung der betreffenden Gesellschaften und an der Ausarbeitung der den Aktionärsversammlungen vorzulegenden Vorschläge, an der Risikopolitik und an den Entscheidungen über die von diesen Gesellschaften zu verfolgende Strategie beteiligt. Nach den Art. 441-10 und 441-11 des Gesetzes vom 10. August 1915 werde die laufende Geschäftsführung dieser Gesellschaften von einem Geschäftsführungsausschuss übernommen, der die beauftragten Geschäftsführer oder geschäftsführenden Direktoren umfasse, oder, in Ermangelung einer operativen Tätigkeit, die eines Geschäftsführungsausschusses bedürfte, von ständigen Vertretern oder Verwaltungsratsmitgliedern.

19

Aufgrund dieser Tätigkeiten erhielt TP in seiner Eigenschaft als Mitglied des Verwaltungsrats der betreffenden Gesellschaften durch Beschluss der Hauptversammlungen der Aktionäre der Gesellschaften Tantiemen aus dem von den Gesellschaften erzielten Gewinn.

20

Aufgrund der genannten Tätigkeiten erhielt TP einen Mehrwertsteuerbescheid für das Jahr 2019, der am 28. Juli 2020 von der Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA (Einregistrierungs‑, Domänen- und Mehrwertsteuerverwaltung) erlassen wurde.

21

Mit Schreiben vom 2. Oktober 2020 legte TP bei der Steuerverwaltung Einspruch gegen diesen Bescheid ein und machte geltend, dass die Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 4 des Mehrwertsteuergesetzes darstelle, mit dem Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie umgesetzt werde, und einem solchen Mitglied nicht die Eigenschaft eines Steuerpflichtigen verleihe.

22

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2020 wies der Direktor der Steuerverwaltung den Einspruch von TP mit der Begründung zurück, dass Mitglieder des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht, wie TP, eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübten und dass folglich die Tantiemen, die sie dafür erhielten, nicht von der Anwendung der Mehrwertsteuer ausgenommen seien.

23

Am 26. Januar 2021 erhob TP beim Tribunal d’arrondissement de Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg, Luxemburg), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Nichtigerklärung dieses Bescheids.

24

Das Gericht führt aus, dass es für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erstens feststellen müsse, ob eine natürliche Person, die Mitglied des Verwaltungsrats von Aktiengesellschaften nach luxemburgischem Recht sei, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie ausübe.

25

Vor diesem Hintergrund fragt sich das vorlegende Gericht, ob im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne dieser Bestimmung die von einer solchen natürlichen Person bezogenen Tantiemen den tatsächlichen Gegenwert für eine dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung darstellen und ob zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

26

Zweitens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass eine natürliche Person wie TP, die Mitglied des Verwaltungsrats von Aktiengesellschaften ist, nach luxemburgischem Recht nicht durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis im Sinne von Art. 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie an einen Arbeitgeber gebunden sei, möchte aber vom Gerichtshof Erläuterungen zu der Frage erhalten, ob eine solche Person ihre Tätigkeit selbständig im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie ausübt.

27

Unter diesen Umständen hat das Tribunal d’arrondissement du Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Übt eine natürliche Person, die Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht ist, eine „wirtschaftliche“ Tätigkeit im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie aus, und sind insbesondere die von dieser Person erhaltenen Vergütungen als Entgelt für die für diese Gesellschaft erbrachten Dienstleistungen anzusehen?

2.

Übt eine natürliche Person, die Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht ist, ihre Tätigkeit „selbstständig“ im Sinne der Art. 9 und 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie aus?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

28

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift ausübt.

29

Erstens ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie als „Steuerpflichtiger“ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. Der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ ist in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin definiert, dass er alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe umfasst.

30

Der Gerichtshof hat klargestellt, dass eine Tätigkeit nur dann als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingestuft werden kann, wenn mit ihr einer der in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Steuertatbestände erfüllt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. April 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Dazu gehören nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt.

31

Zwar ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die nationalen Bestimmungen, mit denen Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie umgesetzt worden ist, auf die Umstände des Ausgangsverfahrens anzuwenden und die hierzu erforderlichen Tatsachenwürdigungen und rechtlichen Qualifizierungen vorzunehmen, der Gerichtshof kann jedoch im Vorabentscheidungsverfahren Klarstellungen vornehmen, um diesem Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben (Urteil vom 22. November 2017, Cussens u. a.,C‑251/16, EU:C:2017:881, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Im vorliegenden Fall ergibt sich zwar aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, insbesondere den in Rn. 18 des vorliegenden Urteils genannten Aufgaben von TP, dass dieser eine Dienstleistung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie erbracht hat, doch fragt sich das vorlegende Gericht, ob diese Dienstleistung gegen Entgelt erfolgt, und insbesondere, ob die von einem Mitglied des Verwaltungsrats mehrerer Aktiengesellschaften bezogenen Tantiemen als eine Vergütung angesehen werden können, die es als Gegenleistung für die diesen Gesellschaften erbrachten Dienstleistungen erhält.

33

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Einstufung einer Dienstleistung als Umsatz „gegen Entgelt“ im Sinne der vorgenannten Bestimmung nur das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dieser Leistung und einer tatsächlich vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenleistung voraussetzt. Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang liegt vor, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet (Urteil vom 15. April 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Zum letzten Punkt ist darauf hinzuweisen, dass das Entgelt, um als tatsächlicher Gegenwert für die erbrachte Dienstleistung angesehen werden zu können, in einem angemessenen Verhältnis zu der erbrachten Dienstleistung stehen muss, da es die erbrachten oder zu erbringenden Leistungen nicht in einer Weise lediglich teilweise vergüten darf, dass der unmittelbare Zusammenhang zwischen diesen Leistungen und der Gegenleistung aufgehoben wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2016, Lajvér,C‑263/15, EU:C:2016:392, Rn. 49). Der Umstand, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit zu einem Preis über oder unter dem Selbstkostenpreis und somit zu einem Preis über oder unter dem normalen Marktpreis ausgeführt wird, ist allerdings unerheblich, wenn es darum geht, diesen Umsatz als „entgeltlichen Umsatz“ zu qualifizieren. Denn dies kann den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der erbrachten oder zu erbringenden Dienstleistung und der empfangenen oder zu empfangenden Gegenleistung, deren Betrag im Voraus und nach genau festgelegten Kriterien bestimmt wird, nicht beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Mai 2016, Geemente Borsele und Staatssecretaris van Financiën, C‑520/14, EU:C:2016:334, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 15. April 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 43).

35

Außerdem kann die Vergütung nach Fortschritt der Tätigkeiten eines Dienstleistungserbringers festgelegt werden, sofern die Modalitäten der Festlegung vorhersehbar und geeignet sind, sicherzustellen, dass der Dienstleistungserbringer grundsätzlich ein Entgelt für seine Leistungen enthält (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. April 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 44).

36

Im Übrigen besteht kein Zusammenhang zwischen der Leistung und der Gegenleistung, wenn die Vergütung aus völlig freien Stücken erfolgt und vom Zufall abhängig ist, so dass sich ihre Höhe praktisch nicht bestimmen lässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 1994, Tolsma,C‑16/93, EU:C:1994:80, Rn. 19), oder wenn sie angesichts der Umstände ihrer Bestimmung schwierig zu beziffern und ungewiss ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2016, Baštová,C‑432/15, EU:C:2016:855, Rn. 35).

37

Im vorliegenden Fall ergibt sich, auch wenn zwischen TP und den Aktiengesellschaften, bei denen er Verwaltungsratsmitglied ist, keine schriftliche Vereinbarung über seine Vergütung geschlossen wurde, aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass TP als Gegenleistung für seine Tätigkeit als Mitglied von Verwaltungsräten eine Vergütung erhalten hat, die offenbar entweder in Form von Tantiemen, die von den Hauptversammlungen der Aktionäre nach Maßgabe des von den betreffenden Aktiengesellschaften erzielten Gewinns bewilligt wurden, oder, wie TP in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof vorgetragen hat, in Form eines Pauschalbetrags geleistet wurde.

38

Das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Vergütung und der Tätigkeit scheint dabei im Fall einer Vergütung in Form eines im Voraus bestimmten Pauschalbetrags gegeben zu sein. Der Umstand, dass eine Ausgleichszahlung nicht nach Maßgabe individueller Leistungen, sondern pauschal und auf jährlicher Basis festgesetzt wird, ändert für sich allein nämlich nichts am unmittelbaren Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und der empfangenen Gegenleistung (Urteile vom 22. Februar 2018, Nagyszénás Településszolgáltatási Nonprofit Kft.,C‑182/17, EU:C:2018:91, Rn. 37, und vom 13. Juni 2019, IO [Mehrwertsteuer – Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats], C‑420/18, EU:C:2019:490, Rn. 25).

39

Im Fall einer Vergütung von TP in Form von Tantiemen wird das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der in den Rn. 33 bis 36 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu prüfen haben, ob, falls die betreffende Aktiengesellschaft keinen oder nur einen geringen Gewinn erzielt, die Hauptversammlung der Aktionäre dieser Gesellschaft TP auf der Grundlage anderer Faktoren dennoch einen Betrag an Tantiemen gewähren kann, der als objektiv angemessen für die von TP erbrachte Dienstleistung angesehen werden kann.

40

Was im Übrigen den Umstand betrifft, dass die Tantiemen von der Hauptversammlung der Aktionäre der betreffenden Gesellschaft gewährt werden, und selbst wenn eine solche Hauptversammlung nach luxemburgischem Recht nicht als Organ dieser Gesellschaft, sondern als Drittorgan oder von ihr abtrennbare Einheit anzusehen wäre, ist darauf hinzuweisen, dass es für die Ausführung einer Dienstleistung „gegen Entgelt“ im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie, wie sich auch aus deren Art. 73 ergibt, nicht erforderlich ist, dass die Gegenleistung für die Dienstleistung unmittelbar vom Empfänger der Dienstleistung erbracht wird, sondern dass diese Gegenleistung auch von einem Dritten erbracht werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. April 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Zweitens geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass das Vorliegen einer solchen Dienstleistung für die Feststellung einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht ausreicht (Urteil vom 12. Mai 2016, Geemente Borsele und Staatssecretaris van Financiën, C‑520/14, EU:C:2016:334, Rn. 28), sondern dass auch andere Kriterien erfüllt sein müssen.

42

Die in Rn. 29 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Definition des Begriffs „wirtschaftliche Tätigkeit“ zeigt nämlich klar, dass sich der Begriff auf einen weiten Bereich erstreckt und dass es sich dabei um einen objektiv festgelegten Begriff handelt, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird. Eine Tätigkeit wird im Allgemeinen also als wirtschaftliche angesehen, wenn sie nachhaltig ist und gegen ein Entgelt ausgeübt wird, das derjenige erhält, der die Leistung erbringt (Urteil vom 15. April 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung), was bedeutet, dass die Vergütung selbst einen nachhaltigen Charakter aufweisen muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Dezember 2007, Götz, C‑408/06, EU:C:2007:789, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung; vom 13. Juni 2019, IO [Mehrwertsteuer – Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats], C‑420/18, EU:C:2019:490, Rn. 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 15. April 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 55).

43

Für die Feststellung, ob eine Dienstleistung so erbracht worden ist, dass diese Tätigkeit gegen ein Entgelt erfolgt und somit als eine wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen ist, sind alle Umstände zu prüfen, unter denen die Tätigkeit erfolgt ist (Urteil vom 15. April 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Vergleich zwischen den Umständen, unter denen der Betreffende die fragliche Dienstleistung erbringt, und den Umständen, unter denen eine derartige Dienstleistung gewöhnlich erbracht wird, eine der Methoden darstellen kann, mit denen geprüft werden kann, ob die betreffende Tätigkeit eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt (Urteil vom 12. Mai 2016, Geemente Borsele und Staatssecretaris van Financiën, C‑520/14, EU:C:2016:334, Rn. 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Dabei kann auch von Bedeutung sein, ob die Höhe der Vergütung nach Kriterien bestimmt wird, die sicherstellen, dass sie zur Deckung der Betriebskosten des Dienstleistungserbringers ausreicht (Urteil vom 15. April 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C‑846/19, EU:C:2021:277, Rn. 49 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

45

In Anbetracht dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die Ernennung einer natürlichen Person wie TP zum Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht für eine verlängerbare Amtszeit von höchstens sechs Jahren der Tätigkeit eines solchen Verwaltungsratsmitglieds einen nachhaltigen Charakter verleiht. Der Umstand, dass eine Abberufung von einem solchen Amt ad nutum, d. h. jederzeit und ohne Begründung, erfolgen kann und dass auch sein Inhaber jederzeit darauf verzichten kann, kann für sich genommen nicht dazu führen, dass dieser Tätigkeit ihr nachhaltiger Charakter genommen wird, da dieses Amt von vornherein eine Höchstdauer von sechs Jahren hat.

46

Diese Amtszeit von sechs Jahren ist auch geeignet, der in Form von Tantiemen gewährten Vergütung einen nachhaltigen Charakter zu verleihen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juni 2019, IO [Mehrwertsteuer – Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats], C‑420/18, EU:C:2019:490, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). Für die Wahrung dieses nachhaltigen Charakters ist es jedoch wichtig, dass, falls die Tantiemen nach Maßgabe der von der betreffenden Gesellschaft erzielten Gewinne gewährt werden, den Verwaltungsratsmitgliedern auch in den Geschäftsjahren, in denen die Gesellschaft keine Gewinne erzielt hat, Tantiemen gewährt werden können.

47

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass das Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischen Recht eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift ausübt, wenn es dieser Gesellschaft eine Dienstleistung gegen Entgelt erbringt und diese Tätigkeit einen nachhaltigen Charakter aufweist und gegen eine Vergütung ausgeübt wird, deren Festsetzungsmodalitäten vorhersehbar sind.

Zur zweiten Frage

48

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischen Recht selbständig im Sinne dieser Vorschrift ausgeübt wird.

49

Vorab ist klarzustellen, dass aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervorgeht, dass TP in den Verwaltungsräten der Aktiengesellschaften, deren Mitglied er war, keine ausschlaggebende Stimme hatte und weder die Vertretung oder die laufende Geschäftsführung dieser Gesellschaften im Sinne von Art. 441-10 des Gesetzes vom 10. August 1915 wahrnahm, noch Mitglied eines Geschäftsführungsausschusses im Sinne von Art. 441-11 dieses Gesetzes war. Der Gerichtshof wird die Frage, ob eine Tätigkeit wie die von TP ausgeübte selbständig ist, daher unter Berücksichtigung dieser Umstände prüfen.

50

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die zweite Frage entsprechend den Feststellungen des vorlegenden Gerichts und ungeachtet seiner Formulierung dieser Frage allein im Licht von Art. 9 und nicht von Art. 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu beurteilen ist. Wie die Generalanwältin sinngemäß in den Nrn. 23 und 39 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist das in Art. 10 dieser Richtlinie genannte Unterordnungsverhältnis nämlich nur ein maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig im Sinne von Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie ausgeübt wird.

51

Unter Berücksichtigung dieser einleitenden Klarstellungen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass, um zu bestimmen, ob eine Person eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, zu prüfen ist, ob sie sich bei der Ausübung dieser Tätigkeit in einem Unterordnungsverhältnis befindet (Urteil vom 13. Juni 2019, IO [Mehrwertsteuer – Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats], C‑420/18, EU:C:2019:490, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Für die Beurteilung des Vorliegens dieses Unterordnungsverhältnisses ist zu prüfen, ob der Betroffene seine Tätigkeiten im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübt und ob er das mit der Ausübung dieser Tätigkeiten einhergehende wirtschaftliche Risiko trägt. Zur Feststellung der Selbständigkeit der in Rede stehenden Tätigkeiten hat der Gerichtshof daher das Fehlen jeglichen hierarchischen Unterordnungsverhältnisses berücksichtigt sowie den Umstand, dass die betreffende Person für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt, dass sie die Modalitäten der Ausübung ihrer Arbeit frei regelt und dass sie das Entgelt, das ihr Einkommen darstellt, selbst vereinnahmt (Urteil vom 13. Juni 2019, IO [Mehrwertsteuer – Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats], C‑420/18, EU:C:2019:490, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53

Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob TP die Modalitäten der Ausübung seiner Arbeit frei geregelt hat und das Entgelt, das sein Einkommen darstellt, selbst vereinnahmt hat.

54

Was die Frage des hierarchischen Unterordnungsverhältnisses betrifft, ist der Umstand, dass es einem Mitglied eines Verwaltungsrats im Rahmen seiner Beratungs- und Beschlussfassungstätigkeit im Verwaltungsrat freisteht, dem Verwaltungsrat Vorschläge und Ratschläge zu unterbreiten und im Verwaltungsrat abzustimmen, ein Indiz für das Fehlen eines solchen Verhältnisses. Dies gilt auch dann, wenn dieses Mitglied die Entscheidungen des Verwaltungsrats achten muss, da die ihm obliegenden Aufgaben, wie sie in Rn. 18 des vorliegenden Urteils genannt sind, im Wesentlichen nicht darin bestehen, Entscheidungen der Verwaltungsräte anzuwenden oder durchzuführen, sondern darin, Vorschläge und Ratschläge zu erteilen und mit den anderen Mitgliedern der betreffenden Verwaltungsräte Entscheidungen des Verwaltungsrats auszuarbeiten und zu erlassen.

55

Bei der Frage, ob ein solches Verwaltungsratsmitglied im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung gehandelt hat, sind insbesondere die nationalen Rechtsvorschriften über die Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Verwaltungsratsmitgliedern und der betreffenden Gesellschaft zu berücksichtigen. Insoweit ist, wie die Generalanwältin sinngemäß in den Nrn. 33 und 34 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, der Umstand, dass sich eine solche Verteilung der Verantwortlichkeiten in ähnlicher oder gleichwertiger Weise in den Beziehungen zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber findet, geeignet, darauf hinzuweisen, dass solche Mitglieder nicht auf eigene Verantwortung handeln. Das Gleiche gilt, wenn die für sie geltende Haftungsregelung nur akzessorisch zu der Haftungsregelung ist, die für die Gesellschaft oder den Verwaltungsrat als deren Organ gilt.

56

Sollte sich am Ende dieser Prüfungen herausstellen, dass das Verwaltungsratsmitglied nicht auf eigene Verantwortung handelt, wäre auch der Schluss zu ziehen, dass diese Person, auch wenn sie im eigenen Namen zu handeln scheint, wenn sie dem Verwaltungsrat Ratschläge oder Vorschläge unterbreitet oder abstimmt, eher für Rechnung des Verwaltungsrats und, allgemeiner, der Gesellschaft handelt, deren Organ der Verwaltungsrat ist, da diese Ratschläge, Vorschläge und Abstimmungen, die in erster Linie die Haftung der Gesellschaft auslösen können, im Interesse und für Rechnung der Gesellschaft zu formulieren sind.

57

Zur Frage, ob das Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht das mit seiner Tätigkeit verbundene wirtschaftliche Risiko trägt, ist darauf hinzuweisen, dass, wie aus Rn. 43 des Urteils vom 13. Juni 2019, IO (Mehrwertsteuer – Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats) (C‑420/18, EU:C:2019:490), und der dort angeführten Rechtsprechung hervorgeht, sich das wirtschaftliche Risiko, auf das der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung abstellt, stets auf das wirtschaftliche Risiko bezieht, das unmittelbar von der Person getragen wird, deren wirtschaftliche Tätigkeit in Bezug auf Selbständigkeit zu beurteilen ist. Daher kann das wirtschaftliche Risiko, das eine solche Gesellschaft aufgrund der Entscheidungen des Verwaltungsrats trägt, dessen Mitglied eine solche Person ist, nicht maßgeblich sein.

58

Nach dieser Klarstellung ist festzustellen, dass eine Person wie TP, die ihr Fachwissen und Know-how in den Verwaltungsrat einer Gesellschaft einbringt und an dessen Abstimmungen teilnimmt, das mit ihrer eigenen Tätigkeit verbundene wirtschaftliche Risiko nicht zu tragen scheint, da sich, wie die Generalanwältin sinngemäß in den Nrn. 33 und 36 bis 38 ausgeführt hat, die Gesellschaft selbst den negativen Folgen der Entscheidungen des Verwaltungsrats stellen muss und somit das mit der Tätigkeit der Verwaltungsratsmitglieder einhergehende wirtschaftliche Risiko trägt.

59

Eine solche Schlussfolgerung ist insbesondere dann geboten, wenn sich wie im Ausgangsverfahren aus dem nationalen Rechtsrahmen ergibt, dass die Verwaltungsratsmitglieder keine persönlichen Verpflichtungen in Bezug auf die Verbindlichkeiten der Gesellschaft eingehen. Sie ist auch dann geboten, wenn die Höhe der Vergütung, die das Verwaltungsratsmitglied in Form von Tantiemen erhält, von den Gewinnen der Gesellschaft abhängt. Dieses Mitglied trägt nämlich jedenfalls kein Verlustrisiko im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglied, da die Partizipation am Gewinn der Gesellschaft nicht mit der Tragung eines eigenen Gewinn- und Verlustrisikos gleichgesetzt werden kann. Die vorstehende Schlussfolgerung ist erst recht geboten, wenn die Hauptversammlung der Aktionäre die Tantiemen in Form eines Pauschalbetrags gewährt, der auch dann gezahlt wird, wenn die Gesellschaft Verluste macht oder sich in einem gerichtlichen Liquidationsverfahren befindet.

60

Aus den vorstehenden Gründen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht nicht selbständig im Sinne dieser Bestimmung ausgeübt wird, wenn dieses Mitglied – trotz der Tatsache, dass es die Modalitäten der Ausübung seiner Arbeit frei regelt, das Entgelt, das sein Einkommen darstellt, selbst vereinnahmt, im eigenen Namen handelt und keinem hierarchischen Unterordnungsverhältnis unterliegt – weder für eigene Rechnung noch in eigener Verantwortung handelt und das mit seiner Tätigkeit einhergehende wirtschaftliche Risiko nicht trägt.

Kosten

61

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

ist dahin auszulegen, dass

das Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmung ausübt, wenn es dieser Gesellschaft eine Dienstleistung gegen Entgelt erbringt und diese Tätigkeit einen nachhaltigen Charakter aufweist und gegen eine Vergütung ausgeübt wird, deren Festsetzungsmodalitäten vorhersehbar sind.

2.

Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112

ist dahin auszulegen, dass

die Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht nicht selbständig im Sinne dieser Bestimmung ausgeübt wird, wenn dieses Mitglied – trotz der Tatsache, dass es die Modalitäten der Ausübung seiner Arbeit frei regelt, das Entgelt, das sein Einkommen darstellt, selbst vereinnahmt, im eigenen Namen handelt und keinem hierarchischen Unterordnungsverhältnis unterliegt – weder für eigene Rechnung noch in eigener Verantwortung handelt und das mit seiner Tätigkeit einhergehende wirtschaftliche Risiko nicht trägt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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